Ihr heisset mich Meister, und saget recht daran, denn ich bins auch. ^ ,j« $ * Ä 4; * * $ * * Komisch, daß mir dort keine Schneewälder begegneten, dort hätten sie eigentlich hingehört. Der einzige Wald, der mir von dort erinnerlich ist, war ein leibgeflochtener Wald. Auch wenn das reichlich gesucht klingt, kommt es der Wahrheit nahe: regelrechte Menschenbüschel haben sich da gezeigt, die im Vorbeistreifen flüsterten. Und dazwischen, von überall her, war die Kuckucksterz zu hören, dieses Huhu des Kuckucks, das sich die Leute zurufen, wenn sie sich im Wald verlieren. Und ausgerechnet in diesem seltsamen Wald riefen Ernst Kantorowicz, Stefan George und Friedrich Gundolf huhu, immerzu huhu, eher zaghaft als laut, sogar besonders zaghaft, als hätten sie sich verloren und könnten an frühere Beratungen nur anknüpfen mit einem Höchstmaß an Taktgefühl - huhu hier bin ich, aber stören will ich huhu auf keinen Fall. 214 Über ein Kleines werdet ihr mich nicht sehen, und über ein Kleines -werdet ihr mich wieder sehen. * * * * * * * * * * Sehr vorsichtig mußten sie sein, weil das Totenreich nicht der Ort ist, an dem sich Schönheit, Güte und Treue wie von selbst vereinigen. Zu viel von ehedem war in das Reich mit eingeschleust worden. Das feine Lächeln des Meisters zum Beispiel, das nun über dem abgefallenen Schüler hängen blieb, dem es bestimmt gewesen war, vor dem Meister und auch noch zu des Meisters Geburtstag, jenem 12. Juli, der auch Casars Geburtstag gewesen war, sterben zu müssen? zu dürfen? Lächeln von ehedem, unter dem sich der Kopf des schönen Gundolf wie von selbst senkte, da er sich noch immer zermürbt fühlte von den Stichen, die George in sein Herz gebohrt hatte, Herz, in dem noch frisch die eigenen Worte lebten: Meister, ich fühle des Versuchers Trug, ich kann nicht leben, wo du verneinst und bin nicht stark genug. * 215 Auch einige von uns sind, wenn nicht im Schnee, bisweilen in solchen Wäldern. Die, die seine Jünger waren, suchen noch immer verzweifelt die Nähe des Meisters, auch unser Neuzugang Geers sucht sie, obwohl er den Meister persönlich gar nicht gekannt hat. Kommt Wind auf, so sind es schlafwarme Hauche, die treiben die Jünger aus der modrigen Kühle auf eine Lichtung, zu der sie sich schleppen über Kristalle hinweg, an deren Kanten sie etwas Traumblut verlieren, sich dennoch schleppen, um ihren hellen Blick des Vergessens, Finger und Münder in die verwesten Reste von Blumen und Früchten und Leibern einzuwühlen. #< Huhu, der Wind scheint zu drehen, bisher hatte ich ihn vor der Brust, jetzt weht er in meinem Rücken, und meine Schuhe treten auf etwas, das knackt, Scherbenknacken unter dem dünnen Schneefilm. Huhu, wie schön Gundolf war, kaum ein anderer so schön auf dem Sterbebett, in die Hände ein jungfräulich katholisches Liliengebinde gelegt. Aber was hatte es Gundolf genützt, denn nun war der in Amerika frei gewordene Kan-torowicz hinzugekommen, leistete sich Scherze, daß es nur so knackte, und flötete sein sardonisches Good-willhuhu über den deutschjüdischrömischkatholisch-kaiserlichen Scherbenhaufen, über den sich nicht mehr gemeinsam hinwegschwärmen ließ. Wo ist dein Vater? * Ihr kennet weder mich noch den Vater. Wenn ihr mich kennetet, kennetet ihr auch den Vater. * Diese Wort redt Jesus an dem Gotteskasten, da er lehret im Tempel, $ Am Gotteskasten! Womöglich sprach Jesus seine folgenschweren Sätze in Nähe der Bundeslade, dieser hochheiligen transportablen Kiste. Die Kaaba ist auch so eine Kiste, wenn auch eine ungleich monumentalere, unübertroffen in ihrer hermetischen Schwärze. * Bei den Indern waren