Lehr- und Lernziele | 1 Lehr- und Lernziele Thesen Das Aufstellen und Transparentmachen von konkreten Lernzielen ist gerade in modularisierten Studiengängen von großer Bedeutung und unterstützt studentisches Lernen. Durch konkrete Lernziele wird Studierenden verdeutlicht, was sie in einer Veranstaltung explizit lernen werden. Lernziele sollen auf der Grundlage der Vorkenntnisse der Studierenden und den bestehenden Lehrbedingungen formuliert werden. Konkrete Lernziele dienen, was (methodische) Planung und Strukturierung von Veranstaltungen angeht, auch den Lehrenden. Lernziele sind so zu formulieren, dass die zu erlangenden Kenntnisse und Fähigkeiten konkret benannt werden. Durch die Operationalisierung von Lernzielen ist eine Überprüfung des Lernerfolges möglich. Was sind Lernziele? Jeder, der mit der Aufgabe konfrontiert ist, Wissen weiterzugeben, wird sich früher oder später mit der Formulierung von Zielen seiner Handlungen befassen müssen. Dass Ziele für Lernprozesse notwendig sind, ist unstrittig. Welcher Art sie seien sollen und wie sie formuliert werden müssen, fördert bereits eine größere Bandbreite an Auffassungen zutage. Gleichzeitig entsteht in der Praxis aber der Eindruck: Über Ziele muss eigentlich nicht gesprochen werden, sie sind selbstverständlich. Viel entscheidender (und interessanter) scheint deshalb im ersten Augenblick die Frage nach der Auswahl der richtigen Methode zu sein. Lehr- und Lernziele | 2 Fragt man aber genauer nach, welche Ziele in dieser oder jener Seminarsitzung oder Unterrichtsstunde verfolgt werden, so bleiben die Antworten der so Befragten merkwürdig diffus: „Die müssen eben verstanden haben, wie es zu dieser Entwicklung kam“ oder „Sie sollen diese Aufgaben bearbeiten können, die ich in der Sitzung exemplarisch besprochen habe“. Grund genug also, der Frage, was Lernziele ausmacht und wie sie beschaffen sind, in dieser Synopse in aller Kürze nachzugehen. Lernziele entstehen vor dem Hintergrund eines spezifischen Verständnisses von Lehr- und Lernprozessen Bei der Durchsicht der allgemeindidaktischen bzw. fachdidaktischen Literatur setzt sich das in der Befragung erhaltene diffuse Bild fort: Was ist ein Lernziel und wie soll es beschaffen sein? Die zuständige Literatur – so scheint es – kennt viele Antworten. Jank und Meyer zeitigen dieses Problem: Sie weisen zunächst auf den wichtigen Unterschied zwischen Lernzielen und Lernergebnissen hin. Lernziele beinhalten das Element des Gewünschten und setzen in iher Artikulation in dieser Hinsicht Normen. Sie sind also präskriptiv. Ob diese Normen dann im eigentlichen Lehr-Lernprozess erfolgreich umgesetzt werden, ist in jedem Fall zu prüfen. Die erreichten Ergebnisse sind dagegen deskriptiv. Sie sind beschreibbar und können deshalb mit der Zielsetzung verglichen werden (vgl. Jank/Meyer 1994, 301f.,62ff.). Auf Unterrichtsprozesse bezogen heißt das: Im Idealfall kann durch die Versprachlichung eines Lernziels beschrieben werden, wie sich der Lernende durch den Unterricht bzw. den Lernprozess in seinem Verhalten verändert. Da Veränderungen nicht immer beobachtbar sind, weil sie z.B. mentale Einstellungen betreffen, empfehlen Jank und Meyer hier die Begrifflichkeit zu erweitern und besser von Verhaltensdisposition zu sprechen (vgl. Jank/Meyer 1994, 302). Im Anschluss dieser Ausführungen könnte der Eindruck entstehen, dass die Formulierung von Lernzielen und ihre Anordnungen dem jeweiligen Lehrenden frei überlassen sind. Dies ist mitnichten so. Die Formulierung von Lernzielen erweist sich als in aller Regel an eine Vorstellung darüber angelehnt, wie Lernprozesse ablaufen, wovon sie beeinflusst werden und aus welchem Bereich der Gegenstand stammt, der vermittelt werden soll. Diese Fragen werden in der Allgemeinen- und der Fachdidaktik thematisiert. In diesem Zusammenhang werden nun zur weiteren Illustration zwei klassische Ansätze herangezogen, um das Feld zu begrenzen: Zum einen der Ansatz des Hamburger Modells nach Wolfgang Schulz und zum anderen ein Ansatz von Christine Möller, der sich auf die Curriculumtheorie stützt. Lehr- und Lernziele | 3 Lernziele – formuliert mit gesellschaftskritischem Impetus In den siebziger Jahren entwickelte der Hamburger Pädagoge Wolfgang Schulz in Ergänzung des Berliner Ansatzes seines Lehrers Paul Heimann eine erweiterte Vorstellung von den Einflussfaktoren, die die Planung und Analyse von Unterricht bedingen. Er ging davon aus, dass die Unterrichtsprozesse nicht mehr nur auf den schulischen Raum konzentriert werden könnten, sondern vielmehr eine Verantwortung des Planenden auch darin bestünde, Schülerinnen und Schüler zu emanzipieren, damit sie eine gesellschaftliche Teilhabe aktiv ausüben könnten. Der Blickwinkel des Planenden muss daher nicht nur die individuelle Situation der Lernenden in psychologischer und anthropologischer Hinsicht bei der Planung berücksichtigen, sondern auch die gesellschaftliche Realität kritisch mitbedenken. Was heißt das nun für die Entstehung von Lernzielen? Schulz formuliert vor dem Hintergrund einer grundlegend kritischen Betrachtung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen drei wesentliche übergeordnete (perspektivische) Lernziele: Die Lernenden sollen Kompetenz, Autonomie und Solidarität erwerben, um gesellschaftliche Widersprüche zu erkennen, ggf. auszuhalten und teilweise zu überwinden. Dabei sollen sie von den Lehrenden unterstützt werden. Ausgangspunkt für die Lernprozesse ist nach Schulz immer die Schaffung von inszenierten Erfahrungsanlässen. Diese lassen sich grundständig den Bereichen der a) Kognition, b) der Psychomotorik und c) der Affektion zuordnen. Alle Bereiche werden in drei unterschiedlichen Komplexitätsstufen erworben: Sie reichen von a) der Anbahnung (z.B. im Bereich der Kognition durch Verständnis oder Kenntnisnahme) über b) die Entfaltung (z.B. durch die Analyse oder Synthese) bis c) zur Habitualisierung (z.B. im kognitiven Bereich die Befähigung zum Urteilen) (vgl. Kron: 2008, 98). Die konkrete Formulierung von Lernzielen, die diesen Erfahrungsanlässen eine Richtung geben, orientieren sich also einerseits an den gewählten Themen, den Erfahrungsaspekten, und andererseits an den Intentionen, den Absichten des Lehrenden. Die Intentionen lassen sich durch die bereits erwähnten übergeordneten Lernziele Kompetenz, Autonomie und Solidarität beschreiben. Die Themen lassen sich unter Sacherfahrung, Gefühlserfahrung und Sozialerfahrung subsummieren (vgl. Kron: 2008, 103). Zusammenfassend ist deutlich zu erkennen, dass Lernziele in ihrer Formulierung relativ abstrakt bleiben, vielmehr wird eine Matrix vorgegeben, die die Fluchtpunkte für mögliche Formulierungen bildet. Lehr- und Lernziele | 4 Lernziele – aus amerikanischer Sicht Abweichend dazu der Ansatz von Christine Möller: Lernziele, die im Kontext des Ansatzes der US-amerikanischen Curriculumtheorie formuliert werden, haben einen völlig anderen Hintergrund als der Ansatz von Wolfgang Schulz. Dieser Denktradition liegt ein positivistisches Wissenschaftsverständnis zugrunde, d.h. Unterrichtsprozesse werden als rationale, planbare und zielorientierte Prozesse wahrgenommen. Ferner: Unterrichtsprozesse sollen auf einer höheren Ebene dazu beitragen, dem gesellschaftlichen Gesamtzweck dienen, Wohlstand, Glück und Erfolg zu maximieren. Die hier bereits erkennbar stark ausgeprägte Zielorientierung hat Anleihen bei anderen rationalen Denktraditionen genommen: Skinner und Bloom (Lernzieltaxonomien) können hier beispielhaft genannt werden. Drei Schritte bedarf es nach Möller um Lernprozesse in sich schlüssig aufzubauen: a) die Planung, b) die Lernorganisation und c) die Kontrolle des Erreichten. Mit Blick auf die Planung sollten zunächst die möglichen Ziele gesammelt und formuliert werden, bevor dann eine Gewichtung vorgenommen wird. Am Ende steht die Entscheidung, welche Lernziele tatsächlichen Eingang in die Planung finden (vgl. Kron: 2008, 106; vgl. Möller: 2006, 75ff). In Ergänzung zur Bestimmung der Bereiche nach Schulz, in denen Lernziele angesiedelt