Nibelungenlied Von Ursula Schulze Der Dichter - ein Phantombild. Ein Kleriker am Hof des Passauer Bischofs Wolfger von Erla (1191-1204), tätig in verschiedenen Bereichen, insbesondere in der Kanzlei, begleitet seinen politisch aktiven, literaturinteressierten geistlichen Herrn auf Reisen. Er ist ein Homo litteratus, ein schriftkundiger und gebildeter Mann, verkehrt mit den Angehörigen der Hofe in Passau und andernorts, nimmt an deren literarischer Unterhaltung teil. So kennt er den Gesang von Minneliedern, religiösen und politischen Gedichten, er hört den Vortrag der neuen, durch französische Vorlagen vermittelten Epik wie auch der einheimischen, mündlich tradierten Heldendichtung, d. h. Geschichten von Siegfried, vom Untergang der Burgunden, von Dietrich von Bern. Dem höfischen Repräsentationsbemühen des herrschenden Adels um 1200 entsprechend, gibt auch der Passauer Bischof ein großes episches Werk in Auftrag: Die jahrhundertealte mündliche Erzähltradition von den Nibelungen soll zusammengefaßt, schriftlich fixiert und zeitgemäß ausgestaltet werden, so daß sie mit den höfischen Romanen über König Artus und seine Ritter, über Troja und Aeneas konkurrieren kann. Der Passauer Kleriker macht sich ans Werk, sammelt und verarbeitet, was er aus mündlichem Vortrag kennt und erreichen kann, was das Interesse seines Auftraggebers und Publikums geprägt hat. Er trifft auf Heterogenes, mehr oder weniger Vorgeformtes, das er verbindet und dem er ein einheitliches strophisches Gewand gibt. Er spiegelt zu Ehren seines Herrn das Bild eines Passauer Bischofs Pilgrim in die erzählte Krwmhild bringt Hagen Gunthers Kopf 144 Nibelungenlied 145 Geschichte ein, macht ihn zum Verwandten der burgundischen Königsfamilie, an dessen Hof Kriemhild und später die Burgunden auf dem Weg ins Hunnenland festliche Einkehr halten. Das ist ein Phantombild des Nibelungenlied-Dichters, es beruht auf Anhaltspunkten, die sich aus dem Werk selbst ergeben. Mäzen und Entstehungsort lassen sich wahrscheinlich machen, aber nicht beweisen, ebensowenig wie die Entstehungszeit, sie liegt an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, wenn man immanenten Hinweisen und anderen literarischen Bezügen folgt.1 Zu den Passau-Indizien kommt, daß der Dichter das Donauland zwischen Passau und Wien geographisch besser kannte als andere Gegenden, daß sich die Textüberlieferung im bairisch-österreichischen Raum konzentriert und daß die Klage (ein in fast allen Handschriften an das Nibelungenlied angefügtes Erzählgedicht aus dem gleichen Stoff kreis) ebenfalls dorthin weist.2 Doch identifizieren konnte man den Verfasser aufgrund all dieser Indizien nicht, und die Suche nach einem bestimmten Namen - erwogen wurden u. a. der Küren berger, Walther von der Vogelweide, Heinrich von Ofterdingen - erscheint müßig. Anonymität gilt heute als Gattungsmerkmal der Heldendichtung (vgl. Höfler, 1965), die seit Ende des 12. Jahrhunderts aus der mündlichen Existenzform in eine schriftliche überführt wurde (neben dem Nibelungenlied die Dietrichepik). Zu Recht verworfen wurde auch die romantische Vorstellung einer Vielzahl von Dichtern, denn sie können wohl die zugrunde liegende mündliche Tradition getragen, nicht aber die schriftliterarisch durchgestaltete Großform des Nibelungenliedes geschaffen haben, die letztlich in den verschiedenen Textredaktionen der 34 Handschriften und Bruchstücke aus dem 13. bis 16. Jahrhundert trotz erheblicher Differenzen erkennbar bleibt. Die Annahme eines bestimmten Verfassers impliziert im Grunde auch die Vorstellung, daß das Nibelungenlied ein umgreifendes Konzept und markante ästhetische Qualitäten besitzt. Eine solche Beurteilung war allerdings im 1 Laufe der LiteraturgeschichtsschreJbung der letzten 200 Jahre I immer wieder umstritten.3 I Der Stoff- Sage ah Vorzeitkunde. Unsicher bleibt vor allem, I- in welchem Zustand der Nibelungenlied-Dichter sein Mate-I rial vorfand, wie weit der Stoff bereits ausgearbeitet und ver-I knüpft war, wie die Form jener mündlichen Tradition aus- I' sah.4 Diese Fragen lassen sich ebensowenig klären wie die i Entwicklung des Stoffes, der Nibelungen sage. Aufgrund neuzeitlicher Geschichtsforschung weiß man j < heute, daß die Sage historische Elemente birgt: Namen und IEreignisse der Völkerwanderungszeit (4.