klassik Klassik (1786-1805) Der Begriff Das Wort „klassisch" wird vom latei nischen „classicus" abgeleitet, was „zur ersten Steuerklasse Gehöriger, Angehöriger der höchsten Vermögensklasse" bedeutet. Es bezeichnet zunächst etwas Bevorzugtes und wird dann allmählich bedeutungsgleich mit „mustergültig". In der Neuzeit bedeutet „klassisch" antik, meist im Zusammenhang mit harmonisch, ausgewogen, vorbildlich und unübertrefflich. „Klassische" Autoren sind zunächst antike Schriftsteller, später auch solche, die nach antiken Maßstäben mustergültig und beispielgebend sind, es gibt auch moderne Klassiker. Die Klassik als Normen- und Epochenbegriff Der Begriff „Klassik" wird zweifach verwendet: • als ästhetischer Normenbegriff: Aus einer Reihe von Dichtern und ihren Werken werden einige als herausragend angesehen. Sie bilden einen Kanon1, der zeitlose Gültigkeit hat, dessen Ursprünge in der Vergangenheit liegen und der auch für die Zukunft als Wertmaßstab von Bedeutung sein wird. Goethe und Schiller sind auch heute noch Klassiker, obwohl ihre Werke kaum mehr gelesen werden. • als literarischer Epochenbegriff: Bestimmte Epochenbezeichnet man in einzelnen Ländern als „klassisch"; meist stehen sie in engem Zusammenhang mi t historischen Vorgängen oder in Verbindung mit einer historisch-politischen Persönlichkeit2. Eine klassische Periode ist fast immer eine An twort, eine Reaktion auf historisch-politische Zustände: Auf eine chaotische, ungeordnete Zeit folgt eine des relativen Friedens und der Hochblüte der Kultur. Die Weimarer Klassik ist eine Reaktion auf die Französische Revolution, die Goethe und Schiller als chaotisch und unordentlich empfinden. Liest man in deutschen Literaturgeschichten von „Klassik", so ist damit die „Weimarer Klassik", die Zeit von Goethes Italienreisc (1786) bis zu Schillers Tod (1805) gemeint. Goethe und Schiller selbst fühlen oder bezeichnen sich jedoch nie als „Klassiker". Die Französische Revolution und die Reaktionen der deutschen Dichter • Informieren Sie sich in einem Lexikon oder einem Geschichtsbuch über die Hintergründe der Französischen Revolution. Welche Missstände führten zu ihrem Ausbruch? Wieso waren Dichter wie Hölderlin oder Herder zunächst von dem Gedankengut der Revolution so begeistert? Welche Ereignisse führten dazu, dass sich die Begeisterung in strikte Ablehnung wandelte? Die Französische Revolution;wird 1789 von vielen deutschen Dichtern zunächst begeistert aufgenommen: Johann Gottfried Herder spricht vom Sturm auf die Bastille als „Taufe der Menschheit", Friedrich Hölderlin von der Revolution als „neuer Schöpfungsstunde". Nach Kanon: Maßstab, Norm, Kegelkatalog ~ die griechische Klassik: Perikles;die römische Klassik: Augustus; die englische Kla.ssi k: Elizabeth I • die französische Klassik: Ludwig XIV. klassik Sturm auf die Bastille (1789) der Hinrichtung König Ludwigs XVI. und den Septembermassakern, spätestens aber nach der Jakobinerherrschaft kühlt die Begeisterung ab, an ihre Stelle tritt Ablehnung. Funktion der Literatur bei gesellschaftlichen Veränderungen Es setzt nun ein Nachdenkprozess über die Möglichkeiten der Gesellschaftsveränderung ein. Die Klassiker meinen, dass Deutschland noch nicht reif für eine Revolution sei. Sie sind aber doch der Überzeugung, dass es Veränderungen geben muss, die aber allmählich und nicht in der Form einer Revolution vor sich gehen sollten. Bei diesen Veränderungen wird der Literatur große Bedeutung zugemessen: Sie dient zur Verbesserung der Moral, man strebt eine höhere Stufe der „Sittlichkeit" an; sie ist überhaupt die Bedingung dafür, dass eine Veränderung eintreten kann. Die theoretische Grundlage für diese Ansichten bietet u. a. Schillers Schrift Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Ein Ausgleich zwischen sinnlicher und rationaler Natur im Menschen sei das Ziel der Erziehung. Diese Art von Pädagogik wird von den klassischen Dichtern in ihrem Werk idealtypisch dargestellt. Der „klassische" Held bekommt für die Leserinnen Vorbildfunktion. Es ist klar, dass dies keine Darstellung der Wirklichkeit und der zeitgenössischen Konflikte sein kann, sondern reine Utopie. Da die Werke der Klassiker nur einer kleinen Schicht des Bildungsbürgerrums zugänglich sind, ist die Verwirklichung der Utopie nur im kleinen Kreis, bei einer Elite, möglich. Die Klassikerbieten Konzepte an, die gleichsam als Mittel gegen die Revolution dienen sollen: Das Ideal der Schönheil • Ästhetische Autonomie: Alles Zweckgebundene, Nützliche und Praktische wird in der Literatur abgelehnt. Das Ideal der Schönheit dient als Orientierungsmaßstab für eine neue Lebensweise. Besonders Schiller verlangt die „strengste Separation" von der „wirklichen" Welt, weil die Wirklichkeit den Dichter nur „beschmutzen" würde. Man strebt im Gegensatz zum Sturm und Drang nach geschlossener Form, nach Vollendung. Im Mittelpunkt steht der schöne, gute, in sich ruhende Mensch, der an Selbstverantwortung und Selbstbestimmung glaubt. Das klassische Schönheitsideal wird aus der antiken griechischen Kunst abgeleitet3. Schönheitsideal heißt gleichzeitig Kunstideal, Bildungsideal und Vorbild für das Leben. Ziel ist die Harmonie zwischen Individualität und Typus durch Bändigung der Triebe, durch Normung von Verhaltensweisen und Formung von Denkweisen. Dieser Rückgriff auf die Antike kennzeichnet vor allem das Drama: Die Sprache ist nun der Vers (meist Jambus), man liebt allgemeine Formulierungen, Sentenzen (Sinnsprüche); es gibt nur wenige Figuren, wenige Szenen. Elemente aus dem antiken Drama werden übernommen: Chor, Monolog, analytische Methode. Die Klassiker wählen als Themen den Konflikt zwischen Individuum bzw. Genie und Gesellschaft4 (Tusso), die Humanität als Siegerin über alle Probleme (Iphigenie), Schuld und Läuterung (im Sinne von Einordnung in die Gesellschaft) und innere Freiheit (Maria Stuart). 3 Gemeint ist vor allem die perikleische Zeit um 500 v.Chr. 4 Das Genie scheitert, weil es sich nicht normieren oder harmonisieren lässt. 110 111 klassik klassik Humanität • Humanitätsideal: Dieses wird vor allem von J. G. Herder und Wilhelm von Humboldt vertreten. Johann Gottfried Herder: Über Humanität Humanität ist der Zweck der Menschennatur, und Gott hat unserm Geschlecht mit diesem Zweck sein eigenes Schicksal in die Hände gegeben. Die Geschichte, verschiedene Räume und verschiedene Zeiten, sind der Ort, in dem die Humanität alsder „Charakter unsres Geschlechts" dem Menschen „angebildet werden muss", denn wir bringen ihn nicht fertig auf die Welt mit; auf der Welt aber soll er das Ziel unsres Bestrebens, die Summe unsrer Übungen, unser Wert sein. Das Göttliche in unserm Geschlecht ist also Bildung zur Humanität. [...] Die Bildung zu ihr ist ein Werk, das unablässig fortgesetzt werden muss, oder wir sinken, höhere und niedere Stände, zur rohen Tierheit, zur Brutalität zurück. • Was versteht Herder unter Menschlichkeit? Fassen Sie die wichtigsten Gedanken zusammen. Was würden Sie aus Ihrer Sicht noch hinzufügen? Schiller stellt in seinen Hören5 ein Kulturprogramm der „wahren Humanität" den Ereignissen der Französischen Revolution gegenüber. Die Forderung nach Ordnung kehrt immer wieder; Krieg und Revolution stehen im Zeichen des Chaos, sie sind Merkmale der Unordnung, der zeitgenössischen Epoche. Daher werden Ordnung bzw. Ordnungsstiftung zu zentralen Anliegen der Kultur. Mit dem Verweis auf das Vorbild in der Antike gelingt es klarzumachen, dass Ordnung nicht nur Aufgabe der Gegenwart ist, sondern dass diese Forderung ohne Einschränkung für alle Zeit gilt. Pädagogik » Ästhetische Erziehung und Bildung: Ästhetische Erziehung und Bildung sind ein Hauptmerkmal der „Weimarer Klassik" und beweisen ihren stark pädagogischen Charakter, ein Erbe der Aufklärung. Durch Kunst, im engeren Sinne Literatur, ließen sich individuelle Vollkommenheit, aber auch politische Reformen erreichen. Umfassende Bildung des Menschen führe schließlich zur Bildung des gesamten Menschengeschlechts. Durch Bildung ließen sich letzten Endes auch Revolutionen vermeiden, denn .