Shinn Watanabe Darstellungen der Reformation in japanischen Geschichtsschulbüchern von der Meiji-Zeit bis zur Gegenwart Darstellungen unter dem alten Regime von 1872 bis 1945 Die Meiji-Restauration, die Erneuerung der Macht des Tenno im Jahr 1868, war ein großer Wendepunkt im Wandel Japans zu einer modernen Nation.1 Der grundlegende Charakter der Schulbildung, der in der Meiji-Zeit (1868–1912; Herrschaft des Kaisers Mutsuhito) durch das Bildungsministerium festgelegt wurde, folgte den Prinzipen der Aufklärung.2 Nach der Abschaffung des Klassensystems im Laufe der Meiji-Restauration hing die Berufswahl des Menschen in erster Linie von seinen Fähigkeiten ab und war formal nicht mehr abhängig vom sozialen Status zum Zeitpunkt der Geburt, der Abstammung und dem Vermögen der Eltern.3 Um diesen Grundsatz zu unterstützen, erließ die Regierung im Jahr 1872 eine nationale Bildungsverordnung,4 die sich an westlichen Modellen orientierte. Diese institutionalisierte die Abstufungen des Schulsystems, teilte das gesamte Land nach dem französischen System hierarchisch in Distrikte ein und legte vor allem Wert auf praktische Schulfächer, deren Bildungsinhalte überwiegend von den Vereinigten Staaten von Amerika übernommen worden waren. Entsprechend wurden Übersetzungen amerikanischer Schulbücher als Lehrmaterialien verwendet. In der Folgezeit verstärkte das japanische Bildungsministerium jedoch seine Kontrolle über die Schulbücher und die Inhalte mit dem Ziel, die Schüler und Schülerinnen im Geist des japanischen Nationalismus und Patriotismus zu erziehen. Die Darstellungen der Reformation in den Schulbüchern zur Weltge- 1 Der vorliegende Beitrag wurde unterstützt durch JSPS KAKENHI Stipendiennummer JP15K02943. 2 文部科学省「学制百年史・二 近代教育制度の創始」http://www.mext.go.jp/b_menu/ hakusho/html/others/detail/1317567.htm 海後宗臣「歴史教科書総説」『日本教科書大 系・第20巻・歴史』講談社、1962、530頁。 3 木全清博「歴史教科書」『近代日本の教科書のあゆみ 明治期から現代まで』サン ライズ出版、2006、41頁。 4 「学制」http://www.mext.go.jp/b_menu/hakusho/html/others/detail/1317943.htm. Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 schichte wurden genau in diesem Sinne durch die Politik des Bildungsministeriums verändert. Dies ist der Grund, weshalb im vorliegenden Beitrag die Darstellungen der Reformation in japanischen Schulbüchern zur Weltgeschichte im Kontext der Politik des Bildungsministeriums untersucht werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte der Schulunterricht zur Weltgeschichte in japanischen Schulen hauptsächlich in den Klassen 10 und 11. Ein erster überblicksartiger Durchgang durch die Geschichte wird den Schülern der 7. oder 8. Klasse im Pflichtschulunterricht vermittelt, doch die Reformation kommt darin kaum vor – wie auch schon in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Daher ist die hier in Betracht stehende Darstellung der Reformation ausschließlich mit den Weltgeschichtsbüchern der Oberschule verbunden. Der Geschichtsunterricht im japanischen Schulsystem der Meiji-Zeit war darauf ausgerichtet, zunächst die Grundzüge der nationalen Geschichte zu erlernen und dann elementares Wissen über die Weltgeschichte zu erlangen, das der Durchschnittsjapaner bzw. die Durchschnittsjapanerin in dieser Zeit noch kaum aufwies. Von den Geschichtsbüchern zur Weltgeschichte, die in früherer Zeit erschienen sind, wurden vom Ministerium Shigeki Nishimuras 『万国史 略』(Die Geschichte aller Nationen) und Shuomei Terauchis 『五洲紀事』(Die Geschichte der fünf Kontinente), als erste Schulbücher zur Weltgeschichte ausdrücklich empfohlen (beiden erschienen 1874). Für ihre Darstellungen standen in hohem Maße amerikanische Schulbücher als Vorbild Pate. Die Geschichte aller Nationen beschreibt die Reformation wie folgt: Der Enkel des Kaisers Maximilian I., Karl, bestieg den spanischen Thron gemäß seinem Erbe. Somit wuchsen seine Besitztümer im gesamten westlichen Europa und er erlangte auch in Amerika Besitzungen. Andererseits kam er in Konfrontationen mit Franz I., dem König von Frankreich, die in Kriege mündeten, während die Türkei im Osten eine Front errichtete. Der Aufruhr des sich reformierenden Christentums begann in Deutschland. Kaiser Karl reagierte mit Verboten. Die Menschen ließen sich durch Verbote jedoch nicht mehr einschüchtern. Als sich die Fürsten, die der Reformationsbewegung zuneigten, im Jahr 1531 in einem Bund zusammenschlossen, breitete sich die Reformationsbewegung, die sich protestantisch nannte, schnell im ganzen Land aus. Außerdem erhielten die Protestanten Unterstützung aus dem Ausland und hielten Karl stand. Aus diesem Grund entschied sich der Kaiser wohl oder übel für eine Aufhebung seiner harten Linie und schloss Frieden mit den Protestanten. Somit wurde der Reichsfrieden wiederhergestellt […].5 Es ist deutlich zu sehen, wie die Reformation aus dem Blickwinkel politischer oder diplomatischer Geschichte beschrieben wird. 5 西村茂樹・師範学校編『万国史略・巻2』文部省、1874、7頁以下。 