378 Walter Pohl in ihrer Einheitlichkeit weit überschätzte gesellschaftliche Instanzen erhielten dadurch ein Eigenleben, ja, wurden zu den eigentlichen Subjekten der Geschichte, ob das nun in der Intention des Historikers lag (wie beim Volkshcgriff der natio nalen oder beim Kirchenbegriff der katholischen Geschichtsschreibung) oder unversehens geschah. Die Aufmerksamkeit für große Persönlichkeiten der Geschichte widersprach dem nicht, da sie als Repräsentanten eines Volkes oder einer Institution geschätzt wurden. Theoderich war ,der Große', weil er die Goten zur Herrschaft über Italien führte, Papst Leo, weil er als Pionier des Primates der römischen Kirche galt. Vielleicht hatten nicht zufällig viele Historiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu wenig Distanz zu ihrer Rolle als Deutsche und Universitätsgelehrte. Unsere Aufgabe bei der Erforschung der Anfänge des Mittelalters heute ist es, die Widersprüche, Unscharfen und Paradoxa ernst zu nehmen, an denen diese Zeit reicher ist als viele andere, ja, sie gezielt aufzusuchen, um an ihnen unsere allgemeinen Modelle zu überprüfen. Sehr oft liegt unser Erkejintiijsgewinn nicht darin, widerspruchsfreie Kategorien zu gewinnen oder zu bestätigen; das ist oft nur um. den Preis selektiver Quellenlektüre möglich. Reizvoller ist es, die Bedingungen, unter denen Menschen vor anderthalb Jahrtausenden lebten, in ihrer ganzen Spannung und Vielfalt aufzudecken. Oft genügt es dazu, wohlbekannte Texte nochmals aufmerksam zu lesen. Dazu sollte das Beispiel von Lupicmus und Chilperich einladen. Reinhard Härtel Sind die Historischen Hilfswissenschaften noch zeitgemäß? Vorbemerkungen Im Rahmen der Tagung „Mediävistik im 21. Jahrhundert" bildete dieser Beitrag eine Besonderheit: Er war der einzige, dem die Veranstalter einen Titel zugedacht hatten, der eine mediävistisehe (und keineswegs nur mediävistische) Disziplin pi'oblematisierte.1 Dazu fand er sich zwischen zwei Statements platziert, deren Titel „neue Perspektiven" und ein „neues Paradigma" in den Vordergrund stellten. Der Verfasser dieses Beitrags war zunächst sehr betroffen und zu einer Titeländerung entschlossen. Er hat es sich dann aber doch anders überlegt und es beim vorgeschlagenen Text bleiben lassen. Denn die Frage, ob die Historischen Hilfswissenschaften noch zeitgemäß sind, spiegelt eine bittere Realität. Es genügt, die Auflassung hilfswissenschaftlicher Institute und Lehrstühle in letzter Zeit anzusehen oder die Rolle der Hilfswissenschaften in den Vorschriften für das universitäre Geschichtsstudium. Und damit ist erst die äußere, organisatorische Seite angesprochen. Grundlegender noch ist die vergleichsweise Absenz der Historischen Hilfswissenschaften in der theoretischen Diskussion sowie die mangelnde Wahrnehmung sogar in fachnahen Kreisen.2 Wohin man auch, blickt, so wird schnell klar, dass die Disziplinengruppe der Historischen Hilfswissenschaften augenscheinlich nicht mehr in der Lage ist, ihre Bedeutung überzeugend klarzumachen. Das Thema besteht genau genommen aus zwei verschiedenen Themen. Denn der Begriff der „Historischen Hilfswissenschaften" hat zwei verschiedene Inhalte. Einerseits geht es um die Frage, ob oder inwieweit die einzelnen, hier zusammengefassten Disziplinen noch zeitgemäß sind oder nicht, wobei nicht auszuschließen ist, dass die Antwort für die einzelnen Disziplinen unterschiedlich ausfallen könnte, Andererseits geht es um die theoretische und organisatorische Zusammenfassung der Historischen Hilfswissenschaften zu einer Gruppe, und unter eben dieser Bezeichnung. Bei der Vielzahl und Verschiedenartigkeit der hilfswis 1 Der Verfasser möchte sich insbesondere bei Herrn Prof. Ivan HlavaCek (Prag) und bei Herrn Prof. Theo Köl/.er (Bona) für wertvolle Hinweise zum Thema auch an dieser Stelle bedanken. 2 Unmittelbar vor der Tagung wurdeji die Korrekturen für das „Vademekum der Geschiebes Wissenschaften 2000/2001" versandt, und in der beispielhaften Aufzahlung dessen, was hierbei unter Geschichtswissenschaften £U verstehen sei, figurierten gegen Schluss „Archäologie des Mittelalters und sonstige Historische Hilfswissenschaften". Nun ist die Archäologie des Mittelalters zweifellos eine sehr bedeutsam gewordene Disziplin. Wenn aber der klassische Kanon der Historischen Hilfswissenschaften, zu dem die Mittelalterarchäologie keinesfalls gehört, nur mehr als „sonstige Hilfswissenschaften" geführt wird, dann ist das eine Umkehr der Tatsachen, die für den Zeitgeist wohl charakteristisch ist. 380 RťlNUAUD Härtvl Sind du- HjsTnHtsrwiiN Hu:.