kuriose Kästen als Transportmittel in Gebrauch, geschnitzte aus Holz und mit Vorhängen versehene. Sie wurden auf die Rücken von Elefanten geschnallt und dienten den Würdenträgern als Hochsitze. Jesus wählte eine betont demütige Inszenierung, als er auf einer Eselin in Jerusalem Einzug hielt. Seht her, so viel kommt auf so wenig dahergeritten. Perfektes Umkehrverhältnis zwischen Hoch und Niedrig. & Grundsätzlich habe ich es lieber, wenn diejenigen, die hoch 216 217 hinauswollen, auch hoch daherkommen. Zum Beispiel würde mich eine Prozession von schaukelnden, rüsselnden Riesen sehr beeindrucken. Was gäbe ich darum, auf dem Rücken eines Elefanten die Königstraße entlangreiten zu dürfen. Generell ist der Elefant dem Esel an Komik weit überlegen. Wieviel Komik in ihm steckt, zeigt der Elefant, wenn er niederkniet. Gewurstel aus dicken Beinen und gerunzelten Schieferschlieren, die zusammen einen unwahrscheinlichen Berg bilden, nicht zu vergessen das Grinsen. Keine Ahnung, wie hinaufklettern auf einen Berg, der grinst. Jedenfalls bin ich der Freund dieses im Innersten sehr zartbesaiteten Berges und erzähle ihm Witze über Inder, die glauben, sie könnten einen Elefanten beherrschen. Alle Elefanten lieben meine Witze, fächeln mir Willkommensgrüße zu, schauen mich aus ruhigem Auge an, auch weiße, auch Moti, der alte einsame Elefant aus dem Musikzimmer von Satyajit Ray. Noch immer steht er in der kahlen Ebene, von wo ihn sein melancholischer Herr nicht mehr wegführt, seitdem er im verlassenen Zimmer den verlöschenden Kronleuchter in einer Schale Tee erblickt hat. Die schwarz umhangenen Augen des Inders blicken mich an und tragen mir auf, mich um Moti zu kümmern. Es gibt unendlich viele Tiere, die ich aufheitern müßte, ich fürchte, es geht weit über meine Kraft. ssf* Aus der Himmelsgurgel strömen die Flocken, es fleußt inzwischen nur so herab, flirrender Trubel aus allen Windrichtungen. Schon sind Gehsteige und Straßen weiß. Zentimeter um Zentimeter beginnt da ein heimliches Emporwachsen. Eine andere Stadt wächst über der aus Stein und Glas, eine weiche, mit schwimmenden Konturen, und ich wachse mit, bekomme die Augen nicht los von all dem weißen Wirbel vor. dunklem Grund, Auch die Flügel der Engel ächzen womöglich schon unter der Last des Schnees und müssen immer wieder frei geschüttelt werden. $ * Das Totengelichter, sonst so gierig, alles mitzuerleben, in unpassenden Momenten mitzugrinsen, Worte in meine Worte zu werfen, hier begegnet es mir heiter. Im Gestöber ist für Leichtigkeit und lockere Distanznahme gesorgt. 0 Es wird gesät verweslich und wird auferstanden unverweslich, jj* ... * * * * 0 2l8 219 4' -8- -s*. - *j| ■ 1 f t I j t f Bei Schnee gehe ich in verwegenste Begeisterung über, hochprozentiger Schneebrand in meinem System. Die Selbsterschließung Gottes in Ich bin der ich hin ist der schönste aller Kurzmonologe, in endloser Wortfolge zieht er durchs Universum. Auch die Triangel aus Vater, Sohn, Geist hat ihre Reize. Was sie ausrahmt und was sie einrahmt, ist nicht ohne, wie ich dem Jenseitsberater neulich mit der Hartnäckigkeit eines Mannes erklärte, der nicht mehr bereit ist, die Wirklichkeit zu schonen, wobei mir Stark nicht ganz folgen konnte, weil er sich zu fest an seine Mathematik klammert. % Alle wichtigen Töne klingen, als kämen sie von dort, aus jenem schwarzen Loch, zu dem man Zugang gewinnt, wenn man die Kreuzschlitzschraube herausdreht, erklärte ich Stark. Gib, oh Schwärze, hohen Mut! Gib Liebe, gib Treue, gib Wahrheit! Erhabene Worte im Herzen bin ich mit Joey im Arm ins Dunkel gelaufen, um an der Schraube