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Es ist ein tief berechtigtes und immer nachdrücklicher sich durchsetzendes Bestreben unserer Zeit, das Leben der Gesellschaft, seine Formen und Äusserungen in klarer, wissenschaftlich durchgearbeiteter und literarisch wertvoller Darstellung zur Kenntnis aller Gebildeten zu bringen. In der reichen Literatur, die aus diesem Bestreben erwachsen ist, kam bisher eine Betrachtungsweise allzu wenig zur Geltung, die mehr als irgend eine andere geeignet ist, dem Laien die Zusammenfassung und Belebung des von den sozialen Wissenschaften dargebotenen Tatsachenmaterials zu ermöglichen : die psychologische. Ihr wollen wir in unserer Sammlung eine Stätte schaffen. Wurde die Wechselbeziehung von Menschen, das soziale Grundphänomen, bisher in ihrer äußeren Ansicht festgehalten, so soll hier versucht werden, die innere zu durchleuchten. Wurden bisher fast ausschließlich der äußere Aufbau des Lebens der Gesellschaft und die wirtschaftlichen Werte, die es erzeugt, erörtert, so soll hier seine Bedeutung für die Seele des Menschen, sein seelischer Ursprung und seine seelischen Wirkungen zum Ausdruck kommen; es soll gezeigt werden, wie aus Empfindungen und Willensregungen das Soziale entsteht und wie es neue Empfindungen und Willensregungen auslöst. Gezeigt soll dies werden nicht in abstrakter Untersuchung der allgemeinen Probleme, sondern durch eine psychologische Darstellung der einzelnen konkreten Erscheinungen. Jede Monographie unserer Sammlung wird ein besonderes Stück gesellschaftlichen Lebens, eine bestimmte Form menschlichen Zusammenlebens, ein bestimmtes Gebilde menschlicher Wechselwirkung beschreiben und in der Beschreibung auf seinen seelischen Gehalt und Sinn hin analysieren. Wir möchten in der ,, Gesellschaft" eine Reihe von Arbeiten bringen, die methodische Exaktheit mit lebendiger, aus der unmittelbaren Wirklichkeit schöpfender Uxspriinglichkeil, sachliche Positivität mit persönlicher Eigenari vereinigen. Wir haben versucht und versuchen, die Rftnifenen zur Mitarbeit heranzuziehen : Vertreter der psychologischen Methode in der Wissenschaft, Vertreter der psychologischen Anschauungsweise in der Literatur, endlich Vertreter der Lebensgebiete selbst, von denen in den Bänden unserer Sammlung gesprochen werden soll. Jeder Einzelband wird ein Ganzes bilden. Zugleich aber hoffen wir, daß die Monographien mit der Zeit sich zu einer Gesamtdarstellung der Psychologie der Gesellschaft zusammenschließen werden. Zunächst sind folgende Bände in Aussicht genommen: Georg Simmel Fritz Mauthner Ferdinand Tönnies Franz Oppenheimer Albrecht Wirth Harry Graf Kessler Martin Buber Die Religion i 1 Als erste Bände der Sammlung sind erschienen Band I Das Proletariat von Werner Sombart Sombart schildert das Seelenleben des modernen Proletariers. Er zeigt, was dieser an Kraft des Heimatsgefühls, an Innigkeit der Familiengemeinschaft, an Sicherheit und Bodenständigkeit des Daseins eingebüßt hat, und vergleicht damit, was er an Verstandesausbildung, an Solidaritätsbewußtsein; an kritischer Fähigkeit gewonnen hat. Er schreibt die Tragödie der Arbeiterseele. Band II Die Religion von Georg Simmel Die Religion ist nach Simmel keine starre, für sich bestehende, dem übrigen Leben ferne Macht, sondern sie ist ein Grundgefühl, das in dem Verhältnis des Kindes zu den Eltern, des Patrioten zum Vaterland, des Kosmopoliten zur Menschheit, des Arbeiters zu seiner Klasse, des Soldaten zur Armee, des Freundes zum Freunde, des Liebhabers zur Geliebten sich kundgeben kann. Diese These wird in tiefgreifender Analyse an den einzelnen Problemen durch- geführt. Band III Die Politik von Alexander Ular Ular zieht die großen Linien, die aller Politik zugrunde liegen: er stellt die Herrschaft des religiösen Motivs der des wirtschaftlichen gegenüber und legt deren Konflikte und Ausgleichungen dar. In farbenreichen, fesselnd erzählten Beispielen, die von Dschingischan und vom Dalailama, von Hammurabi und den Pharaonen, von den tibetischen Klöstern und der französischen Revolution berichten, skizziert er das Walten dieser zwei Urtriebe in der Weltge- schichte. Band IV Der Streik von Eduard Bernstein In zugleich gründlicher und interessanter Darstellung gibt Bernstein die Geschichte und die Psychologie des Streiks. Er untersucht seine Ursachen und seine Zwecke, seine Form und Entwicklung, seine Strategie und Taktik, seine Waffen und sein Recht, seine Kosten imd seine Wirkungen, wie auch die Mittel und Organe der Streikverhütung, endlich das Wesen des politischen Streiks. Als nächste Bände erscheinen: Band V Die Zeitung von J. J. David Die Zeitung wird hier gleichsam von innen angeschaut: wie sie ist und wie sie wird, welche neuen Seelenwerte sie schafft und welche Opfer an seelischer Entwicklung sie fordert. Die Wechselwirkung zwischen Zeitung und Publikum, die Stellung, Bedeutung urtd Bestimmung des Journalisten werden in scharfer und auf den Grund der Dinge eindringender Weise dargelegt. Band VI Der Weltverkehr von Albrecht Wirth Wirth gibt einen Überblick über das Wesen und den Herrschaftsbezirk der modernen Verkehrsmittel ; er untersucht ihren Einfluß auf Rhythmus und Tempo des Lebens, auf die Beziehungen und das Seelenleben der Menschen, auf den großen Komplex von Erscheinungen, der das Dokument dieser Beziehungen und dieses Seelenlebens ist : die Kultur. Band VII Der Arzt von Ernst Schweninger Schweninger setzt sich mit allen Fragen auseinander, die sich aus dem Verhältnis zwischen Arzt und Gesellschaft durch die Konstellation der letzten Jahrzehnte ergeben haben. Die behandelten Gegenstände sind: Die Humanität; das Wesen des Arztes; Arzt und Kranke (die Frage des „Vertrauens", Einfluß von Mensch auf Mensch, „Seelenarzt", Krankheit und Gesundheit usw.); Arzt und Staat; der ärztliche Stand (Standesverfassung, Standesehre, Konkurrenz, Kollegialitätsbegriff, Kurpfuschertum) ; der ärztliche Beruf (Frage des Gelderwerbs u. a.) ; Arzt und Gesellschaft (Einfluß auf Lebensform und Lebenshaltung; Hygiene, Gutachten, Fürsorge, Verbrechertum, Pathographie) ; Heilstätten, Krankenkassen, Heime, Gesellschaften zur Bekämpfung von Krankheiten, Krankenhausverfassung usw.; Erziehung des Nachwuchses. BESTELLZETTEL Ich bestelle hiermit aus dem Verlage der Literarischen Anstalt Ratten & Loening in Frankfurt a. Main bei der Buchhandlung von in DIE GESELLSCHAFT Expl. Bd. I Sombart, Das Proletariat.. Karton. Mk. 1.50 Expl. Bd. I —» — Gebund. Mk. 2.— Expl. Bd. II Simmel, Die Religion .. .. Karton. Mk. 1.50 Expl. Bd. II —»— Gebund. Mk. 2.— Expl. Bd. III Ular, Die Politik Karton. Mk. 1.50 . Expl. Bd. III —»— Gebund. Mk. 2.— Expl. Bd. IV Bernstein, Der Streik .. .. Karton. Mk. 1.50 . Expl. Bd. IV —»— Gebund. Mk. 2.— sofort nach Erscheinen Expl. Bd. V David, Die Zeitung Karton. Mk. 1.50 Expl. Bd. V —»— Gebund. Mk. 2.— Expl. Bd. VI Wirth, Der Weltverkehr .. Karton. Mk. 1.50 Expl. Bd. VI —»— Gebund. Mk. 2.— Expl. Bd. VII -Schweninger, Der Arzt . .. Karton. Mk. 1.50 Expl. Bd. VII —»— Gebund. Mk. 2.— Ich bitte gleichzeitig mir alle weiteren Bände sofort nach Erscheinen zur Ansicht —fürfeste Rechnung — senden zu wollen. Name: Ort: Wohnung: Nichtzutreffendes bitte zu durchstreichen. Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig. 30891 DIE GESELLSCHAFT Bd. IV: Der Streik von Ed. Bernstein In zugleich gründlicher und interessanter Darstellung gibt Bernstein die Geschichte und die Psychologie des Streiks. Er untersucht seine Ursachen und seine Zwecke, seine Form und Entwicklung, seine Strategie und Taktik, seine Waffen und sein Recht, seine Kosten und seine Wirkungen, wie die Mittel und Organe der Streikverhütung, endlich das Wesen des politischen Streiks. Bd. VI: DerW^eltverkehrv.Albr.Wirth Wirth gibt einen Oberblick über das Wesen und den Herrschaftsbezirk der modernen Verkehrsmittel; er untersucht ihren Einfluß auf Rhjrthmus und Tempo des Daseins, auf die Beziehungen und das Seelenleben des Menschen, auf den großen Komplex von Erscheinungen, der das Dokument dieser Beziehungen imd dieses Seelenlebens ist: die Kultur. Bd. VII: Der Arzt von E. Schweninger Schweninger setzt sich mit allen Fragen auseinander, die sich aus dem Verhältnis zwischen Arzt und Gesellschaft durch die Konstellation der letzten Jahrzehnte ergeben haben. Die behandelten Gegenstände sind: Die Humanität; das Wesen des Arztes; Arzt und Kranke (die Frage des „Vertrauens", Einfluß von Mensch auf Mensch, „Seelenarzt", Krankheit und Gesundheit usw.); Arzt und Staat; der ärztUche Stand (Standesverfassung, Standesehre, Konkurrenz, Kollegialitätsbegriff, Kurpfuschertum) ; der ärztliche Beruf (Frage des Gelderwerbs u.a.); Arzt und Gesellschaft (Einfluß auf Lebensform und Lebenshaltung; Hygiene, Gutachten, Fürsorge, Verbrechertum, Pathographie, Heilstätten, Krankenkassen, Heime, Gesellschaften zur Bekämpfung von Krankheiten, Krankenhausverfassung usw.); Erziehung des Nachwuchses. Weitere Bände befinden sich in Vorbereitung! DIE GESELLSCHAFT Bd. i:Das Proletariat von VJ. Sombart Sombart schildert das Seelenleben des modernen Proletariers. Er zeigt, was dieser an Kraft des Heimatsgefühls, an Innigkeit der Familiengemeinschaft, an Sicherheit und Bodenständigkeit des Daseins eingebüßt hat, und vergleicht damit, was er an Verstandesausbildung, an Solidaritätsbewußtsein, an kritischer Fähigkeit gewonnen hat. Er schreibt die Tragödie der Arbeiterseele. Bd. II : DieReligion von Georg Simmel Die Religion ist nach Simmel keine starre, für sich bestehende, dem übrigen Leben ferne Macht, sondern sie ist ein Grundgefühl, das in dem Verhältnis des Kindes zu den Eltern, des Patrioten zum Vaterland, des Kosmopoliten zur Menschheit, des Arbeiters zu seiner Klasse, des Soldaten zur Armee, des Freundes zum Freunde, des Liebhabers zur Geliebten sich kundgeben kann. Diese These wird in tiefgreifender Analyse an den einzelnen Problemen durchgeführt. Bd. iii:Die Politik Ton Alexander Ular Ular zieht die großen Linien, die aller Politik zugrunde liegen: er stellt die Herrschaft des religiösen Motivs der des wirtschaftlichen gegenüber und legt deren Konflikte und Ausgleichungen dar. In farbenreichen, fesselnd erzählten Beispielen, die von Dschingischan und vom Dalailama, von Hammurabi und den Pharaonen, von den tibetischen Klöstern und der französischen Revolution berichten, skizziert er das Walten dieser zwei Urtriebe in der Weltgeschichte. DIE GESELLSCHAFT SAMMLUNG SOZIALPSYCHOLOGISCHER MONOGRAPHIEN PREIS EINES JEDEN BANDES LEICHT KARTONIERT M. 1.50 IN LEINWAND GEBDN. M.2.00 DIE GESELLSCHAFT SAMMLUNG SOZIALPSYCHOLOGISCHER MONOGRAPHIEN HERAUSGEGEBEN VON MARTIN BUBER FÜNFTER BAND: : J. J. DAVID : DIE ZEITUNG DIE ZEITUNG VON j!jrDAVIDIH FRANKFURT AM MAIN LITERARISCHE ANSTALT : RÜTTEN & LOENING : Einband- und Vorsatz-Zeichnung sind Ton Peter Behrens : : : Die Initialen zeichnete Hermann Kirchmajr : : : übersetzungsrecht, sowie alle anderen Rechte vorbehalten Published December lo, 1906. Privilege of Copyright in the United States reserved under the Act approved March 3, 1905 by the Literarische Anstalt Rütten & Loening, Frankfort o. M. PK l9oG 632532 i. 4-. S"4 Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig : D^ EMIL LOEWY IN SULZ-STANGAU IN FREUNDSCHAFT UND DANKBARKEIT J. J. DAVID ov^c^DflNNERHALB EINER KURZEN ZEIT HAT 0oaono ^OQ^d alles Pressewesen einen Aufschwung und eine Bedeutung gewonnen, welche selbst diejenigen überraschen müssen, die beides vorauszusehen glaubten. Es haben sich dabei die Lebensbedingungen der Zeitung und derjenigen, die ihr dienen, in mehr als einer Hinsicht für immer verschoben. Es lohnt vielleicht, dem Bestehenden und dem, das sich ankündigt, einen Blick zu widmen. Im sonderbaren Gegensatz zu der steigenden Zahl und Macht der Zeitungen stehen nun aber zwei Tatsachen : allenthalben führt der größte Teil der Blätter einen harten, einen fast verzweifelten Kampf um die Existenz, muß zu den merkwürdigsten und oftmals den unwürdigsten Mitteln greifen, nur um sich darin zu behaupten. Einzelne Unternehmungen haben den Boden gefunden, darin sie erwachsen und sich behaupten können. Sie bewahren unerschütterlich, trotz allen Scheltens, ihre Geltung, lohnen den Eigentümern in jeder Hinsicht reichlich. Andere setzen sich mit erstaunlicher Raschheit durch, während manche trotz aller Anstrengungen, trotz redlichen Fleißes und der Begabungen, die sich um sie bemühen, durchaus nicht gedeihen wollen. Wiederum ist es manchmal, als sei der Nährboden selber erschöpft. Ein Blatt hat sich eine ansehnliche Periode hindurch lebendig und wirksam bewährt; es hat sich Ansehen gewonnen. Und plötzlich beginnt es zu 5 kümmern und nichts will ihm mehr frommen oder anschlagen. Man kann nicht behaupten, die Summe der Leistungen, die es in sich beschließt, sei geringer oder miinder geworden; die Sorgfalt habe nachgelassen, die man ihm zugekehrt. Es hat dem Tag gedient und dabei selber seinen Tag vollendet. Arbeiten, die noch vor kurzem an der gleichen Stelle den höchsten Beifall gefunden, die begegnen nun nur noch einem gewissen, mitleidigen Achselzucken, wie man es soweit achtbaren, aber verlorenen und gleichgültigen Bestrebungen zu widmen pflegt. Ferner: es ist unter den Gebildeten und den Reifen aller Parteien eine große Müdigkeit gegenüber der Zeitung, die sich oft genug bis zur offenen und unverhohlen bekannten Abneigung steigert. Man bespöttelt gern ihre Anmaßung, abschließend zu urteilen, Stimmung und Gesinnung machen zu wollen; die Eilfertigkeit, mit der sie ihr Sprüchlein allem, das sich unter dem Himmel begibt, gegenüber nun einmal hersagen muß. Man will sie nur noch als Materialiensammlung anerkennen und gelten lassen. Die Begebenheiten habe sie zu buchen. Die Folgerungen daraus aber möchte jeder am liebsten selber ziehen, er empfindet es, je nach dem Grade seiner Selbständigkeit, als fatal, immer eine Ansicht in den Kauf nehmen zu sollen, die doch, so oder so, ihr Gewicht und ihren Einfluß hat. Nun aber ist der Gereiften immer weniger, als der Reifenden; es sind immer mehr auf dem Marsch, als sich am Ziele befinden. Je allgemeiner ein bestimmter, nicht gar zu hoher Grad von Volksbildung erreicht wird, je mehr 6 sich gewisse Begriffe, der Stimmung und dem Verständnis der Menge gemäß und erfaßlich, verbreiten und durchsetzen, desto unbändiger schwillt die Flut der Zeitungsliteratur an. Eine Untersuchung, wie sie einmal eine -spielende und dennoch für Aufklärung und Erhellung von Vorstellungen nicht unwichtige Statistik anzustellen liebte, etwa dahin gehend, wie viel Meter -Zentner Zeitungspapier allein in deutschen Landen alljährlich bedruckt werden, welchen Wert sie darstellen, welche Fläche Erde sie ausgebreitet decken würden, wie groß die Anzahl Menschen ist, die erst bei ihrer Zubereitung, hernach anders bis zu dem Augenblicke, da ein fertiges Journal dem Leser in die Hand geschoben wird, ihren Unterhalt daran finden, wäre keineswegs uninteressant und möchte leicht erstaunhche Zahlen geben. Und nun ist abermals ein befremdender Widerspruch zu verzeichnen: je mehr die Geringschätzung — echt und nur zu oft gemacht — des Zeitungswesens wächst, desto klarer wird auch die Erkenntnis, wie untrennbar es mit unserer Kultur, mit ihrem Gang und aller ihrer Entwicklung verwachsen, wie sehr und wie unmittelbar es ihr Ausdruck ist. Man sammelt die Blätter, die der einzelne achtlos fortwirft und die man vordem verflattern ließ, und verwahrt sie für die Zukunft, gewiß, damit den kommenden Geschlechtern und ihren Forschern mehr als nur eine an sich immerhin kostbare Häufung und Buchung von Tatsachen in die Hand zu geben, die sie nach dem Stand ihrer Erkenntnis und dem Befund ihrer Quellen prüfen, deuten, verarbeiten mögen. 7 IE EHRSAME und tapfere Buchdruckerswitib, die, ihren kleinen Betrieb und die Leistungsfähigkeit der ererbten paar Quetschen auszunutzen, beherzt ihr Blättchen gründet, das im Laufe der Begebenheiten l^fffffiT (^^^ch Gunst der Umstände zum Welt. IllllLllll lUblatt wird, die gehört längst und für ewig der Legende an. Es ist auch in undenklicher Zeit kein Fall eines behutsamen Wachstumes mehr zu verzeichnen gewesen. Daß ein Journal sich erst in kleinerem Umfang Vertrauen gewann und einen Leserkreis sicherte, der ihm auch getreu blieb, wenn es hernach seinen Umfang erweiterte, das hat sich, wie es scheint, gleichfalls mindestens meines Wissens schon sehr lange nicht begeben. Immer höher werden die Kosten einer ähnlichen Gründung, jemehr die Entfernungen durch den verbesserten und beschleunigten Verkehr schwinden. Die Möglichkeit besteht, Nachrichten aus zweiter Hand innerhalb eines ganzen, großen Gebietes fast gleichzeitig mit der ersten Hand zu erhalten und zu nutzen. Sie ist nur eine Frage des Kostenpunktes. Wer aber vor solchen Ausgaben zurückschreckt, der verzichtet auf alle Konkurrenzmöglichkeit. Denn immer zeitiger gelangen die Blätter der Hauptstädte, die in mehr als einer Hinsicht schon als Sitz der höchsten Behörden und der bei ihnen zusammenströmenden Nachrichten führend sein müssen, die einen weiteren Vorsprung haben, schon durch die Möglichkeit einer stärkeren Bemusterung und Auslese unter denen, welche sich ihrem Dienste widmen wollen, nach der Provinz. Es muß, mindestens im Tatsächlichen, annähernd auch in der Klein- 8 Stadt das Gleiche geboten werden, wie es der Großbetrieb hat. Dazu kommt noch, daß die großstädtischen Unternehmungen mit ihrer manchmal ganz unglaublichen Fülle von Lesestoff, mit ihrem glänzend organisierten und die weite Welt umspannenden Nachrichtendienst, der überall seine Quellen hat, sich zum guten Teil zu einem Preis anbieten, der auch nach der schärfsten und genauesten Rechnung unmöglich die Selbstkosten decken kann. Die Einnahme aus dem Gelde des Abnehmers ist Nebensache. Worauf ursprünglich die ganze Rechnung gestellt sein mußte, das steht gegenwärtig nur noch, im günstigsten Fall, in zweiter Linie, ist oftmals vollends ins Hintertreffen gedrängt. Eine möglichst große Verbreitung ist allerdings erwünscht, wenn sie zu Beginn noch so sehr die Bilanz drücken und die Gründungskosten steigern sollte. Sie muß mit allen Mitteln der Lockung, der Reklame, der Sensation erzwungen werden. Darin allein liegt nämlich die Möglichkeit jenes umfänglichen Anzeigenteiles, der, mit wachsendem und wagelustigerem Geschäftsleben, mit steigender Nötigung, sich durch alle Künste und Behelfe bemerklich zu machen, immer größeren Raum der Zeitung in Anspruch nimmt, der mehr und mehr auch dahin dringt, wo man ihn eigentlich nicht suchen noch vermuten sollte, der alle aufgewendeten Mühen und Summen zu Zinsen und zu lohnen vermag. Dadurch aber wird der Raum mehr und mehr eingeengt, da sich Gesinnung und Begabung bekunden und betätigen können. Und ganz besonders der Ungeübte empfindet notwendig dem Inhalt der Zeitung gegenüber ein Gefühl steigender Unsicherheit, eines großen aber unklaren Mißtrauens. Für ihn hat nämlich das gedruckte Wort an sich sein Ge- 9 wicht. Was nicht des Vermerkens wert wäre, das möchte man doch unmöglich sammeln und ihm eine so große Verbreitung geben. Und nun merkt er wohl : es ist nicht alles aus der Überzeugung und aus der Uneigennützigkeit heraus empfohlen, das ihm die Zeitung, seine Zeitung, an die er gern aus vollem Herzen glauben möchte, anrühmt. Er ist einmal gar vielleicht selber hereingesprungen und besah hernach seinen Schaden. Und so kommt über ihn der Zweifel und eine Erkenntnis, so groß die Macht der Zeitung für allgemeine Bildung sei, so läge doch auch ein korruptes und korrumpierendes Element in ihr. Persönlichkeiten an der Spitze, die von Amts wegen imponieren, können solche Bedenklichkeiten mildern — man erinnere sich der unbedingten Macht der Zentrumspresse über ihre Getreuen und des unerhörten Einflusses mancher, keineswegs ausnehmend geschickt gemachter Arbeiterblätter —, aber kaum mehr ganz besiegen. Es ist auch im allgemeinen zu viel verlangt, daß der Leser Urteil genug habe, die Scheidung der Ressorts im eigenen Wirkungskreis zu vollziehen. Es hat sich ferner herausgestellt, daß, genügende Mittel und hinreichende Rücksichtslosigkeit in ihrer Anwendung vorausgesetzt, sich so ziemlich jede Zeitung mindestens bis zu einem gewissen Grad dem Publikum aufzwingen läßt. Fehler in der Gründung, die man einmal für tödlich gehalten, lassen sich gut machen. Mängel in der Leitung, sogar in der Ausstattung, deren Wichtigkeit man nun erst zu begreifen und nach ihren Normen hin zu ergründen beginnt, sind zu korrigieren, wenn man nur Geld genug zur Verfügung hat, um jeden Fehlgriff austilgen, durch erneute Anstrengung in Vergessenheit bringen zu können. Es geht — unermüdliche Versuche sind die erste Bedingung — fast immer, eine Strömung 10 ausfindig zu machen, die stark genug ist, das neue Unternehmen flott zu machen, zu tragen, an irgend ein Ziel zu bringen, das freilich ganz anders aussieht, als dem man ursprünglich zuzusteuern dachte. Nirgends sind Programme und Verheißungen darum so unverbindlich. Kaum selbst in den Antrittsreden von Theaterdirektoren, die ja immer nur mit allen möglichen Vorbehalten gelten, so sehr wie hier. Der Leiter der Redaktion hat längst nicht mehr das entscheidende Wort. Ganz andere Männer, ganz andere Faktoren bestimmen die Haltung in fast allen Fällen, in denen sie sich überhaupt