-6. Jahrhundert) liegen dem Burgundenuntergang, den der 2. Teil des Nibelun-j: genliedes erzählt, zugrunde; vielleicht bezieht sich die im 1. Teil behandelte Geschichte von Siegfrieds Tod auf Vorgänge unter den Merowingern des 6./7. Jahrhunderts. Histo-I risch gesichert ist folgendes: ilm 5. Jahrhundert bestand ein Reich des ostgermanischen Stammes der Burgunden am Rhein. Bei dem Versuch ihres Königs Gundahar, die Herrschaftnach Westen auszudehnen, wurden sie 436/437 von dem römischen Feldherrn Aerius mit Hilfe von hunnischen Truppen geschlagen, die Königsfamilie und große Teile des Volkes vernichtet. Ein neues Burgun-, denreich entstand in Südgallien am Genfer See, wo Aerius - die Reste des Volkes angesiedelt hatte. König Gundobad I bewahrte in einem um 500 entstandenen Gesetzbuch die 1 Erinnerung an die königlichen Vorfahren Gundahar, Gisla-I; har, Gundomar, Gibica, deren Namen in ähnlicher Form im f Nibelungenlied und in altnordischen Liedern fortleben. I Attila beherrschte das hunnische Großreich 434-453 und 1 starb in der Nacht nach seiner Hochzeit mit der Gotin lldico. 1 Der Hunnenherrscher war Zeitgenosse, aber nicht direkter I Gegner der burgundischen Könige. |: Theoderich der Große gründete das Ostgotenreich in Ita-I , lien (493-526). Gundahar und Attila lebten zu seiner Zeit 1; nicht mehr. 146 Nibelungenlied Die Geschichte des merowingischen Frankenreichs stellt sich im 6. Jahrhundert als eine Folge von Verwandtenmorden dar, bei denen Frauen eine bestimmende Rolle spielten: Die fränkische Königin Brunichild trieb ihren Mann König Sigibert von Austrasien zum Krieg gegen seinen Bruder Chilperich von Neustrien, weil dieser seine Gemahlin Gals-witha, Brunichilds Schwester, verstoßen und seine Geliebte Fredegunde geheiratet hatte. Sigibert wurde 575, Chilperich 584 ermordet. Der austrasische Adel erhob sich gegen die Herrschaft Brunichilds und ging zu Chlothar IL, dem Sohn der Fredegunde, über, der das Frankenreich wieder vereinigte. Brunichild wurde gefangengesetzt und zu Tode gefoltert. Neben und außerhalb gelehrter Historiographie, die Daten und Fakten festhalten will, wird die Vergangenheit im Bewußtsein nachfolgender Generationen in einem Sagenbildungsprozeß bewahrt und bewältigt, in dem ungleichzeitiges und entferntes Geschehen verschmolz, voneinander unabhängige Ereignisse verknüpft, komplizierte Abläufe vereinfacht und durch gängige Erzählmuster als elementare menschliche Beziehungen und Reaktionen gedeutet werden. Auf diese Weise sind der Burgundenkönig Gundahar (Gunther), Attila (Etzel) und Theoderich (Dietrich von Bern) in der Sage auf eine zeitliche Ebene zusammengerückt. Die Niederlage der Burgunden wurde für die Nachgeborenen offenbar erst als Konfrontation mit einem großen Gegner verständlich. So erscheint Attila in dem altnordischen Atlilied (Atlak-vida, vielleicht im 9. Jahrhundert entstanden, aufgeschrieben im D.Jahrhundert) als goldgieriger Betrüger, der die Burgunden in böser Absicht einlädt und umbringt. Seine Frau, die Schwester der Burgunden, übt tödliche Rache an ihrem Mann. Im Nibelungenlied, wo der Burgundenuntergang mit einer anderen Sage verbunden ist, hat Kriemhild Attilas Rolle übernommen, indem sie als zweite Frau Etzels ihre Brüder hinterhältig einlädt, um den Mord an ihrem ersten Mann Siegfried zu rächen. Etzel bleibt passiv und überlebt. Wie in INibelungenlied 147 den Sagen um Dietrich von Bern gewährt er friedfertig Ver-■ triebenen Zuflucht. Für die Siegfried-Geschichte weichen die historische und I literarische Konstellation derart voneinander ab, daß Namen ;! und Vorgänge einen Sagenprozeß nur andeuten.5 I Der lange Weg zwischen dem Nibelungenlied und der I Geschichte der Völkerwanderungszeit, rund 700 Jahre, läßt Isich nicht zurückverfolgen, weil es keine literarischen Zeugnisse gibt, die die Entwicklungsschritte dokumentieren.6 Neben dem Nibelungenlied bietet sich als erhaltene dichteri-I sehe Gestaltung des Nibelungenstoffes nur die altnordische I Edda zum Vergleich an. Tbidrekssaga und Völsungasaga sind I zeitlich nach dem Nibelungenlied entstanden, vielleicht von I ihm beeinflußt. I Gemeinsam zeichnen sich im Nibelungenlied und in der \ Edda mehrere Stoffbereiche ab: Sagen über den Burgunden-5 Untergang, über Siegfrieds Tod und Siegfrieds Jugend. Der % letzte, ohne historischen