CM ZD < CO X u < O > IN-CD CO o CM o Joachim Baur (Hg Museumsanalyse Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes ^transcriptJ -»Kultur- und Museumsmanagement | Intro Wie lassen sich Museen wissenschaftlich uniersuchen? Welche methodischen Ansätze stehen zur Verfügung? Wie sind diese mit Gewinn einzusetzen? Die Beiträge dieses Buches stellen erstmals eine relevante Auswahl von Methoden zur Untersuchung der schillernden Institution Museum vor. Internationale Experten und Expertinnen verschiedener Disziplinen führen in die jeweiligen theoretischen Grundlagen und forschungspraktischen Herangehensweisen ein. Der Band dient so als analytischer »Werkzeugkasten« zur Bearbeitung von Fallstudien und gibt wichtige Anstöße zur Grundlagendiskussion im boomenden Feld der Museumswissenschaft. 9783899428148 Joachim Baur Museumsanalyse Kirshenblatt-Gimblett, Barbara (1998): Destination Culture. Tourism, Museums, and Heritage, Berkeley u.a.: University of California Press. Macdonald, Sharon (1996): »Introduction«. In: dies./Gordon Fyfe (Hg.), Theorizing Museums. Representing Identity and Diversity in a Changing World, Oxford/Cambridge, Mass.: Blackwell, S. 1-18. Michelsen, Gerd/Godemann, Jasmin (Hg.) (2005): Handbuch Nachhaltigkeits-kommunikation. Grundlagen und Praxis, München: Oekom. Muttenthaler, Roswitha/Wonisch, Regina (2006): Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld: transcript. Waidacher, Friedrich (1993): Handbuch der Allgemeinen Museologie, Wien u.a.: Böhlau. -» Was ist ein Museum? Vier Umkreisungen eines widerspenstigen gegenstands Joachim Baur »Museum - das ist ein Begriff, der in seiner Alltäglichkeit auch selbstverständlich ist. Was ein Museum ist, weiß ich nicht, verkündet dagegen der Museologe Tomislav Sola und zollt so der Paradoxie Tribut, daß das Museum einerseits ein erfolgreich expandierendes Unternehmen ist und andererseits dessen Status und Funktion immer fragwürdiger wird.« (Gottfried Fliedl/Herbert Posch 2002: 7) Die Diagnose, mit der die Museologen Gottfried Fliedl und Herbert Posch einen kleinen Band zur Genealogie des Museumsbegriffs einleiten, markiert treffend auch den Ausgangspunkt dieses Beitrags. Was ist ein Museum? In dieser Frage, die so alt ist wie die intellektuelle Beschäftigung mit der Institution selbst1, treffen Welten aufeinander: Der Selbstverständlichkeit, Eindeutigkeit, Fraglosigkeit des Begriffs wie des Konzepts >Museum< im Alltagsdiskurs steht die Betonung seiner Ambivalenz, Vielgestaltigkeit und Unbestimmtheit in der Fachdiskussion gegenüber - eine Spannung, die umso deutlicher zu Tage tritt im Rahmen einer Konjunktur, die seit geraumer Zeit die Institution und ihre wissenschaftliche Deutung gleichermaßen erfasst hat. Hier soll nun der Versuch unternommen werden, etwas Ordnung und Orientierung zu schaffen, nicht zuletzt als Grundlage für die folgenden Beiträge. Um den ausufernden und widerspenstigen Gegenstand, den sich dieser Band zum Mittelpunkt nimmt, hinreichend dingfest zu machen, nähere ich mich ihm im Folgenden in vier Umkreisungen: phänomenologisch, etymologisch, historio-graphisch und definitorisch. 1 Verwiesen sei hier nur auf die erste museologische Abhandlung in Deutschland, Samuel Quicchebergs Traktat »Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi« von 1565 (Roth 2000). Joachim Baur 16 . Museumsanalyse Joachim Baur -* Was ist ein Museum? 17 »A hospital is a hospital. A library is a library. A rose is a rose. But a museum is Colonial Williamsburg, Mrs. Wilkerson's Figure Bottie Museum, the Museum of Modern Art, the Sea Lion Caves, the American Museum of Natural History, the Barton Museum of Whiskey History, The Cloisters, and Noell's Ark and Chimpanzee Farm and Gorilla Show.« (Richard Grove 1968: 79) »Das erste Problem ist der Begriff Museum an sich. Können wir ihn sinnvoll im Singular verwenden oder müssen wir im Sinne der Klarheit zwischen verschiedenen Museumstypen nach Größe, Lage, Status, Trägerschaft und Funktion differenzieren?« (Krzysztof Pomian 2007:16) Richard Grove und Krzysztof Pomian deuten eine grundlegende Einsicht an: Das Museum gibt es nicht, es gibt nur Museen. Schlaglichtartig seien deshalb einige reale Ausprägungen genannt, um das Spektrum aufzuspannen und eine erste Sortierung vorzunehmen. Ordnen lässt sich das Phänomen dabei nach unterschiedlichsten Kriterien und so entsteht unwillkürlich eine kleine Taxonomie des Museums. Die Museumswelt unserer Tage umfasst etwa: a) sehr große und sehrkleine Museen. Größe lässt sich dabei wahlweise nach Fläche, Budget, Sammlung, Zahl der Mitarbeiter oder Besucher bemessen. Am einen Ende des Spektrums finden wir etwa den Louvre mit über 60.000 qm Ausstellungsfläche, einer Sammlung von fast 400.000 Kunstwerken der Spitzenklasse, einem Jahresbudget von über 200 Mio. Euro, 2000 Mitarbeitern und über 8 Millionen Besuchern pro Jahr2, am anderen das Museo Saunas in Mexiko-City, das bequem in einer Abstellkammer Platz findet und von seinem Gründer allein betrieben wird (Karp u.a. 2006: 253-56). b) sehr alte und sehr junge Museen. Als ältestes, noch existierendes Museum wird zumeist das 1683 eröffnete Ashmolean Museum der Universität Oxford genannt (Findlen 2004:40). Das jüngste lässt sich kaum bestimmen, denn jeden einzelnen Tag dürfte irgendwo auf der Welt mindestens eine neue Einrichtung entstehen. Statistisch gesehen wurden jedenfalls 90-95 Prozent der Museen weltweit nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet (Kreps 2003: 2of.; Hoelscher 2006: 201) und die Dynamik der letzten Jahrzehnte scheint ungebrochen. 2 Die Zahlen sind dem Rechenschaftsbericht des Museums für das Jahr 2007 entnommen (vgl. www.louvre.fr (letzter Zugriff: 25.6.2009)). c) nach wissenschaftlichen Disziplinen ausgerichtete und auf spezifische Themen fokusslerte Museen. Auf der einen Seite finden sich Museen der Kunst, Geschichte, Ethnologie, Naturkunde oder Technik, wie die Eremitage in Sankt Petersburg, das South Afričan Cultural History Museum in-Kapstadt, das Ethnologische Museum Berlin, das American Museum of Natural History in New York City oder das Národní Technické Muzeum in Prag. Auf der anderen stehen Museen zu Migration, Krieg, Religion oder Schokolade, wie das Museo Nacionál de la Inmigración in Buenos Aires, das Canadian Museum of War in Ottawa, das St. Mungo Museum of Religious Life and Art in Glasgow oder das Schokoladenmuseum Köln. Spezialmuseen wie das Mausefallenmuseum in Güntersberge/Harz oder das Phallusmuseum im isländischen Husavig3 lassen dabei keinen noch so obskuren Gegenstand außen vor. d) Museen mit lokalem, regionalem, nationalem oder supranationalem Bezugsrahmen. Museen lassen sich auch nach ihren räumlichen Bezügen unterscheiden. Neben Stadt-, Stadtteil- und Heimatmuseen, die vom Museum of London über das Anacostia Neighborhood Museum bis zur Heimatstube Assel reichen, stehen solche mit regionalem Fokus wie das Landesmuseum Württemberg oder das Museo Regional de Guadalajara in Mexiko. Nationalmuseen, die sich in der einen oder anderen Form in nahezu allen Ländern der Welt finden, werden neuerdings ergänzt und herausgefordert von Museen mit trans- oder supranationalem Zugriff, wie das geplante Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel oder das Asian Civilisations Museum in Singapur. e) Universalmuseen wie das British Museum, das Melbourne Museum oder das Joanneum Graz repräsentieren einen Sonderfall in diesem Spektrum und historisch zugleich eine Urform der Institution. In ihnen sollen spezifische geographische, disziplinare und thematische Bezüge in einem großen Ganzen aufgehoben erscheinen. f) Museen in staatlicher, privater oder sonstiger Trägerschaft. Neben der Vielzahl an staatlichen Museen auf nationaler und kommunaler Ebene stehen öffentlich zugängliche Sammlungen von Privatpersonen, wie die Fondation Maeght in Saint-Paul de Vence oder das Museum Frieder Burda in Baden-Baden, Museen von Vereinen und Verbänden, wie das Museo Del Real Madrid oder das Deutsche Freimaurer Museum Bayreuth, und Unternehmensmuseen, wie das Wella Museum Darmstadt oder The World of Coca-Cola in Atlanta. g) Museen, die sich »Museum« nennen, und andere, die alternative Titel führen. Im Hinblick auf letztere stößt man auf Bezeichnungen wie Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, U'mista Cultural Centre, Histo-rial de la Grande Guerre oder Čité Nationale de l'Histoire de ('Immigration.4 3 www.phallus.is (letzter Zugriff: 26.6.2009). 4 Namen sind hier natürlich mehr als jjC'haH'.unijl Rauch. In der Regel drückt sich in der »•'■ ' »IE Joachim Baur 18 Museumsanalyse Joachim Baur -» Was ist ein Museum? 19 Dazwischen finden sich mehr oder weniger originelle Hybridformen. So nennt sich das 2008 eröffnete Museum zur Geschichte von Medien und Journalismus in Washington D.C. »Newseum«, das Südtiroler Landesmuseum für Tourismus bei Meran »Touriseum«, und ein in Graz geplantes Museum zum Werk des Künstlers Günter Brus wurde der Öffentlichkeit unter dem naheliegenden Titel »Bruseum« vorgestellt (Die Presse (Wien), 7.1.2008). h) Museen mit und ohne Sammlung. In der traditionellen Sicht ist die Sammlung von Objekten ein entscheidendes Charakteristikum des Museums und eine Einrichtung ohne Sammlung mithin kein Museum. Doch zeigen sich neuerdings alternative Auffassungen: Das Manhyia Palace Museum im ghanaischen Kumasi etwa wendet sich, der Memorialkultur der Ashanti entsprechend, gegen die permanente Sammlungvon Dingen (McLeod 2004) und auch andernorts, so im Deutschen Hygiene Museum Dresden, rücken anstelle von Sammlungsgegenständen zunehmend Ideen, Geschichten und das Immaterielle ins Zentrum musealer Aufmerksamkeit (Beier/Jungblut 2007). i) auf Forschung ausgerichtete und auf Ausstellung, Vermittlung oder Unterhaltung orientierte Museen. Einerseits finden sich Museen, wie das Berliner Naturkundemuseum oder das mexikanische Museo Nacional de Antropológia, die ihrem Selbstverständnis, ihren Arbeitsfeldern und ihrer Ressourcenverteilung nach Einrichtungen hochspezialisierter Spitzenforschung sind. Eine große und wachsende Zahl von Museen sieht sich heute dagegen ausschließlich als Popularisierungsagenturen, die ihren Schwerpunkt auf die pädagogische Aufbereitung und expositorische Vermittlung andernorts entwickelter Wissensbestände legen. j) Museen, bei denen »Museum« zugleich das bauliche Gehäuse bezeichnet, und solche mit anderer Struktur. In der klassischen Form des Museums fallen Institution und Gebäude in eins. Dies kann sich in Prachtbauten wie dem Metropolitan Museum of Art, doch gleichermaßen in ganz unscheinbaren Häusern ausdrücken. Andere Einrichtungen gehen andere Wege. Freilichtmuseen kommen etwa ganz ohne überwölbende Architektur aus und das in seinem Namen zunächst monolithisch scheinende Rheinische Industriemuseum ist tatsächlich an sechs einzelne Standorte verteilt. k) »standardisierte« und »rührende« Museen. Mehr und mehr Museen sind bestrebt, ihre Arbeit an professionellen Normen auszurichten, die meist von den Großen ihrer Art geprägt sind. Daneben entdeckt Ralph Rugoff (1998: Entscheidung gegen den Begriff Museum ein Selbstverständnis aus, das sich von traditionellen Konnotationen der Institution abzusetzen versucht, etwa durch starke Betonung der Vermittlung (statt Sammlung und Forschung), der Interaktivität (statt andächtiger Betrachtung), der Lebendigkeit (statt antiquierter Verstaubtheit) oder des kulturellen Dialogs (statt autoritativer Setzung von Weltsichten). 