Formulieren Sie Hamlets Argumentation mit eigenen Worten! Welches Dilemma beschreibt er? Michelangelo BuonaroUi, David, 1501-04 Zusammenfassende Stichworte ■ Renaissance: Wiedergeburt der griechischrömischen Antike, ausgehend von Italien. Allgemeine Bezeichnung für die Epoche des 15./16. Jahrhunderts. Besondere Verwendung des Begriffs auch im Zusammenhang mit Baukunst und bildender Kunst. ■ Humanismus; Geisteskultur in Wissenschaft und Dichtung zur Zeit der Renaissance. Ziel: Wiederbelebung des antiken Menschenbilds; Idealvorstellung: Autonomie des Menschen. Säkularisierung des Weltbilds. B Reformation: Nach Martin Luthers Kritik an kirchlichen Mißständen und Reformversuchen schließlich Glaubensspaltung. Hauptursache: Bestrebungen, von der Vormundschaft Roms unabhängig zu werden; Konflikt zwischen Landesfürsten und zen-tralistischer Kirchen- bzw. Kaiserherrschaft. B Schrifttum/Dichtung: Philologische Bearbeitungen und Neuausgaben antiker Schriftsteller, besonders aber auch der Bibel aus dem Altgriechiscb.cn bzw. Lateinischen. Luthers Bibelübersetzung als Wegberciterin der neuhochdeutschen Schriftsprache. Erfindung des Buchdrucks (Johannes Gutenberg). Satiren (Sebastian Brant), Fastnachtspiele (Hans Sachs), Volksbücher („Faustbuch"). Tips zum Weiterlesen Erasmus von Rotterdam: ,.Lob der Torheit" (Satire) Stefan Zweig: „Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt" (Roman) Erik Eriksom „Der junge Mann Luther" (psychologische Darstellung der Persönlichkeit Luthers) Dieter Forle: „Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung" (Variante des modernen epischen Theaters und des Dokumentartheaters; „Münzer" ist eine absichtliche Namensänderung) Das Zeitalter des Barock 1 Betrachten Sie die Bilder auf dieser und der nächsten Seite genau und finden Sie Stichworle, die zu den Bildern passen! Vergleichen Sie dazu auch die Abbildung einer Skizze von Franz Anton Maulpertsch im Farbteil! A links: Luftaufnahme des Schlosses Vaux-le-Victome 46 Folierszene, zeitgenössische Darstellung 47 r Soldaten plündern ein Bauernhaus, aus „Miseres et les Mal-heurs de hl guerre" von Jacques Callot. 1633 Zwei Illustrationen aus „Sprichwörter", um 1660: „Der Adelige ist die Spinne, der Bauer die Fliege" „ Wer alle seine Kleider anhat, dem muß sehr warm sein" Beispiel 1: Aus der „ERMAHNUNG ZUR WIEDERBRINGUNG DES EDLEN FRIEDENS" von Johannes Rist (1607-1667) l Wann wird der lange Krieg sein letztes Ziel erreichen, wann dünget man das Feld nicht mehr mit Menschenblut? Wann wird der grausam Haß das Land- und Leutverheeren, das Brennen ohne Not, das Metzeln hören auf? 5 Wie lange will man noch Mark, Fleisch und Bein verzehren, wann bringet man den Mars' aus Teutschland auf den Lauf? Ich sehe ja die Luft mit dickem Rauch erfüllet, das grüne Meer mit Blut gefärbet überall, den güldnen Sonnenglanz mit Dunkelheit verhüllet, io ich höre Donner, Blitz und der Kartauncn Schall. Ach Mars, es ist genug, es ist zu viel vergossen von bürgerlichem Schweiß, es ist das schöne Land, das Wein und Früchte trägt, von Menschen und von Rossen zertreten und verderbt, ja gänzlich umgewandt. 15 Ein schwarzer Platz zeigt an, wo Städte sind gestanden, die Knochen sagen auch, wie mancher kühner Held die Erden hat geküßt; da war kein Freund vorhanden, der sie vergraben hätt, ihr Grab das war die Welt. [...] 20 O seligs Vaterland, wirst du die Zeit erleben, daß man aus Schwertern und Pistolen Sensen macht, daß keine Fahnen mehr um ihre Zelten schweben, daß man binfürder nit darf lauschen auf die Wacht, daß Spinnen ihre Strick in starken Panzern heften, 25 daß die polierten Helm sein ohne Glanz und Schein, daß man die Speisen kocht mit der Musketen Schäften, so wollen wir, o Gott, dir ewig dankbar sein. I römischer Kriegsgott 2 Was sagt das Gedicht über die politischen Zustände in Deutschland aus? -Betrachten Sie es auch formal und sprachlich! Beispiel 2: Aus den „HIRTENLIEDERN DER IN IHREN fESUM VERLIEBTEN PSYCHE" von Angelus Silesius (= Johannes Scheffler, 1624 - 1677) Er küsse mich mit seines Mundes Kuß und tränke mich mit seiner Brüste Fluß, denn sie schmecken über Wein! Und sein Mund macht zur Stund eine Seel voll Freuden sein. Ach ach, die Lieb ist strenge wie der Tod! Er küsse mich, der süße Liebesgott, denn mein Herze flammt und brennt, dürst und lechzt, seufzt und ächzt, und das Leben naht zum End! Wo ist sein Geist, der himmelsüße Tau? Er laß ihn doch erkübln meins Herzens Au! Oder nehme vollends hin meinen Geist, der schon meist sich verloren hat in ihn. 0 Jesu, ists daß ich dir bin vertraut, so komm doch her und küsse deine Braut! Denn dein Kuß der ists allein, den mein Herz sucht mit Schmerz über Gold und Edelstein. 48 Versuchen Sie eine erste Charakteristik der Barockzeit aufgrund Ihrer Stichworte! Welche beiden Sinnbereiche faßt das Gedicht zu einer Einheit zusammen? Wie geschieht das sprachlich und formal? Inwiefern konnte man daraus Schlüsse auf die Lebenseinstellung des Barockmenschen ziehen? 