Kern, ist ein Sammelbecken von :; Märchenmotiven; auch der Drachenkampf gehört dazu, doch dieser eröffnet wohl kaum eine mythologische Dimension für die Siegfried-Gestalt, führt nicht auf einen göttlichen, f das Chaos ordnenden Heilsbringer zurück.7 Abweichend l| erscheinen in den deutschen und skandinavischen Texten die I Versionen der Sagen. Der Burgundenuntergang und Sieg- Ifrieds Tod sind in der Edda nicht miteinander verbunden, '; Siegfrieds Jugend und die Geschichte von Brünhild werden ■ auch selbständig erzählt. Im Nibelungenlied kommen die in der Edda ausgebreiteten Märchenmotive nur wenig zur Gel-tung. Eine Sonderung von Sage und Geschichte, wie sie die i Überlegungen zur Entstehung des Stoffes geleitet hat, war für I Dichter und Publikum des Nibelungenliedes nicht relevant. I Was die 1. Strophe als Wiedergabe »alter m&ren« program-f matisch formuliert, begriff man als Vorzeitkunde: I 148 Nibelungenlied Nibelungenlied 149 Uns ist in alten mseren Wunders vil geseit von helden Jobebasren, von grözer arebek, von fröuden, höchgeziten, von weinen und von klagen, von küener recken striten muget ir nu wunder hoeren sagen. Die Heldensage lebte als Erinnerung an vergangene Zeiten konkurrierend zu der chronikalischen, seit dem 12. Jahrhundert auch in deutscher Sprache verfaßten schriftlichen Geschichtsdichtung, zwar ohne Daten, aber durchaus mit Anspruch auf Realitätsgehalt (vgl. Gschwantler). Wenn im Nibelungenlied der burgundische und der niederländische Hof, Kriemhilds und Siegfrieds erster Lebensbereich, mit konkreten geographischen Namen und feudalrechtlichen Bezeichnungen eingeführt werden, so signalisieren diese Angaben, daß Geschehenes, nicht Erdachtes erzählt werden soll. Die Vergewisserung der Geschichtshaltigkeit erfolgt allerdings gerade durch Annäherung an die Gegenwart. Der Erzähler kleidet die Vergangenheit in die Lebensformen der eigenen Zeit, z. B. nimmt er am burgundischen Hof das erst Ende des 12. Jahrhunderts geschaffene Küchenmeisteramt auf (vgl. Rosenfeld). Deutlich bezeugt auch eine anhaltende Polemik, die in geschichtsschreibenden Konkurrenztexten gegen die Sage zu finden ist, daß diese immer wieder für historisch glaubwürdig gehalten wurde. Ebenso ist es nur durch ein derartiges Verständnis der Nibelungensage als Geschichte zu erklären, daß Heinrich von München im 14. Jahrhundert eine Art Resümee des Nibelungenliedes in seine Weltchronik aufgenommen und damit den nibelungi-schen Gestalten die gleiche Historizität zugesprochen hat wie Dietrich von Bern und Karl dem Großen. Noch Historiogra-phen des 16. Jahrhunderts sind entsprechend verfahren (vgl. Gschwantler, S. 63-65). Die erzählte Geschichte. Zwei höfische Herrschaftszentren, Worms in Burgund und Xanten in den Niederlanden, bilden die Anfangsschauplätze der Geschichte, die die burgundische Königstochter Kriemhild und den niederländischen Königs-I söhn Siegfried zusammenführt. Das zentrale Geschehen, Siegfrieds Ermordung und der Untergang der Burgunden und ihrer Könige Gunther, Gernot und Giselher im Land Etzels, wird gleich zu Anfang durch Vorausdeutungen (z. B. Kriemhilds Falkentraum) skizziert. Siegfried erscheint als höfisch vollendeter Ritter in Xanten, doch als wilder Herausforderer in Worms. Der mächtigste Vasall der Burgunden, Hagen von Tronege, kennt ihn und seine exorbitanten Jugendtaten (Erringen von Nibelungenhort, Schwert, Tarnmantel und den Drachenkampf). Sie geben der Gestalt eine außerhöfische Dimension, die dem Siegfried-Bild der mündlichen Tradition entsprach und für den Verlauf der Handlung unverzichtbar war. Kriemhild zu gewinnen, stellt Siegfried seine Kräfte in den Dienst des burgundischen Hofes, er übernimmt für Gunther die Werbung um Brünhild, die Königin auf Isenstein - eine zugleich höfisch und archaisch dimensionierte Gestalt wie er selbst. Die Brautwerbung um Brünhild gerät zu einem großen Betrugsmanöver. Vorgetäuscht wird ; Siegfrieds ständische Inferiorität (er gibt sich als Gunthers : man aus, das ist sowohl als >freier adeliger Lehensmann<, . Vasall, wie auch als amfreicr Dienstmann<, Ministeriale, deutbar. Brünhild nimmt später die degradierende Interpretation auf und spitzt sie zu eigenholt, Leibeigener, zu.); vorgespiegelt wird außerdem Gunthers Überlegenheit in der I Freierprobe, dem sportlichen Zweikampf