(:swisstNs<:iiaki ;.n noch zmcrMASS? 381 senschaftlichcn Disziplinen sind spezielle Analysen für die einzelnen dieser Disziplinen innerhalb eines Tagungsbeitrags ausgeschlossen. Im Folgenden wird es daher vor allem um das Fach ,Historische Hilfswissenschaften' als Ganzes gehen. Was sind Historische Hilfswissenschaften? Die Historischen Hilfswissenschaften (oder zumindest mehrere unter ihnen) sind paradoxerweise um einiges älter als die wissenschaftliche Geschichtsforschung/ Sie wenden im Unterschied zur Geschichtswissenschaft des Historismus von Anfang an statistisch-probabilistische Methoden an und weisen hierin eine Verwandtschaft (bzw. je nach Verständnis: eine höhere Verwandtschaft) zu den Naturwissenschaften auf. Das erste Ziel der Historischen Hilfswissenschaften war und ist die zuverlässige Lesung historischer Quellen sowie deren Einordnung gemäß Zeit und Ort der Entstehung und damit zugleich die Bestimmung von deren Echtheit. All dies wird ermöglicht durch die Aufstellung kontrollierbarer Regeln, welche Regeln ihrerseits von allem Anfang an aus Vergleichen gewonnen wurden. Es handelte sich sozusagen um eine Gegenwelt zum histonstischen Geschichtsbetrieb. Je mehr Vergleich und Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft allgemein an Boden gewonnen haben, umso mehr schwächte sich dieser fundamentale Unterschied ab. jeder Klassifizierungsversuch innerhalb der Historischen Hilfswissenschaften erweist deren Heterogenität, und zwar nicht nur numerisch, sondern auch strukturell. Da geht es zum einen um Sprache und Schrift sowie weiters um bildliche und symbolische Darstellungen. Das Gewicht, das hierbei den schriftlichen und den anderen Quellen im Gesamtverhältnis zugebilligt wird, kann grundverschieden sein.4 Hierbei beschäftigt sich eine hilfswissenschaftlichc Disziplin fast immer mit jeweils einer bestimmten Quellengattung (z. B. die Epigraphik mit Inschriften oder die Sphragistik mit Siegeln). Eine geringere Zahl solcher Spezialdiszipii-nen befasst sich mit den natürlichen Voraussetzungen geschichtlichen Geschehens und mit problemgebundenen Zugängen. Hier hat eine Disziplin (z. B. Chronologie oder Genealogie) jeweils mit mehreren und dabei durchaus unterschiedlichen Quellengattungen zu tun. Wieder andere Disziplinen entziehen sich einer solchen Klassifizierung, so vor allem die Historische Fachinformatik. Dabei ist diese wohl die hilfswissenschaftlichste aller Hilfswissenschaften überhaupt. Denn sie ist, in 3 Vgl. grundsätzlich Fichtenau, Heinrich: Die Historischen Hilfswissenschaften und ihre Bedeutung für die Mediävistik, in: Methoden der Geschichtswissenschaft und der Archäologie (Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Methoden, 10. Lfg.), München/Wien 1974, S. 115-1+3. Zur Entwicklung in jüngerer Zeit vgl. bes. Rück, Peter: Historische Hilfswissenschaften nach 1945, in: Mabiilons Spur. 22 Miszellen aus dem Fachgebiet Historische Hilfswissenschaften der Philipps-Universität Marburg zum 80. Geburtstag von Walter Heineineyer, Marburg a. d. Lahn 1992, S. 1-19. 4 "Ungewöhnlich knapp ist z. B. die Behandlung der Schriftqueilen bei Delort, Robert.: Introduction aus sciences auxiliaires de l'Histoire (Collection U, série Histoire medievale), Paris 1969. reinster Abstraktion gedacht, die einzige Hilfswissenschaft, deren Ergebnisse, für sich genommen, sich im Formalen erschöpfen und daher ohne historische Relevanz sein können, bzw. deren Betrieb um ihrer selbst willen absolut sinnlos wäre. Gerade diese hilfswissenschaftlichste aller Hilfswissenschaften wird am wenigsten als .nicht zeitgemäß' eingestuft werden können. Sieht man von den so genannten Bindestrieh-1 nformatiken ab, so scheinen die Historischen Hilfswissenschaften die einzigen wissenschaftlichen Disziplinen zu sein, die durch ihre Funktion und nicht duřeli ihren Gegenstand, definiert sind, Gerade das ist es wohl, was sie krisenanfällig macht: wenn sich nämlich Wesentliches in jener Wissenschaft verändert, auf welche sie funktionell bezogen sind. Die Historischen Hilfswissenschaften brauchen sich daher nicht gegenüber der Gesellschaft zu rechtfertigen, wie alle anderen Wissenschaften. Sie tun dies allenfalls indirekt über ihren Dienst an den Geschichtswissenschaften, und insofern ist ihr Schicksal