Suizidarten bei Jakb Julius David Jan Budňák, Zdeněk Mareček 22.11. 2017 Todesarten bei Ingeborg Bachmann Der Fall Franza, (entstanden 1966,veröffentlicht 1979 gemeinsam mit Requiem für Fanny Goldmann) Malina, entstanden 1967, veröffentlicht 1971 „Wieviel hält ein Mensch aus, ohne zu krepieren?“ Franza wird am Fuße der großen Pyramide von Gizeh von einem Weißen vergewaltigt und schlägt sich an einem der Quader den Kopf ein und stirbt anderntags in Kairo. ● ● Der Fall Franza 477 ● Er entfernte sich, sie dachte, sie müsse vielleicht um Hilfe schreien. Sie musste nur einen Schrei herausbringen, aber warum jemand zu Hilfe rufen, er kam schon fast zu Biegung, und wozu schreien, warum denn, ein armer Teufel, die brauchen das, nur erschrecken, sie strich das Leinenkleid hinten glatt. … Ihr Denken riss ab, und dann schlug sie, schlug mit ganzer Kraft, ihren Kopf gegen die Wand in Wien und die Steinquader in Gizeh und sagte lau, und das war ihre andere Stimme: Nein. Nein. Jakob Julius David (1859 – 1906) Einer der wenigen anständigen Menschen der hiesigen Literatur (Karl Kraus, die Glosse Die Grüßer) Ich bat ihn mit mir nicht zu sprechen, da die Kritik im Mittelgang es bemerken und ihm nach dem Leben trachten würde. Es geschah: … sei mit ihm ins Theater gegeangen. A. Hillischer Davids Biographie Sein Vater starb an der Cholera, die 1866 von Preußen nach Mähren einschleppt wurde, und wurde in Fulnek begraben. Der Sohn fast taub und stark kurzsichtig: Mein Auge sieht die schöne Welt verschwommen, Und nur gedämpft, gedämpft und leise kommen Des Lebens Laute in mein krankes Ohr. 1889. Gustav Lohner im Roman Höferecht. Vor allem sein Wiener Roman Am Wege sterben (1900, zuerst 1899 in der Neuen Freien Presse) über das Leben von fünf Studenten aus Mähren und Schlesien in Wien widerspricht dem Klischee vom prächtigen Wien der Jahrhundertwende. Am ausführlichsten wird Simon Siebenschein im Roman Am Wege sterben porträtiert, der zum Armenarzt wird. Auch seine Bauerndarstellung entsprach nicht der Idealisierung der Scholle in der damals populären Heimatliteratur Davids Biographie ● 1891 heiratete David die Katholikin Juliane Ostruszka Jakob Julius David wurde in die Freimaurerloge Zukunft aufgenommen, für deren Zeitschrift Zirkel er Beiträge schrieb. 1903 Wiener Zeitung 1905 Bronchialkrebs, 1910 bekam er auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 0, Reihe 1, Nummer 52) ein Ehrengrab. ● ● Jakob Minors Rede, Gedenkverse Heinrich Glücksmanns Jacob Julius David ● Ein Poet und andere Erzählungen, Reclam Nr. 5154, mit einer Einleitung von Heinrich Glücksmann David, J.J. Philipp Reclam jun., Lpz. ● ● Heinrich Glücksmann Glücksmann Heinrich war Journalist und Schriftsteller aus Rakschitz (Rakšice, Mähren) , als Jude musste der 74jährige ins Exil gehen und starb 1947 in Argentinien. Er besuchte die Schauspielschule und die Univ. in Wien, seit 1882 Redakteur bei verschiedenen Ztgn. in Ungarn, 1894 Feuilleton-Redakteur der „Wiener Allg. Zeitung“, 1900 beim „Wiener Tagblatt“, 1903 Chefredakteur bei der „Neuen Zeitung“, 1896, bis 1919 Hrsg. der Freimaurerzeitung „Der Zirkel“, 1919–23 der „Wiener Freimaurer-Zeitung“, seit 1910 Dramaturg des Dt. Volkstheaters, ging 1938 in die Emigration. Jakob Julius David: Ein Poet? Der erste Leitartikler des Blattes sagt mit einer vernichtenden Höflichkeit: Wo hat´s gebrannt? Bernhofer vergaß den Brandort – bei der Augartenbrücke – zu erwähnen. Sie schildern da den Brand, sehr schön, will ich ihnen zugeben, sehr poetisch und in einer Novelle auch wirklich wirksam. Aber, Herr! Unserem Publikum haben Sie keine Novellen zu erzählen – vorläufig wenigstens nicht, /…/ Unsere Leser wünschen alles zu wissen, was sich in der Welt begibt; aber nur die Tatsachen, Herr, merken Sie sich das, nichts als die Tatsachen! Ein Poet? B: - man war auch bisher immer mit meine Leistungen zufrieden … Wortmann: Bei einer