ästhetisch gebildeten Menschen gelängen Ausgleich und Versöhnung. • Betonung der Natur: Natur steht immer in Verbindung mit Kunst. Für Goethe ist die Natur Voraussetzung für jede Kunstproduktion. Goethe in Weimar Weimar Zur Zeit Goethes hat Weimar - halb Residenzstadt, halb Dorf - etwa 6 000 Einwohner, das ganze Herzogtum Sachsen-Weimar 100 000. Weimar ist ein Ort ohne Industrie und hat einen hervorragenden Ruf bei Intellektuellen und Kunstfreunden. Goethes Entschluss, von Frankfurt nach Weimar zu gehen (ca. 1775/1776), bedeutet den Ab- Horen; eine von Seh iiier herausgegebene Zeitschrift schied vom Sturm und Drang. Nach einer geplatzten Verlobung hat er in Frankfurt keine Freunde mehr. Die Übersiedlung bedeutet für ihn somi t eine Rettung aus einer drohenden Isolation. Ebenso stellt der Ortswechsel einen Versuch dar, seinen Wirkungskreis zu erweitern. Mitverantwortlich dürfte wohl auch sein Wille gewesen sein, von den Bürger- in die Adelskreise aufzusteigen. Als Goethe 1779 Geheimrat wird, äußert er, er habe die „höchste Ehrenstufe" erklommen, die ein Bürger in Deutschland erreichen kann. 1782 wird er geadelt, hat also nach außen hin den Aufstieg geschafft. Schon bald ist er enger Vertrauter des Herzogs und damit auch direkt an Regierungsgeschäften beteiligt. Auf Goethes Vorschlag hin kommen Schiller, Herder, Fichte und Humboldt nach Weimar und bilden den Kreis von Persönlichkeiten, der als „Weimarer Kreis" bekannt ist. Nebenbei übernimmt Goethe auch kulturelle Aufgaben, er ist " * . j^-- .-Autor, Regisseur und Schauspieler, später leitet -.->-...' . er das Hoftheater. Goethe ist mit dem Leben am Weimarer Hof nicht nur glücklich, es führt auch zu Resignation und Isolation, die Schiller allerdings als sehr wichtig für wahre Dichtkunst ansieht. Goethes Drama Torquato Tusso spiegelt wider, wie sich Goethe als bürgerliches Genie am Hofe Weimars gefühlt hat. Den Aufenthalt in Weimar unterbricht Goethe durch mehrere Reisen (Harz, Schweiz, Italien 1786-88 und 1790), die sich auch in seinen Werken niederschlagen. Das Weimarer Hoftheater Iphigenie auf Tauris Iphigenie als Verkörperung eines klassischen Ideals Da Goe the in diesem Drama jede Dramatik vermeidet, ist das zeitgenössische Publikum enttäuscht. Goethe feilt lange Zeit an dem Stück, erst mit der dritten Fassung in Jamben ist er völlig zufrieden. Goethe erzählt den antiken Mythos neu, am Ende tritt nun nicht mehr Athene als Deus ex Machina auf, sondern Iphigenie, die Verkörperung reinster Menschlichkeit, bewirkt ein harmonisches Ende: Sie versöhnt die Männer, heilt ihren Bruder vom Wahnsinn und schafft die Barbarei ab. Iphigenie ist „reine" Seele, kein lebendiger Charakter, sie ist die Verkörperung eines klassischen Ideals. Iphigenie, die von ihrem Vater Agamemnon, dem König von My-kene, als Sühneopfer bestimmt ist, wird von der Göttin Diana nach Tauris entführt. Zu Beginn des Dramas ist sie dort Priesterin der Göttin und hat König Thoas dazu gebracht, die Menschenopfer abzuschaffen. Theas will sie zur Frau, Iphigenie weigert sich, unter anderem, weil sie ihn nicht liebt. Aus Zorn über ihre Weigerung will er zwei Fremde, die auf der Insel gelandet sind, opfern lassen. Es sind, ohne dass Iphigenie davon weiß, ihr Bruder Orest und dessen Freund Pylades. Orest hat seine Mutter erschlagen, da sie seinen Vater Agamemnon ermordet hat. Vor den Rachegöttinnen findet Orest keine Ruhe und wird mit Wahnsinn geschlagen. Apollo hat allerdings Heilung in Aussicht gestellt, wenn er die Schwester aus Tauris zurück nach Griechenland bringe. Orest legt den Orakelspruch so aus, dass Iphigenie und Orest (Gemälde von J.H.W. Tischbein, 1788) 112 113 klassik klassik er das Götterbild der Diana, der Schivester des Apollo, heimbringen soll. Apollo nieint allerdings die Schwester Orests, Iphigenie. Bald erkennt Iphigenie in dem unglücklichen Fronden ihren Bruder und kann die Rachegöttin nen durch ihre Sanftmut bündigen. Als der geheilte Orest das Götterbild der Diana entführen will, teilt Iphigenie dies Thoas mit, da sie unfähig ist zu lügen. Sie ist ehrlich zu Theas und dieser lässt sie samt ihrem Bruder zurück nach Griechenland segeln. Das Parzenlied6 (aus: Iphigenie) Sie schreiten vom Berge Zu Bergen hinüber: Aus Schlünden der Tiefe 25 Dampft ihnen der Atem Erstickter Titanen, Gleich Opfergerüchen, Ein leichtes Gewölke. „Es fürchte die Götter Das Menschengeschlecht! Sie halten die Herrschaft In ewigen Händen, Und können sie brauchen, Wie's ihnen gefällt. Der fürchte sie doppelt, Den je sie erheben! Auf Klippen und Wolken 10 Sind Stühle bereitet Um goldene Tische. Erhebet ein Zwist sich: So stürzen die Gäste Geschmäht und geschändet 15 In nächtliche Tiefen Und harren vergebens Im Finstern gebunden Gerechten Gerichtes. Sie aber, sie bleiben 20 In ewigen Festen An goldenen Tischen. Es wenden die Herrscher 30 Ihr segnendes Auge Von ganzen Geschlechtern, Und meiden, im Enkel Die ehmals geliebten Still redenden Züge 35 Des Ahnherrn zu sehn." So sangen die Parzen; Es horcht der Verbannte In nächtlichen Höhlen, Der Alte, die Lieder, 40 Denkt Kinder und Enkel Und schüttelt das Haupt. Auf dem Geschlecht des Tantalus, aus dem Iphigenie stammt, ruht ein Fluch. Während aber im antiken Drama das Schicksal unerbittlich waltet, hat bei Goethe Iphigenie menschliche Entscheidungskraft, die ein Eingreifen der Götter nicht mehr notwendig macht. / • Welche Einstellung hat Iphigenie zu den Göttern? Wie behandeln die Götter die Menschen? Goethe und Schiller Freundschaft besteht zwischen Goethe und Schiller seit 1794. Sie kennen sich zwar schon seit 1788, stehen sich aber vorerst skeptisch gegenüber. Nach einem langsamen Annäherungsprozess kommt es zu intensiver Zusammenarbeit. Sie ermuntern sich gegenseitig und kritisieren wohlwollend, aber ehrlich. Gemeinsam geben 6 Parzen: griechische Schicksalsgöttinnen sie die Zeitschrift Hören heraus, die zum Sprachrohr des literarischen Lebens in Deutschland wird. Eine Art Manifest ihrer Zusammenarbeit bringt das „Balladenjahr" 1797. Für den Musenalmanach, den Schiller herausgibt, entstehen Balladen, die zum Bildungsgut einer breiten Bevölkerungsschicht werden. Die Zusammenarbeit endet abrupt mit Schillers Tod 1805. Friedrich Schiller Dramen 5chillers Schillers (1759-1805) umfangreiches Dramenschaffen baut auf historischen Vorarbeiten auf (er ist auch Professor für Ge- prie(jrich Schiller schichte in Jena). Nach seiner Distanzierung vom Sturm und Drang wendet sich Schiller vom bürgerlichen Trauerspiel ab. Er setzt sich nicht mehr mit deutscher Gegenwart und Wirklichkeit auseinander. Die Themen seiner wichtigsten Dramen sind ab nun der Geschichte entnommen: Wallenstein spielt im 17. Jahrhundert, Maria Stuart im England des 16. Jahrhunderts, Die Jungfrau von Orleans im Frankreich des 15. Jahrhunderts. Schiller belebt die höfisch-aristokratische Tragödienform wieder und signalisiert den Beginn der restaurativen Phase der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland (während in Frankreich nachrevolutionäre Kämpfe toben). Die im Sturm und Drang so vehement geforderte künstlerische, individuelle und politische Freiheit ist nun zur „inneren Freiheit" geworden. Bürgerliche Inhalte erscheinen in aristokratischem Gewand (eine Vorahnung des Kompromisse^ zwischen Bürgertum und Adel im 19. Jahrhundert), sie sind nicht mehr antiaristokratisch. Don Carlos Die Handlung spieltJm 16. Jahrhundert. Philipp II, von Spanien heiratet Elisabeth von Va-lois, die ursprünglich für seinen Sohn Carlos bestimmt war. Marquis Posa will Carlos für die Freiheitsbestrebungen der 'Niederländer begeistern. Auch Elisabeth bittet Carlos, seine Liebe zu ihr zu vergessen und sich seinen Untertanen zu widmen. Philipp jedoch lehnt es ab, Carlos ein Heer in Flandern anzuvertrauen. Prinzessin Eboli, eine Hofdame, verrät Carlos' Beziehung zur Königin dem König, da sie Carlos selbst liebt. Um seinen Freund zu retten, opfert sich Posa: Er gewinnt das Vertrauen des Königs und lenkt dann den Verdacht auf sich selbst, indem er vorgibt, dass er die Königin liebe. Er glaubt so Carlos die Gelegenheit geben zu können, zu fliehen. Posa wird erschossen, Carlos der Inquisition übergeben. Don Carlos-Aufführung Berlin, Schiller-Theater, 1993, Szenenbüd von Gerd Harrung nach Flandern Schiller hat lange an dem Drama gearbeitet. Die ursprüngliche Haupthandlung, die Liebesgeschichte zwischen Carlos und Elisabeth, weicht der