geschichtliche Grundbegriffe Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland Herausgegeben von j Otto Brunner Werner Conze Reinhart Kosclleck Band 1 A-D Ernst Klett Verlag Stuttgart Brnnt: Wovon ich einen Begriff habe, das kann ich auch mit Worten ausdrücken Falk: Nicht immer; und oft %eenig$ten* nicht *o, daß andre durch die Worte vollkommen eben denselben Begriff bekommen, den ich dabei habe. Lsssino Einleitung Die soziale und politische Sprache kennt eine Menge von Leitbegriffen, Schlüssel- oder Schlagwörtern. Manche tauchen plötzlich auf und verblassen schnell, viele Grundbegriffe haben sich dagegen seit ihrer Bildung in der Antike durchgehalten und gliedern noch heute — wenn auch in veränderter Bedeutung — unser politisch-Goziales Vokabular. Neue Begriffe sind hinzugetreten, alte haben sich gewandelt oder sind abgestorben. Immer hat sich die Mannigfaltigkeit geschichtlicher Erfahrung vergangener oder gegenwärtiger Zeiten in Begriffen der verschiedenen Sprachen und in ihren Übersetzungen niedergeschlagen. In Anbetracht dieses allgemeinen Befundes hat das vorliegende Lexikon eine bewußte Auswahl getroffen. 1 Der Zweck de« Lexikons Das Lexikon konzentriert sich auf die Untersuchung und Darstellung von rund 130 geschichtliehen Grundbegriffen. 1.1 Unter geschichtlichen Grundbegriffen sind nicht die Fachausdrucke der historischen Wissenschafben zu verstehen, die in eigenen Handbüchern und Me-thodenlehren dargelegt werden. Vielmehr handelt es sich hier um Leitbegriffe der geschichtlichen Bewegung, die, in der Folge der Zeiten, den Gegenstand der historischen Forschung ausmacht. Dabei ist die Historie als Wissenschaft — zwangsweise — auf den Wortgebrauch verwiesen, der in dem jeweiligen Sachbereich ihrer Fragestellung vorherrscht. Keine historische Forschung kann umhin, die sprachliche Auasage und Selbstauslegung vergangener oder gegenwärtiger Zeiten als Durchgangsphase ihrer Untersuchung zu thematisieren. In gewisser Weise ist die gesamte Quellensprache der jeweils behandelten Zeiträume eine einzige Metapher für die Geschichte, um deren Erkenntnis es geht. Das Lexikon beschränkt sich deshalb auf solche Ausdrücke, von deren Tragweite XIII und große B^^'**n,m*nh*nRe er' und durch ti*t*a yn .j^rn /^,tR «"—^S Ä****^. der wirt-toMM- "«d der *~n«hafV _ . „H.i?dch .feo um Bau»ttine für ein «' ^V, kt,,rM1 u,„l ah Indikatoren Srftet wurde, liegt schon ,n ^^.fj* beschloss A»ch Tu** «od«« Welt in der (Richte ihrer ***** «,g ^ hoffell dürferij der methodischen Klarheit und der inhaltlichen Ergiebigke z 8 Dm Lexikon behandelt vorzüglich und forschungsintensiv den Zeitraum ruiiü n«) bL an die Schwelle untrer Gegenwart. Der Schwerpunkt der Untersuchungen hegt auf der „tätlichen'' Begrifflichkeit, die mehr umfaßt ab nur moderne Bedeutungen. Gerade die Überlappungen und Verschiebungen „moderner und „alter" Wortbedeutungen werden erfragt. Deshalb wird in die Antike, auf das Mittelalter, auf Renaissance, Reformatio n und Humanismus ziirückgegriffen, soweit die Wortgeschichte der Begriffe uus diesen Zeitaltern herrührt. Ferner werden nur Begriffe des deutschen Sprachraume, wenn auch im Anschluß an die europäische Tradition, untersucht. Schließh'ch werden nur solche Begriffe analysiert, die den sozialen Umwandlungsprozeß im Gefolge der politischen und der industriellen Revolution erfassen bzw., von diesem Vorgang betroffen, umgewandelt, ausgestoßen oder provoziert werden. Das Lexikon ist also insofern gegenwartsbezogen, als es die sprachliche Erf der modernen Welt, ihre Bewußtwerdung und Bewußtmac hu ng durch Begriffe, die auch