Zeitung gibt es kein : war, da gibt es nur ein: ist! /…/Sie haben ein Weib zu Hause und denken an das und vergessen darüber das Wichtigste. Und Sie haben´s nicht im Kopfe – und nur dort darf´s bei einem Journalisten sitzen – sie haben´s vielleicht im Herzen. Und das taugt nichts, Herr! Suizidarten Suizid als eine besonders literarisch ergiebige Todesart, weil sie seit jeher als Anlass für moralische, sozialktirische oder existenzphilosophie Betrachtungen dient. Statistik Brünns 1889 und 1890 Geburten: Lebend geborene, Ehelich: 2086 bzw. 2102; Unehelich: 837 bzw. 822 Selbstmord 1890, insgesamt 25: ● Gift: - 0 Erhängen: 9 männlich, 1 weiblich Erschießen: 6 mänlich Ertränken: 4 männlich, 3 weiblich Sonstiger: 2 männlich Vgl. Lungenschwindsucht: 381 männlich, 361 weiblich ● ● ● ● ● ● Suizidarten bei Karl Kraus Der Selbstmord der Themis. ● Hätten wir, ehe Laura Beer sich in die Stirn schoß, die Wahl gehabt, die Erhaltung ihres Lebens oder des Lebens der Herren Kleeborn + Feigl + Steger etc. etc. zu wünschen, wir hätten nicht geschwankt. Wenn Themis’ Wage Menschenwerte zu vergleichen hätte, die Summe von Anmut, die mit der Ärmsten aus der Welt gestrichen wurde, hätten alle richtenden Hofräte und rächenden Regierungsräte dieses Schandprozesses nicht aufgewogen, nicht die Würdigkeit eines Staatsanwalts, der zur Erstattung einer Anzeige »rät«, nicht einmal der Heroismus zweier Knaben, die elterlichem Rachedurst den Ruf ihrer leiblichen Unschuld opfern. »Wegen zwei solcher Buben!« soll ein Helfer der Justizschändung, den die Nachricht vom Selbstmord in Clarens zur Besinnung brachte, ausgerufen haben. ein Selbstmord, durch den man sich das Leben gibt. *Karl Kraus Suizidalität, die Neigung zum Selbstmord, wobei der Suizid selbst nur angedeutet oder völlig ausgespart bleibt. Ist der Suizid für Davids Erzählungen bedeutend und trägt er zur Prägung von Subjektidentitäten bei? Wie attraktiv sind Berichte über Suizidalität und Suizid für die damalige Feuilletonistik? Versuchen wir den Text von Ein Poet? Kritische lesen Leo Popper: Der Kitsch Motto: „Der Dilletant wird nie den Gegenstand, immer nur sein Gefühl über den Gegenstand schildern.“ Goethe: Dilettantismus in der pragamatischen Poesie. Karl Kraus: Heine und die Folgen ● Karl Kraus war gegen die Zionisten und gegen jüdische Zeitungsbesitzer feindlich eingestellt, obwohl er selbst aus einer jüdischen Familie stammte. In den ersten Ausgaben der Fackel findet man einerseits Lanz von Liebenfels und H. S. Chamberlain, andererseits Else Lasker Schüler oder Berthold Viertel. Heine und Nestroy waren für ihn unversöhnliche Gegensätze, den ersten hasste er, den zweiten propagierte er. ● ● Karl Kraus: Heine und die Folgen Und selbst im Stil der modernsten Impressionsjournalistik verleugnet sich das Heinesche Modell nicht. Ohne Heine kein Feuilleton. Das ist die Franzosenkrankheit, die er uns eingeschleppt hat. Wie leicht wird man krank in Paris! Wie lockert sich die Moral des deutschen Sprachgefühls! ● Karl Kraus: Heine und die Folgen Anstatt die Presse geistig trocken zu legen und die Säfte, die aus der Literatur »gepreßt«, ihr erpreßt wurden, wieder der Literatur zuzuführen, betreibt die fortschrittliche Welt immer aufs neue die Renovierung des geistigen Zierats. Das literarische Ornament wird nicht zerstampft, sondern in den Wiener Werkstätten des Geistes modernisiert. Feuilleton, Stimmungsbericht, Schmucknotiz – dem Pöbel bringt die Devise »Schmücke dein Heim« auch die poetischen Schnörkel ins Haus ● Karl Kraus: Heine und die Folgen Der Fischzug einer Sonntagsauflage kann nicht mehr ohne den Köder der höchsten literarischen Werte sich vollziehen, der »Volkswirt« läßt sich auf keinen Raub mehr ein, ohne daß die überlebenden Vertreter der Kultur die Hehler machen. Aber weit schändlicher als diese Aufführung der Literatur im Triumph dieses Raubzugs, weit gefährlicher als dies Attachement