LYRIK DER BAROCKZEIT 1. Vanitas, Memento mori Andreas Gryphius - Tränen des Vaterlandes, anno 1636 Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat aufgezehret. Die Türme stehn in Glut, die Kirch' ist umgekehret. Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun, Die Jungfern sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret. Hier durch die Schanz' und Stadt rinnt allzeit frisches Blut. Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen. Doch schweig' ich noch von dem, was ärger als der Tod, Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot, Das auch der Seelen Schatz, so vielen abgezwungen. Andreas Gryphius - Es ist alles eitel Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein; Wo jetzund Städte stehen, wird eine Wiese sein, Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden; Was jetzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden; Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein; Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein. Jetzt lacht das glück uns an, bald donnern die Beschwerden. Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehen. Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehen? Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten, Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind, Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder find't! Noch will, was ewig ist, kein einzig' Mensch betrachten. Andreas Gryphius - Einsamkeit In dieser Einsamkeit, der mehr denn öden Wüsten, Gestreckt auf wildes Kraut, an die bemooste See: Beschau ich jenes Tal und dieser Felsen Höh', Auf welchem Eulen nur und stille Vögel nisten. Hier, fern von dem Palast; weit von des Pöbels Lüsten, Betracht' ich: wie der Mensch in Eitelkeit vergeh', Wie, auf nicht festem Grund all unser Hoffen steh', Wie die vor Abend schmähn, die vor dem Tag uns grüßten. Die Holl', der rauhe Wald, der Totenkopf, der Stein, Den auch die Zeit auffrisst, die abgezehrten Bein' Entwerfen in dem Mut unzählige Gedanken. Der Mauern alter Graus, dies unbebaute Land Ist schön und fruchtbar mir, der eigentlich erkannt, dass alles, ohn' ein' Geist, den Gott selbst hält, muss wanken. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau - Vergänglichkeit der Schönheit Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand Dir endlich mit der Zeit um deine Brüste streichen. Der liebliche Korall der Lippen wird verbleichen; Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand. Der Augen süßer Blitz, die Kräfte deiner Hand, Für welchen solches fällt, die werden zeitlich weichen. Das Haar, das jetzund kann des Goldes Glanz erreichen Tilgt endlich Tag und Jahr als ein gemeines Band. Der wohlgesetzte Fuß, die lieblichen Gebärden, Die werden teils zu Staub, teils nichts und nichtig werden, Denn opfert keiner mehr der Gottheit deiner Pracht. Dies und noch mehr als dies muss endlich untergehen, Dein Hertze kann allein zu aller Zeit bestehen Dieweil es die Natur aus Diamant gemacht. 2. Individualität Paul Fleming - An sich Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren! Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid, Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid, Hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen. Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren, Nimm dein Verhängnis an, lass alles unbereut. Tu, was getan sein muss, und eh man dirs gebeut. Was du noch hoffen kannst das wird noch stets geboren. Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke Ist sich ein jeder selbst. Schau alle Sachen an: Dies alles ist in dir. Lass deinen eitlen Wahn, Und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke. Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann, Dem ist die weite Welt und alles Untertan. 