1. Eduard Mörike: Verborgenheit [1832] vertont von Hugo Wolf [13.3.1888] Laß, o Welt, o laß mich sein! Locket nicht mit Liebesgaben, Laßt dies Herz alleine haben Seine Wonne, seine Pein! Was ich traure, weiß ich nicht, Es ist unbekanntes Wehe; Immerdar durch Tränen sehe Ich der Sonne liebes Licht. Oft bin ich mir kaum bewußt, Und die helle Freude zücket Durch die Schwere, so mich drücket Wonninglich in meiner Brust. Laß, o Welt, o laß mich sein! Locket micht mit Liebesgaben, Laßt dies Herz alleine haben Seine Wonne,seine Pein! 2. Goethe Wanderers Nachtlied [1780] Über allen Gipfeln Ist Ruh', In allen Wipfeln Spürest Du Kaum einen Hauch; Die Vöglein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch. 3. Andreas Gryphius: Tränen des Vaterlandes (Anno 1636) Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun, Hat allen Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret. Die Türme stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret. Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun, Die Jungfern sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun, Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret. Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut. Dreimal sind schon sechs Jahr, als unsrer Ströme Flut, Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen. Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod, Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot: Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen. 4. Bertolt Brecht: Fragen Schreib mir, was du anhast! Ist es warm? Schreib mir, wie du liegst! Liegst du auch weich? Schreib mir, wie du aussiehst! Ist´s noch gleich? Schreib mir, was dir fehlt! Ist es mein Arm? Schreib mir, wie´s dir geht! Verschont man dich? Schreib mir, was sie treiben! Reicht dein Mut? Schreib mir, was du tust! Ist es auch gut? Schreib mir, woran denkst du? Bin es ich? Freilich hab ich dir nur meine Fragen! Und die Antwort hör ich, wie sie fällt! Wenn du müd bist, kann ich dir nichts tragen. Hungerst du, hab ich dir nichts zu Essen. Und so bin ich grad wie aus der Welt Nicht mehr da, als hätt ich dich vergessen. 5. Günter Eich: Inventur Dies ist meine Mütze, dies ist mein Mantel, hier mein Rasierzeug im Beutel aus Leinen. Konservenbüchse: Mein Teller, mein Becher, ich hab in das Weissblech den Namen geritzt. Geritzt hier mit diesem kostbaren Nagel, den vor begehrlichen Augen ich berge. Im Brotbeutel sind ein Paar wollene Socken und einiges, was ich niemand verrate, so dient es als Kissen nachts meinem Kopf. Die Pappe hier liegt zwischen mir und der Erde. Die Bleistiftmine lieb ich am meisten: Tags schreibt sie mir Verse, die nachts ich erdacht. Dies ist mein Notizbuch, dies meine Zeltbahn, dies ist mein Handtuch, dies ist mein Zwirn. 6. Friedrich Höderlin: Mein Eigentum In seiner Fülle ruhet der Herbsttag nun, Geläutert ist die Traub und der Hain ist roth Vom Obst, wenn schon der holden Blüthen Manche der Erde zum Danke fielen. Und rings im Felde, wo ich den Pfad hinaus Den stillen wandle, ist den Zufriedenen Ihr Gut gereift und viel der frohen Mühe gewähret der Reichtum ihnen. Vom Himmel bliket zu den Geschäfftigen Durch ihre Bäume milde das Licht herab, Die Freude theilend, denn es wuchs durch Hände der Menschen allein die Frucht nicht. Und leuchtest du, o Goldnes, auch mir, und wehst Auch du mir wieder, Lüftchen, als seegnetest Du eine Freude mir, wie einst, und Irrst, wie um Glükliche, mir am Busen? Einst war ichs, doch wie Rosen, vergänglich war Das fromme Leben, ach! und es mahnen noch, Die blühend mir geblieben sind, die Holden Gestirne zu oft mich dessen. Beglükt, wer, ruhig liebend ein frommes Weib, Am eignen Heerd in rühmlicher Heimath lebt, Es leuchtet über vestem Boden Schöner dem sicheren Mann sein Himmel. Denn, wie die Pflanze, wurzelt auf eignem Grund Sie nicht, verglüht die Seele des Sterblichen, Der mit dem Tageslichte nur, ein Armer, auf heiliger Erde wandelt. Zu mächtig ach! ihr himmlischen Höhen zieht Ihr mich empor, bei Stürmen, am heitern Tag Fühl ich verzehrend euch im Busen Wechseln, ihr wandelnden Götterkräfte. Doch heute laß mich stille den trauten Pfad Zum Haine gehn, dem golden die Wipfel schmükt Sein sterbend Laub, und kränzt auch mir die Stirne, ihr holden Erinnerungen! Und daß mir auch zu retten mein sterblich Herz, Wie andern eine bleibende Stätte sei, Und heimathlos die Seele mir nicht Über das Leben hinweg sich sehne, Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl! sei du Beglükender! mit sorgender Liebe mir Gepflegt, der Garten, wo ich, wandelnd Unter den Blüthen, den immerjungen, In sichrer Einfalt wohne, wenn draußen mir Mit ihren Wellen allen die mächtge Zeit Die Wandelbare fern rauscht und die Stillere Sonne mein Wirken fördert. Ihr seegnet gütig über den Sterblichen Ihr Himmelskräfte! jedem sein Eigentum, O seegnet meines auch und daß zu Frühe die Parze den Traum nicht ende. StA, Band 1, Seite 306. 