325) mit einiger Sympathie die »rührenden Museen«. Er versteht darunter »Orte, an denen die übliche Rhetorik der Präsentation auf leicht verstümmelte - man könnte auch sagen: kreative-Art und Weise artikuliert ist«. Indem sie »hoffnungslos hinter der Idealnorm« zurückblieben, zeigten uns solche Museen »die offiziellen Repräsentationsmodelle in einem unabgeschlossenen Zustand«, wodurch die Möglichkeit entstehe, »diese Modelle als Konstrukte zu verstehen« und »die Willkürlichkeit unserer offiziellen Standards« zu reflektieren. Gewiss ließe sich eine Vielzahl weiterer Kriterien finden, die zu jeweils anderen Ordnungen der Museumslandschaft führten. Doch wie ausgefeilt diese auch sein mögen, das Phänomen an sich lässt sich damit kaum vollständig in den Griff bekommen. Wenn eine Betrachtung der real existierenden Museumswelt - bei allen noch so ehrgeizigen Versuchen der kategorisierenden Einfassung - eine ganz unüberschaubare Heterogenität vorfindet, so empfiehlt sich alternativ ein Zugang, der von der zentrifugalen Drift des Phänomens absieht und stattdessen sein Gravitationszentrum in den Blick nimmt: den Begriff »Museum«. ii. »MVSEVM, heisset sowol ein Tempel, darinnen die Musen verehret wurden, als auch eine Kunst-Kammer, ein MUntz-Cabinet, Rarität- und Antiquitäten-Kammer, wovon unter besondern Arti-ckeln nachzusehen ist. Ins besondere aber ein Gebäude, darinnen die Gelehrten beysammen wohnten, mit einander aßen, und ihr Studieren abwarteten [...] Woher ihre Benennung entstanden, darüber sind die Gelehrten nicht einerley Meynung.« Gohann Heinrich Zedier, Großes Vollständiges Universal-Lexikon, 1739) »Museum [lat. »Ort für gelehrte Beschäftigung«, von griech. mou-selon »Musensitz«, zu moüsa »Muse«] das, -s/...'seien, seit dem 18. Jh. öffentl. Sammlungvon künstler. und wiss. Gegenständen und deren Gebäude.« (Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl., 2006) Endgültige Klarheit, so viel vorweg, ist jedoch auch durch einen etymologischen und begriffsgeschichtlichen Ansatz nicht zu gewinnen, denn der Terminus changiert in seinem Gebrauch über die Zeit gewaltig. Gerade darin liegt jedoch eine Stärke des Zugangs: Er kann die Kontinuitäten und Diskontinuitäten dessen veranschaulichen, was zu verschiedenen Zeiten als »Museum« begriffen wurde und so die Ausprägung von Eigenheiten oder die Absonderung Joachim Baur 20 Museumsanalyse Joachim Baur -> Was ist ein Museum? 21 anderer Merkmale sichtbar machen, durch die sich - stets instabil und wandelbar - Gestalt und Gehalt des Museums in unserem heutigen Verständnis herausbildeten. Anhand zweier einschlägiger Texte - Paula Findlens (2004) klassischer Studie »The Museum: Its Classical Etymology and Renaissance Genealogy« und einer lexikalischen Analyse von Melanie Blank und Julia De-belts (2002) - sei dieser Entwicklung im Folgenden nachgegangen. Paula Findlen nimmt das Wort in seiner historischen Dynamik unter die Lupe, um die Museen der späten Renaissance, ihren eigentlichen Gegenstand, zu erschließen. Wie wurde der Begriff seinerzeit gebraucht? Auf welche intellektuellen, institutionellen oder anderen Ordnungen nahm er Bezug? Welche Diskurse und Praktiken versammelte er um sich, setzte er in Gang? Ursprünglich, so stellt sie heraus, hatte der lateinische Begriff musaeum zwei Bedeutungen: Zum einen (und als älteste Tradition) meinte er den mythischen Ort, an dem die Musen wohnen, das Refugium der Schutzgöttinnen der Künste, den Versammlungsplatz der Töchter von Zeus und Mnemosyne. In dieser Dimension des antiken Wortgebrauchs war »Museum« weder zeitlich noch räumlich festgelegt. Bei Plinius etwa galt die Natur als die bevorzugte Sphäre der Musen und damit als ein »Museum« im ganz wörtlichen Sinn. Spezieller bezeichnete musaeum, zum zweiten, die berühmte Bibliothek von Alexandria, das Museion, das als Forschungszentrum und Treffpunkt der Wissenschaftler der antiken Welt diente (Findlen 2004: 25). Im Verlauf des Mittelalters verlor das Konzept zusehends an Verbreitung, nur um im Zuge der Rückbesinnung auf die Antike zur Zeit der Renaissance seine Karriere neu zu beginnen. Als eine Kategorie, die eine Vielzahl aus heutiger Perspektive scheinbar disparater Aktivitäten beinhaltete, avancierte das Museum bis zum späten 16. Jahrhundert zu einem zentralen Organisationsprinzip kultureller Aktivität. In ihm verbanden sich philosophische Konzepte wie bib-liotheca, thesaurus und pandechion mit metaphorischen Bildern wie cornucopia oder gazophylacium und Räumen wie studio, casino, gabinetto, galleria und theatro: »Thus the museum, as the nexus of all disciplines, became an attempt to preserve, if not fully reconstitute, the encyclopaedic programme of the classical and medieval world, translated into humanistic projects of the sixteenth century, and later the pansophic vision of universal wisdom that was a leitmotif of seventeenth- and early eighteenth-century culture.« (Ebd.: 26) Dabei meinte der Begriff »Museum« im Renaissance-Verständnis zuallerersteinen imaginären Raum (ebd.: 29). Jenseits eines konkreten Ortes bezeichnete es eine epistemologische Struktur, die eine Vielzahl von Ideen, Bildern und Institutionen umfasste. Durch die charakteristische Idee und Praxis der Sammlung konnte das Konzept die enzyklopädischen Tendenzen der Epoche zum Ausdruck bringen, wobei sich Sammlung keineswegs auf materielle Dinge beschränkte. Musaeum wurde vielmehr in umfassenderem Sinne als Prinzip der Kumulation, Klassifikation und Ordnung von Wissen verstanden und in dieser Form auf verschiedene Felder angewandt. So führten zahlreiche Bücher-von Gedichtsammlungen wie Lorenzo Legatis Musei Poetriarum (1668) über Reiseführer wie Mabillon und Germains Museum Italicum (1687-89) bis hin zu Michael Bernhard Valentinis Sammlungsübersicht Museum Museorum (1714) - den Begriff im Titel, um ihr Anliegen der strukturierten Aufbereitung größerer Wissensbestände anzuzeigen (ebd.: 30). Zugleich konnte musaeum auch ganze Bibliotheken bezeichnen, etwa wenn Diderot noch 1751 in seiner Encyclopédie vermerkt, dass die Bibliothek der Medici in Florenz so reichhaltig sei, dass nur der Begriff N\usaeum Florentinum ihren Charakter adäquat fassen könne (ebd.: 35). In dieser weiten und abstrakten Fassung vermittelte das Konzept zwischen privatem und öffentlichem Raum, zwischen monastischer Vorstellung des Studiums als Kontemplation, der humanistischen Vorstellung des Sammeins als enzyklopädisch-textueller Strategie und den sozialen Prestigebedürfnissen, die sich mit einer realen Sammlung verbanden. Dabei lassen sich bereits im Verlauf der frühen Neuzeit signifikante Verschiebungen registrieren. Der Sprachgebrauch der Humanisten des 16. und 17. Jahrhunderts zeigt eine enge Korrespondenz zwischen den Begriffen musaeum und studio (ebd.: 28). »Museum« als konkreter Ort bezeichnete mithin ein Studierzimmer, einen Raum der konzentrierten Kontemplation, der nicht selten mit Darstellungen der Musen ausgeschmückt war. So schreibt Johann Comenius 1659: »Museum is a place where the Scholar sits alone, apart from other men, addicted to his Studies, while reading books« (zit.n. ebd.: 39). Entgegen unserer heutigen Vorstellung, in der das Museum vollständig mit Öffentlichkeit assoziiert wird, betonte der damalige Wortgebrauch also gerade die private und exklusive Funktion des »Museums« (ebd.: 24). Dies änderte sich indes noch im 17. Jahrhundert, wie Findlen abschließend herausstellt: »The advent of printing and the development of an expanding literate culture outside of the courts, universities and the church signalled the decline of the notion of intellectual privacy presupposed by the medieval and, to a lesser extent, Renaissance notion of collecting. By the seventeenth century the museum had become more of a galleria than a studio: a space through which one passed, in contrast to the static principle of the spatially closed studio. [...]The civic notion of museum placed it in motion; forever opening its doors to visitors.« (Ebd.: 39f.)5 Wo Paula Findlen mit Ihrer Untersuchung endet, am Ausgang des 17. Jahrhunderts, setzen Melanie Blank und Julia Debelts ein. Ihre Analyse deutsch- 5 Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass diese bereits einem breiten Publikum, sondern ausschließlich gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten zugänglich waren (Findlen 2004: 40). Joachim Baur Museumsanalyse sprachiger Lexika ergründet die wechselvolle historische Semantik des Begriffs »Museum« vom Anfang des 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und fragt nach »den argumentativen Zusammenhängen, die für die Lexikonautoren bei ihrer Begriffsbestimmung besonders zentral waren« (Blank/Debelts 2002: 15). Sie zeigen, dass »im Zuge der Konstituierung des Museums als Institution in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts [...] verschiedene Bedeutungsschichten und Argumentationslinien verloren [gehen]; daß >Museum< zunächst durchaus politisch subversive Bedeutungselemente besessen hat, >verschwindet< seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem kollektiven Gedächtnis« (ebd.: 16). Kennzeichnend für die Einträge des frühen 18. Jahrhunderts sei, dass der Begriff »Museum« »vorrangig für antike Museen, Kultstätten oder Gelehrtenakademien, also in Bezug auf historische Orte gebraucht« (ebd.: 175) werde. Jenseits dieser historischen Referenz stellten die deutschen Lexikographen - abweichend von Findlens Befund, die die entscheidenden Begriffsverschiebungen vordem Hintergrund des italienischen Kontexts bereits im ^.Jahrhundert ansetzt - noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Semantik des Studierzimmers ins Zentrum ihrer Erläuterung des Begriffs »Museum«. Von der Büchersammlung des antiken Mouseion abgesehen, verbänden die Experten des 18. Jahrhunderts »den Museumsbegriff-wenn überhaupt-nur nebensächlich mit der Bedeutungsschicht >Museum ist ein Sammlung beherbergender Ort<. Um Sammelpraktiken und Aspekte des Dinggebrauchs zu erörtern, griffen die Lexikographen zu diesem Zeitpunkt auf Bezeichnungen zurück, wie sie Wortbildungen aus Objektbezeichnungen und Raumformen ermöglichen, z.B. Naturalienkammer, Münzkabinett usw. Einige solcher Sammlungen werden, vor allem in der sogenannten Gelehrtensprache, zwar mit >museum<, bezeichnet, aber einen Oberbegriff >Museum< als Bezeichnung für dingliche Sammlungen gibt es nicht.