die unseren aind, zum Thema hat. Nicht aber war beabsichtigt, das gesamte politische und soziale Vokabular unserer aktuellen Gegenwart in seiner Herkunft aufzuzeigen. Ebensowenig war beabsichtigt, eine linirmstiflch abgestützte politische Semantik zu liefern, wenn auch das Lerikon für dieae - weithin noch brachliegende - Fragestellung nützliche Vorarbeit liefert. Vielmehr werden Leitbegriffe aus der vorrevolutionären Zeit über die revolutionären Ereignisse und Wandlungen ZZl m unseren Sprachraum hinein verfolgt (etwa 'Bürgerliche Gescllscha t g "fett*» Verfassungen), werden Neimen dZjJi; dt V schehen entsprechen (z.B. 'Cäsarismti*' 'K,? .^B»«!!*, die diesem Ge-'Faschismus'), und es werden R^T ' ^t^™ ' An^™tismu8', nofat, die ers JZ^Tb^^I^^ ^ ***** Wörte<* ^ schritt' oder 'G^chtr (™ Tort- XIV 1.3 Der beuri«ti*che Vorgriff der Lexikonarbeit besteht in der Vermutung, daß sich seit der Mitte de« inhtaihlih n Jahrhunderte ein tiefgreifender Bedeutungswandel klassischer topoi vollzogen, daß alte Worte neue Sinngehalte gewonnen haben, die mit Annäherung an unsere Gegenwart keiner Übersetzung mehr bedürftig sind. Der heuristische Vorgriff führt sozusagen eine „Sattelzeit" ein, in der sich die Herkunft zu unserer Präsenz wandelt. Entsprechende Begriffe tragen ein Janusgesicht: rückwärtsgewandt meinen sie soziale und politische Sachverhalte, die uns ohne kritischen Kommentar nicht mehr verständlich sind, vorwärts und uns zugewandt haben sie Bedeutungen gewonnen, die zwar erläutert werden können, die aber auch unmittelbar verständlich zu sein scheinen. Begrifflichkeit und Begreif-burkeit fallen seitdem für uub zusammen. Dieser Vorgriff hat sich, von bezeichnenden Ausnahmen abgesehen, bewährt. Die untersuchten politisch-sozialen Begriffe indizieren — auf ihre Geschichte hin befragt — einen langfristigen und tiefgreifenden, manchmal plötzlich vorangetriebenen Erfahrungswandel. Alte Begriffe haben sich in ihrem Bedeutungsgehalt den sich verändernden Bedingungen der modernen Welt angepaßt. Ohne daß Bich die Worte geändert hätten, haben z. B. 'Demokratie', 'Revolution', 'Republik' oder 'Geschichte' einen deutlich festzustellenden Übersetzungsvorgang vollzogen. Manchmal entstanden fast völlige Neuprägungen, wie 'Klasse' oder 'Sozialismus' — alte Ausdrücke, die erst unter ökonomischen Planungen und geänderten wirtschaftlichen Bedingungen zu zentralen Begriffen aufrückten, liier wird der Übergang zu Neologismen fließend, so wie es umgekehrt tradierte Worte gibt, die einen schleichenden politischen und gesellschaftlichen Bedeutungeschwund erleiden, wie 'Stand' oder 'Adel'. Der heuristische Vorgriff führt also zu einer Schwerpunktbildung, die von der geschichtlichen Fragestellung nach Dauer oder Überdauern der Herkunft und nach Wandel oder Umbruch durch die revolutionäre Bewegung bestimmt ist. Alle Be-griffsgesehichten zusammen bezeugen neue Sachverhalte, ein sich änderndes Verhältnis zu Natur und Geschichte, zur Welt und zur Zeit, kurz: den Beginn der „Neuzeit". Es ist eine vorerst noch nicht eindeutig beantwortbare Frage, ob der skizzierte Bedeutungswandel im Bereich der politisch-sozialen Terminologie, der analog natürlich für alle Epochenschwellen Tegistrierbar ist, seit rund 1750 beschleunigt stattgefunden hat. Dafür sprechen viele Indizien. Dann wäre dieNeuzeit" aufgrund ihres beschleunigten Erfahrungswandels auch als eine „neue Zeit" erfahren worden. Plötzlich aufbrechende, schließlich anhaltende Veränderungen machen den Er-fahningBhorizont beweglich, auf den die ganze Terminologie, besonders ihre relevanten Begriffe, reaktiv oder