7. Friedrich Hölderlin: Heidelberg Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust, Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied, Du der Vaterlandsstädte Ländlichschönste, so viel ich sah. Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt, Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt Leicht und kräftig die Brüke Die von Wagen und Menschen tönt. Wie von Göttern gesandt, fesselt ein Zauber einst Auf der Brüke mich an, da ich vorüber gieng Und herein in die Berge Mir die reizende Ferne schien, Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön Liebend unterzugehen In die Fluthen der Zeit sich wirft. Quellen hattest du ihm, hattest dem Flüchtigen Kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn All' ihm nach, und es bebte Aus den Wellen ihr lieblich Bild. Aber schwer in das Thal hieng die gigantische Schiksaalskundige Burg nieder bis auf den Grund, Von den Wettern zerrissen; Doch die ewige Sonne goß Ihr verjüngendes Licht über das alternde Riesenbild, und umher grünte lebendiger Epheu; freundliche Wälder Rauschten über die Burg herab. Sträuche blühten herab, bis wo im heitern Thal, An den Hügel gelehnt, oder dem Ufer hold, Deine fröhlichen Gassen Unter duftenden Gärten ruhn 8. Friedrich Hölderlin: Die Eichbäume Aus den Gärten komm' ich zu euch, ihr Söhne des Berges! Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich, Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen. Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel, Der euch nährt' und erzog und der Erde, die euch geboren. Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen, Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel, Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute, Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet. Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen. Könnt' ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben. Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich, Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd' ich unter euch wohnen! 10. Friedrich Hölderlin: Brod und Wein An Heinze 1 Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse, Und, mit Fakeln geschmükt, rauschen die Wagen hinweg. Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen, Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen, Und von Werken der Hand ruht der geschäfftige Markt. Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vieleicht, daß Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet. Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Gloken, Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl. Jezt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf, Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt, Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns, Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf. *insgesamt 9 solche Abschnitte 11. Friedrich Hölderlin: Andenken Der Nordost wehet, Der liebste unter den Winden Mir, weil er feurigen Geist Und gute Fahrt verheißet den Schiffern. Geh aber nun und grüße Die schöne Garonne, Und die Gärten von Bourdeaux Dort, wo am scharfen Ufer Hingehet der Steg und in den Strom Tief fällt der Bach, darüber aber Hinschauet ein edel Paar Von Eichen und Silberpappeln; Noch denket das mir wohl und wie Die breiten Gipfel neiget Der Ulmwald, über die Mühl', Im Hofe aber wächset ein Feigenbaum. An Feiertagen gehn Die braunen Frauen daselbst Auf seidnen Boden, Zur Märzenzeit, Wenn gleich ist Nacht und Tag, Und über langsamen Stegen, Von goldenen Träumen schwer, Einwiegende Lüfte ziehen. Es reiche aber, Des dunkeln Lichtes voll, Mir einer den duftenden Becher, Damit ich ruhen möge; denn süß Wär' unter Schatten der Schlummer. Nicht ist es gut, Seellos von sterblichen Gedanken zu seyn. Doch gut Ist ein Gespräch und zu sagen Des Herzens Meinung, zu hören viel Von Tagen der Lieb', Und Thaten, welche geschehen. Wo aber sind die Freunde? Bellarmin Mit dem Gefährten? Mancher Trägt Scheue, an die Quelle zu gehn; Es beginnet nemlich der Reichtum Im Meere. Sie, Wie Mahler, bringen zusammen Das Schöne der Erd' und verschmähn Den geflügelten Krieg nicht, und Zu wohnen einsam, jahrlang, unter Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht durchglänzen Die Feiertage der Stadt, Und Saitenspiel und eingeborener Tanz nicht. Nun aber sind zu Indiern Die Männer gegangen, Dort an der luftigen Spiz' An Traubenbergen, wo herab Die Dordogne kommt, Und zusammen mit der prächt'gen Garonne meerbreit Ausgehet der Strom. Es nehmet aber Und giebt Gedächtniß die See, Und die Lieb' auch heftet fleißig die Augen, Was bleibet aber, stiften die Dichter. 12. Heinrich von Kleist: Der zerbrochene Krug Adam Der Teufel soll mich holen! Ich hatte die Perücke aufgehängt, Auf einen Stuhl, da ich zu Bette ging, Den Stuhl berühr ich in der Nacht, sie fällt - Licht Drauf nimmt die Katze sie ins Maul - Adam Mein Seel - Licht Und trägt sie unters Bett und jungt darin.