978 r. Mai 1936 | Die Deutschen lesen Hitler i. Mai 1936 I Deutsche Standesämter werden angewiesen, frischgetrauten Paaren Hitlers Mein Kampf zu überreichen Die Deutschen lesen Hitler Ende April 1936 berichteten die Zeitungen in Deutschland über neue Verfahrensregeln für die Vornahme und Registrierung von Eheschließungen. Vom 1. Mai an würden frischvermählte Paare vom Standesamt ein Exemplar von Adolf Hitlers Mein Kampf (192c) ausgehändigt bekommen. Die Beamten überreichten an jedem Werktag Tausende von Exemplaren der 8 Mark teuren >Volksausgabe< bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs neun Jahre später im Frühjahr 1945. Die Anweisung des Innenministeriums war Teil eines breiter angelegten Versuchs, dafür zu sorgen, dass letztlich jede deutsche Familie das Grundlagenwerk des Führers besitzen sollte. All dies war Teil des nationalsozialistischen Be mühens, einen neuen auditiven und -visuellen Raum zu schaffen, durch den die Deutschen mit dem Regime verbunden und veranlasst würden, soziale und rassische Identitäten als sogenannte Arier im »Tausendjährigen Reich« zu akzeptieren. Zusätzlich zur Verteilung von Mein Kampl wurden an Straßenecken und anderen öffentlichen Plätzen Lautsprecher installiert, damit das deutsche Volk wichtige Reden und Verlautbarungen zur Kenntnis nehmen könnte. Die Erschwinglichkeit eines preiswerten Radiogeräts, des >Volksempfärigers<, ermöglichte es, Reden von Hitler, Goebbels und anderen Parteigrößen anzuhören. Innerhalb weniger Monate seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1935 kündeten Parteiparolen, Flaggen, Reden und Aufmärsche von dem neuen Gebot, das Alltagsleben der Deutschen zu revolutionieren und rassenideologisch auszurichten. Im Jahre 1945 waren 10 Millionen Exemplare von Mein Kampf in Umlauf; die meisten deutschen Familien waren nun im Besitz des Buches. Die Nationalsozialisten bezeichneten Mein Kampf als die Bibel des deutschen Volkes, aber das wirft die Frage auf, wie bekannt das Buch wirklich war und wie gründlich die Leser es studierten. Es ist wahr, dass die Deutschen im Jahre 1933 fast anderthalb Millionen Exemplare kauften, aber in den acht Jahren vor der Machtergreifung hatten sie nur achtzigtausend Bände erworben, ungeachtet der Tatsache, dass 1 ,S Mi"'0' nen Deutsche zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb dieser Periode Parteimitglieder gewesen waren und dass 13,7 Millionen ihre Stimme für die nsdap abgegeben hatten. Zur Zeit der Wahlen vom Juli i932 waj die große Mehrzahl der Parteimitglieder nicht im Besitz von Mein Kamp1 Tatsächlich machten sich nur wenige Parteiführer die Mühe, das Buc zu lesen, auch wenn einige von ihnen Zitate daraus auswählten, um ihre Reden damit zu schmücken. Selbst SS-Rekruten, die geistige Elite des Dritten Reiches, fanden Mein Kampf schwer lesbar: »Es zeigt sich«, sehne ein SS-Offizier im Juni 1936, mehr als drei Jahre nach der Machtergreifung, dass Auszüge aus Hitlers Mein Kampf, die bei abendlichen Schulungs- J.kUn9,6 I Die DeUuche„ ^ H(|W »7» Veranstaltungen vorgelesen worden waren, von den Männern »nichi vollständig verstanden wurden, es ist notwendig, sie durch persönliche Vorträge zu erläutern«. Vieles davon ist »mit großer Leidenschaftlichkeit geschrieben«, konstatierte ein anderer Ausbilder taktvoll ODu-nsilns mngen«, Bundesarchiv). Nach .936 besaßen wahrscheinlich die tBdMCB Deutschen