werden können, formuliert Möller konkrete Qualitätsmerkmale an die Formulierung eines Lernziels (ebd.): Ein Lernziel muss exakt benennen, welches Verhalten von Lernenden nach1. Abschluss des Lernprozesses gezeigt werden soll. Ein Lernziel muss konkrete Angaben zu den Rahmenbedingungen enthalten, d.h.2. woran und unter welchen Bedingungen etwas getan werden soll. Ein Lernziel muss nachvollziehbare Aussagen dazu enthalten, woran erkannt werden3. kann, ob ein Lernvorgang erfolgreich war. D.h., es muss ein Qualitätsmaßstab benannt werden. Die weiteren Begrifflichkeiten dieses Ansatzes „Planung des Lern-Soll-Verhaltens“ und „optimale Anordnung von Lernschritten“ (zit.n. Kron: 2008, 108) lassen an einen kybernetischen Regelkreis denken. Möller geht es aber eher, mit Blick auf die USamerikanische Tradition, um die Verbesserung des Endprodukts des Lernens und nicht hauptsächlich um die Optimierung der einzelnen Lernschritte (vgl. Kron: 2008, 104). Lehr- und Lernziele | 5 Anforderungen an die Entwicklung von Lernzielen Um für einen Lernprozess sinnvolle Lernziele zu formulieren, bedarf es ohne Anspruch auf Vollständigkeit zunächst dreierlei: Lernziele basieren in ihrer Anlage und Formulierung auf bestimmten Denk- oder Theorietraditionen. Nicht immer folgen diese Traditionen im Alltag einem geschlossenen Konzept (wie die beiden exemplarisch hier vorgestellten Ansätzen) dennoch sollte eine Selbstvergewisserung erfolgen, welchem Lern- und Lehrbegriff man sich als Planende/r verpflichtet fühlt. Lernziele müssen bestimmten Qualitätsmerkmalen genügen (Verständlichkeit, Präzision i.S. von unmissverständlich, sie müssen Inhaltsbereiche benennen bzw mit ihnen in Verbindung stehen). Einen Vorschlag dazu liefert z.B. Möller. Die Planung von Lernprozessen bedarf einer Vielzahl von unterschiedlichen Lernzielen. Welche Bereiche bei der Planung berücksichtigt werden können, zeigt exemplarisch der Ansatz von Schulz. Eine interessante Ergänzung und Neukonzeption ist auch bei Klafki zu finden (vgl. Klafki: 2005, 122ff). Schließlich ist in der Praxis immer die Frage zu klären, wie die (mühsam) formulierten Lernziele in konkrete Handlungsanweisungen und Arbeitsaufträge und die damit verknüpfte Gestaltung von Lernumgebungen überführt werden können. Diese Aufgabe, die in der Didaktik als „Operationalisierung“ bezeichnet wird, ist Gegenstand eines weiteren Dokuments (siehe Operationalisierung von Lernzielen). Literatur Jank, W., Meyer, H. (1994): Didaktische Modelle. Frankfurt/Main, 3. Aufl.1. Schulz, W. (1991): Ein Hamburger Modell der Unterrichtsplanung. Seine Funktionen in2. der Alltagspraxis. In: Adl-Amini, B., Künzli, R. (Hrsg.) (1991): Didaktische Modelle und Unterrichtsplanung. München, 3. Aufl., 49 – 87. Klafki, W. (2005): Die didaktische Analyse. In: Baumgart, F., Lange, U., Wigger, L. (Hrsg.)3. (2005): Theorien des Unterrichts. Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben. Bad Heilbrunn, 122 – 134. Kron, F. W. (2008): Grundwissen Didaktik. München, 5. Aufl.4. Lehr- und Lernziele | 6 Möller, C. (2006): Die curriculare Didaktik. In: Gudjons, H., Teske, R., Winkel, R. (Hrsg.)5. (2006): Didaktische Theorien. Hamburg, 12. Aufl., 75 – 92. Funktion und Wirkungsweise von Lehr- und Lernzielen Wieso ist es überhaupt notwendig, sich die Ziele klar vor Augen zu führen? Anfänglich wirkt eine solche Forderung wie reine Schikane – wozu soll man ausformulieren, was sowieso klar ist: die Studierenden sollen eben lernen, was in der Vorlesung oder im Seminar dran ist. Aber so einfach ist es nicht: Erstens gibt es in der heutigen Zeit nur wenig Wissen, dessen Erwerb reiner Selbstzweck ist. Da viele Fakten des modernen Lebens ständig aktualisiert werden müssen, ist es unerlässlich, sich auch und gerade als Lehrende/r zu fragen, wozu dieses Wissen, diese Fertigkeiten oder Fähigkeiten dienen sollen, und dies im Blick zu haben. Zweitens ermöglicht nur eine genaue Formulierung der Ziele auch eine exakte Analyse der Lernvoraussetzungen. Da Dozent/inn/en naturgegeben Fachleute in ihren Bereichen sind, vergessen sie allzu oft, dass ihre Studierenden es (noch) nicht sind. Dinge, die für Lehrende an der Hochschule selbstverständlich sind, können für Studierende, insbesondere in den ersten Semestern, kompliziert sein. Lehr- und Lernziele | 7 Was sagen Studierende? "Am Anfang der Vorlesung sollten die Dozierenden auf jeden Fall einmal ganz klar sagen, was alles vorkommt. Das Schlimmste sind Dozierende, die einfach reinkommen und mit dem Stoff anfangen, und man weiß nicht, was los ist." (4. Mastersemester Maschinenbau) Wie detailliert macht das Ausformulieren von Zielen Sinn? Versetzen wir uns probeweise an die Stelle eines durchschnittlichen (nicht eines brillanten!) Studierenden. Wenn die geplante Lehrveranstaltung besucht oder die gegebene Aufgabe angegangen wird, wie geht es ihm/ihr dabei? Welche fachlichen Schwierigkeiten können auftreten? Welches Vorwissen 1 muss aktiviert werden und ist dies aus der Lehrveranstaltung abzuleiten oder müssen andere Quellen herangezogen werden? Welche psychologischen Hindernisse 2 sind eventuell zu überwinden? Wie wirken die Räumlichkeiten, die Gruppengröße, die Sitzordnung 3 , das Verhalten der anderen Studierenden oder des Dozenten4 , die Präsentationsform während der Sitzung und die Ankündigungen im Blackboard 5 ? All diese Aspekte beeinflussen das Lernen und müssen vom Lehrenden zumindest einkalkuliert, besser noch in seinem Sinne beeinflusst werden. Also macht es auch Sinn, sich über all diese Details Gedanken zu machen. Und nur wenn die Lernvoraussetzungen geklärt sind, können die Ziele formuliert und in den Lernprozess eingeordnet werden. Dies sollte dann genauso detailliert geschehen. Genügt es, allen Beteiligten die Ziele für jede einzelne Sitzung bewusst zu machen? Es ist sehr verlockend, mit dem Thema einer Einzelsitzung (das man gerade als Experte/Expertin faszinierend findet) das Ziel der gesamten Veranstaltung aus den Lehr- und Lernziele | 8 Augen zu verlieren. Will man z.B. den Studierenden eigentlich ein Grundverständnis mathematischer Beweistechniken nahebringen, so kann es passieren, dass man eine bestimmte Beweisidee wie die vollständige Induktion sehr technisch kommuniziert. Damit hätte man das eigentliche Lernziel zugunsten eines untergeordneten Aspektes vernachlässigt und gleichzeitig bei den Studierenden den Eindruck erweckt, mathematische Beweise seien eine ideenlose technische Bastelei. Es macht also Sinn, die eigenen Planungen mit etwas Distanz zu betrachten und sich kritisch zu fragen, ob die Akzentuierung an den (Grob-)Zielen ausgerichtet wurde. Außerdem kann eine Lehrveranstaltung neben den geplanten Zielen eine Summe von weiteren Aspekten unbewusst transportieren. Stets werden Grundauffassungen vom Lernen und vom Leisten, Meinungen über den eigenen und andere Fachbereich/e sowie das Selbstbild des Lehrenden dargestellt. Das hat alles seine Berechtigung, sollte jedoch an den eigentlichen Zielen gemessen werden. Was verändert sich, wenn man sich dezidierte Gedanken über die Lehr- und Lernziele macht? Gut geplante Lehrveranstaltungen machen alle Beteiligten zufriedener! Wer zu Beginn des Semesters oder einer Einzelsitzung für sich und andere deutlich macht, was am Ende herauskommen soll, wirkt verlässlich, strukturiert und transparent und begegnet den Studierenden auf Augenhöhe. Werden die Ziele für die Studierenden offengelegt, so können sie sich zudem selbst an ihnen messen. Sie können sich ihre Lernfortschritte bewusstmachen und diese reflektieren. Damit gewinnen sie im Idealfall die Voraussetzungen, ihr eigenes Lernen in Zukunft selbst zu steuern. Werden die Ziele dann noch erreicht, ermöglicht dies den Studierenden nicht nur einen angemessenen Lernfortschritt, sondern vermittelt ihnen auch das Gefühl, dass ihr (erfolgreicher) Lernprozess im Mittelpunkt steht. Das fördert eine positive Lernatmosphäre. Vorwissen ist nicht verlässlich und schwer kalkulierbar. Die Studierenden waren auf den1. unterschiedlichsten Schulen, manche haben