vernehmlich machen. Und der Erfolg hängt nicht mehr, wie einmal, von der schriftstellerischen Befähigung, von der Ideenfülle und dem Takt, mit dem sie die Zeichen der Zeit fassen und deuten, derer ab, die an die Spitze gestellt sind. Ein neuer Trick mag wichtiger werden als die vollkommenste Leistung, die immer zunächst nur wenigen ins Bewußtsein kommt, langsam sich herumspricht und demnach ihre Wirkung übt; die administrative Arbeit kann unter Umständen einen sonst schon verlorenen Feldzug zu leidlichem Ende führen. Es sind Menschen, an deren Befähigung vom journalistischen Standpunkt aus die Wissenden und Urteilsfähigen durchaus zweifeln mußten, durch Zufälligkeiten und durch Launen der Eigentümer an die Spitze von Zeitungen gestellt worden, und sie haben als Antreiber das ihrige getan und ihre Art von Erfolg gehabt, — besser als Bessere, weil sie im Bewußtsein ihrer eigenen Geringwertigkeit sich nichts wünschten, als den Geschmack des großen Haufens zu erraten, ihm blind zu dienen, womöglich ihn noch niederzudrücken, weil mengelieren leichter und bequemer ist als scheiden, verwirren bequemer als aufhellen. Es sind wieder Männer, in denen man alle Anlagen zum „Macher", der die öffentliche Auf- merksamkeit immer an sich zu reißen versteht, vermutet hätte, zu solchen Aufgaben berufen worden, und sie haben versagt und in ihrer Hand zerbrach, was eine gute Waffe hätte sein und Ansehen und Gewinnst erstreiten sollen. Jene Summe von Begabungen und Gemütseigenschaften, die allein zusammen genommen den geborenen, den großen Chefredakteur ausmacht, wird immer selten sein. Die sind zu zählen, die sich in deutschen Landen, da Zeitungswesen wahrhaftig üppig genug wuchert, als Zeitungsgründer namhaft und bemerklich gemacht haben. Es ist, trotz der Umständlichkeit, immer noch besser und wohlfeiler, einem Apparat, einer Art bewährten Mechanismus jene Funktionen zu übertragen, die vordem den Anlagen eines einzigen anvertraut werden mußten, der denn doch eher versagen konnte. In Kürze: auch die Gründung eines an sich kleinen Zeitungsunternehmens ist nunmehr mit gesteigerten Kosten verbunden gegenüber einer Zeit, die noch eben nicht lange hinter uns liegt. Ein ,, großes" Blatt aber kann nur noch mit einem Aufwand ins Leben gerufen werden, der fast immer die Mittel eines Einzelnen, ohne Ausnahme seinen Wagemut übersteigt. Es ist nicht leicht Eines Sache, Summen, wie sie hier in Betracht kommen, auf eine einzige, aller Erfahrung nach höchst betrügliche Karte zu setzen. So werden denn die Zeitungen mehr und mehr das Werk und das Werkzeug von Interessenten-Gruppen und -Gemeinschaften, die zunächst sich und ihre Pläne vertreten sehen wollen. Und je größer das Wagnis der Inszenierung war und je stärker es ins Geld ging, desto höheren Gewinn verlangt man sich davon, desto wahlloser wird man in den Mitteln, ihn zu erzielen und zu erzwingen. Kann man irgendwo 12 von Profitgier sprechen, so oftmals hier. Dazu kommt noch die Möglichkeit einer plötzlichen Änderung des Geschmackes und der Konjunktur, die in einem solchen Betrieb ganz besonders überraschend kommen und unheilvoll wirken kann. Das Zeitungswesen ist heute ganz unbedingt und für immer in den Händen des Großkapitals. Für immer, — denn ich sehe nicht die mindeste Möglichkeit, wie sich das noch ändern könnte. Es scheint allerdings nicht, als ob jene Riesenbetriebe, die man in ihren Umrissen sich aufrichten sah und die nach Anlage so ungeheuerlich waren, daß man erschrak, für die Dauer möglich und zu realisieren wären. Immer mächtiger aber werden die glücklichen und gedeihenden Unternehmungen, die Anziehungskraft steigert sich, welche sie üben; immer besser und reicher lohnen sie denen, welche in dieser oder jener Hinsicht sich ihren Anteil daran zu sichern verstanden. Immer schwieriger und aussichtsloser wird der Wettbewerb. Die Zeitungsmenschen selber merken ganz wohl und, wenn sie noch einer älteren und bequemeren Periode entstammen, unbehaglich genug, daß sich in den Fundamenten ihres Metiers etwas fatal verändert hat. ON JENER Umwälzung, welche das Einlangen der ersten optischen oder gar elektrischen Depesche in einer Zeitungsredaktion bedeutet hat, können wir uns nun wieder eine gute Vorstellung machen. Wir haben nämlich etwas Ähnliches, nur in seinen Folgen noch viel Weittragenderes erlebt. Ich meine die Einführung des Telephons, das immer größere Entfernungen überspannt und vieles v leicht ehe wirs erwarten oder vermeinen, den Odem und das lebendige Wort des Menschen auch über die Meere hauchen wird. Schon die Depesche hat die Sprache beeinflußt, und zwar nicht eben in günstiger Weise. Sie zwang da zu Abkürzungen, um an den ganz besonders im Beginn und auf größere Entfernungen sehr teuern Gebühren zu sparen, dort zu Unterstreichungen, damit der Hauptsinn dennoch klar und unzweideutig bleibe. So hat sich eine Art ganz abscheulicher Stil entwickelt und behauptet, auch nun, wo reichere Unternehmungen diese Methode der Meldungen schon darum verwünschen und abschaffen möchten, weil die Ersparnis kaum im Verhältnis zum Zeitverlust durch die Notwendigkeit einer Umdeutschung der Depeschen steht. Hat nun die Drahtmeldung den Stil gestört und eindringlichere Strangulierungsmarken ins lebendige Fleisch der Sprache gefurcht, als ohne eingehende und eigene Untersuchung dieser Materie so leicht festzustellen ist, so bedeutet der immer steigende telephonischeVerkehr die völlige Zerstörung aller Sprachkunst, ja alles Sprachgefühls. Eine neue, imminente Gefahr kündigt sich hier dem Sehenden an und man weiß ganz und gar nicht, was dagegen tun oder wie sie bekämpfen. Denn wie das Zeitungsdeutsch aus dem des Verkehrs herausgewachsen sein und dem des Alltags nahe bleiben sollte, so übt es hinwieder einen viel unmittelbareren Einfluß als die Sprache der Literatur. Wir müssen auf eine ähnliche Kraft des lebendigen Wortes hoffen, wie sie bekanntlich Strömen unter dem Einfluß des Sonnenlichtes eignet, auf eine Macht und Neigung zur Selbstreinigung von allen Unsauberkeiten, mit denen sie die Großstädte und ihr nimmermüder Betrieb überhäufen, 14 wenn wir vor solchen Erscheinungen nicht verzagen und ins heillose Schwarzsehen kommen sollen. Denn immer wieder in gesetzten Zwischenräumen muß man nach dem Volk, nach seinen Wendungen, nach der Art seines Ausdruckes horchen, ihm auf den Mund und also in die Seele sehen, soll es das Papier-Deutsch nicht gewinnen, das ja eine Zeitlang laut und bedenklich genug sogar in unserer Dichtung geraschelt hat. Wird aber die Quelle für Verlebendigung der Sprache verschüttet oder verdeckt, dann ist der Schaden kaum mehr gut zu machen. Nun werden aber durch den Fernsprecher nicht mehr nackte Tatsachen allein übermittelt, an denen endlich kein so großes Unheil gestiftet werden kann, die nur durch sich und ihren Inhalt wirken sollen. Auch umfängliche Berichte werden ihm anvertraut, die aus Stimmung empfangen sein und sie also wiedererzeugen wollen. Da kommt es denn doch schon sehr auf das wohlabgewogene, einzelne Wort, auf seine Stellung und seine Würde an, die bei einer solchen Arbeitsmethode unmöglich gebührlich abgeschätzt und geschützt werden können. Mehr — ganze Artikel, dazu gedacht und bestimmt, wichtige und verwickelte Fragen zu erklären, schwer Begreifliches ins rechte Licht zu rücken, werden so auf endlose Strecken hin, die zu durchfliegen auch der schnellste Blitzzug immer noch Stunden braucht, in die Feder diktiert. Sie erscheinen nachher und tun ihre Wirkung, ohne daß derjenige, der sie ersonnen und gedacht, auch nur einen Blick nach ihnen tun und überprüfen konnte, wie er eigentlich verstanden worden sei. Nun ist die Fähigkeit, vollkommen zu diktieren, der Natur der Dinge nach nicht allgemein. Sie setzt — ähn- 15 lieh wie der journalistische Beruf an sich, eine Art improvisatorische Geistesanlage voraus und verlangt überdies eine ungewöhnliche Macht der Konzentration, eine sehr seltene Herrschaft über das Wort; das sicherste Gedächtnis, damit sich nicht etwa Wendungen besonders der bequemen, geprägten, landläufigen Art, damit sich nicht gar ganze Gedankenfolgen wiederholen, die Einen besonders beschäftigen, die dem Diktierenden ausnehmend wichtig oder geglückt erscheinen. Wie schwer es aber ist, beim Sprechen ins Telephon auch nur ein Konzept wirklich mit Nutzen zu gebrauchen, das weiß jeder, der es ein einzigmal versucht hat. Für eine wirkliche und durchgreifende Revision des Diktates aber fehlt demjenigen, der es empfangen hat, fast immer die genügende Zeit. Höchstens Sprachschnitzer, Entgleisungen und falsche Blüten könnten weggeputzt werden, wäre in der Regel die Vorbildung derer, welche am Fernsprecher beschäftigt werden, nicht ungenügend, ihre Zuversicht in das eigene Urteil also nicht sehr gering und häufte sich bei den oberen und ganz besonders bei den letzten Instanzen infolgedessen das Material nicht in einer unerhörten, in einer kaum mehr zu übersehenden oder gar zu meisternden Masse an. Und noch eines ist gut im Auge zu behalten: auch dem sonst Sichersten und Gewandtesten bietet sich nicht immer, vor allem nicht in jedem Augenblick, da er ihn braucht und ihn berufen möchte, der erwünschte, der treffende Ausdruck dar. Zu säumen aber ist noch minder zulässig, als man sonst selbst in der journalistischen Arbeit der fliegenden Feder Rast vergönnen kann; der nur einmal sich in diesem Handwerk versucht hat, der weiß, wie es ihn mit steigenden Unlustgefühlen, die sich oft bis zu einer Art physischer Be- i6 klemmung erhöhen können , drängte , die einmal begonnene Arbeit ohne Unterbrechung, die ihr niemals und in keiner Hinsicht frommt, hinter sich zu bringen. So wird denn viel dem Ungefähr überlassen; es wird gerne geflickt. Und darum ist denn Diktiertes durchaus unpersönlicher, verschwommener als Geschriebenes, wenn nicht der Autor selber die letzte Feile daran wenden kann. Gerade das empfiehlt, neben der Notwendigkeit, aus der sie empfangen ist und sich durchgesetzt hat, diese Arbeitsmethode aus Gründen, deren noch zu gedenken sein wird, dem modernen Journalismus. Eine Art Rhetorik muß in jedem Zeitungsartikel enthalten sein ; eine leise Überhitzung des Ausdrucks, eine Feierlichkeit, die nicht immer dem Inhalt ganz gemäß ist. Die aber gesellt sich dem gesprochenen Wort nur zu willig bei, man kann sich daran ganz niedlich berauschen. Man denkt sich das unsichtbare Auditorium dazu; man konstruiert seine Gründe dafür, ersinnt und verschränkt künstliche Perioden ihm zu Dank und zu Gefallen. Das aber ist wiederum eine andere Art der Überredung, als die dem Artikel gebührt: sie wirkt gern mit dem dreisten Husarenhieb der Überrumpelung, nicht mit dem sanften Fingerzeig der Argumentation und der Überzeugung. Und alle Einbildungskraft und alle Gabe der Selbstsuggestion können über die Tatsache nicht wegtäuschen, daß jede Möglichkeit eines Widerspruches ausgeschaltet ist, mit dem der Redner doch immer rechnen muß, gefaßt, ihn sofort nach Entstehen zu bekämpfen; daß der Beifall, der so sehr beflügelt und sich so mannigfach zu äußern versteht, der Ungelenke zu Tänzern, Wortkarge höchst beredt machen kann durch die Gewißheit, es schlummerten in ihnen sicherere Gaben, als die sie in sich vermutet, nicht unmittelbar laut werden, noch seine ^7 Va Wirkung als heißester Sporn tun kann. Nun — den antizipiert man sich gern in der Arbeit und schmeckt ihn herzhaft. Wer sich niemals einer Kraftstelle, die ihm besonders geglückt erschien, inniglich gefreut hat, um den anderen Morgen, zunächst verwundert über solche Verständnislosigkeit, hernach ganz und gar empört, zu gewahren, wie wenig sie begriffen ward, wie völlig sie verpuffte, bis ihm im Laufe der Begebenheiten und der immer gleichen Berufstätigkeit allerhand in dieser Hinsicht klar wurde, der mag das Vorstehende bestreiten. Aber keiner wird es können, der einigermaßen in sich zu sehen und zu suchen gewohnt ist. Allerdings züchtet und erzwingt der moderne Journalismus eine große, eine immer aussichtslosere Selbstentäußerung von denen, sie sich ihm hingegeben und verschrieben haben. Den größten Teil derer, die ihm dienen, hobelt er plan und glatt, und in der Zukunft wird aller Voraussicht nach ein immer steigender Prozentsatz sich in dieses Loos ergeben müssen. Das aber geschieht nicht ohne alle Gegenleistung in der Persönlichkeit dessen, den es angeht. Es entwickelt sich eine ganz merkwürdige Art von Selbstbewußtsein und Eitelkeit, die kein anderer Stand so kennt, ein völliges Durchdrungensein davon, man sei an der Stelle durchaus unentbehrlich, da man steht, und nur Unkenntnis der Verhältnisse mache es aus, daß dieses Ressort von der Allgemeinheit nicht ganz nach seinem wahren Wert und seiner unermeßlichen Bedeutung erfaßt würde. Nur noch bei Komödianten, die niemals über die Schmiere oder über Anmelderollen an großen Bühnen hinausgekommen sind, deren wichtigste Aufgabe darin besteht, die Szene stattlich zu füllen, findet sich etwas Ähnliches, hier wie dort insgeheim gewürzt durch die kostbare und süßschmerzliche Überzeugung, es liege nur i8 an den Umständen, an der Boshaftigkeit und größeren Fertigkeit zur Fuchsschwänzerei und Durchsteckerei der Anderen, wenn man sich bescheiden mußte und nicht zum rechten Wirkungskreis und zu jener Stellung vorrücken konnte, welche man anders und bei ehrlichem Spiel hätte erreichen müssen. Man ahnt immer noch nicht genügend, ein wie einziges, unbezahlbares Narkotikum unter Umständen bei halb gescheiterten und dürftig in einem Nothafen geborgenen Existenzen die Empfindung des Verkanntseins bedeuten mag. Und mit dieser Meinung der Unentbehrlichkeit hängt noch etwas zusammen, das beiden Kategorien von Menschen gemein ist: ihre ungemeine Pflichttreue. Kein Statist, kein Penny-a-liner, der nicht schwört, er, just er dürfe nicht fehlen, ohne daß sich eine sehr schmerzliche Lücke auftue. IE SCHWIERIGKEITEN sind bereits erwähnt worden, welche sich dem Diktierenden entgegenstellen, der sein Werk verrichten soll. Es wurde der Schädigungen gedacht, die sich so neuerdings für die gesunde Weiterbildung der Sprache, wohl nicht allein in deutschen Landen, ankündigen. Hier muß man freilich besonders achtsam in der Abwehr und bereit dazu sein. Denn weil das Deutsche in stetem Fluß ist, weil es in der Handhabung bei seinem geringen Vorrat an griffbereiten Wendungen unbequem ist, so klingt Phrasenwerk besonders häßlich und man vermerkt Klischees doppelt unangenehm. Auszurotten sind sie nun einmal nicht, am wenigsten leider dort, wo sie am unerträglichsten sind, wo sie die 19 2* Armut an innerer Anschauung dessen verraten, der mit ihnen sich behilft: in der Kritik und im Artikel. Das Bedürfnis nach ihnen, nach Marken, nach Wertzetteln, mit denen man die Erscheinungen behängen und verzeichnen kann, ist allzu unbesieglich. Wer kann auch viel suchen und neue Wendungen prägen? Oder wozu die Mühsal? Nun sind gewisse Phrasen, deren man schon so gewohnt war, daß sie an den vorbestimmten Stellen wie auf ein Stichwort immer und pünktlich sich einfanden, neuerdings allerdings ausgemerzt worden, und es wird sie niemand mehr gebrauchen, der sich nicht schon durch sie als völlig bildungsunfähig, als hoffnungslos hinter seiner Zeit zurückgeblieben bekennen will. Im wesentlichen ist dadurch aber nichts gebessert worden. An Stelle der platten Trivialität, die vordem sich breit machte, ist nur die verkürzte Trivialität getreten und möchte durch Dunkelheit imponieren. Der Gesinnungsschuster, der alle Vorfälle und Begebenheiten dieser Welt tüchtig und handfest über seinen bewährten Leisten spannt und danach verarbeitet, der ungebärdige Geschehnisse, die sich seinen Überzeugungen nicht fügen, sich ihnen nicht einordnen lassen wollen, mißbilligt oder nicht anerkennt, ist an sich keine uns3mipathische, ist für die keine gleichgültige Gestalt, welche seiner Ware bedürfen, weil sie unbeschuht die Härten des Lebens und seiner Realitäten nicht vertrügen. Nur soll er sein ehrenhaftes und standfestes Dreibein, darauf er sich zu seinem Werk niederläßt, nicht für das der Pythia, den mannigfachen Geruch, der seinen Arbeitsraum füllt, nicht für den Duft und den Dunst der Tiefe halten, der mannigfache Ahnungen weckt und deutende Worte auslöst. Eine Abschweifung, wie sie allerdings bei der Natur 20 des Themas sich immer wieder aufdrängt. Zurück zur Stange Die Hemmnisse für die Entstehung einer wirklich geglückten und runden Arbeit, die sich dem Sprecher entgegenstellen, werden vermehrt und potenziert durch den, der am Hörrohr beschäftigt ist. Die Gabe einer vollkommen sicheren und immer willigen Hand, einer stets bereiten und nicht leicht zu verwirrenden Aufnahmefähigkeit und Empfänglichkeit ist hier Grundbedingung und keineswegs so allgemein, wie man annehmen sollte. Sie genügt aber an sich noch lange nicht. Unabgenutzte Nerven müssen hinzukommen; eine ansehnliche Spannkraft, wie sie eigentlich nur der ersten, frischen Jugend eignet, um den vielen, wechselnden Aufregungen des Berufes nur zu bald zu erliegen. Die Intelligenz muß groß genug sein, alles zu fassen und zu begreifen; wiederum so schmiegsam, um sich ohne Rest und fast ohne Frage dem Überlegeneren, Sichereren unterzuordnen. Die entscheidenden aber, die ursprünglichen, die unumgänglichen Qualitäten liegen denn doch im Physischen. Darauf muß also nun schon und wird in Hinkunft in immer steigendem Maße geachtet werden müssen bei einem Beruf, der ursprünglich rein geistige Veranlagungen zur Voraussetzung hatte. Vieles, das an Wissen notwendig ist, erwirbt sich ein williges Gedächtnis, ein reger Geist während der Arbeit selbst wie spielend. Wer aber, in welcher Stellung und in wie eingeengtem Wirkungskreis immer, eine Zeit im journalistischen Dienst verbracht hat, der taugt kaum mehr für einen anderen Beruf. Sonderbar genug — wohin er immer sich gestellt sehe, er fühlt sich degradiert dem gegenüber, was er früher 21 I trieb. Er ist der Aufregungen, komprimiert in jedem Sinne, zusammengedrängt in die kürzeste, atemloseste Weile, zu sehr gewohnt, liebt das Schlendern in den vielen langen, durchaus notwendigen Pausen zu sehr, als daß er sich wo immer einheimen könnte, da man eine immer gleiche Leistung von ihm begehrt. Man beachte wohl: die Arbeitszeit, richtiger die Zeit, da er sich zum Dienst und notwendigen Falles zum Sprung bereit halten muß, eines modernen Journalisten ist an sich sehr lang und erstreckt sich regelmäßig unerhört tief in die Nacht hinein. Die modernen Bestrebungen zu ihrer Abkürzung haben hier wenig Aussicht auf Erfolg. Im Gegenteil: jeder Fortschritt im Maschinenwesen — was hier die Setzmaschinen bedeuten werden, läßt sich noch gar nicht voraussehen — der die Bewältigung der Auflage innerhalb einer kürzeren Zeit, die Erstreckung also des Druckbeginnes ermöglicht, bedeutet ihre Verlängerung. Und nun besteht die Chance, im günstigen Augenblick sich hervorzutun, sich durch eine Leistung, die normaler Weise selbstverständlich wäre und durch den Drang der Umstände ihren ganz besonderen Wert erhält, aus einer wenig beachteten Position in eine günstigere Stellung vor- zuschieben. Immer mehr erzieht sich die Zeitung ihren Nachwuchs selbst. Von Stufe zu Stufe rücken die jungen Leute vor; der einmal eine längere Frist sich betätigt hat, den, wenn er sichs nicht selber begehrt, schickt man nicht leicht mehr fort, auch wenn er dort nicht mehr zu brauchen ist oder sich nicht mehr recht verwenden lassen will, wo es zumeist auf die mechanischen Fertigkeiten ankommt. Über ein Weilchen hat er denen, unter denen er gedient, doch manchen Kniff, manche Fertigkeit abgeguckt und weiß sie 22 zu verwenden, sich irgendwo nützlich zu machen. Das Recht der Ersitzung, das in allen Betrieben eine so große Rolle übt, daß das eine eigene Betrachtung lohnen würde, macht seinen Einfluß geltend. Der eine Stellung ersessen hat, der behauptet sie in der Regel doch und wenn selbst vielfache Versuche nötig wären, herauszubekommen, wo er noch am tauglichsten sei. Der Stuhl aber, den er inne hat, der ist einem anderen, vielleicht wesentlich Begabteren und für dies Geschäft besser Ausgerüsteten doch einmal versperrt. Was nun diesen an Begabung abgeht, die sich so „herauf gedient" haben, das ersetzen sie nur zu gerne durch Routine. Es ist ja nicht eben viel am Handwerk des Journalisten, das zu erlernen ist, sicherlich nicht entfernt so viel, als wichtigtuende Adepten glauben machen wollen, und es ist nichts darunter, das einem gesunden Verstand nicht sehr rasch einginge. Einiges aber ist immerhin zu beherzigen. Es gibt Vorteile, die in der Arbeit fördern. Der sie von selber finden müßte, der verlöre Zeit und Nachdenken damit. Der sie üben sieht, dem leuchten sie rasch ein. Ferner —wer außerhalb des Betriebes ist, der weiß weder, wo augenblicklich Mangel an Kräften ist; noch ahnt er, für welches der vielen Fächer er zunächst veranlagt ist, tastet und versucht sich dort, um mannigfache, ihm unverständliche, also kränkende Zurückweisungen zu erfahren, bis er vielleicht endlich das Richtige trifft und sich durchsetzt. Dies alles bleibt dem erspart, der früh zum Dienst am Journalismus herangezogen wird. Er kann abmessen, wo die besten Aussichten sind; kann sich bewußt und mit Wahl erwerben, was ihm und jenen Zwecken dient, denen er sich zueignen möchte. Wie unermeßlich ein