existentiell mit jenem der Geschichtswissenschaften verbunden, Geht es den Geschichtswissenschaften schiecht, so wird es auch den Historischen Hilfswissenschaften schlecht gehen. Ob dazu der entsprechende Umkehrschluss erlaubt ist, soll hier dahingestellt bleiben. An. dieser Definition der Historischen Hilfswissenschaften durch ihre Funktion ändert sich übrigens nichts, wenn man stattdessen die Bezeichnung als Historische Grundwissenschaften wählen wollte. Es handelt sich hier mehr um eine Frage des Kontextes als um eine des Prinzips. So wie jede wissenschaftliche Disziplin, je nach Zusammenhang, zur HiUswisseuschaft einer anderen weiden kann, so können auch die meisten Historischen Fiiltswissenschaft.cn um ihrer selbst willen betrieben und in einem solchen Zusammenhang mit Recht Grundwissenschaften genannt werden. Die Fragwürdigkeit solcher terminologischer Erörterungen wird spätestens dann klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in diesem Sinne sogar die Allgemeine Geschichte zur Hilfswissenschaft z. B. der Paläogia-phie werden kann.5 Was man üblicherweise als Flistorische FIilfswissenschaft.cn bezeichnet, ist im Übrigen nicht defini.torisch bestimmbar oder gar bestimmt, sondern ganz wesentlich das Produkt verschiedenster Entwicklungen: Die Alte Geschichte bleibt für gewöhnlich ausgeklammert, und zur Genealogie wird es erlaubt sein zu fragen, ob sie nicht viel eher die Kennzeichen einer Teilwissenschaft der Geschichte (wie etwa Siedlungs- oder Technikgeschichte) an sich trägt als die einer Hilfswissenschaft. Da wirken noch die Verhältnisse jener Zeit nach, in denen es die Geschichtswissenschaft (im modernen Sinn), der die Historischen Hilfswis- 5 Der Verfasser ist zudem schon aufgrund seiner eigenen Biographie nicht in der Lage, die Unterscheidung von Hilfs- und Grundwissenschaften wirklich ernst zu nehmen. Er war lange Zeit Angehöriger eines „Instituts für Historische Hilfswissenschaften", weiches dann aus taktischen Gründen als „Institut für Historische Grundwissenschaften" neu konstituiert worden ist, ohne dass sich an der Tätigkeit des Instituts deswegen etwas geändert hätte. Als Angehöriger dieses grund wissenschaftlichen Instituts übte er eine hiH'swissenschafdiche Venia aus, als Inhaber einer hilfswissenschaftlicb definierten Professur war er noch einige Zeit Leiter des grundwissenschaftlichen Institute. Unter solchen Umständen Gewicht auf einen inhaltlichen Unterschied zwischen Hilfs- und Grandwissenschaften zu legen, hieße, sich das Leben unnötig schwer zu machen. 382 Reinhard Harth Sind nn- Hts'j okischf.k I TTi.rsvt'is.st.NsCHAi-Tt-.N noch 7i:ri'<;f Mass? senschaften hätten helfen können, noch gar nicht gab, in einer Zeit, da genealogische Zusammenhänge noch das Geschick von Staatswesen und die Echtheit von Urkunden die Existenzgrundlage geistlicher Korporationen mitbestimmen konnten. Die Zuordnung der Genealogie zu den Hilfswissenschaften scheint eher historisch als methodisch begründet. Die Rolle der Historischen Hilfswissenschaften in der Mediävistik Entgegen vereinzelten Stimmen wird man nach wie vor davon ausgehen müssen, dass selbst die kühnsten historischen Gedankenflüge auch in Zukunft einer hiifs-wissenschaftlich abgesicherten Fakten- und Beurtcilungsgrundlage bedürfen, d. h. solange die Geschichtswissenschaft auf Quellen aufzubauen gedenkt. Die hervorragenden Vertreter der Historischen Hilfswissenschaften, haben sich aber nie auf ,ingenieurmäßige' Vorarbeiten beschränkt, sondern zugleich als Historiker gedacht und gearbeitet. Hier sollen nur zwei herausragende Beispiele angeführt werden, Horst Fuhrmann ist bereits in den sechziger Jahren vom Problem der Fälschungen zur Frage nach einem etwaigen besonderen mittelalterlichen Wahrheitsbegriff vorgestoßen, und später ist einer der größten mediävistischen Kongresse Piuropas daraus entstanden. In jüngster Zeit hat Peter Ruck, ausgehend von den altbekannten graphischen Zeichen in Urkunden wie Monogrammen und Rekognitionszeichen, die Tür zu bisher ungeahnten Symbolwehen aufgetan. Die Historischen Hilfswissenschaften sind damit, jedenfalls zum Teil, zugleich selbständige und wichtige Teildisziplinen der Kultur- und Verwaltungsgeschichte (usw.) geworden. Es geht nicht an, die Hilfswissenschaftelt an epigonalen Arbeiten (wie es sie in jeder Sparte gibt) zu messen, sozusagen eine Karikatur von ihnen zu entwerfen und diese dann mit