ihre Schulzeit schon seit längerem hinter sich. Und in den Richtlinien und Lehrplänen hat sich in den letzten Jahren viel getan – was man selbst in der Schule gelernt hat, ist kein Maßstab für aktuelle Erstsemester. Es lohnt sich, hin und wieder einen Blick in die gültigen Vorgaben (www.standardsicherung.nrw.de) zu werfen. Es ist auch in keinster Weise ungewöhnlich, dass Studierende, die eine Anfängervorlesung besuchen, das Schulwissen für Lehr- und Lernziele | 9 dieses Fach nicht mehr in seiner gesamten Breite präsent haben. Vermutlich kennen sie auch nicht alle Abkürzungen und Fachbegriffe. Wenn man diese kurz erläutert, fällt den Studierenden von Beginn an der Einstieg leichter. In den ersten Wochen des Studiums haben viele Studierende noch keine feste Bezugsgruppe unter2. ihren Kommilitonen gefunden. Der fehlende Austausch mit anderen verleitet dazu zu glauben, man sei allein mit einem Problem. Isolation und Resignation können die Folge sein, wenn der Lernstoff als Gesamtberg und unüberwindbares Hindernis wahrgenommen wird, anstatt in bewältigbare Häufchen strukturiert zu werden. Indem Sie Struktur anbieten, unterstützen Sie Ihre Studierenden dabei, diese Hürde zu meistern. Ein Hörsaal kann sehr einschüchternd wirken. Man geht durch eine scheinbar gewöhnliche Tür und3. betritt ein Auditorium von der Größe einer antiken Arena. Es gibt eine Unzahl von Tafeln, die Studierenden sitzen dichtgedrängt in engen Reihen, zwischen denen es kein Durchkommen gibt. Die technischen Gegebenheiten (Tablet-PC, Beamer, Mikrofone und Lautsprecher) tun ihr übriges, um die tatsächliche räumliche Distanz zwischen Dozent und Publikum gefühlt noch zu vergrößern. Aus ihrem bisherigen Lernerleben kennen Anfängerstudierende so etwas nicht. Mehrere Hundert andere Studierende können trotz ihrer Anzahl dem einzelnen ein Gefühl von Isolation geben. Eine wesentlich angenehmere Atmosphäre lässt sich in einem kleinen Hörsaal oder einem Seminarraum schaffen. Dort ist auch die Anordnung der Tische ausschlaggebend für die Kommunikation unter den Studierenden. Wenn es keine Möglichkeit gibt, Tischgruppen zu stellen, kann es immer noch Sinn machen, die Studierenden hin und wieder aufzufordern, sich mit ihren Nachbarn vorne, hinten, rechts und links über eine bestimmte Fragestellung auszutauschen. So können sie ihre Gedanken mit denen der anderen vergleichen und hoffentlich davon profitieren. Ohne diesen Austausch besteht die Gefahr, dass die Studierenden ihre Kommilitonen aus der Entfernung entweder als souveräne Überflieger oder als desinteressierte Chaoten wahrnehmen. Nur Austausch hilft, über den evtl. fehlerhaften ersten Eindruck hinwegzukommen. Studierende neigen insbesondere zu Beginn ihres Studiums dazu, ihre Dozenten überhöht als4. unnahbar wahrzunehmen. Die Preisgabe einiger persönlicher Mini-Fakten macht einen Professor menschlich und echt. Natürlich sollen Sie keine Geheimnisse über den letzten Ehekrach verraten, aber Details über Familie, Hobbys, Sport oder die eigene Jugendzeit können bewirken, dass Ihre Studenten Sie interessant finden und Ihnen aufmerksamer zuhören. Manchmal verstärkt die Kommunikation über eLearning-Plattformen und ihre Foren noch die Distanz5. zwischen Lehrenden und Lernenden. Dies kann reduziert werden, indem auch hier auf die Grundregeln der Höflichkeit geachtet wird: Anrede und Grußformel schaffen Respekt und vermitteln den Eindruck, dass die Information der Studierenden nicht nur lästige Pflicht ist. Ein Bild oder Avatar erhöht den Wiedererkennungswert und vermittelt eine persönliche Note. Der stetige Hinweis auf Hilfsangebote verstärkt den Servicegedanken, der hinter den zahlreichen online-Angeboten steht. Lehr- und Lernziele | 10 Typen und Stufen von Lernzielen Bei der Vorbereitung einer Lehreinheit ist es von Bedeutung, sich einen Überblick über die Verortung der zu verfolgenden Lernziele zu verschaffen. Jedes Lernziel ist eingebettet in vorangehende und nachfolgende Lernziele. Die vorausgegangenen Lernerfolge sind wesentliches Fundament für die erfolgreiche Aneignung des neuen Wissens und Könnens. Gleichzeitig bereitet dieses Wissen auf die noch folgenden Lernschritte vor. Nicht immer liegen die Lernziele dabei auf der gleichen logischen Stufe. Für das Erreichen der jeweils nächsten Stufe ist es für den Lernerfolg notwendig, dass die Grundlage der unteren Stufen gelegt ist. Richt-, Grob-, und Feinlernziele Richtlernziele Richtlernziele lassen sich am besten als Lernfelder beschreiben. Sie geben lediglich das Gebiet an, aus dem der Lernende sein Wissen beziehen soll. So sind „Kenntnisse aus dem Bereich der Marktbeobachtung“ oder „Kompetenzen aus dem Bereich Teamarbeit“ gute Beispiele für Richtlernziele. Groblernziele Im Gegensatz zu den Richtlernzielen geben Groblernziele bereits Fertigkeiten und Kenntnisse an, die vermittelt werden sollen. Groblernziele sollten dementsprechend als Fähigkeiten oder Fertigkeiten formuliert werden, über die der Lernende nach erfolgreichem Lernprozess verfügen soll. Feinlernziele Feinlernziele strukturieren sowohl die einzelne Unterrichtseinheit als auch kleinere Abschnitte einer Seminarreihe. Die Feinlernziele werden ähnlich wie die Groblernziele als Kompetenzen und Tätigkeiten formuliert. Jedoch sind es in der Regel Teilziele, die Lehr- und Lernziele | 11 mit einer oder einer überschaubaren Anzahl von Lerneinheiten zu erreichen sind. Sie leiten sich aus den Vorgaben des zu erreichenden Groblernziels ab. Es obliegt dem/der Lehrenden, die Feinlernziele in eine sinnvolle, aufeinander aufbauende Reihenfolge zu bringen, so dass die Groblernziele bestmöglich verfolgt und erreicht werden können. Die Taxonomie der Lernziele Um in der Lehre vom Einfachen zum Schwierigen, vom Überschaubaren zum Komplexen voranzuschreiten, ist eine Einordnung kognitiver Lernziele hilfreich. Die Taxonomie kognitiver Lernziele nach Bloom ermöglicht diese Einordnung anhand verschiedener, aufeinander aufbauender Lernstufen. Schematisch kann die kognitive Lernzieltaxonomie wie folgt dargestellt werden: Abbildung: Schematische Darstellung der kognitiven Lernzieltaxonomie Lehr- und Lernziele | 12 Wissen Die erste Ordnungsstufe betrifft das Wissen (bzw. auch das Kennen / das Erinnern) von konkreten Informationen eines Fachgebiets. Dazu gehören ebenfalls das Wissen (Kennen/Erinnern) von Methoden, wie mit diesen Informationen gearbeitet werden kann sowie das Wissen (Kennen/Erinnern) von gängigen Verallgemeinerungen und Abstraktionen des Fachgebiets. Typisches Lernziel: Kriterien des wissenschaftlichen Arbeitens kennen, beschreiben und deren wichtigsten Konsequenzen aufzählen. Verstehen Die zweite Stufe betrifft das Verstehen von Zusammenhängen. Es geht um das Verständnis der Bedeutung, die die einzelnen Informationen zueinander haben. Dies ermöglicht es, Informationen in eigenen Sätzen wiederzugeben (Transformation), fremde Texte im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt hin zu interpretieren und Voraussagen zu treffen. Typisches Lernziel: Die Bedeutung wissenschaftlicher Aussagen und Verfahren erkennen und beschreiben sowie eine Voraussage über deren Anwendbarkeit treffen. Anwenden Die dritte Stufe unterscheidet sich von der zweiten darin, dass hier das Wissen auf konkrete Fälle bezogen wird. Es geht darum, in einer konkreten Situation zu erkennen, wie das Verstandene hilfreich zur Lösung dieses konkreten Problems eingesetzt werden kann. Typisches Lernziel: Die Anwendung wissenschaftlicher Aussagen und Verfahren auf konkrete, praktische Problemstellungen. Analysieren In der vierten Stufe geht es darum, Situationen auf deren wesentliche Elemente hin zu untersuchen. Situationen enthalten Elemente, die Beziehungen zwischen diesen Elementen sowie die ordnenden Prinzipien, die in den Situationen wirksam sind. Für die fachliche Analyse sind die Kenntnisse und Fertigkeiten, die in den unteren Stufen Lehr- und Lernziele | 13 erworben wurden, Voraussetzung. Typisches Lernziel: Implizite Annahmen in Fachartikeln benennen, Art der Argumentation