« (Ebd.)6 6 Diese Uneindeutigkeit des Wortes »Museum« führte noch im Jahr 1827 zu einem erbitterten Streit um die korrekte Benennung einer Einrichtung zur Aufbewahrung und Präsentation des königlich-preußischen Kunstbesitzes. Der mit der Ausarbeitung einer Inschrift betraute Aloys Hirt legte folgenden Entwurf vor: »FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNIGENAE ET ARTIVUM UBERALIVM MV-SEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII - »Friedrich Wilhelm III. stiftete zum Studium der Altertümer jeder Art sowie der freien Künste 1828 dieses Museum.« Staatsrat Johann Wilhelm Süvern brachte die ablehnende Position eines großen Teils der preußischen Gelehrtenschaft zum Ausdruck, wenn er gegen Hirts Vorschlag des Begriffs »Museum« einwandte: »Während des gesamten Alterthums wurden nur Orte mit diesem Ausdruck bezeichnet, wo man sich der Wissenschaft und dem Studium der Wissenschaften widmete und niemals Orte, welche als Verwahrungsstellen für ar- JoACHiM Baur -» Was ist ein Museum? Um 1800 seien mit dem Begriff noch weitere, ganz andere Facetten verbunden: »Museum bezeichnete einen Ort der Geselligkeit der - sinngemäß - folgendes umfassen konnte: einen Verkaufsort mit wechselnden Ausstellungen, ein Kaffeehaus, eine Akademie, eine Leihbibliothek, ein selbstverwaltetes Kulturzentrum, ein Konzert- und Ballhaus und nicht zuletzt einen Ort, an dem sich Politikverständnis ebenso wie Kunst- und Wissenschaftsvorstellungen bilden und festigen konnten, ein Ort des Diskurses, des Umgangs mit Menschen, meist unter Männern.« (Ebd.: 176) Diese Bedeutungsvielfalt zeige der Museumsbegriff einhundert Jahre später nicht mehr: Seit den Museumsgründungen der Franzosischen Revolution schiebe sich »nicht nur die Bedeutungsschicht des Museums als Sammlungen beherbergender Ort ins Zentrum, vielmehr stehe der Museumsbegriff nun für das Abgrenzen gegenüber >alten< Sammel- und Veröffentlichungspraktiken, meint das Neue der öffentlichen Zugänglichkeit zu Sammlungen, und impliziert neue, nämlich öffentliche Verfügungs- und veränderte Präsentationsformen« (ebd.: 176). Blank/Debelts (2002:177) resümieren: »Unter dem Anliegen, das Wissen von Fachleuten an Laien vermitteln zu wollen, werden die Lexika zum Sprachrohr einer fachwissenschaftlich und/ oder bürokratisch orientierten Museumselite und popularisieren jenen verengten Museumsbegriff, der das Museum-zugespitzt formuliert-zu einer Anstalt des Sammeins, Bewahrens und Ausstellens des 20. Jahrhunderts macht.« III. »[T]he museum, as a general category or as a specific site, is in effect a palimpsest: when we remove the latest and most visible layer of its existence we find traces of earlier institutions, aesthetics, hierarchies of value, and ideologies.« (Bettina Messias Carbonell 2004: 2) Bettina Messias Carbonell verweist auf die historische Tiefe und Viel-Schich-tigkeit des Phänomens Museum. Markiert sei mit dem Zitat der Übergang von der begriffs- zur institutionengeschichtlichen Betrachtung. Statt den Blick auf die unterschiedlichen institutionellen Formationen zu richten, die zu verschiedenen Zeiten mit dem Begriff »Museum« belegt wurden, geht diese Sicht von der modernen Gestalt des Museums als Institution des Sammeins, chäologische und Kunstgegenstände dienten.« Der Disput wurde schließlich mangels zündender Alternativen pragmatisch entschieden, und die Hirtsche Inschrift ist noch heute über dem Eingang zum Alten Museum in Berlin zu lesen (vgl. Crimp 1996: 296ff.). Joachim Baur Museumsanalyse Joachim Baur -* Was ist ein Museum? Bewahrens und Ausstellens von Dingen aus und identifiziert in der Rückschau dessen Vorläufer, Wurzeln und Karriere. Die gewöhnliche Erzählung der Geschichte des Museum entfaltet zumeist eine institutionelle Genealogie, die in nuce folgende Etappen vorweist: »Von Tempelsammlungen über das Museion in Alexandria zu Reliquienschatzkammern des Mittelalters, den >Kunst- und Wunderkammern< in Renaissance und im Absolutismus bis zum verwissenschaftlichten und ausdifferenzierten Museumswesen des 19. Jahrhunderts« (Blank/Debelts 2002:12).7 Zahlreiche Autoren haben diese Erzählung in den letzten Jahrzehnten mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung ausbuchstabiert (Bazin 1967; Alexander 1979; Hooper-Greenhill 1992; Bennett 1995; Gerchow 2002; Vedder 2005). Die eigentliche Geschichte des Museums beginnt nach Krzysztof Pomian am Ende des 15. Jahrhunderts in Rom. Am 15. Dezember 1471 übergab Papst Sixtus IV. dem römischen Volk eine Sammlung von Antiquitäten, die die Größe der römischen Vergangenheit bezeugen sollten. Von der päpstlichen Residenz im Lateran, wo sie jahrhundertelang verwahrt worden waren, wurden diese auf den Kapitol, den Sitz der Stadtverwaltung, überführt: »Ohne sich dessen bewusst zu sein, gründete Sixtus IV. mit jener Entscheidung das erste Museum der Welt - so zumindest interpretieren es alle Museumshistoriker seit Ende des 19. Jahrhunderts« (Pomian 2007:16). Denn mit der Verlagerung der antiken Schätze auf den Kapitol verband sich eine Reihe von Maßnahmen, die in Keimform die moderne Institution des Museums vorwegnahmen: Im Gegensatz zu früheren Zeiten war die Sammlung hier im doppelten Sinne öffentlich. Sie war öffentlicher Besitz und sie war öffentlich zugänglich - wenn auch nur für die begrenzte Teilöffentlichkeit der politischen, wirtschaftlichen und akademischen Elite. Sie sollte nun auf unbestimmte Zeit erhalten und somit auch zukünftigen Generationen präsentiert werden. Im Zuge dessen wandelte sich auch die Funktion der Dingsammlung und -Präsentation. Sie zielte nicht mehr, wie die mirabilia mittelalterlicher Schatzkammern, auf den Austausch zwischen einer diesseitigen und einer jenseitigen Welt, sondern auf die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und gewann hieraus ihre gesellschaftliche Rele- 7 Blank/Debelts (2002: 12) erwähnen die zitierte Abfolge in kritischer Absicht. Eine derartige Darstellung lehnen sie ab, da der Institution auf diese Weise eine »bruchlose und harmonische Geschichte« eingeschrieben werde. Unterbelichtet sei darin etwa, dass fast alle Kunst- und Wunderkammern im Formierungsprozess des Museums im 19. Jh. aufgelöst und zerstört worden seien. Weniger Bedenken gegenüber solcher Traditionsbildung zeigt Hans Belting der etwa vermerkt, dass der Hofmann Lausos schon Ende des 4. Jahrhunderts, nachdem der christliche Kaiser alle Tempel hatte schließen lassen, in Konstantinopel ein privates Museum einrichtete, in dem er die nun obsoleten Kultbilder als Kunstwerke sammelte (Belting 2001: 30). vanz: »Sie galt als sichtbarer Beweis für die Kontinuität zwischen dem alten und dem modernen Rom und war in diesem Sinne Träger der römischen Identität« (Pomian 2007:17). Das Museum entwickelte sich von hier aus zunächst zu einem italienischen, dann zu einem europäischen und schließlich einem weltweiten Phänomen. Martin Prösler (2000: 328) skizziert diesen Prozess als Dynamik aufeinander folgender Expansionswellen. In einer ersten Welle im 15. und 16. Jahrhundert gründeten sich Kunst- und Wunderkammern als frühe Formen des Museums in den Zentren des frühneuzeitlichen Europas, etwa in Florenz, Madrid, Paris, London und Prag. Objekte unterschiedlichster Herkunft und Zweckbestimmung- Kunstwerke, Antiquitäten, Bücher, Naturalien, technische Geräte sowie Kuriositäten und Exotika - wurden hier gemeinsam präsentiert und sollten im Sinne eines theatrum mundi den universalen Zusammenhang der Welt darstellen (Impey/MacGregor 1985; Grote 1994; Arnold 2006). Die Kunst- und Wunderkammer von Ferdinand II. von Tirol (1529-1595) auf Schloss Ambras zählt zu den bedeutendsten noch erhaltenen Sammlungen dieser Art. Ein zweiter Museumsboom beginnt in Europa Mitte des 18. Jahrhunderts. Seinen Ursprung hat dieser in einer sukzessiven Öffnung privater, zumeist fürstlicher Sammlungen. Hier liegen die Wurzeln jener Einrichtungen, die wir als die ältesten existierenden Museen der Welt, als die Großen ihrer Art, kennen: Das British Museum entstand 1753, als Sir Hans Sloane seine umfangreiche Sammlung von Kunst und wissenschaftlichen Objekten dem britischen Staat übereignete. 