Geringschätzung abzutun.6 Außer in epigonalen Arbeiten waren die Hilfswissenschaften wohl kaum jemals in wirklicher Gefahr, abgekoppelt von ihrer ursprünglichen Sinngebung zum Selbstzweck zu werden. Dem Verfasser will scheinen, dass eher das Gegenteil der Fall sein könnte, indem die Hilfswissenschaften heute mancherorts zu sehr in die Nähe von bloßen Arbeitstechniken gerückt werden und nicht zuletzt auch dadurch an Wertschätzung einbüßen.7 Möglicherweise hat die längst zum geflügelten Wort gewordene Bezeichnung der Historischen Hilfswissenschaften als ,Werkzeug des Historikers' eine ungewollte Wirkung in dieser Richtung gehabt. Es kann nur wiederholt werden: Eine solche Einschätzung gilt nur gegenüber phantasielosen Anwendungen der Historischen Hilfswissenschaften, doch hat jedes Fach das Recht, anhand seiner großen Leistungen gewürdigt zu werden. 6 In welchem Ausmaß die Hilis-wissenschaften sich nichr nur erweitert, sondern auch .innerlich1 neuen Wegen geöffnet haben, zeigt bereits die oben zitierte Einführung von DttORT 1969 [Anm. 4]. 7 Hinter dieser Einschätzung stehen nicht, zuletzt als unerfreulich erlebte Smdienplandiskussionen. Aber ob die Hilfswissenschaften zeitgemäß sind oder nicht, dafür sollte die Frage nach deren Eigenständigkeit oder Werkzeugcharaktcr ohnehin keine Rolle spielen, üb das eine oder das andere im Vordergrund stein, hängt jeweils vom Kontext der Ihllswisscnschaftiiehen Bemühungen ab, demgemäß sie als eigenständige Grundlagenforschung oder als eher werkzeughafte Anwendung zu gel ten haben. Übrigens ist allein die Letztere bereits ebenso segensreich wie im Großen und Ganzen nur unvollständig genutzt. Mit der letzteren Erscheinung möglicherweise in Zusammenhang steht der zugegeben subjektive Eindruck des Verlassers, dass die unmittelbare .Brauchbarkeit' der einzelnen Hilfswissenschaften zum Interesse bei den Studierenden in keinem direkten Verhältnis steht. Die Historischen Hilfswissenschaften müssen sich jedenfalls das Interesse mit immer mehr ähnlichen Spezialdisziplinen oder Forschungsgebieten teilen, sie sind genötigt, sozusagen ihren ganzen alten Erfahrungsschatz zum Gebrauch der historisch Forschenden bereitzuhalten, und sie mögen daher inhaltlich gegenüber manchen neueren Entwicklungen antiquiert wirken, obwohl sie leistungsfähig sind und obwohl es noch genug unerschlossene Anwendungsbereiche auch für die schon traditionellen Sparten dieser Disziplinengruppe gibt, Es dringt zuwenig ins allgemeine Bewusstsein, dass der Unterschied zwischen traditionellen und neuen Methoden unwesentlich ist gegenüber dem einzig maßgeblichen, nämlich jenem zwischen solchen Methoden, die im Zusammenhang mit einer bestimmten Problemstellung angemessen sind, und solchen, die es nicht sind. Im Bereich der einzelnen (!) Hilfswissenschaften erscheint' daher das Problem der allfälligen Unzeitgemäßheit in erster Pinie ein solches der C)ptik. Die Aufsplitterung der Historischen Hilfswissenschaften Ungleich heikler ist das Problem des hilfswissenschaftlichen Fächerkanons bzw. des Umhangs des Fachs. Es gibt einen klassischen Kanon von sieben oder acht Disziplinen, der aber stets als offen und schon vielfach erweitert gesehen wird und der auch als stets erweiterbar gilt.8 Solche Erweiterungen können sowohl durch Abspaltung als auch durch Neuaufnahme geschehen. Der numerischen Erweiterung der Hilfswissenschaften entspricht die inhaltliche, vor allem in Richtung einer verständnisvollen Einbettung der untersuchten Überlieferungen in die allgemeine Geschichte und Kulturgeschichte im weitesten Sinn und damit weg von einer allzu zeitgebundenen technischen Ausrichtung, deren Vorhandensein da und dort nicht geleugnet werden kann. 8 Zur Entwicklung des Faches vgl, HENNING, Eckart: Die Historischen Hilfswissenschaften -historisch gesehen!, in: BECK, Priedrich/HENNiNG, Eckart (Hg.): Vom Nutz und Frommen der Historischen Flilfswissenschaften. Beiträge der gemeinsamen Tagung des Herold mit seiner Fachgruppe .Historische Hilfswissenschaften' anläßlich ihres fünfjährigen Bestehens am 5. Oktober 1999 im Museum Europäischer Kulturen in Berlin. Dahlem (Herold-Studien 5), Neustadt a. d. Aisch 2000, S. 11-22. Zum Begriff selbst vgl. den unten in Anm. 13 angegebenen Titel- 384 R.wnha.ku HÄKl'1'1.. Sind po. Historischen Hilfswisskk»:i iaíton noci; -/.ku ct.mass? 385 So betrachtet könnten die Hilfswissenschaften eigentlich gar nicht veralten. Das