herausfinden, Fehler in deren Argumentationen aufzeigen und Grundtendenzen der Herangehensweisen einschätzen können. Synthetisieren In dieser Stufe geht es um die kreative Neukombination vorhandener Informationen. Es können drei Unterkategorien unterschieden werden: Herstellen von etwas Einzigartigem, zum Beispiel die Organisation bekannter Daten1. für einen originellen Aufsatz, eine Rede oder die Komposition eines Musikstücks. Entwerfen eines Handlungsplans, zum Beispiel das Entwerfen einer Maschine für2. einen Fertigungsprozess oder das Erstellen einer konkreten Unterrichtseinheit für eine besondere Lehrsituation. Auch die Entwicklung von Wegen, mit denen eine bestimmte Hypothese überprüft werden kann, gehört in diese Kategorie. Ableiten einer Folge abstrakter Beziehungen, wie zum Beispiel die Modifikation von3. Hypothesen im Hinblick auf neue Faktoren, die Formulierung einer brauchbaren Lerntheorie für den Unterricht oder die Fähigkeit, mathematische Entdeckungen und Verallgemeinerungen zu machen. Weitere typische Lernziele: Einen 2-seitigen Artikel über ein wissenschaftliches Projekt selbstständig verfassen. Einen Vortrag für eine bestimmte Zielgruppe vorbereiten. Planen eines effizienten Fertigungsprozesses. Evaluation In diese Stufe fließen jeweils die Kompetenzen der darunter liegenden Stufen ein. Ergänzend geht es in der Stufe der Evaluation darum, reflektierte, d.h. begründete Werturteile treffen zu können. Lehr- und Lernziele | 14 „Obwohl die Evaluation im kognitiven Bereich an letzter Stelle steht, weil sie im gewissen Umfang alle anderen Kategorien des Verhaltens voraussetzt, ist es nicht notwendigerweise der letzte Schritt beim Denken oder beim Problemlösen. Es ist durchaus möglich, dass der bewertende Prozess in einigen Fällen dem Erwerb neuen Wissens vorausgeht oder einem neuen Versuch, etwas zu verstehen oder anzuwenden, oder einer neuen Analyse oder Synthese.“(1) Dabei spielen auch affektive Elemente der bewertenden Person eine Rolle. Typische Lernziele: Logische Fehler in einer Begründung nachweisen. Einen Sachverhalt nach kulturellen Normen beurteilen. Eine wissenschaftliche Arbeit bewerten. Bedeutung für die Lehrveranstaltungsvorbereitung Eine hierarchische Ordnung der Lernziele ermöglicht eine Reflexion über den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe bzw. der zu vermittelnden Inhalte. Durch Einbeziehung der Stufen wird die Beschreibung der Kompetenzen möglich, über die ein Studierender für die Bewältigung einer Aufgabe bzw. für das Verständnis der zu vermittelnden Inhalte bereits verfügen muss. Ebenso erleichtert die Bezugnahme zur Taxonomie die Beschreibung der weiteren Kompetenzen und Lernschritte, auf die eine Lehreinheit vorbereitet. Die Berücksichtigung der Lernzieltaxonomie verbessert damit die didaktische Gestaltung der Unterrichtseinheiten. Darüber hinaus kann sie unterstützend für die Operationalisierung von Lernzielen hinzugezogen werden. Weitere Taxonomien Neben der Ordnung der Lernziele im kognitiven Bereich haben Bloom et. al die affektive und psychomotorische Taxonomie entworfen. Auch in diesen Lernbereichen werden aufeinanderfolgende Stufen benannt. Während es dabei im psychomotorischen Bereich um das Lernen von Bewegungsabläufen geht, steht im affektiven Bereich der Umgang mit inneren Antrieben und Gefühlen in Bezug zu moralischen Normen der Gesellschaft im Vordergrund. Die affektive Lernzieltaxonomie hat hier insbesondere Relevanz im Hinblick auf Normen des Wissenschaftsbetriebes sowie im Hinblick auf gesellschaftliche moralische Ansprüche an die Wissenschaft. Lehr- und Lernziele | 15 Abbildung: affektive und psychomotorische Taxonomie Literatur Bloom, Benjamin S. (1976): Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich.1. Weinheim und Basel, S. 200. Zur Formulierung und Operationalisierung von Lernzielen Lernziele beschreiben Kompetenzen, die nach Abschluss eines Lernprozesses erworben werden sollen. Damit gelten sie als elementarer Bestandteil der Planungsprozesse von Lehr- und Lernsituationen. Lehrende haben in der Regel immer Ziele ihres Lehrens im Sinn und wahrscheinlich auch Vorstellungen davon, was ihre Studierenden lernen Lehr- und Lernziele | 16 sollen, wenn sie Veranstaltungen planen – doch verpuffen die Vorteile und Chancen von Lernzielen, wenn diese nur mental vorhanden sind. Lernziele müssen, wenn sie sowohl Lehrenden den Weg zur Gestaltung von Veranstaltungen aufzeigen, als auch Studierende in ihrem Lernprozess steuernd unterstützen sollen, in jedem Fall ausformuliert (und damit auch operationalisiert) und für Studierende auch transparent gemacht werden. Nur so können aus ihnen konkrete Handlungen abgeleitet werden. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Herausforderung, Lernziele so zu formulieren und zu operationalisieren, dass sie für die universitäre Lehre strukturierend, reduzierend, informierend, klärend, motivierend, kontrollierend – kurz: erfolgreich eingesetzt werden können. In welchen Planungsphasen spielen Lernziele eine Rolle? Lernziele haben in Abhängigkeit des Zeitpunktes der didaktischen Veranstaltungsplanung unterschiedliche Funktionen und Aufgaben. Unter der Berücksichtigung dieser Planungsphasen universitärer Lehre sollten Lernziele mit einem variierenden Konkretionsgrad formuliert werden – von groben Lernzielen bei der Ankündigung hin zu sehr feinen Lernzielen bei der Planung und Durchführung einzelner Veranstaltungssitzungen. Zeitpunkt Abstraktionsgrad Planungsbezogene Fragestellung Planungsaufgaben Funktionen Ankündigung/ Kommentierung der Veranstaltung Grobe(s) Lenrziel(e) Was sollen die Studierenden in dem Semester in meiner Veranstaltung lernen? 1 – 2 Grobziele Erste Planungsentscheidungen werden getroffen mit Blick auf die Ziele, Inhalte, Methoden, und Prüfungsformen Für die Lehrenden: Infomation und Strukturierung Für die Studierenden: Information und Motivierung Erstellung des Semesterplans leichte Verfeinerung der Grobziele Was sollen die Studierenden in den einzelnen Sitzungen lernen? Lernziel je Sitzung Weitere Konkretion der Frage, wer, was, wozu, wie und womit lernen soll, damit er/sie … kann. Für die Lehrenden Strukturierung, didaktische Reduzierung von Inhalten Für die Studierenden: Information, Strukturierung, Motivierung, Schaffen von Verbindlichkeit Lehr- und Lernziele | 17 Zeitpunkt Abstraktionsgrad Planungsbezogene Fragestellung Planungsaufgaben Funktionen Planung einzelner Sitzungen Feine (differenzierte) Lernziele Was sollen die Studierenden am Ende jeder einzelnen Sitzung können? Ca. 3 feine Lernziele pro Sitzung Welche Kompetenzen sollen die Studierenden in der Sitzung XY konkret erwerben? An welchen konkreten inhaltlichen Gegenständen sollen die Studierenden mit welchen Methoden lernen, damit sie die Kompetenzen erlangen, die erreichen sollen. Für die Lehrenden Strukturierung, didaktische Reduzierung des Inhalts, Methodenreflexion, Rechenschaftslegung, konkrete Handlungsgrundlage für die Planung der leistungskontrolle Für die Studierenden: Information, Strukturierung, Motivierung & Aktivierung, Einbindung der Studierenden, stärkere Partizipation und Steuerung des Lehr- /Lernporzesses, selbstständige Erfolgskontrolle (selbstständiges Lernen) Was unterscheidet Lernziele von den zu lernenden Inhalten? Bei der konkreten Formulierung von Lernzielen ist darauf zu achten, dass diese immer zwei konstituierende Bestandteile aufweisen: eine Inhalts- und eine Verhaltenskomponente. Erstere trägt der Tatsache Rechnung, dass Lernen immer inhaltsbezogen ist und Lernziele somit Auskunft geben müssen, durch die Auseinandersetzung mit welchen konkreten Inhalten/Gegenständen eine Kompetenz erworben werden soll. Die Verhaltenskomponente bezieht sich demgegenüber auf die Qualität dieser Auseinandersetzung – also all jenen Handlungen, an denen „abgelesen“ werden soll, ob die Studierenden die gewünschte Kompetenz erlangt haben. Im Rückgriff auf Mager „ist die Beschreibung des Lernzieles […] in dem Maße nützlich, wie aus ihr genau zu entnehmen ist, was der