Franziska Gräfin zu Reventlow (1871-1918) in Husum als fünftes von sechs Kindern des königlich- preußischen Landrates Ludwig Christian Detlev Friedrich Graf zu Reventlow und seiner Ehefrau Julia Anna Luise, geb. Gräfin zu Ratzau geboren. 1890: Eintritt in das Privat-Lehrerinnen-Seminar in Lübeck. Ausbildung zur Lehrerin. Intensiver Sprachunterricht in Englisch und Französisch, Mitglied des Ibsen-Klubs, eines geheimen Lesezirkels, in dem sie mit der modernen Literatur vertraut wird (Nietzsche, Ibsen, Zola, Tolstoi, Turgenjew, Gerhart Hauptmann und August Bebel). München, 1893 Übersiedlung nach München, wo sie an der privaten Malakademie von dem Slowenen Anton Azbe ein Malstudium aufnimmt, das ihr Verlobter finanziert. Sie verkehrt vor allem in Bohèmekreisen. 1894: Obwohl sie von ihrem polnischen Malerfreund Adolf Herstein schwanger ist, heiratet sie Walter Lübke, vor dem sie die Schwangerschaft verbirgt. Übersiedlung nach Hamburg. Eine Fehlgeburt, die sie vor ihrem Mann verheimlicht. 1896: Scheidung von ihrem Mann angestrebt, Beginn ihrer Mitarbeit am »Simplicissimus«. Übersetzerin und Literatin Für den Verlag von Albert Langen übersetzt sie mehr als 50 Werke aus dem Französischen, u. a. von Guy de Maupassant, Émile Zola und Anatole France. l1898: Beginn der Mitarbeit an der Zeitschrift »Zürcher Diskußionen« von Oskar Panizza. l1899 Begegnung mit Ludwig Klages. Durch ihn und seine Freunde Friedrich Huch und Alfred Schuler erlangt sie Zugang zum Kreis der »Kosmischen Runde«. l1900: Beginn der Arbeit an dem autobiographischen Roman »Ellen Olestjerne«. l1901 Bekanntschaft mit Karl Wolfskehl. Durch ihn erhält sie Zugang zum Stefan-George-Kreis. Sie lernt Friedrich Gundolf, Wilhelm Dilthey, Albert Verwey u. a. kennen. Übersetzerin, Literatin l1903 Ihr erster Roman »Ellen Olestjerne« erscheint. lGemeinsam mit ihrem Sohn Rolf (geb. 1897), dem Schriftsteller Franz Hessel und dem Glasmaler und Puppenspieler Bohdan von Suchocki bildet sie eine Wohngemeinschaft in der Kaulbachstraße 63, dem sogenannten »Eckhaus«. http://www.literaturportal-bayern.de/themen?task=lpbtheme.default&id=780 l Wohngemeinschaft Wir drei wollen zusammenziehen, Such, Hessel und ich, mit möglichst separierten Räumen, eventuell sogar verschiedenen Wohnungen im selben Haus, aber gemeinsame Küche, der Such und ich abwechselnd vorstehen werden etc. – Mit dem, was Hessel besitzt und Such verdient, kommen wir so heraus, dass ich ganz umsonst lebe und nichts zu tun brauche, wie dem Haushalt etwas auf die Finger sehen. [...] lIch bin sicher, mit diesen beiden meine Alleinheit wahren zu können, wie ich's brauche, und mich dabei recht gründlich verwöhnen zu lassen, überhaupt es sehr schön zu haben. l(Franziska Gräfin zu Reventlow: Brief an Karl Wolfskehl, Solln, 10. August 1903. Hessel, Ein Flaneur in Berlin (1929) mit Walter Benjamin zwei Bände des Romans Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust lHessel hatte mehr Geld als die beiden anderen, und deshalb war es auch nur gerecht, dass er mehr als die anderen in die gemeinsame Kasse einzahlte. Und da er ein Schöngeist war, der lieber Gedichte schrieb, als sich mit profanen Überlegungen zur Haushaltsführung zu beschäftigen, ließen ihn Franziska und Such damit in Frieden. Hessel veranstaltete Lesungen im Haus. In Georgescher Manier – monoton, ohne Höhen, ohne Tiefen, fast liturgisch, beschwörend – rezitierte er eigene Gedichte und Gedichte anderer Autoren. lSperr, Franziska [1999]: Die kleinste Fessel drückt mich unerträglich. Das Leben der Franziska zu Reventlow. btb, München 1999 Scheinehe, 1911, Tod 1918 Franziska zu Reventlow schließt mit dem baltischen Baron Alexander von Rechenberg-Linten einen Ehevertrag. Die Trauung folgt im Juni. Es handelt sich auf beiden Seiten um eine Scheinehe mit dem Ziel, nach dem Tod des Schwiegervaters einen Erbschaftscoup zu landen. lNach dem Tod des Schwiegervaters erhält Franziska zu Reventlow tatsächlich 10.000 Schweizer Franken, verliert sie aber 1914 durch den großen Tessiner Bankkrach und wwendet sich wieder der Übersetzungstätigkeit zu. l1918 stirbt im Alter von 47 Jahren in Locarno durch Herzversagen während einer Operation. Krise l1904: Frühgeburt zweier Mädchen, von denen eines tot zur Welt kommt und das andere unmittelbar nach der Geburt stirbt. Franziska zu Reventlow und Bohdan von Suchocki, der Vater der Kinder, sind verzweifelt. l1906: Das Wohngemeinschafts-Experiment scheitert. Gefühl von Heimatlosigkeit. l1907: Längerer Aufenthalt in Rom, im März: Rückkehr nach München. Existenzsorgen und schwere Erkrankung. Ihr Lebensgefährte Bohdan von Suchocki verläßt München für immer und wandert in die USA aus. Herrn Dames Aufzeichnungen Du lieber Gott, ich werde ja nicht einmal heiraten können, wenn ich gern wollte. Wie könnte man einem Mädchen zumuten, Frau Dame zu heißen? Und dann daneben zu sitzen, das mitanzuhören und selbst... nein, diese Reihe von Unmöglichkeiten ist nicht auszudenken. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich dieser Susanna oder gnädigen Frau – wie ich sie natürlich anreden mußte, meine quälenden Vorstellungen anvertraute. Sie hat nicht einmal gelacht – doch, sie hat schon etwas gelacht, aber sie begriff auch die elende Tragik. Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begegnungen in einem merkwürdigen Stadtteil (Roman, 1913). lden Dichter Karl Wolfskehl (»Professor Hofmann«) und seine Frau Hanna Wolfskehl (»Lotte Hofmann«), den Schriftsteller Friedrich Huch (»Heinz Kellermann«), den Mysterienforscher Alfred Schuler (»Delius«,bzw. der Mann mit der Toga), den Kunstgewerbler und Glasmaler Bohdan von Suchocki (»Orlonsky«), den Schriftsteller Franz Hessel (»Willy«), den Schriftsteller O. A. H. Schmitz (»Adrian«), den Dichter Stefan George (»der Meister«), den Graphologen und Philosophen Ludwig Klages (»Hallwig«), sowie sich selbst (»Susanna«).