Naturalismus-Begriff Welchen Unterschied gibt es zwischen folgenden Ausdrücken: Der Naturalismus des sog. ›Volksstücks‹ im 20. Jh. und Als herausragender Vertreter des Naturalismus gilt heute Henrik Ibsen ? Welche gesellschaftlichen Umstände haben diesen neuen Stil der Darstellung herausgefordert? [Max Kretzer: Meister Timpe, 1888, Kap. 1] Berlin schlief noch, aber es lag in jenem leisen Schlummer, der dem Erwachen vorhergeht. [...] Nur an einzelnen Stellen stieß der tausendköpfige Koloß seinen Atem aus. Dunkler, zu gewaltigen Ringen geballter Qualm entstieg, von Feuergarben begleitet, den geschwärzten Schloten; wie der Gigantenlunge eines unsichtbaren Ungeheuers entstoßen, strömte er dem graublauen Äther zu, verwob er sich allmählich mit der Dunstwolke, die den Horizont noch verschleierte. [...] Selbst jetzt, wo das Fehlen der flutenden Menge und rasselnden Wagen, die herabgelassenen Rouleaus und geschlossenen Jalousien den Gebäuden eine veränderte Physiognomie gaben, waren ihre Absonderlichkeiten seinem Gedächtnisse eingeprägt, denn es war nicht das erste Mal, daß er spät nach Mitternacht an ihnen vorüberschritt. Seit beinahe einem halben Jahre, seitdem ihn der Weg von der Schule direkt ins Comptoir der Firma Ferdinand Friedrich Urban geführt hatte, war fast keine Nacht vergangen, während welcher er nicht das nächtliche Leben Berlins durchkostet hatte. Mietskasernen: Berliner Hinterhöfe Mietskasernen: Berliner Hinterhöfe Mietskasernen: Berliner Hinterhöfe Wogegen haben die Vertreter des Jüngsten Deutschland protestiert? Felix Dahn (1834-1912): Ein Kampf um Rom (1876) »Heil, Meister Hildebrand, Hildungs Sohn!« rief der voranschreitende Fackelträger, der jüngste von ihnen, in gotischer Sprache mit auffallend melodischer Stimme, als er die lückenhafte Säulenreihe des Pronaos, der Vorhalle, erreicht. [...] Das weiße Licht fiel auf ein apollinisch schönes Antlitz mit lachenden, hellblauen Augen; mitten auf seiner Stirn teilte sich das lichtblonde Haar in zwei lang fließende Lockenwellen, die rechts und links bis auf seine Schultern wallten; Mund und Nase, fein, fast weich geschnitten, waren von vollendeter Form, ein leichter Anflug goldhellen Bartes deckte die freundlichen Lippen und das leicht gespaltene Kinn; er trug nur weiße Kleider: einen Kriegsmantel von feiner Wolle, durch eine goldne Spange in Greifengestalt auf der rechten Schulter festgehalten, und eine römische Tunika von weicher Seide, beide mit einem Goldstreif durchwirkt; weiße Lederriemen festigten die Sandalen an den Füßen und reichten, kreuzweis geflochten, bis an die Kniee; [...] Wogegen haben die Vertreter des Jüngsten Deutschland protestiert? https://www.youtube.com/watch?v=Em4SjeuY1k4 Gedichtsammlung Rudolf Baumbach Lieder eines fahrenden Gesellen: naive, zum Teil banale Lieder vom Leid eines in der Fremde wandernden Gesellen, die Schuberts Schuberts »Winterreise« assoziieren. ein Nebeneinander von Trauer und Freude, sentimentale Emotion, bei Mahler aber auch und von bitterer Ironie Wenn mein Schatz Hochzeit macht Wenn mein Schatz Hochzeit macht, Fröhliche Hochzeit macht, Hab ich meinen traurigen Tag! Geh' ich in mein Kämmerlein, dunkles Kämmerlein! Weine! Wein'! um meinen Schatz, um meinen lieben Schatz! Blümlein blau! Verdorre nicht! Rudolf Baumbach Und wärst du, Traute, ein Engelein Und wärst du, Traute, ein Engelein Und hättest Flügel bekommen Und trügest um's Haupt einen Heiligenschein, Dann ginge ich unter die Frommen, Und wärst du, Traute, ein Teufelein Mit Hörnchen unter den Haaren, Dem Bösen verschrieb' ich die Seele mein Und thät' in die Hölle fahren. Rudolf Baumbach Du bist kein Engel im Glorienschein, Du bist keine Teufelinne, Du hast als Evas Töchterlein Die glückliche Mitte inne. Sein erster Gedichtband „Lieder eines fahrenden Gesellen“, 1878. 