I
H O F M A N N S T H A L S W A N D L U N G
(1949)
Ent^ieh dicb nichl dem ein^Jgen Geschafte,
Vor dem dicb scbaudert. Dieses ist das deine.
Es ist nun fiinfzig Jahre her, daB sich in London ein Vorgang
abspielte, der in der gesellschaftlichen und literarischen Offentlichkeit
Europas betrachtlichen Staub aufwirbelte. Oscar Wilde,
der Dichter und Dandy, der geistreichste und eleganteste Mann
Europas, wurde vom Gipfel seines Erfolgs und aus dem Glanz
seines Ruhms in das Dunkel des Zuchthauses von Reading gestoBen.
An der Affare Wilde klebte gewiB genug des Skandalosen,
um dem bloBen Sensationsbediirfnis genugzutun. Aber die pikanten
Enthiillungen des Prozesses allein langen schwerlich bin,
um das Aufsehen zu erklaren, das er verursachte.
Aus dem Wogen der Meinungen, dem Triumph der einen, der
Niedergeschlagenheit der anderen Seite, ist deutlich zu erkennen,
daB man den Fall Wilde nicht als Einzelfall betrachtete. Ob man
es nun begriiBte oder beklagte, man sah in dem Gestiirzten eine
ganze Richtung bloBgestellt und gedemiitigt. Oscar Wilde war
ja der briUanteste und extravaganteste Vertreter einer Sekte, die
unter vielen Namen iiber ganz Europa verbreitet war, und deren
Angehorigen in vielen Abschattierungen doch eines gemeinsam
war: das Gefiihl, daB sic besser waren als das Leben, daB sie etwas
Besseres wollten als ihre Zeit, etwas, das sie zu einem Abstand
von den gewohnlichen Menschen verpflichte oder verdamme, und
daB sie alle den Gtund oder das Zeichen oder den Zweck solcher
Absonderung in der Kunst sahen. Wir diirfen sie daher mit einem
Wort, das nicht so unfreundlich gemeint ist, wie es klingt, »Astheten«
nennen. Sie nahmen sich heraus, der Brutalitat und Vulgaritat
des Zeitalters ihre Verachtung ins Gesicht zu schleudern
und die Einseitigkeit der Gegenwart mit der entgegengesetzten
Einseitigkeit zu erwidern, indem sie der ausschlieBlichen Anbetung
des HaBlichen und des Gemeinen eine ebenso ausschlieBliche
Verehrung des Kostlichen und Kiinstlichen entgegenstellten,
und indem sie sich aus der Sintflut des modernen Lebens auf selige
Inseln oder einsame Gipfel retteten, um dort als asthetische
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