mit der unmäßig * starken Brünhild (Gunther führt die Bewegungen aus, wäh-|: rend Siegfried, unter dem Tarnmantel verborgen, Stein und I Speer wirft, Gunther im Spru ng voran trägt) und später in der Brautnacht, wenn er noch einmal Brünhild niederringt, Für - die Betrogene undurchschaubar, birgt der Betrug das Kon-■ fliktpotential der weiteren Geschichte. Bei der Doppelhochzeit in Worms von Gunther mit Brünhild und Siegfried mit Kriemhild glaubt Brünhild, die königliche Schwägerin sei einem Ministerialen vermählt. Anhal- 150 Nibelungenlied tende Betroffenheit veranlaßt sie - zehn Jahre später - zur Einladung von Siegfried und Kriemhild. Ein Streit der Königinnen um den Vorrang ihrer Männer angesichts eines ritterlichen Turniers wird zum Streit um die Stellung der Frauen, zuerst unter vier Augen, dann vor der Öffentlichkeit des Hofes. Standesrechtliche und personenbezogene Schmähungen verbinden sich. Zeichen, die auf eine Scheinrealität weisen (Brünhilds Ring und Gürtel, die Siegfried entwendet und Kriemhild geschenkt hat), sollen Kriemhilds Anwurf erhärten: Brünhild sei Siegfrieds Kebse. Brünhild bleibt als Beleidigte zurück. Doch sie gewinnt Hagen, der für sie handelt, der - motiviert durch Staats- und machtpolitische Gründe -den Mord an Siegfried hinterhältig plant und ausführt. Kriemhild wird unversöhnlich verletzt. Sie hat den Mächtigsten des Hofes zum Gegner, niemand tritt für sie ein, denn ihre Brüder sind selbst an der Mordtat beteiligt, auch der Nibelungenhort wird ihr unter dem Schein der Versöhnung von Hagen geraubt und im Rhein versenkt. Aber Kriemhilds Rache ist nur aufgeschoben, sie kommt mit großer Verzögerung im 2. Teil der Geschichte zur Entfaltung. Als der verwitwete Hunnenkönig Etzel dreizehn Jahre nach Siegfrieds Tod um sie wirbt, erkennt sie die Chance, von neuer Macht getragen zu handeln; sie lädt nach weiteren dreizehn Jahren die Brüder und Hagen ins Hunnenland. Nur Hagen begreift die Gefahr bei Etzels Werbung wie bei Kriemhilds Einladung, aber die Burgunden verschließen sich seinen Warnungen. Um den Vorwurf der Feigheit zu entkräften, wird er zum trotzigen Führer ins Hunnenland, der für starke Bewaffnung und ein begleitendes Heer sorgt. Kriemhilds Pläne, zunächst nur auf Hagens Tod zielend, werden durchkreuzt, als die Gäste mit Heerscharen und, durch Dietrich von Bern gewarnt, in Waffen erscheinen. Da sie Hagen nicht zu isolieren vermag, entfacht sie durch den Überfall auf die burgundischen Knappen ein allgemeines Gemetzel, ein Inferno von Massen- und Einzelkämpfen. Aus der unmittelbaren und mittelbaren Konfrontation der zentra- j| Nibelungenlied 151 I len Gegner heben sich prägnante Szenen heraus. Ein letzter I Versöhnungsversuch Giselhers muß im Zuge der rächenden I Reaktionen ebenso vergeblich bleiben wie Kriemhilds Ver-\ langen nach Hagens Auslieferung, die gerade die lehensrecht- !liehe triuwe der Gegner herausfordert. Während Kriemhild und Hagen immer wieder das Geschehen steuern (Tötung des Königssohns Ortlieb, Saalbrand und Überleben), bleibt Etzel lange ahnungslos und bis zuletzt passiv. Ein außerordentlicher, gleichwohl signifikanter Konflikt wird vorgeführt an Markgraf Rüdiger von Bechelarn, der durch Lehnsrecht an Etzel, durch Eid bei der Brautwerbung an Kriemhild gebunden, zum Kampf gegen die ihm befreun-I deten Burgunden antreten muß. Der erbetene Ausweg in die ; Neutralität wird ihm angesichts der bedrängten Lage versagt. So kämpft er in dem ihm seelengefährdend erscheinenden \ Konflikt der Bindungen. Hagen begreift das Dilemma, erbit-I tet und erhält von dem erzwungenen Gegner dessen Schild I und zieht sich aus dem Kampf zurück, in dem Rüdiger und I Gernot fallen. Auch Dietrich von Bern, als Exulant an Etzels : Hof um Friedenswahrung und Vermittlung bemüht, wird ; schließlich in den Kampf hineingezogen. Er überwältigt die einzig noch lebenden Burgunden Hagen und Gunther und überantwortet sie Kriemhild, die gnadenlos bleibt. Das grausame Ende vollzieht sich im Gegenüber von I Kriemhild und Hagen in einer Folge von absurdem Zug und ; Gegenzug, befrachtet mit markanten Motiven der Tradition, aufgeladen mit Spannung und Emotion: Kriemhilds Rückforderung des Hortes und Hagens Verweigerung, Enthauptung Gunthers auf Kriemhilds Veranlassung. Zuletzt vollstreckt Kriemhild selbst ihre