Lernende tun oder ausführen können muss, Lehr- und Lernziele | 18 um zu zeigen, dass er das Ziel erreicht hat“ (Mager 1977, S.13). Das Prinzip der Operationalisierung sieht diesbezüglich vor, die Verhaltenskomponente durch das Benennen konkreter, messbarer und damit beobachtbarer Operatoren so klar wie möglich zu beschreiben. Dies setzt gleichsam voraus, dass die intendierten Kompetenzen immer anhand sichtbarer Verhaltensweisen gemessen werden könnten. Dies erscheint bei Fähigkeiten, wie der Kenntnis oder dem Verständnis noch recht leicht, z.B. durch die Aufforderung, Sachverhalte definieren, beschreiben, erörtern oder Kriterien benennen bzw. wiedergeben zu können. Doch gerade komplexere Lernprozesse sind durch innere Verarbeitungs- und Konstruktionsleistungen gekennzeichnet, die einem Beobachter, wenn überhaupt, nur auf Umwegen zugänglich gemacht werden können, z.B. durch Verben wie anwenden, beziehen, vergleichen, analysieren, entwickeln, entwerfen, beurteilen und bewerten. Ein Beispiel zur Erläuterung Nachfolgend sollen diese Darstellungen anhand des Beispiels einer Seminarveranstaltung zum Thema soziale Ungleichheit im Schulsystem verdeutlicht werden: Grobziel: Am Ende des Semesters sollen die Studierenden am Beispiel der Verfasstheit ausgewählter Schulsysteme (Inhaltskomponente) das Phänomen sozialer Benachteiligung (Inhaltskomponente) analysieren können (Verhaltenskomponente) und Kriterien für den Abbau sozialer Selektivität entwickeln können (Verhaltenskomponente). Aus diesem groben Lernziel leiten sich wiederum unmittelbar feinere Lernziele für einzelne Veranstaltungssitzungen ab, sofern z.B. zu Beginn definitorische Grundlagen thematisiert werden müssen, die mit folgendem Feinziel erfasst werden können: Die Studierenden sollen am Ende der Sitzung in der Lage sein, auf der Grundlage des Textes xy die Begriffe soziale, primäre und sekundäre Ungleichheit zu definieren und anhand von Beispielen aus dem deutschen Schulsystem erläutern zu können). nachfolgend thematisiert werden muss, wo im Schulsystem soziale Ungleichheit entsteht bzw. verschärft wird (Die Studierenden sollen wissenschaftlich empirische Belege heranziehen können, um zu begründen, dass soziale Selektivität an den Schnittstellen/Übergängen des Schulsystems verschärft wird). im weiteren Verlauf auch andere Schulsysteme Gegenstand des Seminars sein müssen (Die Studierenden sollen das schwedische Schulsystem unter dem Gesichtspunkt der Lehr- und Lernziele | 19 Gestaltung von Schülerlaufbahnen mit dem deutschen Schulsystem vergleichen können und die wesentlichen Unterschiede bezüglich der systemischen Verfasstheit sowie der institutionellen Ausgestaltung (Schul- und Unterrichtsebene) eigenständig herausarbeiten und kritisch reflektieren können.) Über die Darstellung hinaus, wie Operatoren eingesetzt werden können, um aus reinen Inhaltsbeschreibungen kompetenzorientierte Lernziele zu entwickeln, zeigen diese Beispiele auch, wie sich aus Grobzielen einer Veranstaltungsreihe unmittelbar Konsequenzen für feinere Lernziele ergeben, die wiederum sehr praktische Konsequenzen für die (methodische) Unterrichtsgestaltung haben. Zudem trägt die hier angedeutete Lernzielabfolge auch dem Prinzip des kumulativen Lernens Rechnung, sofern die Lernziele in ihrer Komplexität und ihrem Anspruchsniveau entsprechend der Taxonomie von Bloom zu Beginn die Kenntnis und das Verständnis grundlegen und darauf aufbauend Anwendung, Analyse, Synthese und Bewertung beachten. Gute Lernziele berücksichtigen folglich diese Hierarchisierung der zu erwerbenden Kompetenzen. Ausblick Dieser Beitrag hat gezeigt, wie schriftlich ausformulierte Lernziele als roter Faden den Planungsprozess von Lehrveranstaltungen systematisch erleichten. Das Potenzial von Lernzielen, durch die kompetenzorientierte Beschreibung von erwünschten Lernergebnissen das Lernen der Studierenden zu steuern und zu unterstützen, weil diese dann wissen, was sie lernen/können sollen und somit auch selbst überprüfen können, auf welcher Höhe des Lernprozesses sie sich befinden, entfalten Lernziele nur dann, wenn diese nicht nur dem Lehrenden vorliegen, sondern auch den Studierenden regelmäßig transparent gemacht werden. Literatur Mager, R. (1977): Lernziele und Unterricht. Weinheim.1. Lehr- und Lernziele | 20 Praxisbeispiele Hier finden Sie Praxisbeispiele von Lehrenden der RUB und erhalten einen Eindruck wie diese Lehr- und Lernziele in ihren Veranstaltungen einsetzen: Fehlerkorrektur im Französischunterricht Um welche Veranstaltung geht es? Das Seminar „Fehlerkorrektur im Französischunterricht“ richtet sich an zukünftige Französischlehrerinnen und -lehrer und gehört zum Modul Sprachdidaktik des Master of Education. In dieser Veranstaltung werden nach einer theoretischen Einführungsphase (Was ist ein Fehler? Was ist Korrektur? Wann sollte ein Fehler korrigiert werden, wann nicht? etc.) gemeinsam mit den Studierenden verschiedene Elemente von Fehlerkorrektur erarbeitet, z.B. Korrekturmethoden, die Lehrerinnen und Lehrer in der mündlichen oder schriftlichen Fehlerkorrektur anwenden können. Zudem entwickeln die Studierenden Übungen aus konkreten Fehlern, die den Schülerinnen und Schülern helfen sollen, ihre Wissenslücken nachhaltig zu schließen. Bezogen auf die Schüler/innen/perspektive erarbeiten die Studierenden innovative Methoden zur Berichtigung bzw. zur Dokumentation eigener Fehler (Lernordner, Karteikarten etc.). Welcher Stoff wird in der konkreten Übungssitzung behandelt? Um Schülerinnen und Schülern nicht nur ihre Defizite vor Augen zu führen, sondern auch ihren Lernfortschritt und besonders gelungene Konstruktionen zu honorieren, lernen die Studierenden die Positivkorrektur kennen. Durch die ergänzenden grünen Kommentare (im Kontrast zur roten Negativkorrektur) sollen die Schülerinnen und Schüler sich ihrer eigenen Stärken bewusst werden, Selbstvertrauen entwickeln und erfahren, welche Formulierungen sie unbedingt beibehalten oder weiter ausbauen sollten. Lehr- und Lernziele | 21 Welche möglichen Lehr- und Lernziele gibt es? Es werden ausschließlich Lernziele formuliert, die darlegen, was die Studierenden am Ende der Sitzung können sollen. Auf diese Art und Weise soll der Intake der Studierenden, d. h. das, was sie tatsächlich von dem, was ihnen angeboten wurde, aufgenommen und verarbeitet haben, und nicht der Input (in Form von Lehrzielen), in den Vordergrund gestellt werden. Das Groblernziel der Sitzung ist es, dass die Studierenden die ihnen weitgehend unbekannte Positivkorrektur kennen- und anwenden lernen. Es untergliedert sich in folgende Feinlernziele: Am Ende der Sitzung sollen die Studierenden die Funktionsweise der1. Positivkorrektur (inkl. Vorgehensweise und Symbolik) in eigenen Worten beschreiben können. Am Ende der Sitzung sollen die Studierenden didaktische und lernpsychologische2. Gründe für und gegen den Einsatz von Positivkorrektur in allen Niveau- und Altersstufen benennen können. Am Ende der Sitzung sollen die Studierenden eine authentische Schülerklausur3. „positiv korrigieren“ können, indem sie die Klausur mit entsprechenden Symbolen versehen und einen abschließenden Kommentar für die Schülerin oder den Schüler verfassen. Welche Lehr- und Lernmethoden können in der Übung zum Einsatz kommen? Im ersten Teil der Sitzung präsentiert eine Studierende in Form eines Kurzvortrages die Funktionsweise der Positivkorrektur und demonstriert diese an einem konkreten Beispiel. Die anderen Studierenden verfolgen die per Beamer auf eine Leinwand projizierte „Vorführung“. Im Anschluss können Fragen zur Vorgehensweise gestellt werden. In Kleingruppen erarbeiten die Studierenden im Anschluss zunächst anhand eigener Erfahrungen und Ideen, anschließend anhand kurzer wissenschaftlicher Texte und Erfahrungsberichte didaktische und lernpsychologische Gründe, die für oder gegen die Positivkorrektur sprechen. Nachdem die Ergebnisse in einem Tafelbild zusammengetragen, systematisiert und somit gesichert worden sind, erhalten die Studierenden eine authentische, anonymisierte