49 L. ^ Das Sonell Der Dreißigjährige Krieg Beispiel 3: „VERGÄNGLICHKEIT DER SCHÖNHEIT" von Christian Hofmann von Hofmannswaldau (1617- 1679) ES wird der bleiche tod mit seiner kalten hand Dir endlich mit der zeit umb deine brüste streichen / Der liebliche corall der lippen wird verbleichen; Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand / Der äugen süsser blitz / die kräffte deiner hand / Für welchen solches fällt / die werden zeitlich weichen / Das haar / das itzund kan des goldes glantz erreichen / Tilgt endlich tag und jähr als ein gemeines band. Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden / Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden / Denn opfert keiner mehr der gottheit deiner pracht. Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehn / Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen / Dieweil es die natur aus diamant gemacht. Das Gedicht hat die Form eines Sonetts: es besteht aus zwei Quartetten (Vierzeilern) und zwei Terzetten (Dreizeilern). Oft dient dieser strenge Aufbau auch inhaltlich der Kontrastierung gegensätzlicher Vorstellungen und Gedanken. Bestimmen Sie das Reimschema von Hofmannswaldaus Gedicht! - Der Autor vereint hier zwei zentrale Motive barocken Dichtens: das Vanitas- (alles ist wertlos, weil es letztlich zugrunde geht) und das Carpe-diem-Uoüv („ergreife den Tag": genieße heute - angesichts der allgemeinen Vergänglichkeit). Zeigen Sie, mit welchen sprachlichen Mitteln er diese Inhalte zum Ausdruck bringt! 50 Politische und geistige Voraussetzungen der Barockdichtung Das 17. Jahrhundert war eine aufgewühlte Zeit. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) als Ergebnis der Auseinandersetzungen zwischen protestantischer Reformation und katholischer Restauration bestimmte weitgehend die geistige, politische und ökonomische Situation. Die grauenvollen Auseinandersetzungen waren aber auch ein (letztlich ergebnisloser) Machtkampf zwischen den feudalabsolutistischen Mächten (Österreich, Spanien, römische Kirche) und den modernen absolutistisch-bürgerlichen Staaten (Schweden, Frankreich, Niederlande), der mit dem Westfälischen Frieden endete. Sein Resultat war der Zerfall Deutschlands in unzählige Kleinstaaten, sodaß die wirtschaftlich-politische Entwicklung des Landes in der Folge schwerstens behindert war. Aber auch die Türken bedrohten im Lauf des Jahrhunderts mehrmals das geschwächte Mitteleuropa und konnten erst 1683 vor Wim endgültig besiegt werden. Pestepidemien trugen ein weiteres zur Dezimierung der Bevölkerung bei, sodaß die Bevölkerung in Deutschland von 17 auf 8 Millionen schrumpfte. Not, Hunger, Verzweiflung, Ausbeutung und Plünderungen standen auf der Tagesordnung. Der Teufel war für die Menschen noch Realität. In Hexcnver-folgungen glaubte man, den Übeln des irdischen Daseins zu Leibe rücken zu können. Die Kultur der deutschsprachigen Länder wurde durch die europäische Vormachtstellung Frankreichs bestimmt. Französische Sprache und Lebensart wurden überall nachgeahmt. Die Prunkentfaltung und der Absolutismus („Der Staat bin ich") Ludwig's XIV. (1643 -1715) wurden zum Vorbild beinahe aller deutschen Fürsten. In Prunkbauwerken, Gemälden, Skulpturen, Wissenschaften und Dichtungen ließen sie ihr Gottesgnadentum verherrlichen. Philosophisch gerechtfertigt wurde der Absolutismus durch den Engländer Thomas Hobbes (1588 - 1679), der ihn als Verhinderung des naturgesetzlichen Krieges aller gegen alle darstellte. So spricht man vom Barock als einem Jahrhundert der Antithesen. Folgende Grundspannungen liefen durch alle Lebensbereiche: Einem grenzenlosen Willen nach dem Genuß irdischer Freuden stand das Bewußtsein gegenüber, daß alles vergänglich („eitel") ist. Leidenschaftliches Ausleben und leidenschaftliches Ermahnen gingen parallel einher. Optimistische und wirkliebkeitsentrückte Schäfcridyllcn wechselten mit pessimistischen Darstellungen der Sinnentlccrung des Lebens. Das Spannungverhältnis zwischen Üppigkeit und Askese reichte bis in die dichterischen Formen hinein, wenn zum Beispiel äußerst strengen und gerafften Formen wie dem Sonett und dem Epigramm1 das Zerfließen und quantitative Aufblähen im höfisch-galanten und im pikaresken Roman gegenüberstanden. Die Germanistik hat die auffällige Fonnstrenge im Barockgedicht deshalb auch als Versuch des Dichters gedeutet, die auf ihn einstürzenden Geschehnisse seiner chaotischen Lebenswclt mit Hilfe der kalkulierten literarischen Form zu bewältigen. Begriffe zur Charakteristik der barocken Dichtung Der höfische Absolutismus Ordnen Sie die folgenden literarischen Fachausdrücke aus der wissenschaftlichen Beschreibung der Barockliteratur den Beschreibungen in der Rubrik zu! Beginnen Sie mit den Zuordnungen, bei denen Sie sicher sind, daß sie stimmen! Suchen Sie die Begriffe, für die Sie keine Erklärung finden, in unserem Sachwortverzeichnis! Fachausdrucke in alphabetischer Reihenfolge: Allgemeines: Emblematik / Manierismus / Mystik / Mythologie / Petrarkismus / Poetik / Rhetorik Sprachliche/poetische Verfahrensweisen: Alexandriner / Allegorie / Antithese / Hypcrbolik / Insistierende Nennung / Metapher / Onomatopoesie / Periphrase Allgemeines Lehre von den Dichtungsgattungen, bzw. ein Buch, das diese Lehre enthält.