provokativ bezogen werden, Zunächst ist es auffallend und ein vom Lexikon bestätigtes Ergebnis bisheriger Forschung (Stammler), daß seit etwa 1770 eine Fülle neuer Worte und Wortbedeutungen auftauchen, Zeugnisse neuer Welterfassung, die die gesamte Sprache induzieren. Alte Auadrücke werden mit Gehalten angereichert, die nicht nur zum Vorfeld deutscher Klassik und des Idealismus gehören, sondern die in gleicher Weise die Terminologie für Staat und Gesellschaft — wie diese Bezeichnungen selber — neu profilieren. Es seien deshalb einige Kriterien genannt, kraft tierer sich der langfristige Vorgang seitdem gliedern läßt, ohne daß sie schon in alle einzelnen Artikel des Lexikons XV liflJrilun» li^.l..... Welt dehnt Mi'h der Anwendung,. I :tl Im 1* litt «ch •■flö*"'1'-" 1 im sin» ainti aktuellen Schlagworts ,^.„1, «ytc Begriff« «tu. « . tiBMhoai nachdem die lmchdruckerkunat ,im «w Art /Jrm-^-Tfrrti^. ?wa politische Flug-chriftMwtreit seit der R„, *rftjnd*a wir, der religiöse, soflaie F" Aufklärung11 beginnt sich — naob fomution alle Stande erfaßt. Aber erst ^'^^ die politische Sprühe ihrtr vorübergehenden Einen " Aus h Strutturrn' a , * U werfen- „^ben übersteigt die finanziellen und tlich luszählimgeiivonBc d<* ^^tiooen abstützen. Bedeutun^chichten eines W, .. , V ■ alao beide reg« und BflnennungsvorgÄDge a ^f olit^he und soziale Sachverbalte und um di«B*priffe vermitteln, W»ndel zielen. u zwischen Wort und Begriff ist im vorliegenden Le^ M Die *f ™h"^en Es wird also darauf verzichtet, das sprach," (Bezeichnung) - Bedeutung (Begriff) -«duftlufe D««^ für ^ Untersuchung zu verwenden. GR , che«iK„„HriHhe. . Isich^meiBtenWi der Mdbphaltoh-poKtiKhen Terminologie dehmtorisch von solchen Wfi unterscheiden lassen, die wir hier 'Begriffe', geschieht liehe Grundbegriffe nen Der Übergang mag gleitend sein, denn beide, Worte und Begriffe, sind immer m deutig.was ihre geschichtliche Qualität ausmacht, aber sie sind es auf verschft Weise. Die Bedeutung eines Wortes verweist immer auf das Bedeutete, sei es Oedanke, sei es eine Sache. Dabei haftet die Bedeutung zwar am Wort, aber speist sich ebenso aus dem gedanklich intendierten Inhalt, aus dem gesprochen oder geschriebenen Kontext, aus der gesellschafthchen Situation. Ein Wort V eindeutig werden, weil es mehrdeutig ist. Ein Begriff dagegen muß vieldeutig b ben, um Begriff sein zu können. Der Begriff haftet zwar am Wort, ist aber zugleich mehr als das Wort. Ein Wort wird - in unserer Methode — zum Begriff, wem» die Fülle ein« politisch-sozialen Bedeutnngszusammenhanges, in dem — und für den ein Wort gebraucht wirf, insgesamt in das eine Wort eingeht. waltung, SteuerZZ' f' *^Tt*m> »^tzgebung, Rechtsprechung, Vcr auf ihren Begriff gebracht B ^minolo«ie Werdeii vom Wort 'Staat' aufgegriffe», Wortbedeutungen und das &h° KoTlzentT^ vieler Bedeutungsgehalt«. fallen Bedeutung und BedeutT ****** getrennt 8edacht werden-Im sebichtücherWirkhchieitindioM^11 *U8am^. als die Mannigfaltigkeit g* "idem einen Wort iW. l^^^gkeit einpw \Vi-w*.t^ — ---ft «ü» nur XXII ort üren Sinn «faUt T i "mcs Wortes ao eingeht, daß sie nur ^ b^lffen "to- Ein Wort enthält Bedeutung. möglickkeiten, der Begriff vereinigt in sich Bedeutungsfülle. Ein Begriff kann also klar, muß aber vieldeutig sein. Er bundolt die Vielfalt geschichtlicher Erfahrung und eino Summe von theoretischen und praktischen Sachbrzügcn in eiiu'in Zusammenhang, der als solcher nur durch den Begriff gegeben ist und wirklich erfahrbar wird. Überspitzt formuliert: Wortbedeutungen können durch Definitionen exakt bestimmt werden, Begriffe können nur interpretiert werden. Am Beispiel des Begriffa 'Staat' läßt sich auch unsere Verwendung des Ausdrucks 'Terminologie' erläutern. 