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Zum menialistischen Ansatz gehören subjektiv-intuitive Bewertungen, wie sie Schriftsteller, Philosophen und viele andere, die sich dazu berufen fühlen, seit Jahrhunderten abgegeben haben. Dies sind oh globale Urteile wie z.B. »die Übersetzung ist dem Original kongenial« oder »der Ton des Originals geht in der Übersetzung verloren« usw. Solche vagen Werturteile finden wir auch heute noch z,B. im neohermenetitischen Ansatz, in dem Übersetzen zum individuellen kreativen Akt stilisiert und die subjektive Interpretation und die Relativität aller Bedeutung hetont wird. Für Übersetzungskritik, mit det man begründen will, genau wie und warum eine Übersetzung so ist, wie sie ist, eignet sich der mentalistische Ansatz nur begrenzt. Zum wirkungsbasierten Ansatz gehören zum einen die klassischen, vom Behaviorismus inspirierten Versuche Nidas (1964), die Wirkung einer Übersetzung durch Tests wie z.B. Vorlesen, Cloze Tests usw. zu überprüfen. Diese frühen Versuche, die Qualität einer Übersetzung als Rezipien-tenreaktion zu operationalisieren, sind nicht weiter verfolgt worden, denn sie blenden nicht nur das Original aus, sondern reduzieren auch ein so komplexes Phänomen, wie es die Qualität einer Übersetzung ist, auf messbares Verhalten und verlieren somit an Validität. 102 Juliane House Skopos-Thcurie Tcxtbasicner Ansatl... ... deskriptiv ... postmodern In ähnlich rcduklionistischer Weise bindet der weite wirkungsbasierte Ansatz, die sog. Skoposlheorie (Reiß / Vermeer 1984), die Qualität einer Übersetzung einsinnig an den Zweck der Übersetzung. Wichtigster Bewertungsmaßstab wird dann die Art und Weise, wie die Normen der Zielkultur in der Übersetzung berücksichtigt werden. Dutch die Wichtigkeit des »skopos« wird der Ausgangstext zuni rnumnatiunsangebot reduziert, während dem Zieltext überragende Bedeutung zukommt - eine Imbalance, die der Natur der Übersetzung zuwiderläuft und daher für die Übersetzungskritik keinen günstigen Ausgangspunkt bietet. Der textbasiene Ansatz besieht aus drei Untergruppen: Descrtptive Translaüon Studies, postmoderner Ansatz und. linguistischer Ansatz. Vertreter der Descriptive Translation Studies (z.B. Toury 1995) fokussieren auf den Zieftext, d.h. eine Übersetzung wird primär nach ihrem Stellenwert im System der aufnehmenden Kultur beurteilt. Trotz der Betonung auf solide, auch diaehron vorgehende empirisch-deskriptive Analysen greift auch dieser Ansatz wegen der ungenügenden Berücksichtigung des Originals zu kurz. Im postmodemen Ansatz {z.B. Venuti 1992) werden aus scziopotiii-scher Perspektive Übersetzt! ugspraktiken kritisch durchleuchtet und auf ungleichen Machtverhältnissen basierende Verzerrungen und »Kanniba-lisierungen« entlarvt. Eine einseitige Ausrichtung auf ideologisch motivierte Manipulationen und ein Zelebrieren kultureller Differenzen drängt jedoch jede nüchterne, das Verhältnis von Original und Übersetzung in Form, Funktion und Distribution ihrer sprachlichen Einheiten analysierende Kritik in den Hinlergrund, wodurch dann kaum mehr zwischen Übersetzungen und anderen »abgeleiteten Texten« unterschieden werden, kann. Zum linguistischen Ansatz zählen z.B. die Pionierarbeiten von Reiß (1971) und Koller (1979) und die Arbeiten der Leipziger Schule. Sie alle - wie auch die zahlreichen neueren Arbeiten (in Deutschland besonders von Doherty 1993 und Steiner 1998) - räumen der Relation zwischen Original und Übersetzung einen wichtigen Platz ein. Am vielversprechendsten sind