----- Gesamtheit der Götter- und Heldensagen; auch die Wissenschaft von den Mythen,------- Ästhetische Haltung, in der das Gekünstelte, Übersteigerte und Elegante des sprachlichen Ausdrucks vorherrscht.--- Nach dem Vorbild des italienischen Dichters Petrarca übernommenes Schema von Liebesgedichten: der Mann als klagender Sklave, die Frau als kühle, grausame Tyrannin. -—--—■- Konventionelles System von Sinnbildern aus jeweils drei Teilen: pictura = bildliche Darstellung; inscriptio = Inschrift, Beschreibung; subscripüö = moralische Auslegung oder didaktische Anweisung. -—- Die Zeit der Antithesen 1 vgl. die Beispiele 7 und 8 Poetisch-philosophisch-theologische Versenkung in Gott mit dem Ziel, eine Einswerdung zwischen Gott und Mensch zu erfühlen. Die Lehre von der Redekunst; auch die Redekunst selbst. Sprachliche/poetische Verfahrensweisen Gegenüberstellung entgegengesetzter Begriffe. Sprachliche Umschreibung, Ersetzung eines Wortes, oft auch zur Vermeidung von Klischees oder anstößigen Wörtern (z.B. „der Allmächtige" statt „Gott", „Gevatter Hein" statt „Tod"). _ Ständiges Variieren und Umkreisen der Hauptidee durch wiederholte Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven (statt eines fortschreitenden Argumentationsgangs). _ Bildliche Darstellung eines Begriffes, häufig in der Form der Personifikation (z.B. die Liebe als Knabe mit Pfeil und Bogen oder die Kirche als Schiff etc.). _ Klangmalerei; Einsatz des Wortklangs zur Nachahmung dessen, was sprachlich ausgedrückt wird (z.B. „summen", „klatschen"). _ Bildhafter Ausdruck, der (als abgekürzter Vergleich) verschiedene Bedeutungsebenen neu zusammenschließt (z.B. „Sonnen-Wagen", „Glüh-Birne", „schwerer Himmel", „die Wirtschaft blüht"). _ Sprachliche Übertreibung (Vergrößerung, Verkleinerung) zur Verstärkung der Wirkung (z.B. „die Dauer einer kleinen Ewigkeit", „blitzschnell"). _ Sechshebiger Jambus mit einer Zäsur in der Mitte. Versuchen Sie, diese Begriffe nach Möglichkeit auch bei der Lektüre der folgenden Beispiele einzusetzen! Die Träger der barocken Kultur 52 Bevorzugte Gattungen bzw. Formen und deren Dichter Im Gegensatz zur bürgerlich-städtischen Kultur des 15./16. Jahrhunderts war die Literatur des Barock eine betont höfische. Kulturträger war die aristokratische Oberschicht (Fürsten, Hofadel, hohe Geistlichkeit). Dieser kleine Kreis wurde durch die von ihm wirtschaftlich abhängigen Personengmppen erweitert (Beamte, Geistliche, Künstler, reiche Bürger, Soldaten, Bediente usw.) Die Dichter besaßen fast alle gelehrte Bildung und standen zumeist als Verwaltungsbeamte im Dienst der Fürsten. Deshalb war die Dichtung dieser Zeit eher rhetorisch-unpersönlich ausgerichtet. Sie wurde nicht als individuelle Ausdrucksform einer genialen Dichterpersönlichkeit verstanden, sondern als lehr- und lernbare Kunst (vgl. die vielen „Poetischen Trichter" als Lehrbücher der poetischen Kunst). Wegweisend für die Dichtung der Barockzeit war das „BUCH VON DER DEUTSCHEN POETEREY" (1624) von Martin Opitz (1597-1639). Es enthält eine erste deutsche Poetik nach dem Muster italienischer und französischer Poetiken. Auf Opitz' Werk geht das Gesetz von der Fallhöhe in Tragödien zurück. Es besagt, daß nur Adelige Helden einer Tragödie sein könnten, weil ihr Sturz das Publikum am meisten berühre. Dagegen dürften Leute aus dem einfachen Volk nur in Komödien auftreten. Ihnen sei es angemessen, lustig oder lächerlich zu sein. Besonders nachhaltige Wirkung hatte sein Akzentgesetz, nach dem Wort- und Versbetonung zusammenfallen müssen. Damit wurde die reine Silbenzählung (quantitierende Metrik nach dem Vorbild der Antike) von der akzentuierenden Metrik abgelöst. Unumstritten bleiben auch Opitz' Bemühungen um die Reinigung der deutschen Sprache von der modischen Fremdwörterei, womit er das Deutsche als seriöse Literatursprache durchsetzen wollte. In diesem Zusammenhang sind jedoch auch die sogenannten Sprachgesellschaften zu erwähnen. Die erste und vornehmste war die „Fruchtbringende Gesellschaft" (1617, auch „Palmenorden" genannt), der fast alle bedeutenden Dichter jener Zeit angehörten. Lyrik Gedichte über die Nichtigkeit (Vanitas) alles Irdischen Beispiel 4: „ES IST ALLES EITEL" (1643) von Andreas Gryphius (1616-1664) Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden! Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein; wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein, auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden. Was jetzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden, was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein; nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein. Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden. Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn. Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn? Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten, als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind, als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind't! Noch will, was ewig ist, kein einig1 Mensch betrachten! Andreas Gryphius war der berühmteste deutsche Barockdichter. Er gehörte zum schlesi-schen Dichterkreis. Analysieren Sie den antithetischen Argumentationsgang des Gedichts! Welche Gedichtform verwendet Gryphius? Barocke Poetiken Die Sprachgesellschaften 1 hier: kein einziger 53 1 Tochter des Merodes Agrippa, Geliebte des Titus 2 Pflanzenwelt (auch: römische Göttin der Vegetation) Manieristische Häufung 1 Gegengift 2 Sirenen: mythische Sängerinnen („Odyssee"), deren Gesang unwiderstehlich und daher todbringend ist. 54 Liebesgedichte Beispiel 5: „BESCHREIBUNG VOLLKOMMENER SCHÖNHEIT" Christian Hofmann von Hofmannswaldau Ein Haar, so kühnlich Trotz der Berenice1 spricht, ein Mund, der Rosen führt und Perlen in sich heget, ein Zünglein, so ein Gift für tausend Herzen traget, zwo Brüste, wo Rubin durch Alabaster bricht; ein Hals, der Schwanenschnee weit, weit zurücke sticht, zwei Wangen, wo die Pracht der Flora2 sich beweget, ein Blick, der Blitze führt und Männer niederleget, zwei Armen, deren Kraft oft Leuen hingericht; ein Herz, aus welchem nichts als mein Verderben quillet, ein Wort, so himmlisch ist und mich verdammen kann, zwei Hände, deren Grimm mich in den Bann getan und durch ein süßes Gift die Seele selbst umhüllet; ein Zierat, wie es scheint, im Paradies gemacht, hat mich um meinen Witz und meine Freiheit bracht. 7 Beachten Sie die Metaphern für die einzelnen Körperteile! Welchen Bildbereichen entstammen sie? - Wie läßt sich die Wirkung der „vollkommenen Schönheit" insgesamt charakterisieren? - Welche Gedichtform wählt Hofmannswaldau? Beispiel 6: Aus „LOB- REDE AN DAS LIEBWERTHESTE FRAUENZIMMER"1 von Christian Hofmann von Hofmannswaldau Im Barock herrschte eine Art quantitativer Gcstaltungswille, der sich in der Häufung von Bildern und Vergleichen zeigte. Betonungen wurden also meist durch eine literarische Aufzählung von sprachlichen Bildern erzielt. In der Spätphase des Barock kam es zu einer manieristischen (gekünstelten) Aufschwemmung der poetischen Bilder, die dann in der Übergangszeit zur Aufklärung heftig kritisiert wurde. i Sie sind ein zeher leim / woran die sinnen kleben; Ein feuer / welches macht die kältstc hertzen warm; Ein bezoar1 / der auch entseelten giebt das leben; ' Ein solcher schätz / für dem das reichthum selbst ist arm. 5 Ein kräfftig himmel-brod / das die verliebten schmecken; Ein alabaster-hauß / so mit rubinen prahlt; Ein süsser honigseim / den matte Seelen lecken; Ein himmel / wo das heer der liebes-sterne strahlt. Ein scharff-geschliffen schwerd / das tieffe wunden hauet / io Ein rosen-strauch / der auch im winter rosen bringt. Ein meer / worauff man der Syrenen2 kläffte schauet / Von denen der gesang biß in die seele dringt. Sie sind ein schnee-gebürg / i n welchem funcken glimmen / Davon der härtste stahl wie weiches wachs zerfleust. 15 Ein wasser-reidier teich / darinnen fische schwimmen / Davon sich sattsam ein verliebter magen speist. 8 Was könnte der Dichter hier besungen haben? (Lösung S. 64> 1 Hofmann von Hofnwnnswaldaus Gedichte wurden erst durch eine posthume Ausgabe nach 1695 bekannt. Weltliche Epigramme Beispiel 7: nfTfl „ÜBER WAHRE BESTÄNDIGKEIT" (1643) von Andreas Gryphius Das folgende Epigramm (= kurzes Sinngedicht) zeigt den im Barock besonders starken Einfluß der antiken Philosophie des Stoizismus. Sie lehrte die gleichmütige Abkehr von Der Stoizismus den irdischen Wechselfällcn und die „Constantia", die „Beständigkeit", als oberste menschliche Tugend. Beständigkeit wird stehn! Will gleich der Freund betrigen! Pocht gleich der tolle Feind! Ihr wird kein Glimpff1 obsigen. Sie acht kein gläntzend Schwerd / sie schätzt kein Ehren-Kron. Kein Arbeit macht sie matt / sie fragt nach keinem Hohn. Nichts gilt der Worte Pracht / nicht wilder Lewcn Rachen: Drew2 ihr mit Raad und Spiß / laß Glutt und Flammen krachen! Erläng 3 ihr Lebens Zill! Heiß sie in Angst vergehn! Ta wirff den Himmel ein! Ists sie / so wird sie stchn. 1 Vorteil 2 dräuen=drohen 3 erlangen: verzögern, hinausschieben Worin mag die Faszination einer solchen Lebenshaltung für den Barockmenschen gelegen haben? Denken Sie an die historischen Umstände der Zeit! - Vergleichen Sie damit das Modewort vom „Cool-Sein"! Geistliche Epigramme Beispiel 8: fffffl Aus „DER CHERUBINISCHE WANDERSMANN" (1657/74) von Angelus Silesius ^ In meist paarigen Alexandrinern faßte Silesius eine Summe des mystischen Denkens sei- Die barocke _ . Mystik ner Zeit zusammen. GOTT IST IN MIR / UND ICH IN JHM. GOtt ist in mir das Feur / und ich in Jhm der schein; Sind wir einander nicht gantz jnniglich gemein? JE MEHR DU AUSS, JE MEHR GOTT EIN. Je mehr du dich auß dir kanst außthun und entgiessen: Je mehr muß GOtt in dich mit seiner GOttheit fliessen., ZUFALL UND WESEN. Mensch werde wesentlich: denn wann die Welt vergeht / So fällt der Zufall weg / das wesen das besteht. DER MENSCH IST EWIGKEIT. Ich selbst bin Ewigkeit / wann ich die Zeit Verlasse / Und mich in GOtt / und GOtt in mich zusammen fasse. : Als einflußreichster barocker Mystiker ist darüber hinaus der Lausitzer Schuster Jakob Böhme (15 75 -1624) zu erwähnen. 