Shinn Watanabe296 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 Die Inhalte der Beschreibungen aus Die Geschichte der fünf Kontinente waren fast deckungsgleich.6 Die Besonderheit dieses Schulbuchs ist sein Fokus auf politische und militärische Ereignisse. Die Geschichte aller Nationen und Die Geschichte der fünf Kontinente wurden für Schülerinnen und Schüler der 6. und 7. Klasse entwickelt. Obwohl diese Schulbücher als wünschenswerte Textgrundlage empfohlen wurden, ist nicht bekannt, an wie vielen Schulen sie Verwendung fanden. Es wird angenommen, dass sie sich nicht generell durchgesetzt haben.7 In der Folgezeit wurde das Buch『小学国史』(Geschichte für Schüler) herausgebracht und zum zentralen Schulbuch bestimmt. Es fokussierte stärker auf die Mission der Katholischen Kirche als auf die Reformationsbewegung. Hier ein Beispiel: Die Portugiesen kamen zum ersten Mal im August 1543 nach Tanega-shima. Sie baten darum, Handel treiben zu dürfen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts breiteten sie sich an jedem Ort zwischen der Kyushu Region und dem Kinki Distrikt aus. Nobunaga Oda, der im Zeitalter der Bruderkriege die Vormachtstellung erlangt hatte, erlaubte als Resultat einer Prüfung im Jahr 1581 den Missionaren den Bau von Kirchen und Seminaren in Kyoto und anderen Regionen. Somit wuchs die Zahl der japanischen Christen. Obwohl sein Nachfolger Hide-yoshi Toyo-tomi das Christentum verbot, gab es weiter viele Christen. Später wurden die Katholiken im Gefolge des christlichen Shimabara-Aufstands durch die Taikune des Tokugawa systematisch verfolgt, da diese von den Niederländern gehört hatten, die katholischen Spanier planten, das Hoheitsgebiet zu erobern. Trotz der nationalen Isolationsspolitik des Tokugawa-Shogunats wurde es den Niederländern als Ausnahme gestattet, in Dejima das »Opperhoofden«, ein Handelshaus, aufzubauen – allerdings unter der Auflage, keine Missionsarbeit zu betreiben.8 In der frühen Meiji-Zeit erhoben sich an verschiedenen Orten die alten Samurai zu Aufständen als Reaktion auf eine Regierungspolitik, deren Ziel es war, durch Verwestlichung den nationalen Wohlstand und die militärische Macht zu fördern. Daraufhin wandte sich die Regierung von der Politik der raschen Verwestlichung ab. Differenzen bezüglich der Außenpolitik waren schon in der Südwestlichen Rebellion von 1877 zutage getreten. Im Jahr 1879 erteilte Kaiser Mutsuhito dem Bildungsministerium Weisung, worauf »教学聖旨 (Die Hochheitlichen Ansichten zur Bildung)« verkündet wurden.9 Diese korrigierten die Überbetonung europäischer und amerikanischer Ideen in den Bildungspro- 6 グードリッチ著、寺内章明訳『五洲紀事. 巻之5』紀伊国屋源兵衛、1874、37頁以 下。 7 海後宗臣「歴史教科書総説」『日本教科書大系・第20巻・歴史』講談社、1962、531 頁。 8 椿時中・編『小学国史』竜雲堂、1882、107頁。 9 「教学聖旨大旨」http://www.mext.go.jp/b_menu/hakusho/html/others/detail/1317935. htm. Darstellungen der Reformation in japanischen Geschichtsschulbüchern 297 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 grammen und entschieden sich, den Akzent auf den Unterricht in konfuzianischer Ethik zu setzen. Die »Allgemeinen Bestimmungen für die Grundschule« von 1881 zeigen diese Korrektur bereits.10 Laut diesen Bestimmungen war es das Ziel der Geschichtsbildung, Schülerinnen und Schülern die Hintergründe und Auswirkungen historischer Veränderungen nahezubringen, und es war festgelegt worden, dass ein loyaler Patriotismus besonders kultiviert werden solle. Das Fach Geschichte entwickelte sich nach den »Allgemeinen Bestimmungen für die Grundschule« zu einem unabhängigen Fach. Die Inhalte des Geschichtsunterrichts waren in der Grundschule allerdings prioritär auf japanische Geschichte festgelegt und Lernende sollten dementsprechend hinsichtlich der ausländischen Geschichte nur über Ereignisse unterrichtet werden, die einen Bezug zu Japan haben.11 Die »Allgemeinen Bestimmungen für die Grundschule« verlangten, dass das Fach Geschichte