politischen Tragödie des Marquis Posa, der den von seinen Familienmitgliedern enttäuschten König für die Ideen der Freiheit und Menschenwürde gewinnen will. 114 115 klassik klassik 3. Akt, 10. Auftritt König (mit erwartender Miene): Nun? Marquis: Ich kann nicht Fürstendiener sein. (Der König sieht ihn mit Erstaunen an.) Ich will 5 Den Käufer nicht betrügen, Sire- Wenn Sie Mich anzustellen würdigen, so wollen Sie nurdie vorgewogne Tat. Sie wollen Nur meinen Arm und meinen Mut im Felde, Nur meinen Kopf im Rat. Nicht meine 10 Taten, Der Beifall, den sie finden an dem Thron, Soll meiner Taten Endzweck sein. Mir aber, Mir hat die Tugend eignen Wert. Das Glück, Das der Monarch mit meinen Händen 15 pflanzte, Erschuf ich selbst, und Freude wäre mir Und eigne Wahl, was mir nur Pflicht sein sollte. Und ist das Ihre Meinung? Können Sie 20 In Ihrer Schöpfung fremde Schöpfer dulden? Ich aber soll zum Meißel mich erniedern, Wo ich der Künstler könnte sein? - Ich liebe 25 Die Menschheit und in Monarchien darf Ich niemand lieben als mich selbst. [...] Ich höre, Sire, wie klein. Wie niedrig Sie von Menschenwürde denken, 30 Selbst in des freien Mannes Sprache nur Den Kunstgriff eines Schmeichlers sehen, und Mir deucht, ich weiß, wer Sie dazu berechtigt. 35 Die Menschen zwangen Sie dazu; die haben Freiwillig ihres Adels sich begeben, Freiwillig sich auf diese niedre Stufe Herabgestellt. Erschrocken fliehen sie 40 Vor dem Gespenste ihrer innern Größe, Gefallen sich in ihrer Armut, schmücken Mit feiger Weisheit ihre Ketten aus, Und Tugend nennt man, sie mit Anstand tragen. 45 So überkamen Sie die Welt. So ward Sie ihrem großen Vater überliefert. Wie könnten Sie in dieser traurigen Verstümmlung - Menschen ehren? [...] Ja, beim Allmächtigen! 50 Ja - ja - Ich wiederhol es. Geben Sie, Was Sie uns nahmen, wieder. Lassen Sie, Großmütig, wie der Starke, Menschenglück Aus Ihrem Füllhorn strömen-Geister reifen In Ihrem Weltgebäude. Geben Sie, 55 Was Sie uns nahmen, wieder. Werden Sie Von Millionen Königen ein König. (Er nähert sich ihm kühn, indem er feste und feurige Blicke auf ihn richtet.) O könnte die Beredsamkeit von allen 60 Den Tausenden, die dieser großen Stunde Teilhaftig sind, auf meinen Lippen schweben, Den Strahl, den ich in diesen Augen merke. Zur Flamme zu erheben! - Geben Sie 65 Die unnatürliche Vergöttrung auf, Die uns vernichtet. Werden Sie uns Muster Des Ewigen und Wahren. Niemals - niemals Besaß ein Sterblicher so viel, so göttlich Es zu gebrauchen. Alle Könige 70 Europens huldigen dem span'schen Namen. Gehn Sie Europens Königen voran. Ein Federzug von dieser Hand, und neu Erschaffen wird die Erde. Geben Sie Gedankenfreiheit - (Sich ihm zu Füßen 75 werfend.) Der Dichter, die Liebe und die Natur Goethes Lyrik der Weimarer Zeit unterscheidet sich von der der Sturm-und-Drang-Zeit: Die Gedichte sind stiller, sanfter, gedämpfter, ruhiger, distanzierter. Der Satzbau wird wieder regelmäßiger; strenge Formen, regelmäßige Versmaße, feste Gedichtformen werden bevorzugt. Trotzdem sind Goethes Gedichte Gele-genheits- und Erlebnisgedichte; Augenblicke und Ereignisse werden zum Inhalt, Liebe, Natur und Erschütterungen des Lebens poetisch verarbeitet. Goethe in der Campagna (Gemälde von J. Tischhein) H.W. J. W. Goethe: Nähe des Geliebten Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer Vom Meere strahlt; Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer In Quellen malt. 5 Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege Der Staub sich hebt; In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege Der Wandrer bebt. ) Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen 10 Die Welle steigt. Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen, Wenn alles schweigt. Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne, Du bist mir nah! 15 Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne. O wärst du da! Welche Beziehung hat das lyrische Ich zur Natur? Warum empfindet es die Trennung vom geliebten Menschen nicht als schmerzlich? Welche Wörter würden Sie als Schlüsselwörter bezeichnen? Verfassen Sie ein Gegen-Gedicht: Sie befinden sich in Harmonie mit Technik, Großstadt, Computer und fühlen sich mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner verbunden, die/ der räumlich entfernt ist! • Wie steh t Posa zu Monarchien, mit welcher Bezeichnung umreißt er seine Position? • Wie schätzt Posa den König ein? • Posa bittet den König um „Gedankenfreiheit". Was ist darunter zu verstehen? 116 I 117 klassik klassik 10 10 J. W. Goethe: Dornburg, September 1828 Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten Nebelschleiern sich enthüllen, Und dem sehnlichsten Erwarten Blumenkelche bunt sich füllen; Wenn der Äther, Wolken tragend, Mit dem klaren Tage streitet, Und ein Ostwind, sie verjagend, Blaue Sonnenbahn bereitet, Dankst du dann, am Blick dich weidend, Reiner Brust der Großen, Holden, Wird die Sonne, rötlich scheidend, Rings den Horizont vergolden. ^7 Selbstbildnis des jungen Goethe in seinem Frankfurter Mansardenzimmer (um 1768/70) Aus Goethes Dornburger Tagebüchern 8.7. Früh in der Morgendämmerung das Thal und dessen aufsteigende Nebel gesehen ... Ganz reiner Himmel, schon zeitig steigende Wärme ...Abends vollkommen klar. Heftiger Ostwind. 12.7. Gegen fünf Uhr allgemeiner dichter, hoch in die Atmosphäre verbreiteter Nebel. (Er war, wie ich hörte, seit zwei Uhr aus der Saale aufgestiegen.) Erst gegen sieben Uhr ward die untere Straße, der Fluß und die nächsten Wiesen, sodann, als der Nebel weiter sank, die gegenüber sich hinziehenden Bergrücken sichtbar. Nach und nach hatte ersieh ganz niedergesenkt, doch schwebte noch ein merklicher Duft ausgebreitet über dem Thale. Der Himmel war ganz heiter geworden, schön blau, besonders an der Abendseite. 18.8. Vor Sonnenaufgang aufgestanden. Vollkommene Klarheit des Thaies. Der Ausdruck des Dichters: Heilige Frühe ward empfunden. Nun fing das Nebelspiel im Thale seine Bewegung an, welches mit Südwestwind wohl eine Stunde dauerte und sich außer wenigen Streifwolken in völlige Klarheit auflöste ... • Vergleichen Sie die Tagebuchaufzeichnungen mit dem Gedicht! • Welche Eindrücke nimmt Goethe als Anlass für sein Gedicht? "-x • Was erfahren wir über die Empfindungen des Beobachters? •'' • Welche Naturgegenstände aus dem Gedicht finden Sie auch in den Tagebüchern? • Fassen Sie jede Strophe in einem Stichwort zusammen! • Welche Rolle spielt das lyrische Ich im Naturvorgang? • Was sieht es im Rahmen seiner Beobachtungen? Folgen Sie seinen Blicken! Von wo aus beobachtet es? • Welche Gemeinsamkeiten können Sie bei den Verben feststellen? • Wie reagiert das lyrische Ich am Ende auf die Naturbeobachtung? • Wofür ist die auf- und untergehende Sonne Symbol7? August Wilhelm Iffland Klassikerverehrung und Klassikwirkung Während andere europäische Nationen schon längst klassische Autoren haben, ist die deutsche Klassik erst relativ spät angesiedelt. Die klassischen Autoren in England, Italien, Spanien und Frankreich sind zugleich auch Nationaldichter. In Deutschland kann sich jedoch keine Nationalli teratur herausbilden, weil es eine deutsche Nation erst ab 1871 gibt. Das Klassikverständnis hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Meint man ursprünglich einen weiten Bereich, die Gipfelepoche nach Aufklärung und Sturm und Drang, so wird Klassik später auf Goethe und Schiller beschränkt. Kanonisierung von „klassischen" Werken Etwa ab 1850 kommt es zu einer Kanonisierung von „klassischen" Werken. Der Vorrat an literarischen Produktionen wird geteilt in vorbildliche und mustergültige und solche, die diesen Maßstäben nicht genügen. Goethe, Schiller, Lessing, I lerder und Jean Paul sind „Klassiker", später werden Wieland, Klopstock und Eichendorff in die Elite aufgenommen, während Kleist, Hölderlin und Forster die Anerkennung versagt bleibt. Die „Kanonisierung" hängt auch eng mit dem einflussreichen Cotta-Verlag8 zusammen, der bis 1867 das Monopol auf klassische deutsche Literatur hat.9 Nach 1867 kommt es zu einem Boom von billigen Ausgaben. Die Klassiker waren bis zu diesem Zeitpunkt der Masse des Publikums nicht zugänglich, ihr Lesestoff sind' Trivialromane und Alma-nache10. Die Dramen Goethes und Schillers werden