wic jcncr Claudio, den Hofmannsthal in einem friihen Spiel vor das Gericht des Todes gezogen und dann freilich durch eben dicsen Tod die Erlosung zum wahren Leben hatte finden lassen. Aber wenn seine Schuld auch nichts als Torheit ist, so wird sie darum nicht weniger unnachsichtlich geahndet. So toricht es ist, angesichts des Lebens Unschuld vorschiitzen zu woUen, so unmoglich ist es, sich vor dem Leben durch Unschuld zu schiitzen. Unschuld ist nicht nur keine Sicherung gegen die Gefahr, sie ist selbst die Gefahr. Denn was in dieser Geschichte das Leben so bose macht, ist seine Unschuld, und was diesen jungen Menschen so ohnmachtig der Gewalt des bosen Lebens ausliefert, ist nichts anderes als dies. Diese Unschuld aber ist seine Schuld. Das Leben, so meint es Hofmannsthal, laBt seiner nicht spotten. VerstoBen — wird es bose und rachsiichtig. Es kehrt zuriick als Feind. Es lagert sich am Wege und legt Schlingen aus nach dem, der ihm entrinnen will. Und je welter einer ihm ausweicht, des to sicherer fallt man ihm ins Netz. Ein solches Netz ist es, in dem der Jiingling der 672. Nacht sich verfangt. Es ist wie eine Verschworung, ein geheimes Einverstandnis der Menschen und Tiere, Pflanzen und Steine, der Hauser und Garten und Tiiren und Wege, das darum nur um so tiickischer ist, als es sich nicht nachweisen laBt. Alles vollzieht sich ganz unscheinbar und unschuldig. Es ware nichts zu erwidern, wenn eingewendet wiirde, er habe sich nur verlaufen, und in Wirklichkeit gehe alles mit rechten Dingen zu. Nirgends ist ein handgreiflicher Spuk am Werk. Kein Stein riihrt sich um seinetwillen vom Fleck. Ja, seine Verlorenheit beruht eben darin, daB sich die Dinge so ganzlich ungeriihrt verhalten, daB sie iiberhaupt keine Notiz von ihm nehmen, genau als waren sie ganz allein und er nur leere Luft. So, weiB man auf einmal, sind die Dinge, wenn sie unter sich sind: herzlos, haBlich und unsagbar traurig. Unfahig, sich selber herzustellen, ungeborene Schatten, so stehen sie herum, stumm, ja bose wartend auf die Erlosung. Chaos als totes dumpfes Hinlungern der Dinge im Halblicht'^, so notiert Hofmannsthal einmal in sein Tagebuch nicht lange nach dem Erscheinen des Mdrchens und zweifellos aus der gleichen Stimmung; denn nichts kann besser die Beschaffenheit der Welt beschreiben, mit der wir es hier zu tun haben. Und wenn er hier diesen Zustand als Chaos bezeichnet, so tut er es, um das Heilmittel zu nennen, das einzige, das es gibt, namlich die Magie der Liebe: Magie: Gabe, das Chaos durch Liebe ^a heleben^. Einmal ist der Verirrte nahe daran, den erlosenden Zauber zu entdecken. Mit einer unbeholfenen Geste streicht er dem Kinde iiber das Haar, das ihn mit feindseliger Grimasse angestarrt hat, und schon legt sich 168 seine Angst, aber dann fallt er zuriick in seine Torheit und verfallt zum ersten Male auf den wahnwitzigen Gedanken, durch Geld seine Seele zu erlosen, nur um sein Opfer verschmaht zu sehen. Wohl fiihlt er dumpf das Warten, den Anspruch, den stummen Vorwurf der Dinge, aber er kann, ein zweiter Parzival, die erlosende Frage nicht finden. Wenn er ein einziges Mai Du zu sagen vermochte, dann ware der Bann gebrochen, die Welt erlost und seine verwunschene Seele zugleich. Aber so erinnert ihn die Forderung an nichts als an sein gelahmtes Vermogen. AUe je erlittenen und langst vergessenen Demiitigungen seines Lebens sind auf einmal wieder da, die Gesichter seiner Diener und das BewuBtsein seiner Schwache und seiner Schuld. Was ihn nun aber so schwach macht, und was die Welt so bose macht, hat dieselbe Wurzel, ist iiberhaupt das namliche. Noch einmal konnen uns zwei gleichzeitige Aufzeichnungen Hofmannsthals zuhilfe kommen. Das Ungeheure des Lebens, heiBt es in einer anderen Tagebuchnotiz, ist nur durch Zutdtigkeit ertrdglich ^« machen;immer nur betrachtet, lahmt es*. Und beinahe ein Jahr spater bekennt ein Brief unter dem Eindruck niederdriickender Erfahrungen: Ich begreife nicht, wie alle diese Dinge eine solche Gewalt iiber micb haben konnen ... Ich glaube: das schSne Leben verarmt einen. Wenn man immer so leben kSnnte, wie man will, wiirde man alle Kraft ver- lieren^. Dieses schone Leben, das so wehrlos macht gegeniiber der Wirklichkeit, ist es aber iiberhaupt erst, was das Gesicht der Wirklichkeit so furchtbar verkehrt. Wenn in unserem Marchen die Wirklichkeit unheimlich ist und trostlos, dann ist es, well der junge Mensch sie dazu verdammt hat, als er ihr den Riicken kehrte und das schone Leben wahlte. Die Welt ist haBlich, well er ihr seine Schonheit entzogen hat, sie ist herzlos, well er sie nicht beseelt hat, sie ist gehassig, well er sich ihrer nicht erbarmt hat. In dieser Versaumnis, die Welt zu verwandeln, zu versohnen und zu erlosen, in dem Versuch, die ganze dunkle Halfte des Lebens zu ignorieren, liegt seine Schuld, und nicht nur eine Schuld, sondern auch eine Gefahr. Hier liegt eine Einseitigkeit, welche die Widerlegung herausfordert: so sah Oscar Wilde selber sein Leben an — so miissen wir Hofmannsthals Marchen verstehen. Damit erklart sich die schneidende Dissonanz, mit der dieses wie jenes endet. Und damit enthiillt sich die tiefe Fragwiirdigkeit des schonen Lebens und die groBe Schwache des asthetischen Menschen. Hofmannsthal erlebte selbst die plotzliche und gewaltsame VerstoBung aus dem schonen Leben in eine namenlos haBliche und bedriickende Welt, als er 1895 und 1896 in triibseligen milhrischen 169 w^mft