Vorgehensweisen, bei denen eine Theorie zur Übersetzungsbewertung explizit ausformuliert und eine begründete Übersetzungskonzeption vorgelegt wird. Eine solche Theorie ist z.B. in dem von Hotise (1977, 1997) vorgelegten Übersetzungsmode 11 zu finden, das im Folgenden kurz dargestellt werden soll. 2 Ein systemisch-funktionales Modell zur Bewertung von Übersetzungen Äquivalenz Das Modell basiert auf der Annahme, dass das Wesen der Übersetzung in dem Versuch liegt, die semantische, pragmatische und textuelle Redeu- I monistisch Möglichkeiten der Übersetzungskritik 103 Textl unk Lion tung einer sprachlichen Einheit, eines Textes, beim Überwechseln von einem sprachlichen Code ineinen anderen äquivalent zu halten. Übersetzen lässt sich demgemäß definieren als die Subsumtion eines Textes in der Ausgangssprache durch einen semantisch, pragmalisch und textuell äquivalenten Text in der Zielsprache. Schlüssel begriff in dieser Konzepüon des ÜbersetzenS ist »Äquivalenz« - ein Begriff, der nicht im umstritten ist (s. Koller 1995), der aber zur Bestimmung dessen, was eine Übersetzung »eigentlich« ist, unabdingbar ist, denn er dient der Kennzeichnung der übersetzungskonstitutiven »Übersetzungsrelation« und ist zugleich das Hauplkriterium für die Evaluation von Übersetzungen. Natürlich ist Äquivalenz kein absoluter Begriff, sondern ein relativer, und Äquivalenz ist -wie ja hinreichend aus der Alhagssprache bekannt-nicht mit Identität zu verwechseln, vielmehr bezeichnet man mit ihr »Gleichwertigkeit« in einem anderen Code, in anderen Umständen, für andere Adressaten, Eine Übersetzung kann dann als ihrem Original äquivalent bezeichnet werden, wenn sie ehie Punktion hat, die der Funktion des Originals äquivalent ist. »Funktion« ist hier aber nicht gleichzusetzen mit «Funktion von Sprache«, wie sie in Sprachphilosophie und Linguistik behänd eil wird, sondern gilt im engeren Sinne als »Funktion eines Textes«, als Verwendung des Textes in einem bestimmten situativen Kontext. Die Textfunktion setzt sich zusammen aus zwei Komponenten, einer inhaltsbezogenen, kognitiv-rcfcretizi eilen und einer intetaktions- oder perso-nenbezogenen, die in jedem sprachlichen Produkt stets gleichzeitig vorhanden sind, denn sie entsprechen den beiden wichtigsten Zwecken von Sprache, wie sie in allen philosophisch-Imguis tischen Klassifikationen erkennbar sind. Wenn nun die aus diesen beiden Komponenten bestehende Funktion eines Textes definiert wird ah seme Verwendung im Kontext einer bestimmten Situation, so folgt daraus für die nähere Bestimmung dieser Funktion, dass jeder Text mit der Situation, in die er eingebettet ist, in Beziehung zu setzen ist, und dass hierfür die Begriffe »Situation« oder »Kontext« schärfer gefasst, d.h. analysierbar und beschreibbar gemacht werden müssen. Dies kann mit dem konzeptuellen Instrumentarium des britischen Kontextualismus (z.B. Halliday 1994} geleistet werden, bei dem die Verwendung von Sprache üi verschiedenen Kontexten mittels bestimmter situativerDimensiouen charakterisiert wird, die das sprachliche »Material« aufschlüsseln, so dass im Text für jede der Dimensionen sprach lieh-textuelle Korrelationen etabliert werden können. Die sprachlichen Korrelate der Dimensionen sind dann die Mittel, mit denen die Textfunktion realisiert wird. Die Textfunklion ergibt sich also als Resultat einer linguistisch-pragmatischen Analyse entlang der Dimensionen, und jede Dimension determiniert in charakteristischer Weise die beiden Fuuktioiiskomponenten, die zusammen die