beim Publikum nicht günstig aufgenommen. Erfolgreich sind hingegen die Autoren August Wilhelm Iffland und August von Kotzebue. Auch die Romantiker haben eine eher geringe Breitenwirkung: Nur Des Knaben Wunderhorn und Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts kommen an. Die vielen klassisch-romantischen Nachfahren und Nachahmer popularisieren und trivialisieren die Aussagen der klassischen-Sloffe für eine breite Leserschaft, die weder gebildet noch vermögend ist. Die eigentliche klassische Dichtung ist nur für eine Elite geschrieben und wird auch entsprechend aufgenommen. Literaturgeschichtsschreibung Dass die Klassik dennoch eine solche Bedeutung erlangen kann, verdankt sie der Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Eine Nation, die politisch zu kurz gekommen ist, braucht die Klassik als Mythos und Legende. Mit dem Erreichen der deutsehen Einheit 1871 verliert sie diese Bedeutung. Im 20. Jahrhundert wird zunächst die „deutsche" Komponente in der Literaturgeschichtsschreibung betont. Hermann August Korff spricht von „Deutscher Bewegung", von „übergeschichtlichen Funktionen, weil hier der Geist des deutschen Volkes auf die Höhe seiner selbst gekommen ist". August von Kotzebue 7 Symbol: Erkennungszeichen; bildhaftes Zeichen, das über sich hinaus auf höhere geistige Zusammenhänge hinweist, eine Veranschaulicliung eines Begriffes, einer Idee; z.B.:Kingals Symbol für Ehe, Kreuz für Christentum, Feuer für Leidenschaft, wogendes, goldenes Kornfeld für persönliche Reife ' Der Verlag existiert heute noch als Klett-Cotta-Verlag. ' 1867 erlosch die Schutzfrist für Werke aller vor 1837 gestorbenen Autoren. 5 Almanach: Jahrbuch, Kalender 118 119 klassik Die Klassik wird dann von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke vereinnahmt. Wenn sie die deutsche kulturelle, politische und rassische Ronderstellung herausstellen, berufen sie sich auf das Gedankengut der Klassik und Romantik. Humanistisches Gedankengut wird zur Rechtfertigung für Inhumanität: die Deutschen als „Volk der Dichter und Denker", aber auch „der Richter und Henker", wie Karl Kra us formuliert. Die Klassiker werden dann durch einen anderen „Kanon" ergänzt: durch germanisch-nordische, heimatverbundene, völkische Literatur. Um 1971 setzt die prinzipielle „Klassikkritik"11 ein: Man verzichtet auf den Epochenbegriff, sieht die Klassik wieder mehr im Zusammenhang mit dem historischen Hintergrund und ist bemüht, sich von der „Fälschung" durch die Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts zu distanzieren. Man legt mehr Wert auf Kleist, Hölderlin und weist auf die Werke hin, die den Markt beherrschen, die Trivialromane. Literaturhistorikerlnxien machen begreiflich, dass Klassik unter ariderem auch ein Gegenkonzept zur Trivialliteratur ist. Der Roman Die Wurzeln für den Roman der Goethezeit liegen in der Aufklärung und Empfindsamkeit. Zu dieser Zeit ist er den übrigen Gattungen gleichgestellt und anerkannt. Der Roman ist Ausdruck einer bürgerlichen Lebensform; seine Regellosigkeit, Formlosigkeit und Offenheit lassen Freiraum für Hoffnungen und Ambitionen des Publikums. Seine Intentionen sind zu belehren und zu unterhalten, zu unterrichten und zu gefallen: Gefühls- und Seelengeschichten zur Verbesserung der Menschen und zur Seelenerkenntnis. Wilhelm Meister und die Folgen Wilhelm Meister gilt in der Literaturgeschichtsschreibung als Musterbeispiel für einen Bildungsroman. Darunter versteht man einen Roman, der die Entwicklung eines Menschen zum Inhalt hat, der nach langem, konfliktreichem Ringen und einigen Irrwegen zu seinem Zielpunkt gelangt, nämlich zur Integration in die Gesellschaft als tätiges Mitglied. Goethe wirkt hier normbildend nicht nur für seine Zeit, sondern auch für die jüngere und jüngste Vergangenheit. Wichtige Werke der deutschen Literatur wie Tiecks Franz Stern-balds Wanderungen, Schlegels Lucinde, Eichendorffs Ahnung und Gegenwart, Kellers Der grüne Heinrich, Stifters Nachsommer, Hesses Glasperlenspiel, Handkes Der kurze Brief zum langen Abschied und Grass' Blechtrommel erhalten Impulse aus Wilhelm Meister. Goethe beginnt seine Arbeit am Roman 1777, zunächst unter dem Titel Wilhelm Meisters Theatralische Sendung. ^ , Diese erste Fassung des Romans entwirft die Lebensgeschichte eines Kaufmannssohnes, der Goethe, seinem Schreiber John diktierend (Gemälde von Johann Schmeller) 11 1971 erscheinen E. Schmalzriedts Vorlesung zur „Inhumanen Klassik" und der Band „Klassik-Legende", herausgegeben von Grimm und Hermand. Ab diesem Zeitpunkt sieht man in Literatur- und Sozialgeschichten die Klassik wieder mehr in ihrem historischen Rahmen. klassik nicht Kaufmann werden will, sondern sich dem Theater und einer Schauspielerin widmet. Er wird Schauspieler, Theaterdichter, Förderer der Schauspielergruppe. Der thematische Kreis bleibt in dieser Fassung nur auf das Thea ter beschränkt. Wilhelm Meister nennt das Theater eine „idealische Republik", die Schauspieler eine Vereinigung von freien Menschen. Goethe bricht seine Arbeit an Wilhelm Meisters Theatralische Sendung ab. Die nächste Fassung, Wilhelm Meisters Lehrjahre, entstand nach seiner Italienreise. Nun ist aus dem Bildungsziel des Romans, ein Nationaltheater zu gründen, lediglich eine Station im nie endenden Bildungsprozess geworden. Die frühere Hinwendung Wilhelms zum Theater erweist sich als Irrweg. Auf Wilhelm Meisters Lehrjahre folgen Wilhelm Meisters Wanderjahre. Die Wanderjahre schließen mit der Bemerkung: „Ist fortzusetzen". Daraus lässt sich ableiten, dass Goethe auf einen permanenten Bildungsprozess hinweist, der über die Wanderjahre hinaus anhält. Herzog Karl August und Goethe (Kupferstich von Carl August Schwerdgeburth, um 1825) Die Figur Wilhelm Meister sieht die eigentliche Bildungsaufgabe darin, die der eigenen Anlage angemessene und würdige Rolle zu finden. Glück oder Unglück entscheidet darüber, ob man aus der reichen Palette des sozialen Lebens die zum eigenen Charakter passende Rolle findet. Wilhel m spielt einige Rollen durch, die jeweils seinem Bildungsniveau entsprechen und immer eine Weiterentwicklung bedeuten: Puppenspieler, Mäzen, Regisseur, Theaterdichter, Schauspieldirektor, Hamletdarsteller. Er ist stets reif für eine neue Rolle, die Erfüllung eines Traumes macht ihm die Mängel bewusst, erzeug l neue Bedürfnisse und treibt ihn weiter. Das lässt sich an den Berufsarten feststellen (vom Kaufmann bis zum Arzt), an verschiedenen Geliebten und deren Erwartungshaltungen an ihn (Geliebter, Freund, Beschützer, Junggeselle, Vater). Auch an den Schauplätzen, die immer „weiter" werden, kann man die Suche nach der passenden Rolle ablesen. Letztlich ergibtsich der Schluss, dass nur nach den Konzepten von Vernunft (als Merkmal des Adels) und Nützlichkeit (Merkmal des Bürgertums) die Selbstverwirklichung des Individuums möglich ist. Goethe sieht die Individuation12 einer Persönlichkeit an einen Kompromiss zwischen Adel und Bürgertum gekoppelt, aber er stellt das Bildungskonzept der Turmgesellschaft, die im Roman einen Reformadel abbildet, auch in Frage. Man spürt deutlich, dass seine Sympathien Mignon und dem Harfner gehören, Figuren, die der Turmgesellschaft suspekt und zwielichtig vorkommen. Sie haben mit Nutzen, Vernunft und Praxis nichts zu tun, sie verkörpern die Poesie, die nicht zweckgebunden, die ohne Vernunft, widerspruchsvoll ist. Obwohl Wilhelm Meister als Bildungsroman gilt, steht die Bildung allein nicht im Mittelpunkt, sondern das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, in all seinen Ausprägungen. Wir erfahren mehr über die Lebensverhältnisse, in denen sich Wilhelms Bildung vollzieht, als über sein Inneres. Die ersten Rezensionen nach dem Erscheinen des Romans suchen vergebens nach Anklängen an Die Leiden des jungen Werthers. Schlegel, der romantische Theoretiker, schätzt den Roman, vor allem seine Formlosigkeit und Ironie, während Novalis, der romantische Dichter, ihn ablehnt und mit Heinrich von Ofterdingen einen „Gegen-Meister" schreibt. 