eine Ausgabe des Buches und ordneten es im Bücherschrank, diesem typischen Mittelklassemöbel, neben den klassischen Werken von Goethe und Schiller ein, nicht zuletzt um sicherzugehen, dass die Nachbarn oder der Briefträger, der die Rundfunkgebühren kassierte, es sehen konnten; aber sie lasen es nicht. Und bei Kriegsende wurden Millm nen von Exemplaren, die bei den Luftangriffen nicht vernichtet worden waren, ins Feuer geworfen. Es scheint, dass Mein Kampf in völlig opportu nistischer Weise angeschafft oder weggeworfen wurde. Mein Kampf wurde nicht ausgiebig gelesen, abgesehen von den Exemplaren, die den Gymnasien zugeteilt wurden, womit man in Preußen 1934 begann, und denjenigen, die für die ideologische Schulung gibraucht wurden, beispielsweise bei der ss. Damit erschöpft sich jedtxh nicht die Rolle, die Mein Kampf im Leben der Deutschen spielte. Duhllfc müssen wir auf die Eheschließungen zurückkommen. Zunächst einmal wurde die Autobiographie des Führers nur an deutsche Paare verteilt, was im Jahre 1936 eine ganz spezifische Bedeutung hatte: Deutscht, dir Ihre Rassezugehörigkeit als Arier nachgewiesen hatten. Gemäß den Verordnungen, denen sämtliche Standesämter unterlagen, gehörten alle Staatsbürger im nationalsozialistischen Deutschland in Übereinstimmung mit den Nürnberger Rassegesetzen vom September 1935 zu einer von vier Gruppen: Deutsche, Juden, Mischlinge ersten Grades und Mischlinge zweiten Grades. Die Gesetze, die die Heirat von Halbjuden und anderen regelten, waren kompliziert, aber sie verboten eindeutig Eheschließungen zwischen Deutschen und Juden. Insofern krönte die Ühcrrei-chung des Hiüer-Buches eine staatliche Zeremonie, die den rassischen Phantastereien entsprach, wie sie in Mein Kampf niedergelegt waren. Seine Verteilung diente damit auch als rassisches Unterscheidungsmerkmal, das Zugehörige von Außenstehenden trennte: Juden sollten das Buch weder lesen noch in die Hände bekommen. Bevor sie die Ehe schlossen «nd Mein Kampf erhielten, hatten deutsche Paare nachzuweisen, dass sie »Deutsche« waren. Ab 1936 mussten angehende Ehepaare ihre arische Rassezugehörigkeit durch notariell beglaubigte Geburts-, Heirais- und Sterbeurkunden für ihre jeweils vier Großeltern dokumentieren und diese Urkunden in einem Heft mit der Bezeichnung >Ahnenpass< zusammenfassen, einer Art genealogisches Ausweispapier. Im Gegensatz zum R«sepass gab es keine Standardurkunde für den Nachwe.s rassischer Reinheit. Bei ihrem Bemühen, ihr rassisches Selbst zu archivieren muss-te" die Deutschen die Dokumente eigenständig sammeln und binden Zukünftige Ehepaare mussten auch ihre genetische Gesundheit naen-weisen, was einen Besuch beim örtlichen Gesundheitsam. und we.tere 980 i. Mai 1936 I Die Deutschen lesen Hitler ' M»l '»6 I Die Deutzen 1, Dokumente erforderlich machte. Zusätzlich zur Vergabe von Mein Kampf versorgte das Standesamt die jungen Ehepaare mit Informationsschriften über die Zeugung rassisch wertvollen Nachwuchses. Schließlich erhielten sie noch ein vierwöchiges Probeabonnement für eine Zeitung, vorzugsweise die nationalsozialistische Tageszeitimg Völkischer Beobachter. Damit war Mein Kampf nur ein Element in einem breit angelegten Bemühen, die Deutschen dazu zu bringen, sich als Arier auszuweisen und sich auch als solche zu verhalten. Der Schwerpunkt lag auf dem Streben nach wahrem Deutschtum. Ob die Deutschen Hitlers