eine moralische Erziehung zum Ziel haben sollte, und die historischen Inhalte wurden entsprechend verändert. Die vorherigen Geschichtsbücher mussten intensiv überarbeitet werden. Es wurde angeordnet, nur wichtige Fakten zu nennen, sich mit berühmten historischen Persönlichkeiten zu beschäftigen – besonders mit ihren Erfolgen und Misserfolgen – und auch einen Überblick über die kulturellen Veränderungen in jeder historischen Periode zu geben. Da sich die Schulbücher jedoch an der oben genannten Geschichte für Schüler orientierten, veränderten sich die Schilderungen über die Reformation nur unwesentlich. Die »Meldepflicht für Schulbücher« setzte sich ab dem Jahr 1881 durch. Dies ist eine wichtige Zäsur bezüglich der Geschichtsschulbücher in der Meiji-Zeit. Zuvor war es erlaubt gewesen, Schulbücher unzensiert zu veröffentlichen, und jede Schule konnte frei ihre Schulbücher auswählen. Die staatliche Kontrolle über Schulbücher wurde jedoch nach und nach verstärkt, von der »Meldepflicht« zu dem »Genehmigungsverfahren durch die Regierung« ab dem Jahr 1883 und dem »Staatlichen Prüfungsverfahren« von 1886, schließlich zum »Staatlichen Vorgabensystem« von 1904.12 Bemerkenswerterweise hatte das »Staatliche Prüfungsverfahren«, eine der Bildungsneuerungen des Erzeihungsministers Ari-nori Mori, großen verändernden Einfluss auf die Beschreibungen über japanische Geschichte.13 Die grundlegenden Beschreibungen der Reformationszeit blieben jedoch unverändert. Zum Beispiel waren die Kapitel zur modernen Geschichte in『万国 10 Unter »Grundschule« war eine achtklassige Volksschule zu verstehen, die von Schülerinnen und Schülern im Alter von 6 bis 14 Jahren besucht wurde. 11 「小学校教則綱領」1881、第15条、8–9頁。 12 文部科学省「学制百年史・ 七・学科課程と教科書の制度」http://www.mext.go.jp/b_ menu/hakusho/html/others/detail/1317615.htm. 13 「学校令」https://www.digital.archives.go.jp/das/image-j/F0000000000000014068. Shinn Watanabe298 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 歴史』(Die Geschichte aller Nationen) für die 10. oder 11. Klasse wie folgt gegliedert; Kapitel 1: Italienischer Krieg, Kapitel 2: Das Zeitalter Karls V., Kapitel 3: Die Entstehung der Niederländischen Republik, Kapitel 4: Religionskriege in Frankreich und Kapitel 5: Die Dynastie der Tudors. Die politische Geschichte dieser Länder war ein grundlegender Bestandteil des Unterrichts und Fragen des Glaubens wurden nur als Konfliktursache dargestellt.14 Die Politik, die die militärische Eroberung der koreanischen Halbinsel ins Auge fasste und mithin den nationalen Expansionsdrang Japans verkörperte, nahm in den späten 1880er Jahren Form an. Es war offensichtlich, dass diese Politik nicht nur einen militärischen Konflikt zwischen Japan und Korea, sondern ebenso einen Konflikt mit der Qing Dynastie auslösen musste. In diesem Kontext wurde »教育勅語 (Das Kaiserliche Erziehungsedikt)« im Jahr 1890 er- lassen.15 Der Vorschlag dafür lässt sich auf Kowashi Inoue zurückführen.16 Die Entscheidung, die dahinterstand, war Teil der Modernisierungspolitik zur Förderung des nationalen Wohlstands und der militärischen Macht. Die Inhalte des »Kaiserlichen Erziehungsedikts« zielten auf die Erziehung der Schülerinnen und Schüler zu Loyalität und Patriotismus auf Basis des Konfuzianismus und der Herausbildung unterwürfiger japanischer Untertanen. Als Bildungsziele des Fachs Geschichte wurden festgelegt: (1) Das Wesen des nationalen politischen Systems zu erfassen, (2) Bewusstsein und Haltung als Reichsbürger auszubilden. Methodisch wurde eine Präsentation von Geschichte favorisiert, die sich auf »große Persönlichkeiten« konzentriert. Diese wurde mit dem Ziel implementiert, die Loyalität zu Kaiser und Staat zu festigen, indem Schülern und Schülerinnen Biografien vertrauter und sich aufopfernder Helden als Unterrichtsgegenstand vor Augen geführt wurden. Nach dem Sino-Japanischen Krieg von 1894 konkurrierte Japan mit Russland um die Vorrechte bezüglich des nördlichen Teils der koreanischen Halbinsel und des nordöstlichen Chinas, und ein weiterer Krieg gegen Russland musste in Betracht gezogen werden. Aus diesem Grund wurde auch in der Erziehung der japanische Nationalismus gestärkt. Um ein homogenisiertes, loyales Volk aufzubauen, wurden drei Bildungsrichtlinien im Jahr 1900 umgesetzt, nämlich die Einführung der Schulpflicht, der kostenlose Besuch der Grundschule und die Säkularisierung. Der Quote des Schulbesuchs stieg so im Jahr 1902 auf 91,6 Prozent.17 14 文部省図書課 編訳『万国歴史』文部省図書課、1891、306頁以下。 