Schülerklausur. Zunächst führen sie die in den letzten Sitzungen Lehr- und Lernziele | 22 eingeübte „normale“ Negativkorrektur durch und ergänzen in einem weiteren Durchgang die neu kennengelernte Positivkorrektur. Wie können die Lernziele überprüft werden? Das erste Feinlernziel wird hauptsächlich in der anschließenden Fragerunde überprüft, in der einerseits deutlich wird, welche Elemente den Studierenden noch unklar sind, und andererseits die Formulierung der Fragen zeigt, ob die Grundelemente der Positivkorrektur verstanden worden sind. Die Lernzielkontrolle des zweiten Feinlernziels führt die Überprüfung des ersten zu Ende, denn auch in diesem Kontext kann anhand der Argumentation eine Überprüfung der theoretischen Kenntnisse erfolgen. Die Studierenden präsentieren jede/r einen Teil ihrer Gruppenarbeitsergebnisse, so dass alle Studierenden zu Wort kommen. Sowohl die Einzelpräsentationen als auch die anschließende gemeinsame Systematisierung der Ergebnisse fungieren einerseits als erneuter Input, der somit zu einer vertiefenden Sicherung des neu gelernten Stoffes beiträgt, und ermöglichen andererseits einen Überblick über den Lernstand aller Studierenden. Das dritte Feinlernziel wird auf zweifache Weise überprüft. Zum einen reichen die Studierenden ihre Korrekturen ein, so dass die Dozentin eine intensive Begutachtung vornehmen kann, zum anderen werden die Korrekturen in der folgenden Sitzung im Plenum besprochen. Dabei werden zunächst – im Sinne einer gelebten Positivkorrektur (!) – Elemente herausgearbeitet, die den Studierenden (bereits) gut gelungen sind. Anschließend werden Elemente thematisiert, die in den Positivkorrekturen der Studierenden (noch) nicht optimal gelaufen sind. Zudem erhalten die Studierenden die Möglichkeit, positive Erfahrungen sowie Schwierigkeiten, die bei der Durchführung der Positivkorrektur aufgetreten sind, mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen zu diskutieren und ihre Einstellung gegenüber der Positivkorrektur entsprechend ihrer neuen Praxiserfahrungen und der daraus resultierenden Erkenntnisse zu modifizieren. Arbeitsmotivation und Führung Lehr- und Lernziele | 23 Um welche Veranstaltung geht es? Seminar „Arbeitsmotivation und Führung“: Gegenstand ist die Vermittlung grundlegender Begriffe, Konzepte und Theorien der Arbeitsmotivation und Führung in Organisationen Welcher Stoff wird in der konkreten Übungssitzung behandelt? In der ausgewählten Beispielsitzung lernen die Studierenden das Handlungsphasenmodell von Heckhausen kennen. Das Modell beschreibt das individuelle Handeln bzw. den Handlungsprozess anhand von vier Phasen. Um die innerhalb einer Phase ablaufenden Mechanismen zu beschreiben, zu erklären und vorhersagen zu können, greift das Handlungsphasenmodell auf einschlägige motivations- und willenspsychologische Prozesstheorien zurück, ordnet diese den einzelnen Phasen der Handlung zu und erzielt somit eine konzeptionelle Verknüpfung verschiedener psychologischer Theorien (=integrative Rahmentheorie). Auf Basis des Modells können Gestaltungsmaßnahmen abgeleitet werden, um individuelles Handeln in Organisationen zu motivieren, auszurichten und zu steuern. Welche möglichen Lehr- und Lernziele gibt es? Ein zentrales Lehrziel ist es, die grundlegenden Aussagen, Begrifflichkeiten und Inhalte des Handlungsphasenmodells verständlich und auf das Wesentliche konzentriert zu vermitteln. Die Studierenden sollen ein Verständnis der Theorie, ihrer Einordnung in motivationspsychologische Konzepte sowie ihre Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis erwerben. Ferner sollen Lern- und Behaltensprozesse durch eine interaktive, abwechslungsreiche mediale Gestaltung sowie durch die Übertragung auf Beispiele aus dem Studierendenalltag unterstützt werden. Es werden kognitive und instrumentelle Lernziele verfolgt. Kognitiv. Primär soll in dieser Übungssitzung erreicht werden, dass die Studierenden a) den Erklärungsgegenstand sowie die Kernaussagen des Handlungsphasenmodells kennen und benennen, b) die einzelnen Phasen des Modells inklusive ihrer wesentlichen Merkmale beschreiben und sie konzeptionell von einander abzugrenzen, und c) die in das Handlungsphasenmodell integrierten Prozesstheorien benennen und der entsprechenden Phase zuordnen können. Instrumentell. Obwohl die Übungssitzung hauptsächlich die Vermittlung von Lehr- und Lernziele | 24 Grundlagenwissen zum Gegenstand hat, besteht ein weiteres Lernziel darin, das Handlungsphasenmodell auf ein konkretes Beispiel zu übertragen und somit die eigene Fähigkeit zum Transfer des Gelernten auf Praxisprobleme zu schulen. Welche möglichen Lehr- und Lernmethoden können in der Übung zum Einsatz kommen? Zum Einstieg in die Thematik bieten sich kurze, etwa 10-minütige Inputteile an, die die wesentlichen Informationen zum Modell und den Phasen überblicksartig zusammenfassen. Dabei empfiehlt es sich zur Konkretisierung und Nachvollziehbarkeit der Inhalte ein anschauliches Beispiel aus dem Unialltag der Studierenden einzuflechten (z.B. Das Lernen für eine Klausur). Zur Vertiefung der Inhalte eignen sich Expertenrunden. Es werden vier Expertenteams (jeweils ein Team für jede Phase) gebildet. Jedes Team erhält einen Vertiefungstext, den es anhand von 3 – 4 Fragen bearbeitet und auf einen Flipchart aufbereitet. Ziel ist es, dass jedes Expertenteam anschließend die Ausarbeitungen vorstellt und somit den anderen Studierenden ihr Wissen weitervermittelt. Eine andere Möglichkeit der Kleingruppenarbeit, die jedoch eher auf das grundlegende Verständnis der Theorie und weniger die inhaltliche Vertiefung abzielt, ist die eigenständige Entwicklung eines Beispiels, anhand dessen die Studierenden die grundlegenden Phasen des Handlungsphasenmodells nachvollziehen und konkret erläutern. Wie können die Lernziele überprüft werden? Zum Ende der Sitzung oder zum Beginn der nächsten Übungssitzung kann ein kurzes Wissensquiz mit 5 – 10 Fragen durchgeführt werden. Dabei können entweder Wissens-/ Verständnisfragen oder Transferfragen gestellt werden. Letztere geben Aufschluss darüber, ob das Gelernte auch wirklich verstanden bzw. verarbeitet wurde. Weiterhin bieten sich Zwischenzusammenfassungen an, die von den Studierenden vorgenommen werden, um bereits während der Sitzung den Lernfortschritt zu eruieren. Ob die Inhalte wirklich verstanden wurden, lässt sich auch sehr gut daran erkennen, ob die Studierenden in der Lage sind, die Inhalte anhand eines selbst- oder vorgegebenen Beispiels zu erläutern. Auch weiterführende oder kritische Zwischenfragen durch den Dozenten können zur Evaluation genutzt werden. Schnell durchzuführen ist ein Blitzlicht am Ende der Sitzung, in dem jeder Studierende ein bis zwei zentrale Kernbotschaften Lehr- und Lernziele | 25 formuliert, die in der Sitzung vermittelt wurden. Das Blitzlicht eignet sich zwar nicht zur detaillierten Überprüfung des Lernerfolgs, gibt aber eine erste grobe Orientierung. Gleichzeitig fördert die Formulierung von Kernbotschaften die Auseinandersetzung mit den zentralen Inhalten und unterstützt damit auch Lern- und Behaltensleistung. Lehr- und Lernziele in der Mathematik Um welche Veranstaltung geht es? Die Grundausbildung im Mathematikstudium beginnt mit den beiden Vorlesungszyklen „Analysis“ und „Lineare Algebra“. Die Vorlesung „Analysis I“ beschäftigt sich mit der eindimensionalen Differential- und Integralrechnung und baut dabei auf dem vorhandenen Schulwissen auf. Zentraler Bestandteil der Veranstaltung sind wöchentliche Hausaufgabenzettel, die von den Studierenden in Eigen- oder Gruppenarbeit bearbeitet werden. In den Übungen werden dann (neben anderen aktiven Arbeitsphasen) auch die Hausaufgaben vom Übungsleiter besprochen und von den Studierenden präsentiert. Welche möglichen Lehr- und Lernziele gibt es? Das Richtziel soll „Differenzierbare Funktionen“, das Grobziel „Der Satz von Taylor“ sein. Der Themenbereich „Satz von Taylor“ umfasst etwa 4 SWS, d.h. eine Vorlesungswoche. Der Taylorsche Satz liefert Aussagen über lokale