Rache, sie erschlägt Hagen mit ■ Siegfrieds Schwert. Dann wird auch sie getötet, von Hildebrand entwürdigend in Stücke zerhauen. Die Überlebenden Ft/ci und Dietrich beklagen die Toten. I Vom Sinn der Geschichte. Die Geschichte von Liebe, Betrug, |i Mord, Rache und Massensterben besteht keineswegs nur aus I! 152 Nibelungenlied >action<, sie wurde bei der Adaptation an die Großform des höfischen Romans mit einer Fülle von zeremoniellen Handlungen, Gesprächen und anschaulichen Schilderungen erzählend eingekleidet. Seinen unverwechselbaren literarischen Charakter erhält das Epos durch eine Reihe darstellerischer Eigenarten, die man als das »Nibelungische« bezeichnet hat:8 Wiederkehrende Erzählmuster strukturieren das Werk (Brautwerbung, betrügerische Einladungen, Mordpläne). Doppel- oder Mehrfachmotivierungen tauchen in gleichen Vorgängen auf, so daß Widersprüche und Redundanzen entstehen (z. B. bei Siegfrieds Ankunft in Worms, beim Werbungsbetrug, beim Frauenstreit, bei der Mordberatung). Viele Episoden sind mit prägnanten Details szenisch ausgestaltet und gewinnen durch kurze Dialoge und bedeutungsvolle Gesten große Dramatik und sinnliche Anschaulichkei t. Wesentlich geprägt ist die stilistische Eigenart des Nibelungenliedes durch seine strophische Bauweise. (Die Nibelungenstrophe besteht aus vier paarweise gereimten Langzeilen, die durch eine Zäsur in An- und Abvers, in der Regel mit je drei Hebungen, gegliedert sind und durch eine zusätzliche vierte Hebung im letzten Abvers eine deutliche Schlußmarkierung besitzen.) Die Strophen setzen das Erzähikontinuum aus kleinen Sinneinheiten zusammen, deren vorgegebener metrischer Rahmen - viel stärker als fortlaufende Reimpaarverse - zum Gebrauch formelhafter Wendungen geführt hat und deren betonter Schlußvers oft Pointierungen, Zusammenfassungen und Vorausdeutungen enthält. Wie die Strophen kleine Einheiten aneinanderreihen, so wird im großen die chronologisch erzählte Geschichte aus 39 Aventiuren, kapitelartigen Abschnitten von unterschiedlicher Strophenzahl, zusammengefügt, die mehr oder weniger abgeschlossene Episoden oder Handlungskomplexe umfassen. Diese Gliederung wie auch die Proportionierung der Gesamtgeschichte in zwei annähernd gleiche Teile mit 19 bzw. 20 Aventiuren zeigen eine bewußte Planung und Aufbereitung f Nibelungenlied 153 l des Stoffes für das epische Großformat, in der ein verant-f wortlicher Verfasser zu erkennen ist. Ein besonders signifikantes nibelungisch.es Stilistikum sind ■ die Vorausdeutungen, die die Geschichte von Anfang an t durchziehen (vgl. vor allem Wachinger, 1960). Neben einer j kompositorischen Funktion der Handlungsverknüpfung I" haben sie auch eine sinnvermittelnde Wirkung. Auf verschle-i denen Darstellungsebenen - als Bemerkungen des Erzählers I und als Träume, Vorahnungen, Warnungen, Prophezeiun-j gen einzelner Personen - weisen sie immer wieder konkret -i; und allgemein auf den unglücklichen Verlauf und Ausgang I der Geschichte hin, sie werfen dunkle Schatten auf glanzvolle I Momente und antizipieren deren Vergänglichkeit. Dadurch I wird eine Verständnisperspektive geschaffen, die das Gesche-I hen ständig zu Leid und Untergang determiniert erscheinen I läßt. Diese Perspektive faßt der Dichter schließlich resümie-rend als allgemein waltendes Verhängnis (Str. 2378): I Diu vil michel ere was da gelegen tot. 1idlu liute heten alle jämer unde not. mit leide was verendet des küniges höhgezit als ie diu liebe leide z'aller jungeste git. Verifiziert durch die vorangehende Geschichte ist diese Feststellung nicht sentimentalisierender Abschluß mit einer übernommenen Formel des Minnesangs »liep äne leit mae niht sin« (Dietmar von Aist XII1,2), sondern Einsicht in den Weltlauf. Wie das Rad. der Fortuna mit der steigenden und fallenden Königsfigur die Wechsclhaftigkeit des Glücks ins Bild setzt, zeigt hier der Blick auf die Vorzeit, daß persönliche Glückserfahrung und glanzvolle Machtcntfaltung immer schon den Keim zum Untergang in sich tragen. ; Mit dieser desillusionierenden Sicht läßt der Dichter sein Publikum allein. Eher als neuzeitliche Interpreten, die - wie Goethe - nur »Grundheidnisches« sahen und eine Öffnung des Himmels vermißten (Naumann, S. 53), konnten die Hörer im Mittelalter den schrecklichen Ausgang der Gc- 154 Nibelungenlied