15 「教育ニ關スル勅語」http://www.mext.go.jp/b_menu/hakusho/html/others/detail/13179 36.htm. 16 文部科学省「学制百年史 ・二 明治憲法と教育勅語」http://www.mext.go.jp/b_menu/ hakusho/html/others/detail/1317610.htm. 17 文部科学省「学制百年史・五 義務教育制度の確立」http://www.mext.go.jp/b_menu/ Darstellungen der Reformation in japanischen Geschichtsschulbüchern 299 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 Das Bildungsanliegen wurde ebenfalls in dieser Richtung angepasst. Die Ziele und Inhalte der Schulfächer wurden im Jahr 1901 durch die »Ministeriale Verordnung für die Mittelschule« neu gefasst. In ihrem fünften Artikel wird bezüglich der »ausländischen Geschichte« spezifiziert: Sie sollte Angelegenheiten in Verbindung mit globalen Veränderungen aufgreifen. Es sollte jenes Geschehen unterrichtet werden, das mit dem schicksalhaften Wandel bedeutender Länder, mit kulturellen Entwicklungen und vor allem mit der Kultur unserer Nation in Verbindung steht.18 Was die Reformation betrifft, so wurden deren Auswirkungen als die großen politischen Herausforderungen beschrieben, denen Kaiser Karls V. gegenüberstand – nämlich dass die Korruption der Katholischen Kirche sich ausbreitete, dass der Konflikt aus der Opposition gegen diese entstand, dass die Deutschen sich in Katholiken und Protestanten aufteilten und dass die Niederländer und Engländer aus jeweils eigenem Grund zum Protestantismus konvertierten.19 Zudem formulierte das Bildungsministerium nach 1903 die Richtlinie des »Staatlichen Vorgabensystems« und das erste staatlich kontrollierte Geschichtsschulbuch wurde im Jahr 1904 herausgegeben. Die Grundinhalte dieses Schulbuchs wurden bis 1934 verwendet, als die nächste revidierte Auflage veröffentlicht wurde. Die Besonderheit dieses Schulbuchs war die verstärkte Personalisierung des geschichtlichen Geschehens, indem es den Fokus erneut auf Biografien legte. Ausländische Geschichte wurde insgesamt in einer Art unterrichtet, die das Verständnis für eine moderne Gesellschaft weckte. All die Dinge mit wenig Bezug zu Japan wurden weiterhin ausgelassen. Folgerichtig hatten die Schilderungen über die Reformation ausschließlich die Aufgabe, das Thema der Mission in Japan zu behandeln und die nationale Isolationspolitik als Reaktion gegen diese zu begründen.20 Die nachfolgenden Änderungen der Geschichtsschulbücher setzten sich intensiv mit dem Mukden-Zwischenfall von 1931 und dem immer umfassendere Formen annehmenden japanisch-chinesischen Krieg von 1937 auseinander. Diese Veränderungen im Unterrichtsfach Geschichte zielten darauf ab, Kinder für den Faschismus und das Kriegsregime zu mobilisieren. Die Grundschule wurde im Jahr 1941 als Volksschule (nationale Grundschule) neu organisiert und das Schulfach Geschichte wurde in »Die Geschichte der Japanischen Untertanen« hakusho/html/others/detail/1317613.htm 文部科学省「義務教育年限・就学率」http:// www.mext.go.jp/b_menu/shingi/chukyo/chukyo6/gijiroku/05031601/007/002.pdf. 18 『官報』大蔵省印刷局、1901年03月05日、1頁。 19 海後宗臣「歴史教科書総説」『日本教科書大系・第20巻・歴史』講談社、1962、578 頁以下。 20 『小学國史』普及社編輯所、1904年、『日本教科書大系・第20巻・歴史』所収。 Shinn Watanabe300 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 umbenannt.21 Kursinhalte wurden ebenfalls komplett verändert, von einem Fokus auf Darstellungen bekannter Persönlichkeiten hin zu der Betonung der Expansion des Japanischen Kaiserreiches. Ein xenophober Nationalismus feierte fröhliche Urstände. Es wurde unterrichtet, dass der japanische Geist und die japanische Kultur bereits seit der Antike als herausragende Phänomene existiert hätten und dass diese nicht etwa durch Anleihen und Übernahmen aus der koreanischen oder chinesischen Kultur, sondern allein aus der japanischen Originalität heraus entstanden seien.22 Wie bereits erwähnt, war in japanischen Schulbüchern vor dem Krieg nur wenig über die Gedankenwelt der Reformation zu finden. Wenn einige Schulbücher die Reformation aufgriffen, wurde diese hauptsächlich aus einem politisch-diplomatischen Blickwinkel heraus behandelt. Zudem steht zu vermuten, dass die Positionierung der zeitgenössischen japanischen Forschung zur Reformation diese Einstellung unterstützt haben könnte. Die Methoden der modernen Geschichtswissenschaft wurden von Ludwig Riess an die Reichsuniversität in Tokio gebracht. Er war von Leopold von Ranke beeinflusst worden und unterrichtete