Hauptproblem liegt nach Ansicht des Verfassers in einem eigentümlichen Gegensatz: Wenn es um die Definition der Hilfswissenschaften geht, wird gerne alles, was gut und teuer ist, als Hilfswissenschaft der Geschichte reklamiert, von der Realienkunde bis zur Historisehen Kartographie. Die in solchen Disziplinen erbrachten Leistungen kommen jedoch mit hoher Regelmäßigkeit aus einem Umfeld bzw. aus einem organisatorischen Rahmen, der sich nicht als hilfswissenschafdich versteht bzw. nicht als solcher anerkannt ist. So gilt die Wasserzeichenkunde fraglos als Hilfswissenschaft, aber Leistungen auf dem Gebiet der Realienkunde oder der Historischen Kartographie werden normalerweise nicht mehr als im Wesen hilfswissenschaftlich wahrgenommen bzw. gewürdigt, jedenfalls werden sie nicht selbstverständlich als integrierender Bestandteil einer hilfswissenschafflichen Venia legendi angesehen. Folgerichtig ergibt sich daraus für den ,Rest', d. h. für die traditionellen Hilfswissenschaften, wie Urkundenlehre oder Numismatik, zumindest nach außen hin ein vergleichsweise angestaubtes Image. Es ist insbesondere geradezu das Pech der Hilfswissenschaften, dass die derzeitige Zuwendung zu symbolischen und bildlichen Quellen zumeist nicht als hilfswissenschaftlicher Fortschritt wahrgenommen wird, obwohl es sich zumindest auch um einen solchen handelt. Die im Prinzip durchaus zutreffende Zuordnung moderner Richtungen zu den Historischen Hilfswissenschaften scheint daher dort, wo sie stattfindet, mehrheitlich eine nur theoretische oder beanspruchte und keine tatsächliche bzw. keine allgemein anerkannte zu sein. Diese Schere bildet wohl das Hauptproblem des Fachs. Die Kluft zwischen Anspruch und Realität wird sich mit fortschreitender Zeit zweifellos noch vertiefen. Zur Problematik der Zuordnung kommt noch jenes der Breite und Uneinheit-lichkeit. Die Bezeichnung „Historische Hilfswissenschaften" ist zwar ein Pluralwort, aber dabei, tut man doch so, als handle es sich um ein einziges Fach. Folgerichtig wird bei der Verleihung von Venien und bei der Besetzung von Professuren so getan, als könne eine einzige Person das gesamte Fach vertreten. Bei einem Fach mit Kern- und Randbereichen, wie etwa der Mittelalterlichen Geschichte, ist das gut möglich, indem man realistischerweise davon ausgeht, dass ein Fachvertreter neben einem sozusagen pflichtigen Kernbereich nicht alle Randbereiche als Forscher abdecken kann, und indem man daraus ableitet, dass er es auch nicht muss. Bei den Historischen Hilfswissenschaften haben wir es dagegen mit einer ganzen Reihe recht verschiedener Kernbereiche zu tun. Vor hundert Jahren konnte man vielleicht noch davon ausgehen, dass jemand alle sieben oder acht klassischen hillswissenschaftlichen Disziplinen auf hohem Niveau beherrschte. Je mehr Wissenseebiete heute als .Hilfswissenschaften1 reklamiert werden, umso mehr ist eine solche Vorstellung illusorisch. Die Kluft zwischen Anspruch und hilfswissenschaftlicher Realität wird somit immer größer. Es gibt wohl schon seit langem keinen Fachvertreter der Historischen Hilfswissenschaften mehr, der neben Paläographie usw. auch die Numismatik im vollen Sinne, d. h. auch einschließlich der metallurgischen Aspekte, vertreten und wesentlich gefördert hat. Folgerichtig gibt es auch keine als .hilfswissenschaftlich' bezeichneten Organisationen und ebenso wenig als ,hilfswissenschaftlich' ausgewiesene Kongresse oder Zeitschriften, wogegen doch sonst solche Plattformen zu den Kennzeichen eines Fachs gehören.9 In der Realität betreuen die Fachvertreter der Historischen Hilfswissenschaften bestenfalls jene Kerugnippc von Disziplinen (minus Numismatik plus Symbolik), wie sie schon um 1900 im Wesentlichen bestanden hat und heute einen immer kleineren "Feil dessen umfasst, was als Hilfswissenschaft theoretisch beansprucht, gutteils aber unter anderer Flagge betrieben wird. Es ist wahrscheinlich, dass das insgesamt abnehmende Gewicht des Fachs nicht zuletzt daher kommt. Zu fragen ist, ob die Zukunft in einer Art Arbeitsteilung bestehen wird oder kann, die sich etwa an den bekannten Schwerpunkten innerhalb der Historischen Hilfswissenschaften orientieren könnte und die sich auch in der Nomenklatur aus drücken müsste: Schrift, Bild, Symbol könnten einige Anhaltspunkte für spezia-lisfertere Fächer sein, ohne dass man sich der Illusion hingeben dürfte, dass eine rundum saubere und allseits