'Recht* ist ein Begriff, 'Rechtsprechung' dagegen ein — sachbezogener — Terminus. Das Lexikon baut, genau gesprochen, nicht auf behebigen Wörtern auf, Bondern auf der sozialen und politischen Terminologie, Ein Terminus versammelt in sich die Merkmale eines vorgegebenen Sachverhalte«, seine Bedeutung kann sach- oder fachspezinsch, wenn auc;h verschiedenp definiert werden. Ein Begriff hegt erst dann vor, wenn diejenigen Bedeutungen einzelner Termini, die einen gemeinsamen Sachverhalt bezeichnen, jenseits ihrer bloßen Bezeicbnungsfunktion in ihrem Zusammenhang gebündelt und reflektiert werden. In der Geschichte eines Begrifls verschiebt sich nicht nur eine Bedeutung des Wortes auf eine andere, sondern der ganze in das Wort eingegangene Komplex verändert sich in seiner Zusammensetzung und Bezogenheit. Eine Begriffsgeschichte birgt in sich immer den Prozeß vieler Komponenten. Alle Begriffet in denen sich ein ganzer Prozeß »cniiotiach zusammenfaßt, enteiehn sich der Definition; definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat (Nietzsche ). 2.5 Daß die Geschichte eich in bestimmten Begriffen niederschlägt und überhaupt zur Geschichte wird, wie sie jeweils begriffen wird, ist die theoretische Prämisse der hier angewandten historischen Methode. Insofern liegt unser Vorhaben nicht nur in der Mitte zwischen einer Wortgeschichte, an der sie nicht haften bliebe, und einer Sachgeschichte., die sie nicht liefern wollte. Es interpretiert die Geschichte durch ihre jeweiligen Begriffe so wie es die Begriffe geschichtlich versteht: die Be-griffsgesehichte hat die Konvergenz von Begriff und Geschichte zum Thema. Diese Konvergenz wird freilich nicht als Identität von Begriff und Geschichte verstanden oder dahingehend verflacht. Der naive Zirkelschluß vom Wort auf den Sachverhalt und zurück wird durchbrochen. Zwischen beiden besteht eine Spannung, die bald aufgehoben wixd, bald wieder aufbricht, bald unlösbar erscheint. Wortbedcutungswandel und Sachwandel, Situation«Wechsel und Zwang zu Neubenennungen korrespondieren auf je verschiedene Weise miteinandern Im Schnittpunkt solcher insgesamt geschichtlicher Vorgänge liegt ein jeweiliger Begriff, Man denke etwa an die Institutionsgeschichte der 'Säkularisation' und die dem entsprechende und doch weit abführende Geschichte desselben Ausdrucks. Unsere Methode pendelt deshalb zwischen semasiologischen, onomasiologisohen sowie sach- und geistesgeschichtlichen Fragestellungen hin und her: alle sind erforderlich, um den geschichtlichen Gehalt eines Begriffs zu erfassen. Ein treffender Begriff mag sogar fehlen, er kann tastend gesucht werden, er kann von alters her sich anbieten, aber nicht mehr stimmen, neue Worte treten hinzu, Bindestrich-bildungen häufen sich, weil neue Erfahrungen oder Hoffnungen formuliert sein wollen (vgl. etwa 'Social-Demokratie'). Gerade die Unzulänglichkeit beatiranr Begriffe für bestimmte Ereignisse oder Zustände macht sich sprachlich bemerkba wie etwa die schwerfällige Auseinandersetzung über die Verfassung des alten deut- XX1T1 w. * UaiiiEflnd' Treff»» lirrhwt. da« V«t- «-hen Heich» frühen ■W^s^s.