1765 wurden die Uffizien in Florenz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die dort nun erstmals die seit dem 16. Jahrhundert eingerichtete Kunstsammlung der Medici bewundern konnte. Im deutschen Sprachraum entstanden ebenfalls bedeutende »Tempel der Kunst« (Savoy 2006): 1754 etwa das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig, basierend auf dem Kunst- und Naturalienkabinett des Braunschweigischen Herzogs Karl, 1779 das Museum Fridericianum in Kassel mit dem ältesten eigens für diesen Zweck errichteten Museumsbau Europas oder das Obere Belvedere in Wien, wo die »Kaiserliche Gemäldegalerie« ab 1781 in begrenztem Maße für das Publikum geöffnet wurde. Am Ende des 18. Jahrhunderts steht schließlich jenes Museum, das wie kein zweites die Umwandlung fürstlicher Sammlungen und die geschichtliche Entwicklung zum modernen, öffentlichen Museum repräsentiert: der Louvre. Auf Dekret der Nationalversammlung, im Zeichen der Revolution, öffnete der ehemalige Stadtpalast der französischen Könige am 10. August 1793 seine Pforten und zeigte deren Sammlung erstmals einem größeren Publikum. In der Folge wurde das erste öffentliche Museum Frankreichs mit weiteren verstaatlichten Sammlungen und den Beutestücken der napoleonischen Eroberungen angereichert. Aufgrund der paradigmatischen Stellung, die der Fall des Louvre in der Museumsgeschichte einnimmt, kommt Georges Joachim Baur Museumsanalyse Joachim Baur -* Was ist ein Museum? Bataille (2005: 64) zu dem prägnanten Schluss, dass der Ursprung des modernen Museums untrennbar mit der Entwicklung der Guillotine verbunden sei.8 Im Gefolge der Öffnung hielt auch die Idee der Nation im Museum Einzug. Ehemals dynastische Sammlungen wurden in Inventáre der Nation umgedeutet. Was einst die Macht und Sammelleidenschaft von Fürsten dokumentiert hatte, wurde nun zum Beleg der inneren Tiefe« der Nation. Gleichsam national gewendet, konnten die Sammlungen und ihre Arrangements die ersehnte >eigene Kultur« oder die privilegierte Stellung im Zivilisationsprozess repräsentieren und so Nationalbewusstsein und -stolz befördern. Daneben erlaubte der Besitz von Artefakten anderer Kulturen insbesondere Kolonialnationen, sich ihrer Fähigkeit zu rühmen, jenseits nationaler Grenzen zu sammeln und Kontrolle auszuüben, was zugleich den weltpolitischen Rang und Anspruch der Nation bezeugen sollte. Über separierende Darstellungen ließen sich schließlich Vorstellungen von der eindeutigen Abgrenzbarkeit verschiedener Kulturen kommunizieren und mittels evolutionistischer Reihungen die kulturelle, technologische und moralische Überlegenheit der >eigenen Kultur« proklamieren (Macdonald 2000; Bennett 1995: 36í.). Mit Beginn des 19. Jahrhunderts gingen die Initiativen zur Gründung von Museen in Europa dabei zunehmend von einem erstarkenden Bürgertum aus (vgl. etwa Kretschmann 2006), was als maßgebliches Charakteristikum für die Entwicklung der Institution vom 19. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein prägend wurde. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert setzte eine erste globale Ausbreitungswelle ein, die zuerst die weißen Siedlerkolonien erreichte. Mit dem Museum in Charleston (South Carolina) wurde 1773 das erste Museum Nordamerikas gegründet. 1786 folgte das American Museum von Charles Willson Peale in Philadelphia, für das bei seinem Umzug nach Baltimore 1814 das erste Museumsgebäude der westlichen Hemisphäre errichtet wurde. Das erste Museum Lateinamerikas entstand 1815 in Rio de Janeiro, das erste Australiens 1821 in Sydney, das erste Afrikas 1825 in Kapstadt. Im asiatischen Raum wurden in Batavia (heute Jakarta) 1778 und in Kalkutta (Kolkata) 1796/1814 Museen eröffnet (vgl. auch Nair 2007). Eine neuerliche Gründungswelle ab den 1870er Jahren führte zur starken Zunahme der Zahl der Museen in Europa und Amerika und fundiert die Wahrnehmung des 19. Jahrhunderts als »Museum Age« (Bazin 1967). Zunehmend professionalisierte Museen avancierten zu Schaufenstern wissenschaftlichen Fortschritts, industrieller Leistungsfähigkeit und kolonialer Mission. »Zeit- 8 Dem steht auch nicht entgegen, dass Edouard Pommier (2006) das Wiener Obere Belvedere im Vergleich mit dem Louvre zum »revolutionäreren« Museum erklärt. Denn als entscheidendes Kriterium gilt ihm nicht Öffentlichkeit, sondern die Hängung nach kunsthistorischen Prinzipien. gleich füllt eine zweite globale Ausbreitungswelle die weißen Flecken der Museumskarte« (Prösler 2000: 328): An der Wende zum 20. Jahrhundert hielt das Museum als westliches Exportmodell - teils im Gepäck der Kolonisatoren, teils als Ausweis von Modernität durch einheimische Eliten gefördert-auch in Thailand, Japan, China und Korea, in Ägypten, Tunesien, Simbabwe und Kenia sowie in weiteren Ländern Asiens und Afrikas Einzug. Im Zuge der Dekolonisation und Staatsgründung in den südlichen Kontinenten erhielt diese Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg einen weiteren Schub. Seit den 1970er Jahren schließlich lässt sich der jüngste globale Museumsboom registrieren, der bis heute anhält und für einen solch sprunghaften Anstieg der Museumszahlen sorgte, dass nun 90-95 Prozent der Museen weltweit nicht älter als 50 Jahre sind (Kreps 2003: 2of.; Hoelscher 2006: 201). Die Geschichte des Museums ist indes nicht allein durch geographische, sondern auch durch thematische und disziplinaren Verästelung charakterisiert. Es ist eine Geschichte von zeitgleich fortschreitender Expansion und Ausdifferenzierung. »Während der ersten drei Jahrhunderte seines Bestehens war das Museum entweder eine Gemälde- und/oder Skulpturengalerie oder ein Kabinett für Naturgeschichte«, schreibt Pomian (2007:17). Die in der Spätrenaissance entstandenen und im Barock in voller Blüte stehenden Wunderkammern spalteten sich im Angesicht des zunehmenden Bemühens um rationale Klassifizierung, das sich im Zuge der Aufklärung durchzusetzen begann, nach und nach in diese beiden Haupttypen auf. »Übrig blieb ein Rest aus historischen Monumenten, exotischen Objekten und diversen Kuriositäten, die im 19. Jahrhundert ihren Platz in neuartigen Museumstypen fanden.« (Ebd.: 18) In Frankreich bildeten sich neben dem Louvre, der sich im Windschatten der napoleonischen Eroberungen zum bedeutendsten Kunstmuseum Europas entwickelt hatte, neuartige Institutionen, wie die Werkzeug- und Maschinensammlung des Conservatoire national des arts et metiers, Lenoirs nationalgeschichtliches Musee des Monuments Frangais? oder das Musee d'Artillerie, das später im Invalidendom untergebracht und zum Musee de l'Armee ausgebaut wurde. In England entstand im Gefolge der Londoner Weltausstellung von 1851 mit dem South Kensington Museum (seit 1899 Victoria and Albert Museum) der äußerst einflussreiche Typus des Kunstgewerbemuseums. Hier wurden künstlerische Objekte nicht mehr als reine Kunstwerke, die ehrfürchtiges Staunen oder eine Ahnung von der Größe ihrer Sammler hervorrufen sollten, präsentiert, sondern als Mittel zur Bildung der Massen. Die Gründung 9 Verwiesen sei hierzu aus der Fülle der Literatur nur auf die Studie von Stephen Bann (1988), der Lenoirs Museum dem späteren Musee de Cluny von Alexandre du Sommerard gegenüberstellt, um so (im Anschluss an Michel Foucault) bedeutende epi-stemologische Verschiebungen am Übergang zur Romantik freizulegen. Joachim Baur Museumsanalyse markierte damit, wie Tony Bennett (1995: 70-72) darstellt, einen Umschwung in der britischen Museumspolitik, insofern das neue Museum explizit als Instrument zur Erziehung einer breiten Öffentlichkeit (inklusive proletarischer Schichten) entworfen wurde. Zum Ende des 19. Jahrhunderts nahmen sich Neugründungen, speziell in Deutschland, den entstehenden Disziplinen der Volks- und Völkerkunde an und das Berliner Museum für Völkerkunde wuchs unter Gründungsdirektor Adolf Bastian schnell zum weltweit bedeutendsten seiner Art (Penny 2002). Daneben entstanden als weiterer Großtypus, nicht zuletzt angestoßen durch den Erfolg von Welt- und Industrieausstellungen, Technikmuseen wie das 1903 gegründete Deutsche Museum in München (Füßl/Trischler 2003). Mit dem Stockholmer Skansen begründete Artur Hazelius 1891 die Tradition der Freilichtmuseen und das Heimatmuseum widmete sich in Deutschland, wie in Frankreich die musees cantonaux oder in Italien die musei distoria patria, schließlich seit Beginn des 20. Jahrhunderts lokaler Kultur und Geschichte und führte die Institution Museum über die Großstädte hinaus in bis dato kulturell unterversorgte Gegenden (Roth 1990). Spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts gewann der Prozess der Ausdifferenzierung schließlich in einer Weise an Dynamik, dass jene verzweigte Museumslandschaft entstand, die eingangs skizziert wurde. Vier Anmerkungen mögen diese knappe Standarderzählung der Geschichte des Museums ergänzen und in einigen ausgewählten Bereichen komplexer fassen: (1.) Die erste Anmerkung betrifft das Verhältnis des Museums zu seinem Publikum und das Narrativ der sukzessiven Öffnung. Impliziert ist darin nicht einfach der Zugang für ein breiteres Publikum, sondern eine fundamentale Transformation des Museums, sowohl in seiner Erscheinung als auch seiner gesellschaftlichen Funktion. Bis weit ins 19. Jahrhundert war das Museum eine Einrichtung von Kennern für Kenner, was auch bedeutet: von Angehörigen einer gesellschaftlichen Elite für eben jene Elite. Objekte hatten wertvoll, spektakulär, schön und gut erhalten zu sein, die Präsentationen wohl ausgeleuchtet und sinnvoll gegliedert, jedoch sparsam oder gar nicht betextet und erläutert. Ausstellungen boten Gelegenheit für intellektuelles Vergnügen und gelehrtes Gespräch im Rahmen eines relativ homogenen Kreises von Machern und Publikum (Pomian 2007: 18). Im 19. Jahrhundert begann diese Situation unübersichtlicher zu werden. Weitere Kreise forderten, im Einklang mit den Plädoyers von Reformern, Einlass, was sich symptomatisch im Streit um die Verlängerung der Öffnungszeiten zugunsten der arbeitenden Bevölkerung ausdrückte. Begleitet wurde die Entwicklung vielerorts von erbitterten Debatten, in der regelmäßig das Szena- JoACHiM Baur -* Was ist ein Museum? rio einer Stürmung der Musentempel durch unzivilisierte Massen beschworen wurde (Bennett 1995: 7off., auch 55-58).10 Dessen ungeachtet begann sich das Gesicht des Museums langsam zu wandeln: »Um Museen auch den niedrigeren Klassen< der Gesellschaft zugänglich zu machen, mussten der Anspruch auf >ordentliche<, d.h. formale Kleidung gelockert werden; außerdem mussten die Museen ihre Eintrittsgelder verringern oder der Eintritt sogar umsonst sein« (Pomian 2007:19). In den Präsentationen wurde nun weit mehr Wert auf Vermittlung und Erklärung der Objekte gelegt. Dies begann bei einer besseren Lesbarkeit der Exponatbeschriftungen, setze sich fort in der Einführung zusätzlicher erläuternder Texttafeln und fand seine Ausdruckschließlich in einer Aufteilung vieler Museen in Schau- und Studiensammlungen, um die Bedürfnisse eines zunehmend heterogenen Publikums aus Laien und Experten zu bedienen." Der Trend zu einer Öffnung des Museums und der Versuch einer Erschließung immer weiterer »museumsferner Schichten« setzte sich im 20. Jahrhundert in beschleunigter Weise fort. Beim Ausbau museumspädagogischer Programme und populärer Hands-On-Ausstellungen übernahmen insbesondere amerikanische Museen eine Vorreiterrolle.12 Hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Funktion transformierten sich Museen so von Einrichtungen der Selbstverständigung und In-Group-Bildung einer Elite zu Institutionen der Bildung und Erziehung einer Masse der Bevölkerung.13 Insbesondere Tony Bennett (1995) betont dabei - an Michel Foucaults Studien zur Gouvernementalität geschult - die Zweischneidigkeit dieses Prozesses. Zum einen wirkte die Öffnung des Museums als Demokratisierung, indem sie 10 Für die tatsächliche Besetzungeines Museums, namentlich der Walker Art Gallery in Liverpool im Kontext von Protesten gegen Arbeitslosigkeit im Jahr 1921 vgl. MacLeod 2007. 