Mein Kampf lasen oder nicht, sie wiederholten Hitlers eigenen Kampf um sein rassisches Selbst und traten so in Hitlers Augen und in ihrer eigenen Selbstwahrnehmung deutlicher als Arier in Erscheinung. Als die Deutschen in den letzten Kriegswochen damit begannen, ihre Exemplare von Mein Kampf und die anderen Unterlagen ihrer Rassenachweise zu verbrennen oder auf andere Weise zu entsorgen, sahen sie sich keiner leichten Aufgabe gegenüber. Die durchschnittlichen Deutschen waren nicht unbedingt Verbrecher, aber sie waren auch nicht nur unbeteiligte Zuschauer, denn das Leben im Dritten Reich beinhaltete das Streben nach rassischer Reinheit. Mein Kampf war nicht nur ein einzelner Band im Bücherschrank, sondern Ausdruck dess deutsche Lebens in der rassischen Welt des Dritten Reiches. Mein Kampf ist die maßgebliche Einzeldarstellung von Hitlers Weltan schauung. Sie wurde ursprünglich in zwei Bänden veröffentlicht, wobei der erste, mehr autobiographische Band mit dem Untertitel »Eine Abrechnung« im Jahre 192c erschien, während der zweite Band mit dem Untertitel »Die nationalsozialistische Bewegung«, der die Philosophie und Taktik der nsdap enthielt, zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Eine autorisierte einbändige >Volksausgabe< kam 1930 heraus. Mein Kampf macht unmissverständlich deutlich, dass Hitler sich als der berufene Führer der deutschen Erneuerung sah. Dass der 36-jährige Hitler ein autobiographisches Werk verfasste, weist auf die persönliche, messia-nische Rolle hin, die er sich selbst zuerkannte. Mit der Veröffentlichung von Mein Kampf wurde Hitler zum unumstrittenen Führer der nationalsozialistischen Bewegung, die Mitte der zwanziger Jahre einen kleinen, aber entschlossenen Anhang überzeugter Gläubiger gewonnen hatte und ihren ersten großen Wahlerfolg im Jahre 1930 errang. Darüber hinaus erlaubten Hitler seine persönlichen Überlegungen zu seinem Kriegsdienst und zur deutschen Kriegsführung im Ersten Weltkrieg, die den ersten Band beherrschen, diejenigen Themen einzuführen, die dann im zwe1' ten Band ausführlich dargelegt werden: seine Entschlossenheit, Lebensraum in Osteuropa zu erobern, seine Entscheidung, aus den Deutschen Arier zu machen und Deutschland von den Juden zu säubern, sowie seinen Glauben, dass ein wiederaufstrebendes Deutschland Frankreich und Russland besiegen müsse. Im Rückblick bekannte Winston Churchill, dass »kein Buch sorgfältigere Lektüre durch die politischen un militärischen Führungskräfte der Alliierten verdient gehabt hätte« (*t in Caspar, 3)- Immer wieder betonte Hitler, dass - , mcht tn der Wiederherstellung des Vorkriegssta^^,t ^ Verwirkhchung semer brologischen Bestimmung als einer Groß^ch Insofern lasst sich Mein Kampf als ein revolutionäres Werk versieh Da das Buch schlecht geschrieben und unzureichend ueghedcrt war, erhielt es einen immer umfangreicheren Index, der es dem User ermöglichte, nicht nur Hiüers Ansichten zu einem bestimmten Thema zu erschließen, sondern das Gesamtsystem seines Denkens zu erfassen Die Stichwörter unter dem Eintrag »Bürgertum« beispielsweise zeigen auf einen Blick den ideologischen Raum zwischen der Unken und der Rechten, den die Nationalsozialisten zu besetzen versuchten: Bürgertum: Bürgerliche Klassenparteien. - Parteiprogramme. - Versagen in der Rro.lu tion. - Versammlungen. - B. am Ende seiner Mission. - Energielosigkeit. - Mangel n