schichte in verfügbare sinngebende Vorstellungen einordnen und bewältigen; denn die Vergänglichkeitsperspektive entsprach dem biblisch begründeten, in Predigt und Literatur oft gebrauchten Vanitas-Modell, das als Mahnung zur Umkehr und somit als Wegweiser zum Heil gedacht war. Ausdrückliche Signale für die Übertragung dieses Verständnismusters auf das Nibelungenlied gibt es freilich nicht, jedenfalls nicht in der als primär geltenden Fassung der mit A und B bezeichneten Handschriften. Es fehlt, abgesehen von der wesentlichen Stufe der erkennenden Umkehr, vor allem ein explizites Schuld-Strafe-Schema. Qualifizierende Begriffe wie übermuot (Unüberlegtheit, Überheblichkeit) und untriuwe (Treulosigkeit) bleiben auf den Umkreis bestimmter Episoden beschränkt. Im Hinblick auf das Gesamtgeschehen zeichnet sich zwar für den Hörer bzw. Leser eine Kausalkette ab: Betrug ist das auslösende Moment, Streit, Mord, Rache, Untergang dessen Folgen; im einzelnen aber ist die Handlung nicht konsequent und einsinnig durchmotiviert. Personen haben verschiedene Dimensionen, Handlungen werden mehrfach begründet, erzählte Vorgänge sind widersprüchlich. Diese Beschaffenheit des Textes, die sich leicht aus seiner Entstehungsgeschichte erklärt, hat zu einer Fülle kontroverser Interpretationen und neuerdings zur Infragestellung der Interpretierbarkeit des Nibelungenliedes überhaupt geführt, weil die gängigen Verfahren gegenüber dem inhomogenen Text versagten.9 Nun fordert das Nibelungenlied zwar immer wieder zum Vergleich mit dem logisch durchkomponierten Artusroman heraus, aber es sollte nicht daran gemessen werden, denn nicht nur in seiner pessimistischen Weltsicht, auch in seiner Struktur repräsentiert es ein anderes Erzählmodell, das Varianten einschließt. Verschiedene Motive und Aspekte werden simultan behandelt und ergeben parallellaufende oder sich kreuzende Linien. Durch die Bibelexegese und eine analoge Auslegung von Literatur, Natur und Geschichte war zumindest der Homo litteratus, aber auch der Predigthörer i; Nibelungenlied 155 mit dem Umgang von Bedeutungsvarianten vertraut. Dem-v entsprechend ist das nibeiungische Erzählmodell nicht Aus-\ druck eines Unvermögens, die disparate Stofftradition zu bewältigen, sondern es besitzt klar erkennbare Funktionen: : Zur Darstellung vermeintlicher Historie erscheint es in höhe-• rem Maße geeignet als die konsequentere Erzähllogik des i Artusromans; denn es bietet die Möglichkeit, die Geschichte I partiell auf dem Vorstellungshorizont des Publikums um I 1200 abzubilden, ohne den Stoff in seiner sinnlichen An-j schaulichkeit zu beschneiden. Beispielsweise konnte auf ' diese Weise die bildhafte Darstellung des Werbungsbetrugs als Täuschung mit Hilfe des Tarnmantels zweifach durchgespielt werden, im Wettkampf und im Brautbett, und es r konnte eine rationale Version mit dem feudalrechtlichen i Argument der Standeslüge hinzugefügt werden. Außerdem fördert gerade das gebrochene Motivierungsverfahren den 1 Widersinn des Geschehens zutage, indem Absicht und Wirkung menschlicher Handlungen in ein konträres Verhältnis ' zueinander geraten, begrenzt gedachte Taten unabsehbare " Folgen haben und ein einzelner das vielfältig verflochtene f Geschehen nicht aufhalten kann: So setzt Siegfried den fol-<• genschweren Betrug ein, um Gunther zu dienen und Kriem-< hild zu gewinnen; Knemhild will Siegfried schützen, als sie ( die verwundbare Stelle bezeichnet und ihn damit dem Tod j * preisgibt; Hagen will dem Burgundenreich nützen, als er mit j 2 Mord und Hortraub den Grund zu Rache und Untergang Ilcgt; gerade Rüdiger, »der vatcr aller tilgende« (2202,3), gerät in Handlungszwänge, in denen Recht und Moral auseinanderklaffen (vgl. Wapnewski). Das Nibelungenlied bietet keine eindeutigen Handlungs-« mustcr; und alle Gestalten haben Licht- und Schattenseiten: |'Dcr strahlende Siegfried wird auch als »übermüde« (unbe-Isonnen, draufgängerisch) bezeichnet, und der Werbungsbe-I trug ist sein Werk; Hagen ist der rücksichtslose politisch kal-|kulicrende Mörder, aber auch der verstehende Freund Rudi-fgers und »den Nibelungen ein hclflkher tröst« (1526,2) im 156 Nibelungenlied Hunnenland; Kriemhild, zunächst Hebende und von Leid betroffene Frau, handelt später erbarmungslos grausam und fügt Hagens Mord zahllose Tote hinzu. Probleme