Approximationen einer differenzierbaren Funktion. Natürlich können in der zweistündigen Übung nicht alle in der Vorlesung behandelten Sachverhalte zur Sprache kommen; der Übungsleiter muss also bei der Wahl seiner Feinziele eine klare Auswahl treffen. Mögliche operationalisierbare Feinziele können z.B. sein: Die Aussage des Satzes von Taylor wiedergeben können1. Den Beweis des Satzes von Taylor wiedergeben können2. Den Beweis des Satzes von Taylor jemand anderem mit eigenen Worten erklären3. können Lehr- und Lernziele | 26 Das Taylorpolynom einer gegebenen Funktion berechnen können4. Den Satz von Taylor in einen Zusammenhang mit anderen Approximationsmethoden5. stellen können Welche Lehr- und Lernmethoden können in der Übung zum Einsatz kommen? Die Festlegung des Lehr- und Lernzieles beeinflusst sehr stark die Wahl einer geeigneten Lehr- und Lernmethode. Daher wird die Planung einer Übungssequenz durch konkrete Lehr- und Lernziele ungemein erleichtert. Zu den obigen Feinzielen bieten sich z.B. folgende Methoden an: Einzelarbeit1. Einzel- oder Partnerarbeit2. Partnerarbeit3. Einzel- oder Gruppenarbeit, Gruppenpuzzle4. Projektarbeit, Leittextmethode5. Den stärksten Lerneffekt haben dabei erfahrungsgemäß handlungsorientierte Methoden (wie z.B. Projektarbeit oder Leittextmethode), bei denen großer Wert auf eigenständige Informationsbeschaffung, selbstreflektierte Arbeitsplanung sowie die abschließende Erstellung eines Produktes gelegt wird. Fachliche Vorlage für eine solche handlungsorientierte Arbeitsphase können z.B. ein kurzer Lehrbuchabschnitt (bei dem Details ergänzt werden müssen) oder ein Fachartikel (der sinnvoll zusammengefasst und präsentiert werden soll) sein. Wie können die Lernziele überprüft werden? Die Aufstellung operationalisierbarer Feinziele macht die Überprüfung des Lernerfolges erst möglich. Auch hier bieten sich je nach Feinziel bestimmte Methoden an, wie z.B.: Mündliche oder schriftliche Abfrage1. Mündliche oder schriftliche Abfrage2. Lehr- und Lernziele | 27 Partnerabfrage3. Schriftlicher Kurztest, Hausaufgaben4. Präsentation, Bewertung des Produktes5. Dabei sind die „altmodischen“ Hausaufgaben durchaus das Mittel der Wahl, wenn es etwa um die Überprüfung von Rechen- oder Beweistechniken geht; sie bieten sich dagegen weniger bei komplexen Feinzielen (wie etwa Feinziel Nr. 5) an. AG zur Vorlesung Strafrecht Um welche Veranstaltung geht es? In der juristischen Fakultät werden die klassischen (Haupt-)Vorlesungen über das Semester hinweg durch Arbeitsgemeinschaften (AGs) begleitet. In diesen wöchentlichen, zweistündigen Einheiten wird mit einer Gruppe von Studierenden (etwa 20 Personen) der zuvor in der Vorlesung erarbeitete Stoff nochmal wiederholt und anhand konkreter Fallbeispiele eingeübt. Als Beispiel soll hier eine AG zur Vorlesung „Strafrecht – Besonderer Teil“ dienen, in der den Studierenden Tatbestände des Strafgesetzbuches, wie z.B. Diebstahl, Mord oder Brandstiftung vermittelt werden. Welche möglichen Lehr- und Lernziele gibt es? Das übergeordnete (auf das gesamte Semester bezogene) Ziel dieser Veranstaltung ist es, dass die Studierenden die erlernten Straftatbestände auf einen konkreten Sachverhalt anwenden können und so prüfen können, nach welcher Gesetzesvorschrift sich der Täter eines fiktiven Übungsfalles strafbar gemacht hat. Über das Semester hinweg sollen den Studierenden die wichtigsten Straftatbestände des Strafgesetzbuches nahe gebracht werden, so dass diese nach dem Semester in der Lage sind, ein umfangreiches strafrechtliches Gutachten zu verfassen. Das Thema und Feinziel der einzelnen AG-Einheit ist die Vermittlung eines bestimmten Lehr- und Lernziele | 28 Straftatbestandes (beispielsweise „§ 263 – Betrug“ oder „§ 223 – Körperverletzung“). Hierzu müssen die Studierenden zunächst die abstrakte Formulierung des Gesetzeswortlauts in verschiedene Einzelbestandteile zerlegen und dann überprüfen, ob sich der Übungsfall tatsächlich mit dem Gesetzeswortlaut deckt. Die Studierenden sollen die Besonderheiten der Vorschrift, ihre enthaltenen Definitionen, Probleme und Verbindungen zu anderen Vorschriften sicher beherrschen. Der theoretische Teil der AG beinhaltet die Erläuterung der einzelnen Straftatbestände und die darin enthaltenen Einzelfragen, die anhand von Definitionen dargestellt werden. So unterscheiden sich z.B. die Tatmerkmale „einsteigen“, „einbrechen“ und „eindringen“ bei Eigentumsdelikten stark voneinander, ebenso wie die Tatmerkmale „hinterlistig“ und „heimtückisch“ bei Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten. Von den Studierenden wird erwartet, dass sie diese Begrifflichkeiten sauber auseinanderhalten können. Die sichere Beherrschung jeder dieser Definitionen (und die damit verbundenen Problemfelder) stellt damit ein Zwischen- oder Feinziel dar, da eine Vorschrift des Strafgesetzbuches nur dann vollständig erfasst, beherrscht und korrekt angewendet werden kann, wenn ihr exakter Anwendungsbereich (welcher gerade durch die Definitionen eingegrenzt wird) erfüllt ist. Welche möglichen Lehr- und Lernmethoden können in der Übung zum Einsatz kommen? Gruppendiskussionen innerhalb der Studierenden können dazu beitragen schwierige und z.T. auch kontroverse Probleme zu erarbeiten, darzustellen und innerhalb der Diskussion mit fundierten Argumenten zu vertreten. Hierbei lassen sich die Gruppen meist unproblematisch in verschiedene Lager („Meinung A“ und „Meinung B“) aufteilen. Da es in der Rechtswissenschaft meistens kein eindeutiges „Richtig“ oder „Falsch“ gibt, dienen solche Übungen in erster Linie dazu, das Rechtsverständnis und das Argumentationsvermögen zu schulen. Wie können die Lernziele überprüft werden? Die eingängigste praktische Methode, die auch der Prüfungsrealität entspricht, ist die Bearbeitung eines Beispielsfalles, der die in der AG bisher besprochenen Straftatbestände enthält. Die Fallbearbeitung dient den Dozierenden gleichzeitig dazu, zu überprüfen, ob der Stoff der Einheit von den Studierenden verstanden wurde und an einem praktischen Beispiel angewendet werden kann. Lehr- und Lernziele | 29 Ein (sehr verkürzter) Fall kann z.B. so aussehen: „A lauert B hinter einer Häuserecke auf und erschlägt ihn hinterrücks mit einer Axt.“ Die Studierenden müssten hier prüfen, ob Mord oder Totschlag vorliegt. Eine weitere Methode, die Lernziele zu überprüfen ist es, den Studierenden praktische Fälle zur Bearbeitung mit nach Hause zu geben. Die Studierenden können diese dann selbständig bearbeiten und so bereits selbst eigene Schwächen z.B. bei der Formulierung erkennen. Der Dozent bewertet diese Leistung und hat somit (neben der kollektiven Kontrolle durch die gemeinsame Fallösung) noch die Möglichkeit, die Lernfortschritte des einzelnen Studierenden zu überprüfen. Grundlagen des Stahlbeton- und Spannbetonbaus I Um welche Veranstaltung geht es? Übungsveranstaltung zu „Grundlagen des Stahlbeton- und Spannbetonbaus I“ Bei der betreffenden Veranstaltung handelt es sich um eine 90-minütige Veranstaltung im 4. Semester des Bauingenieurstudiums im Hörsaal HIA mit ca. 120 Teilnehmendenn. Das inhaltliche und fachliche Ziel der Übungsveranstaltungen ist die geführte Anwendung und praktische Vertiefung der in der Vorlesung erläuterten Inhalte an konkreten Beispielen, in diesem Fall anhand vorgegebener praxisnaher Stahlbetonkonstruktionen. Welcher Stoff wird in der konkreten Übungssitzung behandelt? Die hier vorgestellte Übungsveranstaltung findet zeitlich ca. zur Mitte der Vorlesungszeit statt. Nachdem die wichtigsten fachlichen Grundprinzipien (Materialgesetze, mechanische Zusammenhänge, Tragmodelle, Bemessungskonzepte) vorgestellt und anhand von einzelnen Beispielen geübt wurden, steht eine den bisherigen Stoff zusammenfassende Übungsaufgabe an. Diese dient in erster Linie der Vertiefung und Einübung der Berechnungsabläufe, umfasst jedoch auch einzelne Besonderheiten und somit im Detail ein entsprechende Transferleistung. Die Aufgabenstellung orientiert sich an der Leittextmethode: Das Aufgabenblatt umfasst 3 