10 Wie sieht die Mystik das Verhältnis des Menschen zu Gott und der Welt? (Achten Sie auf die Wahl der Verben!) 55 Figurengedichte Der heroische Roman 1 Stoizismus, vgl. S. 55 Der Pilcaroroman Besonders beliebt waren im Barock sogenannte „Figurengedichte" - freilich nicht nur zu dieser Zeit, wie unser zweites Beispiel aus der Gegenwartsliteratur zeigt: Beispiel 9: Gedichte von Theodor Kornfeld (1636-1698) und Mira Lobe (geb. 1913) / Gerri Zotter Cín «SanfcfU&r, ET 3 Cr 73 C r* 3 ta 3 Die 3elt »ttß fromm / ttrib fem. t v pip»r] qurt /»jjjj ptm jjofj) AjliQ uij^uo lung Uo| uijioj 1J53S / jj puiAi ijuiPtj f ufl / ppujjaaa (JUP0 J>d Q B cr n 8 o •« cr V a. ■SK s* Die Sanduhr Die Zelt verrinnt Die Zelt verrinnt Die Zeit verrinnt Die Zeit verrinnt Die Zeit verrinnt Die Zeit verrinnt Die Zelt verrinnt Die Zelt verrinnt Die Zelt verrin Die Zeit verr Die Zeit ve Die Zeit Die Zei Die Z Die D 1 e Z / e / i ' t v e 11 Setzen Sie Form und Inhalt dieser Gedichte zueinander in Beziehung' Was unterscheidet die beiden Texte voneinander? 56 Der Roman Neben dem nach antiken und italienischen Vorbildern entstandenen Schäferroman sind vor allem der heroische (oder höfisch-galante) Roman und der Pikaroroman (oder Schelmenroman) von Bedeutung. Beide sind höchst unterschiedliche Reaktionsformen auf dieselbe zeitgenössische Realität. Der heroische Roman hat nur aristokratisch-fürstliche Helden von großer Tugend und Tapferkeit. Er folgt stets dem Schema von Trennung und Wiedervereinigung eines vorbildlichen Liebespaares, wobei Mann und Frau eine fast unübersichtliche Wirrnis von Ereignissen überstehen müssen. Ihre Liebe wird so wiederum zum Beweis ihrer Beständigkeit, ihrer Tugendhaftigkeit im Sinne der Stoa1 - und damit zu einem Garanten der Stabilität in chaotischer Welt. Der Held des Pikaroromans (nach dem Vorbild des „Lazarillo de Tormes", 1554) stammt dagegen aus der untersten Gesellschaftsschicht und ist alles andere als tugendhaft und edel. Er erlebt die wiederum als chaotisch dargestellte Wirklichkeit in einer Serie von Episoden (ohne vorbestimmtes Happy-end) aus der Froschperspektive. Beispiel 10: Aus „DER ABENTEUERLICHE S1MPLIC1SSIMUS" (1668) von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622 - 1676) Der „Simplicissimus" ist der bekannteste barocke Schelmenroman. Sein Verfasser stammte aus einer Handwerkerfamilie in Gelnhausen in Oberhessen und erlebte die Geschehnisse des Dreißigjährigen Krieges hautnah als Troßbub, Musketier und später als Regimentsschreiber mit. Er trat vom lutherischen zum katholischen Glauben über. Ein Kind, das seinen Vater nicht kennt und dessen Mutter früh stirbt, wächst bei einfachen Bauern heran. Versprengte Soldaten plündern das Haus seiner Zieheltern (vgl. die Abbildung zu Beginn des Kapitels) und beenden damit seine geschützte „weltferne" Existenz. i Das erste, das diese Reuier täten, war, daß sie ihre Pferd einstelleten, hernach hatte jeglicher seine sonderbare Arbeit zu verrichten, deren jede lauter Untergang und Verderben anzeigte; dann ob zwar etliche anfiengen zu raetzgen, zu sieden und zu braten, daß es sähe, als sollte ein lustig Pankett gehalten werden, so waren hingegen andere, die durchstürmten das Haus 5 unden und oben, ja das heimlich Gemach war nicht sicher, gleichsam ob wäre das gülden Fell von Kolchis1 darinnen verborgen; andere machten von Tuch, Kleidungen und allerlei Hausrat große Pack zusammen, als ob sie irgends ein Krempelmarkt anrichten wollten, was sie aber nicht mitzunehmen gedachten, wurde zerschlagen; etliche durchstachen Heu und Stroh mit ihren Degen, als ob sie nicht Schaf und Schwein genug zu stechen gehabt hätten, etliche io schütteten die Federn aus den Betten und fülleten hingegen Speck, andere dürr Fleisch und sonst Gerät hinein, als ob alsdann besser darauf zu schlafen gewest wäre; andere schlugen Ofen und Fenster ein, gleichsam als hätten sie ein ewigen Sommer zu verkündigen, Kupfer und Zinnengeschirr schlugen sie zusammen und packten die gebogene und verderbte Stuck ein, Bettladen, Tisch, Stuhl und Bank verbrannten sie, da doch viel Klafter dürr Holz im Hof 15 lag, Häfen und Schüsseln mußte endlich alles entzwei, entweder weil sie lieber Gebraten aßen, oder weil sie bedacht waren, nur ein einzige Mahlzeit allda zu halten; unser Magd ward im Stall dermaßen traktiert, daß sie nicht mehr daraus gehen konnte, welches zwar eine Schand ist zu melden! Den Knecht legten sie gebunden auf die Erd, stecketen ihm ein Sperrholz ins Maul und schütteten ihm einen Melkkübel voll garstig Mistlachenwasser in Leib: das 20 nenneten sie ein Schwedischen Trunk, wordurch sie ihn zwungen, eine Partei anderwärts zu führen, allda sie Menschen und Viehe hinwegnahmen und in unsem Hof brachten, unter welchen mein Knan2, mein Meuder und unser Ursele auch waren. Da fieng man erst an, die Stein von den Pistolen, und hingegen an deren Statt der Bauren Dau- 25 men aufzuschrauben, und die arme Schelmen so zu foltern, als wann man hätt Hexen brennen wollen, maßen sie auch