11 Vgl. etwa die Bemühungen von Franz Boas als Kurator am American Museum of Natural History um 1900 (Jacknis 1985: 86ff.). 12 Für ein dezidiert amerikanisches Plädoyer zum Ausbau der Museumspädagogik aus dem Jahr 1942 vgl. Low 2004; für Hintergründe zu Hands-On-Museen am Beispiel des ersten Science Centers, dem 1969 gegründeten Exploratorium in San Francisco, vgl. Hein 1993. In diesen Kontext der populären Öffnung lässt sich auch die amerikanische Erfindung der Kindermuseen stellen (vgl. Alexander 1979:169-183). 13 Kirchberg weist in seinem zweiten Beitrag in diesem Band gleichwohl daraufhin, dass die Funktion der elitären Gruppenbildung dem Museum nicht gänzlich abhanden kam, sondern als eine Facette eingeschrieben bleibt. Dabei ist sicher auch auf Ungleichzeitigkeiten zwischen verschiedenen Museumstypen hinzuweisen. Das Kunstmuseum hat etwa im Vergleich zu Science Centers nach wie vor einen elitären Nimbus. Joachim Baur 30 Museumsanalyse_____ bislang ausgegrenzten Gruppen Zugang und Teilhabe ermöglichte. Zum anderen gliederten sich Museen damit in die Reihe moderner Agenturen der Selbst-und Sozialdisziplinierung ein. Indem das Museum bestimmte Verhaltensweisen forderte und abweichende sanktionierte, einen bestimmten Geschmack und Wissenskanon als erstrebenswert vorstellte und überdies die Mechanismen permanenter Sichtbarkeit, des Sehens und Gesehen-Werdens, einüben und verinnerlichen ließ, wirkte es >zivilisierend<, d.h. bürgerlich normierend, aufsein Publikum ein. Es entwickelte sich damit auch zu einem Instrument des Regierens und der Herrschaft durch Kultur. (2.) Zweitens stellt sich auch das Verhältnis zwischen Museen und akademischen Disziplinen komplexer dar, als es zunächst scheinen mag. Denn lineare Narrative, die die Diversifizierung der Museumslandschaft als reines Epiphänomen der Ausdifferenzierung akademischer Disziplinen darstellen, werden dem Zusammenhang nicht gerecht. Vielmehr ist von einem Wechsel-und Zusammenspiel auszugehen, in dem das Museum als eine institutionelle Plattform für die Herausbildung und Konturierung neuer Wissensbestände figurierte, wie Tony Bennett (1995: 96) argumentiert: »The birth of the museum is coincident with, and supplied a primary institutional condition for, the emergence of a new set of knowledges - geology, biology, archaeology, anthropology, history and art history - each of which, in its museological deployment, arranged objects as parts of evolutionary sequences (the history of the earth, of life, of man, and of civilization).« Bennetts Pointe lautet, dass erst die Möglichkeiten der räumlichen Ordnung, die das öffentliche Museum wie keine andere Institution bereitstellte, Historizität und Sequentialität als entscheidende Charakteristika der neuen Disziplinen - und damit die Disziplinen selbst - sieht- und erfahrbar machte. Im performativen Nachvollzug der so konstruierten Objektserien im Rahmen des »organized Walking« der Ausstellungsrundgänge schrieben sich diese disziplinaren Ordnungen in Kopf und Körper der Museumsbesucher ein (ebd.: lzSff.).1" 14 Die Bedeutung musealer Ordnungen als Katalysatoren für die Entstehung akademischer Disziplinen (oder zumindest disziplinarer Schulen) illustriert Ira Jacknis (1985) sinnfällig anhand einer Fallstudie über Franz Boas' Aktivitäten als Kurator am American Museum of Natural History in New York um 1900. Boas formulierte seine ersten Einsichten zu den Grundlagen ethnologischer Forschung im Kontext einer Debatte um die richtige Ordnung völkerkundlicher Ausstellungen. Gegen eine typo-logische Sichtweise, die sich an äußeren Merkmalen materieller Kultur orientierte und anhand dessen universalmenschliche Erfindungen zu illustrieren suchte, argumentierte Boas für eine holistische Perspektive, die nach der jeweiligen Bedeutung der Dinge innerhalb für sich zu betrachtender Kulturen fragt. Dieser Umschlag von Joachim Baur ___-» Was ist ein Museum? 31 Was Bennett insbesondere für die Natur- und Kulturwissenschaften zeigt, gilt gleichermaßen für das Wechselverhältnis von akademischer Kunstgeschichte und Kunstmuseum. Donald Preziosi (2006: 5of.) spricht in dieser Hinsicht von einer komplexen und gespannten Beziehung: »Never entirely distinct institutionally, professionally, or personally, their similarities and differences are not easily articulated: art history is not satisfactorily reduced to being the itheo-ry< to the museum's >practice<, nor the ghost in the museum's machinery. Nor is the museum simply - if at all - the exemplification or application of art history, or merely the staging or stagecraft of the dramaturgies of art historical analysis and synthesis. If anything, their relations are anamorphic - each transforming the other - rather than direct or transitive.« Im Anschluss an Preziosi argumentiert Chris Whitehead (2007) in seiner Studie über Kunstmuseen im Viktorianischen England etwa, dass diese alles andere als nur Bühne für die Visualisierung andernorts entwickelter Kunstgeschichten waren. Vielmehr dienten sie als Foren für die Entwicklung disziplinarer Praxen und wirkten somit konstitutiv für die Entwicklung der akademischen Disziplin Kunstgeschichte selbst. Am Beispiel der Debatte um die Zukunft des British Museum und der National Gallery um 1850 stellt er drei alternative Konzepte der musealen Ordnung von Kunstwerken und damit von Kunstgeschichte gegenüber. Whitehead kann zeigen, dass sich gegen die Vorschläge einer Ordnung nach Ikonographie oder sozialem Kontext eine institutionellen Gliederung nach stilistischen Gesichtspunkten durchsetzte, die eine folgenreiche Abgrenzung der Malerei als kunsthistorischem Leitgenre nach sich zog.15 Indem er das Museum so als einen zentralen Schauplatz des »boundary work« (ebd.: 55), der Aushandlung disziplinarer Charakteristika und Demarkationen, beschreibt, gelingt ihm eine Dynamisierung konventioneller museumsgeschichtlicher Narrative. (3.) Christina Kreps formuliert - und dies führt zur dritten Anmerkung- einen wichtigen Einspruch gegen die weit verbreitete (und hier ausgebreitete) Anschauung des Museums als einer Institution, die ihren Ausgang von Europa Form zu Bedeutung markiert einen entscheidenden Moment in der Entwicklung des Fachs, stellte sich zunächst allerdings auf dem Terrain des Museums. Erst als Boas hier scheiterte (an spezifischen institutionellen Widerstände ebenso wie an den charakteristischen Erfordernissen musealer Präsentation), zog er sich an die Universität zurück und wurde dort zum Begründer der amerikanischen Kulturanthropologie. 15 Als anderes Beispiel ließe sich Alfred H. Barrs Konzeption des Museum of Modern Art in New York City heranziehen, in dem die Geschichte moderner Kunst nicht gespiegelt, sondern erst erfunden wurde (Kantor 2002). Joachim Baur 32 Museumsanalyse Joachim Baur Was ist ein Museum? 33 nimmt und ideen- wie institutionengeschichtlich fest in der europäischen Moderne verankert ist. Wenngleich mit Blick auf die historischen Fakten einiges für eine solche Interpretation spreche, sei es notwendig zu hinterfragen, wie solche Narrative der Museumsgeschichte ihrerseits dazu beigetragen hätten, eine eurozentrische Museumsideologie zu konsolidieren und ein westliches Modell des Museums weltweit zu reproduzieren (Kreps 2003: 20). Kreps diskutiert dies anhand eines indonesischen Fallbeispiels, um Ken-neth Hudsons (1987: 3) Befund zu illustrieren, wonach Museen sich zum einen überall als Museen von anderen Institutionen unterscheiden, zum anderen aber abhängig von der Gesellschaft, in der sie ihre Aktivitäten entfalten, jeweils eine spezifische Färbung annehmen. So entdeckt Kreps in dem indonesischen Museum, dass die Grundlage ihrer Untersuchung bildet, eine andere Haltung gegenüber Objekten, als sie in westlicher museologischer Praxis zu erwarten wäre. Die Trennung zwischen Museum und Lebenswelt, das Herauslösen von Objekten aus ihrem ursprünglichen Kontext und die dauerhafte Einbindung in den neuen Kontext der musealen Sammlung und Ausstellung-eine Praxis, die Museumsdinge nach westlicher Lesart erst als solche konstituiert (vgl. Kirshen-blatt-Gimblett 1998: i8ff. zur poetics ofdetachment bzw. die Ausführungen von Flügel 2005 zur Musealität) - wurde dort weit weniger strikt praktiziert. Objekte wanderten vielmehr zu verschiedenen Anlässen zwischen dem Museum und dem alltäglichen Gebrauch außerhalb dessen Mauern. Des weiteren sträubten sich Museumsmitarbeiter gegen die in europäischen Museen ganz übliche Praxis, einzelne Objekte metonymisch für Objektklassen oder gesellschaftliche Sachverhalte stehen zu lassen. Das individuelle Objekte sollte stets nur sich und seine individuelle Geschichte repräsentieren (Kreps 2003: 30-33)- Kreps (2003:46-78; auch Simpson 2007) beschreibt eine Reihe nicht-westlicher Modelle des Museums und der kuratorischen Praxis. Sie legt dar, dass indigene Museen oder Cultural Centers in vielen Fällen als Fortsetzung und Erweiterung älterer Traditionen, etwa des meeting house bei den Maori (ebd.: 44), gesehen werden können, was darauf verweist, dass museumsartige Strukturen und Haltungen in vielen indigenen Gesellschaften nichts fundamental Neues darstellen.16 Zugleich ergäben sich daraus hybride Modelle und Praxen, die sich nicht vollständig einer europäischen, kolonialen Museumstradition 16 Ein solcher Perspektivwechsel hat weitreichende Implikationen. Eine Korrektur der Vorstellung, dass nicht-westliche Gesellschaften der Pflege und Bewahrung ihrer materiellen Kultur in aller Regel keine große Bedeutung beimessen, relativiert nicht zuletzt das in legitimatorischer Absicht und häufig im Angesicht von Ruckgabeforderungen vorgebrachte Argument, westliche Museen mussten notwendigerweise die Aufgabe übernehmen, Erzeugnisse indigener Kulturen zu sammeln und zu bewahren. einschreiben und anverwandeln lassen und sich einer-häufigstaatlicherseits unter dem Label der »Modernisierung« und »Professionalisierung« geforderten - Angleichung an europäische Herangehensweisen widersetzen. (4.) Barbara Kirshenblatt-Gimblett (2004:187) schließlich schlägt eine fundamental andere Perspektive auf die Geschichte des Museums vor, eine Erzählung nämlich, die der Institution eine Genealogie des Utopischen einschreibt. Sie erklärt: »Man könnte eine Geschichte des Museums schreiben, die dieses als Aneinanderreihung utopischer Projekte offenbart.