^i.,. ,......, Krw«rlung.h„n«m ~ W«Uo oder dj- ^ ,fl nMl„ H^riff u. -I- wi. für «.ravhlich* Pragun^n, der endlich erfüllt »im. Bunde-teat1 um 1*« für das «ich .uflosend* Reich. (Ire Methode erbtet also keine Sechverhalte aus d,n sprachlich w,r>Wt-nt, Eben»««, beschrankt si. sich «f die ^tigen Äu^run^n ******** Sie vermeidet die UeUtesgeechichte sJ. ein« (Schicht, der Ideen oder ie materieller Pro«. «• führt vielmehr heran an die in den Jemen enthaltene Erfahrung und an die in ihn« angelegte Theorie, deckte jene theorief.higen Prämissen «f, deren Wendel siethemat*»**. In der Praxi, gibt es sahlreirbe Vollzüge oder Verhaltensweisen, die vor ihm »prachliohen Benennung xntagetreten - wie wiche, die erst durch ihr« sprachliche Erfassung tu geschichtlichen Phänomenen wurden. Die sprachliche Erfa«ung nelt tHMdeuna) auf Vorgang*, die außerhalb der Sprachbewegung hegen, die aber nur . ; . i u i begriffen werden können wenn der Wand»-! der Be- ■Hb seJbrt thematisiert wird. Des sucht dien Begrifbgeschichte zu leisten. Sie verwesst also auf den Strukturwandel der Geschichte — insofern bleibt sie Hilfe de? So««lwiwenschaften; sber nur im Milium der Begriffe — insofern gründet säe auf ihrer eigenen Theorie Beide Aspekte werden in den verschiedenen Artikeln auf ver-' pne Weite herausgearbeitet oder bevorzugt. 3 Quelles Sowenig wie alle genannten methodischen Ansätze für alle Stichworte verfolgt werden, »wenig dienen alle Quellenbereiche jedem Artikel. Die verwendeten Quellen richten sich natürlich nach dem Stichwort selber. Sie können aus allen Lebenabereichen und Wissenschaften stammen, wenn sie nur für die politische und soziale Terminologie wichtig geworden sind. Besonders für geschichtliche Grundbegriffe können theologische oder juristische, ökonomische oder naturwissenschaftliche Texte bedeutsamer sein als etwa solche der Historiographie. Formal lassen sich unsere Quellen in drei Gruppen teilen: 3,1 In alle Artikel ist die Lektüre repräsentativer Schriftsteller eingegangen. Bs ist die Ebene der „Klassiker** — oft nach Gesamtausgaben zitierb&r_, der Philosophen, der Ökonomen, der Staatsrechtler, insgesamt der Lehrbuch Verfasser oder der Dichter and der Theologen. 3.2 Entsprechend den zu erfragenden Bedeutungsfeldern reicht die Streuweite der Quellen weit in den Alltag hinein. Sie erfaßt Zeitschriften, Zeitungen, Pamphlete ebenso Akten der Stande und Parlamente, der Verwaltung und Politik' schheülich Bnefe und Tagebücher - um nicht xu reden von scheinbaren Zufsilsfunden in der -'iteratuT. 3.3 Drittens gehört zu jedem Artikel die Mindeetlektüre der großen Wfcrterfcüche, In jedem Fall kt-auch an/ Fehling hin - die Ebene der ItfaWh™ denen Lex*, und Enzyklopädien befragt worden Auf *j Eben!>ZJ£L XXIV VVisaeri und SelbstverständnU der Generationen ruedergesehlagen, erat der gelehrten, dann der gebüdeten Welt, schließlich der publizistisch erfaßten Öffentlichkeit. Die Differenz der drei Ebenen baw. Quelleagruppen tu erfassen, bleibt immer aufschlußreich für die Begriffabudung und ihre Wirkung. 3.4 Zitate werden häufig in extenso Rebracht, um jene Interpretation freizugeben, die aus einer Belegsammlung unsere Begriffageschichte macht. Deutsche Quellen -Zitate werden bis 1700 in ursprünglicher Schreibweise zitiert. Danach werden sie modernisiert, zumal nicht alle Quellen im Original greifbar waren. Nur dort, wo die eigentümliche Schreibweise auf die BegriffsgeBchichte eines Wortes zurückschließen läßt — wie bei 'Social-Demokratie', die zur 'Sozialdemokratie', oder wie bei *Race\ die zur 'Rasse' wird —, ist immer die quellengetreue Schreibweise beibehalten worden. 