zu drehen. * Die Schraube saß locker auf dem Loch, war aber ziemlich groß. Um sie zu bewegen, fühlte ich mich genötigt, sie mit beiden Armen zu umgreifen, und dafür ließ ich Joey los. Kaum hatte ich die Schraube berührt, erschien sie mir klein, ein Schräubchen nur, mit zwei Fingern zu greifen. '4 Meine Tiere hatten mich zu dem Wagnis angestiftet, die Toten waren viel zu feig dazu. Sie flatterten um die Schraube herum und wichen verstört zurück, als sich das Ich hin der ich bin unter dem Lachen bemerkbar machte, Lachen das immer lauter herausdrang, je mehr ich die Schraube nach links drehte. Als ich das Ohr an die Schraube legte, hörte sich das Gelächter wieder anders an. Es litt unter einem winzigen Räuspern, wurde verletzlich, ich hörte immer gieriger hin und fühlte mich geradezu leiblich mit ihm vermengt. *t< Wenn Gott durch das Ich bin der ich bin definiert wird, so werde ich durch das Michsehrwundern definiert, ließ ich meine verängstigten Toten wissen, ließ ich Stark wissen. Immer muß ich den Dingen auf den Grund gehen. Warum keine Gerechtigkeit? Ich komme von der Gewalt dieser Frage nicht los und kenne die Antwort nicht. Bis daß Himmel und Erde zergeht, wird nicht zergehen der kleine st Buchstäb noch ein TUttel vom Gesetze, bis daß es alles geschieht. * * * * * * * "* * * 4, * ' * "^f/T^pX ,yjP!i. .^J, .hCT. .-»p. ,..f-". Mir ist, als flögen die Flocken in mich hinein und aus mir heraus. Durch das Getreibe erfahre ich eine Neueinkörperung der vielen in mich, während sich andere auf die leichteste Weise wieder von mir verabschieden. Verwandtes treibt herein, Fremdes treibt hinaus, ohne den geringsten Schaden anzurichten. Und immer voraus, weiß wie das Leben, schwarz wie der Tod, rot wie die Unsterblichkeit, fliegt ein Admiral so geschickt, daß keine Flocke ihn berührt. Es handelt sich um meinen persönlichen Flugbegleiter, der sich mir zur Beruhigung ein winziges Pan-Am-Hütchen auf den Kopf gesetzt hat. * Admiral meiner Seele, der mich vom Eigenhunger erlöst. Ich kenne ihn aus Träumen, in denen er mir zeigt, wie man unter allen Verzugslasten hindurchfliegt, wie elegant sich Hindernisse umkurven lassen, wie elegant sich's über's stille Meer der Toten fliegt, und die dort versammelten Massen können einem nichts anhaben. Wie leicht es ist, der innig geliebten Mama zu winken, dem zärtlich geliebten Papa, und der Kummer hat nicht die Macht, einen ins Totenmeer hinabzuziehen. *fs Mein Admiral zeigt mir, wie ich ausschaue, wenn ich im Traum lächle. # Mein Admiral weißt mich auf Versuche hin, die der französische Arzt Baurieux mit den Köpfen von Verbrechern angestellt hat. Noch dreißig Sekunden nach ihrer 222 ■■■^■■■^^MjIMB Enthauptung reagierten die Köpfe auf Namenszuruf. Bei einem öffnete sich das linke Auge kon-templierend, als habe jetzt erst alles bedacht werden können, schloß sich wieder, öffnete sich nochmals und schloß sich wieder. Mein Admiral umschwebt die Köpfe mit großer Kennerschaft, deutet mir mit einem Zucken der Flügel an, worauf ich achten soll, zum Beispiel wie sich die etwas kalbsmäßige Miene des ersten Kopfes in einen Ausdruck wandelt, der vom Klugsein nicht mehr weit entfernt liegt. * O, o, o, jetzt ist der Grad erreicht, in dem ich in mir selbst gar nicht mehr vorkomme. Flockenwerfen aus großer Höhe, ausverleibte Dummheit entschwebt, Flok-kenwerfen die kreuz die quer, auswärtige Klugheit wird einverleibt, während eingefallene Münder auf mumifizierten Wörtern herumkauen und leere Augen rätseln, was sie zuletzt gesehen. O, o, Flockenspeien aus den Mündern der Propheten und immer wieder frisch Grüßgott, mein