12 Individuation: Prozess der Sclbstwerdung eines Menschen 120 121 klassik kiass.k ZUSAMMENFASSUNG Buchmarkt und Verlagswesen 1794/95 nimmt das Interesse an politischen und sozialen Problemen deutlich ab, die Beziehung Dichter-Publiku m wird schwierig, auch Schiller und Goethe klagen darüber. Da sie auf Volkstümlichkeit und Verständlichkeit verzichten, überlassen sie das Publikum den Schriftstellern, die nur unterhalten wollen. Zu einer Zeit, in der das Lesepublikum wächst und immer mehr Buchhandlungen entstehen, kommt diese Steigerung des Marktes nicht Goethe oder Schiller zugute. Die Mechanismen des freien Marktes machen zwar die „Freiheit" der Schriftsteller schwierig, aber die Verleger können sich etablieren: z.B. Göschen, Reclam und Cotta. Von 1771 bis 1800 verdoppelt sich die Buchproduktion, von 1760 bis 1802 wird die Zahl der Buchhandlungen verdreifacht. Nach 1800 geht die Buchproduktion unter dem Eindruck der kriegerischen Ereignisse etwa s zurück. Einen richtigen Einbruch erlebt der Buchhandel während der Napoleonischen Kriege. Zeitschriften machen dem Buch Konkurrenz, an die Stelle des Bücherkaufs tritt das Lesen von Journalen. Nach 1813, in der Zeit des Wiener Kongresses, steigt der Umsatz des Buchhandels; zwischen 1815 und 1830 herrscht eine Blütezeit. Mit dem verstärkten Bedürfnis nach Unterhaltungsliteratur geht eine gleichzeitige Technisierung einher, so kommt es 1817 zur Gründung der ersten Druckmaschinenfabrik. Der Verleger Johann Friedrich Cotta (1764-1832) Der Verleger Georg Joachim Göschen (1752-1828) Klassik ZUSAMMENFASSUNG Klassik (1786-1805) Der Begriff „Klassik" Er wird zweifach verwendet: ) Als ästhetischer Normbegriff bezeichnet er eine Reihe von Dichtern oder deren Werke, die als mustergültig angesehen werden. Daneben wird er als literarischer Epochenbegriff verstanden. In einzelnen Ländern werden bestimmte Epochen als „klassisch" angesehen. In Deutschland ist dies die Zei t von 1786 (Goethes Italienreise) bis 1805 (Schillers Tod). Die Französische Revolution Im Zuge der Französischen Revolution werden 1789 die Menschen- und Bürgerrechte erklärt. Obwohl viele deutsche Dichter die Französische Revolution zunächst begrüßen, wenden sie sich später von ihr ab. Sie glauben, dass Deutschland noch nicht reif für eine Revolution sei, sind sich aber sicher, dass es Veränderungen geben müsse. Die Literatur solle der „Verbesserung der Moral" dienen. Da aber nur eine kleine Schicht des Bildungsbürgertums die Werke der Klassiker liest, ist die angestrebte Wirkung der Literatur eine Illusion. Typische Konzepte, die Klassiker als Mittel gegen die Revolution anbieten, sind ästhetische Autonomie, Humanitätsideal, ästhetische Erziehung und Bildung sowie die Betonung der Natur. 122 Goethe in Weimar Goethe beschließt 1775/76, von Frankfurt nach Weimar zu gehen, und nimmt dabei Abschied vonSturm und Drang. Ihm gelingt es, andere Schriftsteller dazu zu überreden, ihm nach Weimar zu folgen, und so gründet er gemeinsam mit Schiller, Herder, Fichte und Humboldt den sogenannten „Weimarer Kreis". Coethes Drama Iphigenie auf Tauris gilt als Musterbeispiel für klassisches Theater. Goethe verändert die griechische Sage insofern, als kein „deus ex machina" auftritt, sondern Iphigenie durch ihre reine Menschlichkeit die Probleme löst. Goethe und Schiller Die Freundschaft zwischen den beiden Dichtern ermöglicht eine intensive Zusammenarbeit, sie kritisieren und animieren sich gegenseitig. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit sind z. B. die Zeitschrift Hören oder die Herausgabe von Balladen im Musenalmanach. Friedrich Schillers Dramen basieren auf historischen Untersuchungen. Zunächst sind sie dem Sturm und Drang verpflichtet. Wichtige klassische Dramen: Wallenstein (17. Jh.), Maria Stuart (England des 16. Jhs.), Diejung^ frau von Orkans (Frankreich des 15. Jhs.). In fast allen Stücken geht es umdie „innere Freiheit". Don Carlos behandelt in erster Linie das Thema Freundschaft zwischen Don Carlos und dem Marquis Posa. Das zweite wichtige Thema ist die „Gedankenfreiheit", sie ist gleichbedeutend mit politischer Freiheit und Selbstbestimmung. Klassikerverehrung und Klassikwirkung Im Gegensatz zu anderen europäischen Nationen gibt es in Deutschland keine Nationalliteratur, da der deutsche Staat erst 1871 entsteht. Die Klassik wird auf Goethe und Schiller beschränkt. Ab 1850 kommt es zu einer Kanonisierung von „klassischen" Werken. Goethe, Schiller, Lessing und Herder gelten z. B. als mustergültig, Kleist, Hölderlin oder Forster werden nicht als Klassiker bezeichnet. Ihre große Bedeutung verdankt die klassische Literatur der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Die „großartige Dichtung" Schillers und Goethes gilt als Ersatz für die mangelnde politische Größe. Im 20. Jahrhundert betont die Geschichtsschreibung zunächst die „deutsche Komponente". Die Klassik wird von den Nationalsozialisten missbraucht, wenn sie sich auf eine Sonderstellung der Deutschen im kulturellen, politischen und rassischen Sinn berufen. Um 1970 beginnt die Klassikerkritik, man verzichtet auf den Epochenbegriff. Erst jetzt wird die Bedeutung von Kleist und Hölderlin gewürdigt. Der Roman Die Wurzeln für den Roman der Goethezeit liegen in der Aufklärung. Er ist Ausdruck einer bürgerlichen Lebensform: Seine Kennzeichen sind Regellosigkeit, Formlosigkeit und Offenheit. Seine Absicht ist es zu unterhalten und zu belehren. Goethes Wilhelm Meister gilt als Musterbeispiel eines Bildungsromans: Ein Mensch gelangt nach vielen Irrwegen schließlich zum Ziel, der Integration in die Gesellschaft als tätiges Mitglied. Er beeinflusst damit nicht nur maßgeblich Werke von Zeitgenossen, sondern auch von späteren Schriftstellern (z. B. Friedrich Schlegel, Adalbert Stifter, Peter Handke ...). Buchmarkt und Verlagswesen 1771 bis 1800 verdoppelt sich die Buchproduktion, von 1760 bis 1802 verdreifacht sich die Zahl der Buchhandlungen. Allerdings geht die Buchproduktion nach 1800 wegen der kriegerischen Ereignisse etwas zurück. Nach 1813 steigt der Umsatz des Buchhandels wieder und zwischen 1815 und 1830 herrscht eine Blütezeit. 1817 gibt es die erste Druckmaschinenfabrik. 123 goethes faust goethes faust Goethes Faust Entstehungsgeschichte Goethe hat Faust als 24-Jähriger begonnen und erst als 82-Jähriger beendet, der Stoff hat ihn also sein ganzes Leben lang begleitet. Die Entstehung des Werks lässt sich in vier Arbeitsphasen gliedern: • Die erste Fassung, den so genannten Urfaust, eine Szenenfolge in Prosa, bringt Goethe 1775 bereits nach Weimar mit. Diese Fassung, im Wesentlichen ein Sturm-und-Drang-Drama, wurde erst 1887 wieder entdeckt. • 1788 arbeitet Goethe in Rom und Weimar weiter an dem Stück und 1790 erscheint Faust, ein Fragment. Der Text ist in Versen geschrieben und um einige Szenen erweitert. Die letzte Szene zeigt Gretchen im Dom. • Da Schiller ihn dazu drängt, nimmt Goethe 1797 seine Arbeit am Faust wieder auf und arbeitet bis 1801 daran weiter; auch im Jahr 1806 schreibt er an diesem Drama. • Faust, l Theil erscheint 1808 in der Fassung, wie er heute vorliegt. Zwi sehen 1825 und 1831 entsteht der zweite Teil des Stücks, der 1832 - nach Goethes Tod - veröffentlicht wird. Stoff geschiente Faust-Sage In der Faust-Sage mit ihrem historischen Kern ist die Hauptperson eine relativ zwielichtige Figur des 16. Jahrhunderts. Faust wird danach vermutlich um 1480 geboren, seit 1506 gibt es schriftliche Berichte über ihn: Er tritt als Prahlhans, Astrologe, Handleser und Quacksalber auf und bekommt überall Ärger. Um 1540 dürfte er gestorben sein. Das Volksbuch 1587 erscheint das erste der vielen Faust-Bücher, die Historia von D, Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler. Der Faust des Volksbuchs schließt einen Pakt mit dem Teufel, der ihm 24 Jahre dienen muss und ihn durch die Welt führt. Fa ust ahnt sein schlimmes Ende und will sich bekehren. Der Teufel lässt dies jedoch nicht zu, und zur Abschreckung wird der Tod Fausts besonders gräulich dargestellt: Fausts Höllenfahrt Es geschähe aber zwischen zwölf und ein Uhr in der Nacht, daß gegen dem Haus her ein großer ungestümer Wind ginge, so das Haus an allen Orten umgäbe, als ob es alles zugrundegehen und das Haus zu Boden reißen wollte, darob die Studenten vermeinten zu verzagen, sprangen aus dem Bett und hüben an einander zu trösten, wollten aus der Kammer nicht. Der Wirt lief 5 aus seinem in ein ander Haus. Die Studenten lagen nahend bei