der zeitgenössischen Feudalordnung scheinen in der Erzählung verschiedentlich auf: Kollision mehrfacher Lehnsbindungen, Diskrepanz von rechtlichem und sozialem Status (der unfreie Ministeriale mit großer faktischer Macht und Besitz), eingeschränkte Aktivität des Königs, Präpotenz des Vasallen, Fehde und Friedenswahrung - all das gehört zum Assoziationshintergrund von Verfasser und Publikum, doch es fügt sich nicht zu einer sinngebenden Grundschicht des Werkes zusammen. Die erzählte Geschichte und die reale Historie widersetzen sich einer bestimmten sozialgeschichtlichen Deutung - etwa als Ausdruck der Auflehnung des alten Adels gegen die Bedrohung durch die aufsteigende Ministe-rialitat10 - ebenso wie dem Versuch, aus einer Antithese von christlichen und heidnischen bzw. höfischen und unhöfischen Kräften ein umfassendes Verständnis zu gewinnen (vgl. Nagel u. a.). Oft werden Eigenarten des Nibelungenliedes als >heroisch< bezeichnet, so wenn Verhalten und Lebensformen vom höfischen Ideal abweichen, wenn Menschen erbarmungslos und affektgeladen miteinander umgehen und vor allem wenn sie gesteigerte Kampfbereitschaft in der Gewißheit des nahen Todes beweisen. In diesem Sinne besitzt das Nibelungenlied eine heroische Dimension, die das Heldenepos als Kontrastmodell zum höfischen Roman auch inhaltlich mitprägt (vgl. bes. Haug, 1974). Als literarische Gattung hat das Nibelungenlied keine Schule gemacht, aber es hat eine unvergleichliche Rezeptionsgeschichte in Gang gebracht. Entfernung von den >alten ma;ren<. Das Nibelungenlied gilt heute als das bekannteste Werk der deutschen Literatur des Mittelalters, allerdings beruht diese Kenntnis kaum auf der Lektüre des Epos selbst, sondern ist Ergebnis einer einzigartigen Aneignung der Nibelungengeschichte. Nach der letzten Nibelungenlied 157 handschriftlichen Bewahrung des Textes in Kaiser Maximilians Ambraser Heldenbuch am Anfang des 16. Jahrhunderts geriet es über 200 Jahre in Vergessenheit und rückte erst im 18. Jahrhundert wieder ins Licht der Aufmerksamkeit, als 1755 und 1779 zwei Handschriften (C und A) in Schloß Hohenems bei Bregenz entdeckt wurden und das Lied 1757 ; von Johann Jakob Bodmer teilweise und 1782 von Christoph Y Heinrich Myller zum ersten Mal vollständig herausgegeben { wurde. Im 19. und 20. Jahrhundert folgte eine wachsende ; Zahl von Editionen, Übersetzungen und Nachdichtungen.11 Keine andere mittelalterliche Dichtung hat im germani-■■■ stisch-wissenschaftlichen und im popularisierenden Interesse f an der altdeutschen Vergangenheit eine vergleichbare Rolle I gespielt.12 Dabei wurde der Blick oft über das Mittelalter f hinaus in eine vage germanische Vorzeit gelenkt. Das Nibe-:,, lungenlied diente als Demonstrationsobjekt für literaturgeschichtliche, poetologische, historische und aktuelle politi-sehe Bedürfnisse. Mit seiner Hilfe sollte belegt werden, daß I die Deutschen wie die Griechen ein Nationalepos besaßen, I daß im Volk eine ursprüngliche poetische Kraft der Weiter-I fassung existiere, die zu einer neuen Poesie und Mythologie 'iy führe, daß der deutsche Nationalcharakter, insbesondere die I Treue, einen langen Stammbaum hätte, daß Macht, die sich § auf physische und moralische Überlegenheit gründet, nur I durch einen hinterhältigen Dolchstoß zu Fall zu bringen I sei.13 Man berief sich auf nibclungischc Gestalten, um im l Ersten Weltkrieg Sicgcshoffnung zu suggerieren und spater j ■ die Niederlage zu bewältigen. Hermann Göring rückte den Kampf um Stalingrad in eine pcrfid-vcrklärcnde, heroisic-j rendc Analogie zu dem Überleben der Burgunden in der ; brennenden Halle, um zum Durchhalten und zu Opfcrbc-I reitschaft zu animieren."1 Was bei all diesen Demonstratio-I nen benutzt wurde, waren Namen und losgelöste Motive, die kaum in ein Verständnisbemühen um das mittelalterliche Nibelungenlied eingebettet waren, ja meist überhaupt keinen 1 Bezug zu einem konkreten Text besaßen. Vorstellungen 158 Nibelungenlied von Gestalten wie Siegfried und Brünhild sind im 19. und 20. Jahrhundert weniger durch das Nibelungenlied geprägt als vielmehr durch Elemente skandinavischer Dichtungen, die über Richard Wagners Ring des Nibelungen, dem sie als vornehmliche Stoff quelle dienten, weiter vermittelt wurden. So überblendet das Bild von Siegfried dem Drachentöter, der