« Denn: »Sowohl in literarischen Utopien als auch in Museen geht es um Welterzeugung. Um die phantasievolle Beschäftigung mit der Möglichkeit eines vollkommenen Universums.« Das Museum sei da mit von jeher durch seine charakteristische Doppeldeutigkeit gekennzeichnet. Es sei »zugleich eine architektonische Form, eine konkrete Umgebung zur Reflexion, ein Reservoir an Greifbarkeiten, eine Schule für die Sinne, ein Raum für Geselligkeit, ein autopoietisches System und ein Entwurf der idealen Gesellschaft, trotz der zahlreich dokumentierten Spannungen zwischen dem utopischen Ideal des Museum und seinen Instrumentalisierungen.« Kirshenblatt-Gimblett belegt ihre Anschauung mit Verweis auf einige historische Ausprägungen dieser Facette des Museums, etwa der Renaissance-Vorstellung eines Idealmuseums, das - abgelegen, rund und geordnet wie Thomas Morus' Inselstaat Utopia - als gewölbte Rotunde auf der Spitze eines Berges konzipiert war und einer Arche Noah gleich mit einem kompletten Satz von Exemplaren das Material für eine vollendete Neuerschaffung der Welt bereithielt. Sie verfolgt die Spuren dieser Auffassung durch die Zeit und kommt zu dem weitreichenden Schluss: »Das Museum ist also nicht einfach ein Ort, der für die Utopie steht, sondern vielmehr einer, an der sie als Vorstellungsweise praktiziert wird.« (Ebd.: 189)17 Kirshenblatt-Gimblett legt im Anschluss daran nahe, dass ebenso wie diese utopische Genealogie des Museums auch sein utopisches Potenzial verschüttet sei, das in der Fähigkeit liege, »Spekulation, Reflexion, Retrospektion und Prospektion hervorzurufen und in Gang zu halten, seien sie durchdacht oder erträumt« (ebd.: 194). Mit dem Aufruf zur Rettung dieses Potenzials verschiebt sich ihr Gestus schließlich von der Rekonstruktion zur Vorwärtsprojektion, von der De- zu Präskription, wenn sie fragt: »Wie könnte eine frühere Konstellation aus Staunen, Neugier und gespannter Aufmerksamkeit das Museum als uto- 17 Vgl. ergänzend und kontrastierend Michel Foucaults Einschreibung des Museums in die Reihe der Heterotopien, jene »tatsächlich realisiertejn] Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb einer Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können« (Foucault 1997: 265). Joachim Baur Museumsanalyse Joachim Baur -> Was ist ein Museum? pisches Labor von heute beleben?« (Ebd.) Mit der Vorstellung des Museums als »utopisches Labor« verfolgt Kirshenblatt-Gimblett eine spezifische Ansicht der Institution, die, wiewohl historisch fundiert, weit über eine Rekonstruktion ihrer Geschichte hinausgeht. Vielmehr führt sie damit eine spezifische konzeptionelle Fassung des Museums ein und eröffnet so die Debatte um Definitionen und Entwürfe, der die vierte Umkreisung nachgehen soll. IV. »[...] the museum is a whorehouse is a mausoleum is a depart-ment Store is a secular cathedral is a disease is a glory [...]« (Barbara J. Black 2000:19] Der US-amerikanische Aktionskünstler Allan Kaprow gab 1967 in einem frühen Dokument der Institutionenkritik zu Protokoll: »Museen im Allgemeinen widern mich an; ihr Geruch nach einem heiligen Tod verletzt meinen Realitätssinn.« Für die Ermöglichung, Präsentation und Verbreitung zeitgenössischer Kunst, um die es ihm ging, sei das Museum denkbar ungeeignet, mehr noch: »Das Museum tut mehr, als solche Arbeiten vom Leben abzutrennen, es verleiht ihnen eine leicht sakrale Aura und tötet sie damit.« Abschließend schränkt Kaprow seinen bilder- und museumsstürmerischen Furor jedoch ein und endet auf einer optimistischen Note. Anders als Filippo Tommaso Mari-netti, der in seinem Futuristischen Manifest von 1909 eine möglichst restlose Zerstörung der Institution gefordert hatte, sieht Kaprow Möglichkeiten der Erneuerung: »Es geht nicht so sehr um die Abschaffung aller Museen - sie sind genau das richtige für die Kunst der Vergangenheit -; es geht eher um die Erweiterung der Museumsfunktion auf den Bereich gegenwärtiger Anforderungen, wo sie als Kraft für Erneuerungen, die außerhalb ihrer physischen Grenzen liegen, wirken kann. Vielleicht wird dann das Museum irgendwann die ekelhafte Assoziation mit der Heiligkeit los, die ihm noch von einer anderen Zeit als Erbe anhaftet. Dann wird es hoffentlich eine Erziehungseinrichtung werden, eine computerisierte Datenbank der Kulturgeschichte und ein Träger für Aktionen« (zit.n. Esche 2007: 21; vgl. auch Kravagna 2001). Stätte eines heiligen Todes, streng der Gegenwart abgewandt, ein Trennkeil zwischen Kunst und Leben - oder aber: eine Erziehungseinrichtung, eine Datenbank der Kultur, ein Träger für Aktionen: Kaprow entwirft in seiner engagierten Tirade en passant Definitionen des Museums - und um solcherart Definitionen, um alternative konzeptionelle Fassungen des Museums soll es nun in dieser vierten und letzten Umkreisung gehen. Kaprows Text eignet sich hierbei als Einstieg, da er In nuce einige Motive der lang anhaltenden Debatte um das Museum, in der immer auch dessen Funktionen postuliert und Kon- turen formuliert wurden, vorführt: die museale Metaphorik der Lebensferne und des Todes; die ungeachtet dessen ansehnliche und anhaltende kulturelle Bedeutung der Institution in der modernen Gesellschaft; die Hassliebe, mit der kritische Künstler und Wissenschaftler dem Museum von jeher-begegne-ten; und schließlich die Hoffnung auf seine Reformierbarkeit, auf Entwendung seiner ideologischen Autorität und Nutzung als Plattform progressiver gesellschaftlicher Veränderung. Doch bevor diese Stränge vertieft werden, sei zunächst die Position des internationalen Museumsbundes ICOM, der institutionalisierten Vertretung der Branche also, angeführt. In den Statuten des Verbandes (in der Fassung vom 24.8.2007) ist folgende Definition niedergelegt: »A museum is a non-profit, permanent institution in the Service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment.«18 Die maßgeblichen äußeren Bestimmungsfaktoren sind demnach ein nicht-kommerzielle Charakter, Dauerhaftigkeit, Öffentlichkeit und die Orientierung auf ein - nicht näher bestimmtes - gesellschaftliches Wohl. Als Aufgabenfelder nennt die Definition das Sammeln, Bewahren, Erforschen, Vermitteln und Ausstellen des materiellen und immateriellen Kulturerbes der Menschheit und ihrer Umwelt sowie als Zwecke Bildung, Forschung und Vergnügen. In ganz ähnlicher Weise zieht auch der Deutsche Museumsbund die Grenzen dessen, was als Museum verstanden werden soll. Die letzte eigenständige Definition stammt aus dem Jahr 1978 und legt die Aufgaben und das Selbstverständnis des Museums dar: »(1.) Ein Museum ist eine von öffentlichen Einrichtungen oder von privater Seite getragene, aus erhaltenswerten kultur- und naturhistorischen Objekten bestehende Sammlung, die zumindest teilweise regelmäßig als Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich ist, gemeinnützigen Zwecken dient und keine kommerzielle Struktur oder Funktion hat. (2.) Ein Museum muß eine fachbezogene (etwa kulturhistorische, historische, naturkundliche, geographische) Konzeption aufweisen. (3.) Ein Museum muß fachlich geleitet, seine Objektsammlung muß fachmännisch betreut werden und wissenschaftlich ausgewertet werden können. (4.) Die Schausammlung des Museums muß eine eindeutige Bildungsfunktion besitzen.«■» 18 Vgl. http://icom.museum/statutes.html (letzter Zugriff: 3.12.2008). Für einen Einblick in die Diskussionen um die zeitgemäße Veränderung der Definition vgl. ICOM News 57 (2004) 2. Systematisch analysiert ist die Entwicklung alternativer Definitionen von »Museum« bei van Mensch 1992: Kap. 24. 19 Museumskunde 43 (1978) 2, o.S; vgl. auch www.museumsbund.de/cms/fileadmin/ Joachim Baur 36 Museumsanalyse Joachim Baur -» Was ist ein Museum? 37 Nicht als Museum gelten demnach konzeptionslose Ansammlungen von Objekten ohne fachbezogenen Hintergrund, Sammlungen ohne Bildungsfunktion, fachbezogene, doch nicht zuletzt kommerziellen Zwecken dienende Verkaufsschauen, rein didaktisch und informativ ausgerichtete Ausstellungen ohne zugrunde liegende Sammlung sowie, umgekehrt, rein wissenschaftliche Sammlungen, die nicht regelmäßig für die Öffentlichkeit zugänglich sind (vgl. auch Vieregg 2007: 39). In Stein gemeißelt sind diese Definitionen gewiss nicht, mögen sie auch noch so umfassende Gültigkeit beanspruchen. Insofern die begriffliche Bestimmung der Institution Museum stets Zeitströmungen, politische Positionen und gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelt, unterliegt sie ihrerseits stetigem Wandel sowie stetiger Diskussion und Kritik. Überdies sind die nationalen und internationalen Museumsverbände beileibe nicht die einzigen Akteure, die sich daran versuchen, Gestalt, Funktion und Wesen des Museums zu bestimmen. Nicht zuletzt haben sich Forscher zahlreicher Disziplinen der Herausforderung angenommen, und so hält die weit verzweigte museumswissenschaftliche Literatur inzwischen etliche, verschieden akzentuierte Deutungsangebote bereit. Einige seien abschließend skizziert, auch als Andeutung der vielstimmigen Diskussion, in die sich der vorliegende Band einfügt und die in seinen Beiträgen fortgeführt wird. (1.) Zunächst sei, anknüpfend an Kaprows Bemerkungen, noch einmal auf die lange Tradition der metaphorischen Assoziation des Museums mit Sterben und Tod verwiesen. Als Stammvater dieser Deutungslinie lässt sich Quatre-mere de Quincy, der große Kunsthistoriker des postrevolutionären Frankreich, bezeichnen. Vor dem Hintergrund der napoleonischen Beutezüge durch Europa kritisierte er das Herausbrechen von Kunst und Kulturgütern aus ihren angestammten Kontexten und ihre Anhäufung in Museen, wo sie, ihrer lebensweltlichen Bezüge und Funktionen entkleidet, notwendigerweise zu toten Anschauungsobjekten absinken würden (Sherman 1994). Ihren prominentesten Vertreter fand die Interpretation, dass das Museum der Kunst ihre Vitalität entziehe, in Theodor W. Adorno. Dessen Definition von Musealität, wenngleich nur beiläufig notiert und nicht weiter ausgearbeitet, ist wohl bekannt: »Der Ausdruck >museal< hat im Deutschen unfreundliche Farbe. Er bezeichnet Gegenstände, zu denen der Betrachter nicht mehr lebendig sich verhält und die selber absterben. Sie werden mehr aus historischer Rücksicht geschaefts/dokumente/varia/Definition_Museum_Klausewitz_in_MuKu_i978.pdf (letzter Zugriff: 3.12.2008). Der bedeutendste Unterschied dieser im Vergleich mit der neueren ICOM-Definition liegt in der dortigen Einbeziehung des immateriellen Kulturerbes und der stärkeren Betonung der Unterhaltungsfunktion von Museen. aufbewahrt als aus gegenwärtigem Bedürfnis. Museum und Mausoleum verbindet nicht bloß die phonetische Assoziation. Museen sind wie Erbbegräbnisse von Kunstwerken. Sie bezeugen die Neutralisierung der Kultur.