geistiger Autorität an die Schurkerei, ist deren Durchsetzung, deren Verbrämung mit dem Geist, den sie der Literatur abgezapft hat und den sie durch die lokalen Teile und alle andern Aborte der öffentlichen Meinung schleift. Karl Kraus: Heine und die Folgen Ihren besten Vorteil dankt sie jenem Heinrich Heine, der der deutschen Sprache so sehr das Mieder gelockert hat, daß heute alle Kommis an ihren Brüsten fingern können. Wenn der eine den deutschen Kaiser beDas Gräßliche an dem Schauspiel ist die Identität dieser Talente, die einander wie ein faules Ei dem andern gleichen. Die impressionistischen Laufburschen melden heute keinen Beinbruch mehr ohne Stimmung und keine Feuersbrunst ohne die allen gemeinsame persönliche Note.schreibt, beschreibt er ihn genau so, wie der andere den Wiener Bürgermeister, und von den Ringkämpfern weiß der andere nichts anderes zu sagen, als der eine von einem Flußbad. Immer paßt alles zu allem, und die Unfähigkeit, alte Worte zu finden, ist eine Subtilität, wenn schon die neuen zu allem passen. Der Journalismus. Von Honoré de Balzac (Nr. 283/84). ● 1909, Finot ist Chefredakteur. Wissen Sie, wovon ich lebe? Ich verkaufe die Billetts, die mir die Theaterdirektoren geben, damit ich ihnen in der Zeitung nicht unangenehm werde, die Bücher, die mir die Verleger schicken und die ich besprechen soll. Endlich treibe ich, wenn sich erst Finot befriedigt hat, mit den Naturalien Handel, die die Industriellen uns liefern, für oder gegen die Finot mir erlaubt, Artikel zu schreiben. Eine Arznei gegen Blähungen, die 'Sultaninpastal', ein Haaröl, die 'brasilianische Mixtur' zahlen für ein scherzhaftes Artikelchen zwanzig oder dreißig Franken.[...] Das ist gemein, aber ich lebe von diesem Handwerk und hundert andere wie ich! Glauben Sie aber nicht, die politische Welt wäre besser als die literarische: alles in diesen beiden Welten ist Korruption; jeder Mensch, der damit zu tun hat, korrumpiert oder wird korrumpiert. Wenn es sich um ein Verlagsunternehmen handelt, das einigermaßen bedeutend ist, dann zahlt mich der Verleger, aus Furcht, angegriffen zu worden .... Der Journalismus. Von Honoré de Balzac (Nr. 283/84) Alle fallen sie in den Graben des Elends, in den Schmutz der Zeitung, in die Sümpfe der Bücherfabrikation. Wie ährenlesende Bettler nähren sie sich kümmerlich von biographischen Artikeln, von Klatschnotizen, von Pariser Neuigkeiten in den Zeitungen, oder von Büchern, die durchaus logische Lieferanten von Papier und Druckerschwärze bei ihnen bestellen, die einen Schmarren, der in vierzehn Tagen abgesetzt wird, lieber haben als ein Meisterwerk, das sich langsam verkauft. Diese Raupen, die zugrunde gehen, ehe sie Schmetterlinge werden, leben von der Verleumdung und der Infamie, und sind bereit, auf den Befehl eines Paschas vom 'Constitutionnel', der 'Quotidienne' oder den 'Débats', auf einen Wink der Verleger, auf das Ansuchen eines neidischen Kollegen, oft bloß für ein Diner, ein werdendes Talent zu zerreißen oder zu rühmen. Wer die Hindernisse alle überstiegen hat, vergißt den Jammer seines Anfangs. Suizid in dem Roman Verlorene Illusionen von Balzac Es gibt drei Arten von Selbstmord, den, der nur der letzte Anfall einer langen Krankheit ist und gewiß in das Gebiet der Pathologie gehört; dann den Selbstmord aus Verzweiflung, und schließlich den Selbstmord aus Überlegung. Quelle: Balzac, Verlorene Illusionen (Illusions perdues), 1837-1843, übersetzt von Hedwig Lachmann 1936 Suizid in dem Roman Verlorene Illusionen von Balzac Ich habe Neigungen und Gelüste, und die Erinnerung an das, was ich genossen habe, vergiftet mir die Freuden, die für mich erreichbar sind und die mich früher befriedigt hätten. Oh, geliebte Eva, ich beurteile mich strenger als irgendeiner. Denn ich verdamme mich ganz und gar ohne Gnade. Der Kampf in Paris verlangt Ausdauer, und mein Wille funktioniert nur im Übermaß, mein