Die Restaurationszeit (1815-1848) Biedermeier, Vormärz, Junges Deutschland. Restaurationszeit •1815: Ende der napoleonischen Kriege und der „Wiener Kongress“ (Sinnbild der Zeit: Fürst Metternich, österr. Reichskanzler, von Heine „Mitternacht“ genannt) •Ergebnis: „Zementierung“ der politischen Situation - absolutistische Monarchien, bereichert um „moderne“ Unterdrückungsmaßnahmen (Zensur, Polizei, Bespitzelung, Staatsapparat). Das konservative System steht im Gegensatz zu der kulturellen und vor allem sozialen Modernisierung, zum wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. •Die Folgen: •A) Rückzug aus dem öffentlichen Bereich, Enttäuschung - Biedermeier •B) Politische Radikalisierung – „Junges Deutschland“ •Revolutionen europaweit 1848 http://www.bbs1-northeim.de/Unter-projekte/Unterrichtsprojekte/Deutschprojekte/heine/webzug2.jpg Literarische Epochenbegriffe in der Restaurationszeit •Die literarischen Strömungen zwischen Romantik und Realismus werden durch folgende Epochenbegriffe charakterisiert: •Das Biedermeier wird als eine allgemeine Lebenskultur verstanden, die „einen Rückzug ins Apolitisch-Ästhetische bzw. Privat-Familiäre vollzog. ... Die innere Seelenruhe, die in den literarischen Werken oft beschworen wurde, blieb allerdings für die Autoren selbst oft nur ein unerreichtes Ideal.“ (Pochlatko, S. 156) •„Junges Deutschland“ war eine radikal demokratische Dichtergruppe, die das konservative System angegriffen hat und deshalb oft verfolgt wurde (z. B. Gutzkow, Laube, Börne). •Der Vormärz ist als Epochenbegriff wohl am besten geeignet. Dieser Begriff enthält die „Aufbruchsstimmung“, die von den Schriftstellern nicht nur „an den Barrikaden“, sondern auch innerlich ausgetragen wurde. •Die hervorragenden literarischen Gestalten der Zeit sind Heine, Grillparzer, Büchner, Mörike, Droste, Gotthelf + ... • • http://karlmay.leo.org/kmg/alg/m-alg/m18/bilder/22_2.jpg http://www.ing-nagel.ch/grafik/fragezeichen.gif http://www.stamokap.org/images/rotefahne.gif Das Biedermeier •Begriffsursprung: Spießbürger Gottlieb Biedermaier. Wohnkultur und Innenarchitektur, später Literatur. •Das Biedermeier ist – zumindest in der Literatur – keine einfache, idyllische Zeit. Der Rückzug aus dem öffentlichen Raum ist eher als erzwungener Verzicht zu deuten. •Das Individuum empfindet oft keine Übereinstimmung mit seiner Umgebung: Es kann den Forderungen nicht genügen, es kann sich mit den Regeln nicht identifizieren, es fühlt sich von der Gesellschaft eher verstoßen. •Paradebeispiel: Grillparzer: Der arme Spielmann metternich Franz Grillparzer •Widerspruch: Klassisch-optimistischer Humanitätsideal, antikes Erbe VERSUS Skepsis, Kulturpessimismus (Schopenhauer), Unverständnis seitens des Publikums, Probleme mit der Zensur. •Durch seine schauerliche Schicksalstragödie Die Ahnfrau (1817) zu frühem Ruhm gelangt. •Größte Bühnenerfolge: Trauerspiel König Ottokars Glück und Ende (1825), märchenhaftes Besserungsstück Der Traum ein Leben (1834) •Nach dem Misserfolg von Weh dem, der lügt (1838) schreibt Grillparzer nunmehr für die Schublade (Trauerspiele Libussa und Ein Bruderzwist in Habsburg werden erst nach seinem Tode aufgeführt). Grillparzer zieht sich verbittert und enttäuscht zurück. •Am Ende seines Lebens als „der österreichische Klassiker“ gewürdigt. • grillparzer Grillparzer: König Ottokars Glück und Ende (1825), Trauerspiel •Anlass: der Tod Napoleons (1821): Geschichte vom „Übermut und