1885 kehrte Rudolf Baumbach nach Meiningen zurück. Hier wurde er Mitglied der Künstlerklause und pflegte freundschaftlichen Kontakt mit dem „Theaterherzog“ Georg II. 1888 ernannte ihn der Herzog zum Hofrat. Butzenscheiben-Poesie, romantische Motive als Flucht vor der hektischen Zeit Die Zither lockt, die Geige klingt, Juchhe, im Dorf ist Tanz! Der Michel seine Lise schwingt, Die Grete schwingt der Hans. Ein Mädel flink zu drehen Ist gar ein gutes Ding. Ich mag nicht müssig stehen Und springe in den Ring. Des reichen Schulzen Katherein Ist hochgemuth und keck; Des Müllers rundes Töchterlein Ist gar ein lieber Schneck. Doch von den Dirnen allen, Die auf dem Plane sind, Will mir zumeist gefallen Des Geigers braunes Kind. *Rudolf Baumbach Emanuel Geibel (1815-1884) Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus. Da bleibe wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus. Wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt, so steht auch mir der Sinn in die Weite, weite Welt. Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt´! Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht. Es gibt so manche Straße, da nimmer ich marschiert; es gibt so manchen Wein, den nimmer ich probiert. Emanuel Geibel O Wandern, o wandern, du freie Burschenlust! Da wehet Gottes Odem so frisch in der Brust; da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt: Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt! Paul Heyse (1830-1914) Auf Vermittlung Geibels erreichte den 24jährigen der Ruf des bayerischen Königs Maximilian II. 1854 übersiedelte H. nach München und nahm regelmäßig teil an den »Symposien« des Königs im Dichter- und Gelehrtenkreis um Geibel. Seine rasch wachsende, beifällig aufgenommene literarische Produktion sicherte ihm die Stellung als Hofpoet und Dichterfürst. Thomas Mann nannte Heyse »einen fast unanständigen Epigonen« (an Maximilian Harden, 30. 8. 1910). Sein Werk umfaßt etwa 150 Novellen (ges. in 18 Bänden zwischen 1855 und 1886) und Versepen, über 60 Dramen, acht z. T. mehrbändige Romane usw. Welche Rolle spielte das Vorbild Zolas? Von 1878 an berichtete Michael Georg Conrad in der Frankfurter Zeitung aus Paris über Zola, der früher nur als Schmutzfink (Gartenlaube) oder als jemand, der nur das Hässliche im Leben sieht und mit Vorliebe in Kot wühle (Blätter für literarische Unterhaltung), bezeichnet wurde. Édouard Manet, Émile Zola, 1868, (Musée d'Orsay, Paris) Emile Zola: Le roman expérimental (1880) „En somme, toute l'opération consiste à prendre les faits dans la nature, puis à étudier le mécanisme des faits en agissant sur eux par les modifications des circonstances et des milieux.