Geschichtswissenschaft auf der Basis von Konzepten wie dem Bezug auf Primärquellen und mit dem Fokus auf Politikgeschichte. Aus diesem Grund wurde die deutsche Reformation in Japan auf der Basis von Rankes Theorie behandelt, nach der diplomatische und politische Probleme dazu führten, dass Herrschern eine führende Rolle zukam. Die folgenden japanischen Forschungen über die deutsche Reformation wurden so immer stärker als Problem von Staat und Regierung diskutiert. Selbstverständlich wurde auch in Japan aktiv zu Reformationsbewegungen geforscht, besonders im Zusammenhang mit den Theologien Luthers und Calvins, und die Forschungen basierten nicht allein auf den Arbeiten deutscher Forscher. Tsutomu Muratas Die Geschichte der Reformation, veröffentlicht im Jahr 1909, baute auf der angelsächsischen Forschungstradition statt der deutschen auf. Er schrieb: »Der Calvinismus wurde zu der Schule, die den Gedanken der konstitutionellen und repräsentativen Institution förderte.« Und er attestierte dem Calvinismus, »eine Zündschnur bezüglich des Demokratieprinzips gewesen zu sein, das Ende des 18. Jahrhunderts geradezu explodierte.« Diese »Zündschnur« sei sogar mit Nordamerika verbunden gewesen. Obwohl seine Sympathie für den Calvinismus offensichtlich ist, bezieht sich das Werk auch auf katholische Reformen und ist insgesamt ökumenisch.23 Einschlägig ist auch eine Abhandlung, welche die gesamte Reformation auf der Basis ausländischer 21 文部科学省「学制百年史 ・ 一 国民学校令の公布」http://www.mext.go.jp/b_menu/ hakusho/html/others/detail/1317696.htm. 22 『官報』大蔵省印刷局 、1941年3月14日、480頁。 23 村田勤『宗教改革史』警醒社、1909、291頁以下。踊共二「日本の宗教改革史研究」 『史苑』76、2016、156頁。 Darstellungen der Reformation in japanischen Geschichtsschulbüchern 301 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 theologischer Forschung beschrieb: Katsuro Hara hielt an der Reichsuniversität Kyoto zwischen 1911 und 1912 einen Vorlesungszyklus über die Geschichte der Reformation. Die Transkripte wurden als Die Geschichte der Reformation im Jahr 1931 veröffentlicht. Er konzentrierte sich auf Luthers Bibelstudien in seinen jüngeren Jahren bis zum Jahr 1517, und er argumentierte, dass Luther sich damals nicht der Katholischen Kirche widersetzt habe. Die Inhalte seiner Vorlesungen waren: Luthers Glaube, Luthers Schriften, der Reichstag zu Worms im Jahr 1521, die Priesterehe, das Schicksal des folgenden Protestantismus, Zwinglis Reformtheologie, Calvins Theologie, und die Reformation in England.24 Diese Bücher konnten jedoch angesichts der oben genannten Richtlinie des Bildungsministeriums keinen Einfluss auf die Bildungsinhalte der Schulbücher ausüben. Es waren die Forschungen mit dem Fokus auf Politik und Diplomatie in der Reformationszeit und nicht die auf Theologie rekurrierende Forschung, welche die Matrix für die Darstellung der Reformation in den Schulbüchern lieferten. Es lässt sich konstatieren, dass die Beschreibung der Reformation im Schulbuch des alten Regimes (von der Meiji-Restauration bis zum Zweiten Weltkrieg) davon geprägt war, dass sich die Kontrolle des Bildungsministeriums korrespondierend mit der politischen Situation immer weiter ausdehnte. Die Produktion von Geschichtsschulbüchern begann, wie schon erwähnt, zunächst mit der Übersetzung amerikanischer Schulbücher. Da jedoch viele Japaner keine Verbindung zum Christentum hatten, wurde die Reformation vor allem als Angelegenheit politischer und internationaler Beziehungen unter Karl V. und anderen Herrschern erzählt und nicht als konfessioneller Konflikt. Diese Tendenz wurde ebenfalls durch die damalige Ausrichtung der japanischen Reformationsforschung vorgegeben. Sie verstärkte sich durch die Richtlinien für Bildungsangelegenheiten im Fach Geschichte, die den Fokus aufgrund von wachsenden imperialistischen und militaristischen Stimmungen auf die japanische Einzigartigkeit legte. Die Bildung, die das Interesse an der Welt und an universellen Standpunkten förderte, war auf dem Rückzug zugunsten einer engstirnigen nationalistischen Sichtweise. Diese wurde zum Instrument, das den japanischen Nationalismus und Militarismus in den Köpfen der Schüler und Schülerinnen verankerte. 24 原勝郎『西洋中世史概説・宗教改革史』同文館、1931、350頁以下。 