lieber Admiral, was ist mit den Bösen im Schnee, bleiben die Bösen böse und werden auch im Schnee nicht gut, oder wie es bei Zephanja heißt: Aber die bösen Leute wollen sich nicht schämen lernen. Wobei zu berücksichtigen ist, daß der Kleinprophet Zephanja in-einem Land lehrte, das eine so großzügige Reinheitsschüttung von oben nicht kannte, in der sich schämen leicht fällt, weil Milliarden guter Beispiele fallen und eine Gegend neu gestalten. O, welch ein Glanz, wenn sich die Finsternis über all den Schneehügeln, Schneedächern, Schneehauben weghebt, welch jauchzendes 223 Gefunkel an der Oberfläche und wieviel erregte Stille darunter. * Denn des Herrn großer Tag ist nahe, er ist nahe und eilet sehr. Ein Tag des Wetters und des Ungestüms, ein Tag der Finsternis und des Dunkels. Wieviel ungebrüllte Stille in all den verschütteten Materieteilchen unter dem Schnee, was für gewaltige Wahrheiten darin verborgen, wie viele ungelüftete Inkognitos. In den Lücken, die die ineinander verhakten Kristallärmchen frei lassen, wird mit Engelsfingern geliebt, werden schallarme Küsse getauscht. Weiches träges Flüstern in Aussparungen, die winzigen Grundrissen von Sakristeien gleichen. Ein Glaube schlürft den anderen, in ihren Eiswiegen rüsten sich die Himmlischen zur Wiederkunft, doch von oben ein Drücken, neue Schneemengen von oben drücken die Lücken zu und - Joey? * Mein Admiral zeigt mir, wie Joey lacht und lebt. * Er zeigt mir auch, wie sich 224 vor dem Deux Magots eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben nähert, ein einziger Fahrgast im Fond: der schweigsame Milliardär. Die Tür geht von innen auf, Joey steigt ein und fährt mit dem schweigsamen Milliardär davon, während ich vor Unruhe vergehe und über Nacht seine Milliarden mal dahin mal dorthin schichte, während ich bebe vor Haß auf schweigsame Liebkosungen. Zwei Nächte später kommt sie wieder herangerollt und spielt mir das Trugbild einer unversehrten Auferstehung vor, als wäre sie eben mal zu Gott geschlendert und von ihm zurückgeschlendert. Es ging über meine Kräfte, ich gab auf. Nicht mal der kleinste Strich ihrer Au-genbemalung hatte sich verändert. »i> Sprich, Ärger, sprich, damit ich allen Dreck aus meinem Gemüt hinausfege. * Seither habe ich Zuflucht genommen zur Sturztrunkenheit, zitternde Engelsfinger, Staub in der Stimme, gezielte Übungen in Boshaftigkeit, immer gereizt, Annäherung an einen Körper, dem sich die Knochen bald durch die Haut stoßen werden. * Wurde schon erwähnt, daß mein Freund Jim immer eine elektrische Heizdecke mit sich führte, der große Jim Morrison Nacht für Nacht auf Muttersuche unter einem elektrischen Heizdeckchen, Bottleneck, brandneuer Fender Rhodes-Keybord-baß, die dreckigsten Orgeltöne der Westküste und abends das Heizdeckchen, Kein Heizdeckchen der Welt hätte die Kraft gehabt, den erkalteten Leib meiner Joey ins Leben zurückzuwärmen. Schnee war schon eifrig bestrebt, sie zuzuwehen, taube, hekti- 225 sehe Minuten, Gefuchtel und kein letztes Wort. Der Schneeleib plötzlich so schwer, so fremd. Laufe jetzt weg von diesem Schauplatz, an dem ich mit Joey auf den Knien als weiß bestäubte Pietä am Straßenrand hocke, während die Kiefer ungut mahlen. Lautloses Knirschen statt einer Totenklage, die Gedanken in unverhinderten Geschäften dahin und dorthin, nein, nicht fromm, und kein vertieftes Anschauungsverhalten, sondern kleine Freude, wie akkurat die Auto-handschuhe an den Fingerkuppen sitzen. Ralphi-Darling unversehens allein auf der Via Mala, während der Tannenwald nickt. -t* Endlosecho am Kältepol, eine sternförmig leuchtende