Narionaktolz. - Unzulängliche Nationalgesinnung. - Hurrapatriotismus. - Soziale Sün den. - Kleinbürgertum und Handarbeiter. - Pazifistisch. - Vergisst die Polidk über da Wirtschaft. - Versagen in der Revolution. -Von der Revolution eingelangen. -Versagen in der Aulklärung über die Friedensverträge. - B. und Bismarck. - B. und Judentum. - B. und Rassenreinheit. - vgl. Intelligenz Alle Elemente von Hitlers Programm sind hier versammelt: Mobilisierung der nationalen Energie; Aufbau einer Volksgemeinschaft auf der Grund läge der Rasse, nicht einer Klasse; Neuauflage des verlorenen Weltkriegs So wichtig spezielle Äußerungen in Mein Kampf waren, und sie wirkten oft bis in die staatliche Gesetzgebung hinein, entscheidender ikxIi Rh die nationalsozialistische Gestaltung des Alltagslebens waren Ton und Syntax des Buches: die giftige, unbarmherzige Brutalität seiner Sitze, die rigorose, eindeutige rassische Entscheidung, die von den Deutschen gefordert wurde, die Eingliederung in die kampfbereite rassische Gemeinschaft. Wörter können wie winzige Dosen von Arsen sein, bemerkte Victor Klemperer über die nationalsozialistische Sprache: Sie werden unbemerkt geschluckt, scheinen zunächst keine Wirkung zu haben, und dann nach einiger Zeit setzt schließlich die Wirkung des Giftes ein. Mein Kampf stellt eine Welt dar, in der die Bereitschaft zum Kainpl die oberste Forderung und ständige Seinsweise ist. Mein Kampf verkündet die Notwendigkeit eines unbarmherzigen Kampfes und der bedingungslosen Hingabe jedes Einzelnen an die große Aufgabe der Zukunft Uber das ganze Buch verteüt, errichten die Substantive die Vision einer neuen fassischen Welt, die Adjektive bezeichnen die Dringlichkeit und die An strengungen des arischen Vorhabens, und die Verben betonen immer weder die Möglichkeit, Deutschland in dieser Form neu zu gestalten. Hitler schrieb Mein Kampf im Sommer und Herbst des Jahres .924. während er in der Festungshaftanstalt in Landsberg am Lech eine WM * seine Rolle im gescheiterten »Bürgerbräukeller-Putsch« vom Novem * '923 verbüßte. Es war jedoch nicht so sehr die Muße des Gefangn - als vielmehr die Erfahrung des vorangegangenen *oze!?"; *» zw Abfassung dieser Lebensbeichte trieb. Bis .924 hatte sicfl 03 982 i. Mai 1936 I Die Deutschen lesen Hitler nicht als der berufene Führer einer nationalen Revolution gesehen. Tatsächlich zeigte der Putsch, wie weit Hitler noch in den Kategorien von Allianzen mit bekannteren Figuren der politischen Rechten dachte, so etwa mit Gustav Ritter von Kahr, dem Generalstaatskommissar für Bayern, und besonders mit Erich Ludendorff, der Heldengestalt des Ersten Weltkriegs. In dem folgenden Prozess konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Medien zunächst auf Ludendorff; aber der sprach nur wenig und versuchte, sich von dem Putsch zu distanzieren. Es wurde immer deutlicher, dass der berühmte Militärbefehlshaber, der jeden Tag in voller Uniform vor Gericht erschien, nicht das neue Deutschland verkörperte. Hitler dagegen trug Zivilkleidung, grüßte seine Anhänger und verkün dete lauthals seine Absicht, das Weimarer System zu beseitigen. Dieses populistische Auftreten brachte Hitler in die Schlagzeilen aller deutschen Zeitungen. Sein Name war plötzlich in aller Munde. Aber noch entscheidender war, dass der Prozess Hitler und seinen Anhängern die Unzulänglichkeiten von Deutschlands traditionellen