Gewalttätige Mädchen: "Ich musste lernen, was gute Freunde sind"SPIEGEL ONLINE Verena*, 13: "Mir ist ziemlich unangenehm, was ich alles gemacht habe" Mit acht Jahren trank sie zum ersten Mal Alkohol, ihr Bruder wollte sie abhärten. Später schwänzte Verena die Schule, prügelte sich und haute oft von zu Hause ab. Inzwischen ist Verena 13 Jahre alt und lebt in einem geschlossenen Mädchenheim. Dort lernt sie, mit ihrer Vergangenheit umzugehen. "Ich musste erst lernen, was gute Freunde sind. Auch heute noch fällt es mir manchmal schwer, gute von schlechten zu unterscheiden. Schlechte Freunde sagen: Komm raus! Lass uns feiern! Hau doch ab! Vergiss die Schule! Ich hatte früher viele schlechte Freunde. Früher erzählte ich immer, warum ich in der Niefernburg bin, einem geschlossenen Heim für Mädchen. Inzwischen ist mir aber ziemlich unangenehm, was ich alles gemacht habe. Schule schwänzen, Prügeln, Alkohol - das ist nichts, worauf ich stolz sein kann. Jeder hat seine eigenen Probleme und seinen eigenen Rucksack, den er nicht vor anderen auspacken muss. Deswegen erzähle ich jetzt nur noch eine kurze Zusammenfassung. In der Grundschule schwänzte ich nie, in der fünften Klasse war ich dann in der Psychiatrie. Ich habe mich in der Zeit oft selbst verletzt und bin von zu Hause abgehauen. Meine Eltern hatten sich getrennt, das habe ich nicht gut verkraftet. Danach besuchte ich eine Förderschule; und ab dann ging ich lieber mit Freundinnen in die Stadt als zur Schule. Immer wieder versuchten Lehrer, mit mir zu sprechen, sagten, dass es so nicht weitergeht. Mir war das egal. Was will ich schon mit einem Förderschulabschluss? Ich schlug in der Zeit oft zu und alle hatten Angst vor mir. Ich war der King, chillte mit Freunden, feierte. Mit acht oder neun Jahren trank ich zum ersten Mal Alkohol. Mein Bruder, der war damals etwa 15, nahm mich mit zum Wettsaufen. Er wollte, dass ich viel Alkohol vertrage. Er hatte Angst, dass mich später, wenn ich älter bin, andere Jungs abfüllen, und sie dann mit mir machen können, was sie wollen. Er stellte mir zwei Gläser hin, Wodka und Jack Daniels. Oft hat er das aber nicht gemacht. Es ist viel schiefgelaufen, ich habe viel Mist gebaut, deswegen bin ich in der Niefernburg. Anfangs fand ich es schrecklich hier und weinte viel. Ich bin auch abgehauen, um zu provozieren, dass ich rausfliege. Bin ich aber nicht. Inzwischen habe ich mich mit zwei Mädchen angefreundet. Zu meinen Freunden von früher habe ich den Kontakt abgebrochen. Meine damalige beste Freundin steht inzwischen kurz vor dem Knast, das schockt mich schon. Jetzt will ich nur noch was mit Leuten zu tun haben, die etwas erreichen wollen. Ich schlage mich jetzt auch nicht mehr. Wenn es mir nicht gutgeht, und ich kurz davor bin auszurasten, dann nehme ich mir eine Auszeit. Seitdem ich hier bin, macht mir auch die Schule Spaß. Jetzt denke ich: Später, wenn ich groß bin, will ich eine gute Arbeit haben und eigenes Geld verdienen. Meine Eltern sind schon länger arbeitslos; ich möchte nicht, dass mir das passiert. Am liebsten möchte ich Kosmetikerin werden. Mich zu schminken, das hat mir schon als Kind Spaß gemacht. Nach einem Jahr auf der Niefernburg bin ich jetzt auf dem Weg nach Irland. Erst mal für ein Jahr werde ich in einer Familie leben. Ich freue mich auf das Land, die Sprache, aber der Abschied wird mir sehr schwer fallen. Aber ich weiß, dass ich noch nicht zu meinem Vater zurück kann. Er muss noch an sich arbeiten, genau wie ich. Aber wenn ich aus Irland zurückkomme, wird bestimmt vieles besser sein."