“ ein literarisches Werk als wissenschaftliches Beobachtungsinstrument eines durch den Autor künstlich herbeigeführten Experiments nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung Er stützt auf die Milieutheorie von Taine Hippolyte Taine, Philosophie de l ́art (1865) Mensch als als ein von Vererbung, Milieu und historischer Situation determiniertes Wesen. race - milieu - moment historique (Wilhelm Scherer: Ererbtes - Erlebtes - Erlerntes) Was ist Sekundenstil? Der Zug wurde sichtbar – er kam näher – in unzählbaren, sich überhastenden Stößen fauchte der Dampf aus dem schwarzen Maschinenschlote. Da: ein – zwei – drei milchweiße Dampfstrahlen quollen kerzengrade empor, und gleich darauf brachte die Luft den Pfiff der Maschine getragen. Dreimal hintereinander, kurz, grell, beängstigend. Sie bremsen, dachte Thiel, warum nur? Und wieder gellten die 53Notpfiffe schreiend, den Widerhall weckend, diesmal in langer, ununterbrochener Reihe. Thiel trat vor, um die Strecke überschauen zu können. Mechanisch zog er die rote Fahne aus dem Futteral und hielt sie gerade vor sich hin über die Geleise. – Jesus Christus! war er blind gewesen? »Jesus Christus – o Jesus, Jesus, Jesus Christus! was war das? Dort! – dort zwischen den Schienen … Ha–alt!« schrie der Wärter aus Leibeskräften. Zu spät. Eine dunkle Masse war unter den Zug geraten und wurde zwischen den Rädern wie ein Gummiball hin und her geworfen. Noch einige Augenblicke, und man hörte das Knarren und Quietschen der Bremsen. Der Zug stand. Sekundenstil Adalbert von Hanstein, Das jüngste Deutschland (1900): "Die alte Kunst hat von einem fallenden Blatt weiter nicht zu melden gewußt, als daß es im Wirbel sich drehend zu Boden sinkt. Die neue Kunst schildert diesen Vorgang von Sekunde zu Sekunde; sie schildert, wie das Blatt jetzt auf dieser Stelle, vom Lichte beglänzt, rötlich aufleuchtet, auf der anderen Seite schattengrau erscheint, in der nächsten Sekunde ist die Sache umgekehrt; sie schildert, wie das Blatt erst senkrecht fällt, dann zur Seite getrieben wird [...]. Eine Kette von einzelnen, ausgeführten, minuziösen Zustandsschilderungen, geschildert in einer Prosasprache, die unter Verzicht auf jede rhythmische oder stilistische Wirkung der Wirklichkeit sich fest anzuschmiegen sucht, in treuer Wiedergabe jeden Lauts, jeden Hauchs, jeder Pause - das war es, worauf die neue Technik abzielte." Naturalismus lWelche theoretische Arbeiten enthalten das Programm der Naturalisten? Welche Merkmale unterscheiden das naturalistische Drama von der älteren Tradition des 19. Jh.? Was ist ein analytisches Drama? Naturalismus Naturalismus, Fin de siècle, Expressionismus 1890-1918 lHansers Sozialgeschichte der Deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 7 lHg. von York-Gothart Mix lMünchen: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2000 Adolf Menzel, Eisenwalzwerk, 1875 Menzel, Im Biergarten, 1883 Menzel, Drei gefallene Soldaten in einer Scheune, 1866 Der verspätete Naturalismus Kritik an Zola in Magazin für die Litteratur des Auslandes von A. Heller: als Pessimist sah er nur das Hässliche und wühlte im Kot. Rudolf Gottschall: Der poetische Naturalismus in Frankreich. in: Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart. 1881, Bd. 1, S. 50-66 Herausgeber der Blätter für literarische Unterhaltung und Unsere Zeit (Verlag F. A. Brockhaus) in Leipzig. Gottschall Zola geht ihr [der Poesie] auch möglichst aus dem Wege und drückt nur gelegentlich seinen Abscheu gegen dieselbe aus. Sein Haß gegen die "Phrase" und gegen die Luftsprünge ins Blaue trifft vorzugsweise die Lyriker. Vor Victor Hugo verbeugt er sich zwar, doch nur als vor einem