Fall“ eines Mächtigen •Grillparzers Tagebuch: „Beide tatkräftige Männer, Eroberer, ohne eigentliche Bösartigkeit durch die Umstände zur Härte, wohl gar Tyrannei fortgetrieben, nach vieljährigem Glück dasselbe traurige Ende, zuletzt der Umstand, dass den Wendepunkt von beider Schicksal die Trennung ihrer ersten Ehe und eine zweite Heirat gebildet hatte. Wenn nun zugleich aus dem Untergange Ottokars die Gründung der habsburgischen Dynastie in Österreich hervorging, so war das für einen österreichischen Dichter eine unbezahlbare Gottesgabe und setzte dem Ganzen die Krone auf.“ •Ottokar, Margarethe von Babenberg, Kunigunde von Ungarn, Zawisch von Rosenberg, Rudolf von Habsburg. •Sehr erfolgreiche Inszenierung 2005 im Burgtheater. INottokar_43s Unterhaltungskultur: Wiener Volksstück •Theater in der Wiener Vorstadt (Leopoldstädter „Lachtheater“): bühnenwirksam, publikumsattraktiv •Einflüsse: Barocktheater, Stegreifkomödien, italienische Commedia dell´arte (Harlekin, Colombina: in Österreich: Hanswurst), Puppen- und „Kasperltheater“ •Gattungen: •Zauber- und Märchenspiele Bsp. Mozart: Zauberflöte. •Possen Nestroytalisman Ferdinand Raimund (1790-1836), Johann Nepomuk Nestroy (1801-1867) •Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind. Romantisch-komisches Original-Zauberspiel (1828) (Besserungsstück, Komödie, Satire, phantastische Kräfte; der reiche Herr von Rappelkopf mit damals „modernem“ Weltschmerz, Lebensüberdruss + Hasstiraden, dagegen der menschenfreundliche Alpenkönig Astragalus). Leopoldstädter Theater. •Nestroy: Zu ebener Erde und erster Stock, Der böse Geist Lumpazivagabundus, Der Talisman alpenkönig Eduard Mörike (1804-1875) •Fern vom politischen Geschehen, Dorfpfarrer und –lehrer. •Novelle: Mozart auf der Reise nach Prag (1855): Mozart reist zur Uraufführung des „Don Juan“. Sein hochsensibles, aber ruheloses Wesen beeindruckt und verängstigt andere. •Biedermeier-Stimmung: Gedicht Verborgenheit („Lass, o Welt, o lass mich sein. Locke nicht mit Liebesgaben, lass dies Herz alleine haben, seine Wonne, seine Pein.“) •Mörike schrieb aber auch Balladen und groteske, sprachspielerische Gedichte, die etwa Morgensterns „Galgenlieder“ vorwegnehmen. •Dinggedichte: z. B. Auf eine Lampe •Noch unverrückt, o schöne Lampe, schmückest du, An leichten Ketten zierlich aufgehangen hier, Die Decke des nun fast vergessnen Lustgemachs. Auf deiner weissen Marmorschale, deren Rand Der Efeukranz von goldengrünem Erz umflicht, Schlingt fröhlich eine Kinderschar den Ringelreihn. Wie reizend alles! lachend, und ein sanfter Geist Des Ernstes doch ergossen um die ganze Form - Ein Kunstgebild der echten Art. Wer achtet sein? Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst. eduard_moerike Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) •Bedeutendste Lyrikerin des 19. Jahrhunderts. •Gedichte: … •„Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgigen Westfalen“ (1842) •(Novelle+ Kriminalgeschichte, Dorfgeschichte, Milieustudie). Verbrechen samt Vor- und Nachgeschichte: realistische bzw. naturalistische Schreibweise vorweggenommen. Friedrich Mergel, Johannes Niemand, die „Blaukittel“, der Jude Aaron. Sklaverei in Algerien, Rückkehr. droste-bueste-rueller Annette_von_Droste Annette von Droste: Am Turme fluttering hair •Ich steh' auf hohem Balkone am Turm, Umstrichen vom schreienden Stare, Und lass' gleich einer Mänade den Sturm Mir wühlen im flatternden Haare; O wilder Geselle, o