solcher Vorsprung ist, erhellt 23 leicht. Die reichsten Fähigkeiten können ihn kaum mehr wett machen. Es ist hier freiHch abermals eine gewisse Ähnlichkeit mit der Schauspielerei zu buchen. Man weiß: alle Finger lang taucht an dieser oder jener Bühne irgend ein Kind auf, das durch seine Leistungen einfach verblüfft, das die größten Erwartungen weckt und demnach von Unberufenen oder Unbesonnenen begrüßt wird. Mit jedem Tag aber, mit dem es sich der Reife nähert, schwindet ein Endchen Bewunderung. Man hat sich wieder einmal übereilt; einen guten Drill, der durch einen Zufall mit einem Pröbchen Individualität zusammentraf, für die Emanation einer frühreifen Persönlichkeit gehalten. Die Regel gilt aber doch, daß Kinder der Szene, erwachsen, fast niemals mehr taugen oder bedeuten, als brauchbare Mittelmäßigkeiten, die man wohin immer stellen kann und die nichts verderben. Ähnlich ist es mit den gelernten Journalisten bestellt, die wohl alles können, die sich allenthalben leidlich bewähren ohne jemals die Frage nach ihrem eigenen und eigentlichen Wesen zu wecken. Sie tun ihr Tagwerk — nichts darüber. Es besteht ja, wie aus gelegentlichen Anzeigen zu entnehmen ist, eine Hochschule für Journalismus in Berlin. Was daran gelehrt und getrieben wird, kann man sich ja ungefähr denken und es sind ja ganz bestimmt nützliche Kenntnisse, die da gelehrt und erworben werden. In dem aber die Anlage steckt, der besucht die Universität und ihre Kurse nicht, und man müßte Umfrage halten, wie sich die Absolventen der Praxis gegenüber behaupten und ob sie irgend einen Vorsprung vor den anderen, nicht schulmäßig zugerichteten bewahren. Ganz neuerdings ist in Österreich begehrt worden, es müsse tunlichst unverzüglich an der tschechischen Universität Prag 24 eine Sektion für Journalismus errichtet werden. Das stimmt ernst. Denn tschechische Wünsche sind und bleiben niemals fromm. Nachdenklich aber wird man auch. Denn nirgends in der Welt ist das geistige Proletariat, das ganz bestimmt zunächst ansehnlichen Zuwachs bekommen wird, nun schon so erschreckend groß, nirgends drängt es so ungestüm nach staatlicher Versorgung, wie bei dieser begabten Nationalität. Unter keinen Umständen können Bemühungen und feierlicher Aufwand, wie sie nun einmal vom Begriff einer Universität nicht zu trennen sind, mit dem möglichen Resultat im Einklang stehen. Die den Stand am meisten gefördert und gehoben haben, die hatten in der Regel wirklich so oder so ihren Beruf verfehlt, aber ganze Kerle waren sie, und sie hattens in sich, was den großen Journalisten ausmacht und bedingt, und dahin sie ihr Schicksal gestellt, dort wußten sie sich zu bewähren, und was sie anpackten, das lag ihnen im Griff und hatte sein Gesicht. Derlei Persönlichkeiten nun sind freilich immer selten, so wenig im allgemeinen, wie bald gezeigt werden soll, jene Eigenschaften eben rar sind, die den Journalisten von Rang und Klasse selbst ausmachen. Ein korrekter, kaufmännischer Kalkül, der stets genauer angestellt wird, um hernach nur zu gern vor den Unberechenbarkeiten gerade dieses Geschäftszweiges umzuklappen, läßt sich nicht mit ihnen, nicht mit der Wahrscheinlichkeit anstellen, sie just dann zur Hand zu haben, wann man ihrer bedürfen wird, wiewohl auch hier das Gesetz gilt, daß jeder Nachfrage entsprochen wird. Erzogen aber können dazu Menschen kaum werden, und nehme man bei ihrer Unterweisung noch so sorglich alles in Betracht, was sie vielleicht einmal an Kenntnissen gebrauchen könnten. Das Produkt von Lehrlingszüchterei — denn auch 25 dazu hab ich einmal einen ganz niedlichen und nur durch die Ungunst der Umstände nicht gar geglückten Versuch miterlebt — werden sie allerdings noch minder sein. US WAS für Menschen und von welcher Beschaffenheit des Geistes sich vordem der Stand der Journalisten zunächst rekrutierte, ist leicht zu konstatieren. Bismarck hat das Wort von den Leuten vom verfehlten Beruf in einem Augenblick zorniger Wallung gegen sie geschleudert, und man hat es ebenso gern wider sie gebraucht, wie das Wort vom verunglückten Hungerkandidaten. Es gab aber und es gibt immer noch Redaktionen in deutschen Landen, die es nach der Summe des darin vereinigten Wissens, selbst nach Tüchtigkeit der Gesinnung immer noch getrost mit viel ernsteren, staatlich anerkannten und angeblich dem Betrieb und der Förderung der Wissenschaften zugedachten Anstalten aufnehmen können. Erste Vorausbedingung für einen künftigen Pressemenschen war doch wohl eine gewisse Beweglichkeit des Geistes, die sich bis zur Unruhe steigern durfte. Es mußte ihn eben viel und mancherlei so weit anziehen und beschäftigen, daß es ihn eine Zeit wie der künftige Beruf lockte, um ihn wieder über eine Zeit zu entlassen, nachdem er sich für seine Zwecke genugsam davon zugeeignet. Ferner : ein sicheres und mehr noch — ein williges und reich besaitetes Gedächtnis war nötig. Darin ruht ja jene Fähigkeit der Assoziation, ohne welche journalistisches Tun und Arbeiten undenkbar ist. Man muß auf das Schlagwort hin, welches der Tag zureicht und aufwirft, in sich Bezüge 26 und Verflechtungen auftauchen sehen, welche anderen, auch sehenden Augen sich so ohne weiteres nicht offenbaren, muß sie für jedermann klar stellen können, und zwar ohne Suchen. In ihrer mindestens scheinbaren Mühelosigkeit liegt nämlich mit der stärkste Reiz, den eine journalistische Arbeit ausübt. In nichts darf sie der Anstrengung des Geistes gemahnen, die zu ihrer Förderung notwendig war. Historische Kenntnisse, mindestens so weit auf die Quellen gegründet, daß man gelegentlich einmal ein minder bekanntes Zitat oder eine von der allgemeinen Auffassung paradox abweichende Meinung wagen konnte, waren also höchst erwünscht und geschätzt. Kenntnisse in Sprachen begründeten immer einen Vorrang und Vorsprung. Philologische Studien aber, zu- genaue Ergründung der Muttersprache und ihrer Gesetze, sind mindestens für den Beginn eher als ein Nachteil zu erachten gewesen. Sie lähmen gern mit allerhand Bedenklichkeiten, mit Gewissensfragen nach der Zulässigkeit einer Wendung oder einer Fügung, die der Journalist durchaus und unter gar keinen Umständen in der Arbeit in sich aufkommen lassen darf. Denn ihr Wesen, mindestens während ihrer Dauer, ist dreiste Zuversicht in sich und sein Können. Es war weiterhin eine Empfehlung, wenn man sich einigermaßen in der Philosophie umgetan hatte. Nicht nur, wie es ja gegenwärtig noch beliebt und in manchmal gleich direkt komischer Weise gebräuchlich ist, damit man den augenblicklichen Modephilosophen sich zum bequemen und immer bereiten Eideshelfer nehmen und aufrufen könne. Sie verleiht immerhin eine ansehnliche Schulung und Schmeidigung des Geistes, sie wirkt verstärkten Sinn für die inneren Zusammenhänge der Begebenheiten und ihre Logik, und, 27 weil sie ihm und seinem ganzen Bildungsgange eigentlich am fernsten, in ganz ehrfürchtig gemusterten, ungern betretenen Räumen liegt, so imponiert sie dem Durchschnittsmenschen, auch der ganz tüchtig gelernt hat und sonst beschlagen ist, schon vermöge der Befähigung zu Begriffsbestimmungen mit am meisten. Es ist immer noch etwas Mystisches an ihr und um sie. Und nun ist es immer gut, sehr gut, daß der Journalist durch welche Mittel immer imponiere. Dem Leser gegenüber muß er immer überlegen sein oder erscheinen. Ein vortreffliches Mittel dazu ist die Gabe, Maximen zu prägen, die ja nicht durchaus Stich halten müssen, oder Epigramme zu formen und abzuschnellen. Die Nützlichkeit einiger staatswissenschaftlicher und verfassungsrechtlicher Kenntnisse läßt sich nicht übersehen; sie frommt ganz besonders in bewegten Zeiten mit sich immer erneuernden Evolutionen, die man sich vorbereiten sieht, ohne ausnehmen zu können, wohin sie eigentlich an ihrem letzten Ende zielen. Die Tage, welche unser Geschlecht durchlebt, scheinen mir von solcher Art und Beschaffenheit; alle Fragen, die uns beschäftigen, nicht nur an sich, vielmehr noch dadurch wichtig, was sie bergen, schieiern und verhüllen. Da bewähren sich auch Rechtskenntnisse in ihrem wahren Wert; es sind meist Juristen oder Historiker mit einem starken Einschlag von juristischer Bildung, die in leitende Stellungen rücken und sich dort behaupten. Neuerdings hat die wachsende Einsicht von der Wichtigkeit der Volkswirtschaft, die zuletzt alles öffentliche Leben bedingt, die alle seine Formen ummünzt, sich und ihren Forderungen mit immer stärkeren Nachdruck und Erfolg zu unterwerfen bestrebt ist, trotz allen Wehgeschreies derer, die so Ideale schwinden sehen, mit gutem Fug, wieder eine immer stärkere 28 Gruppe von Erkenntnissen für den Dienst der Zeitung mo- bilisiert. Zu diesem Wissen nun gehörte aber noch ein nervöses, impulsives Temperament, das es gar nicht erwarten konnte, sein Urteil zu den Dingen zu geben, seinen Senf an den Braten zu tun, den die Tagesereignisse roh genug dem Journalisten auf den Tisch liefern. Was er an inneren Ressourcen, an Möglichkeiten der Einsicht, der Erkenntnis und des Urteils besaß, das mußte und muß durchaus mobil, immer und bei jedem Anlaß gleich bereit und gleich geneigt zur Abwehr wie zum Angriff dastehen, vollkommen in der Hand und der Befehle dessen gewärtig, der darüber gebietet. Ganz besonders journalistisch gilt die alte Fechterregel, daß die beste Parade der Hieb ist, daß in einer entschiedenen und womöglich unerwartet einsetzenden Offensive die wahrscheinlichste Gewähr des Sieges liegt Es hat zwar einer der feinsten Köpfe, die jemals in Deutschland sich dem Dienst der Zeitung zugekehrt haben, ohne sich von ihm verbrauchen zu lassen, Ferdinand Kürnberger, der sehr zu Unrecht fast völlig vergessen ist, schon über den Mißbrauch gespottet, der im journalistischen HandwerksJargon mit den Wendungen der ritterlichen Sprache getrieben werde, daß man einander löschpapierene Handschuhe ins Gesicht werfe und ähnliches mehr. Das scheint widersinniger, als es ist. Lessing, der Polemiker — Erich Schmidt macht sehr fein darauf aufmerksam — hat eine Vorliebe für solche Wendungen in seinen Streitschriften, und sie mag von ihm allen seinen erheblich minderen Nachfahren vererbt und Übermacht worden sein. Übrigens — so friedlich das Handwerk an sich scheine, so harmlos sich sein Rüstzeug darstellt — in seinem Kern steckt doch ein kriegerisches Element. Von Anbeginn ab! 29 Man hat vielleicht die Lutherischen Streit- und Flugschriften, die einmal die Gemüter deutscher Nation so leidenschaftlich aufwühlten, die, dem Flugfeuer gleich, zündeten an Orten, da man kaum begreift, wie sie in jenen Tagen mit so rätselhafter Schnelligkeit hingelangen konnten, noch nicht genug auf ihre journalistischen Elemente hin betrachtet und untersucht. Eines sei vermerkt: wie meisterlich gebraucht der gerechte und tapfere Gottesmann Martinus einen immer noch gerne geübten und stets wirksamen Kniff : mitten in einer scheinbar vollkommen gelassenen und objektiven Untersuchung den Gegner, mit dem er sich herumschlägt, mit vollem Namen zu nennen und höchst persönlich und rücksichtslos anzuschnarchen . . . Es gehörte ferner jene Gattung von Rauflust dazu, die dem Widersacher nicht den kleinsten Triumph gönnt; die Zugeständnisse, wenn sie einmal schon ganz und gar nicht zu vermeiden sind, nur macht, um zu beweisen, wie wertlos sie neben den eigentlichen Kern- und Streitpunkten seien, so daß man dem Überwundenen billig einen nichtigen Vorteil zugestehen könne, der ihn über seine Niederlage in allem Wesentlichen und über das traurige Geschäft, einer verlorenen Sache dienen zu müssen, weil die gute seiner durchaus nicht begehre und ihn nicht gebrauche, mindestens einigermaßen tröste. Das sind Künste rabulistischer Anwälte vor Gericht; sie haben denn auch wirklich in hohem Maße als Muster gedient, und selbst die Art, die Zeugen zu verwirren oder mindestens zu entwerten, stammt daher : ich meine die Verdächtigung der Gewährsmänner, von denen man meint, die Gegenpartei könnte sich auf sie stützen wollen. Geschah das nun mit ehrlichem Temperament, so war alles doppelt wirksam. Denn dafür hat auch derjenige eine 30 Art Witterung, der sonst nicht sehr sicher von Urteil ist; und derlei pflegt länger von Dauerhaftigkeit zu sein, weil doch etwas Ernstes und Wahres angerührt wurde und mitschwang. Darin liegt denn auch der Wert einer Gesinnung für den geschulten und seiner Sache gewissen Journalisten. Sie erleichtert ihm die Arbeit, indem sie ihn leichter in Stimmung und in nachhaltiges Feuer — immer mehr blendend, als zündend! — kommen läßt; indem sie es ihm erleichtert, seine Stellung gegenüber den vielen Möglichkeiten, die jeder Fall einem gewandten und zu spüren gewohnten Geist darbietet, einzunehmen und mit einer gewissen Folgerichtigkeit zu behaupten. Zu starr und zu unbiegsam darf jene Gesinnung freilich nicht sein, sonst bedeutet sie ein Unglück und das Hindernis einer ganzen Laufbahn, die endlich niemand so leicht um seines Gewissens willen aufs Spiel setzen wird. So hält sich denn ein Kluger gern die Möglichkeit eines Rückzuges offen, auch dann, wenn er gar nicht daran denkt, ihn anzutreten. Der Scherz, sich die besiegte Sache besser gefallen zu lassen, ist nur in zu seltenen Umständen lohnend, als daß man ihn unbesorgt und als Norm genehmigen könnte. Und man vergißt gern: der sich zuerst dieses Vergnügen prinzipiell vergönnte, das war nicht etwa ein armer Teufel von einem Artikler, einem Chef oder einem Verwaltungsrat oder doch mindestens den nach ihren Zinsen hungrigen Aktionären verpflichtet und mit einer ganz unangenehmen Kündigungsklausel in seinem Vertrag, — das war ein recht vermöglicher, römischer Großgrundbesitzer. Auch eine gewisse Leichtfertigkeit gegenüber der Verantwortlichkeit endlich ist gut und sie steigert sich im Allgemeinen rascher und schärfer, als selbst vielleicht gut ist. Man erwäge zum Beispiel, welche Flut von Nachrichten sich 31 manchmal innerhalb einer knappen Spanne Frist zusammendrängt, um von einem einzelnen überprüft und abgeschätzt zu werden. Sicherlich : das Fundamentale an ihnen ist annähernd gleich; das Tatsächliche, das sie melden, darf so ziemlich für feststehend gelten. Nun aber kommen die Meldungen über Einzelheiten; sie verändern und sie verschieben mit jedem Augenblick das Gewicht, ja das Gesicht der Tatsache. Der da zögerte, der warten wollte, bis alles unzweifelhaft ins Lichte und ins Wahre gestellt sei, der wäre verloren; ihm könnte nur zu leicht übern Kopf wachsen, das er sichten soll, und er müßte im letzten, drängenden Augenblick, in sich mit dem gleichen, dumpfen Gefühl ungenügend getaner Pflicht, an das Werk gehen, das er besser, bequemer und minder verworren von Widersprüchen um vieles früher getan hätte. An solchen Naturen verliert der Journalismus auch wenig. Eines der obersten Gesetze der journalistischen Wirkung ist nämlich : eine Blosstellung empfindet eigentlich nur derjenige ganz, der sich die Blöße gegeben hat. Das Publikum im allgemeinen merkt sie nur dann, wenn es recht nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht wird. Sie bedeutet nicht einmal immer eine Schädigung; zu oft wiederholen darf sie sich nun freilich nicht, weil man sonst stutzig wird. Im allgemeinen: der Hast und Flüchtigkeit, mit der Zeitungsarbeit hergestellt zu werden pflegt, entsprechen die analogen Eigenschaften des Aufnehmenden. Eine gewisse Gedankenarmut aber, wenn sie sich nur nicht bis zur Borniertheit steigert, ist kein Unglück. Im Gegenteil: Wiederholung derselben Ideenfolge nur mit anderen Worten ist oftmals sehr gedeihlich, — sie hämmert der Menge ein, was sonst an ihr, die dickfellig und schwer zu halten ist, niedergleiten möchte; und sie erweckt unter 32 Umständen den schönen Schein der Überzeugungstreue, die vielleicht auch einen realen Wert durch die Gunst der Sterne gewinnen kann. Denn — es muß die Meinung bestehen, man habe, was man verkaufen will. Der unter Umständen nicht den Mut und den unerschütterlichen Entschluß zur Trivialität hat, in dem sich dabei immer noch etwas erhebt und empört oder mindestens einen fatalen Geschmack aufweckt, oder der sich ekelt, wenn er sich selber nachschreibt und nicht vielmehr mit immer neuem Entzücken seinen Geist abklatscht, der hat immer einen schweren Stand und ein hartes Brot im Journalismus. Faustische Naturen haben da eigentlich wenig zu suchen und zu erwarten, da im allgemeinen der Wiederkäuer eine große Zahl ist . . . URCH die Entwicklung des modernen Zeitungswesens aber und durch die Entwicklung der Parteienverhältnisse, die sich dann im Journalismus auszuprägen wünschen, verliert an Wert, was man von der Natur mitbekommen hat. Das Erlernbare wird mehr. Es dominiert. Es läßt sich nämlich nicht bezweifeln, daß die ursprünglichen, die politischen Gegensätze viel an ihrer Schärfe verloren haben, so ungern das die Parteigänger und gar die Klopffechter aller Lager zugestehen würden. Sie müssen immerdar im Harnisch einherrasseln, bereit, die heiligen Grundsätze zu verteidigen, die man anders mit Kampfer bestäuben und so vor den gefräßigen Motten schützen möchte. Nur in Ländern, da nationale Fehden bestehen und unverjährbar ausgetragen werden, nur dort ist eine Verständi»33 V 3 gung schwer und die geheime Lohe niemals völlig zu unterdrücken und bereit, beim mindesten Anhauch wieder ingrimmig auszubrechen und ihr Unheil zu tun. Da kommt nämlich der Ehrenpunkt ins Spiel, über den man streiten kann, aber wegdeuteln oder auch nur wegwünschen aus dem Leben der Völker kann man ihn nicht. Er hat doch zu Leistungen und Anstrengungen gespornt, die anders nicht denkbar gewesen wären. Und, je minder sich der einzelne oder die vielen darüber klar werden, was alles in ihm enthalten ist, desto leidenschaftlicher verbeißen sie sich auf ihn, wittern für ihn Gefahren und hüten und hegen ihn. Er zählt eben zu jenen Imponderabilien, die allzu Nüchterne nicht in sich fühlen noch aufwecken können. Denn es ist nicht leicht, da Komödie spielen. Und man darf es ihnen nicht einmal verargen, wenn sie also kühl bleiben und sich der Erhitzten, Anderen verwundern. Nur wegfegen werden sie diese Ekstasen darum doch nicht, und kein noch so bestimmter und geglückter, logischer Nachweis, sie seien überflüssig, ja schädlich und sie hemmten den Fortschritt der Gesamtheit, wird groß fruchten. Das ist übrigens auch nicht so ausgemacht. Was dem Einzelnen frommt und dem Gliede nützt, das müßte, sollte man meinen, früher oder später doch auch der Gesamtheit als dem Komplex aller Einzelnen irgendwie zugute kommen. Wie dem immer sei, im nationalen Leben spielen oftmals die Imponderabilien die entscheidende, die fördernde Rolle. Der Staaten aber, in denen die nationalen Gegensätze eine so große Rolle spielen, sind wenige. Eigentlich sind wir in Österreich allein noch mit ihnen in unvermittelter Schärfe gestraft und es scheint, als ob sie sich auch in Ungarn schärfer akzentuieren wollten. Ein avitisches Element mehr 34 zu den vielen, die sich bei uns immer noch behaupten, wo der Boden für Überständiges nun einmal sehr günstig zu sein scheint. Sonst aber meint man, überall das Absterben aller scheinbar unüberwindlicher Begriffe mit Augen zu sehen. Es ist vielfältig Spiel, daran man sich vergnügt, um sich und seine Gewandtheit zu zeigen, geworden, was vordem bitterer Lebensernst gewesen. Die ökonomischen Fragen beherrschen nun einmal fast ausschließlich und mit einer niederzwängenden Gewalt alle Geister. Nur zugestehen will mans immer noch nicht so uneingeschränkt. Ideologische Mäntelchen werden aus irgend einer ehrwürdigen Rumpelkammer vorgekramt und sie sollen verhüllen, das nackt darzustellen man sich noch immer scheuen möchte. Und dennoch weiß jeder, was sich dahinter birgt; und insgeheim belächelt jeder die hohen und feierlichen Worte, die man immer noch nicht lassen kann, und die gestelzte Komödie, die man agiert, wo es eigentlich nur um das geht, ohne das man leider nicht sein kann, — um das Bedürfnis. Es steckt immer noch mehr Pfaffentum und Freude an der Würde der Auguren in allen, die in der Öffentlichkeit agieren und sich vernehmen lassen, denn gut ist. Nun wissen wir heute mit aller wünschenswerten Bestimmtheit : die ökonomischen Schlachten sind viel wichtiger und sie wirken unmittelbarer, als die auf dem Blachfeld ausgetragen werden und die nur zu oft — man hat das an den drei letzten Kriegen: Japan gegen China, der Transvalkrieg, der um die Mandschurei, in klassischer Klarheit sehen können —überhaupt nichts anderes sind, als ein Versuch, ein ökonomisches Ringen durch Mittel der Gewalt zur Ent- 35 3* Scheidung zu bringen, wenn andere Behelfe zum gleichen Ziel versagt haben. Die Entscheidungen, welche hier fallen, machen sich fast unmittelbar merklich. Jeder Sieg fruchtet, jede Niederlage schädigt fast augenblicklich, und weil die Welt eng und mit immer dichteren Maschen eines allgemeinen und gemeinsamen Interesses übersponnen worden ist, so merkt man sie auch dort, wo man sich vollkommen unbeteiligt und sicher gewähnt hatte. Die Zahl der Opfer, welche eine wirtschaftliche Katastrophe mit allen ihren Folgen mittelbar und unmittelbar verschlingt, übersteigt denn auch nur zu häufig um ein Vielfaches die Gefallenen auch der blutigsten und erbarmungslosesten Feldschlacht, von der uns die Annalen berichten. Ob jemals bis nun im ökonomischen Kampf eine abschließende