Seiten. Zunächst ist eine für Lehr- und Lernziele | 30 den Stahlbetonbau typische Problemstellung (Plattenbalkenquerschnitt auf Stützen gelagert) in Form einer übersichtlichen Skizze dargestellt. Zu dieser Skizze (Zeichnung in Ansicht, Aufsicht und relevanten Schnittdarstellungen) sind Auszüge aus einer bereits durchgeführten statischen Berechnung und Bemessung angegeben. Diese Berechnungsschritte variieren in der Detailtiefe: Mal sind nur Endergebnisse oder Zwischenergebnisse als Zahlenwert angegeben, mal sind vollständige Formeln abgedruckt. Zugleich sind diese „Lösungsvorschläge“ bewusst mit einigen Fehlern versehen worden, wobei der Anspruch zum Entdecken der fehlerhaften Lösung variiert: So sind zwischen dem Zahlendreher und Rechenfehler auch aus Klausuren bekannte typische Fehlerquellen eingearbeitet, in einem Unterpunkt ist gar ein für diese Problemstellung nicht zulässiges Berechnungsverfahren angewendet und abgedruckt worden. Welche möglichen Lehr- und Lernziele gibt es? In dieser speziellen Übungsveranstaltung stehen insbesondere die „sozialen Kompetenzen“ im Mittelpunkt. Die Studierenden sollen selbständig und eigenverantwortlich agieren, organisieren, kommunizieren und entsprechend auch fachlich richtig handeln (in diesem Fall überprüfen und berechnen). Im Einzelnen werden die Studierenden mit folgenden Anforderungen („social skills“) konfrontiert, dessen Gewichtung in der tatsächlichen Umsetzung sicher variiert und von denen nicht alle gleichermaßen in der Sitzung berücksichtigt werden können: Teamfähigkeit: Arbeiten im (neuen) Team, das bedeutet: Neue Teammitglieder kennenlernen, sich selbst vorstellen, Rollen und damit Aufgaben im Team erkennen und verteilen, Teammitglieder in eigene Überlegungen, Problemstellungen und Ideen mit einbeziehen und gleichzeitig auch jene der anderen zu verstehen, zu hinterfragen, aber auch „bessere“ Ideen oder Ratschläge und Hilfen annehmen. Kommunikationsfähigkeit (hier als Mehrwegkommunikation): untereinander in Kleingruppen (Arbeitsauftrag klären, Lösungsstrategie des Teams diskutieren und festlegen, Vorstellen der eigenen Ideen, Zuhören und Verstehen der anderen Meinungen, faire und sachliche Diskussion der Vorschläge), innerhalb der Studierendenschaft im Hörsaal (Ausreden lassen, Regeln des Feedbacks einhalten, eine Reihenfolge bei der Wortmeldung einhalten, im großen Hörsaal vor vielen Studierenden zu sprechen Lehr- und Lernziele | 31 zum Dozenten bzw. zum „virtuellen Vorgesetzten“ (sachliche Argumentation, präzise Wortwahl, Umgang mit überraschenden oder direkten Gegenfragen) Umgang mit Fachtermini (unverständliche oder unbekannte Begriffe zu hinterfragen, Verbesserungen und Korrekturen der eigenen Wortwahl annehmen, andere Wortbeiträgen auf korrekte und präzise Anwendung der Fachbegriffe zu prüfen und ggfs. offen aber respektvoll zu thematisieren) Verantwortungsbewusstsein: durch die simulierten Rahmenbedingungen „erster Arbeitstag im neuen Ingenieurbüro beim neuen Arbeitgeber“ wird ein relevantes Szenario geschaffen, welches einen Großteil der Teilnehmenden ansprechen und motivieren soll(te). Führungskompetenz: innerhalb der Gruppe Stärken und Schwächen der Mitglieder sowie von sich selbst erkennen und respektieren, sich gegenseitig unterstützen, das Team auf den gleichen Wissensstand bringen, Ergebnisse teilen Präsentationsfähigkeit und -vermögen beim Vorstellen der Ergebnisse: Eigene Gedankengänge zu erläutern (die Zuhörenden abholen und zum eigenen Lösungsweg hinführen), selbstbewusstes Auftreten, Diskutieren „auf Augenhöhe“ in sachlichem und respektvollem Ton Methodische Kompetenzen – Sequenzen wissenschaftlicher Arbeit: Werkzeuge und Hilfsmittel organisieren (Taschenrechner, Tabellenbücher, Skripte), geeignete Methoden zur Lösung ermitteln und auswählen (im konkreten Fall z. B. Nachrechnen der vorgegebenen Lösung vs. eigenständige Lösung der Aufgabe und anschließender Vergleich der Ergebnisse), kritisches Hinterfragen von Berechnungsschritten und (eigenen) Lösungen Darüber hinaus bestehen die fachlichen Inhalte darin, das zuvor in Vorlesungen und teilweise auch in Übungen Gehörte bzw. Erlernte zu vertiefen und selbständig anzuwenden, Hintergründe einzelner Themen anhand dieses Projektes in Verbindung zu bringen und fachliche Zusammenhänge zu erkennen und in Bezug auf die Lösung zu erarbeiten. Die fachlichen Kenntnisse sind auf eine neue und zunächst unbekannte Problemstellung zu transferieren, der eigenständige Umgang mit Hilfsmitteln und Fachliteratur (Tabellenbücher, Skripte, Bücher) wird trainiert. Lehr- und Lernziele | 32 Welche Lehr- und Lernmethoden können in der Übung zum Einsatz kommen? Als Grundelement wird eine Variante der Leittextmethode umgesetzt. Nach der Vorbereitung der Teilnehmenden (Ankündigung in vorheriger Veranstaltung bzw. über Blackboard / Homepage, die Arbeitsmaterialien wie Tabellenbuch, Skript, eigene Mitschriften etc. zu dieser Veranstaltung mitzubringen) wird vom Dozenten eine Gruppeneinteilung vorgenommen und das Szenario dieser Veranstaltung erläutert: Einteilung der Gruppe erfolgt durch Durchzählen lassen der Studierenden bis zehn sowie durch Zuordnung gleicher Nummern zu einer Gruppe Verteilung der Aufgabenstellungen an die Gruppen (jeder Teilnehmende erhält ein identisches Aufgabenblatt) Das Szenario ist der erste Arbeitstag nach dem Studienabschluss beim neuen Arbeitsgeber in einem neuen Team. Aufgabe ist es, die vorliegende Statik zu überprüfen und zu vorgegebenen Zeitpunkten dem Dozenten als „virtuellem Büroleiter“ im Plenum vorzustellen. Wie können die Lernziele überprüft werden? In der Veranstaltung wechseln sich Phasen eigenständiger Arbeit und öffentliche Diskussionsphasen ab. In den Phasen der eigenständigen Arbeit wechselt der Dozent als „stiller Beobachter“ zwischen den einzelnen Gruppen, und kann so anhand einzelner Sequenzen die Zusammenarbeit in den Gruppen beobachten und die zwangsläufig unterschiedlichen Herangehensweisen erkennen. Auf diese Weise ergibt sich nicht nur ein deutlicheres Bild vom fachlichen Kenntnisstand der Studierenden, sondern auch eine erste Rückmeldung bezüglich vorhandener Kompetenzen, aber auch hinsichtlich auftretender Probleme. In der ersten Diskussionsphase stellen die Gruppen ihre ersten Ergebnisse dem Plenum sowie dem Übungsgruppenleiter vor, der diese an der Tafel festhält, ohne die Ergebnisse zu bewerten. Anschließend regt der Dozent durch Rückfragen an die Studierenden die Diskussion der Ergebnisse an („Was halten Sie nun von diesen Ergebnissen?“, „Wie finden wir nun heraus, welches Ergebnis richtig ist?“, „Welches Ergebnis können Sie ausschließen?“, „Möchte eine Gruppe Ihr Ergebnis korrigieren? Wenn ja, warum haben Sie Ihre Meinung geändert?“, …). Nach dieser ersten Diskussionsrunde ermuntert der Dozent die Studierenden, die Lehr- und Lernziele | 33 Sprecherrolle in den Gruppen für die nächste Runde zu variieren. Im Anschluss an die folgende Gruppenarbeitsphase erfolgt die Vorstellung der weiteren Ergebnisse nun von den Studierenden selbst, d. h. dass diese Ihre Ergebnisse gemäß dem Tafelschema aus der ersten Diskussionsrunde nun an der Tafel selbst vorstellen und kurz erläutern. Diese Runden werden jeweils durch kurze Diskussionsblöcke abgeschlossen. Aufgrund der Zeitbegrenzung ließen sich bisher jedoch nicht mehr als drei Diskussionsrunden realisieren. Es hat sich gezeigt, dass zum Ende der Veranstaltung nach 90 Minuten ein noch erheblicher, sehr positiver Diskussions- und Kommunikationsbedarf bei den Studierenden besteht – sowohl untereinander als auch zum Dozenten. Insofern bietet es sich an, als Erweiterung Elemente aus dem Blackboard zu nutzen (z. B. Diskussionsforum). Literaturtipps Winteler, Adi (2004): Professionell lehren und lernen. Ein Praxisbuch für Universität1. und Schule. Darmstadt. Wörner, Alexander (2008): Lehre an der Hochschule: Eine praxisbezogene Anleitung.2. Wiesbaden. Macke, Gerd; Hanke, Ulrike; Viehmann, Pauline (2012): Hochschuldidaktik. Lehren –3. vortragen – prüfen – beraten, Weinheim und Basel.