3. Geistliche Lyrik, Mystik Catharina Regina von Greiffenberg - Über das unaussprechliche Heilige Geistes-Eingeben Du ungeseh'ner Blitz / du dunkel-helles Licht / du Herzerfüllte Kraft / doch unbegreiflichs Wesen Es ist was Göttliches in meinem Geist gewesen / daß mich bewegt und regt: Ich spür ein seltnes Licht. Die Seel ist von sich selbst nicht also löblich licht. Es ist ein Wunder-Wind / ein Geist / ein webend Wesen / die ewig' Atem-Kraft / das Erz-Sein selbst gewesen / das ihm in mir entzünd dies himmel-flammend Licht. Du Farben-Spiegel-Blick / du wunderbuntes Glänzen! du schimmerst hin und her / bist unbegreiflich klar die Geistes Taubenflüg' in Wahrheits-Sonne glänzen. Der Gott-bewegte Teich / ist auch getrübet klar! es will erst gegen ihr die Geistes-Sonn' beglänzen den Mond / dann dreht er sich / wird Erden-ab auch klar. Angelus Silesius - aus dem „Cherubinischen Wandersmann" 8. GOtt lebt nicht ohne mich. Ich weiß daß ohne mich GOtt nicht ein Nu kann leben / Werd' ich zunicht Er muß von Not den Geist aufgeben. 9. Ich habs von Gott / und Gott von mir. Daß GOtt so selig ist und Lebet ohn' Verlangen / Hat Er sowohl von mir / als ich von ihm empfangen. 10. Ich bin wie Gott / und Gott wie ich. Ich bin so groß als GOtt / Er ist als ich so klein: Er kann nicht über mich / ich unter Ihm nicht sein. 11. Gott ist in mir / und ich in ihm. GOtt ist in mir das Feuer / und ich in Ihm der schein: Sind wir einander nicht ganz inniglich gemein? 25. GOtt ergreift man nicht. GOtt ist ein lauter nichts / Ihn rührt kein Nun noch Hier: Je mehr du nach Ihm greifst / je mehr entwird Er dir. 4. Gelegenheitsdichtung, Dichter am Hof Simon Dach an Hn. Obermarschall von Brandt, dass sein Gehalt erfolgen möge Herr, ich bin kein Hofemann, Welcher unverschämt sein kann, Sonst würd ich wohl selber kommen. Dieser Reim, seht, schämt sich nicht, Gönnt ihm euer Angesicht, Lassen ihn sein aufgenommen, Habet seiner kein Beschwer. Aber was ich sein begehr' Und was wird ihm anbefohlen? Bringt er etwa zu euch ein Einig' hundert Taler? Nein. Herr, verzeiht, er will sie holen. Ostern sind schon längst vorbei, Wisst, dass ich ganz kraftlos sei Vor dem Hunger nach dem Gelde. Tut, hochedler Herr, mir kund, Sind sie da für meinen Mund Oder noch im weiten Felde? O, ein Wildbrät, das erst schmeckt, Hätt es sich gleich auch versteckt Tief in wild verwachsnen Hecken. Ich verfolg es, wie ich kann, Kriegt ich es, wie werd ich dann Meine Finger danach lecken! Herr, sein mein Befördrer hier, Helft mir jagen dieses Tier, Springt mir bei mit schnellen Winden, Weil kein Rat ist also bald, Es verläuft sich in dem Wald, Wo und wann werd ich es finden? 5. Schäferdichtung, Rokoko Johann Klaj - Vorzug des Frühlings Im Lenzen, da glänzen die blümigen Auen, die Auen, die bauen die perlenen Tauen, die Nymphen in Sümpfen ihr Antlitz beschauen. Es schmilzet der Schnee, man segelt zur See, bricht güldenen Klee. Die Erlen den Schmerlen den Schatten versüßen, sie streichen, sie leichen in blaulichten Flüssen, die Angel aus Mangel und Reißen beküssen. Die Lerche, die singt, das Haberrohr klingt, die Schäferin springt. Die Hirten in Hürden begehen den Maien, man zieret und führet den singenden Reien. Die Reien, die schreien um neues Gedeihen, die Herde, die schellt, der Rüde, der bellt, das Euter, das schwellt. 6. Carpe diem Paul Fleming - Wie er wolle geküsset Nirgends hin, als auf den Mund: Da sinkts in des Herzen Grund. Nicht zu frei, nicht zu gezwungen, Nicht mit gar zu faulen Zungen. Nicht zu wenig, nicht zu viel: Beides wird sonst Kinderspiel. Nicht zu laut und nicht zu leise: Bei der Maß' ist rechte Weise. Nicht zu nahe, nicht zu weit: Dies macht Kummer, jenes Leid. Nicht zu trocken, nicht zu feuchte, Wie Adonis Venus reichte. Nicht zu harte, nicht zu weich, Bald zugleich, bald nicht zugleich. Nicht zu langsam, nicht zu schnelle, Nicht ohn' Unterschied der Stelle. Halb gebissen, halb gehaucht, Halb die Lippen eingetaucht, Nicht ohn Unterschied der Zeiten, Mehr alleine denn bei Leuten. Küsse nun ein jedermann, Wie er weiß, will, soll und kann! Ich nur und die Liebste wissen, Wie wir uns recht sollen küssen.