Shinn Watanabe302 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 Die Modifikation von Schulbüchern nach dem Zweiten Weltkrieg Der japanische Imperialismus muss für den Weltkrieg und die Kriegsverbechen nach dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht werden. Die Besatzungsbehörden der USA forcierten daher die Demokratisierung Japans. Das Bildungssystem wurde nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten verändert, das strukturell die Grundschule und die Mittelschule als obligatorisch und die Oberschule und die Universitäten als weiterführende Bildung vorgab. Der Geschichtsunterricht, der besonders eng mit dem Militarismus verbunden gewesen war, wurde grundlegend verändert.25 Der politische Kontext hatte sich gewandelt. Die koreanische Halbinsel, die das Japanische Kaiserreich ehedem besetzt hatte, wurde nach dem Krieg in Nord und Süd aufgeteilt und es entstanden die Republik Korea und die Demokratische Volksrepublik Korea. Im Jahr 1950 brach der Koreakrieg aus, in dessen Folge beide Länder bis heute in militärischer Spannung verharren. Der Bürgerkrieg in China hatte zur Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 geführt. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und China wurden 1974 normalisiert. Japan betrachtet bis heute die Festlegung von Inhalten der Geschichtsschulbücher als ausschließliche interne nationale Angelegenheit. Das neue Konzept des Geschichtsunterrichts der Nachkriegszeit wurde in den »Richtlinien des Bildungsministeriums« aus dem Jahr 1947 vorgestellt. Darin waren Vorgaben zu finden, die paraphrasiert folgendermaßen zusammengefasst werden können: Der Zweck des Geschichtsstudiums ist es, den Ursprung der heutigen Zivilisation zu kennen und die gegenwärtige Zivilisation zu verstehen. Das Studium des Ursprungs der zeitgenössischen Welt aus einer historischen Sicht ist sehr wichtig, wobei insbesondere auch eine globale Sicht einzunehmen ist. Die Geschichte der Welt wurde bisher aus der engen Sicht eines nationalen Partikularismus heraus unterrichtet. Eine solche Haltung muss überwunden werden. Der frühere Unterricht im Fach Geschichte hat die Politikgeschichte überbetont und verabsolutiert, dass der Aufstieg und der Fall von Dynastien sowie Kriege die zentralen Gegenstände des Geschichtsunterrichts seien. Von nun an muss auch dem Leben der Menschen und den Veränderungen sozialer Systeme hinreichend Aufmerksamkeit zukommen. Da sich in der Geschichte des Westens bezüglich dieser Aspekte bemerkenswerte Entwicklungen ergeben haben, ist deren Studium sehr hilfreich für das Verständnis moderner politischer und sozialer Probleme sowie von Demokratie, Sozialismus und anderer Ideologien inklusive deren politischer Ausformungen. Zudem sollte besonders auf die Bereiche der geistigen Kulturen, der Wissenschaft und der Kunst Wert gelegt 25 文部科学省『学制百二十年史・概説』http://www.mext.go.jp/b_menu/hakusho/html/ others/detail/1318255.htm. Darstellungen der Reformation in japanischen Geschichtsschulbüchern 303 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 werden, da diese Einblicke in die Lebensumstände der Menschen und deren geistig-spirituelle Befindlichkeit gewähren.26 Dementsprechend legten die Richtlinien fest, dass es für die Demokratisierung der japanischen Gesellschaft wichtig sei, den Schülerninnen und Schülern fremde Ideen und Kulturen näherzubringen. Dies lässt sich auch am Beispiel der Reformation festmachen, die in einer solchen Richtlinie folgendermaßen skizziert wird: Bezüglich der Rettung durch Gott bestätigten die Katholiken die Kirche als Heilsinstitution und den Geistlichen als Vermittler zwischen Gott und dem Menschen. Die Protestanten hingegen lehnten dies ab und verlangten, der Autorität Gottes direkt zu gehorchen. Sie bestanden darauf, dass der Mensch basierend auf der Bibel durch den Glauben allein gerettet werde und widersetzten sich den Katholiken. Das Christentum, sowohl katholisch als auch protestantisch, entwickelte sich in dieser Zeit zu einer modernen Religion und gab den Menschen in hohem Maße innerlichen Halt. Die Lutheraner tendierten dazu, die spirituelle Freiheit und die Gleichheit vor Gott stark zu betonen und den Kampf um reale Freiheit und Gleichheit zu leugnen. Ihre Glaubenseinstellung, nur die Autorität Gottes anzuerkennen, führte zu einem wachsenden Selbstbewusstsein und legte den Grundstein für eine moderne Geisteshaltung. Außerdem war die Reformationsbewegung von großer Relevanz für die Religionskriege, die Formierung des kapitalistischen Geistes, etc., und als Resultat hatte sie einen weitreichenden