Eliten deuüich machte, ebenso wie die Wichtigkeit, die Öffentlichkeit zu überzeugen, und die Vorteile einer populistischen Politik. Paradoxerweise waren das Lehren, die dem demokratischen System entstammten. Die Zielstrebigkeit von Mein Kampf sollte den Leser jedoch nicht zu der Annahme verführen, dass der Text einzigartig war. In seiner maßlosen Verwegenheit reiht sich Mein Kampf in eine ganze Ansammlung von politischen Erlösungstraktaten aus den zwanziger Jahren ein. Ausgehend von der Erkenntnis der totalen Zerstörung in ihrer Gegenwart, benutzten diese Traktate die von ihnen geschilderte Katastrophe als Rechtfertigung für die völlige Erneuerung und Umgestaltung in der Zukunft. Ernst Jünger, Arthur Moeller von den Bruck, Carl Schmitt und viele andere beschworen furchtbare Gefahren im In- und Ausland, um ihre Vorschläge zu propagieren. Auf einer abstrakten Ebene war die Kultur der Weimarer Republik sowohl auf der Rechten wie auf der Linken gekennzeichnet durch den tiefen Eindruck, den die Forderungen der neuen Welt machten, die aus dem Weltkrieg hervorgegangen war. »Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg«, schrieb Hermann Hesse im Jahre 1932, »war unser Land voll von Wunderheilern, Propheten und ihren Jüngern, und hallte wider von den Vorahnungen der Katastrophe und der Hoffnung auf die Ankunft eines Dritten Reiches« (zit. n. Hass, 163). Mein Kampf reflektierte, ohne sie selbst auszulösen, die umfassen e politische Mobilisation, die in Deutschland nach der Novemberrevolution von 1918 eingesetzt hatte. Das Werk autorisierte einen brutalen, noc^ gradig chauvinistischen, aber volksnahen politischen Aktivismus, zahllose Nachahmungen von Mein Kampf hervorbrachte. Mitglieder er nsdap und des Frontkämpferbundes Stahlhelm betätigten sich bfW*K im autobiographischen Genre, beschrieben in ihren Reden ihren Pers liehen Eintritt in die Politik und ihre Erweckungserlebnisse, schilderte^ die Gründe, »warum ich Nationalsozialist wurde«, und wiederholte Mji nj(ti I Dir DeuiKhro leaen Ihr,,, ^ Hitlers Selbstdarstellung in Mein Kampf. In vieler Hinsaht war diese Prax. eine Fortsetzung der patriotischen Schrift«, und Veröffentlichung™ Z Briefe von der Front während des Ersten Weltkriegs. Künftige Partrmm glieder erinnerten sich, begierige Leser gewesen zu sein, die seht,,, in de, Schule von der Geschichte fasziniert gewesen seien, wie es Hitler von sh h selbst in Mein Kampf berichtet, und später entsprechende ZeitungsIxTu Im-verschlungen zu haben, bis ihnen schließlich ein nationalsoziahs.i« lu-s Blatt ia die Hände fiel, oder aber politische Veranstaltungen Ih-mkIh /.i haben, bis sie schließlich von diesem oder jenem nationalsozialistischen Redner überzeugt worden seien. »Nachdem ich das marxistische <;<• dankengut schon lange verworfen hatte, grübelte ich und gnil,clir u I,.. erinnerte sich ein Bergmann, der, als er 1928/29 Hitler las, spüru-, «„■ ihm dessen »Worte geradewegs ins Mark drangen« (Fritzsche, 171 1 im anderes künftiges Mitglied der nsdap, ein Lehrer aus Vorstrich-, hau.