einen von den gefangenen Bauren bereits in Bachofen steckten und mit Feuer hinder ihm her warn, ohnangesehen er noch nichts bekennt hatte; einem andern machten sie em Seil um den Kopf und raitelten3 es mit einem Bengel zusammen, daß ihm das Blut zu Mund, Nas und Ohren heraussprang. In Summa, es hatte jeder seine eigene lnventton, die 30 Bauren zu peinigen, und also auch jeder Bauer seine sonderbare Marter: Allein mein Knan war meinem damaligen Bedunken nach der glückseligste, weil er mit lachendem Mund bekennetc, was andere mit Schmerzen und jämmerlicher Wcheklag sagen mußten, und solche Ehre widerfuhr ihm ohne Zweifel darum, weil er der Hausvatter war, dann sie setzten ihn zu einem Feuer, banden ihn, daß er weder Hand noch Fuß regen konnte, und rieben seine Fußsohlen mit ange- 35 feuchtem Salz, welches ihm unser alte Geiß wieder ablecken und dadurch also kützeln mußte, daß er vor Lachen hätte zerbersten mögen; das kam so artlich, daß ich Gesellschaft halber, oder weil ichs nicht besser verstünde, von Herzen mitlachen mußte: In solchem Gelächter bekannte er seine Schuldigkeit und öffnet den verborgenen Schatz, welcher von Gold, Perlen und Kleinodien viel reicher war, als man hinder Bauren hätte suchen mögen. Von den gefange- 40 nen Weibern, Mägden und Töchtern weiß ich sonderlich nichts zu sagen, weil mich die Krieger nicht zusehen ließen, wie sie mit ihnen umgiengen: Das weiß ich noch wohl, daß man teils hin und wieder in den Winkeln erbärmlich schreien hörte; schätze wohl, es sei meiner Meuder und unserm Ursele nit besser gangen, als den andern. Mitten in diesem Elend wendet ich Braten und half Nachmittag die Pferd tränken, durch welches Mittel ich zu unserer Magd in Stall kam. 45 welche wunderwerklich zerstrobelt aussähe; ich kennete sie nicht, sie aber sprach zu mir mit kränklichter Stimm: „O Bub lauf weg, sonst werden dich die Reuter mitnemmen, guck daß du davonkommst, du siehest wohl, wie es so übel": mehrers konnte sie nicht sagen. 1 das Goldene Vlies aus der griechischen Argonautensage (vgl. Grillparzet), Symbol für Macht, Glück und Ruhm 2 Vater (Ausdruck aus dem Spessart) 3 drehten 57 Die Suche nach der Ordnung der Welt Die barocke Emblematik 58 Der Erzähler flieht also in den Wald'zu einem Einsiedler, der, wie er später erfährt, sein wirklicher Vater ist. Er nennt den Knaben wegen seiner Einfalt Simplicius. Nach dessen Tod gerät der Knabe in die Gewalt der Soldaten und beginnt ein abenteuerliches Leben: er wird Hofnarr, Soldat, kommt zu Reichtum und verarmt wieder, er heiratet zweimal, verstrickt sich in weltliche Schuld und entkommt auch den Wirren des Krieges nicht. Am Ende beschließt er (typisch für den Pikaroroman) als Einsiedler sein abenteuerliches Leben. 12 Welches Bild der Zeit repräsentiert die abgedruckte Textstelle? Der Roman ist in der Ich-Form geschrieben, Welche Konsequenzen ergeben sich generell aus einer solchen Erzählpcrspektive? Trotz des erlebten Chaos seiner Welt zweifelte der barocke Mensch die göttliche Ordnung nicht an; er strebte daher danach, sie zumindest in Teilaspekten zu erfassen. Man suchte nach dem Universalen, Dauernden in den Dingen; durch die auffällige Vielfalt an Zeichen und Sinnbildern in der barocken Literatur wollte man die „sinnreiche" Ordnung der Welt erfassen. Daraus ist die Faszination der Embkmatik als Deutungssystem der Wirklichkeit zu verstehen (vgl. auch den „Physiologus" des Mittelalters, S. 21): reale Dinge verweisen auf übergreifende Zusammenhänge. 14 Inwiefern folgt das abgebildete Titelkupfer zum „SimplicissiniuTdei^ch^ barocker Emblematik? Was soll es wohl signalisieren? Der Dreißigjährige Krieg hat auch in späterer Zeit die Autoren beschäftigt; Beispiel 11: Kapuzinerpredigt aus „WALLENSTEINS LAGER", dem ersten Teil der Trilogie „WALLENSTEIN" (1800) von Friedrich Schiller (1759 -1805) Schiller imitiert hier eine weitere Form literarischer Reaktion auf die barocke Lebens- Spätere Texte Wirklichkeit. Er läßt einen Kapuziner im Stil des bekanntesten Predigers der Barockzeit, £h"„de™^gß,g' des Wiener Hofpredigers Abraham a Sancta Clara (= Ulrich Megerle, 1644 - 1709), gegen die Mißstände der Zeit wettern: i KAPUZINER: Die Christenheit trauert in Sack und Asche, Der Soldat füllt sich nur die Tasche. Es ist eine Zeit der Tränen und Not, 5 Am Himmel geschehen Zeichen und Wunder, Und aus den Wolken, blutigrot, Hängt der Herrgott den Kriegsmantel runter. Den Kometen steckt er wie eine Rute Drohend am Himmelsfenster au5, io Die ganze Welt ist ein Klagehaus, Die Arche der Kirche schwimmt in Blute, Und das römische Reich - daß Gott erbarm! Sollte jetzt heißen römisch Arm, Der Rheinstrom ist worden zu einem Peinstrom, 15 Die Klöster sind ausgenommene Nester, Die Bistümer sind verwandelt in Wüsltümer, Die Abteien und die Stifter Sind nun Raubteien und Diebesklüfter, Und alle die gesegneten deutschen Länder 20 Sind verkehrt worden in Elender - Woher kommt das? das will ich euch verkünden, Das schreibt sich her von euern Lastern und Sünden, Von dem Greuel und Heidenleben, Dem sich Offizier und Soldaten ergeben. 