Einfluss auf die Modernisierung aller Staaten oder Gesellschaften.27 Obwohl kurz und einfach gehalten, behandelt diese Darstellung das Thema des Glaubens und der christlichen Konfessionen. Ende der 1980er beeinflussten Perestroika und Glasnost in der UdSSR sowie die Machtveränderungen in der östlichen Welt die japanische Gesellschaft. Außerdem wurden vor dem Hintergrund des Platzens einer ökonomischen Blase die Gewerkschaften in Japan entmachtet. Zur gleichen Zeit kristallisierte sich die Intention der konservativen Regierung, die Geschichtsschulbücher zu revidieren, immer stärker heraus. Die »Richtlinien des Bildungsministeriums für die Mittelschule« bezüglich des Faches »Geschichte und Geografie« aus dem Jahr 1998 gaben Folgendes vor: Es soll das Interesse der Schüler an historischen Phänomenen geweckt werden und das Verständnis der Grundzüge der japanischen Geschichte jedes Zeitalters vor dem Hintergrund der Weltgeschichte entwickelt werden. Die Besonderheiten der japanischen Kultur und Tradition sollen aus einer weiten Perspektive betrachtet werden. Und somit 26 文部省「学習指導要領」1947、西洋史編https://www.nier.go.jp/guideline/s22ejs5/index. htm. 27 『世界史』学校図書、1956、139–44頁。 Shinn Watanabe304 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 können die Schüler dann ihre Liebe für die japanische Geschichte vertiefen und ein nationales japanisches Bewusstsein kultivieren.28 Bezüglich der Bildungsinhalte sollte folgendes berücksichtigt werden: Die Reife- und Altersstufe berücksichtigend sollte vermieden werden, dass die Schüler sich mit metaphysischen und abstrakten Inhalten, komplizierten sozialen Strukturen etc. beschäftigen. Als Unterrichtsinhalte sollten vor allem historische Phänomene ausgewählt werden, welche die Besonderheiten jeder Zeit aufzeigen. Das Abgleiten in einen Unterricht, der das Auswendiglernen detaillierten Wissens zum Ziel hat, sollte vermieden werden. Weiter heißt es: Die Weltgeschichte sollte auf historische Inhalte begrenzt werden, die direkt im Zusammenhang zu Japan stehen und für das Verständnis der japanischen Geschichte notwendig sind. Beim Unterricht über die Hintergründe »der Ankunft der Europäer« sollten sich Lehrer vornehmlich mit der »Erschließung eines neuen Handelswegs« auseinandersetzen und es vermeiden, sich zu sehr mit der Reformation zu beschäfti- gen.29 Diese Richtlinien erinnern an die oben erwähnten Vorgaben aus dem Jahr 1890. Angewandt auf ein Schulbuch für die Mittelschule zeitigt die Richtlinie zum Beispiel folgendes Resultat: Die Reformation und die Jesuiten: Im Europa des frühen 16. Jahrhunderts wurde die Reformation von einem religiösen Aktivisten angeführt, der versuchte, die Katholische Kirche durch Reformen von der Korruption zu befreien. Luther und andere betrieben diese Reform außerhalb der Katholischen Kirche, jedoch gab es auch eine Bewegung innerhalb der Katholischen Kirche, die sich gegen die Korruption wandte. Der Jesuit, der diese Bewegung führte, entsandte Missionare nach Asien und in die Neue Welt und verbreitete den Glauben. Gleichzeitig entwickelten sich die Niederlande zu einem prosperierenden Land, das Portugal und Spanien entgegentrat. Obwohl das TokugawaShogunat das Land geschlossen hatte, wurde den Niederländern in einer Ausnahmeregelung der Handel auf Dejima erlaubt.30 Dieses Schulbuch gehört zu jenen Büchern, welche in der Mittelschule zur obligatorischen geschichtlichen Bildung Verwendung finden und die – wie bereits erwähnt – nur wenige Informationen über die Reformation enthalten. Auch in der Oberstufe veränderte sich der Geschichtsunterricht. In einer Neuorganisierung der Schulfächer wurde das Fach »Weltgeschichte« in die Fächer »Weltgeschichte A«, das vor allem auf die Zeitgeschichte einging, und »Weltgeschichte B«, das die gesamte Geschichte behandelte, aufgeteilt. Die Schülerinnen und Schüler 28 文部省「中学校学習指導要領・社会」1998、https://www.nier.go.jp/guideline/h10j/chap 2-2.htm. 29 Ebd. 30 『新編・新しい社会・歴史』東京書籍、2005、81頁。 