Entscheidung gefallen ist, ob er sich nicht in immer neuen Vermummungen fortsetzt, ist ungewiß; er scheint jene Fehde, von der die Sagen melden, die bis ans Ende der Tage währen wird, um hernach vom Reich des Friedens und der allgemeinen Wohlfahrt, das dann aus sich heraus auch ein Reich des Einklanges und der Schönheit, also das dritte Reich Ibsens wäre, abgelöst zu werden. Es ist interessant, wie allgemein, wie als notwendige Ergänzung dieses verworrenen und hadervollen Daseins, das zu führen wir verdammt sind, der Geist der Menschheit diesen Traum geträumt und liebevoll ausgestaltet hat. Zur Vorbereitung eines ökonomischen Feldzuges gehört sicherlich nicht weniger Umsicht, Berechnung des richtigen Augenblickes, Abwägung der Mittel, wie zu der eines Waffen- ganges. Und endlich drängt nur zu gern hier wie dort der Augen- 36 1 blick und leidet keine Zufristung und keine Verschiebung der Gegensätze mehr, so erwünscht sie vielleicht just in der letzten Stunde käme. Das Ungefähr entscheidet dennoch und triumphiert über allen Weisheitsdünkel, und das Glück muß zuletzt das Beste tun. Nun kennt der ökonomische Kampf auch seinen Heroismus, sogar sein stilles, heldenhaftes Verbluten, wenn es die Durchführung eines Gedankens gilt, der sich als unrichtig herausstellt, während kein Rückzug mehr möglich ist. Er erfordert Mut und Nervenkraft, Anspannung des Letzten, das man in sich oder in seinem Besitz hat, wie nur einer. Dieses alles aber vollzieht sich ohne große Gebärde und ohne ein lautes Wort, Derlei paßt hier einfach nicht einmal dann, wenn, wie es in den letzten Jahren doch wiederholt gewesen ist, sich die Tragik des Spekulantentums offenbart. Da geht es nämlich im Grund um Rechenfehler bei Dingen, wo man sich nicht verrechnet haben darf. Und es ist das Pathos immer unangebracht, wenn man von ihnen spricht und sie erörtert. Damit ist abermals, mindestens für Leute von Geschmack und von Stilgefühl, im allgemeinen aus einer ganzen Reihe höchstwichtiger Gegenstände der Betrachtung, die das Publikum desto lieber erklärt wünscht, weil es ahnt, wie belangreich sie dem Einzelnen sind, der vor ihnen doch wie vor unholden Rätseln steht, etwas ausgeschaltet, ohne das vordem der Journalist gar nicht arbeiten konnte, das eines der bewährtesten Mittel seiner Wirkung war. Das kann nicht ohne mannigfache Rückwirkung bleiben. Man denke, wie sehr von Belang der Allgemeinheit nunmehr eine Vorstellung über die Notwendigkeit, die Möglichkeit, die Wirksamkeit der wirtschaftlichen Verbände und der 37 Organisationen geworden ist. Wer hat sich noch vor kurzem um solche Dinge gekümmert, die jetzt schon mehr und mehr die Menschheit in zwei gewaltige Heerlager teilen ? Wer kümmerte sich darum, ob die Trusts für die Verwertung der nationalen Arbeit ein Heil oder ein Unheil seien? Der größte Teil gerade der Gebildeten heuchelte oder empfand diesen Angelegenheiten gegenüber eine vollkommene Interesselosigkeit, die genau so abgeschmackt war, wie ihre Scheu vor körperlicher Betätigung, als verunreinige sie, als dürfe der Gelehrte wirklich nur seinem Geist mit vollkommener Mißachtung des Körpers, seiner Kräftigung und seiner Entwicklung leben. Eine Betrachtungsweise, stets enger und unmittelbarer an den Tatsachen und zunächst, wenn nicht jene leidigen Interessen der Eigner dazwischen kommen, denen sich immer unbedingter alles fügen und unterordnen muß, immer ehrlicher bemüht, der Erklärung der Vorgänge und dessen zu dienen, was sie vorbereiten, wird also wohl in höherem Grade notwendig werden. Das nun bedeutet für viele den Zwang, umzulernen, zu vergessen, was sie lange geübt, die Altäre, daran sie zelebrieren, nicht mehr mit Blumen zu bekränzen, vielmehr ihr Mauerwerk und ihre Konstruktion zu erklären. Allen kann das nun nicht mehr glücken. Es ist auch nicht durchweg ein leichter Entschluß; kann nach Profanation schmecken, wenn einer den alten Kultus zu vollbringen gewohnt ist. Das Gehirn, das sein Werk lange innerhalb gewisser Bahnen vollbracht hat, gewöhnt sich nicht leicht an neue Manieren und Methoden. Und so wird manch einer ins Hintertreffen gerückt und muß sich damit bescheiden, der sonst in erster Reihe seinen Mann gestellt. 38 Es ist damit auch die Erregbarkeit und leichte Entflammung des Geistes, ohne die ein gerechter Journalist vordem nicht zu bestehen vermochte, erst in zweiter Linie wichtig. Es wird immerhin in aller Zukunft vorkommen, daß man zornige, warnende Rügerede sprechen, daß man ein reicheres und mannigfacheres Stückel herunterspielen muß, als gewöhnlich. Die Fähigkeit dazu ist bei nur einiger Geduld und Anlage bestimmt erlernbar. Es wird nur immer mehr nach einer Rolle, die man studiert und hernach ganz tüchtig zur Geltung zu bringen weiß, als nach einer Gestalt schmecken, die man tief in sich gehegt, die man innerlich erlebt haben muß, ehe man sie wiedergeboren. Es waren vordem überwiegend Menschen mit künstlerischen Anlagen, die sich der Zeitung zugewendet haben. Es hatte sich herausgestellt, daß sie für größere Aufgaben und letzte Probleme nicht stark genug waren; oder sie fühlten sich dem harten, verzehrenden und immer neu einsetzenden Kampf des Künstlers mit sich selber, mit der Umwelt, mit den Notwendigkeiten des Lebens nicht gewachsen und sie suchten so einen Unterschlupf und einen gesicherten Erwerb, der immerhin etwas Künstlerisches, etwas Freies an sich hätte. Norm und Form aber trugen sie von ihrer ursprünglichen Bestrebung nun einmal unverlierbar in sich, und sie wußten sie auch im Handwerk, daran sie sich nun betätigten, zu prägen und zu füllen. Ihnen dankt nicht nur der Journalismus, den sie eigentlich erst erhöht haben, ihnen dankt die Sprache selber in Hinsicht auf Bereicherung und Schmeidigung sehr viel. Aber, nun es kaum eine Frage mehr gibt, die man nicht in vollkommen entsprechender Weise zu behandeln verstünde, nun auch Mindere den Guß besorgen können, den größerer Vor- 39 ganger Lehre erst ermöglicht, nun ist ihre Zeit wohl für immer um. Es hat sich herausgestellt, daß der journalistisch*e Beruf sich mehr und mehr anderen Berufen annähert; der Nimbus, als müßte man dazu ganz besonders auserlesen sein, beginnt sich zu verlieren. Er bietet Versorgungsmöglichkeiten, wenn man ihn zur Zeit und mit Wegekenntnis ergreift, wie nur einer. Auch in ihm kann man gesetzmäßig vorrücken, sich heraufdienen. Und — er gewährt überdies eine frühe Art von Selbständigkeit und zeitig ein genügendes Auskommen für einen Einzelnen. Dazu kommt, daß auch dem Glücksfall immer noch ein ansehnlicher Spielraum offen geblieben ist. Jeder Journalist kann und muß der Meinung sein, er trage neben dem Bleistift, mit dem er seine Notizen macht, den Marschallstab seines Gewerbes bei sich. Die günstige Laune und Stimmung eines Mächtigen, der freundliche Eindruck eines einzigen Augenblickes können eine ganze Laufbahn bestimmen und fördern. Denn hier hat jede Art von Fähigkeit und von Leistung ihren Anwert und also auch nach der Marktlage und der augenblicklichen Konstellation ihren wechselnden Preis. Der Rang vor dem Publikum muß keineswegs auch den nach dem Einkommen bestimmen. Den niemand außerhalb des engsten Kreises und Verbandes der Redaktion kennt, der mag für die Einträglichkeit des Blattes von viel " höherem Werte sein, also viel höher im Gehalte stehen, als der gefeiertste Namen, der vielfach den Ruhm zu seinem Sold schlagen muß. Man kann seine persönliche Geltung bei der Zeitung suchen^und finden, und man kann sich bescheiden hinter 40 ihren Blättern verbergen, zufrieden, den Einfluß, den der Dienst an ihr leiht, zu haben und im rechten Augenblicke für sich und die eigenen Zwecke zu nutzen und zu verwenden. Denn auf die weitesten Kreise übt die Publizität ihre Lockung. Man kann sich durch Reden zur rechten Zeit und wiederum durch Verstummen, wenn das erwünschter sein sollte, auch Mächtige verpflichten, mit denen in Verbindung zu sein nicht nur der Eigenliebe schmeichelt, nicht nur gelegentlich mal lohnt, und zwar überreichlich, vielmehr auch den eigenen Wert und das Ansehen an sich gegenüber den Unternehmern steigert. Hier kann einmal wohl selbst der natürliche Takt ein Kapital sein, das reichlich lohnt und zinst. So lockt denn gerade das Metier mit vielseitiger und mit starker Lockung zugleich. Es ist beinahe, als berge es die Möglichkeit jeder Wunscherfüllung in sich. Die idealste Gesinnung kann sich ebenso wie eine nur den unmittelbarsten Interessen zugekehrte Denkart dabei ihre Befriedigung erhoffen. Freilich werden hohe Ideen sich kaum lange rein und ungetrübt bewahren können. Je zarter etwas ist, desto minder kann es sich in der Klipp- und Tretmühle behaupten, und man darf beinahe fragen, ob Kostbarkeiten und Seltenheiten, wie Adel und Lauterkeit der Seele, nicht zu schade und zu selten sind, um in der Fron um den Alltag verbraucht zu werden, wie es doch unvermeidlich und unabwendlich geschehen muß, flüchtet sich der, den es angeht, um sich und sein bestes Teil zu retten, nicht in eine Doppelexistenz und in ein Doppelbewußtsein. Es ist ferner aber unmöglich, diesen Stand eigentlich zu organisieren. Je höher die Macht der Unternehmerschaft steigt, desto mehr sinkt die Fähigkeit der Angestellten, sich 41 ihr zu widersetzen. Von allen Seiten her und in jeder nur erwünschten Zahl ist Zuzug zu schaffen. Anwärter auf jede Stellung, die sich etwa auftut, kann man in jeder beliebigen Güte und Beschaffenheit finden. Es gibt weder eine bestimmte Vorbildung, noch muß sie bis zu einer gewissen Stufe geführt sein. Vielleicht ist es sogar ein Vorteil, sie ist unfertig, wenn man diese Lückenhaftigkeit empfindet und spürt, was wohl den besten Wert habe, diese Lücken zu füllen. Der in sich Geschlossene, der sucht den Maßstab in sich auf die Dinge zu wenden. Das geht hier nur selten, nur bei gewissen Gebieten. Innerhalb der Arbeit bietet sich nicht nur die Gelegenheit, bietet sich sogar der Zwang, zu lernen ; aus der Fülle der Eindrücke heraus muß doch wohl etwas haften und eine Wirkung üben. Der Befähigungsnachweis kann nur amWerk selber erbracht werden; es mögen sich, nach manchem Versagen, wo man sichs gar nicht erwartet hätte, Talente von ganz überraschender Richtung offenbaren. Ein großer Organismus ist die Zeitung geworden; die sie braucht, die zieht sie an sich heran, erzieht sie sich, stößt sie fast automatisch ab, wenn sie ihr nicht taugen oder sich nicht bewähren. Zu sparen braucht sie nicht; sie schöpft aus dem unermeßlichem Reservoir des gebildeten Proletariats, das zunächst einmal froh sein muß, überhaupt eine Verwendung für sich und seine Kenntnisse zu finden. Und weil nun die Angehörigen dieses Standes aus den verschiedensten Alters-, Bildungs- und Gesinnungsstufen sich rekrutieren, ist eine eigentliche Organisation ausgeschlossen, weil sie innerlich nicht zu vereinigen sind, und man bleibt und ist trotz aller großen und schönen Worte auf Kongressen den Eigentümern und Unternehmern gegenüber wehrlos und ihrem Wohlwollen überlassen in Ewigkeit, Sela! 42 O UNTERWIRFT sich der Großbetrieb diesen an sich wichtigen Zweig menschlicher Betätigung für immer, und man sieht durchaus nicht ab, wie sich von ihm jemals befreien oder nur seine Schrankenlosigkeit und Willkür dämmen. Und zunächst — wie schon Eingangs gesagt — leben wir ja wohl noch in einer Übergangszeit, die aber weit genug schon vorgerückt ist, um bestimmen zu können, was da werden und sich durchsetzen will. Die aber in sie hineingeraten sind, die verspüren freilich alle ihre Unbehaglichkeiten heftig. Noch leben Einige aus der früheren Periode der Prinzipalschaft etwa; da der Gründer eines Unternehmens in mehr als nur einer Hinsicht auch zu seiner. Leitung befähigt sein mußte, da er sich mit den Männern seines Vertrauens, die er sich selber nach seiner Meinung von ihren Fähigkeiten und ihrer Berufung ausgesucht hatte, gemeinsam ans Werk begab. Natürlich konnte ein solches Verhältnis, wenn es dauerte und gar von Erfolgen geleitet ward, nicht rein geschäftlich bleiben. Die in einer solchen Beziehung aber zu den Lenkern gestanden waren, wie sie sich aus der Gemeinsamkeit von Sorgen, von Versuchen ergeben, die hatten natürlich in jeder Hinsicht Ansprüche, die man ohne weiteres nicht annihilieren konnte. Das heißt also — sie wurden unbequem, je höher die Machtfülle der Zeitung selber und also auch dessen wuchs, in dessen Person sie sich verkörperte: des Eigentümers, des Chefs. Zermalmung der Individualitäten, die ganz wenigen ausgenommen, die er für seine Zwecke braucht, diese Wirkung 43 übt der Großbetrieb immer und überall, somit auch hier. Es darf unbedingt kein eigener Wille mehr gelten, kaum mehr eine eigene Ansicht. Jeder hat sich ganz und ohne Frage zu fügen; die letzten Gründe, welche oftmals über die Haltung einer Zeitung in den allerwichtigsten Fragen entscheiden, die weiß in der Regel ein Einziger, der nicht den mindesten Anlaß hat, sie zu offenbaren. Sind Chef und Eigentümer identisch, so ist die Möglichkeit eines schranken- und rücksichtslosen Despotismus mindestens theoretisch gegeben. Da und dort soll es nicht nur bei der Theorie verblieben sein. Dazu hat sich ganz neuerdings etwas offenbart, das auch für schärfere Augen etwas Überraschendes und Anomales hatte, als man es zuerst zu gewahren glaubte, und das dennoch ein. Gesetz scheint und also wirkt. Was man vom Erzieher schon längst gesagt hat: sein bestes Bemühen kehre sich gegen ihn selber und sei dahin gerichtet, seine eigene Tätigkeit entbehrlich zu machen, das gilt in einem ziemlich unbedingten Maße auch nun schon vom Journalisten. Es sind, auf natürlichem Wege, das heißt durch Alter oder durch Tod oder durch Konflikte interner Art Männer aus dem Betrieb von Zeitungen ausgeschaltet worden, die man für absolut unentbehrlich hätte halten müssen, auf denen die Geltung, das Ansehen des Blattes überwiegend zu ruhen schien. Fast niemals aber hat das Unternehmen, dem sie verloren gingen, dadurch eine wesentliche Einbuße gehabt, wenn es anders in gedeihlicher Entwicklung war, niemals ohne Ausnahme in einem Grade, der für seine Prosperität wirklich in Betracht kam. Und auch der Profit des Journals etwa, dahinj^sie sich wendeten, war fast niemals so sehr erheblich. 44 Derlei hat fast regelmäßig noch mit Reue und mit verdrießlichen Enttäuschungen für beide Teile geendigt. Der Kontakt, den Einer an einem Orte leicht und im erwünschtesten Maße mit dem Publikum gewonnen hat, daß es ihm willig horchte und folgte, den muß er, selbst bei scheinbar verwandten Umständen, an anderer Statt erst mühselig suchen, ohne ihn auch immer darum zu finden. Es gibt da Launen ganz unverständlicher Art, fließend aus der immer noch ganz unergründeten Psychologie der Masse. Eine Parallele mit der Bühne ist hier nur in sehr beschränktem Maße möglich. Im allgemeinen lockt der Schauspieler von Rang und Geltung sein Publikum sicherer dahin, wo er gerade wirkt. Im übrigen könnte man meinen, es seien auch da Bemühungen zur Änderung des geltenden Zustandes, der dem Unternehmer unangenehm sein muß, der den Durchbruch gewisser gültiger Gesetze darzustellen sv.:^ieint. Wir sehen eine mächtige und mit Grund gerühmte Bühne fast ausschließlich auf Gesamtwirkung gestellt; befähigt, überragende Talente auszuscheiden und zu entbehren, ohne in welcher Hinsicht immer dadurch eigentlich geschädigt zu werden. Vielleicht bekundet sich auch hier eine neue Emanation dieses Gesetzes, und der sehr kluge und witternde Otto Brahm handelt aus Ahnungen darnach. Allenthalben siegen, trotz allen Gejammers der Ästheten, die Massen, rücken an, setzen ihre Forderungen durch gegen die Wenigen, die Überlegenen, die Anspruchsvollen. Auch hier scheint nun ihre Zeit gekommen und alsdann könnte sie nichts und niemand wenden. Es heißt dann, sich fügen und sich klug und schweigend unterwerfen. Also: in einem gewissen Stadium der Entwicklung benötigt die Zeitung der Autoritäten. Es ist ihr höchst nütz- 45 lieh, wenn man merkt, es sind wirklich Männer von Gewicht, Bildung und Urteil, die wieder einmal den Versuch wagen, öffentliche Meinung zu erzeugen. Über eine Zeit aber geht jede Einzelautorität an die Gesamtautorität über, welche das Unternehmen selber und an sich immer ausschließender in Anspruch nimmt. Von diesem Augenblick an ist das Nachwachsen von Persönlichkeiten durchaus nicht mehr erwünscht und, bewußt oder unbewußt, es wird denn auch nach Tunlichkeit verhindert. Es ist damit die Möglichkeit gegeben, auf Kosten der Güte die Summe des Gebotenen zu steigern; dem Geschmack der Menge tut sich die Gelegenheit auf, sich zu suchen, was ihr behagt. Man kann — nicht nur im Weinhandel ein immer lohnendes Tun — nach Belieben verwässern. Tatsächlich ist die Verschlechterung eines Blattes keineswegs mit dem Sinken seines Erfolges identisch; sie kann, nach allerjüngsten Erfahrungen, sogar mit einer Steigerung der Auflage zusammengehen. Wie weit sich die Grenze aber nach unten verrücken läßt, ist noch dunkel. Ins Unbegrenzte kaum. Es hat sich auch allzu großes und zu wahlloses Liebedienern vor dem letzten Publikum immer noch im entscheidenden Augenblick als verderblich herausgestellt und verhängnisvoll gerächt. Die Vorteile aber, welche dieser Gang der Dinge den Unternehmern darbietet, sind zu groß und auch für minder Hellsichtige zu klar, um nicht sofort begriffen und genutzt zu werden von allen, die Rücksichten der Vornehmheit und der Tradition nicht beengen. Es muß somit allgemeines und erfolgreiches Bestreben sein, ähnliche Rücksichten nicht mehr aufkommen und hoch werden zu lassen. Das wird gelegentliche Großmut Einzelnen gegenüber, die sich beson- 46 ders brauchbar oder auch nur besonders gefügig erwiesen haben, niemals ausschließen. Derlei macht einen günstigen Eindruck und nützt wohl gar geschäftlich. Sonst aber besteht die im Interesse des Geschäftes immer willkommene Möglichkeit, in jedem Augenblick zu sparen, der das wünschenswert erscheinen läßt, ohne daß sich die Folgen davon sofort, vielleicht ohne daß sie sich überhaupt merklich machen müssten. Ein schärfstes Disziplinarmittel ist somit in Hände gegeben, die in seiner Anwendung nicht immer bedenklich sind und Gebrauch davon auch wohl nur zu dem Zwecke machen, die eigene Macht zu zeigen und die unbedingte Manneszucht aufrecht zu erhalten, die sonst unter einer Anzahl geistiger Arbeiter, schon durch Beruf und Anlage ehrgeizig und zum Neid geneigt, sich mit Aufbietung der letzten Kraft den Übrigen gegenüber bemerkbar zu machen, nicht so gar leicht zu behaupten wäre. Das Ergebnis aber: die vordem Mitarbeiter genannt wurden, also in mehrfachem Sinn als gleichberechtigt erkannt wurden, als mindestens im Ideellen beteiligt am Erfolg des Unternehmens, denen man ein Selbstgefühl auf das gemeinsame Wort tolerierte, denen es anzuerziehen man sich sogar bemühte, wo es nicht von Haus aus vorhanden war, die werden fein sachte niedergedrückt auf die Stufe anderer Angestellter in anderen Betrieben, denen eine Meinung nur innerhalb des unmittelbaren Ressorts zusteht und auch da eben nur so weit, als sie nicht mit der Ansicht des Chefs und mit seinem weiteren Überblick über die Gesamtinteressen des Blattes in Widerstreit geraten kann. Eine solche unbedingte Entäußerung des eigenen Willens, wie sie kaum ein anderer Beruf und gewiß keiner, der überwiegend geistige Anlagen fordert, noch in so hohem Grade voraussetzt, kann aber gar nicht früh und 47 nicht ausdrücklich genug geübt werden. Der Regenten und Machthabern seine Ratschläge erteilt, der die Sitten bessert und alles Weltregiment, könnt' und dürft' ers nur nach seinem eigenen Kopf, sicher vortrefflich bestellen würde, der muß sich wiederum über die Grenzen seiner Befugnisse klar genug sein, um den Mannesmut, seinen getreuen und unzertrennlichen Begleiter bis an die Stufen der stolzesten Throne, gelegentlich noch im Vorraum des Chefzimmers oder in der Brusttasche des Arbeitsrockes zu vergessen . . . Charakter ist ja soweit ganz gut und der einstimmigen Meinung aller Gebildeten nach die Zierde eines Mannes. Bequem aber ist er nicht immer, so wenig wie ein eisernes Mieder. Damit protzen und ihn immer zur Schau tragen wird aber kein Mensch von Geschmack. Und allenthalben und jederzeit davon Gebrauch machen wollen, hat immerhin sein Bedenkliches, ja Gefährliches. Es ist ein Bestreben nicht zu verkennen, den Zeitungsbetrieb, der die längste Zeit für ein Organisches, beeinflußt von allen Gesetzen der organischen Welt, gelten mußte, dem Mechanismus anzunähern. Hatte sich vordem eine bessere Kraft vernutzt, so erwuchs die nicht immer leicht zu lösende Frage nach ihrem Ersatz. Immer war das eine Sorge, ob sich der Nachfolger auch so ganz einfügen und bewähren, ob er sein Werk nach Wunsch und ohne Friktion tun werde, die desto mehr zu vermeiden ist, je näher ihre Möglichkeit liegt und je verdrießlichere Hemmungen sie bedeutet. Alle diese Unbequemlichkeit, diese Nötigung, Umschau zu halten, und zwar mit verständigen und mit wohlwollenden Augen Umschau zu halten unter dem Nachwuchs, wer sich daraus für die Zwecke gerade des eigenen Unternehmens 48 heraufentwickelt und wann er reif genug dafür sei, die Aufgabe, ihm hernach Raum zur Betätigung seiner Anlagen zu schaffen, ohne ältere Rechte allzusehr zu verletzen, die entfällt oder wird doch immer mehr eingeschränkt mit