Les Paul am Himmel. Eintritt ins Reich der Wiedergänger, trotzige Un-empfindlichkeit des Ertappten. Ave, Ahh wehh, mein persönliches Totenbuch bleibt fortan zugeschlagen und wird nicht weiter ergänzt. * Es schreibt der Chronist keine leserliche Hand mehr, ihm fehlten Wille und Potenz, seine Geliebte aus dem Totenreich herauszutrauern. Er hatte die Gelegenheit dazu. Geh, sagte die Eule, nimm sie mit, halte sie fest mit dem einen Arm, mit dem anderen dreh die Schraube raus, dann spring mit ihr ins Loch. Hinter der Schleuse wird alles anders, alles gut. * Nichts wurde gut, weil ich Joey losließ und mit beiden Händen nach der Schraube faßte. Denke ich daran, wie ich Joey im Leeren schlotternd zurückließ, ertönt ein boshaftes Zwitschern, Eulenkükenzwitschern übergehend in Gesumm, Gesumm, wie's aus japanischen Automatenhöllen auf die Straße dringt. 226 * * ^ *l * * Iii * * * Alle Frösche haben ausgegeckt. Doch muss die Rechnung nicht so genau alle Minuten treffen. $ }p 0 ■ * * Wo steht geschrieben, daß man seine Geliebte immer um sich haben muß. Danke, ich verzichte fürs erste. Eine Geliebte ist dazu da, daß man sie zur rechten Zeit wieder ablegt. Erbitte eine Pause, in der ich mich auf den Lauf der Natur verlasse, die alles säubert und mich in ländliche Schneeruhe hüllt. #s Unter der Flockenbrause bekomme ich den Kopf frisch aus dem Ei wie ein Vogel, kriege ein neues Leben, frisch und saftig. Nur wer aus frisch gefüllten Saftkammern besteht, kann auf ein Jenseits hoffen, wo es mit ihm weitergeht fort und fort ohne verwirrende Liebespein. Neben einem Saftmenschen gehen die Toten ganz unbeschwert her, eine heitere Knochenherde, die auf Zuruf klappert, auf Zuruf verschwindet. So 227 •T ein hochprozentiger Saftmensch ist giftfest, seine Toten faseln nicht von Leberzellverfettung und Ent-markungsherden im Brückenfuß. In seinem Glia-strauchwerk hocken lauter Verkündigungsengel, erzeugen Vibrationen in Gold, Rotgold, Grüngold, Violettgold und lassen es ordentlich rauschen. Time passes, listen! Die Schöpfung ist offen und will erhört werden. ;(>: *|> e * * * * * * * * * * jj, * * * * * * Er nun gehe hin und ruhe! Er -wird zu seinem Erbteil erstehen am. Ende der Tage. * * * *. $ * Eine Schar Männer, meine versammelte Erbmannschaft, begleitet mich durch die Königstraße. Wir marschieren ruhig, wollen niemanden herausfordern. MacCruiskeen und Pluck bilden meine Eskorte, vor mir gehen Jack, der kleine Knopp, Jean-Francois, und der undeutliche Weidlich, in lockerer Formation daneben und dahinter Wir-verloren-Ditzie und Hat-uns-für-immer-verlassen-Demetrios, Wurde-mir-ent-rissen-Vati, Ist-für-immer-von-uns-gegangen-Rezzo, auch die Herren Reichert und Bosch si- beide entschlafen * ebenso Verschied-Benn, Entschlummer-te-Schuricke, Ging-zu-einem-höheren-Leben-ein-Gundolf und Antwortet-dem-de-profundis-Sange-George, auch Wurden-aus-unserer-Mitte-gerissen-Grzimek-und-Kaempfert, und natürlich die ruhigen Ewigkeitsschläfer Goethe, Herbert, Schneider, Heidegger, auch Rosenschläfer Rilke lässigen Schrittes, Ist-in-Frieden-heimgegangen-Kant, auch Heimge-gangen-Müller (Wilhelm) und Hat-sein-Daseyn-zu-Ende-gebracht-Dannecker, wie auch Fügte-sich-Gottes-Ratschluß-Linne, Hat-Gott-zu-sich-genom-men-Hill und Hat-Gott-an-sich-gerissen-Strindberg mit seinem in Stein gemeißelten Schlachtruf O Crux Ave Spes Unica! sowie andere zu höherem Leben eingegangene Fremdländer, Kellerschleicher Eliot, Nachtbegleiter Thomas und Nachtbegleiter Burton, nicht zu vergessen mein frecher Freund Michaux. Von hinten treibt Luther, im Tod so energisch wie im Leben, unsere Schar