Textfunktion ausmachen. Durch diese Art der Textanalyse wird dann ein bestimmtes Text-profti erstellt, das die Funktion eines Textes charakterisiert und dielndivi- I 104 Juliane Hause Möglichkeiten der Übersetzungskritik 105 duelle Textnorm darstellt, nach der ein Text, der den Anspruch erhebt, eine Übersetzung »im eigentlichen Sinne« (KoUct 1992) zu sein, ausgerichtet werden kann. In House (1977) wurde nun das Postulat der Funktionsaquivaleriz für die Bestimmung der Angemessenheit einer Übersetzung wie lolgt spezifiziert: Damit in einer Übersetzung Funktionsäquivalenz mit ihrem Original erreicht wird, müssen beide Texte äquivalente Textprolile haben. Um dies festzustellen, wird die Übersetzung wie das Original gemäß der gleichen Dimensionen - die als eine An »Tertinm Cömparationis« fungieren -analysiert, und die An und Weise, wie die beiden Textprofile und Funktionen übereinstimmen oder nicht, entspricht dann dem »Gütegrad« der Übersetzung. Dieses übersetzungsbewertungsmodell kann graphisch wie folgt dargestellt werden: Abb. 1 Ein Mudell zur Analyse und zum Vergleich von Original-und Übersetzung; lex ten Textfunktion Register Genre Field Tenor Mode Reaiitäts- Partizipanten und Textualität ausschnitt deren Beziehung Mündlichkeit und - Thema zueinander Schriftlichkeit - Handlungen - Herkunft und Ein- stellung des Autors - Rollenbeziehung - soziale Distanz sprachliche Formen und Textmuster Die Dimension »FieLd« bezieht sich auf den Inhalt, das Thema eines Textes, wobei auch die Granularität. der Grad der GeneraJität oder Spezi-fizität der verwendeten lexikalischen Einheiten zu beachten ist. »Tenor« bezieht sich auf den Textproduzenten (seine temporale, soziale und geographische Herkunft) und die Textadressaten sowie die Beziehung zwischen Textpioduzent und Adressaten im Sinne von Autorität, Distanz und affektiver Beziehung. Von besonderem Interesse lür die Textanalyse ist ferner die persönliche (affektive) Einstellung des Text Produzenten (»Stance«) gegenüber dem im Text wiedergegebenen Inhalt. Ferner wird mit der Dimension »Tenor« auch die Stilebene des Textes erfasst, d.h. es wird herausgearbeitet, ob ein Text formell, informell oder umgangssprachlich verfasst ist. Mit der Dimension »Mode« werden die Grade der jeweiligen Mündlichkeit und Schrifllichkeit erfass! und die Art und Weise, wie die Adressaten des Textes in die Vertextung miteinbezogen werden, z.B. durch rhetorische Fragen, Verwendung von Deixis, Modalpanikeln, Kon-taktparentheseu, Exklamationen oder Wechsel des grammatischen Modus oder Tempus. Zur differenzierten Beirachtung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind die von Biber (1988) auf der Grundlage extensiver Korpusstudien aufgestellten Parameter nützlich, mit denen unterschiedliche Arten der Informationsorganisation erfasst werden können, z.B.: Involviert versus hiformaüv, Explizit versus Situaüonsabhängig, Abstrakt versus Nicht-Abstrakt. Mithilfe eines solchen Instrumentariums können vielfältige Schattierungen und Übergange von »mündlichen« zu »schriftlichen« Texten genauer bestimmt werden. Dies wird besonders für die Charakterisierung bestimmter Gruppierungen von Texten oder »Genres« wichtig. Der Begriff »Genre« ist für die Übersefzungsevaluation insofern relevant, als hierdurch Klassen von Texten erfasst werden können, deren Gemeinsamkeit in ihrem kommunikativen Zweck besteht. Während mit dem Konstrukt »Register« Texte mit dem unmifielbaren situativen »Mik-rokontext« verbunden werden, setzen Genres die Texte mil dem »Makro-kontext« der Sprach- und Kuhurgemeinschalt in Relation. Register und Genre sind beides sernioüsche Systeme, die mit Sprache realisiert werden, so dass das Verhältnis zwischen Genre, Register und Sprache/Text in dem Housesdren Bevvertungsmodell als eines zwischen semiotischen Ebenen erscheint, die sich zueinander in Beziehung setzen lassen, d.h. die Wahl eines bestimmten Genres wird durch die Wahl bestimmter Register realisiert, die ihrerseits durch die Wahl bestimmter sprachlicher Merkmale realisiert werden. Durch die Bestimmung von Register und Genre wird nun ein individuelles Text pro Iii erstellt, das die Textfunktion charakterisien. Wie die Ergebnisse verschiedener vergleichender Analysen von Original und Übersetzungen in House (1977) ergeben haben, kann nun aber diese Texthinktion lediglich bei einem bestimmten Übersetzungstyp äquivalent gehalten werden, nämlich hei der verdeckten (covert) Übersetzung, nicht aber bei offener (overt) Übersetzung. Die Unterscheidung dieser beiden Übersetzungstypen ist nicht neu, sie gebt mindestens zurück auf Scbletermachers »einbürgernde« und "verfremdende« Übersetzung, wird aber in House (1997) in eine kohärente Theorie eingebunden, in der beide Typen in ihrer Genese und Funktion konsistent beschrieben werden. Übersetzungen sind immer zugleich Orte des Spradi- und Kuhurkontakts und Medien des Transfers. Doch werden hier nicht nur hn materiellen 5inne Texte durch Zeit und Raum »bewegt«, es wandeln sich zugleich die Bezugsrahmen (Frames) der betraf- 106 Juliane House i i&eae Übersetzung Jenen Texte und die Disktirswelten, in deren die Texte »leben«. Bezogen auf »ofiene« und «verdeckte« Übersetzung nimmt die Veränderung von Tiezugsrahmen und Diskurswelt ganz unterschiedliche Formen an: Bei offener Übersetzung kann die Funktion des Originals nicht erhalten bleiben, nur eine Arl »versetzte Funktion« (»SecoudLevel Function«) ist möglich, denn eine offene Übersetxung bettet den Text in ein nettes soziales Ereignis ein, gibt ihm einen neuen Rahmen und lässt ihn in einer neuen Disk ursweit operieren. Beispiele für offene Übersetzungen sind historisch verankerte Ausgangsiexte. Wenn z.B. eine Rede Churchills, die er während des 2. Weltkriegs vor dem Rathatis einer nordenglischen Kleinstadt hielt, ins Deutsche übersetzt wird, so ist das Original in gewisser Weise sakrosankt. Auf die drei Anaiyseebenen bezogen bedeutet dies: Ein Original und seine olfene Übersetzung müssen zwar aui den Ebenen Sprache / Text, Register und Genre äquivalent sein, die iodividrielle Text-funktion dagegen kann nur »versetzt* äquivalent sein, denn der tibersetzte Text dient gewissermaßen nur dazu, Zugang zu der Funktion zu ermöglichen, welche der Originaltext in seinem Bezugsrah tuen und seiner Diskurs weh hat I gehabt hat. Da dieser »Zugang« aber in üer Zielkultur und durch die in einer anderen Sprache verfasste Übersetzung geleistet werden muss, wird ein Wechsel der Diskniswelt und des Bezugsrahmens unumgänglich, d.h. die Übersetzung »lebt« in einer anderen Diskurswelt. Wegen der auf den Ebenen Sprache /Text und Register notwendigen Äquivalenz wird aber die Diskurs weit des Originals koaktiviert, so dass die Angehörigen der Zielkultur in das Original >> hi n e inJa tischen« und die Funktion des Originals wahrnehmen können - wiewoltJ stets aus einer gewissen Distanz. Die Arbeit des Übersetzers in offenen Übersetzungen ist bedeutsam, denn ihre Resultate sind deutlich sichtbar, der Übersetzer ist hier ganz explizit derjenige, der »das Fremde« dem »Eigenen« zuführt und es den Adressaten ermöglicht, den Originaltext in einem anderen Code kennen zu lernen, was aber - wegen der geschilderten Kopräsenz zweier »Weiten« - nur mit einem Bemühen um etwas, das Wordsworth »Willing Suspension oi disbelief« genannt hat, gelingen kann. In verdeckter Übersetzung bemüht sich der Übersetzer, in der Übersetzung ein äquivalentes kulturelles Ereignis herzustellen, d.h. beim verdeckten Übersetzen ist es möglich und nötig, die Funktion, die das Original in seiner Diskurswelt hatte, im Übersetzungstext zu re-kreieren. Eine verdeckte Übersetzung operiert ganz »offen« in der neuen Diskurswelt deľ Zielkultur, ohne die Diskurswelt, in der das Original »lebt« / »gelebt hat«, zu koaktivieren. Verdeckte Übersetzung ist deshalb psychulinguis-tisch gesehen weniger komplex als offene Übersetzung. Doch wird hier gewissermaßen »mit verdeckten Karten gespielt«. Der Übersetzer hat die Aulgabe, sich selbst hinter der Verwandlung des Originals zu verbergen. Beispiele für Texte, die verdeckte Übersetzungen erforderlich machen, siiidjournaiistischeTextefürmuItüiarionaleZeitschril'ten, Werbeschriften Vereieckte Übersetzung Möglichkeiten der Übersetzungskritik 107 Kultureller Filter für international verbreitete Produkte, Texte aus1 globalisierten Firmen. Die Übersetzung solcher Texte ist verdeckt, weil sie pragmatisch nicht als Zielt ext eines Ausgangs textes markiert ist, es also durchaus denkbar ist, dass sie »das Original« ist. Ausgangs- und Zieltextadressaten sind gleichermaßen »direkt angesprochen«, doch müssen bei dieser Übersetzungsart, gerade weil die Originaitunklion zu erhalten ist, unterschiedliche kulturelle Präsuppositionen der beiden Adressatengruppen berücksichtigt werden: Es muss ein »kultureller Filter« zwischen Original und Übersetzung geschoben werden. Die Entscheidung, ob und wie ein solcher Filter zu i verwenden ist, sollte auf der Grundlage von Ergebnissen empirischer, spra-chenpaarspezifischer kontrastiv-pragrnarischer Analysen getroffen werden, in denen Untersuchungen relevant er textuell er Phänomen berei che -wie Sprech handlungssequenzen, Diskursstrategien oder Modalitätsmarkiert] ngen - bestimmte Muster unterschiedlicher kommunikativer Präferenzen und Vertextungsnormen aufgezeigt haben (s. z.B. Bhmi-Kulka et al. 1989; House 1996; 199«). Wenn nun der kulturelle Filter bei verdeckter Übersetzung keine Substanz durch empirisdte Forschung erhält und nicht nachvollziehbar kulturell gefiltert wird, dann liegt keine Übersetzung (im eigentlichen Sinne) mehr vor, sondern eine »verdeckte Version«. Theoretisch abzugrenzen sind Übersetzungen auch von sog. »offenen Versionen«, bei denen eine besondere sekundäre Funktion ganz »offen« für die Übersetzung eingeführt wird, wenn also z.B. Shakespeares Dramen für Kinder übersetzt werdeil (vgl. hierzu Reiß 1971, die sehr Iriih auf diese theoretische Unterscheidung hinge wiesen hat). Die Problematik der Bewertung des Einsatzes kultureller Filter beim verdeckten Übersetzen hat sich in den letzten Jahren insofern verschärft, als im2uge fortschreitender Globalisierung in vielen Lebensberekhen ein immer stärker werdender Bedarf an Texten entsteht, die sich gleichzeitig an Adressaten verschiedener Sprachgemein seit allen richten, also entweder sofort als »parallele Texteu in mehreren Sprachen produziert oder aber verdeckt - meistens aus dem Englischen - übersetzt werden. Wallte uii hier bis vor kurzem auf kufturspezifische Konventionen hin kulturell gefiltert wurde, hal nunmehr durch