der Stube, da D. Faustus innen war, sie hörten ein greuliches Pfeifen und Zischen, als ob das Haus voller Schlangen, Nattern und anderer schädlicher Wurme wäre. Indem gehet D. Fausti Tür auf in der Stube, der huban, um Hülf und Mordio zu schreien, aber kaum mit halber Stimm, bald hernach hört man ihn nicht mehr. Als es nun Tag ward und die Studenten die ganze Nacht nicht geschlafen hatten, sind 10 sie in die Stube gegangen, darinnen D. Faustus gewesen war, sie sahen aber keinen Faustum mehr und nichts, denn die Stube voller Bluts gesprützet. Das Hirn klebte an der Wand, weil ihn der Teufel von einer Wand zur andern geschlagen hatte. Es lagen auch seine Augen und etliche Zahn allda, ein greulich und erschrecklich Spektakel. Da hüben die Studenten an, ihn zu beklagen und zu beweinen und suchten ihn allenthalben. Letzlich aber funden sie seinen 15 Leib heraußen bei dem Mist liegen, welcher greulich anzusehen war, denn ihme der Kopf und alle Glieder schlotterten. Bearbeitungen des Stoffs r Christopher Marlowe dramatisiert den Stoff (Die tragische Historie von Doktor Faustus, 1604). In weherer Folge beschäftigen sich Lessing (Faust-Fragmente, 1755-1781) und Maximilian Klinger in Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt (1791) und Der Faust der Morgenländer (1797) mit dem Stoff. Christopher Marlowes Faust-Drama kennt Goethe zwar nicht, es beeinflusst aber viele Puppenspielfassungen. Gut bekannt ist ihm dagegen das Fragment Lessings. Goethes wichtigste Quellen sind Volksbuch und Puppenspiel, womit er ganz im Sinne der Geniebewegung handelt und Stoffe aus der Volksdichtung verarbeitet. Nach Goethe gibt es weitere Bearbeitungen des Stoffes, z. B. Nikolaus Lenaus Faust (1836) und Thomas Manns Doktor Faustus (1947). Der Tragödie erster Teil Prolog im Himmel Die Wette , Mephistopheles will mit Gott um die Seele des Faust wetten. Es kann aber keine Wette geben, da Mephistopheles nicht freiist, er darf „nur frei erscheinen". Ohne das Böse gäbe es keinen Kampf und keine Erfüllung des Guten. Der Herr ist entschlossen, Faust, der ihm jetzt nur „verworren dient", „bald in die Klarheit zuführen". Wenn er Mephistopheles erlaubt, Faust zu verführen, solange er auf der Erde lebt, so nur, um Faust auf die Probe zu stellen. - Gott verkündet: „Es irrt der Mensch, solang er strebt." Im Prolog wird bereits angedeutet, dass Faust erlöst werden wird: „Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange.ist skh'des rechten Weges wohl bewusst." Mephisto darf Faust verfiihren, damit dieser durch Irrtümer zur Wahrheit kommen kann. Zu den Versen 243-3531: • Wie beschreibt Mephistopheles Faust? • Was hält Gott vom Teufel, worin liegt seine Funktion für die Menschen? Nacht Erkenntnisgrenzen Faust steht vor einer Wende seines Lebens: Er ist trotz seines Wissens und seiner vielen Studien unbefriedigt geblieben und sieht keine Perspektiven mehr. Am Ende steht die Erkenntnis, „dass wir nichts wissen können". Faust will aber erkennen, „was die Welt / Im Innersten zusammenhält", will Aufschluss über den Sinn des Seins. Er verzweifelt an den Grenzen der Wissenschaft. In einem Buch von Nostradamus, „Im Zeichen des 1 Alle Versangaben in diesem Kapitel beziehen sich auf J. W. Goethes Faust in der Ausgabe des Reclam-Verlags, die in Ihrer Schulbibliothek vermutlich vorhanden ist. 124 125 goethes faust goethes faust Makrokosmos", glaubt er, die magischen Gesetze der harmonisch wirkenden Natur zu erkennen. Er beschwort den Erdgeist, der ihn verspottet und in seine Grenzen zurückweist: „Du gleichst dem Geist, den du hegreifst, nicht mir!" Fausts Famulus Wagner tritt lerneifrig und borniert dazwischen und wird von Faust verspottet. Zwei Wissenschaftler stehen sich gegenüber: Wagner ist der Typ des kalten wissenschaftlichen Strebers, der sein ganzes Wissen aus Büchern zusammenträgt. Er ist eitel („Zwar weiß ich viel, doch mächt' ich alles wissen") und schon rein äußerlich als Spießer erkennbar: „Im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand" tritt er in Fausts Zimmer. Faust hingegen will sich ganz in die Natur einfühlen, seine Erkenntnis kommt aus der Seele und nicht aus den Büchern. Er lässt sich von der irdischen Liebeslust und vom Verlangen nach göttlichem Wissen leiten. Zusammenfassend kann man sagen, dass Wagner versucht, die Welt rational zu begreifen, Faust sie jedoch mit dem Herzen erfühlen und erkennen will. Selbstmordgedanken und Osterglocken Faust will sich aus Verzweiflung und um eine letzte Erfahrung zu machen, mit einer Phiole2 Gift töten. Durch die Osterglocken wird er jedoch vom Selbstmord abgehalten, nicht durch die christliche Botschaft, sondern durch die Erinnerung an glückliche Kindertage: „Erinnerung hält mich nun mit kindlichem Gefühle/Vom letzten, ernsten Schritt zurück." Zu den Versen 354-807: • In welchem Weltzusammenhang sieht sich der Mensch Faust? Vor dem Tor Aus der Isolierung des Studierzimmers kommt Faust in die frühlingshafte Natur, das Volk ist bester Laune, da das Winterende gekommen ist. In der Idylle der Osterspaziergänger offenbart Faust Wagner seinen sinnlichen und geistigen Durst, seine innere Zerrissenheit: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andren trennen: die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen; die andre liebt gewaltsam sich vom Dunst zu den Gefilden hoher Ahnen." Ein seltsamer Pudel schließt sich Faust und Wagner an und folgt ihnen. Zu den Versen 808-1177: Der Osterspaziergang hat eine dramaturgische3 Doppelfunktion für das Stück. Überlegen Sie sich in diesem Zusammenhang Antworten auf folgende Fragen: * Welche Bedeutung hat der Spaziergang für den psychischen Zustand Fausts? Wie wird Faust vom Volk charakterisiert? • Goethe hatte zeit seines Lebens eine panische Angst vor Hunden. Was wird das Erscheinen des Pudels wohl ankündigen? 2 Phiole: ein bauchiges Glasgefäß mit langem Hals 3 Dramaturgie: Bearbeitung eines Schauspiels, Lehre von der Schauspielkunst 126 Studierzimmer Faust übersetzt den Anfang des Johannesevangeliums. Der Pudel, von Faust mit Zaubersprüchen magisch bedrängt, wird in einer Metamorphose4, zu Mephistophetes in der Verkleidung eines fahrenden Schülers, der sich Faust vorstellt als „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft", als „Geist, der stets verneint". Der Teufelspakt j Faust schlägt dem Teufel einen Pakt vor, doch Mephistopheles, der durch einen Zufall gefangen ist, will noch nicht auf den Vorschlag eingehen. Er schläfert Faust ein, befreit sich von seinem magischen Bann und erscheint dann wieder. Faust verflucht sein irdisches Leben, und Mephistopheles bietet ihm nun den Pakt an. Faust akzeptiert, nach altem Brauch wird mit Blut unterschrieben, und ab jetzt sind die beiden Vertragspartner. Faust verlangt nun nach den „Tiefen der Sinnlichkeit". Mephistopheles verspricht ihm „die kleine, dann die große Welt". Erscheinung des Erdgeistes in Faust I (Handzeichnung Goethes) Zu den Versen 1178-2 072: • In der Übersetzung des Johannesevangeliums verwirft Faust die Übersetzung „Im Anfang war das Wort" schlussendlich zugunsten „Im Anfang war die Tat". Welche Weltsicht wird hier vermittelt? / • Was bedeutet die Szene, in der sich Mephistopheles Faust vorstellt? Verkörpert Mephisto etwas eindeutig Böses? Könnte Mephistopheles ein Teil von Faust sein? Seine zweite Seele? • Was beinhaltet der Teufelspakt genau? Zitieren Sie die entsprechenden Stellen und führen Sie Rechte und Pflichten der Vertragspartner an! • Wie vermeint der Teufel, Faust verführen zu können? Warum glaubt Faust nicht, dass ihn Mephistopheles zu der Aussage bringen kann, die ihn zum Diener des Teufels, zum Verlierer der Wette machen würde? Wie wird sich der Pakt auf den weiteren Verlauf des Dramas wohl auswirken? Die folgenden Szenen zeigen die Fahrt durch die kleine und die große Welt. Sie bestätigen, was von Anfang an klar war: Faust kann die Wette nicht verlieren, weil er nie zufrieden ist und deshalb auch die berühmten Worte nicht ausspricht. Mephistopheles kann den Pakt nicht einhalten: Nie verschafft er Faust das, was dieser eigentlich will; immer versucht er, Faust mit oberflächlichen Genüssen zu betören und ihn in weiterer Folge in schwere Schuld zu verstricken. Saufende Studenten, denenMephisto