der modernen Entwicklung. Ein Rad einer Maschine muß eben ausgewechselt werden; die Kosten werden gebucht und die Sache ist erledigt. Das Alteisenkonto einerseits und das Erneuerungskonto andererseits sind um so und so viel anderen Jahren gegenüber gestiegen. Damit muß und kann man als ein vernünftiger Unternehmer zu jeder Zeit kalkulieren. Das mag Manchem eine erschrecklich mechanische und nüchterne Auffassungsweise bedünken. Wir stecken immer noch tiefer in mancher Ideologie, vor allem in der Neigung, einander Phrasen nachzubeten, als wir vor einander gern eingestehen, so entschieden das neue Deutsche Reich sich zu seinem Heil auf die Pflege seiner materiellen Interessen besonnen hat, die endlich allein die Möglichkeiten geben, die idealen Güter in der wünschenswerten Weise zu hüten und zu alimentieren. Wie groß aber die Macht der Zeitung an sich und über ihre Mitarbeiter geworden ist, das beweist die eine Tatsache, daß man heute nicht nur von einem Unterschiede im Zeitungsstil nach Regionen — vordem besonders klar und zwingend etwa zwischen Wien und Berlin —, daß man von einem bestimmten Stil bestimmter Blätter reden kann. Je nach dem Grade seines Talentes und seiner Übung gebraucht ihn jeder einzelne besser oder weniger gut ; aber er handhabt ihn nun einmal, so daß der Wissende bestimmen kann, wo er seine journalistische Lehrzeit durchgemacht hat. Man erinnere sich — Beispiele aus der Heimat sind nun einmal mißliebig und können mißdeutet werden — 49 V4 der Pariser Boulevardpresse, die gern und wahllos auch nach dem Ausdruck der Gasse greift, so daß er in die allergehegteste und die bestumzäunte aller Sprachen Eingang gewonnen und zum Entsetzen Vieler sogar in der Sprache der Literatur sich Raum geschaffen hat. Oder man denke der ganz eigentümlichen Betrachtungsweise des Pariser,, Figaro" nicht derer, die bei ihm tätig waren — den Dingen gegenüber und der Nachahmung, die sie geraume Zeit weckte, auch an Orten, da die Geister für derlei nicht eben sehr gewandt waren. Oder man nehme den Ton der „gelben Presse" sowohl Englands, wie — noch mehr ins Klobige und Grobianische gesteigert —der Union einmal gut in acht, diesen Ton, der nun leider da und dort auch bei uns sein Echo findet, — am nachdrücklichsten und sichersten befremdlich genung aus dem Munde hochwürdiger Herren. Im Schimpfen und im Verdächtigen des Gegners und seiner An- wie Absichten dürften nämlich augenblicklich Zentrumspresse und sozialistische Zeitungen einander ebenbürtig sein. Begreiflich genug — sie allein meinen doch das Wahre und das Heil zu wissen und, der sich ihm entgegenstemmt, gegen den ist jede, auch die giftige Waffe gestattet. ER URSPRÜNGLICHE Zusammenhang der Zeitung mit der Literatur ist nur noch lose, besteht höchstens in dem Sinn, in dem man in Zeiten des frühesten Keimens ihr alles schriftlich Festgehaltene überhaupt zuzuzählen gewohnt ist. Wenn sonst nichts, so ist es ein ,, Denkmal". Entstanden ist sie ja doch zunächst aus dem fliegenden Blatt, das irgend ein Wunderwerk oder -wesen, welcher Be- 50 schaffenheit immer, oder irgend ein staunenswürdiges Ereignis der Mitwelt verkündigen sollte und das, seine Eindringlichkeit zu erhöhen, gerne mit dem beredten und schnell fertigen Holzschnitt geschmückt ward. Es haben wirkliche Künstler sich so als Illustratoren betätigt. Kamen leidenschaftlich bewegte Zeiten, dergleichen noch heute dem Gedeihen aller Journalistik sehr einträglich zu sein pflegen, welche die Gemüter durcheinander rütteln. Fernen aneinander rücken, auch stumpferen Sinnen ihnen sonst verborgene Zusammenhänge zwischen allem Menschenschicksal offenbaren, so steigerte sich der Hunger nach Neuigkeiten zugleich mit ihrem Zufluß bis zu dem Grade, daß eine lückenlose Folge solcher Meldeblätter erwünscht, möglich und endlich notwendig wurde. Die Flut der Nachrichten schwoll und ist immer noch im Steigen, bedeutet längst schon eine Verlegenheit in ihrer wachsenden Fülle. Wie dies alles unterbringen, registrieren, ohne daß eines das andere unterdrücke, um seine Geltung bringe ? Denn, was diesem vollkommen gleichgültig ist, das kann seinem Nachbar sehr wichtig, ja die Hauptsache sein, die er nicht missen kann, nach der er zunächst und mit ausschließendem Anteil sucht. Und mindestens der Schein soll und rnuß gewahrt werden, als fänden hier alle Interessen die gleiche Statt und Berücksichtigung, als wäre jeder Leser gleich wichtig und willkommen, wenn er sich dem geistigen Niveau eben gerade dieses Unternehmens anzupassen versteht. Man weiß: es ist die Kunst der scheinbar zufälligen, immer aber höchst achtungsvollen Verneigung vor ihm, vor seinem Geschmack und seinem Urteil längst über die plump-naive Form der direkten Anrede und Liebkosung hinaus entwickelt. Pu- 51 4* blicus ist ein viel zu großer und ein seiner Macht viel zu bewußter Herr geworden, als daß mit unmittelbarer Schmeichelei bei ihm noch viel aufzustecken wäre. Eher kann sie verstimmen. Neben diesen öffentlichen und unbekannten Zwecken, Gunst der Menge mindestens innerhalb einer bestimmten Gesellschaftsschicht zu gewinnen und dadurch Einfluß auf sie, ihre Entschlüsse und ihre Handlungen zu üben, gehen aber nur zu oft die Sonderabsichten und die eigenen Interessen des Unternehmens, die nicht minder sorgfältig im Auge gehalten und den Blicken Unbefugter wiederum sorgfältig verhüllt werden müssen. Noch ist mir mindestens kein Versuch bekannt, wo man derlei, auch wo man mit Fingern hätte darauf deuten können, offen eingestanden hätte. Derlei macht nur zu leicht einen zynischen Eindruck. Nun ist ja der Zynismus unter Umständen ein ganz kostbarer und ein höchst wirksamer Behelf. Aber — er ist gefährlich; er macht nämlich stutzig, und was nach dem psychologischen Momente des Stutzens geschehen wird, weiß niemand vorher. So muß denn die Zeitung immer ein Kompromiß darstellen; ein Kompromiß, das sich hinter Schleiern und Hüllen vollzieht. Das wittert manch einer und schilt sie darum gesinnungslos, die nach ihrem ganzen Wesen nur mit der höchsten Gefahr für sich selber, ja für ihren Bestand eine Gesinnung haben kann. Den Luxus einer wirklichen Überzeugung dürfen sich nur sehr reiche und in ihrer Kaste vollkommen fundierte Unternehmungen gestatten. Sonst heißt es lavieren, den Wind spüren, wie er aufspringt und wohin er sich wenden will ; den Mitfahrenden ihn mit künstlichen Manövern aus den Segeln nehmen, und zwar so, daß das Ganze anmutig und notwendig erscheint, bis man den 52 ersehnten Strand erreicht hat, da man geborgen ist und nach Wünschen reichlich ernten und einheimsen kann. Das wird niemand mißbilligen, der die Verhältnisse kennt. Anderen aber steht nicht hier, nicht anderwärts ein Urteil zu, so eifrig sies überall in Anspruch nehmen. Das Publikum gleicht nur gar zu gern einem störrigen Kind, dem man es auch nicht leicht merken lassen darf, wohin man es aus Gründen des allgemeinen, nicht gar selten freilich auch des Sondervorteiles gelenkt haben möchte. Es wirken einmal schon Argumente und künstlerische Behelfe oder man muß wohl auch seine eigentlichen Zwecke verhehlen, tun, als bekämpfte man sie, um so die Begehrlichkeit der Menge nach dem scheinbar Verbotenen zu lenken. Wieder die Fälle sind immer selten, in denen ein Einzelner alles über sie vermag, sie hinter ihm und seiner Lockpfeife einherlaufen, nicht anders, wie in der bekannten Sage die Jugend dem Rattenfänger folgt. Die Macht eines Schlagwortes im gegebenen Augenblick ist unbegreiflich, unergründlich. Es kann die Geister in einen Brand setzen, der auf lang hin nachhält und nicht bald zu stillen ist. Es wird mit einer Inbrunst gehegt und nachgebetet, als war* in ihm wirklich alles Heil und sämtliche Heilkraft beschlossen. Auch in ökonomischen Dingen erlebt man das. Da erkennt man die Macht des Glaubens an die Universalmedizin, fühlt sich dessen gemahnt, wie großer Dinge sich die Volksheilkunde einmal vom „Besprechen" und von ähnlichen Künsten versah. Es beginnt die Beeinflussung denn auch schon augenblicklich, sowie sich aus dem Flugblatt mit einer nackten Tatsache das Meldeblatt mit einigen Begebenheiten entwickelt, wenn diese nur nicht rein zufällig, sagen wir .53 nach der Zeit des Eintreffens, die ja auch für ihre Stellung und Beachtung wichtig ist, geordnet werden. Es ist ganz in der Hand des Sichtenden und Einreihenden, des Redakteurs, auf was er die Aufmerksamkeit der Leserschaft lenken will. Schon die Anordnung gibt ihm — wenn nicht eine einzelne Frage die Gemüter ganz und unbedingt beherrscht, so daß mit Entschiedenheit zurückgestoßen würde, was man für sie unterzuschieben versuchte — eine große Macht. Typographische Behelfe kommen dazu und werden immer bewußter genutzt. Es ist nicht jedermanns Sache, im augenmordenden Petit nach Geheimnissen zu schürfen, so wissenswert sie seien. Ein glücklich gewählter Typenkegel hat schon manchesmal den Erfolg eines Blattes mit entschieden. Im allgemeinen: die unruhigen Blätter sind nicht leicht beliebt. Man wünscht sie übersichtlich, aber nicht verwirrend; möchte geleitet und nicht genötigt sein. Erst hernach, wenn die Dinge aus dem Gröbsten gehoben und einigermaßen in Richte gebracht sind, setzen die Künste der Zubereitung ein. Die erste Vorstellung von suggestiver Macht, nach der nun einmal Gewichtigkeit an sich und Breite der Erörterung in einem geraden Verhältnis stehen müssen, ist geweckt worden und hat mehr oder minder ihre Wirkung getan. Nun erst spielen die Künste der Erörterung, denen kaum eine Grenze gezogen ist, insolange sie nicht zu aufdringlich, zu abgeschmackt gehandhabt werden. Der Zaubersang der Schicksalsschwestern aus Macbeth aber, ihr „schön ist häßlich, häßlich schön!" wird nur zu gern und zu eindringlich angehoben. Jene Zweige der Literatur nun, deren die Zeitung immer und unmittelbar für ihre eigentlichen Zwecke bedarf, hat 54 sie aus sich und in ganz vermerkenswerter Weise zu entwickeln verstanden. Mit einem Schlag- und Merkwort, wie man es wohl versucht, ist da nichts getan noch erreicht. Es ist leicht und oft niedergeschrieben: eine gewisse Vergröberung sei zum Beispiel das Wesen des Zeitungsstiles. Und es ist doch nur mit vielen Einschränkungen und in sehr bedingtem Sinn richtig. Wenn heute nur zu oft eine förmliche Hetzjagd erregter Sätze, hitziger und lärmender Worte, die eifrig und ohne rechte Begründung wider- und durch einander schreien, zu einem an sich recht gleichgültigen Ziel losgelassen erscheint, wenn man sich übertäubt fühlt, nicht überzeugt noch mitgerissen, so ist das durchaus nicht im Wesen des Zeitungsdeutsch begründet, das ja sonst Tadel genug verdient. Das ist eben eine Mode und man weiß, woher sie ihren Ursprung nahm, und daß sie über eine Zeit abdorren und welken wird, Jonae Kürbis gleich, da der Herr den famosen Wurm gesandt, ihn zu stechen. Dieses merkwürdige Rankengewächs deutet überhaupt symbolisch allerhand vor, daran sicherlich nicht der sehr erregbare Prophet gedacht, nicht einer auch der ungezählten Einwohner von Ninive, an denen er sich so sehr geärgert hat. Also: die Polemik in der Zeitung, die mit zu ihrem eigensten Wesen gehört, die knüpft jeder dort an, wo er es nach Neigung und Vorbildung eben kann. Da haben die Franzosen vorbildlich gewirkt; mit Heines Mitteln wird nicht mehr viel gearbeitet. Heines Künste ins Persönliche zu wenden, ist schwer. Ihre Nachahmung aber merkt nun schon jeder. Öfter, als mans vermeinte, verspürt man noch eine Nachwirkung der großen nnd zornigen Junius- 55 briefe, so rar heute schon sein mögen, die sie wirklich noch studierten. Was alles zusammengewirkt hat, um den Leitartikel im modernen Sinn zu formen, das ist so leicht nicht zusammengezählt. Übrigens könnte man heute kaum mehr bestimmen, was darunter alles begriffen wird. Der Ort, an dem er steht, bestimmt ihn fast allein. Was immer besonders wichtig erscheint, wird da mit Würde und womöglich mit Wucht abgehandelt. Man spürt gerne Schillersches Pathos; aber auch die visionäre Sprache des alten Bundes und seiner Seher wird wohl einmal dunkel und emphatisch angestimmt und gelegentlich hört man wohl gar die Reiter der Apokalypse hart durch die Spalten der Zeitung bis in den volkswirtschaftlichen Teil traben, da sie sich freilich mancher Dinge verwundern mögen, welche ihnen da aufstoßen . . . Daß der Zeitungsroman — bei mancher Ähnlichkeit grundverschieden vom Familienblattroman — ziemlich ein Genre für sich ist, kann nicht leicht bestritten werden, wenn man ihn, wie notwendig, nur vom Roman in der Zeitung unterscheidet, der beschaffen sein und aussehen kann, ganz wie es die Mittel und der Geschmack der leitenden Persönlichkeiten oder ihre Vermutung von den Wünschen ihrer Getreuen gestatten. Er braucht zunächst die gröberen Effekte. Es muß, wenn nur irgend möglich, jede einzelne seiner Fortsetzungen ihre Spannung in sich haben und Neugierde wecken. Er muß nebenher Bezüge ahnen lassen, Bezüge von der Art, die erraten zu haben schmeichelt, die also soweit versteckt und so weit angedeutet sein müssen, daß es dem eigenen Scharfsinn ohne allzu große Schwierigkeiten glückt, sie auszuwittern. Wir fühlen uns gern wissend und mit verborgenen 56 Kenntnissen begnadet: sehr gerne mündig und überlegen, desto lieber, je unmündiger wir im Grunde sind. Man verachtet das Genre gern. Und es hat ja nicht eben viel hervorgebracht, das über den Tag hinaus dauert und beachtet sein kann. Nun ist aber im allgemeinen doch überhaupt die Zahl des auch nur begrenzt Währenden verschwindend gegenüber dem, was geboren wird, seine Flügelchen schlägt und weggeweht wird vom Sturmhauch, der unablässig aus dem Zukünftigen in die Gegenwart haucht. Ein Hochmut aber, der nur für Stunden im höheren Sinn gültig ist, der hat immer etwas Komisches und bei denen, welche die Erfindungskraft schmähen und gering zu schätzen behaupten, muß man immer an den Bezug denken, welchen schon Grillparzer zwischen den Melodienverächtern und zwischen dem Fuchs, „dem enthaltsamen Vieh", so glücklich herausgefunden hat. Einzelnes nun, das sicherlich für die Zeitung und ihre Bedürfnisse hergestellt worden ist, hat denn doch seinen Platz in der Literatur gefunden und behauptet ihn da und in der Gunst der Leser mit einer Zähigkeit, die so mancher Arbeit zu wünschen wäre, die unter ehrlichem Bemühen, beständigem Befragen der Kunstformen, rastlosem Schielen nach der Ewigkeit verfertigt worden ist. Es kommt eben auch da nur auf den Grad und die Hältigkeit des Talentes an, welches seinen Ausdruck sucht. Eine wirkliche Begabung kann nicht rosten, und mehr oder minder wird sie sich allenthalben bewähren und behaupten und durchsetzen. Eigenschaften des Zeitungsromanes an sich aber sind in gewissen Büchern auch nicht zu verkennen, welche auch der Krittlichste wohl gelten lassen muß. Zu nennen ist da in erster Reihe „Raskolnikow" in all seiner unglaublichen Großartig- 57 keit; und, ein vielgerühmtes Buch der allerjüngsten Zeit zu erwähnen: in Oscar Wildes ,,Dorian Gray" sind ganz besonders dem Ende zu gewisse Partien sicherlich nur geschrieben, um dem Bedürfnis nach Sensation zu genügen, ohne die dem Engländer nun einmal kein Roman denkbar erscheint. Auf sie verzichten, heißt den sonst sicheren Erfolg aus Händen geben. Abermals eine psychologisch nachdenkliche Tatsache: das Volk der Rechner und Kaufleute, das in der Kunst durchaus nicht aufs Mirakel verzichten mag. . . Dieses Bedürfnis nach Sensation aber ist wiederum identisch mit der Sehnsucht nach der romantischen Heimat, die nun einmal unausrottbar in der menschlichen Seele schläft und sich immer wieder und oftmals in der wunderlichsten Weise Ausdruck sucht. Dem die Zeitung alles ist, und deren sind viel mehr, als wir Bildungsmenschen mit unserem vielseitigen Geschmack glauben, der wünscht von ihr Befriedigung auch dieses tiefsten Bedürfnisses seiner Brust. Die Zeitung dient nun einmal mit allen ihren Mitteln und Behelfen zunächst und mit einer ausschließenden Hingebung dem Alltag. Die Sensation stellt scheinbar oder wirklich den Durchbruch der sonst für ihn gültigen Gesetze, den Einbruch des Wunderbaren und Gesteigerten in ihn dar, ist also psychologisch ein Bedürfnis, ist eine Romantik. Die ist vielen erwünscht und zugänglich, denen die gleichfalls mächtige Poesie des Alltags für immer verschlossen bleiben wird und muß, weil sie geschärftere Sinne und einen klareren Blick in das wirkliche Leben und seine Bedingnisse voraussetzt. Das Laute versagt nun einmal seinen Effekt und seinen Eindruck nicht so leicht. Wer das begriffen hat, der wird alles Schelten über müßige Sensationsgier nur be- 58 lächeln. Auch Zeitungen, die lang genug den Schein einer unnahbaren Vornehmheit zu wahren verstanden, können sich endlich ihr, das heißt ihrer eigensten Existenzbedingung nicht ganz, nicht ohne Kompromiß entziehen. Von denen zu geschweigen, die angeblich zu ihrer Bekämpfung begründet wurden, um bald zu begreifen, wie unsinnig da alle guten Vorsätze seien, und ihr fortab bei jeder gebotenen Gelegenheit mit dem innigen Eifer der Reuigen und Bekehrten zu dienen. Groß und eigenartig ist ganz besonders das Bedürfnis der Zeitung just nach etwas, das man ganz und gar nicht für sie notwendig glauben möchte: nach Lyrik. Man denkt gar nicht, wo alles nicht nur mit Stimmungs-, wo mit rein lyrischen Behelfen gearbeitet wird. Zunächst erinnere man sich der Einleitungen zu gewissen großen Fällen, zu Prozessen, deren Ergründung nicht so gar leicht und einfach erscheint, wo verwickelte Fragen des Seelenlebens in Betracht kommen. Die Tatsachen haben Reporter herbeigetragen, und man merkt es nicht eben beifällig, wenn sie sich einen Rand nehmen, um in Schwung zu kommen und die so wünschenswerte Erschütterung auszudrücken und zu erzeugen. Dafür ist gern die Einleitung und die Analyse selber von einer solchen Eindringlichkeit, Ehrlichkeit, so verständig und liebevoll, daß man seine Freude und seinen Nutzen und die Empfindung davor haben muß: hier war ein Mensch voll Verständnis für alle Kreatur, hier war ein v/irklich dichterischer Mensch, psychologisch geschult durch langgeübten Einblick in verworrene und traurige Verhältnisse, wie sie der Gerichtssaal ewig wandelnd und dennoch mit der Eintönigkeit immer gleicher und immer wirkender Notwendigkeiten zeigt, unabgestumpft durch sie, am Werke. 