geringeren Preis ist das Leben nicht 2u haben. Mensch sein heiBt, sich vorbehaltlos der Wirklichkeit auszusetzen, auf die Gefahr hin, daB sie einen verletzt oder beschmutzt, heiBt, sich in das Leben verflechten lassen, Verantwortung auf sich zu nehmen und der Verschuldung nicht auszuweichen. Hofmannsthal beginnt nun die Wege zu erforschen, die ins Leben fiihren': Liebe, Ehe, Vaterschaft, Gesellschaft, das Handeln . . . Wir konnten sie aufsuchen und auf ihnen sein spateres Werk durchschreiten. Wir wollen uns mit einem Blick auf die Gestalten begniigen, die uns auf diesen Wegen begegnen. Denn nichts ist aufschluBreicher fiir Hofmannsthals Wandlung. Wenn sein Jugendwerk bevolkert gewesen war von Gestalten, auf denen der Glanz des Lebens zu liegen schien, und die sich in der Priifung auf einmal als ohnmachtig und bediirftig erweisen, so ruhen die Dichtungen seiner letzten Lebenszeit auf Menschen, die scheinbar arm und niedrig sind, in denen aber ein Adel und eine Kraft verborgen ist, die sie zu heimlichen Herrschern und Heilanden maclit. Da ist der Farber Barak in der Frau ohne Schatten, eine dumpfe und schwere Kreatur, die aber eine Giite und eine Kraft der Liebe bewahrt, vor der noch die Kaiserin sich demiitigt. Da ist der Bettler im GrolSen Welttheater, der Zukurzgekommene und AusgestoBene, der doch fiir die Dauer eines atemberaubenden Augenblicks das Schicksal der ganzen gesellschaftlichen Ordnung in der Schwebe halt. Da ist der osterreichische Aristokrat in der Komodie Der Schivierige, ein Virtues der Unscheinbarkeit und Unauffalligkeit, der in aller Verwirrung doch die unbeirrbare Redlichkeit und Ritterlichkeit seines Wesens bewahrt. Und da ist endlich die Heilandsgestalt des Sigismund im Turm, der verstoBene Prinz, der gehalten wird wie ein Tier, und um den, als die Umwalzung kommt, die Armsten sich scharen und vor dem die Machtigen zittern, und der der Anwalt der geschandeten Menschheit wird. Der Konigssohn und die Geistertochter, einer hoheren Welt entsprungen, in die niedere Welt hinabgestiegen, um zwischen dem Oberen und dem Unteren eine Briicke zu bilden der Versohnung und der Erlosung, das sind die letzten Geheimnisse, in denen Hofmannsthal auszusprechen versuchte, was das Leben ihn gelehrt hatte. Es sind die Gleichnisse seines eigenen Weges. Er hat die Zumutung verworfen, sich vom Leben auszuschlieBen. Er hat geglaubt, daB auch der Dichter der Miihsal nicht enthoben ist, ein Mensch zu sein. So ist er selber den Weg gegangen, der ihn aus dem Glanz seines Jugendwerks in die Unscheinbarkeit eines Spatwerks fiihrte, dessen Bedeutung fiir uns immer noch wachst wie jene Sterne, die, an der Oberflache dunkel, erst aus der Feme zu leuchten be- 178 ginnen, well sie ihr Feuer im Innern verbergen. Der Weg ging aus dem Ruhm in die Verborgenheit, aus dem Mythischen ins Menschliche, in der Tat — vom Tempel auf die Strafe. Hofmannsthal hat sich die Formel, die als Verdammung gemeint war, zu eigen gemacht und ihr einen schonen Sinn verliehen. In des Dichters NachlaB befindet sich der Entwurf einer Dichtung aus der Zeit der Frau ohne Schatten unter dem Titel Der Priestert^ogling^. Es ist die Geschichte einer Einfiihrung in einen geheimen Mysterienkult. Lange hat der Schiiler im Tempel gelebt und gelernt. Er hat alle Priifungen bestanden und ist der letzten Initiation wiirdig befunden worden. Was aber ist nun die hochste Ofienbarung? Nach einem strengen Gesprach mit einem bisher unbekannten Lehrer, in dem ihm bedeutet wird, das mystische Erlebnis werde zur Selbstbefriedigung erniedrigt, ivofern nicht der strenge Be^ug auf das Leben gesucht werde, wird der Zogling aus dem Tempel hinausgeiviesen [. . .] auf die wimmelnde StrajSe. »Vom Tempel auf die StraBe«, dies ist der Sinn von Hofmannsthals Wandlung. 179