4 Gliederung und Darstellung 4.1 Das Lexikon ist alphabetisch gegliedert. Eine systematische Einteilung oder Gruppierung von Begriffen nach Sachgebieten wie etwa "Politik, Wirtschaft usw. oder nach zeitliehen Dimensionen wie etwa Traditionsbegriffe, Begriffe, die sich zur Gänze wandeln und Neologismen, int für unsere Fragestellung undurchführbar. Jede solche Einteilung bedeutet einen interpretatorischen Vorgriff, der sich nicht durchhalten läßt. Eine Reihung etwa der Begriffe 'Tyrannis', 'Despotie', 'Diktatur', 'Cäs&rismus', 'Faschismus1 mag sachgeschichtlich aufschlußreich sein, aber sie würde die Geschichte in einer Weise systematisieren, wie es von den Begriffen nicht vorauszusetzen ist. Oder Begriffe, die heute verschiedenen Sachbereichen zugewiesen werden müßten, wie 'Staat' und 'bürgerliche Gesellschaft* oder 'Staat' und 'Stand', konnten früher, freilich nicht ausschließlich, dasselbe meinen. Auch der Traditionsgehält eines Begriffes deckt sich nirgends mit dem anderer auf eine so exakt zu bestimmende Art, daß die zeitliche Tiefenlage gleichbleibender Bedeutungen einen gemeinsamen Nenner abgeben könnte. Nur reine Neologismen ließen sich nach diesem Prinzip ausgliedern. Jede solche Einteilung vergewaltigt also die Geschichte zumindest einiger Begriffe. Da* neutrale Alphabet bietet hier allein die Chance, so elastisch und der geschichtlichen Bewegung so angemessen wie möglich zu verfahren. 4.2 Innerhalb eines Artikels müssen freilich oftmals Stichwortgruppen zusammen behandelt werden. Ohne Parallel- oder Gegenbegriffe einzubeziehen, ohne AUgemein-uud Spezialbegriffe aufeinander zuzuordnen, ohne Überlappungen zweieT Ausdrücke zu registrieren, ist es gar nicht möglich, den Stellenwert eines behandelten Begriffs für das soziale Gefüge oder eine politische Frontstellung zu ermitteln. Überschneidungen, Überhänge oder Ausgliederungen von Bedeutungen können nur untersucht werden, wenn wechselnde Wortgruppen in einem Artikel zugleich auftauchen, etwa 'Einung', 'Liga und Union' im Artikel „Bund, Bündnis". Verschiedene Worte, deren Bedeutungsgehalte fast völlig konvergieren — wie 'Historie' und 'Geschichte' im 19. Jahrhundert —, können nur zusammen untersucht werden. Oder Worte aus zunächst verschiedenen Begriffsfeldem mögen zusammenfinden und alternierende Parallelbegriffe werden wie 'Revolution' und ^Bürger- XXV Einleitung I krieg': gelegentlich austauschbar können sie ebenso GegenbegrifFe werden, wa« ^ gemeinsam zu berücksichtigen fordert. Oder ein Wort kann sieb aMfächeni in Ver, achiedene Begriffe, Eine Eindeutschung des Wortes 'Staat' (atatus, etat) leistete faT Ausgliederung rein ständischer Bedeutungen Vorschub, Erat danach, gegen End des 18, Jahrhunderts, wurde 'Staat' zu einem Zentral begriff, und seitdem können 'Staat' und 'Stand' — anfangs im Wort 'status' zusammengehörig — sogar ?,Q Kontrastbegriffen werden. 'Stand' taucht demnach sowohl im Artikel „Staat" auf wie im Artikel „Stand und Klasse", die schon wegen unserer Hypothese einer Sattel-zeit zusammengehören. Wann ein Begriff als Grundbegriff definiert werden kann, hängt letztlich von der Beachtung des ganzen Sprachhaushalts ab. Nun laut sich freilich die Gesamtheit auch nur der politisch-sozialen Terminologie so wenig umgreifen wie die Vergangen* heit in toto wiederhergtellbar ist, Um festzustellen, was ein Grundbegriff sei, muß also — im Grunde das Problem jeder Interpretation — erfragt werden, was eigentlich vorausgesetzt sein sollte. Die wünschenswerte, aber uneinlösbare Kenntnis des gesamten Sprachziisammcnkanges wird jedenfalls heuristisch berücksichtigt, wenn die Darstellung eines Begriffs nicht an einem Stichwort hängen bleibt. Sonst würde nicht nur seine Qualität als Begriff, sondern auch seine Funktion als Grundbegriff verfehlt. Deshalb enthält das Lexikon eine Reihe von Schwerpunktartikeln, in denen geschichtlich sich bedingende Begriffe zusammengefaßt werden, 4.3 Die Länge de* Artikel schwankt demgemäß. Je nach Ergiebigkeit reicht sie, von Ausnahmen abgesehen, von 20 bis 60 Seiten, Damit wurden viele Autoren zu einer Beschränkung genötigt, die in einem starken Mißverhältnis 2ur geleisteten Vorarbeit und zur Menge der gesammelten Belege steht. Da Vollständigkeit auch hier unmöglich bleibt, wurde der dargestellten methodischen Begrenzung der Vorrang eingeräumt, was immerhin den Vorteil hat, daß noch manche Monographien zu erwarten sind, die über die Artikel hinausgreifen werden. 