befriedigende Lösung möglich wäre. Dazu kommt das schon angesprochene unklare Verhältnis zwischen engerem hilfswissenschaftlichem Fächerkanon und solchen Forschungsfeldern, die immer wieder als hilfswissenschaftlich beansprucht, werden. Gewissermaßen eine Abbildung dieses Verhältnisses findet sich in der jüngsten Bestandsaufnahme der Mediävistik durch Hans-Werner Goetz. Hier erscheinen diese beiden Bereiche zwar in einem Abschnitt zusammengefasst {„Hilfswissenschaften und Quellenkunde'1}, innerhalb dieses Abschnitts aber doch wieder deutlich geschieden, und zwar durch die Aufteilung in zwei Kapitel, „Historische Hilfswissenschaften" und „Quellen künde".10 In dem quellenkundlichen Kapitel werden eben jene Bereiche behandelt, die zwar theoretisch immer wieder einmal den Hilfswissenschaften zugerechnet werden, ohne dass dies weitere Anerkennung gefunden hätte.1' Folgerichtig wird die Quellenkunde hierbei den Historischen Hilfswissenschaften keineswegs untergeordnet; vielmehr werden beide Fächergruppen gleichberechtigt nebeneinander gestellt. In gewisser Hinsicht erscheint die (neuere) Quellenkunde sogar als das Wichtigere. Denn stets seien es die immer neuen Fragestellungen gewesen, die zur ,Entdeckung' und Auswertung bis dahin unbeachteter Quellen und von hier aus zur Erfassung ihrer Überlieferung und Entstehungsumstände sowie ihrer eigentlichen Funktionen und ihrer Eigenarten geführt haben, und damit letztlich zu einer neuen Bewertung. Dies habe auch ein gewandeltes Verhältnis zu den Quellen selbst und, mindestens ebenso wichtig, zu bislang weniger gewürdigten Quellengattungen bewirkt, indem die Quellen {zumeist eben Texte) immer weniger nur als Steinbrüche für Informationen dienen, sondern unmittelbar als Zeugnisse ihrer Zeit und 9 Das „Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegei- und Wappenkunde" gibt durch seine Bezeichnung zu erkennen, dass es immerhin einigen Hilfswissenschaften eine Heimstatt ist. Eher implizit gut dies auch für das Heroid-jahrbuch. 10 GoETZ, Hans- Werner; Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittekkerforschung, Darmstadt 1999, S. 151. 11 Wenn im Folgenden von Quellenkunde die Rede ist, dann ist damit nicht jene Grundlagenlchre gemeint, die immanenter Teil der Geschichtswissenschaft seihst ist, sondern es geht vielmehr um die jeweils spezifischen besonderen Quellenkunden (Plural), die jeweils besonderen Quelien-gattungen gewidmet sind, 386 Reinhard IIamt.l SlNP die i IlSTOIUSCMtN HlLl;SWISStNSCHAFTEN N'UCH ZEITGEMÄSS? 387 Produkte konkreter Entstehungsumstände betrachten werden. Die Memonalque!--len seien nur ein besonders markantes Beispiel dafür. Historische Hilfswissenschaften und Neue Quellenkunde Es ist unglaublich, wie sehr sich die Bilder gleichen. Denn diese Quellenkunden sind im Grunde kaum etwas anderes als der an speziellen Quellentypen orientierte Teil der Historischen Hilfswissenschaften. Diese bemühen sich in der Praxis ihrer eigenen Vertreter (von Qualität) ja auch nicht nur um die Sicherstellung von enthaltenen Informationen. Auch den traditionellen Hilfswissenschaften geht es um die Einordnung ihrer' Quellen in typologische Zusammenhänge sowie um die Einbettung in ihr historisches Ambiente. Sogar die Diplomatik ist, wie manche moderne Quellenkunde, aus dem Bemühen um die Bewältigung allgemeinerer Fragestellungen entstanden, und sie schreibt seit langem ein wichtiges Stück Kulturgeschichte, weit jenseits aller Steinbruch-Mentalität. Auch Numismatiker, Sphragistiker und Heraldiker tun dort, wo sie auf der Höhe der Zeit stehen, nichts anderes als die Bearbeiter von Memorialquellen, Kaiendarien oder Bußbüchern. Das Verhältnis zu aktuellen Fragestellungen ist für traditionelle Hilfswissenschaften und moderne Quellenkunden nur zeitverschoben: Wesentliche Innovationen gab (und gibt) es meist dann und dort, wo letztlich historische Fragestellungen mit den gegebenen Mitteln nicht mehr zu bewältigen waren. Wenn jemandem der Vorwurf gemacht werden kann, die Geschichtsquellen lediglich als .Steinbruch' für Informationen zu benützen, dann trifft dieser Vorwurf die Historikerzunft viel eher als jene der Hilfswissenschaftler. Aus der Sicht der Historischen Hilfswissenschaften gesehen bedeutet das Gesagte, dass viele, und gerade viele heutzutage besonders interessierende Quellen, sozusagen unter fremder Flagge bearbeitet werden. Wäre es anders, so gäbe es eine Hilfswissenschaft