toller Fant, Ich möchte dich kräftig umschlingen, Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand Auf Tod und Leben dann ringen! •Und drunten seh' ich am Strand, so frisch Wie spielende Doggen, die Wellen Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch, Und glänzende Flocken schnellen. O, springen möcht' ich hinein alsbald, Recht in die tobende Meute, Und jagen durch den korallenen Wald Das Walroß, die lustige Beute! •... •Wär' ich ein Jäger auf freier Flur, Ein Stück nur von einem Soldaten, Wär' ich ein Mann doch mindestens nur, So würde der Himmel mir raten; Nun muß ich sitzen so fein und klar, Gleich einem artigen Kinde, Und darf nur heimlich lösen mein Haar, Und lassen es flattern im Winde! „Junges Deutschland“ DenkerClubM •Gruppierung von jungen liberalen, radikal freiheitlichen Autoren, die vor allem die politischen Möglichkeiten der Literatur wahrgenommen haben. Sie haben sich in ihrem Schreiben und ihrer politischen Tätigkeit gegen die restaurativen Verhältnisse in deutschsprachigen Staaten gewendet. •Typische Gattung: Feuilleton, Flugblatt, politisches Lied, Aufruf •Etwa ab 1830 tätig, 1835 durch einen Beschluss des deutschen Bundestages wurden ihre Werke verboten. Die meisten wurden dadurch zur Emigration gezwungen. •Bedeutende Vertreter: Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Theodor Mundt, Ludwig Börne. •Polemik mit Heinrich Heine über den künstlerischen Wert der engagierten Literatur. Patriotische, nationale Bestrebungen – H. von Fallersleben: Das Lied der Deutschen Melodie J. von Haydn •Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt, Wenn es stets zum Schutz und Trutze Brüderlich zusammenhält, Von der Maas bis an die Memel, Von der Etsch bis an den Belt - Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt! •Deutsche Frauen, deutsche Treue, Deutscher Wein und deutscher Sang Sollen in der Welt behalten Ihren alten schönen Klang, Uns zu edler Tat begeistern Unser ganzes Leben lang - Deutsche Frauen, deutsche Treue, Deutscher Wein und deutscher Sang! •Einigkeit und Recht und Freiheit Für das deutsche Vaterland! Danach lasst uns alle streben Brüderlich mit Herz und Hand! Einigkeit und Recht und Freiheit Sind des Glückes Unterpfand - Blüh im Glanze dieses Glückes, Blühe, deutsches Vaterland! flagge_halbmast aniFlaggeD05 aniFlaggeD05 aniFlaggeD05 aniFlaggeD05 aniFlaggeD05 aniFlaggeD05 aniFlaggeD05 aniFlaggeD05 Liberale Dichter und Journalisten •In der Vormärzzeit waren zahlreiche Schriftsteller politisch und journalistisch tätig. Ihre Einstellungen enthielten national-liberale Ansätze sowie sozialistisch-revolutionäre Gedanken (unter dem Einfluss bzw. in Auseinandersetzung mit Marx). •Ihre literarische Produktion steigt oft ins Tagespolitische ab. Veränderungen im politischen Bereich beabsichtigen sie auch primär. Die Folge: Sie werden heute kaum noch gelesen. •Die wichtigsten Vertreter: Georg Weerth (Das Hungerlied), Ferdinand Freiligrath (Ça ira!, d.h. „wir werden es schaffen, die Adeligen an die Laterne“ = das Kampflied der frz. Revolution) usf. • • http://www.sijmen.nl/filo/philoimages/marx.jpg Charles Sealsfield (eig. Karl Postl, 1793-1864) •Gebürtiger Mährer (*in Poppitz bei Znaim) •Mitglied (später Sekretär) des Kreuzherrenordens in Prag, von wo er 1823 unter falschem Namen nach Amerika flüchtete. •In den US lernt er die amerikanische Demokratie kennen und ist journalistisch und literarisch tätig: Seine Abenteuerromane (von