« Adornos viel zitiertes Diktum, das in der Folge über das Kunstmuseum hinaus auf die Institution an sich übertragen wurde, hallt in etlichen neueren Arbeiten nach. Als Beispiele genannt seien nur Barbara Kirshenblatt-Gimbtetts (1998: 57) Deutung des Museums als »tomb with a view«, Boris Groys' (1997: 9) Kennzeichnung kulturhistorischer Museen als »Friedhöfe der Dinge« oder Karl-Josef Pazzinis (2003) in immer neuen Variationen durchgespielte Nekrologie des Museums. (2.) Neben die Metapher des Museums als Mausoleum tritt prominent die Rede vom Museum als Spiegel (vgl. exemplarisch die Dualität von mirrorund tomb bei Lionnet 2004). So preist etwa Georges Bataille das Museum nicht nur als »Lunge einer großen Stadt«, aus der jede Menschenmenge »gereinigt und frisch« wieder herauskomme, sondern eben auch als »riesenhafte[n] Spiegel, in dem der Mensch sich endlich von allen Seiten anschaut« (Bataille 2005 [zuerst 1929]: 6sf.). In verschiedenen anderen Darstellungen erscheinen Museen wahlweise als »Spiegel der Nation« (Raffler 2008) oder »Spiegel des Universums« (Pommier 2006: 63), als »Spiegel der Vergangenheit« (Barag-wanath 1973) oder »Europas Spiegel« (Sporn 2005). Aus Sicht einer konstruktivistischen Repräsentationskritik ist diese Me-taphorisierung gleichwohl zu hinterfragen. Was Regina Bendix und Gisela Welz vor dem Hintergrund der wegweisenden Writing Culture-Debatte in der US-amerikanischen Kulturanthropologie (Clifford/Marcus 1986) für den Bereich der Herstellung volkskundlichen wissenschaftlichen Wissens skizzieren, lässt sich auf den gesamten Komplex der Repräsentation - und mithin auch auf museale Inszenierungen - übertragen: »Der Begriff der Repräsentation signalisiert die Abkehr von jeglicher unproblematischen Auffassung vom spiegelbildlichen Reproduzieren sozialer Realität und kultureller Handlungen durch die Wissenschaft. Die Politik der Repräsentation: das bedeutet ein kritisches Bewusstsein bei jeglicher Darstellung von volkskulturellen Äußerungen, gerade da, wo bisher darauf bestanden wurde, dass wir Kultur doch nur in einen neuen Rahmen oder performativen Kontext transponieren und das Transponierte dabei unverändert bleibt« (Bendix/Welz 2002: 28; auch Lidchi 1997). Repräsentationen sind demnach Darstellungen von Vorstellungen und stets spezifisch positioniert, kontextualisiert und gefärbt. Folgt man dieser Perspektive so stehen Museen, museale Sammlungen und Ausstellungen, in keinem Abbild-Verhältnis zur Welt außerhalb ihrer Mauern, sondern entwerfen in aktiver Weise Anschauungen der Welt. Aus dem Spiegel des Museums wird Joachim Baur Museumsanalyse Joachim Baur -> Was ist ein Museum? ein »Zerrspiegel« (Arnoldi 1992; auch Crane 1997), der nur bestimmte Bilder zurückwirft, je nachdem wie er geformt ist und wer ihn in Händen hält. Will man im Lichte dieser Überlegungen die Rede vom Museum als Spiegel retten, so nur, wie Patricia Davison (1999: i45f.) vorschlägt, im Sinne von »mu-seums as mirrors of power«.20 Machtverhältnisse spiegeln sich in musealen Sammlungen, die - in ihrem Bestand wie in ihren Leerstellen - vielfach von kolonialer Eroberung oder kriegerischer Auseinandersetzung, von Geschmack und Einfluss herrschender Schichten, von patriarchaler Dominanz sowie allgemein von vergangenen und gegenwärtigen Interessenkonstellationen zeugen. Sie spiegeln sich in der Aufspaltung und Hierarchisierung in Definierende und Definierte, in Sprechende und Besprochene, die den Kategorisierungen und Inszenierungen des Museums zugrunde liegt. Sie spiegeln sich in der Beachtung bestimmter Themen und Ereignisse und im Ignorieren anderer, im Bewahren bestimmter Geschichten und dem Vergessen anderer, in der Einnahme bestimmter Perspektiven und der Ausblendung anderer. (3.) Das Museum wird in der Literatur indes nicht nur als Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse gedeutet, sondern auch als Ort ihrer Produktion und Reproduktion. So verweist die eingangs zitierte Polemik Allan Kaprows, wie viele andere institutionenkritische Schriften, ex. negativo auf die Bedeutung der Institution als »zentraler Machtfaktor in der kulturellen Ökonomie der Moderne« (Kravagna 2001: 7). Es ist gerade diese Feststellung der gesellschaftlichen Autorität des Museums, die es seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder zurZielscheibe künstlerischer und wissenschaftlicher Kritik werden ließ. In ihrem klassisch gewordenen Essay The Universal Survey Museum von 1980 beschreiben Carol Duncan und Alan Wallach das Museum - insbesondere das Kunstmuseum - in diesem Sinne als »soziale Institution«, deren Funktion in erster Linie ideologisch sei: »lt is meant to impress upon those who use or pass through it society's most revered beliefs and values« (Wallach/Duncan 2004: 52). Denkmalen gleich verkörperten und veranschaulichten Museen durch ihre architektonische Rhetorik, die sich in Gebäuden wie Ausstellungen niederschlage, die Idee des Staates. Museen seien nachgerade Symbole des Staates und Museumsbesuche staatsbürgerliche Rituale, in deren Verlauf zivilisatorische Errungenschaften und staatliche Autorität in eins gesetzt würden (vgl. auch Duncan 1995). Wiewohl sich die Wahrnehmungdes Gezeigten durch individuelle Besucher je nach deren kulturellem oder klassenspezifischem Hintergrund unterscheide, werde ihnen letzten Endes stets ein und dieselbe ideologisch aufgeladene Grundstruktur übergestülpt: »By performing the ritual of walking through the museum, the visitor is prompted to enact and thereby internalize the values and beliefs written into the architectural Script« (Wallach/Duncan 2004: 53).21 Tony Bennett erweitert und nuanciert diesen Befund von der repräsenta-tionalen und performativen Prägekraft des Museums durch Verweis auf die Verwandtschaft und Abgrenzung zu anderen Agenturen des Zeigens und Erzählens. Im Rahmen seines vielbeachteten Konzepts des »exhibitionary com-plex« argumentiert er, dass die ideologische Funktion und epistemologische Spezifik des modernen Museums nur relational zu bestimmen sei. Zu verstehen sei es als Bestandteil einer »wider range of institutions - history and natural science museums, dioramas and panoramas, national and, later, international exhibitions, arcades and departments stores - which served as linked sites for the development and circulation of new disciplines (history, biology, art history, anthropology) and their discursive formations (the past, evolution, aesthetics, man) as well as for the development of new technologies ofvision« (Bennett 1995: 59). Signifikant sei dieses Geflecht von Institutionen, dieser »exhibitionary complex«, insofern darin ältere Arten des Zeigens und Ausstellens wesentlich neu ausgerichtet und auf die Entwicklung moderner Formen (staats-)bürgerlicher Selbstinszenierung abgestimmt wurden. Die spezifische Machtförmigkeit dieser Institutionen sieht er dabei - in einer Reihe mit anderen Formen moderner Sozialdisziplinierung - in ihrem Potenzial zu geschmeidiger Konsenserzeugung und Devianzreduktion: »To identify with power, to see it as [...ja force regulated and channeled by society's ruling groups but for the good of all: this was the rhetoric of power embodied in the exhibitionary complex-a power made manifest not in its ability to inflict pain but by its ability to organize and co-ordinate an order of things and to produce a place for the people in relation to that order.« (Ebd.: 67) Mit dieser Ordnung und Domestizierung abweichenden Verhaltens und Wissens firmiere das Museum als »context for the permanent display of power/knowledge« (ebd.: 66). (4.) Wenn das Museum bei Wallach/Duncan und Bennett Uberwiegend als Instrument bürgerlicher Ideologie- und Performanzproduktion erscheint, so betonen andere den Charakter der Institution als Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Kämpfe. Die Vorstellung des Museums als Spiegel und Instrument hegemonialer Herrschaft wird so ergänzt und partiell revidiert durch dessen Definition als Arena der konfliktträchtigen Aushandlung gesellschaftlicher Werte und Wissensbestände sowie sozialer und kultureller Zugehörigkeiten. 20 In diesem spezifischen Sinne gebraucht auch Macdonald (1997) die Metapher vom Museum als Spiegel ethnologischer Wissenschaftspraxis. 