den Flammenwall durchreitet und die Walküre Brünhild erweckt, den höfischen Ritter und König des Nibelungenliedes, der, um Kriemhild zu gewinnen, Minnedienst leistet und dessen Schwertleite ausführlich erzählt wird. Die positive Funktionalisierung nibelungischer Motive in der Rezeptionsgeschichte steht in krassem Gegensatz zu dem mittelalterlichen Epos, in dem Betrug, Tod und Leid dominieren. Das der trostlose Schluß bereits für das mittelalterliche Publikum schwer zu ertragen war, dafür zeugen die Fassung der Handschrift C und vor allem die Anbindung der Klage an das Nibelungenlied.15 In der Überlieferungseinheit, die beide Texte in den Handschriften bilden, löst die Klage das schreckliche Schlußbild des Nibelungenliedes auf und führt eine christliche Wertung von Gut und Böse ein. Im Laufe der Jahrhunderte erscheint die Rezeption des Nibelungenliedes als Kette derartiger Versuche, die Sinnlosigkeit des Geschehens und den pessimistischen Schlußakkord zu übertönen.16 Man benutzte die Aura eines großen literarischen Werkes, um durch einzelne Bilder und ein unterstelltes Gesamtethos Anliegen der jeweiligen Gegenwart zu legitimieren, und sah nicht die Entfernung von den »alten mseren«, wie sie im Nibelungenlied Gestalt geworden sind. Anmerkungen 1 Die Erwähnung von Rumolds Rat (Warnung des Hofkiichcnmei-sters vor dem Zug der Burgunden ins Hunnenland) im 8. Buch von Wolframs Parzival, das kurz nach 1203 entstanden ist, bietet den wichtigsten Datierungsanhalt. 2 In einem fiktiven Wahrheitsbeweis nennt die Klage den Oheim der Burgunden, Bischof Pilgrim von . Nibelungenlied 159 i -———- ( Passau, und seinen Schreiber Konrad als Verantwortliche für die latei-nische Aufzeichnung der Geschichte nach Augenzeugenberichten. Eine lateinische >Nibelungias< hat sich jedoch nicht ermitteln lassen. 3 Die Forschungsdiskussion, auch das Verhältnis zur >oral poetry< betreffend, wird übersichtlich zusammengefaßt bei Fromm. 4 Ob erst der Nibelungenlied-Dichter, angeregt von der neuen mittelhochdeutschen Lyrik der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die soge-■ nannte Kürenberger-Strophe für das epische Werk aufgegriffen hat I oder ob es schon vorher strophische Erzähllieder zur Nibefungenge-I schichte gab, ist umstritten. 5 Eine andere historische Ausgangssi-tuation hat de Boor (1939) vorgeschlagen. 6 Heusler meinte, die Zwischenstufen, die sich stets in dichterischer Gestalt manifestiert ; hätten, rekonstruieren zu können. Haug (1975, 1980) hat dieses '). Modell einer grundsätzlichen Kritik unterzogen. Das Postulat einer I nur dichterisch geformten Tradition der Sage läßt sich nicht aufrecht-§ erhalten. 7 Schröder und Höfler haben nachdrücklich die mythi-I sehe Herkunft der Heldensage vertreten. Höfler (1959, 1978) zieht I eine Verbindung von Siegfried zu Hermann dem Cherusker und der Schlacht im Teutoburger Wald als Wiederholung des mythischen Drachenkampfes. 8 Der Ausdruck findet sich zuerst bei Jacob ; Grimm. (Kleinere Schriften, Bd. 4, Berlin 1864, S. 86), allerdings im f. Sinne einer überzeitlichen, in der Geschichte der Menschheit wirken-'■:} den Idee. Für den Komplex der stilistischen Eigenarten wird er gebraucht bei Curschmann (1979), Wachinger (1981) u. a. 9 Eine l. Ubersicht vermittelt die mit Kurzkommentaren versehene Bibliogra-I phie bei Ehrismann (1987). Fleinzle (S. 88-92) wendet sich gegen ein I Interpretieren »in der üblichen Weise«, konstatiert aber gleichzeitig, ' daß das Nibelungenlied aufgrund seiner epischen Struktur immer v besonders interpretationsbedürftig gewirkt habe. 10 J.-D. Müller unu Kaiser haben das Nibelungenlied von einer adeligen Kommuni-I kationsgemeinschaft her interpretiert, die sich über die Bedrohung I' der alten Ordnung durch den Tcrritorialisierungsprozeß verständige I und in einer Apotheose idealisierter Treuebindung von Herr und 'Mann gegen die Auflösung der Herrschaftsstrukturen des Personenverbandes auflehne. Die historische Voraussetzung dieser Deutung hat Knapp aufgrund neuerer Forschung von Historikerseite in Frage gestellt: Der Territorialisierungsprozeß setzte in Österreich erst im 13. Jahrhundert, also nach der Verschriftlichung des Nibelungenliedes, ein. Die erzählte Geschichte mit dem Mord an Siegfried, mit Rüdigers Dilemma und Hagens Verhalten am Schluß ist für eine Vor-