die Dominanz des Englischen ein Prozess der »Kullurneumilisienmg« begonnen (s. House im Druck b). In Zukunft dürften der Konflikt zwischen Kuliurspczifik und Kulturneutra-Ihäl in der Darstellung von Sachvethalten bei verdeckten Übersetzungen und die Spannung zwischen den Anforderungen au Vertextungen durch globale Information s- undMarketingstrategien einerseits und lokale, kulturspezifische Textualisierungskonventionen andererseits stetig ausgeprägte v werden, und es dürften verstärkt »kulturncutiale« - d.h. aber wesentlich angelsächsisch geprägte - Texte in anderen Sprachen durch Übersetzungen und Paralleltextproduktionen aus dem Englischen entstehen. Die Auswirkungen der Dominanz des Englischen auf Register und T 108 Juliane House Genrefomiationen im Deutschen und anderen Sprachen ist ein wichtiges zukünftiges Forschungsfeld für die Übersetzungskritik (s. House im Druck a). 3 Zu den Grenzen der Übersetzungskritik Wie deT Einfluss des Englischen auf Textnormen in anderen Sprachen zeigt, ist es bei der Bewertung von Übersetzungen und der Verwendung eines kulturellen Filters unabdingbar, die dynamische Natur kulturell bedingter Textnormen mit zu bedenken. Darüber hinaus muss stets zwischen fprachlichm Analysen und Vergleichen von Original und Übersetzungen und sozio-kulturelkr Bewertung von Übersetzungen unterschieden werden. Der Sinn jeder Übersetzungskritik liegt darin zu erhellen, wo, mit weichen Konsequenzen und durch welche sprachlichen Formen eine Übersetzung in einem ganz speziellen Fall so ist, wie sie ist - in Relation zu ihrem Original, Die sprachliche Analyse isi hierbei am wichtigsten. Sie sollte sich, wie oben ausgeführt, vom makro-analytischen zum mikro-analytischen Fokus bewegen, von der Berücksichtigung von Ideologie, Funktion, Genre, Register ganzer Diskurse zum kommunikativen Wen kleinerer sprachlicher Einheiten, damit auf diese Weise die subjektiven EntScheidungsprozesse des Übersetzers soweit wie möglich intersubjektiv nachvollziehbar rekonstruiert und erklärt werden können. Sprachliche Analyse, Beschreibung und Erklärung sind das Fundament jeder Übersetzungskritik, Darauf aufbauende soziale Bewertung der Angemessenheit übet setzerischer En tschei düngen für oder gegen bestimmte Formen und Filterungen enthalten dann notwendigerweise ein subjektives Element, Wie die Sprache selbst, so hat auch die Übersetzuugskritik zwei Funktion skompon eilten: eine informative und eine personenbezogene. Die informative bezieht sich auf Analyse, Beschreibung und Erklärung, die personeubezogene auf Fragen des Wertes, auf soziale und ethische Fragen der Relevanz und persönlichen Präferenz. Beide Komponenten gehören zur Übersetzungskritik. Bewertungen ohne das Fundament einer linguistischen Analyse sind nutzlos - und gefährlich. Nur wenn sie durch Analysen transparent werden, sind Bewertungen sinnvoll. Literatur Behrens, B.ct aj-. Hrsg. (im Druck), Information Structure in a Cross-Linguistic Perspective. Amsterdam. Biber, D. (1988), Variation Across Speech and Writing, Cambridge. Rhirn-Kulka, S./House, i.l ICasper.G., Hrsg. (1989). Cross-Cultural Pragmatics, Norwood, NJ. Möglichkeiten der Übersetzungskritik 109 Doheny, M. (1993), Parameirisierte Perspektive, in: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 12, 3-38. Halliday, M.A.K. (1994). An Inuoduclion to Functional Grammar, 2, Aufl., London. Helling er, M. / Aminen, U . Hrsg. [199&(, Contraslive Sodolinguisdcs, Berlin. Hiekey, L., Hrsg. 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