25 Denn die Sund ist der Magnetenstein, Der das Eisen ziehet ins Land herein. Auf das Unrecht, da folgt das Übel, Wie die Trän auf den herben Zwiebel, Hinter dem U kömmt gleich das Weh, 30 Das ist die Ordnung im ABC. 15 Welche sprachlichen Mittel verwendet Schiller? Beispiel 12: Aus „MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER" (1939) von Bertolt Brecht (1898-1956) Brechts pazifistisches Kriegsstück über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges hat eine Frau zur Hauptperson, die vom Krieg zu leben versucht, dabei aber ihre drei Kinder verliert. Die folgende Szene spielt nach dem Begräbnis des gefallenen kaiserlichen Feldhauptmanns Tilly (1632). l MUTTER COURAGE: Mir tut so ein Feldhauptmann oder Kaiser leid, er hat sich vielleicht gedacht, er tut was übriges und was, wovon die Leute reden, noch in künftigen Zeiten, und kriegt ein Standbild, zum Beispiel er erobert die Welt, das ist ein großes Ziel für einen Feldhauptmann, er weiß es nicht besser. Kurz, er rackert sich ab, und dann scheiterts am 5 gemeinen Volk, was vielleicht ein Krug Bier will und ein bissei Gesellschaft, nix Höheres. 59 Die schönsten Plan sind schon zuscbanden geworden durch die Kleinlichkeit von denen, wo sie ausführen sollten, denn die Kaiser selber können ja nix machen, sie sind angewiesen auf die Unterstützung von ihre Soldaten und dem Volk, wo sie grad sind, hab ich recht? 10 Sie fragt den Feldprediger, ob der Krieg denn hoffentlich nicht zu Ende sei. MUTTER COURAGE: Sie. ich frag Sie das nicht nur aus Metz, sondern weil ich mir überleg, ob ich Vorrät einkaufen soll, was grad billig zu haben sind, aber wenn der Krieg ausgeht, kann ich sie dann wegschmeißen. 15 DER FELDPREDIGER: Ich versteh, daß Sics ernst meinen. Es hat immer welche gegeben, die gehn herum und sagen: „Einmal hört der Krieg auf." Ich sag: daß der Krieg einmal aufhört, ist nicht gesagt. Es kann natürlich zu einer kleinen Paus kommen. Der Krieg kann sich verschnaufen müssen, ja, er kann sogar sozusagen verunglücken. Davor ist er nicht gesichert, es gibt ja nix Vollkommenes allhier auf Erden. Einen vollkommenen Krieg, wo 20 man sagen könnt: an dem ist nix mehr auszusetzen, wirds vielleicht nie geben. Plötzlich kann er ins Stocken kommen, an was Unvorhergesehenem, an alles kann kein Mensch denken. Vielleicht ein Übersehn, und das Schlamassel ist da. Und dann kann man den Krieg wieder aus dem Dreck ziehn! Aber die Kaiser und Könige und der Papst wird ihm zu Hilf kommen in seiner Not. So hat er im ganzen nix Ernstliches zu fürchten, und ein langes 25 Leben liegt vor ihm. [...] MUTTER COURAGE: Da kauf ich also die Waren. Ich verlaß mich auf Sie. (...] DER FELDPREDIGER: Wie Sie so Ihren Handel fühm und immer durchkommen, das hab ich oft bewundert. Ich verstehs, daß man Sie Courage geheißen hat. MUTTER COURAGE: Die armen Lcut brauchen Courage. Warum, sie sind verloren. Schon 30 daß sie aufstehn in der Früh, dazu gehört was in ihrer Lag. Oder daß sie-einen Acker umpflügen, und im Krieg! Schon daß sie Kinder in die Welt setzen, zeigt, daß sie Courage haben, denn sie haben keine Aussicht. Sie müssen einander den Henker machen und sich gegenseitig abschlachten, wenn sie einander da ins Gesicht schaun wolln, das braucht wohl Courage. Daß sie einen Kaiser und einen Papst dulden, das beweist eine unheimliche Cou- 55 rage, denn die kosten ihnen das Leben. (Sie setzt sich nieder, zieht eine kleine Pfeife aus der Tasche und raucht.) 16 Aus welcher Perspektive betrachtet Mutter Courage den Krieg? Hat Brecht sie als Vorbild für das Publikum gedacht? (Bedenken Sie ihr oben geschildertes Einzelschicksal!) Das Drama Die barocke Dramatik zerfällt in zwei große theatralische Formen, die den gegensätzlichen Strömungen des Protestantismus und der katholischen Gegenreformation entsprechen. Das protestantische Drama ist Ausdruck der barocken Weltflucht und Weltabsage, während das Schul- und Ordensdrama der Jesuiten die Einheit zwischen Gott und Welt darstellen soll. Das protestantische Drama Beispiel 13: Aus „CATHARINA VON GEORGIEN" (1646/47) von Andreas Gryphius Wie in seiner Lyrik dominieren auch in den Tragödien von Andreas Gryphius das Eitel-keits- und Vergänglichkeitsmotiv (vanitas) und die menschliche Todesgewißheit (memento mori). Seine Helden sind Märtyrergestalten, die groß im Erleiden und Erdulden sind. Trotz gräßlichster Greueltaten verzweifelt der edle Mensch nicht, sondern bewahrt seine innere Freiheit. Catharina von Georgien erwartet den Märtyrertod (der Schah von Persien hat ihr Reich überfallen und sie gefangengenommen;, jetzt will er sie heiraten und vom Christentum abbringen). Ehe sie stirbt, steigen noch einmal Greuelbilder in ihr auf Ein halb verschmachtet Kind sog auß den todten Brüsten Der Mutter laues Blut. Die sterbend' Augen grüsten Den Freund zu gutter Nacht / der sie nicht schlissen kont Weil jhin so Herr als Band die kurtze Pflicht mißgont'. Man schleifft' in einer Kett' hir lebend hir verschiden / Hir was verscheiden wolt'. Es suncken auff die müden / Den Krafft vnd Geist entwich. Man scharrt' in einen Sand Halb