-in den zwanziger Jahren zwei Bücher auf seinem Arbeitstisch: »Adolf Hiders Mein Kampf und Karl Marx. Jawohl Karl Marx! ... Lernen, Lesen. Vergleichen« (Fritzsche, 172). »Schließlich«, gesteht der Lehrer, »verschwand Kar) Marx« von seinem Tisch; Hitler blieb. Das Bild von den Büchern auf dem Arbeitstisch sollte unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, in welchem Ausmaß Populärgesclm hu- in den zwanziger Jahren konsumiert und produziert wurde. Ernst von Salo-mon zum Beispiel beschreibt seine Lesewut nach dem Ersten Weltkrieg »Eine Zeitlang war ich von der Volkswirtschaftslehre fasziniert ... ninn. Taschen waren voller Broschüren und Statistiken ... dann wandte ich mich der Religion zu«, und später der »Literatur«, sodass in seinem Bücherregal »Rathenau und Nietzsche, Stendhal und Dostojewski. Ung behn und Marx zusammengewürfelt waren« (Salomon, 208. 214-215) Der historische Gesamtzusammenhang verdeutlicht die Grenzen einer Beschränkung des Interesses lediglich auf Hitler oder seine Schritten, viele andere Deutsche waren in den zwanziger und dreißiger (ahren im selben Fahrwasser. Die Überreichung von Mein Kampf im Standesaini im Jahre 1936 war deshalb weder völlig überraschend noch gänzlich um-r wünscht. peter fritzsche : Siehe auch 1932, 1935, 1937, 1939. 1946/1947 Bibliographie. Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1930. - Reichsminisierium d« Innern. »Dienstleistungen für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden... Biindrur chiv Berlin-Lichterfelde, R .501 /1274p, und Berichte im Rase- und SiedlunirJuupi um der SS, NS 2 / 131. - C. Caspar, »Man Kampf- « Best Seiler... in: Jnmh SM«Strfle Jo (■9S8). - Peter Fritzsche. »On Being the Subjects of History: N^"^nll™£"" tury Revolutionaries«, in: Igal Halfin. (Hg.), law and tonhiiiarTV Mttq IMHm Mitid Idemi.ies, London 2002. S. ,6,-184. - Ulrike Hass. Mihi«« Morde Zu Nr«« «er onlimodernen Beweauno im frühen 20. Jahrhundert, München ,993- »'clor Klc7* / ^ Notizbuch emes Philologen, Leipzig ,987. - Werner Maser. AMI Hute Mein Un.pf Omhrtt Kommentare. Esslingen f98,. - Barbara Zehnpfennig. H.um Me,n Kampf tm pretalion, München 2000. Eine Neue Geschichte der deutschen Literatur Originaltitel: A New History of Germern Literature Harvard University Press 2004 © 2004 by the President and Fellows of Harvard College © der deutschen Ausgabe: Berlin University Press 2007 Erste Auflage im September 2007 Alle Rechte vorbehalten Lektorat Christian Döring ^Ausstattung und Umschlag Gtoothuis, Lohfert, Consorten | glcons.de Der lesende Gartenzwerg wurde für eine Werbeaktion der Verlagsgruppe Random House entwickelt Satz und Herstellung Horst Brühmann, Frankfurt am Main Schrift Borgis Joanna MT Druck Druck Partner Rübelmann, Hemsbach isbn 978-3-940432-12-4 Die Übersetzung dieses Buches wurde großzügig gefördert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Einleitung 15 744 Der Zauber der Zaubersprüche 27 Um 800 Die karolingische Renaissance 34 Um 830 Helden- oder Volksdichtung? 39 Oktober 847 Eine volkssprachige Evangelienharmonie 46 93° Altnordische Literatur 58 August 1027 Klösterliche Skriptorien 65 1074-1119 Die mystische Darstellung einer Stadt 71 1147 Eine kosmologische Vision 78 II CO Eine Anthropologie der Kreuzzüge 84 22.-31. März IIJ7 Der Kaiser hat alles im Griff 91 Um 1170 Traumfrauen 97 Januar 1172 Devotion und Repräsentation 104 Um 117C-119C Der Archipoeta und die Vagantenlieder 11 o 1177-1197 Eine Satire auf die höfische Literatur 116 Pfingsten 1184 Das höfische Fest 123 1189 Hartmann von Aue, der dritte Kreuzzug und die Medizinschule von Salerno 130 Um 1200 Ansteckende Gewalt 138 Nach 1200 Eine Literatursprache? 146 Sommer 1203 Erlösung durch Erzählung 153