21 Flora Kaplan (1994: 3) kommt gleichlautend zu dem Urteil, Museen seien »purveyors of ideology and of a downward spread of knowledge to the public«. Joachim Baur Museumsanalyse Joachim Baur -» Was ist ein Museum? Verschiedene Autoren beschreiben das Museum in diesem Sinne - insbesondere mit Blick auf die gegenwärtige Situation - als »umkämpftes Terrain« (Lavine/Karp 1991: 1) oder gar »battlegrounds for the disputation of various individual agendas and State ideologies« (Message 2005: 472f.). Den Fokus richten solche Deutungen auf den Umstand, dass an musealen Inszenierungen in der Regel eine Vielzahl von Akteuren mit zum Teil konträren Vorstellungen beteiligt ist und die Rezeption durch das Publikum nicht willfährig und passiv erfolgt. Zugleich ist darin die Anschauung infrage gestellt, dass auf der Bühne des Museums22 ausschließlich unwidersprochene, gar obrigkeitlich verordnete Darstellungen zur Aufführung kämen und dass Eliten gleichsam top-down bestimmte Deutungen durchsetzen könnten. Zu korrigieren wäre vor diesem Hintergrund auch das populäre, doch mechanistische Bild des Museums als Identitäts/äbr/'/c (so etwa bei Korff/Roth 1990). Denn so sehr das Museum eine Institution der Anerkennung und Verhandlung von Identität parexcellence darstellt, wie Sharon Macdonald in ihrem Beitrag zu diesem Band richtig argumentiert, so sehr ist es - anders als im Bild der Fabrik nahegelegt - stets auch ein Austragungsort für Deutungskämpfe und konfligierende Identitätspolitiken. (5.) Noch einmal zurück zu Allan Kaprow: Seine Streitschrift gegen das Museum schließt mit der Aussicht, dass die Institution - bei all ihren möglichen Mängeln - zumindest der Potenz nach ein Ausgangspunkt für gesellschaftliche Veränderung sein könnte, nämlich als »Träger für Aktionen«. Dieser Argumentationsstrang, der von der ideologischen Autorität und Machtförmigkeit der Institution nicht absieht, doch diese progressiv wandeln will, zieht sich in wechselnden Begrifflichkeiten als weiterer roter Faden durch die Diskussion um Wesen und Begriff des Museums. Paradigmatisch formuliert ist die Janusköpfigkeit der Institution und zugleich die Hoffnung auf ihre Reform in Duncan Camerons Essay The Museum -A Temple or the Forum von 1971. Vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der 1960er Jahre skizziert er eine Identitätskrise des Museums zwischen elitärem Beharren auf überkommenen Strukturen einerseits und völliger Auflösung musealer Merkmale in neuen Institutionen, wie erlebnisorientierten Science Centers oder kunterbunten Kulturzentren, andererseits. Ohne ihr etabliertes Standbein, das Sammeln und Bewahren von Objekten und ihr Ausstellen auf Grundlage wissenschaftlicher Expertise, aufzugeben, müssten Museen sich in ihrer Thematik und ihrem Erscheinungsbild 22 Zum Museum als »Bühne« vgl. Korff 2002:174. Korff verweist dort auf die (vor allem in süddeutschen Idiomen bekannte) Doppelbedeutung von Bühne als Podium/ Schaubühne einerseits und als Speicher/Abstellkammer andererseits und fasst damit sinnfällig die expositorische und depositorische Dimension des Museums. öffnen, um ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Diese Stoßrichtung fasst er im Bild des Museums als Forum: »[Tjhere is something missing in the world of museums and art galleries. What is missing cannot be found through the reform of the museum as temple. In my view, it is clear that that there is a real and urgent need for the reestablishment of the forum as an institution in society [...], forums for confrontation, experimentation and debate« (Cameron 2004: 68). Im Konzept des Museums als Forum erscheint die altehrwürdige Institution mithin als Ort des Dialogs und der Debatte, der Innovation und des Experiments, der Partizipation und Demokratie.23 Die Beiträge, die das Museum auf diese Weise - deskriptiv und normativ -als Plattform gesellschaftlichen Wandels entwerfen, sind inzwischen Legion (vgl. nur Spickernagel/Walbe 1976; Sandelt 2002, 2007; Janes 2005; Düspohl 2007).24 Der prominenteste und ambitionierteste Vorschlag zur Beschreibung der möglichen Veränderungen im und durch das Museum stammt von James Clifford (1997). Clifford skizziert unter dem Begriff Museums as Contact Zones2* die Vision eines Museums, das diejenigen, dessen Kultur und Geschichte es ausstellt, umfassend und dauerhaft in seine Operationen einbezieht: »When museums are seen as contact zones, their organizing structure as a collection becomes an ongoing historical, political, moral relationship - a power-charged set of exchanges, of push and pull.« (Ebd.: 192) Statt die Öffentlichkeit von gesicherter Warte aus zu erziehen oder zu erbauen, öffnen sie sich alternativen Perspektiven, Interpretationen und politischen Ansprüchen. 23 Es gilt zu ergänzen, dass Cameron - anders als häufig suggeriert - keinen Übergang von »Tempel« zu »Forum« fordert, sondern beide Dimensionen als wichtige und, wenn auch klar getrennt, erhaltenswerte Facetten des Museums betrachtet. 24 Populär ist in den Schriften über das sozial bewusste und dynamisch gewendete Museum neben dem Begriff des »Forums« auch der des »Labors«, etwa wenn Jan Ne-derveen Pieterse (1997:140) Museen als »laboratories for experimenting with new cultural combinations and encounters« beschreibt. Die Auffassungvom Museum als Plattform gesellschaftlichen Wandels steht, nebenbei gesagt, diametral gegen eine Definition, die es im deutschen Diskurs der letzten Jahrzehnte zu einiger Prominenz gebracht hat: Hermann Lübbes (1982) Deutung des Museums als Kompensationsanstalt für die belastenden Erfahrungen eines änderungstempobedingten kulturellen Vertrautheitsschwundes. Diese Divergenz ist weiter ausgeführt bei Baur 2008. 25 Den Begriff selbst und das damit verknüpfte Konzept entlehnt Clifford von Mary Louise Pratt. Diese definiert »contact zone« im Rahmen einer Untersuchung kolonialer Verhältnisse als »the space of colonial encounters, the space in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other and establish ongoing relations, usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intractable conflict« (zit.n. Clifford 1997:192). Joachim Bauk Museumsanalyse Joachim Baur ■> Was ist ein Museum? Insbesondere gehen sie ergebnisoffene, verbindliche und wechselseitige Beziehungen mit denen ein, die sie repräsentieren, gewähren umfassende Mitsprache und Kontrolle, ohne gleichwohl die Asymmetrien von Ressourcen und gesellschaftlicher Macht zu überspielen. Objekte und Geschichten gelangen so, wenn sie dem Museum auch rechtmäßig überlassen werden, nie in dessen alleinige Verfügungsgewalt, sondern bilden vielmehr die Schnittstellen dieser komplexen Kooperation - »sites of a historical negotiation, occasions for an ongoing contact« (ebd.: 194).26 In dieser Prozesshaftigkeit und Anbindung an gesellschaftliche Dynamiken ist Cliffords Museum als Kontaktzone - um den Bogen zu schließen - maximal entfernt von Adornos Museum als Mausoleum. Die Vielzahl verschiedener Fassungen verdeutlicht den Facettenreichtum des Museums und das vielschichtige Feld seiner Erforschung. Statt diese Vielfalt auf einen Nenner zu bringen, schließe ich mit einerweiteren Öffnung: Barbara Kirshenblatt-Gimbletts (1998: i38f.) in unnachahmlicher Weise hingeworfene Aufzählung zur Beantwortung der Frage »What is today's museum?« »A vault, in the tradition of the royal treasure room, the Schatzkammer A cathedral of culture, where citizens enact civic rituals at shrines to art and civilization A school dedicated to the creation of an informed citizenry, which serves organized school groups as well as adults embarked on a course of lifelong learning A laboratory for creating new knowledge A cultural center for the keeping and transmission of patrimony A forum for public debate, where controversial topics can be subjected to informed discussion A tribunal on the bombing of Hiroshima, Freud's theories, or Holocaust denial A theater, a memory palace, a stage for the enactment of other times and places, a space of transport, fantasy, dreams A party, where great achievements and historical moments can be celebrated An advocate For preservation, conservation, repatriation, sovereignty, tolerance A place to mourn An artifact to be displayed in its own right, along with its history, operations, understandings, and practices An attraction in a tourist economy, complete with cafes, shops, films, performances, and exhibitions« Die letzte Umkreisung endet im Schwindel. Als Erkenntnis bleibt vielleicht nur eins: Wie man ins Museum hineinfragt, so schallt es heraus. 26 Die Hoffnung auf Reform, die bei James Clifford wie beim weniger optimistischen Tony Bennett stets mitschwingt, ist luzide kritisiert bei Dibley 2005. Literatur Alexander, Edward P. (1979): Museums in Motion. An Introduction to the History and Functions of the Museum, Nashville: American Association for State and Local History. Arnold, Ken (2006): Cabinets for the Curious. Looking Back at Early English Museums, Aldershot: Ashgate. Arnoldi, Mary Jo (1992): »A Distorted Mirror. The Exhibition of the Herbert Ward Collection of Africana«. In: Ivan Karp/Christine Mullen Kreamer/Steven D. Lavine (Hg.), Museums and Communities. The Politics of Public Culture, Washington: Smithsonian Institution Press, S. 428-457. Bann, Stephen (1988): »Poetik des Museums - Lenoir und du Sommerard«. In: Jörn Rüsen/Wolfgang Ernst/Heinrich Theodor Grütter (Hg.), Geschichte sehen. 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Sie hat sich von einem ungewöhnlichen und minoritären Thema in den Mainstream hinein entwickelt. Disziplinen, die sich zuvor relativ wenig um Museen gekümmert hatten, begannen das Museum als Schauplatz zu begreifen, an dem einige ihrer interessantesten und wichtigsten Debatten und Fragen in neuartiger, häufig erstaunlich anwendungsbezogener Weise ergründet werden konnten. Sie erkannten zudem, dass es für ein Verständnis des Museums erforderlich ist, über innerdisziplinäre Probleme hinaus in stärkeren Dialog mit anderen zu treten und Fragen, Techniken und Ansätze aus anderen disziplinaren Wissensfeldern zu Ubernehmen oder zu übertragen. All dies trug dazu bei, dass sich die Museumswissenschaft bis heute, wie kaum eine anderes Fach, zu einem genuin multi- und in zunehmendem Maße interdisziplinären akademischen Feld entwickelte. Das, was man >kritische Museumswissenschaft nennen könnte, basiert und reagiert auf Entwicklungen, die häufig als »Neue Museologie« beschrieben werden (dazu unten mehr). Eine >zweite Welle< kritischer Museumsanalyse geht über diese, man könnte sagen, >erste Welle< neu-museologischer Arbeiten hinaus, indem es deren Bandbreite ausdehnt, methodische Zugänge erweitert und empirische Grundlagen vertieft. Sie hinterfragt auch einige der neuen Orthodoxien, darunter das Primat des Besuchers, die in vielen Ländern Eingang in die zeitgenössische Museumspraxis gefunden haben, und formuliert Vorschläge für mögliche neue Richtungen zukünftiger Museumsarbeit und Museumsforschung. Die erweiterte und sich erweiternde Museumswissenschaft verfolgt jedoch keine einheitliche Linie. Symptomatisch ist hier die englische Terminologie, wo der Pluralbegriff »Museum Studies« den Singular »New Museology« ersetzt. Vielleicht mehr als alles andere erkennt die Museumswissenschaft heute die Vielfalt und Komplexität von Museen an und fordert ein entsprechend breites i Dieser Beitrag ist eine überarbeitete, erweiterte und von Joachim Baur übersetzte Fassungvon »Expanding Museum Studies: An Introductions In: Sharon Macdonald (Hg.): A Companion to Museum Studies, Oxford 2006. Ich danke Blackwell Publishers für die Genehmigung.