Tod- vnd Todten ein / man schmettert au die Wand Was auff der Mutter Arm versebmacht' in schärffstem Leiden / Liß vngebome Frücht' auß schwangern Leibern schneiden / I Iir fand man Felder vol gespistcr Leichen stehn / Dort sah ein blutlend Weib den Man zum Tode gehn. Anders als der seinen Leidenschaften ausgelieferte Schah zeigt sie Beständigkeit: HErr daß dein' arme Magd noch vnverletzt gestanden; Ist dein / nicht Menschen Werck. Der Cörper ist in Banden: Doch find der Geist sich frey / der durch vil Creutz bewehrt Doch / weil du für vns wachst / durch keine Glut verzehrt! Du sihsl daß weder Tod / noch der Verlust der Crone / Noch Vntergang deß Reichs / noch diß / in dem ich wohne / Diß Angsthauß / noch die Pracht die Persen vns verspricht / Noch Strom der Tyranney der alles schlegt vnd bricht / Mich reissen mag von dir. Sol denn die Kett' auffspringen; Wilst du vns wieder heim nach schwerem Elend bringen; So gib daß vnser Schiff das auff den Wellen stund Nicht geh' auff stiller See vnd in dem Port1 zu Grund. 17 Vergleichen Sie mit diesem Monolog die folgende Äußerung von Martin Opitz: Wer wird nit mit grösserem Gemüte als zuvor seines Vatterlands Verterb vnd Schaden / den er nit verhüten mag / ertragen / wann er die gewaltige Statt Troja / an welcher / wie die Mey-nung gewesen / die Götter selbst gebawet haben / siehet im Fewer stehen / vnd zu Staube vnd Asche werden? Welche Wirkungsabsicht könnte demnach dem barocken Trauerspiel zugrundc-liegen? Das katholische Schul- und Ordensdrama Das (lateinisch verfaßte) Drama der Jesuitentheater wurde im süddeutschen und österreichischen Raum zum Mittel der Rekatholisierung. Da jedoch die meisten Zuschauer kein Latein verstanden, bediente man sich starker gestischer und opulenter bildhafter Mittel. Die sogenannte Illusionsbühne wies eine reiche Prunkdekoration auf, optische und akustische Effekte und Bühnenmaschinerien zum Versenken oder Emporheben von Darstellern. Die technischen Einrichtungen der Bühne ermöglichten es somit, die Schauplätze der Erde, des Himmels und der Hölle realistisch zu gestalten; ihre Darstellungsmöglichkeiten wirkten noch bis zu den Maschinenkomödien des Altwiener Volkstheaters nach. 1 Hafen Die barocke IUusionsbühne 61 1 Tand Die barocke Tradition in Osterreich 62 Beispiel 14: Aus „CENODOXUS" (1602) von Jacob Bidcrmann (1578-1639) Das Stück vermittelt ein gutes Bild von der katholisch-barocken Vorstellung des Kampfes transzendenter Mächte um die Seele des Menschen. Am Ende wird nach den Plädoyers der Einflußkräfte des Guten und des Bösen, entsprechend dem Handlungsschema, über Cenodoxus, den allzu weltgewandten Doktor der Pariser Universität, das (negative) Urteil gesprochen: 20 25 CENODOXOPHYLAX: Schaw ich in dises Buech hinein / Sih ich daß lauter Laster seyn / Vnd lauter grobe schwere Sund. [-1 Nur lloffart 1 Hoffart vberall Ist da zulesen ohne zahl / Ich mahnet jhn trewliertziglich / So wol haimblich als öffentlich / So wol bey Tag / als auch bey Nacht / Er soll doch lassen seinen Pracht / Er soll ein Endt der Hoffart machen; Er thet mich aber nur verlachen. [...] Mein vnd sein aigner Feind war der / Dem er gab williges geheer / ■ Hab vberall nichts vnterlassen / Ob ich sein Staines Hertz möcht fassen. So hab ich doch so vil als nicht Mit diesem allem außgericht. Wie kondest doch so gottloß seyn Verachten Mühe vnd Arbeit mein? Dein aignes Hail / dein Seel vnd Leben Also verwerffen vnd vergeben? So vppig seyn / so hochgetragen? Nichts nach Gott / nichts nach Himmel fragen? Die Welt / den Teufel lieber haben / Als gott vnd seine Gnad vnd Gaben? PANURGUS: All Sünd / all Laster / sag ich keck / Ich leug nit / seynd in jhm gesteckt. Will jetzt nit sagen lang vnd brait Von jeder Sünd jnnsonderhait / Mit ainem Wort ists alls gesagt: Uoffertig ist er, das ist klagt; Darmit ich auch gleich vberwind / Die Hoffart! Hoffart ist sein Sünd. Will weitter nichten bringen an / Den Handel ich schon gwunnen han. All Laster haben eingenist Wo Hoffart in eim Menschen ist. [■■■) Vnd ich hab jhm gerueffen kaum / Verhaissen lauter Dannt1 vnd Traum. Alßbald hat er mir geben stat / Gehört / vnd gfolget meinem rath. Ich rieth er solt nach Hochheit trachten / Du wollest / er sollt sie verachten; [...I An allen Orthen / Tag vnd Nacht / Hat er nach eytler Ehr getracht / Zu solcher mainung / zihl vnd endt / Hat er all sein studieren gwendt / Zu solchem End er mißbraucht hat / All sein Gedancken / Wort vnd That. 18 Was wird Cenodoxus vorgeworfen? Diese barocke Theaterkonzeption, die von Gott ausgeht und ständig auf ihn zurückweist, führte im österreichischen Raum zu einer Kontinuität, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts andauerte. Die als objektiv angenommene Ordnung der Welt (die Schöpfungsordnung, die Gesetze der Natur, aber auch die politische Ordnung) blieb der Bezugspunkt dieser Literaturtradition. Subjektivistische Geistes- und Literaturströmungen (Sturm und Drang, Romantik, Tendenzliteratur des Vormärz) gelangten deshalb in Österreich nicht oder nur in sehr abgeschwächter Form zur Geltung.1 1 ]LRTenam4D,