59 Die Kunstform aber, welche der Zeitung am meisten eignet, deren sie zumeist bedarf, die sie wesentlich aus sich entwickelt und bis zu einer ganz eigentümlichen und selbständigen Blüte gebracht hat, ist doch wohl das Feuilleton. Was darunter verstanden wird, läßt sich wiederum in keiner Weise definieren. Was aber ein Feuilleton ist, darüber ist abermals kaum ein Streit möglich. Nicht nur der Mann vom Handwerk, der es auf seine Eignung für einen bestimmten Zweck prüfen können muß, auch der verständige, unverbildete Leser ist sich augenblicklich klar darüber: dieses ist ein Feuilleton, gehört unter den Strich der Zeitung und gefällt mir an diesem Orte; dieses nicht und es ärgert mich da. Ein negatives Kriterium möchte man freilich vermerken können: es darf belehren, aus der Fülle eines großen und eigenen Wissens heraus entstanden sein, — aber es darf nicht ein einzigmal lehrhaft erscheinen. Die Persönlichkeit, der es entsprungen ist, die darf durchschimmern, — durchbrechen aber darf sie abermals nicht. Und endlich ! es muß über dem Ganzen eine gewisse Leichtigkeit, wenn irgend möglich bis zur Anmut gesteigert, verbreitet sein. Wer einmal über deutsche Art und Sinnesrichtung nachgedacht hat, der weiß, wie selten gerade hier jene Veranlagung ist, wie höchst wünschenswert, ja notwendig aber ihre Entwicklung gerade hier gewesen ist, so plump und ärgerlich sich manchmal Einer gebärde, der den Meistern dieses Faches nachtanzen will. Vorbildlich ist hier zunächst Frankreich gewesen. Die früheste und die beste Nachfolge haben die französischen Muster — man erinnere sich doch: das wohl größte und sicherlich reichste Talent der ganzen, nun etwa abgeschlossenen französischen Literaturperiode, deren Beginn noch ins 60 zweite Kaiserreich zu setzen, ist der Feuilletonnovellist Guy de Maupassant, der auch in seinen umfänglicheren Arbeiten seine Herkunft aus diesem Genre nicht verleugnen, noch unterdrücken will — aber in Süddeutschland und ganz besonders in Wien gefunden. Das ist wohl eine Tatsache, die man ohne Spur von Überhebung, vielleicht sogar von Freude konstatieren darf. Denn einmal kostet uns der Reichtum auf diesem Gebiet anderwärts just genug; dann ist es nur natürlich, daß sich das Kunstgewerbe in Ländern alter Kultur früher und eigentümlicher denn anderwärts entwickelt. Die Kunst und das Verständnis für sie, vielleicht nicht mehr kräftig genug, Eigenes zu treiben und zur richtigen Blüte zu bringen, vielleicht nur noch notdürftig aus der Tradition ernährt, hat nun doch einmal gewisse Formen voll Reiz geschaffen, der auch dann besteht und nicht zerstört werden kann, wenn diese Formen, durch eine Zeit mindestens, rein mechanisch nachgeahmt werden. Mit einem Vergnügen, das nur durch den Gedanken an ihre Kurzlebigkeit gestört wird, findet man fast Tag für Tag so allerliebste Kunstwerkchen in Betrachtungen, Plaudereien, Erzählungen in unseren Blättern. Es gehört für dieses Geschäft eine große und frühe Sicherheit; ein fast unfehlbarer Geschmack. Er darf ja wohl bizarr sein: fürs Groteske aber ist in der Regel der Raum zu beschränkt und der Sinn unserer Leser nicht frei und entwickelt genug. Man muß wissen, nach welcher Art Kost sie augenblicklich und überhaupt leckern. Die muß ihnen mit der jeweils erwünschten, auch mit der schärfsten Würze geboten werden. Und wiederum muß man erkennen, wie bald und wie dann für immer die Künste der Hexenküche versagen, 6i während gewisse, ganz einfache Gerichte immer mit dem annähernd gleichen Behagen aufgenommen und konsumiert werden. Es ist wirklich betrüblich, daß eine Sammlung eigentlicher Feuilletons meines Wissens im Grunde noch niemals geglückt ist, sich noch niemals, buchhändlerisch gedacht, behauptet hat. Es ist vielleicht ähnlich, wie mit einem Bändchen Lyrik, das ja auch in der Regel trotz Feingehalt und Innigkeit nicht einschlägt und denen eine Enttäuschung bedeutet, die es angeht. Die aber in ihrem Kern nichts sind, nur Feuilletonisten oder nur Lyriker, sie zu unterstützen ist albern, zur Überspannung ihrer Kräfte zu zwingen aber verbrecherisch. Man merkt ihren größeren Arbeiten dann doch immer an, daß sie in Mühen empfangen sind und, wo sie abschnappen möchten, nur noch mühsam weiter gezerrt werden. Es ist aber immer und trotz aller Fülle des Nachwuchses, just auf diesem Gebiete, sehr fraglich, ob wir reich genug sind, den Verlust an unserem Geistesleben zu ertragen, der uns so immer wieder und täglich zugefügt wird. IN FEUILLETON nun — man muß sich bei der Betrachtung dieser Gattung noch ein wenig verweilen — muß enthalten einen Einfall, gleichviel woher er genommen ist und ob er neu ist oder vielleicht noch vorteilhafter nur erscheint, und muß auf eine ganz bestimmte Pointe hingearbeitet sein. So setzt es denn von denen, die sich ihm widmen wollen, eine an sich vorausbestimmte und durch Übung noch verstärkte Geistesrichtung voraus. In gewissem Sinn müssen 62 witzige Neigungen vorhanden sein, ja überwiegen. Feuerwerkskünste gelten hier mehr, als umfängliche und klug geführte Beleuchtungsanlagen. Dazu ist ein Schein von Kürze unbedingtes Erfordernis. Verweilt sich der Feuilletonist da und dort nach seinem Ermessen und Behagen, — das Ende muß immer wie eine Überraschung kommen und wirken, und das Ineinanderspinnen der vielen und wie wirklich durcheinander gezettelten Gedankenfäden muß als ein freundliches und dennoch notwendiges Spiel wirken. Immer aber muß der Schreibende den Eindruck wecken, als stünde er über der Materie oder über der Persönlichkeit, mit der er sich eben beschäftigt; er muß die Position von oben wählen, auch wo sie ihm wahrhaftig in keinem Sinn gebührt oder zusteht. Nun liegt in jeder Art von Kritik eine Verführung zur Überhebung; man nimmt sich die stärksten und schiebt dem Gegner die nichtigsten Argumente zu. Wie sehr nun diese allgemein menschliche Anlage durch fortgesetzte Tätigkeit in solchem Geist verstärkt werden kann, ist evident. Weiter: die erste und die wichtigste Bedingung einer wahrhaft künstlerischen Tätigkeit ist jene Bescheidenheit des ephesischen Goldschmiedes, der sich ganz an den Zierat verliert, den er eben feilt; die, mindestens in der Arbeit selbst, keine Frage nach ihrem Ziel, nach ihrem Zweck, nach ihrem Lohn kennt; keine Ungeduld, kein Hasten. Das nun ist gar nicht Sache des Feuilletonisten, der doch zunächst sich selbst, seinen Geist und seinen Witz vorzuführen beabsichtigt, der ungefähr befähigt sein muß, die Wirkung jedes Effektes vorzuschmecken, den er anbringt. Das also bedeutet: in der Regel — die höchst schätzbaren Ausnahmen kenn* und 63 acht' ich wohl! — wird eine bis zum Künstlerischen herausgebildete Form in durchaus unkünstlerischem Geist geübt. Das Unheilvolle und Verderbliche dieses Widerspruches leuchtet desto mehr ein, als man ihn im allgemeinen kaum empfindet. Schließlich: es ist immer wie konzentrierte Literatur, so ein Feuilleton. Erzählt es, so wird es, ausgenommen in der Hand eines Meisters, der in sich alles Maß hat und aus sich alle Ökonomie zu üben versteht, der seinen Rahmen ganz genau nach dem Bild aussteckt, das er einmal umschließen soll, da und dort hasten, wird notwendige Glieder der Entwicklung nur andeuten, wo nicht gar überhüpfen. Sprünge und Gewalttätigkeiten, an denen man sich sonst sehr stoßen würde, werden kaum vermerkt, wenn das Ganze nur möglich ist und seine spannende Wirkung tut. Wer wird mit einem Geschöpf der Vergänglichkeit gar so streng ins Gericht gehen? So aber kommt ein falscher Zug in das Verhältnis zur Literatur selbst. Man ist nun einmal diese Sorte von Kost gewohnt und verträgt kaum was anderes mehr. Überall sucht und heischt man jene Eigenschaften, die man hier lieb gewonnen hat. So kommt ein Element der Unruhe in allen Genuß. Man meidet Bücher, die man nicht jeden Augenblick zuklappen und bis dahin vergessen kann, wo man wieder in der Laune ist, nach ihnen zu greifen. Man liebt die Atemlosigkeit, — die Widersacherin eines schönen, geregelten und ruhigen Vortrages, der an sich allein ein so gut Teil aller Kunst von ihrem ersten Anbeginn gewesen ist. Man sieht gern in der Zeilenschinderei eine Gefahr. Zu übersehen ist auch sie nicht, nachdem es so furchtbar schwierig, so fast unmöglich erscheint, einen wirklich ge- 64 rechten Modus der Entlohnung journalistischer Arbeit zu finden, die nicht aus festem Lohnverhältnis vollbracht wird, nachdem es anderseits nützlich, ja notwendig ist, im Journalisten den eigenen Antrieb, den Wunsch sich zu betätigen und bemerklich zu machen, nicht zu unterdrücken. Der noch so oft recht Gleichgültiges, das man ebenso gern und lieber vermißt hätte, gebracht und, so weit man es ihm gestattet und vergönnt hat, auch abgelagert hat, der kann, ja wird es wahrscheinlich einmal in einer Weise treffen, die für alle vorhergegangenen Versuche reichlich lohnt. Es ist ein allererstes Gebot der Klugheit gerade hier, nicht leicht einen endgültig abzustoßen, ehe sich nicht seine allseitige und unbedingte Talentlosigkeit über jeden Zweifel hinaus evident erwiesen hat. Nun gewöhnt sichs der Kundige so freilich an, manches zu überfliegen und mit nur sehr gleichgültigem Auge zu mustern; weiß genau, was richtig und des Vermerkens wert ist und was man sich schenken darf. Man achte einmal auf das Pensum, das ein geschulter Zeitungsleser etwa in einer Stunde vor sich bringt, ohne daß ihm darum etwas Wesentliches entginge, und man wird staunen, was Überblick und Übung vereint vermögen. Freilich — eine Andacht kann keinem einzigen Beitrag gegenüber geübt werden, sei er noch so vermerkenswert und überrage noch so sehr das Mittelmaß. Dieses Gefühl der frommen Versenkung, mit das kostbarste der menschlichen Seele, wird vom modernen Leben kaum toleriert und hat einen schlimmsten Feind an der Zeitung in allen ihren Emanationen. Es ist übrigens interessant, wie rasch journalistische Moden wechseln und vergehen. Ein ganz besonders klarer Fall: das Feuilleton, wie man es einmal überwiegend begriff, übte, kategorisch forderte, daß es beinahe schien, ein Blatt 65 V5 ohne das sei undenkbar, das Feuilleton, das sich in den verwogensten Gedankensprüngen tummelte und behagte, Brücken schlug zwischen scheinbar ganz Unvereinbarem, das ist so gut wie ausgestorben. Man bekam seine Sorte Geistreichigkeit, seine gezierte Grazie, die im Deutschen nun einmal immer nach dem Tanzmeister schmecken wird, gründlich und wohl für immer satt. Der heute noch seine Ergüsse an die schöne Leserin richten würde, dieselbe holde Dame, die einmal jedem im Schreiben über die Schulter sah, der würde mitleidig belächelt oder bestaunt, als sei einem Museum ein gut ausgestopftes Präparat entsprungen und begehre durchaus, sich lebendig zu benehmen und zu betätigen. Man denke des Aufsehens, das Bogumil Goltz, wirklich ein reicher Geist und überquellend aus eigener und eingeborener Fülle, die sich an der Betrachtung gar nicht ersättigen konnte, einmal gemacht und vergleiche die vollkommene Vergessenheit, in die derselbe Mann sobald getan ist, an dessen Lippen einmal ganz Deutschland verzückt gehangen hatte. Ob die Versuche, ihn mindestens in einer Auswahl wieder zu erneuern, auch nur den mindesten Erfolg hatten, ist mir nicht bekannt geworden. Wiederum — es hatten Persönlichkeiten von ganz eigenem Gepräge nach der Feuilletonform gegriffen, die ihnen bequem erschien, alles das auszusprechen, was sie von ihrem ganz persönlichen Standpunkt aus zu den Begebenheiten des Tages zu vermerken hatten. Die übten dann manchmal mächtigen Einfluß, dessen Grund man in Äußerlichkeiten suchte. So fanden sie mehr oder minder gewandte Nachahmung, niemals Nachfolge. Man erinnere sich der überragenden Rolle, die einmal Daniel Spitzer, der Wiener Spaziergänger, von dem man Einzelnes, ja, ganz besonders aus seiner Frühzeit, da ihm der 66 Stoff noch reichlich quoll, vieles immer noch mit Genuß und mit Nutzen lesen kann, im Geistesleben Wiens gespielt, um nun fast bis auf die Spur weggeweht zu sein. Seine gesammelten Feuilletons haben zahlreiche Auflagen erlebt. Man buche das nicht einmal als Ausnahme! Es war nämlich die Freude am Tratsch, die seine Bücher kaufen ließ, — es wird der größte Teil von ihnen in Wien geblieben sein, wo man wußte, wem seine Angriffe galten, und die Objekte kannte. Was versuchte sich nicht damals alles im Bummeltempo, darin er dahinschlendert Nun sind wohl alle Bemühungen eingestellt; vielleicht versucht an einem Provinzblättchen sich immer noch irgend ein Vizespitzerchen in Bemühungen, gelassenen Spießern ein Schmunzeln abzuquälen, die einmal über jeden Schwank seines Vorbildes so herzhaft gelacht, ohne zu merken, wie schlimme Stacheln in des Spaziergängers Geißel eingeflochten waren, wie tüchtig und voll Kraft der Arm, der sie schwang, wie weit über die Gemarkung der Stadt sie reichte und traf. Da hat man in der breiten Öffentlichkeit wieder einmal einen für einen guten Spaßmacher gehalten, der was ganz Anderes und viel Höheres war. GROSSE Verdienste die Zeitung um die Verbreitung von Kenntnissen hat, und man darf ihre Leistungen getrost hoch einschätzen, so sehr hat sie andererseits, wie wir gesehen haben, zum Verderb des Geschmackes beigetragen. Sie hat Vielen erst die Möglichkeit geboten, sich überhaupt die für ein Urteil notwendige Reife zu erwerben: die Meisten darunter hat sie freilich leider zur 67 s* Absprecherei und zum Dunkeln gebracht. Sie ist das unumgänglichste Korrelat jeder allgemeinen Volksbildung. Das muß gesagt sein, so klar man ihre Mängel und die Gefahren erkenne, welche in ihr sind. Und, je beengter sie arbeitet, desto einseitiger entwickelt sie ihr Schädliches, ja Verderbliches. Sie hat manche Zweige des Schrifttumes unterjocht und dadurch für eine höhere Entwicklung beinahe zum Verdorren gebracht. Sie hat blühende, literarische Unternehmungen schwer geschädigt. Man denke der Revuen, die in Deutschland kaum jene Rolle gewinnen können, die ihnen in Frankreich und in England zugefallen ist. Sie haben denn doch künstlerisch mehr Rücksichten zu nehmen, gehaben sich vielleicht beengter, als sie in Wirklichkeit wären, und ließen sich so auch da die Führung abgewinnen, wo sie unter gar keinen Umständen darauf verzichten hätten dürfen. Es kommt dazu; so innerlich gleichgültig die Zeitung in ihrer heutigen Entwicklungsform der Literatur gegenüber steht, so sehr gefällt sie sich darin, mit großen Namen zu prunken und aufzuziehen. Nun ist der Etat eines großen Blattes so kolossal, daß die Honorare, auch für unsere deutschen Begriffe noch so hoch gegriffen, aus besonderen Anlässen neben dem Erfordernis des Gesamtjahres einfach verschwinden. Dadurch sind alle die in Nachteil gesetzt, die genauer und für die ganze Zeit rechnen müssen. Man kennt doch in Kreisen, denen nachgefragt wird, die Bräuche und rechnet mit ihnen und den Festen als den Zeiten gesteigerter Nachfrage, behält gern in seinem Pult etwas, das man für geeignet und für marktgängig betrachtet, für sie zurück — gewiß, bei solchen Gelegenheiten auch Minderwertiges zu ganz leidlichen Preisen an Mann zu bringen. 68 Um das Schwinden der Macht der Familienblätter, die sich nur noch gültig behaupten, wo sie eine konfessionelle Färbung haben, braucht man nicht allzusehr zu jammern. Sie haben ja wohl in manchem Betracht die Geister befreit, aber nur, um sie in anderer, nicht minder wichtiger Hinsicht, desto enger zu umklammern und zu binden. Sie haben das Weltbild bis ins Unerträgliche verzierlicht und versüßelt, haben vielfach ganz falsche und unhaltbare Ideale mit all ihrer nachhinkenden Enttäuschung aufgestellt, zwangen die, welche sich ihnen hingaben, die Dinge aus einem ganz falschen Gesichtswinkel zu nehmen und darzustellen. Das trifft die Frau nun immer leichter als der Mann, weil ihr in der Regel viele und wichtige Formen des wirklichen Lebens verschlossen bleiben. So haben sie nicht zuletzt den Feminismus in der Literatur, der bei einzelnen höchst sympathischen Erscheinungen doch nicht gar viel Bedeutendes hervorgebracht hat und manche Geschmacksverderbnis züchtete, großwachsen lassen. Auch im Schaufenster der deutschen Literatur, wo man sie nicht gerne sieht, begegnet man einer ganz erklecklichen Menge weiblicher Handarbeiten, nach bewährten Mustern recht geschmackvoll auf irgend eine haltbare Unterlage hingestichelt. Ist schon sonst nichts an ihnen zu bewundern, so rühmt man mindestens die Geduld und den Fleiß, die sich in der Ausführung betätigt hätten, —Tugenden, an denen das andere Geschlecht dem Mann freilich immer überlegen war und bleiben wird. Die Methode nun, für besondere Gelegenheiten Schaustücke und Prunkschüsseln von auswärts ohne Rücksicht und ohne Frage nach den Kosten zu beziehen, wird sich ohne allen Zweifel in Zukunft noch mehr entwickeln. 69 Sie erleichtert gerade für Zeiten die Arbeit, da sie sich zu sehr drängt, um ohne Fazilitäten noch mit der wünschenswerten Genauigkeit, eine noch so hoch gegriffene Vorbereitungszeit zugestanden und angenommen, verrichtet werden zu können. Sie schiebt einen Teil der Verantwortlichkeit vom Redakteur, der sein Werk vollendet hat, wenn er nur genügend gültige Namen um sich zu sammeln verstand, den Autoren selber zu, die endlich wissen müßten, was sie noch vertreten, noch unter ihrem Namen ausgehen lassen können und wie weit sie sich zum Grundsatz des Seerechtes für ihre Leistungen bekennen wollen, nach welchem die Flagge die Ware deckt. Es wird ja wohl damit einiger Mißbrauch getrieben. Weiterhin ist es, wie schon ausgeführt und nach Kräften begründet, ersichtliches Bestreben der modernen Entwicklung der Zeitung, aus ihrem inneren Betrieb die Persönlichkeit auszuschalten. Das wird immer deutlicher werden, jemehr die gelernten, die heraufgedienten Journalisten Einfluß bekommen und sich aus einem Instinkt der Notwehr mindestens nach außen hin, weil sie gegen die aus dem Zentrum wirkende Gewalt wehrlos sind, zu einem Ring zusammenschließen, der seine Stacheln alle gegen die Unzünftigen, gegen die Böhnhasen kehrt. Eine durchaus oder auch nur eine zu sehr unpersönliche Zeitung aber ist auf die Dauer schlimmer als nur abgeschmackt — sie ist sonder allen Geschmacks, also nur für kürzeste Weile genießbar. Und so wird man denn mehr und mehr die Persönlichkeit, die man aus dem regelmäßigen Betrieb herauszudrängein verstand, sich zum Nothelfer heranrufen.**' Zu Fragen von besonderem Gewicht, die nicht 70 leicht nur mit der gewöhnlichen Bildung behandelt werden können, befragt man immer lieber Männer von Ruf des betreffenden Faches. Sie lassen sich nicht ungern vernehmen: man hat niemals ungern eine Bescheinigung seines Ansehens und seiner Beliebtheit, und der stille Gelehrte, der sonst nur für sein eigen Gewissen und für den engen Kreis der Verständigen arbeitet, fühlt sich gern für Augenblicke mindestens der großen Öffentlichkeit gegenüber, als ihr Führer und Wardein, ehe er wieder in der gewohnten Stille ver- schwindet. Die Entartung dieser ganzen Richtung, übrigens eine ganz niedliche und oftmals gar nicht übel geglückte Spekulation, die nur zu häufig und also zu durchsichtig ward, um immer noch die volle Wirkung zu tun, sind die Rundfragen gewesen, deren man sich kaum erwehren konnte. Das brach herein, wie eine neue Sintflut, und verlief sich ebenso wieder ohne alles eigentliche Ergebnis; die sündige Welt trieb ihr Wesen weiter, als wäre nichts geschehen, und war höchstens, wie nach jener feuchten Katastrophe um den Suff, um irgend ein neues Laster reicher. Auch das ist ja nicht zu verschmähen und unter Umständen sogar ein Kulturgewinn trotz der Entrüstung der Moralisten. Aber — allen Ernstes, um was ward nicht alles gefragt ! Es wäre notwendig gewesen, immer nach dem Konversationslexikon zu greifen, um seine Kenntnisse aufzufrischen, oder unablässig mit sich und seinem Gewissen zu Rate zu gehen, welches in solcher Ausdehnung eine verdrießliche Geschichte bedeutet. Dennoch kam noch ganz Kluges zu Tage, was erstaunlich genug ist. Für noch erstaunlicher aber muß gelten, was für gewitzte Männer sich so honorarfrei einfangen ließen und diesen Leim bereitwillig bekrochen. 71 AN MUSS ja im allgemeinen bei Nachrichten, welche das Zeitungswesen anlangen, sehr behutsam unterscheiden und Kritik üben. So groß nämlich die Macht der Publizistik immer sicherlich sei: es liegt überdies in ihrem Interesse, zeitweise an besonders beredten Exemplaren ihren Einfluß auch den Stumpfsinnigen gegenüber zu erweisen. Für je leistungs- und zahlungsfähiger eine Firma gilt, desto reicher und unbedingter werden ihr alle Mittel zur Ausdehnung des Betriebes zur Verfügung gestellt, desto mehr kann sie sich auf Kosten des Wettbewerbes ausbreiten und mächtig machen. Dies gilt auch hier: und so wird denn manchmal auch eine gewandte Notiz zur eigenen Glorifizierung ausgesandt. Da sei denn nun auf eine Meldung aus der letzten Wahlkampagne der Union aufmerksam gemacht. Dem vielleicht — gleichviel aus welchen Gründen, denn das Volk schafft sich nun einmal seine Idole und betet hernach eine gewisse Zeit andächtig zu ihnen, bis es sie in die Rumpelkammer für ausgediente Götzen wirft, — beliebtesten Kandidaten um die Präsidentenwürde, der jemals in der Union dagewesen, stellte sich Herr Hearst entgegen, auf nichts gestützt, als auf seine Millionen und auf eine Unzahl „gelber** Blätter, die ihm gehörten und also für ihn arbeiteten. Rechnet man, daß Herr Hearst sich vordem keineswegs so bemerklich gemacht hatte, um nur einigermaßen ernst genommen zu werden, daß er persönlich und agitatorisch in keiner Hinsicht seinem gewandten, mit einer vortrefflichen Witterung für den Volksinstinkt begabten und niemals um 72 ein glückliches Schlagwort verlegenen Gegner gewachsen schien, so muß das Resultat seiner allerdings verschwendeten Bemühungen, auch die aufgebotenen Unsummen in Rechnung gestellt, nicht so ganz verächtlich erscheinen und müßte nachdenklich stimmen, die es angeht. Die Allianz, die hier zum erstenmal offensichtlich in Aktion trat, ist keineswegs so ganz unbedenklich. Was nun die Macht der Publizität ganz besonders steigert, was ihren Einfluß über die Gemüter erhöht, das ist der schwindende Sinn für Intimität, für jene Innigkeit des Lebens, die seinen feinsten Reiz ausmachte für diejenigen, welche das Organ dafür noch nicht ganz verloren haben. Nun hat es sich herausgestellt, daß alles sich bis zu einem bestimmten Grad von Notorität, ja Berühmtheit bringen läßt, wenn es nur mit dem genügenden Nachund Hochdruck angepriesen wird. Man muß nur berechnen können, wie weit man gehen darf, will man nicht den Widerspruchgeist des Publikums herausfordern und nicht das Mißverhältnis der Proportionen in der Bedeutsamkeit des Angepriesenen und der Mittel offenbaren, welche zu seiner Verherrlichung aufgeboten werden. Nun hat das alte und schöne Wort vom „Wandeln im Lichte" vielfältig einen neuen Sinn angenommen. Man begreift das Wandeln im Lichte der Öffentlichkeit darunter, fühlt sich beglückt, kann man dahin unter welchen Kosten immer gelangen, und verkürzt, verstoßen, unglücklich, soll man unter den Unbeachteten, Ungenannten seine Tage ver- bringen. Das gilt nicht nur für Stände und Berufe, die auf die Öffentlichkeit angewiesen sind und bei denen man somit den Vorteil erkennt, den es für sie bedeutet, viel, immer 73 wieder genannt zu werden, bei denen sich die liebe Eitelkeit und das geschäftliche Interesse also berühren und verquicken. Gewandte Reklame nützt da so unsäglich, daß man durchaus nicht rigoros sein darf. Aber, es tun da mit besonderer Vorliebe auch Frauen mit, bei denen man den Zweck absolut nicht absieht, es sei denn, daß sie eben der Anziehungskraft von keinerlei Licht widerstehen könnten. Es ist unglaublich und ein Mensch von noch nicht ganz zerrütteten Begriffen traut kaum seinen Augen, was da unter Umständen alles der Öffentlichkeit aufgedrängt und mitgeteilt wird. Intimitäten, von denen im Grund nur die Allernächsten angenehme Kenntnis nehmen dürften, werden preisgegeben, behaglich erörtert, ja annonciert. Und man rede nur hier nicht von Engherzigkeit und Splitterrichterei. Denn eines muß auf diesem Wege in denen, die es angeht, unbedingt und für immer zerstört werden: das Schamgefühl der Distanz wärs vielleicht zu nennen. Und nun weiß man: die Scham ist eine gesellige Tugend, eine Tugend der Erziehung, und es gibt nichts so Ansteckendes, wie