der Memorialistik ebenso wie die der Diplomatik, oder eine Hilfswissenschaft der Sepulcrologie ebenso wie jene der Sphragistik. Es fällt schwer, sich mit einem Zustand abzufinden, der stark zugespitzt so ausgedrückt werden kann: Wer Urkunden oder Münzen nach den angedeuteten Kriterien auswertet, betreibt eine Hilfswissenschaft, wer dasselbe mit Totenlisten oder mittelalterlichen Landkarten tut, betreibt Quellenkunde. Tatsache ist freilich, dass die traditionellen Historischen Hilfswissenschaften in der Mehrzahl aus praktischen Problemen zur Zeit des Ancien Regime erwachsen sind und dass aller Modernisierung zum Trotz ihr Renommee durch diese Herkunft offenbar beeinträchtigt wird. Der Ist-Zustand der Separation von (traditionellen) Historischen Hilfswissenschaften und neueren quelienkundlichen Forschungsbereichen ist unerfreulich, weil unlogisch. Dass man demgegenüber Hilfswissenschaften und Quellenkunden durchaus als wesensgleich ansehen darf, dafür gibt es einen prominenten Zeugen bzw. Eideshelfer: In der wohlbekannten Serie der „Typologie des sources du Moyen Äge occiderttal" finden sich die sozusagen anerkannt ,hilfswissenschaftlichen* Quellen und jene, die nicht Gegenstand einer ausdrücklich so bezeichneten Hilfswis- senschaft sind, ohne weiteren Unterschied friedlich vereint: Lh'kunden neben Predigten, Siegel neben der Kartographie, usw.12 Das ist, jedenfalls für den Verfasser, der Soll-Zustand. Der Name, unter dem diese vereinten hilfswissenschaftlichen Quellenkunden firmieren sollten, ist vergleichsweise eine ettraposterior. Die Hilfswissenschaften halsen sich von der Uberlieferung längst zu historischen Fragestellungen hin geöffnet, die Quellenkunden haben sich von historischen Fragestellungen zur Überlieferung hin geöffnet. Heute überschneiden sich die beiden Bereiche in sehr beachtlichem Maß. Es dürfte ein Hauptproblem der Historischen Hilfswissenschaften sein, ihr Verhältnis zu dem, was heute unter Quellenkunde(n) subsumiert wird, klar und nachvollziehbar zu definieren und diese Definition dann auch mit Leben zu erfüllen. Conclusio Die einzelnen Hilfswissenschaften haben, zumindest in ihren hervorragenden Vertretern, die Plattform des Technischen, des Beschreibenden, des Datierenden und Lokalisierenden, des Verifizierenden und des Falsifizierenden längst überschritten (deswegen aber keinesfalls verlassen). Ohne Anwendung und Weiterentwicklung ihrer Erkenntnisse wäre die mcdiävisusche Forschung entweder zum Stillstand verurteilt, oder sie wäre nicht mehr ernst zu nehmen. Die Art und Weise, wie den Historischen Hilfswissenschaften im Rahmen des universitären Geschichtsstudiums Rechnung getragen wird, ist daher in summa gesehen schlichtweg eine Katastrophe. Die Antwort auf die im Titel dieses Beitrags gestellte Frage lautet daher für die einzelnen Hilfswissenschaften unbedingt: Ja, sie sind für die Geschichtswissenschaft nach wie vor unentbehrlich und insofern zeitgemäß, wenn auch nicht überall in stürmischem Vorwärtsschreiten begriffen. Wer hilfswissenschaftliche Forschung und Lehre als nicht zeitgemäß ablehnt, muss zu jenen gehören, denen es genügt, auf der Basis von nicht hinreichend durchgecheckten Materialgrundlagen geistigen Überbau, um nicht zu sagen: Luftschlösser, zu errichten. Sollte das Zeitgeist sein, bleibt der Verfasser gerne unzeitgemäß. Bezüglich der ,Historischen Hilfswissenschaften' als Gesamtheit ist dem Verfasser eine so positive Antwort nicht möglich, Einerseits ist der klassische Kanon an Hilfswissenschaften längst nur mehr der historische Kern einer heute viel größeren Zahl an ähnlich ausgerichteten Disziplinen, und je nach Problemstellung nicht immer der maßgebliche. Wer vor hundert Jahren als HilfsWissenschaftler in der Lage war, den Historikcrkollegen bei fast allen Fragen quellenkundlicher Natur entscheidende Hilfestellung zu leisten, wird heute auch mit dem seitdem verbesserten Instrumentarium dieser Disziplinen immer öfter dazu nicht mehr in der Lage sein. Andererseits hat die Spezialisierung und Erweiterung der Histori- 12 Übrigens findet sich hier mit der Paläographie auch eine solche Hilfswissenschaft vertreten, die sich auf keinen spezifischen Queilentyp bezieht: Stiennon, Jacques: L'ecriture (Typologie des sources du Moyen Age occidental 72), Turnhout 1995. 388 Reinhard Härtľi Sind die Historischen Hilfswisslnsciiahi-n nucii »tigemass? 