J. F. Cooper inspiriert) erreichen hohe Auflagezahlen (Kajütenbuch bis heute oft verlegt und übersetzt). •In Europa erscheint anonym seine gesellschaftskritische Schrift (fiktives Reisetagebuch) Austria as It Is (1827, tsch. 1992), das gnadenlos (und spöttisch) die absolutistischen Verhältnisse des damaligen Österreichs angreift. Das Buch wird gleich verboten. •Sealsfields richtige Identität offenbart sich erst nach seinem Tod (1864 in der Schweiz). • sealsfield Georg Büchner (1813-1837) •Zweifellos der aktuellste der Vormärz-Dichter; er stand allerdings mit keinem der bekannten Literaten der Zeit in Verbindung. (Das Gesamtwerk 1987 auf Tschechisch erschienen, Odeon-Verlag). •Impuls fürs Schreiben: 1830er Revolution in Frankreich, die er aus relativer Nähe (Darmstadt) wahrgenommen hat. •Früh enttäuscht von offenem politischen Engagement („Der hessische Landbote“). •Seine Texte benutzen oft authentische (auch medizinische bzw. „psychologische“) Quellen als Basis. Sein Umgang damit ist aber ausgeprägt künstlerisch: •„Der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtsschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, dass er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockne Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, uns statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen. Sein Buch darf weder sittlicher noch unsittlicher sein, als die Geschichte selbst; aber die Geschichte ist vom lieben Herrgot nicht zu einer Lektüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden.“ •Exil in Strassburg: Medizinstudium. Mit 22 (!) Professor an der Uni Zürich. Gestorben mit 23 an Typhus. •Nach Büchner heißt der bekannteste deutsche Literaturpreis. Buechner Flugschrift Der Hessische Landbote: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“ 29_Hessischer_Landbote •Verfasst im Juli 1834 von Georg Büchner, vom Pfarrer Friedrich Weidig im Ausdruck gemildert („Vornehme“ statt „Reiche“). •Scharfer Angriff gegen die materielle Ausbeutung der hessischen Landbevölkerung. Flugblatt von Bauern allerdings verraten. Folgen für die Verfasser: Verhaftungen, Folterung, Exil. •Mischung von Statistik, sozialkritischer und fast biblisch bewegter Ausdrucksweise. • • Trauerspiel Dantons Tod (1835) •Vorwegnahme der naturalistischen Theaters (Interesse an Herkunft, Hintergrund der Figuren, Fatalismus) bzw. des Dokumentartheaters der 1960er Jahre (authentische Materialien, Milieuschilderung, lose Szenenabfolge). Erst durch die Naturalisten um 1880 gewürdigt. •1794: Höhepunkt der Schreckenherrschaft in der frz. Revolution. Danton: lebens- und revolutionsmüde, von eigenen Verbrechen eingeholt VERSUS Robespierre, der intrigante „Tugendbold“ („Die soziale Revolution ist nicht fertig“). Schließlich bringt Robespierre Danton an die Guillotine. •Danton über Robespierre: „Mit deiner Tugend, Robespierre! Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagt, du lügst, du lügst!