durch Weinzaubereien (Massensuggestion) Angst einjagt, sollen Faust in der Szene „Auerbachs Keller" unterhalten, doch dieser ist nur gelangweilt. Mephistopheles ist mit seinem ersten Verführungsversuch gescheitert, Faust erwartet anderes von ihm. Metamorphose: Gestaltwandlung 127 goethes faust goethes faust Hexenküche Faust wird verjüngt Diese Szene markiert das Ende der Gelehrtentragödie, die Gretclientragödie beginnt. Faust wird in der Hexenslube durch einen Zaubertrank, den ihm die Hexe braut, verjüngt und bereits vorher durch die schöne Helena, die er im Zauberspiegel erblickt, in Bann geschlagen und liebestoll gemacht. _____ _ Zu den Versen 2 337-2 604: • Vergleichen Sie die Hexenküche mit dem Studierzimmer! Was symbolisieren beide Schauplätze jeweils? • Welche Funktion hat das Hexeneinmaleins? Berücksichtigen Sie dabei auch dessen Interpretation durch Mephistopheles! • Worum geht es in der zweiten Station der Versuchung? Ist das Geschehen psychologisch deutbar? • Mephistopheles sagt am Schluss der Szene: „Du siehst, mit diesem Trank im Leibe, / Bald Helenen in jedem Weibe." Was kann er damit meinen? Straße, Abend, Spaziergang Margarethe Als Faust in einer kleinen Stadt auf der Straße Margarethe sieht, verlangt er von Mephistopheles, dass er sie ihm verschaffe. Dieser stellt ein Schmuckkästchen in Gretchens Schrank; das Mädchen bringt den Schmuckzu seiner Mutter, die ihn dem Pfarrer übergibt. Der Teufelsoll nun neuen besorgen. Zu den Versen 2 605-2 864: • Wie äußern sich die Nachwirkungen der Hexenküche in der Sprache Fausts? Was sagt sogar Mephistopheles dazu? • Aus welchen Gründen steuert die Liebesgeschichte von Anfang an auf ein tragisches Ende zu? Führen Sie Gründe an! • Beschreiben Sie Gretchen bezüglich ihres Aussehens und ihres Charakters! • Wie verändert sich Fausts Sprache, als er in Gretchens Zimmer tritt? Der Nachbarin Haus, Straße Gretchen zeigt verunsichert Frau Marthe Schwerdtlein den neuen Schmuck und diese rät, ihn hier bei ihr heimlich zu tragen. Mephistopheles bringt Frau Marthe die erlogene Nachricht, ihr verschollener Mann sei gestorben. Unter dem Vorwand, einen zweiten Zeugen beibringen zu können, vereinbart er mit Marthe ein Treffen im Garten, bei dem auch Gretchen anwesend sein soll. Faust ist sofort bereit, als falscher Zeuge aufzutreten, wenn er Gretchen, die er liebt, wiedersehen kann. Mephisto und Frau Marthe (Zeichnung von Carl Spitzweg) Garten Bei dem Treffen hofiert Mephistopheles ironisch Marthe und hat alle Mühe, ihre unverhüllten Anträge abzuweisen. Gretchen gesteht Faust ihre Liebe, sie spürt aber instinktiv, dass sein Begleiter schlecht ist. Zu den Versen 3 073-3 205: • Mit der Simultantechnik, der Darstellung zweier parallel ablaufender Szenen auf einer Bühne, worden Gegensätze dargestellt. Welches Thema wird mit der Doppelszene (Faust-Gretchen, Marthe-Mephistopheles) abgehandelt? Wie sehen die gegensätzlichen Positionen aus? • Wie könnte man diese Szene bühnentechnisch realisieren? Die Gretchenfrage Gretchen stellt Faust die berühmte Gretchenfrage: „Nun sag', wie hast du's mit der Religion?" Sie will Faust zwar in ihr Limmer lassen, doch hat sie Angst vor ihrer Mutter. Faust gibt ihrfür diese ein Fläsch-chen mit einem Schlaftrunk, die Katastrophe nimmt ihren Lauf, der Schlaftrunk enthält nämlich Gift. Zu den Versen 3 413-3 520: • Welche Unterschiede zeigen sich bei Faust und Gretchen in ihrer Auffassung von Religion? Stellen Sie die Meinungen systematisch gegenüber! Zu den Versen 3 543-3 586: • In der Szene „Am Brunnen" wird die herrschende gesellschaftliche Moral in der Meinung des Mädchens Lieschen deutlich. Beschreiben Sie diese und Gretchens Position dazu! In den folgenden Szenen hat Gretchen erste Vorahnungen, dass sie schwanger sei. Der Soldat Valentin, Gretchens Bruder, erfährt vom Fehltritt seiner Schwester. Mephistopheles ficht mit ihm, Munt ihm die Hand und sorgt dafür, dass Valentin von Faust umgebracht wird. Der Sterbende verflucht Gretchen als „Metze"5! • Benennen Sic die drei Ereignisse, die die beiden Liebenden zu Schuldigen machen! Gretchen merkt, dass sie schwanger ist, und in der Domszene erlebt sie während einer Messe die Vision des Jüngsten Gerichts. Ein böser Geist beschuldigt sie ihrer „Missetaten". Walpurgisnacht Mephistopheles zieht Faust in der dritten Station der Verführung von der Ebene der Liebe auf eine sexuell-sinnliche Ebene, um ihn von Gretchens Schicksal abzulenken. 5 Metze: Hure 128 129 goethes faust goethes faust Ein alter Volksglaube besagt, dass sich in der Nacht vom 30. April auf den 2. Mai auf dem Brocken im Harzgebirge die Hexen zu einem Fest mit dem Teufel treffen. Das Fest ist eine kultische Feier des Bösen und Dämonischen. Mephistopheles, hier als Junker Volland mit Pferdefuß auftretend, lockt Faust in die Arme einer jungen nackten Hexe, doch diesem erscheint ein „blasses, schönes Kind", das „dem guten Gretchen gleicht". Faust möchte Gretchen zurück. Gretchen hat in ihrer Verzweiflung das neugeborene Kind ertränkt, ist dafür zum Tode verurteilt worden und erwartet ihre Hinrichtung. Faust fühlt sein schuldhaftes Versagen und macht Mephistopheles Vorhaltungen, der aber bedeutet ihm, dass Faust selbst Gretchen ins Verderben gestürzt habe: „Wer war 's, der sie ins Verderben stürzte? Ich oder du?" Auch macht Mephistopheles deutlich, wer den Pakt angezettelt habe: „Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns? " Kerker Faust dringt in den Kerker ein, Mephistopheles hat ihm den Schlüssel verschafft und den Wächter eingeschläfert. Gretchens Erlösung Gretchen ist dem Wahn verfallen und erkennt anfangs Faust nicht mehr. Dieser will sie zur Flucht überreden, doch sie weigert sich, weil sie erkennt, dass Faust sie nicht mehr liebt, sie nur mehr bemitleidet. Gretchen bewahrt so für sich die reine Liebe. Als sie Mephistopheles sieht, erschrickt sie und empfiehlt sich Gott: „Gericht Gottes! Dir hab' ich mich übergeben!" Zu den Versen 4 405-4 615: • Dem „Sie ist gerichtet!" von Mephistopheles antwortet eine „Stimme von oben": „Sie ist gerettet!" raust in der französischen Welche Gründe für Gretchens Errettung können Sie Romantik: die Kerkerszene anführen? (Lithographie von Eugene Delacroix) Biografie und Literatur Texte werden oft durchbiografische Erfahrungen und Informationen aller Art, die die Dichter erhalten, beeinflusst. Auch bei Goethes Faust lässt sich das anhand der1 Gretchentragödie gut nachvollziehen, da Goethe selbst seine Quellen genannt bzw. über persönliche Erlebnisse berichtet hat. Dichtung und Wahrheit In seinem Buch Aus meinem Leben - Dichtung und Wahrheit erzählt Goethe, wie er als junger Mensch in einem Wirtshaus ein Mädchen namens Gretchen kennenlernt. Gewiß, ich brachte einen verdrießlichen Abend hin, wenn nicht eine unerwartete Erscheinung mich wieder belebt hätte. Bei unserer Ankunft stand bereits der Tisch reinlich und ordentlich gedeckt, hinreichender Wein aufgestellt; wir setzten uns und blieben allein, ohne Bedienung nötig zu haben. Als es aber doch zuletzt an Wein gebrach, rief einer nach der Magd; allein 5 statt derselben trat ein Mädchen herein, von ungemeiner, und wenn man sie in ihrer Umgebung sah, von unglaublicher Schönheit. - „Was verlangt ihr?" sagte sie, nachdem sie auf eine freundliche Weise guten Abend geboten: „die Magd ist krank und zu Bette. Kann ich euch 130 10 15 20 dienen?" - „Es fehlt an Wein", sagte der eine. „Wenn du uns ein paar Flaschen holtest, so wäre es sehr hübsch." - „Tu es Gretchen", sagte der andere, „es ist ja nur ein Katzensprung." - „Warum nicht!" versetzte sie, nahm ein paar leere Flaschen vom Tisch und eilte fort. Ihre Gestalt war von der Rückseite fast noch zierlicher. Das Häubchen saß so nett auf dem kleinen Kopfe, den ein schlanker Hals gar anmutig mit Nacken und Schultern verband. Alles an ihr schien auserlesen und man konnte der ganzen Gestalt um so ruhigerfolgen, als die Aufmerksamkeit nicht mehr durch die stillen treuen Augen und den lieblichen Mund allein angezogen und gefesselt wurde. Ich machte den Gesellen Vorwürfe, daß sie das Kind in der Nacht allein ausschickten; sie lachten mich aus und ich war bald getröstet, als sie schon wiederkam: denn der Schenkwirt wohnte nur über die Straße. - „Setze dich dafür auch zu uns", sagte der eine. Sie tat es, aber leider kam sie nicht neben mich. Sie trank ein Glas auf unsre Gesundheit und entfernte sich bald, indem sie uns riet, nicht gar lange beisammenzubleiben und überhaupt nicht so laut zu werden: denn die Mutter wolle sich eben zu Bette legen. Es war nicht ihre Mutter, sondern die unserer Wirte. Die Gestalt dieses Mädchens verfolgte mich von dem Augenblick an auf allen Wegen und Stegen; es war der erste bleibende Eindruck, den ein weibliches Wesen auf mich gemacht hatte. Das Mädchen macht also großen Eindruck auf ihn. Er sucht sie und findet sie in der Kirche. Es gelingt ihm, sich mit ihr bekannt zu machen, doch die starke emotionale Erregung lässt ihn krank werden. • Beschreiben Sie das Mädchen und seine Eigenschaften! • Wie würden Sie die Wirkung des Mädchens auf den jungen Goethe einschätzen? Könnte es sein, dass der Eindruck auf ihn so stark war, dass er es als Gretchen im Faust beschrieb?