welche Form der Schamlosigkeit immer. Nimmt man nun dazu, daß es vorwiegend die Schichten der Bevölkerung sind, welche führen und erziehen sollten, die hier mittun, so wird man schon leicht begreifen, welche Gefahr für wirklich gute Sitte, nicht für gute Manieren (die aber endlich auch nicht so ganz belanglos sind, daß man sie leichten Herzens gefährdet sähe), welche Verwirrung der Begriffe für immer weitere Schichten der Bevölkerung so groß gezogen wird. Ohnedies — das moderne Leben ist laut, überlaut. Es ist jener sanften Stille feindselig, in der allein noch alles 74 Beste aufgewachsen ist, dahin wir uns flüchten müßten, wollen wir uns auf uns selbst, auf unsere eigensten Ziele und letzten Aufgaben besinnen. Und nun wird der Lärm künstlich geschwellt und gesteigert, damit er uns auch dahin verfolge; und zum Spektakel, der mit dem modernen Betrieb, mit seinen Behelfen, Mitteln und Maschinen notwendig verknüpft ist, gesellt sich ein neues, ein ganz überflüssiges, ein kleinen Eitelkeiten dienstbares Korybantentum. Auch diese Priesterwürde nährt übrigens recht stattlich, die ihre Würde empfingen und sie verständig zu nutzen wissen. Und auf diesem Wege wird allerhand den Gesinnungen des Volkes eingeflößt, das nicht eben sehr erzieherisch wirken kann. Da wird eine Neugierde aufs Persönliche gerichtet, die nichts anderes ist, als der ins Riesige gesteigerte Klatsch, gegen den ja als Mittel zu einer harmlosen Erholung sicherlich nichts zu bemerken ist, der aber als Selbstzweck keinerlei eigenes Denken aufkommen läßt. Vielleicht darum sieht man hohen Ortes seine Pflege so gar nicht ungern. Es wird ferner die Vorstellung geweckt, als sei von besonderer Wichtigkeit, mit einer eigenen Weihe umgeben, was die Angehörigen der sogenannten herrschenden Klassen zu tun belieben. Der Respekt vor der geheiligten Geburt und vor dem allmächtigen Geldsack wird so denen eingeflößt, die ihn empfinden sollen; und die Herrschaft der Plutokratie, die immer nachdrücklicher ihren Erbschaftsantritt nach der Aristokratie erklärt und durchsetzt, wird verfestigt. Es ist so eine widerwärtige Protzenhaftigkeit erwachsen. Allenthalben hört man das Gold klingeln; wer einen Satz spricht, der erhöht seine Wirksamkeit gern dadurch, daß er seine Groschen im Takt dazu klimpern läßt. Und so muß denn jede feinere Geselligkeit allerdings leiden, ja fast un- 75 möglich werden. Man sucht einander nur zu überbieten; nichts wird mehr in die Anmut des Genießens, alles in seine Willkürlichkeit, ja Gewaltsamkeit gesetzt. Das holde Maß geht verloren und darf nicht wiedergefunden werden. Aber jedermanns Sache ist es immer noch nicht, die Liste der Genüsse, die er abends vorher empfangen hat, den kommenden Morgen mit allen Einzelheiten in der Zeitung veröffentlicht zu sehen. Es gibt immer noch feiner fühlende Menschen, die schon die Möglichkeit schreckt, die sinnreichen oder scherzhaften Worte, die ihnen ein glücklicher Augenblick, ein anregender Nachbar wachgerufen hat, in die Öffentlichkeit gezerrt und einer müßigen Bewunderung preisgegeben sich zu denken. Und so kann sich zum Beispiel die vielleicht feinste aller Künste, die Plauderkunst, durchaus nicht entwickeln ; und so werden immer mehr aus der Geselligkeit gerade die ausgeschieden, die allein sie adeln und erhöhen könnten. |S IST bereits der Müdigkeit gedacht worden, welche sich Vieler und nicht der Schlechtesten angesichts des Tages und seines Gezänkes bemächtigt. Die Einen wollen nichts mehr davon wissen, weil sie im Grunde doch nichts davon verstehen, und aus allen Versuchen, sie aufzuklären, nicht ganz ohne Anlaß nur ebensoviele Versuche herauswittern, sie zu lenken und zu be- einflussen. Den Anderen aber ist alle Erörterung ähnlicher Fragen verleidet, weil sie nur zu genau wissen, wieviel Spiegelfechterei immer dabei getrieben wird, wie wenig Einfluß 76 alle diese Diatriben und großen Redensarten auf "den Gang der Dinge selbst und auf ihre eigentliche Entwicklung üben. Es ist auch der Glauben an die Heilkraft verfassungsmäßiger Zustände vielfach nicht mehr in der alten Lebendigkeit in den Gemütern. Damit aber ward die Hoffnung auf die Macht des gesprochenen Wortes, auf den Wert jeder vor der Menge aufgerichteten Tribüne, also auch der Presse, erschüttert. Nun ist die Presse von Haus aus eine oppositionelle Einrichtung. Man erinnere sich der ersten Anfänge, da sie sich in England durchzusetzen und bemerklich zu machen begann. Es trat ihr der allgemeine Argwohn der Mächtigen entgegen; schon damals gab es keinen Vorwurf, den man an ihr gespart hätte; das Parlament begegnete ihr feindlich, und sie mußte sich jeden Fortschritt und jede freiere Bewegungsmöglichkeit hart genug ertrotzen und erstreiten. Vielleicht ist es währende Erinnerung daran, wenn eigentlich die oppositionelle Haltung immer und allenthalben leichter Anklang und Glauben findet. Es steckt nun einmal ein Argwohn gegen die letzten Absichten der Regierungen in den Gemütern. Man denkt sie sich nur zu gern immer noch als dem wahren Frommen des Volkes feindselig, als erfüllt von Plänen, die man nicht gern offenbart oder verraten sieht. Vor allem, und dieses nicht ohne Grund aus Erfahrung und Vergangenheit her: man empfindet und man glaubt einen urewigen Gegensatz der vorwärtsdrängenden und der retardierenden Gewalten. In einem unablässigen, in einem unversöhnlichen Zwist, der erst am Ende der Dinge in der allgemeinen, fröhlichen Harmonie zusammengestimmt und ausgesöhnt sein kann, argwöhnt man sie begriffen. Es hat 77 sich ja oft genug begeben, daß von oben revolutionäre Gewalten zu Bundesgenossen genommen wurden; immer aber nur, wenn alle normalen Mittel und Künste vollends versagt hatten, wenn irgend eine Steigung zu überwinden war, über die normale Kräfte nicht schleppen konnten; immer mit der regelmäßig nach Tunlichkeit verwirklichten Absicht, die gefährlichen Nothelfer auf der Höhe zu verabschieden, wenn man sie nicht wieder bändigen und unschädlich machen könnte. Es ist ein Verdacht der Unehrlichheit nun einmal nicht zu tilgen. Und nicht ohne Beklommenheit suchen die Steuermänner sich in einem Boden zu verankern, den sie nach all ihren Begriffen für unzuverlässig und zu leicht beweglich halten müssen. Der nun hier eingreift, der hat mindestens ein Weilchen bequemes Spiel. Mit einem schönen, gruselnden Entzücken sieht man Schleichwege aufgedeckt und verfolgt ihre Krümmungen zunächst ohne die Frage, ob sie nicht nur ad hoc angelegt worden sind, ob sie wirklich schon jemals eines Menschen Fuß betreten hat. In jedem Menschen findet die Anklage zunächst sicherer und unmittelbarer Widerhall, als die Verteidigung. Es ist in uns doch wie ein allgemeiner, schlummernder Verdacht gegen alle Welt, der nur des Stichwortes und des Anlasses harrt, um wach zu werden. Man beobachte sich nur selbst: es werde z. B. ein Gemunkel gegen einen Mann laut, den man in sich selbst sehr hoch gestellt, den man ober jeder Niedrigkeit zu glauben meinte, den zu verehren man sogar das Bedürfnis empfand. Welches ist wahrscheinlich in einer normalen, nicht einmal in einer besonders bösartigen Seele die erste Regung, die nur bei besonders Tapferen unterdrückt wird, ehe sie ganz ins klare Bewußtsein gedrungen ist? Sie 78 wird vermutlich ungefähr lauten: Hab' ich mirs doch immer gedacht! Vielleicht gar: Das hat aber einmal gebraucht! Und nun muß man Gegengründe sammeln, und man muß ordentlich mit sich in Gericht gehen, um solcher Abscheulichkeiten Herr zu werden, an deren Unwürdigkeit man in sich keinen Augenblick zweifelt. Es ist das eine unleugbare Tatsache: sie erklärt manche Übereilung, die hernach bitter bereut wird, manche Entfremdung, die nimmer gut zu machen ist: und es können vor ihr alle die nachdenklich und an ihrer Ansicht stutzig werden, die so unentwegt die ursprüngliche Güte der Menschennatur ver- teidigen. Für die Dauer genügt der Widerspruch allein freilich nicht. Er versagt bald genug. Aber er verheißt immerhin mehr und bequemeren Erfolg, als die Anerkennung, in der denn doch eine Art Gefolgschaft und Unterordnung liegt. Nun — und derlei mißbilligen und beargwöhnen nach der Reinheit der Beweggründe just die am eifrigsten und schnüffelndsten, die für sich allein nicht einen selbständigen Schritt zu tun fähig wären. Ganz besonders in Deutschland hat der allen Grund, seinen Zusammenhang mit den lenkenden Kreisen zu verhüllen, der ihnen wirklich und aus guter Gesinnung nützen und dienen will. Hier kann eine Auszeichnung immer noch den Glauben und die Reputation annihilieren, die ein ganzes Leben erworben hat. Die sich der Blätter wirklich und klüglich zu bedienen verstanden, die wußten auch immer ganz meisterlich die Spuren zu verwischen, die zwischen ihren Ämtern und den Redaktionen bestanden. Die offiziösen Blätter haben nun einmal nicht nur den Ruf einer wohlgegründeten Langweiligkeit und Ehrbarkeit; 79 man kann sich immer noch nicht von der Vorstellung freimachen, als gäbe sich der Regierung nur hin, wer sonst gar keinen Käufer mehr findet. Als wäre der minder und minder gefährlich unfrei, der immer und Alles aus Zwang anschwärzen muß! Am drolligsten und allereigentümlichsten offenbart sich das wohl in Österreich: es genügt hier nach mancher Erfahrung, daß die Regierung sich für ein Blatt interessiere, damit das Blatt minderwertig sei und nicht mehr recht gedeihen könne, — selbst dann, wenn es rein schöngeistig ist und in erster Linie die Absicht verfolgt, zu zeigen, was wir vermögen und daß wir keineswegs so zurückgeblieben sind, wie man uns manchmal hinstellt und wie wir in schlimmen Stunden selber raunzen. Das, sollte man meinen, sei doch einmal ein Zweck, den man von oben her ohne Hintergedanken fördern könne und dürfe und dem reichere Mittel, die so zur Verfügung stehen, nur zugute kommen sollten. Und dennoch ruht ein Fluch auf allen ähnlichen Versuchen. Unsummen sind schon so ohne den mindesten dauernden Erfolg vertan worden. Ich denke dabei an die verschiedenen mißratenen Versuche, in Österreich ein Familienblatt hervorzubringen, das der deutschen Produktion auf diesem Gebiet hätte entgegentreten können, etwa an den Kampf der „Heimat" gegen die mißliebig gewordene ,, Gartenlaube", der so jämmerlich endigte trotz großer Mittel und wiewohl die „Heimat" geschickt genug gemacht war und in ihrem Bestand mindestens zwei Romane gebracht hat, die schwer wogen und länger währen dürften, als was in der ,, Gartenlaube" an Erzählendem seit ihrer Begründung wohl bis auf diesen Tag veröffentlicht ward. Ich meine Anzengrubers ,, Schandfleck" und seinen grandiosen „Sternsteinhof". Und daß die 80 Stellung beim Blatt, lässig genug genommen und geübt, ihm doch einige Jahre den Lebenskampf erleichtert hat, der schwer genug auf ihm gelastet, versöhnt mit manchem wiederum. Das Aufkommen der „parteilosen" Blätter, die über Deutschland auch in noch vereinzelten Mustern nach Österreich gedrungen sind, die aber auch bestehende Unternehmungen beeinflußt und farblos gemacht haben, ist oft als ein Behelf erneuter Gedanken- und Gesinnungslosigkeit beklagt und angeklagt worden. Aber — sie entsprechen wirklichen Bedürfnissen. Gewisse Fragen sind so heikel oder sie sind so spitzig, daß es nicht möglich ist, sie unbefangen zu erörtern, ohne bei einer der beiden Seiten Anstoß zu erregen. Eine Verständigung darüber ist aber von vornherein ausgeschlossen. Diese werden also überhaupt nicht erörtert. Die Möglichkeit eines eigenen Urteils wird aber jedem, der sichs zu bilden wünscht, durch überreiche Darbietung des Rohmaterials geboten. Gerade die parteilosen Blätter haben journalistisch manchen Fortschritt angebahnt. Sie haben zum Teil einen herrlichen Nachrichtendienst. Die schärferen Reizungen, auf die sie da und dort verzichten müssen, haben sie durch ganz glänzende Leistungen auf anderen Gebieten zu ersetzen gewußt. Sie bieten zu den niedrigsten Preisen, die man gar nicht versteht, hält man das Gebotene dagegen, einen überreichen Lesestoff, an dem die Menge immer ihr Genüge finden, aus dem aber auch der Gebildete Manches für sich herauslesen wird. Und — das Gezanke, das uns sonst widerwärtig und kläffend fast jeden Schritt unseres Weges geleitet, das verstummt für ein Weilchen. Es muß nämlich mit allem Nachdruck endlich einmal 8l V6 gesagt sein: Gesinnung, Überzeugung und Aufrichtigkeit in allen Ehren, aber der Mißbrauch, der vielfältig damit getrieben wird, der verletzt nicht allein den guten Geschmack. Er wird langsam eine Gefahr. Für alles und jedes darf man sie denn doch nicht als Kriteria ansehen wollen und danach Gerichtstag zu halten geneigt sein. Dennoch wirds immer wieder versucht. Und das geschieht mit Vorliebe bei Unternehmungen jener Richtung, der, ob er sich zu ihr bekenne oder nicht, der moderne Mensch sich am ehesten zugeneigt fühlt und verwandt meint. Abermals berühren sich hier katholische und sozialistische Presse. Der Katholizismus aber kann keineswegs den Ehrgeiz haben, muß es sogar nach seinem ganzen Wesen ablehnen, ein wirklich vollkommenes und rundes Weltbild geben zu wollen. Bei ihm ist Lehrgebäude und Weltanschauung vollkommen eines, und mit darin ruht seine Macht, die bisher aller Anstürme gespottet hat, wie ihrer wahrhaftig genug und mit allen ersinnlichen Mitteln gegen seine ragenden Schanzen unternommen worden sind. Er hat da oder dort Einbuße erlitten, auch von ganz schmerzlicher Beschaffenheit, daß man's nicht leicht verwindet. Niemals geschah dies ohne die Hoffnung auf endlichen und endgültigen Wiedergewinn, die nur zu oft sich erfüllt, niemals ohne einen Ersatz von anderer Seite. Er hat das Recht, abzulehnen, was irgend seine Kreise stören könnte, und scheine es Vielen noch so wichtig. Aus dem Gefühle seiner eigenen unendlichen und unzerstörlichen Dauer ist ihm jedes Hasten fremd; man kann ja immer wieder prüfen und überprüfen und, wenn sich die Zeiten geändert haben und es paßt denen, welche die Zügel führen, so kann man immer die Hexe und den Ketzer von gestern — vor Gott sind doch tausend Jahre 82 wie ein Tag! — in den Rang und den Reigen der Seligen erhöhen. Er hat aber auch die Pflicht, aufs Genaueste sich anzusehen, der sich zu ihm gesellt und bekennt. Er kann, er darf keine verdächtigen Kantonisten in seinen Scharen leiden: und seine Approbation ist so gewichtig, jede Irrung in ihr ist so sehr eine Bloßtellung dessen, was Ungezählten die letzte, die oberste Autorität sein und bleiben muß, daß man alle Bedenklichkeiten versteht. Nun aber tritt doch der Sozialismus mit just den entgegengesetzten Ansprüchen auf den Plan. Er ist ja aus der Kritik entstanden, angewendet ohne alle Rücksicht und ohne alle Scheu auf Begriffe, die man als gültig, auf Verhältnisse, die eine Generation von der anderen als unerschütterlich übernommen und ererbt hatte. Nicht umsonst stehen Untersuchungen über das Erbrecht fast an seinem Eingang. Und nun setzt sich ein gerade bei ihm widerwärtig Doktrinäres durch. Nicht sein Lehrsystem ist hier gemeint. Dies ist und bleibt eine interne Sache. Damit müssen sich eben abfinden, die es angeht, die zur Fahne geschworen haben, um vielleicht nachträglich Bedenken zu bekommen und sie auf die Gefahr des Bannes hin zu bekennen. Ein Einfall, der hier vermerkt sei: erinnert die Art, in der sie ihre Hochschule für Agitation —übrigens wirklich ein Bedürfnis für eine Partei, die in einer Art und in einer Intensität im Zusammenhang mit dem Volke bleiben muß, daß sich normalerweise auch die stärkste Arbeitskraft zeitig vernutzen muß — einzurichten gedenken, nicht in vielem an die Priesterexerzitien, wie sie der Katholizismus immer wieder zur Übung der Seelsorger veranstaltet, damit sie nicht etwa einrosten? Aber, die Gefahr, die ich meinte, liegt darin: es wird nun noch oder schon viel zu sehr nach Gesinnung gefragt, ja geschnüffelt. 83 6* Was man den Liberalen einmal gerade von dieser Seite vordem mit Fug zum Vorwurf gemacht, das geschieht nun schon zu gerne auch hier: es wird nach der Zugehörigkeit zur Partei nur zu oft gelobt, das herzlich unbedeutend ist, wenn es nur an sich oder durch Begleitumstände als Kampfmittel brauchbar erscheint. Dinge aber, die aller Beachtung wert wären, die können kaum erwähnt werden, weil sie mit der ,, Bewegung" nicht im Zusammenhang stehen. Gerade hier aber wünschte man die größte Unbefangenheit, den weitesten Raum für solche Fragen. Hier wird nämlich wirklich in vieler Hinsicht Erziehungswerk getan. Dies abermals einseitig angepackt zu sehen, tut weh. Es werden oftmals nur neue Fälschungen an Stelle der gewohnten gesetzt. Das ist kaum ein Fortschritt, ist desto betrüblicher, nachdem man guter Erwartungen gewesen war, als könnte von hier mancher Anstoß zum Heil kommen. Es ist eben jede Diktatur eine Gefahr; sie werde von einer Partei geübt, die alles nach ihren Ansprüchen eingerichtet und betrachtet wünscht, oder, wie es die Regel ist, es habe sie der Kapitalist an sich gerissen, der seine Zinsen und seinen Unternehmergewinn will. Geglückte Versuche einer Vertrustung, wie eben eine wieder aus Amerika gemeldet wird, sind mir in Europa noch nicht bekannt. Wunderlicherweise. Denn die Vorteile sind so groß, daß sie in die Augen springen; vielleicht zu groß, um sich vor der Wirklichkeit zu bewähren und zu behaupten. Allein die gemeinsame Oberleitung stellt doch eine wesentliche Ersparung dar und bedeutet in der Zeit des Telephons, also der Möglichkeit mündlicher Direktiven auf die weitesten Radien hin, kaum eine wesentliche Schwierigkeit. Selbst die gleichen Druckformen könnte 84 man bei kurzen Distanzen unter Umständen mehrfach verwerten. Wie viel niedriger die Gestehungskosten der einzelnen Meldung sich so kalkulieren müßten, ist evident. So steht manhier eigentlich vor einer sicherlich nur scheinbaren Anomalie. Was in Wien in letzter Zeit sich mehrfach begeben hat: dieZusammenlegung mehrerer für sich passiver Blätter und ihre Unterstellung unter eine gemeinsame Verwaltung, kann keine Beweiskraft für sich haben, aber unter Umständen wertvolle Fingerzeige geben. Die nächste Wirkung aller solcher Prozesse aber ist immer doch, daß zahlreiche Existenzen bedroht, ja vernichtet werden; daß die Reserve der Arbeitslosen und damit die Macht der Eigentümer wächst, daß die unter Dach immer fügsamer und begnügsamer werden, je aussichtsloser eine Auflehnung wird. S IST sonderbar: die großen Männer der Presse, Organisatoren, so gut wie Federn, sind eigentlich noch niemals in den Zeiten des währenden Kampfes selbst hoch und zur Geltung gekommen. Ganz besonders in der Zank- und Fehdeliteratur ist, so reiche, ja übermächtige Talente sich in ihren Dienst gestellt haben, wenig Dauerndes. Nicht einmal die Zeit der Reformation, auf die wir allerdings, jeder nach seiner Gesinnung, mit besonderen Gefühlen blicken, ist da so ganz auszunehmen. Es glückt einem sehr selten, das Losungswort auszugeben, daran sich die Geister scheiden und erkennen. Und wo jeder Augenblick sein Recht fordert und seinen Ausdruck sucht, so ungefähr er sei, dort ist der Boden nicht für dauernde Gestaltungen. Das 'ist eben wie im Krieg, 85 wo das Paßwort immer gewechselt und neu ausgegeben werden muß, damit sich die Lager scheiden. In solchen Zeitläuften dominiert die Flugschrift. Der Parteigänger schlägt sich auf eigene Faust herum, in der Hoffnung, von der allgemeinen Neugier zu profitieren, ,, seine Beuten zu erschnappen", sich den Oberen bemerklich zu machen, und vielleicht die Welle zu finden, die ihn für immer in die Höhe hebt. Dauerndes entsteht am ehesten in der Nachbarschaft der großen Ereignisse selbst, wo der Anteil höchst lebendig, die Parteinahme aber schon abgeschwächt genug ist, um ruhige Betrachtung zu ermöglichen. Zu große Nähe verwirrt — dieses Gesetz gilt ewig. Auch ist sehr erregbaren Perioden selbst der Zeitungsartikel schon ein zu umständliches Tun. Er fordert immerhin eine gewisse Sammlung und Einkehr des Geistes; seine Inspiration ist die der Studierstube, nicht die aus einer erhitzten und nach Neuem und immer Gewagterem hungernden Menge dem Redner entgegendampft, ihn über sich hinaus hebt und zu immer kühneren Einfällen hinreißt. Solche Zeiten gehören dem gesprochenen Wort, das freilich bald verpufft, das aber augenblicklich zu allen Entschlüssen und Handlungen hinreißen kann. Und der des nächsten Momentes nicht sicher ist, der will diesen nützen und wirken. Die größten Talente gehören immer der Zeit der Vorbereitung und der Ankündigung an. Auch im Kriege der Geister sind die Mineure und das Geniekorps immer die Klügsten gewesen und bedurften der größten Vorbildung. Bricht alsdann die Sturmflut herein, die sie durch klügliches Unterwühlen der Dämme erst ermöglichten, dann scheint zunächst ihr eigen Werk auch verschwemmt. Rückschauende Betrachtung lehrt schon ermessen, was sie getan. 