vor sich her. * Warum wir auf die Gesellschaft des letzten Königs von Württemberg verzichten müssen, obwohl die Königstraße zu ihm gehört wie zu sonst keinem, ist leicht zu verstehen: Der Mann ist zu beschäftigt, in tiefster Nacht noch immer damit beschäftigt, von Briefumschlägen selbst die geläufigsten Marken auszuschneiden, sie in Wasser zu lösen, zu trocknen und in Bündelchen schön geordnet an ein Wesen abzuliefern, das er für einen Abgesandten der Städtischen Brockensammlung hält. Auch andere, die wir gerne dabei gehabt 228 229 hätten, sind zu beschäftigt. Auf die Gesellschaft der beiden Arschlöcher Hier-ruhen-die-ehrsamen-Gat-ten-Murr und Antwort-aus-Zelle-Sieben-Hess legt niemand von uns Wert. >Js Auf Frauen wird in unserer Mannschaft ebenfalls verzichtet. Wir schließen aber nicht aus, daß Mama uns begleitet, über unseren Köpfen dahinfliegt, wie sie es immer tat, besorgt um die Herzensbildung unserer Schar, und damit wir ja nicht auf die Idee kommen, weitere Schnäpse zu kippen. $ Joey? * Ach was, Joey hat hier nichts verloren. Meine Männer verspüren Zorn in ihren gewesenen Eiern, sobald ihr Name fällt. Rücken an Rücken werden wir uns zusammenschließen, sollte sie es wagen, bei uns aufzukreuzen. * Joey kümmert sich nicht um seine Reden, geschweige denn xim die Mannschaft, die er zu seinem Schutz versammelt haben will. Großzügig wie eh und je läßt sie Küsse über sein Gesicht rieseln; auf Stirn, Wangen, Nase, Mund Flocke um Flocke ein überaus irdischer Kuß nach dem andern. Fühle mich plötzlich so durchleuchtet und erwärmt, rein und harmonisch will mir alles erscheinen. Spatzen picken im Schnee, vielleicht steht mein Haar in die Höh. * Und wohl zum ersten Mal bei solcher Beleuchtung sehe ich das junge Gebäude am Kleinen Schloßplatz schweben. Edler Solitär, zu eitel heller Freude entzündet und fürs gemeine Publikum noch nicht frei gegeben. Auch diese Architektur begehrt Gott zu erreichen, zumindest bei Dunkelheit. Sehe die Flocken in windschiefen Formationen vor der Fassade herabtrudeln, sandfarbener Fels hinter Glas, das muß ein kostbarer Stein sein, der Schutz braucht, nicht der bekannte Jurakalkstein aus Solnhofen. Womöglich wurde er am Sinai gebrochen, und Wüstenpropheten haben eine Urfassung der Heiligen Schrift hineingeritzt, daher die magische Wirkung. * Sehe Heerscharen von gewesenen Stuttgartern den Würfel umfliegen, sehe sie auf den Umgängen wandeln und auf dem Dach mit Flocken spielen, sehe, wie sie sich mit transsubstantiierten Händchen festmachen an der Glashaut, sehe sie übermütig turnen und sich wie erlauchte Peripatetiker auf den Brüstungen ergehen, sehe sie in allen Totenposen, den albernen, den erhabenen, den leichten. Joseph von Arimathia läßt ein großes Schneetuch vom Dach herunterfallen, das knattert in alle Welt, doch das Tuch ist leer. Menschensohn hat sich als Gott entdeckt, leb wohl mein Jesus, auch du bist in leichtere Materie eingegangen, bist aus dem Fleisch gefallen und rips raps ins Sittliche hinaufgestürzt, wohin man dir nur schwer folgen kann, auch wenn du ansteckende Beispiele die Menge gabst. $ * * * ,t * * * * * * * t * 230 231 * & ■ * Glaube ist eine verwegene Zuversicht 'auf Gottes Gnade. Solche Zuversicht macht fröhlich, trotzig und lüstig gegen Gott und alle Creaturn. * * * * * * * * * * Schon genug Schnee da, daß man ihn wegkicken kann, fällt jetzt immer hurtiger in immer kleineren Flocken. * Hier ist der für mich maßgebliche Teil der Königstraße zuende. Meine persönliche Desolation Row führt zu keinem Hafen, kennt weder Meer noch Wüste, aber in begnadeten Momenten Schnee, der