“ • guillotine Dramenfragment Woyzeck (1837) •Authentische Quelle: Medizinische Berichte über Mord aus Eifersucht. •Woyzeck (einfacher Soldat, der wegen Dienstverpflichtungen nicht heiraten darf; medizinische Versuchsperson), Marie (seine Geliebte, die W. mit dem Tambourmajor betrügt), Doktor (der W. wie ein Tier behandelt) •Büchner drückt den Zweifel an der Gerechtigkeit der Welt, der Selbstbestimmung des Individuums darin und der Möglichkeit zwischenmenschlicher Kommunikation aus. •Besonderheiten im Dramenaufbau (lose Abfolge von Szenen) und Stil (gesprochene Sprache). Der Eindruck ist deprimierende Authentizität. •Herausgegeben erst durch die Naturalisten (1880), uraufgeführt durch die Expressionisten (1913). •Geniale Verfilmung von Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle (1979). woyzeck2pm Erzählung Lenz (1835) •Quelle: Bericht des Pfarrers Oberlin, bei dem J. M. R. Lenz (Dichter des Sturm und Drang) Zuflucht gesucht hat vor seiner sich unaufhaltsam verbreitenden Schizophrenie •Büchner (Psychologie- und Medizinprofessor) stellt – kühl und genau – die abschreckende Innenwelt eines geistig Kranken dar, seinen Kampf mit den Wahnvorstellungen. Sprachlich brillant. Keine Magie wie etwa bei E.T.A. Hoffmann, sondern Authentizität. •Bekannt ist der Schlusssatz: „Er schien ganz vernünftig, sprach mit den Leuten; er tat Alles wie es die Andern taten, es war aber eine entsetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Verlangen; sein Dasein war ihm eine notwendige Last – So lebte er hin.“ • Lenz_2 Georg Büchner: Lenz (Anfangspassus) •„Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. •Es war naßkalt; das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht - und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump. •Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte. •Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang, der graue Wald sich unter ihm schüttelte und der Nebel die Formen bald verschlang bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. Es war ihm alles so klein, so nahe, so naß; er hätte die Erde hinter den Ofen setzen mögen. Er begriff nicht, daß er so viel Zeit brauchte, um einen Abhang hinunterzuklimmen, einen fernen Punkt zu erreichen; er meinte, er müsse alles mit ein paar Schritten ausmessen können. Nur manchmal, wenn der Sturm das Gewölk in die Täler warf und es den Wald herauf dampfte, und die Stimmen an den Felsen wach wurden, bald wie fern verhallende Donner und dann gewaltig heranbrausten, in Tönen, als wollten sie in ihrem wilden Jubel die Erde besinnen, und die Wolken wie wilde, wiehernde Rosse heransprengten, und der Sonnenschein dazwischen durchging und kam und sein blitzendes Schwert an den Schneeflächen zog, so daß ein helles, blendendes Licht über die Gipfel in die Täler schnitt; oder wenn der Sturm das Gewölk abwärts trieb und einen lichtblauen See hineinriß und dann der Wind verhallte und tief unten aus den Schluchten, aus den Wipfeln der Tannen wie ein Wiegenlied und Glockengeläute heraufsummte, und am tiefen Blau ein leises Rot hinaufklomm und kleine Wölkchen auf silbernen Flügeln durchzogen, und alle Berggipfel, scharf und fest, weit über das Land hin glänzten und blitzten riß es ihm in der Brust, er stand, keuchend, den Leib vorwärts geboren, Augen und Mund weit offen, er meinte, er müsse den Sturm in sich ziehen, alles in sich fassen, er dehnte sich aus und lag über der Erde, er wühlte sich in das All hinein, es war eine Lust, die ihm wehe tat; oder er stand still und legte das Haupt ins Moos und schloß die Augen halb, und dann zog es weit von ihm, die Erde wich unter ihm, sie wurde klein wie ein wandelnder Stern und tauchte sich in einen brausenden Strom, der seine klare Flut unter ihm zog. Aber es waren nur Augenblicke; und dann erhob er sich nüchtern, fest, ruhig, als wäre ein Schattenspiel vor ihm vorübergezogen - er wußte von nichts mehr.“ • Revolutionen von 1848: europaweiter Umbruch map1848