Hirn setzt manchmal aus. Die Zukunft schreckt mich so, daß ich keine will, und die Gegenwart ist mir unerträglich. Ich habe Euch wiedersehen wollen, ich hätte besser getan, meine Heimat für immer zu meiden. Aber die Verbannung ohne Existenzmittel wäre eine Torheit, und ich werde sie nicht zu all den andern hinzufügen. Der Tod erscheint mir besser, als ein verpfuschtes Leben; und in welcher Lage ich mich auch denke, meine maßlose Eitelkeit müßte mich immer zu Torheiten bringen. Suizid in dem Roman Verlorene Illusionen von Balzac Der Selbstmord ist die Wirkung eines Gefühls, das man, wenn man will, die Achtung vor sich selbst nennen kann, um es nicht mit dem Wort Ehre zu verwechseln. An dem Tage, wo der Mensch sich verachtet, an dem Tage, wo er sich verachtet sieht, in dem Augenblick, wo die Wirklichkeit des Lebens nicht mehr mit seinen Hoffnungen übereinstimmt, tötet er sich und huldigt damit der Gesellschaft, in der er, seiner Tugenden oder seines Glanzes entkleidet, nicht bleiben will. Man mag darüber sagen, was man will, unter den Atheisten – der Christ begeht keinen Selbstmord – ertragen nur die Feiglinge ein schimpfliches Leben. Es gibt dreierlei Arten Selbstmord: zunächst den Selbstmord, der nur der letzte Anfall einer langen Krankheit ist und der sicher ins Bereich der Pathologie gehört; dann den Selbstmord aus Verzweiflung, und schließlich den Selbstmord aus Überlegung. Lucien wollte sich aus Verzweiflung und Überlegung töten, das sind die beiden Arten, von denen man zurückkommen kann; denn unwiderruflich ist nur der pathologische Selbstmord; […] Der Dichter wollte ein poetisches Ende haben. Franz Schamann: Ein Mährisher Dichter, 1908 Arbeiterzeitung, Di, 29. Dezember 1908 ● Also teilt der Dichter das Schicksal des Staates, dem er entsprossen ist, dessen Siege ohne Frucht bleiben, dessen Niederlagen aber nimmer gutzumachen sind und vergiften weiterschwären? Wie naturaliastische ist David? Jakob Julius Davids Naturalismen ● ● Peck, Clemens In: Sonderweg in Schwarzgelb? / Roland Innerhofer, Daniela Strigl (Hg.). - Innsbruck, 2016. - S. 153- Bekenntnishaft oder ironisch gebrochen erzählt? Und wenn ich mir jetzt denke: sie sitzt zu Hause und härmt sich und hat vielleicht nichts zum Brot, und ich tue mir da gütlich und schlemme Punsch – dann muß sie sich noch solches nachsagen lassen, dann könnt' ich mich an mir vergreifen. Ja, das könnt' ich!« Und ganz unvermittelt und hart ließ er den Kopf auf die Tischplatte aufschlagen und stöhnte dabei: »Ich fürcht' mich, nach Haus zu gehen; ich fürcht' mich, bei Gott! vorm Nachhausgehen. O! das ist ein Leben!« »ich weiß auch noch, was sich gehört. Man macht an öffentlichen Orten keine Szenen. Man benimmt sich ordentlich und läßt seine Sorgen und seine Hunde draußen.« Bekenntnishaft oder ironisch gebrochen erzählt? Aspernbrücke Hier blieb Bernhofer stehen und deutete auf das Gewässer: »Hier hab' ich meinen ersten Bericht gefunden. Ich wollte, ich hätt's nie. Aber es war ein schöner Fall, und alle Blätter brachten die Geschichte ganz so, wie ich sie niedergeschrieben, und ich war damals auch glücklich und meinte, nun wär' ich endlich auf etwas gestoßen, wovon ich und mein Weib leben könnten. Zumeist ihretwegen freute ich mich so; ich hätt' es so gern gehabt, wenn ihr endlich bessere Zeiten gekommen wären!« Bekenntnishaft oder ironisch gebrochen erzählt? Und wie das alles endigen wird und was dann wird, das beschäftigt mich immer. Dann sollen mir meine Notizen geraten! Und dann soll ich nicht immer irgend etwas vergessen! Zu viel im Kopf und zu viel im Herzen; und nicht einmal den Mut zu einer Aussprache, wenn die, welche eigentlich noch mehr leidet, als ich, nicht einmal murrt! Tät's sie nur einmal und ich wüßte, was geschehen muß. Wär' ich nur fromm! Sie ist's, und ich glaube, das hilft ihr in vielem. Aber ich bin's nicht; ich war's nie, und wie könnt' ich's jetzt sein?«