großen Sprachkünstler, wie überhaupt die ganze romantische Emeute gegen die Classicität nur dem Naturalismus die Waffen in die Hand gegeben haben soll, die sie im sprachlichen Atelier geschmiedet hat. Für Zola ist die Lyrik Musik, die von nervösen Frauen applaudirt wird, "eine poetische Exaltation, die keine Analyse zuläßt und an den Wahnsinn grenzt". Gottschall In der Aesthetik Zola's hat die Lyrik keinen Platz: das genügt, sie zu verurtheilen, denn die Lyrik ist die Seele aller Poesie. Diese ganze Aesthetik des Naturalismus ist nur ein Repetirwerk unproductiver Begriffe, einseitig isolirter Ideen; der Aesthetiker rennt immerfort mit dem Kopfe gegen die Wand und hofft sie einzustoßen; es ist der Fanatismus des halbgebildeten Autodidaktenthums. Wir fürchten nur, daß es in Deutschland Hohl- und Flachköpfe genug gibt, die auf die Worte des Meisters schwören – deutsche Bildung und deutscher Weltblick sollte vor solchen Thorheiten geschützt sein. Naturalismus in der bildenden Kunst: Max Liebermann: Die Gemüseputzerinnen / Konservenmacherinnen Liebermann: Alte Frau mit Katze, 1878 Liebermann: Gänserupferinnen, 1874 Liebermann: Schusterwerkstatt, 1881 Drei Frauenbriefe an den Lehrer in: Arno Holz, Der erste Schultag (1889) Der Herr Rektor Borchert saß auf seinem Katheder und ging die eingelaufenen Briefe durch. Es waren wieder drei Stück. Der erste war auf grobem, grauem Armeleutspapier geschrieben und kaum zu entziffern. Er lautete: »Herr Borchert, Ich mus ser bedauern das ich Ihnen mit meine wenigkeit belästigen mus da sie mein 6 Jähries Mendchen so gebrigelhaben das nach drei Tage noch braun un blau aus sa [...] Drei Frauenbriefe an den Lehrer in: Arno Holz, Der erste Schultag (1889) Der gehörte in die Schublade rechts. Die Schublade links war für die »Knubbels« reserviert – Neben ihm stand eine Tasse Kaffee. Er nahm jetzt einen kleinen, behaglichen Schluck draus und ritzte dann auch den zweiten Brief auf. Dieser war womöglich noch undeutlicher geschrieben und nicht einmal frankiert gewesen. Aber das tat nichts. Diese reizende kleine Sammlung war ja seine einzige Freude ... Herr Borchert hatte seine kleinen, pechschwarzen Ferkeläugelchen prüfend dem interessanten Dokument genähert. Gelbes Konzeptpapier und die Linien drauf mit dem stumpfen Ende einer Schere gezogen! No. 203 a! Das Blau drauf nahm sich sehr schön aus. Nur den Fettfleck! Den Fettfleck hier links neben der Unterschrift hätte sich die gute Frau Munk sparen können! Drei Frauenbriefe an den Lehrer in: Arno Holz, Der erste Schultag (1889) Er hatte sich jetzt hinten sein großes, rotbaumwollnes Taschentuch aus der Rocktasche gezogen und schneuzte sich. Dagegen! Dieses dritte Ding! Ordentlich manierlich![86] Die Linien auf dem blaßrosa Kuvert waren augenscheinlich zuerst mit Bleistift gezogen und dann sorgfältig nachradiert. Außerdem wies auch die Rückseite noch ein Siegel auf, zu dessen Petschaft ein Zwölfschillingsstück gedient hatte. Es sah gradezu wohlhabend aus! Das zierliche Briefchen lautete: »Sehr geehrter Herr Borchert! Ich frage gehorsamst an warum Sie mein Kind am 31. dieses Monatts das Gesicht blau geschlagen haben, oder ob Sie überhaupt das Recht dazu haben, ein Kind so zu schlagen daß es im Gesicht blau ist, denn wenn das Kind würde am Gehör davon leiden, was leicht möglich sein kann, würden und könnten Sie Ihn die Gesundheit wieder schaffen?