4.4 Grundsätzlich gliedern sieh alle Artikel in drei Teile: in den Vorspann, der che Wort- und Begriffsgeschichte an die frühe Neuzeit heranführt, in den Hauptteil, der die Entfaltung der neuzeitlichen Begrifflichkeit thematisiert, und in den Ausbück, der auf den gegenwärtigen Sprachgebrauch hinweist. Je nach dem behandelten Begriff fallen natürlich die Gliederung und Gewichtung dieser drei Teile verschieden aus. Im Vorspann kommen Antike — etwa der aristotelische oder der klassisch-römische Begriff —, kirchliche Tradition, Humanismus, französische oder deutsche Wortgeschichte zur Sprache. Sachgeschichtliche Einblendungen ergeben sich von selbst. Dabei wird immer vermieden, durch Raffung der Vergangenheit eine vermeintliche Gegenwelt hochzustilisieren. Oft zeigt sich, daß Begriffsgehalte dieser „Vorgest Iii' Ii ten4' tief in dan 19 und 20. Jahrhundert hineinreichen. Sie bieten dann den Untergrund oder werfen strukturale Fragen auf, von denen die modernen Erfahrung* gehalte, die in den Hauptteil fallen, um so deutlicher erschlossen werden können. Im Hauptteil ergänzen sieh — gemäß unserer Methode — syn chronische Quer-Schnitteanalysen und diachronische Tiefenbestimmungen. Gerade der wechselnde Zugriff erhellt die Geschichte eines Begriffs, die nie auf eine feste Ureprungsbedeu tung reduzierbar ist. Für die Darstellung bleibt die zeitlich« Abfolge leitend: Dauer, Einleitung Wandel und Neuheit lassen sich nur chronologisch erfassen und somit historisch interpretieren. Die Begriffsgeschichte ist, streng genommen, „Zeitgeschichte" der Begriffe. Damit mag auch für unsere eigene Zeit, auf die der Ausblick verweist, der historisch-kritische Anspruch unserer Begriffsgeschichte durchklingen. Es würde die Methode ändern und den Umfang sprengen, wenn der gegenwärtige Sprachgebrauch in seinem schnellen Wechsel und mit seinen universalen Neologismen eigens untersucht werden sollte. Für eine politische Semantologie der Gegenwart leistet das Lexikon allenthalben Vorarbeit. 4.5 Als Autoren konnten Gelehrte gewonnen werden, die den Begriff von ihrem eigenen Fach her historisch am besten erfassen. Damit wurden notwendigerweise fachliche Präferenzen gesetzt, die manchmal durch besondere, eigens gezeichnete Abschnitte anderer Verfasser ergänzt werden. Auch gemeinsame Ausarbeitung eines Artikels erwies sich, wenn die Gelegenheit sich bot, als vorteilhaft. Schließlich war es günstig, einige Artikel entlang der Chronologie auf mehrere Autoren zu verteilen. Insgesamt arbeiten außer Historikern Vertreter vieler Fakultäten am Lexikon mit: Juristen, Ökonomen, Philologen, Philosophen, Theologen und Sozialwissenschaftler. Wenn sich die vorgelegten Artikel über die methodisch durchgängigen Gesichtspunkte und die daraus folgende Gliederung hinaus weiter unterscheiden, so ist das natürlich auch und nicht zuletzt durch die individuelle Verantwortlichkeit der Verfasser und ihre eigenen begriffsgeschichtlichen Fragen bedingt. Sowenig wie ein geschichtlicher Begriff läßt sich seine Geschichte endgültig festlegen. Beinhart Koselleck