86 Man erinnere sich der englischen Umwälzung. Aber, da springt uns doch in ihr selbst der eine große und vereinzelte Namen John Milton entgegen. Wer aber blieb, oder was besteht noch aus der stürmisch bewegtesten Zeit der französischen Revolution selber? Vor ihrem Ausbruch — eine verwirrende Fülle von Begabungen, alle unerschöpflich an Einfällen und Erfindungen, den verhohlenen Brand nicht entschlafen zu lassen. Man staunt über diesen Reichtum an Sturmvögeln, über ihre Mannigfaltigkeit nach Bewehrung und Befiederung. Es geht los — und sie sind weggeblasen und was die Wogen auf ihren Kämmen tragen, ist Tang und Schaum. Zeiten der Evolution aber, des beharrlichen Kampfes um Rechte, die den Menschen nur ins Bewußtsein gebracht zu werden brauchen, damit sie ihre Vorenthaltung auch schon für unerträglich empfinden, die zeugen die großen Pamphletisten und weiterhin die großen Kampforgane, die in der Regel nichts tun, als die Gedanken der Einzelkämpfer verbreitern, verflächern, der Menge immer wieder vorkauen, bis sie ihr endlich mundgerecht und einleuchtend sind. Es sind oftmals anscheinend Nugae, Nichtigkeiten und Formalismen, um die sehr hitzig geeifert wird, bis man erkennt, wie wichtig es für die Gesamtentwicklung war, daß sie ins Reine gestellt wurden. Wer immer, aus welchem Grund immer, in der Regel wohl um Stimmung und Stimmen einer gewissen Periode unvermittelt und ganz unverkürzt kennen zu lernen, nach dem greifen mußte, was in ihr selbst publizistisch entstanden ist und vielleicht den größten Einfluß auf die Aufstürmung der Geister geübt hat, der wird sicherlich mit einer schweren Enttäuschung zu rechnen und zu kämpfen haben. 87 Er kennt die Parteien. Er kennt die Organe, welche dazumal als führend betrachtet wurden. Die Namen sind ihm geläufig, die in aller Mund gewesen sind. Man hat bestimmte Vorstellungen, große Erwartungen. Immer werden sie enttäuscht. Man hatte vielleicht gehofft, den Odem jener großen Erregungen zu verspüren. Sie sind ganz und gar verweht. Für Zornesworte findet man nur zu gern ein häßliches Gekeif; für Urlaute, wie man meint, daß sie Katastrophen und andrängende, sich überstürzende Ereignisse, die nicht einmal Zeit zur Besinnung lassen, aufwecken und zum Tönen bringen müßten, begegnet man Phrasen. Und trotzdem eine solche Wirkung? Trotzdem einmal ein solches Zujauchzen auch der Urteilsfähigen? Nicht trotzdem — eben darum. Man erinnere sich gefälligst, was Lessing, der seine feinsten und tiefsten Bemerkungen gern ganz nebenher fallen läßt, einmal von seinen und von jedermanns ersten Gedanken sagt. Dem Unerwarteten, dem Unerhörten gegenüber ist der erste Einfall auch sonst Geistreicher meist eine Trivialität. Vulgär — sie wissen sich keinen Reim darauf. Wer nun von ungefähr das zu sagen weiß, was, nach ihrer Empfindung, etwa sie selber ausgesprochen hätten, der hat ihr Ohr, ihren Beifall, unter Umständen, das heißt, wenn es ihm öfter glückt, ihre Gefolgschaft. Abermals vulgär gesprochen: allein die Tatsache, daß es ihm „nicht die Rede verschlagen hat", daß er seine Geistesgegenwart behauptet hat, wo das ihnen nicht möglich gewesen wäre, imponiert ihnen und läßt sie an eine Überlegenheit glauben, die nicht besteht und nichts darstellt, die, selbst wenn sie bestünde, für höhere Maßstäbe und für die Dauer nichts, aber gar nichts zu besagen hätte. 88 überhaupt, wer es mit Feinheit und mit überlegenem Geist im Journalismus versuchen will, der ist nur in wenigen Stoffkreisen zu gebrauchen und im allgemeinen fehl am Ort. Man muß sich Rechenschaft darüber geben, wie wenig homogen der Leserkreis auch nur eines ganz bestimmten Blattes ist, sein Stammpublikum, das immer wieder danach greift, nicht ausgenommen. Denn auch da, die Zufallsgäste ganz ungerechnet, sucht ein Jeder was anderes, weiß seine Rubrik, die eben hier seinem Geschmack gemäß behandelt wird. Selten gilt der Beifall dem Ganzen, fast niemals wird der Gesamtinhalt mit gleichem Anteil zur Kenntnis genommen. Wer reich an Ideen ist und das nicht genügend zu verhüllen weiß, der wird zum Beispiel in der Politik einen schweren Stand viel Ärmeren gegenüber haben. Er muß sich bemühen, das künstliche Gewebe seiner Gedanken aufzubreiten vor Augen, welche kaum gewöhnt oder befugt sind, den Reichtum an Farben, die Vollendung der Verknotungen, mit der Zettel und Einschlag ins richtige Verhältnis gesetzt sind, zu würdigen oder zu begreifen. Sie werden stutzig sein und sich darum selbst gegen das verstocken und zur Wehr setzen, das ihnen anders einleuchten würde. Der ihnen nahe Ziele zeigt, und zwar so zeigt, daß man sie bald und bequem erreichen zu können glaubt, der ist ihres Ohres sicher. Sie wollen nun lieber mit holden Unmöglichkeiten geprellt sein, als sich vor harten und mühsamen Realitäten finden und abmüden. Der Sturmlauf ist ihnen gemäß, nicht der straffe Marsch. Wer aber ruft und fordert zum Sturmlauf? Auch die rauschende Schlachtmusik verstummt — nur der behende Trommelschläger läßt sich 89 vernehmen oder ein gelles Hornsignal ruft und mahnt zur Einsetzung des Letzten. Was heißt und deutet das? Gestürmt wird selten: aber die eintönige Trommel erzwingt sich immer ihren Gehorsam. Eine große Einfachheit, nur natürlich so maskiert, daß man's nicht merkt, braucht, der die Mengen in Bewegung setzen will. Und klopfe er immer dieselbe Marschweise herunter, — wenn's ihm nicht zu viel wird, seine Hörer werden sie nicht leicht überbekommen, vielmehr seine Konsequenz bewundern. Voraussichtlich wird bei allem Spott darüber, der seit jeher beliebt war und nur zu oft die Scheu vor etwas nicht leicht Begreiflichem verhüllen sollte, die Macht des Journalismus in absehbarer Zeit immer noch wachsen. Der Publizitätshunger ist nun einmal in den Gemütern; ist ein Hunger wie ein anderer und verlangt ganz so und in steigendem Grad seine Befriedigung. Die sich aber an der Zeitung betätigen, die werden sich darin finden müssen, daß der Gesamteinfluß der Institution an sich zukommt, daß sie nur in beschränktem Maß daran partizipieren, nur insoweit man ihnen Einfluß auf die Stellungnahme des Blattes, je nach den eigenen Wünschen im Wichtigen oder im Belanglosen, zutraut. Es ist nur unklar, wie weit sich diese vielleicht einzige Disproportion : steigende Macht bei sinkender Achtung, fortsetzen lassen wird. Es wird fernerhin auch in alle Zukunft Männer von Gesinnung, Begabung und Geltung in Diensten der Zeitung geben. Nur wird man sie immer mehr vom eigentlichen Betrieb und seinen Mysterien ausschließen, um ihnen die kostbare Unbefangenheit und den Glauben nicht zu nehmen, als dienten sie mit ihren Fähigkeiten zuletzt doch idealen Zwecken, denen man sich hingeben darf. Die Kosten für 90 ihre Gewinnung und ihren Unterhalt sind nebensächlich; und dann — wer eine Krähenhütte gemacht hat, der darf hernach nicht am Aufwand für den Uhu sparen wollen. Es ist möglich, daß sich die Literatur der tiefen Schädigung bewußt wird, die sie nun schon durch die Zeitung erduldet hat. Es ist unsinniger Hochmut, ja Protzerei, die vielen, reichen Talente, die hier schon in immer gleicher Frone konsumiert werden und immer noch an der Unmöglichkeit der Sammlung und der Zusammenfassung ihrer Fähigkeiten zerrieben werden, mit einem gelassenen Achselzucken, als hätten sie niemals für Größeres getaugt, zu erledigen. Trotz aller Einzelfälle, an denen ganz besonders in der Ära Bismarck kein Mangel war, besteht im Deutschen Reich und in Österreich, sehr im Gegensatz zu Ländern älterer Kultur, vielmehr hier wohl älterer Erfahrung, immer noch eine Art Vorurteil gegen die Veranlagung und die allgemeine, praktische Brauchbarkeit derjenigen, die sich einmal dem journalistischen Beruf hingegeben haben. Ist da ein Restchen zünftlerischer Gesinnung, die ja nirgends so tief sich eingelebt hatte und so schwer zu überwinden war wie hier, das sich immer noch gegen sie mit Mißtrauen wehrt? Gegen alle Erfahrung, Logik und Psychologie ist die allgemeine Ansicht: der sich einmal diesem Beruf zugewendet, der habe es getan, weil er zu nichts anderem so recht gut gewesen sei, und möge nun mindestens beharren und aushalten, wo er stünde. Es sei nicht der gelehrten Herren gedacht, die ja neuerdings ganz gerne vom Journalismus naschen, ohne innerlich vielleicht so völlig schon die alte Mißachtung vor ihm besiegt zu haben; die erkannten, wie wichtig, wie sehr eine Er- 91 gänzung der verbreiterten und verallgemeinerten Universität diese Tribüne ist; wie unendlich wertvoll es ist, nicht erst falsche Begriffe in den Gemütern über große, neue Funde derWissenschaft, wenn sie anders nur einigermaßen der Menge begreiflich zu machen sind, einreißen zu lassen, die hernach zu korrigieren schwer ist. Aber — als Durchgangsposten, wie anderwärts wohl, gilt dies Metier noch nicht genug. In Österreich-Ungarn haben wir wohl zwei Stämme, bei denen es damit einigermaßen anders und wohl besser bestellt ist, die Tschechen und ganz besonders die Magyaren mit ihrem rücksichtslosen, politischen Instinkt, bei denen publizistische Begabung höherer Art nur zu gern ein Abgeordnetenmandat bringt. Wer aber das hat und es verlangt ihn jenseits der parlamentarischen Tätigkeit, die sich an so manchen Punkten mit dem Journalismus berührt, nach einem Wirkungskreise, dem wird der Übergang in den Staatsdienst und zwar zu seinen lohnenden Stellungen leickt gemacht. Von den lenkenden Persönlichkeiten aber wird Beherrschung der Muttersprache auch mit der Feder, und nicht nur für Noten, direkt gefordert. Dadurch nun, daß sich junge Geister beweglich und geschmeidig diesem Handwerk widmen, um es wieder zu verlassen, noch ehe sie eingerostet und zu jener mechanischen Anschauungsweise gekommen sind, welche dauernde Beschäftigung mit einer Materie notwendig erzeugt, eben nachdem sie sich ausprobiert haben auf jene Anlagen hin, deren sie sonst zu bedürfen glauben, dadurch kommt Frische, Leben und ein immer neuer Fluß in die Zeitung selbst. Eine Stagnation ist unmöglich. Nicht nur von außen, durch die Ereignisse, auch von innen erfolgt immer neuer Anstoß. Wir haben in Deutschland vielfach Verknöcherung von 92 Zeitungen zu beobachten gehabt, die vordem führend und geltend gewesen waren; hatten in Wien einmal schon Gelegenheit, den Klageruf eines ganz tüchtigen Chefredakteurs zu hören: „Ja, meine Abonnenten sterben mir aus," und sehen gegenwärtig vielleicht mindestens in einem Fall sich das gleiche Spiel wiederholen. Der Rahmen war starr und unbeweglich geworden, den man sich einmal geschaffen: die ihn umgießen sollten, denen ist es nicht geglückt. Kein Staatsmann in England oder in Frankreich, der nicht sein Journal zur Verfügung hätte. Gestatten es ihm seine Verhältnisse und seine Mittel — als Eigentum. An der Spitze der Geschäfte, wird er es nur inspirieren. Bei Fragen, die ihm persönlich wichtig erscheinen, wird er selber das Wort nehmen. Er wird sich nicht verstecken, wie es in deutschen Landen mit ihrer unausrottbaren Scheu vor aller Öffentlichkeit immer noch unlöbliche Gewohnheit ist. Zurückgetreten oder gestürzt, zieht er sich gern auf die Leitung seines Journals zurück. Es ist ihm eben Bedürfnis, immer mit dem Leben im Kontakt zu bleiben, keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, wie er sich neuen, wichtigen Fragen gegenüber verhalten würde, stund* es ihm zu, sich mit ihrer Lösung zu beschäftigen. Uns lähmt da eine falsche Vornehmheit. Weiterhin — es ist', und ganz besonders in Frankreich, man kann sagen Gebrauch, daß der schriftstellerisch Begabte eine Art Lernzeit beim Journalismus durchmacht. Ist sie begrenzt — und dort ist sie es durch das Lohnende eines jeden Erfolges —, so kann sie ihm nur frommen, ihm für vieles das Verständnis öffnen, das sich keinem, auch dem Begabtesten nicht, so ganz von selber offenbart und darbietet. Wir finden allenthalben ausgediente Journalisten. 93 Sie haben sich die Pforten der Universitäten aufgesprengt; der sich für ein großes Werk vorbereitet und inzwischen, um seine Existenz zu sichern, seine Artikel schreibt, der ist so selten nicht und leidet hernach keinerlei Einbuße an seinem Ansehen bei seinen würdigen und verehrten Amtsgenossen. Man begegnet ihnen in auswärtigen Diensten, und sie haben sich gerade hier mehrfach als tüchtig bewährt, ja ausgezeichnet. Zum Beispiel — mir ist immer noch kein größerer Journalist gegenwärtig, als es Otto Bismarck so nebenbei gewesen ist. Sie sind in Staats- und Verwaltungsdiensten, vor den Erfordernissen des Tages, ganz tüchtig gewesen. Und es sei nicht einmal der Journalist genannt, der über allerhöchsten Auftrag seines Chefs über Nacht Forschungsreisender ersten Ranges und späterhin gar Gründer eines Staates wurde , über dessen Zukunft man zu Anfang nicht genug zu spötteln wußte, um immer mehr, immer gläubiger sie zu erkennen und zu ahnen. Aber Stanley ist ein Ausnahmsmensch; den die Männer am Kongo seiner unerhörten Energie wegen ,,Bulo Matair", das heißt den Felsenzertrümmerer nannten, der hätte seine Tage schwerlich in Diensten des New York Herald beschlossen, hätte seinem Kraft- und Tatendrang schon seinen Ausweg geschaffen. Im kleineren Maßstab aber wächst ähnliches immer und allenthalben nach. Nur in Deutschland beguckt man*s mißtrauisch, wenn es sich vorwagt, drängt es zurück, wenn irgend möglich, eh* es sich auch nur zeigen konnte, meint wohl gar was damit getan zu haben und ahnt nicht, wie unsinnig und verbrecherisch ein solches Tun ist — trotz der Theaterkritiker, die sich hernach als Bühnenleiter bei all ihrer Klugheit nicht bewähren wollten. Immer wieder bekunden Einzelfälle, trotz aller unsäg- 94 liehen Schwierigkeit der Befreiung, wie kostbares Volksgut hier geschädigt wird. Wer einmal den Goetheschen Satz: „Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit" recht begriffen hat, der muß auch verstehen, daß es gar keine größere Versündigung gibt noch geben kann, als die Knechtung und Entmannung der Persönlichkeiten von einer immerhin das Mittelmaß überragenden Begabung, wie sie der moderne Journalismus zur Voraussetzung hat und stündlich und immer wieder aus seinem eigensten Recht vollstreckt. Wie heißt der schöne Rechtssatz: „Dem Fügsamen geschieht kein Unrecht.** Wie aber diese Gefügigkeit unter Umständen und immer öfter erzielt wird, dies steht auf einem anderen Blatt, das auch feucht, aber von geheimen Tränen manches Tüchtigen und das Gute Wollenden, und nicht von Druckerschwärze befleckt ist. Es werden da Opfer des Verstandes gefordert und auch gebracht, wie sie die römische Kurie kaum zu heischen gewagt hat. Es sei nur eines sehr bekannten Zeitungseigentümers in Budapest gedacht, dem sein Unternehmen die höchsten Würden, welche der ungarische Staat zu vergeben hat, selbst den stolzen Rang eines Magnaten und ein immenses Vermögen gebracht hatte, davon er übrigens einen ganz ansehnlichen Teil wohltätigen Zwecken zuwendete, der grundsätzlich nur verheiratete Männer anstellte. Aber nicht aus Humanität — sie sind gefügiger. In ihrer leichten Beweglichkeit liegt die Überlegenheit der Zeitung gegenüber dem Buch, das nun einmal gewisse Prätensionen hat. Wer würfe es, und wenn es nur ein Reclambändchen ist, so ohne weiteres weg, wie es mit der Zeitung in der Regel geschieht, hat man sie flüchtig durch- blättert? 95 Ist doch in [der Union und in England nun schon der Eta^ vieler Blätter darauf gebaut, daß sich fast niemand an der Lektüre eines einzigen genügen läßt, und in Ungarn gibt es Kreuzerblätter — ja sie sollen gedeihen — die damit rechnen, daß sie zu jeder wichtigeren neuen Nachricht mit sonst gleichem Text eine Neuausgabe veranstalten, resp. verkaufen werden. Soll also ein Kampf der beiden Faktoren möglich werden, dann muß sich die Literatur mobilisieren. Sie muß von der Kolportage profitieren und mit dem Heftchen und mit dem Flugblatt arbeiten lernen. Ansätze dazu sind die verschiedenen, es scheint recht gedeihenden Volksbüchereien, dem Begüterten bequemes Supplement zu seiner Bibliothek, dem minder Bemittelten die Möglichkeit, sich so etwas mit den geringsten Kosten zu schaffen. Wenn nur der Druck genügend groß ist I Das ist eine Hauptsache und wird gern nicht nach ganzem Gewicht geschätzt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß eine Renaissance der moralischen Wochenschriften erfolgt, die vordem in ihrer Heimat so große Wirksamkeit übten, anderwärts so bereite, nur nicht eben glückliche Nachahmung fanden, und deren Spuren noch bis diesen Tag zu vermerken sind. S WÄRE vielleicht noch der Rolle zu gedenken, die den Frauen in der Entwicklung der Zeitung zufallen wird. Erstaunlich genug, daß noch so wenige diesen Beruf ergriffen haben. Man sollte meinen, sie seien für gewisse Zweige des Journalismus ebenso geeignet und besser organisiert sogar, wie der Mann. 96 Sie sind geistig beweglicher und dabei leichter lenksam, als der Mann. Die Gabe, auch mit der Feder anmutig und obenhin zu plaudern, ist ihnen oftmals angeboren. Sie wissen sich zu inszenieren, wo es nötig ist; zu gefallen, wo sie es wünschen ; und sie genießen aus einer überwundenen, in uns aber noch mächtigen Überlieferung immer und bei allen Anlässen noch gewisse Rücksichten. Je leichter und bequemer ihnen das Mindestmaß der Bildung, welches dieser Beruf fordert, zugänglich gemacht wird, je rascher sich jene Berufe überfüllen, darin heute für die studierte Frau ein Erwerb und ein gutes Unterkommen sich bietet, desto stärker, desto mühsamer abzuwehren wird ihr Andrang hier sein. Man berücksichtige, daß die Frau in der Regel dem Mann an Formensinn, an Geschmack und an Schärfe der Sinne überlegen ist und daß sie überall und sofort die Preise drückt, und man wird begreifen, was das für die Männerarbeit bedeutet. Ihre Sinnesschärfe ist der des Mannes oftmals und in vieler Hinsicht überlegen. Sie beobachtet vielleicht minder genau, sicher nicht so gewissenhaft, schon weil sie leichter ermüdet. Für das bezeichnende Detail aber ist sie ungemein organisiert und bemerkt da Dinge, welche auch dem scharfsichtigen und geschulten Auge gern entgehen oder nicht nach ihrer ganzen Bedeutsamkeit einleuchten. Und sie bringt die Kombinationsgabe der lange Unterdrückten mit, die auf Zeichen zu warten gewöhnt sind. Das sind doch für die Reportage jeder Art höchst wünschenswerte Eigenschaften, sollte man meinen. Auch ihr Spürsinn, ja jene Neugierde, die sie von Geschlechts wegen hat und die der richtige Journalist immer, sogar nach Dingen in sich spüren muß, die ihn augenblicklich gar nichts angehen, ist 97 ^7 in Rechnung zu stellen. Wie schwer aber ein Geheimnis, danach es sie leckert, vor ihnen zu hüten ist — vide Samson und Dalila. Benutzt wird das werden, sobald der Augenblick dafür gekommen ist, sich die Bedingungen erfüllen. Sich darüber ereifern, ist albern. Albern ist es, von der Zeitung eine feste Gesinnung wünschen. Je vollkommener sie wird, desto mehr ist sie nur der Ausdruck einer Gesamtmeinung, ihr Durchschnitt etwa, desto weniger braucht sie den Luxus der Überzeugung. Sie ist ein Vehikel, und zwar vielleicht das nützlichste unserer Kultur mit allen ihren augenblicklichen, fast nervösen Schwankungen. Wer aber vom Wagen, der mit allerhand Frachtgut beladen wird, begehrt, er möge sich über die Beschaffenheit seiner Last Gedanken machen, sich etwa gar empören, wenn ihm Schleichhändlerware aufgeladen wird, der tut albern. Der Journalist als solcher mag alle Tugenden eines Mannes, ja des Römers in sich fühlen, und die verehrungswürdigen Männer sind in diesem Stand nicht seltener, als anderwärts und schier höher zu achten, weil die Schwierigkeiten und die Versuchungen an sich größer sind. Dem Journal an -sich sind ihre Qualitäten vollkommen gleichgültig, höchstens zur Parade willkommen. Es immoralisch schelten, ist wiederum albern. Das ist es niemals. Es ist amoralisch. Jedem, der sich für das weite Gebiet modemer Weltauffassung interessiert, empfehlen wir zum Abonnement: SozialistischeMonatshefte' OUZlciilbUbCIlClYlUncltönCItC , Internationale Revue • Herausgeg. v. J. Bloch J Preis pro Quartal 1,50 M., Einzelheft 50 Pf. "TVie „Sozialistischen Monatshefte" sind ein unabhängiges Organ ^^ für Theorie und Praxis des Sozialismus, eine Revue des geistigen und sozialen Lebens. Tpür jeden, der den großen Fragen unserer Zeit nicht gleichgültig • gegenübersteht, ist es eine Notwendigkeit, daß er neben der Lektüre der Tagespresse seine politische und soziale Bildung durch eine wissenschaftliche Erörterung aller brennenden Fragen vertieft und erweitert. Und dazu bieten ihm die ,, Sozialistischen Monatshefte" die nötigen Hilfsmittel und die nötige Anregung. A n den „Sozialistischen Monatsheften" arbeiten die ersten Kräfte *^ des internationalen Sozialismus mit, Wissenschaftler und Künstler ersten Ranges. Es seien nur genannt: Dr. H. B. Adams -Lehmann, E. Anseele, Dr. Leo Arons, I. Auer, Ed. Bernstein, W. Bölsche, H. Branting, Richard Calwer, Dr. Ed. David, Rieh. Dehmel, Kurt Eisner, A. v. Elm, August Endeil, Prof. E. Ferri, Anatole France, Paul Göhre, W. Heine, Ricarda Huch, Otto Hue, J. Jaures, P. Kampffmeyer, Ellen Key, Otto Lang, C. Legien, Th. Leipart, J. R. MacDonald, Tom Mann, Julius Meier-Graefe, Oda Olberg, E. Pernerstorfer, Dr. M. Quarck, M. Schippel, Johannes Schlaf, Dr. Conrad Schmidt, Robert Schmidt, L. Schönhoff, Dr. M. Schwann, Hermann Stehr, Dr. A. Südekum, Joh. Timm, F. Turati, E. Vandervelde, G. v. Vollmar u. a. m. üorträts der für das moderne Geistesleben charakteristischen Per* sönlichkeiten werden als Beigaben gebracht. "Pür Bibliotheken bilden gebundene Bände der „Sozialistischen " Monatshefte" ein wertvolles Nachschlagematerial. Probehefte stehen auf Verlangen jederzeit kostenfrei zur Verfügung Verlag der Sozialistischen Monatshefte Telephon VI, 15287, Lützow St. 105, Berlin W. 35. '^'/rdft USP. 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