389 sehen Hilfswissenschaften längst ein Ausmaß angenommen, welches die realistische Vertretung des gesainten Faches durch eine einzige Venia bzw. eine einzige Professur, üblicherweise wohl ein Gradmesser für den Umfang eines Fachs, so gut wie illusorisch macht. Das Problem der Schere zwischen der tatsächlichen Beschränkung auf einen, traditionellen Kern hier und dem nicht einzulösenden Anspruch, auf alles irgendwie Quellenkundliche dort muss endlich einer grundsätzlichen Klärung unterzogen werden, als Voraussetzung für eine nach innen und außen begrtindbare studienmäßige und organisatorische Positionierung all dessen, was derzeit unter Hilfswissenschaften und Quellenkunde firmiert. Sonst könnte es noch geschehen, dass jemand den Clou zur fläehendeckenden Bearbeitung spätmittelakerhcher Urkundenmassen findet und dass dann nicht einmal diese Leistung mehr als hilfswissenschaftlich erkannt wird. Eine wesentliche Erschwerung für diese grundsätzliche Lösung dürfte das fundamentale Problem sein, dass Hilfswissenschaften und Quellenkunde z. T. erklärtermaßen dasselbe wollen, die Hilfswissenschaften sich aber sozusagen schon per definitionem neben die Allgemeine Geschichte stellen, während die Quellenkunden sich innerhalb dieser sehen. Aber es könnte doch einen Ausweg geben. In Italien sind in den letzten Jahren ganze Fakultäten für die „Bens cukurali" aus dem Boden gestampft worden. Die Lehrprogramme sind reich und bieten viele Auswahlmöglichkeken, erinnern aber in der grundsätzlichen Zusammensetzung in erstaunlichem Maß an das Konzept der „ficole des Chartes" und an jenes des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Denn ein eminent hoher Anteil der Lehrveranstaltungen ist als hilfswissenschaftlich bzw. als quellenkundlich anzusprechen. Es stellt sich die Frage, ob die Erforschung des Kulturerbes, heutzutage natürlich mit gesamteuropäischem Horizont, nicht jenes gemeinsame Hans sein könnte, in dem alle hilfswissenschaftlichen und quellenkundlichen Bemühungen ihre Heimstatt finden könnten. Es wäre dies vielleicht sogar der angemessenste organisatorische Ausdruck für zweierlei Formen von Mediävistik, die freilich in engster Kommunikation miteinander zu stehen hätten und durchaus auch jeweils in einer einzigen Person vereinigt sein könnten: eine, die von heutigen Fragestellungen ausgeht, und eine andere, die von der Uberlieferung ausgeht. Die Historischen Hilfswissenschaften wären dann nicht mehr funktionell, sondern inhaltlich definiert, und damit könnte zugleich einem anderen Anliegen Rechnung getragen sein: Die Historischen Hilfswissenschaften sind nicht nur für die Historiker da, sondern (in unterschiedlichem Grad) zugleich auch Hilfswissenschaften für die Philologien, die Kunstgeschichte, die Musikwissenschaft. In einem größeren Haus könnten sie auch mit naturwissenschaftlichen Komponenten (unter Einschluss auch der Techniken für Restauratoren) zusammengeführt werden. Das seit langem bestehende Nahverhältnis der im Prinzip nicht zeitgebundenen Historischen Hilfswissenschaften zur Mediävistik würde bei einer derartigen Neuorientierung zweifellos geschwächt werden; aber eine solche Verallgemeinerung' der Hilfswissenschaften lässt sich auch als längst fällige Korrektur einer unnötigen Einengung sehen. Die Historischen Hilfswissenschaften würden so vielleicht ihren gemeinsamen Namen aufgehen, sie könnten dafür aber erheblich an Bedeutung gewinnen.13 Es ist wohl nicht nur ein Zufall, dass der Begriff der Historischen Hilfswissenschaften, nicht in allen maßgeblichen Sprachen Europas gängig ist. 13 Da hiermit der Begriff der Historischen Hilfswissenschaften als solcher in Frage gestellt wird, muss auf ein Plädoyer zu dessen Gunsten aus jüngster Zeit hingewiesen werden: Henning, Eckart: Begriffsplädoyer für die Historischen „Hilfswissenschaften", in: Herold-Jahrbuch N. F. 1 (1996), S. 16-26; wieder abgedruckt in; Henning, Eckart: Auxilia historka. Beiträge zu den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Wechselbeziehungen, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 3-15. fm Gegensatz zu den Ansichten des Verfassers hat sich Eckart Hknnfng in einem Vortrag auf dem Trierer Archivarstag (Die aktuelle Lage der Historischen Hilfswissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, 18. September 2002) für die Beibehaltung der traditionellen Bezeichnung ausgesprochen. Der Verfasser dankt dem Genannten für die Überlassung des Manuskripts.