das Herz betört und für die Liebe öffnet. Horch, die Geräusche werden immer leiser, nein, noch nicht fledermausleis. Wenn's ernst wird, lispelt Gott mit der Stimme eines winzigen Mädchens: Mein Frühling soll dein Winter sein. Aber es ist ja noch früh, viel zu früh, um mich in den Schnee zu stoßen, verschieben wir's und warten bitte einen andern Schneefall ab. * Schneeflocken werden gewiß auch in den Neckar fallen und sofort von ihm geschluckt, von dunklen Wellen geschluckt, da jetzt im April keine Eisschollen auf ihm treiben. * Der moderne 232 Neckar mit seinem künstlichen Bett bedeutet niemandem etwas. Man lebt in Stuttgart vollkommen neckarabgewandt, sucht den Neckar nur in Gedichten. In seltenen Fällen zeigt er sich in Träumen, wo er das Kolorit des Styx annimmt. * Selbst Hölderlin, der doch keinerlei Grund gehabt haben kann, sich über den Neckar zu beklagen, scheint nicht ganz zufrieden mit ihm gewesen zu sein. Wohl wahr: wie Leben aus dem Freudenbecher, glänzte die bläuliche Silberwelle. Aber des Dichters Auge entflieht alsbald zu den griechischen Inseln, als habe es am Neckar nicht genug, wenn es auch am Schluß zu des Neckars lieblichen Wiesen und Uferweiden zurückkehrt. Überhaupt hat Hölderlin versäumt, Paradiesluft zu wittern über den Hügeln Stuttgarts, den damals mit Fug und Recht herrlich zu nennenden. Trotz allen Lobes, trotz aller Einkehr mußte die so wohl zwischen Wald und Reben gebettete Stadt vergriechischt werden. * Jetzt heißt's, eine Drehung von 320 Grad machen und das eigentliche Ziel ansteuern. Feuchtigkeit kriecht den Nacken runter, es ist einfach nicht kalt genug, um trocken durch den Schnee zu kommen. * Wundersame Gehstille, hier findet man nur noch Gespenster. Kein Mensch mehr auf der Straße, die Gevierte hinter der Taxisäule beschneit und ohne Wagen. Mit einem einzigen Fahrgast wartet ein erleuchteter Bus am Halteplatz, sein Fahrer hat den Kopf über der Zeitung. * Wie ein Kind - Kind, das ich nie war, um bei der Wahrheit zu bleiben - freue ich mich auf den Fröhlich, sehe mich 233 ■BBHi schon den Schnee aus den Rillen der Sohlen klopfen, die paar Stufen im Eingangskasten hochsteigen und darin meinen Mantel ausschütteln. Sehe mich die Klinke niederdrücken und ja, da wäre ich, Peha-Ralphi mit all seinen Säften und Kräften ist wieder da und freut sich an der Wärme des Fröhlich. Ordentlich hängt er seinen Mantel auf und legt sich das feuchte Haar zurecht wie ein Altstadtstrizzi, der vor kurzem ins Altherrenfach gewechselt ist. Sein Jenseitsberater sitzt im angestammten Eck, wo er wartet und winkt. Und dann wollen wir mal mit der Prozedur des Hinsetzens beginnen, als kämen wir gerade von einer Weltreise zurück und müßten uns an die alte Umgebung erst gewöhnen. Wie der Glaube zappelt und kämpft! Christus ist durch den Vorhang gegangen, zu Gott. * * Natürlich wird's eine Weile dauern, bis wir richtig in Fahrt kommen und die Levitationen beginnen. Stark wird aber rasch begreifen, daß wir uns heute auf Jesus konzentrieren müssen. Er wird wissen wollen, was es mit der Kreuzschlitzschraube auf sich hat und warum Jesus sich selbst erst durchs Loch winden mußte, um derart ansteckend lachen zu können. Sehe meinen braven Stark schon rechnen, rechnen, rechnen. Endsummenspiele auf Bierdeckeln sind ja sein Lieblingssport. Und er wird ganz wild werden, wenn er von der einen mutigen Dichterseele hört, die sich aus der Schar der Toten löste und ins Loch rief: Im Ganzen sei zwar nicht mehr viel an ihr dran, aber wenn Jesus mit einem Tropfen Fett und einem Faden Muskel vorlieb nehmen wolle, bitte, sei sie bereit - 234