-. • Das Werk, aus dem der Text stammt, heißt Dichtung and Wahrheit. Ist es von Relevanz, ob die Begegnung mit "dem Mädchen wirklich so und nicht anders stattgefunden hat? Eine Kindsmörderin Für das Gretchenmotiv lässt sich Goethe auch von einem anderen Ereignis beeinflussen: Er ist beeindruckter Zeuge des Prozesses gegen die Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, die am 14. Januar 1772 in Frankfurt hingerichtet wird. Goethe ist zu dieser Zeit vom Rechtsstudium an der Universität Straßburg in seine Heimatstadt Frankfurt zurückgekehrt. Eine Teilabschrift der Akten des Prozesses hinterlässt Goethes Vater. Die 24-jährige Magd Susanna Margaretha Brandt wird von einem ihr unbekannten Holländer verführt und geschwängert. Nach einer überraschenden Sturzgeburt tötet sie das Neugeborene. Die Prozessakten berichten über die Vernehmung unter anderem Folgendes: Aus den Prozeßakten quaest.6 1 Wie sie heiße, wie alt, wessen Religion, woher und womit sie sich ernähret? /?; Susanna Margretha Brandtin, 24 Jahre alt, reformirter Religion, von hier und seye ihr Vatter bey hiesiger Garnison als Gefreyter gewesen, ihr Vatter und Mutter aber wären bereits ge-5 starben, und habe sie bey der Frau Bauerin in dem Gasthauß zum Einhorn als Magd gedienet. [...] quaest[io], lat.: Frage 131 goethes faust goethes faust quaest. 3 Wie lange sie schwanger seye? R: Das könne sie nicht sagen, weilen sie es nicht gewußt. 10 quaest. 4 Wie lange es seye, daß sie ihre ordentliche Reinigung7 nicht gehabt? R: Sie könne nicht leugnen, daß sie mit einem im Gasthaus zum Einhorn einlogirten Holländer dessen Nahmen sie nicht wisse, gegen abgelaufenes Weynachtsfest den Beyschlaf ausgeführt... [...] 15 quaest. 80 Ob und wie lang sie des Vorhabens gewesen, das Kind umzubringen? R: Sie könne nicht läugnen, daß von der Zeit an, als sie das Leben des Kindes verspühret, der Satan ihr in den Sinn gegeben habe, daß sie in dem grosen Hauß leicht heimlich gebäh-ren, das Kind umbringen, verbergen und vorgeben könne, daß sie ihre Ordinaire8 wieder 20 bekommen. Als sie Samstags vor ihrer heimlichen Geburt oben auf dem Boden 3 Stiegen hoch, woselbsten ihr Schwager der Schreiner Hechtel einen Unterschlag machen müssen, den Boden kehren wollen, habe ihr auf einmahl der Satan in den Sinn gegeben, sie solte sich dem grosen Gaubloch hinunterstürtzen, worüber sie aber ein Schauer überfallen, so daß sie den Besen hingelegt und ohnverrichteter Sache hinunter gegangen seye, auch ein Zittern 25 am ganzen Leib verspühret habe. quaest. 110 Ob sie keine Reue in, während oder nach vollbrachter That empfunden habe? R:Ja. Nach der That wie sie auf der Treppe gesessen, hätte sie es hertzlich bereuet, daß sie ihr Kind umgebracht, während der That aber wäre sie gantz verstockt und verblendet gewesen. 30 quaest. 111 Zu was Ende oder aus was Ursache sie dann ihr eigen Fleisch umgebracht? R: Um der Schande und des Vorwurfs der Leute zu entgehen, daß sie ein unehliches Kind gebohren, und weilen sie geglaubt, daß sie in dem grosen Hauß gar leicht gebähren könte, so daß es niemand gewahr würde. • Was sagen die Textausschnitte über die Kindsmörderin und ihre Tatmotive aus? • Wie verwendet Goethe die Prozessakten im Faust? Der Tragödie zweiter Teil Der Inhalt des 2. Teils Nach einem heilenden Schlaf erwacht Faust gestärkt und wird in die „grüße Welt "geführt, an einen von Krisen bedrohten spätmittelalterlichen Kaiserhof. Das aufgrund luxuriöser Hofhaltung und Prunksucht aufgebrauchte Staatsbudget wird mithilfe der Notenpresse, nach Anraten Mephistos, inflationär „saniert". Der Kaiser verlangt, Paris und Helena vor sich zu sehen, und Mephistopheles muss Faust gestehen, dass er über das antike Volk keine Macht hat. Er rät Faust, zu den „Müttern" hinabzusteigen, die von den „Bildern aller Kreatur" umschwebt sind. 7 ordentliche Reinigung: Menstruation 8 Ordinaire: Menstruation Nach seiner Rückkehr zum Hof lässt Faust Paris und Helena erscheinen. Faust ist von der Schönheit Helenas - dem Sinnbild des Schönen überhaupt - so beeindruckt, dass er Helena berühren, sie wirklich besitzen will. In diesem Moment erfolgt eine Explosion, Faust wird zu Boden geworfen und „die Geister gehen in Dunst auf". Mephistopheles bringt Faust in sein Studierzimmer zurück, wo dieser über längere Zeit in einen Tiefschlaf verfällt. Währenddessen erzeugt Wagner mit Mephistos Hilfe einen Homunculus, ein künstliches Wesen. Im dritten Akt, auf'griechischem Boden, findet Faust Helena vor dem Palast des Königs Menelaos zu Sparta. Menelaos will die untreue Gattin opfern. Mephisto verspricht Rettung; eine Burg am Hang des Taygetosgebirges. Die arkadische Idylle - Faust ist mit Helena vermählt und sie haben ein Kind, den Knaben Euphorion - endet jäh, als Euphorion, wie Ikarus in die Höhe strebend, zu Tode stürzt. Mit Euphorien entschwindet Helena in den Hades, sie lässt Faust nur Schleier und Mantel da. Im vierten Akt helfen Faust und Mephisto mittels Magie dem Kaisergegen einen Rivalen, wofür Faust ein Lehen, den Meeresstrand, erhält. Faust will Land gewinnen, einen Palast errichten und immer neue Projekte verwirklichen. Sein letzter Befehl an Mephistopheles ist eine Aufforderung zur Gewalt: Die Hütte des alten Ehepaares Phitemon und Baucis wird vom Teufel zerstört, die beiden Alten verbrennen. In seiner letzten Lebensphase erblindet Faust. Ah er glaubt, es werde an der Kultivierung des Landes gearbeitet, spricht er den Satz aus, der zu seinem Tod führt: „Zum Augenblicke dürft' ich sagen: Verweile doch, du bist so schön!" • Lesen Sie die Schlussszenen „Grablegung" und „Bergschluchten"! • Warum verliert Faust die Wette nicht und warum wird er erlöst? Dem Teu fei würde ja eigentlich der Sieg gebühren; wird er betrogen? Deutungsansätze Faust ist nicht in einer Lebensphase entstanden, deshalb ist das Werk nicht einheitlich, sondern vielschichtig, es lässt.verschiedene Sehweisen zu. Die Deutung des Gesamtwerks sowie einzelner Teile ist deshalb auch in der Forschung widersprü chlich. Das Drama plädiert - unter anderem - dafür, sich mit der Wel t auseinanderzusetzen, sich nicht zurückzuziehen. Faust als Suchender erlebt in der alten „Allegorie des Lebens als Reise" eine konstante Fortentwicklung seiner selbst, jeder Reiseabschnitt bedeutet neue Erfahrungen. Das Böse, verkörpert durch Mephistopheles, der die Welt des Genusses bietet, ist notwendig, um sich der Wahrheit zu nähern. Mephistopheles definiert sich selbst als Geist der Verneinung und Zerstörung, er will das Nichts anstelle des Seins, das Ergebnis ist aber immer das Gute. Faust beschreitet falsche Wege (Wissenschaft, Liebe, Magie und Macht), er ist maßlos und muss lernen zu verzichten. Faust will sterben, wenn er ein einziges Mal mit dem Augenblick zufrieden ist. Er erreicht zwar keines seiner Ziele, doch aus dem von Mephisto beabsichtigten Bösen wird immer das Gute. Faust wird gerettet, weil: „Wer immer strebend sich bemüht / Den können wir erlösen." (Faust II, 5. Akt) Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871, der Suche nach nationaler Identität, wird Faust zum Inbegriff des deutschen Wesens, das „Faustische" zum deutschen Wesenszug hochstilisiert. Der Nationalsozialismus missbraucht Faust genauso wie die anderen Werke der deutschen Klassik. 132 133