Darstellungen der Reformation in japanischen Geschichtsschulbüchern 305 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 sind verpflichtet, eines dieser Fächer zu belegen.31 Dadurch sollte der Geschichtsunterricht verbessert werden. Wer zur Universität gehen will, kann jedoch nur »Weltgeschichte B« auswählen. In Schulen, an denen »Weltgeschichte A« unterrichtet wird, wird dieses Fach häufig aufgrund des Mangels an Geschichtslehrenden von Lehrkräften übernommen, die auf ein anderes Fachgebiet spezialisiert sind, wie »Politik und Wirtschaft« oder »Ethik und Gesellschaft«. Daraus resultiert nicht selten ein Verfall der Inhalte des Faches »Weltgeschichte A«. Zusätzlich ist die Zahl der Verlage, die Unterrichtsmaterialien für das Fach »Weltgeschichte B« herstellen, zurückgegangen. Nach Angaben der Lehrkommission für Geschichte aus dem Jahr 1982 waren es 17 Verlage, die geschichtliche Lehrwerke für die Oberstufe produzierten. Diese Zahl sank nach Angaben derselben Kommission aus dem Jahr 2004 auf elf. Angaben aus dem Jahr 2013 weisen nurmehr sieben Verlage nach, die Schulbücher für die Weltgeschichte heraus- geben.32 Dieser spontane Rückzug vieler Verlage führte jedoch auch zu einer Uniformität der Schulbücher. Bezüglich der Beschreibungen der Reformation lässt sich feststellen, dass sie im Lauf der Zeit insgesamt stärker zum Politischen tendieren. In einem Vergleich von Schlüsselwörtern über die Reformation, die 1982 in 17 Schulbüchern und 2013 in sieben Schulbüchern gesammelt wurden, sind die folgenden in den Texten von 2013 verschwunden: »die Freiheit der Christen«, »der Krieg der Ritter«, »die 12 Artikel«, »Ferdinand I.«, »das Gemeinsame Gebetbuch«, »der Glaubensartikel« und »Papst Paul III.«. Stattdessen erscheinen »Territorialkirchentum«, »Allgemeines Priestertum«, »Bischöfliches System«, »John Knox« und »der gregorianische Kalender«. Das »Territorialkirchentum« kommt in drei von sieben Schulbüchern vor.33 Es lässt sich erkennen, dass die Schlüsselwörter zu Glaubensfragen zurückgegangen sind, während solche, die sich auf das soziale System beziehen, zugenommen haben. Ein Schulbuch für Weltgeschichte, das in der japanischen Oberstufe am häufigsten verwendet wird, kann exemplarisch als Beispiel dafür dienen, was über die Reformation mitgeteilt wird. Es handelt sich um Die Geschichte der Welt, veröffentlicht vom Yamakawa Verlag. Das Buch indiziert zugleich den Wissensstand vieler Japaner und Japanerinnen zur Reformation. Es soll hier das Kapitel zur Reformation aus der Ausgabe von 1961 präsentiert werden. Zudem werden jene Passagen, die in der Ausgabe von 2012 (bis 2016) verändert bzw. 31 文部省「高等学校学習指導要領・社会」1989、https://www.nier.go.jp/guideline/h01h/ chap2-2.htm. 32 Conf.,全国歴史教育研究評議会編『世界史用語集』山川出版社、1982、2004、2013。 33 Ebd., 1982, 2013. Shinn Watanabe306 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 ergänzt wurden, hinzugefügt. (Die in den Zitaten aus dem Schulbuch von 1961 unterstrichenen Stellen finden sich auch in der Ausgabe von 2012). Version 196134 : Als die Kunst der Renaissance in Italien aufblühte, wurde Papst Leo X. selbst zum Humanisten und liebte die neue Kultur. Er setzte sein ganzes Talent ein, um den Umbau der Peterskirche in Rom voranzutreiben. Der Verkauf von Ablassbriefen wurde begonnen, um Gelder für diesen Zweck zu sammeln. Der Erwerb eines Ablassbriefes war eine christliche Wohltat, wie ursprünglich das Fasten, eine Pilgerfahrt, etc. Version 201235 : […] Es wurde erklärt, das die Sünden der Vergangenheit im Fall einer wohltätigen Gabe, einer Spende an die Kirche, erlassen wurden. Die Ablassbriefe wurden auf dem Markt verkauft. Version 196136 : Der moralische Verfall der Katholischen Kirche war zu jener Zeit jedoch maßlos. Der Ablassverkauf war zu einer Maßnahme geworden, Geld zu sammeln. Seine negativen Auswirkungen waren besonders in Deutschland stark, wo die Regierung des Kaisers machtlos war. Als die Ablassverkäufer nach Kursachsen in Deutschland kamen, verurteilte Martin Luther, den die Korruption der Römischen Kirche bereits in Empörung versetzt hatte, den Ablass und betonte, dass der Mensch nicht durch Wohltätigkeit, sondern allein durch Gott das Seelenheil erlangen könne. Er nagelte die 95 Thesen im Jahr 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg, in denen er Kritik am Ablassverkauf übte. Es war nicht die Absicht Luthers, die Katholische Kirche zu verlassen. Die Katholische Kirche drängte ihn jedoch dazu, seine Thesen zurückzuziehen. Aus diesem Grund leugnete er schließlich die Autorität des Papstes und seiner Kirche. Zudem betonte er, dass die Bibel die einzige Autorität sei und verbrannte seine Exkommunikation durch den Papst in der Öffentlichkeit. Seine Vorstellungen kamen durch den gerade entwickelten typographischen Druck in Umlauf. Auf diese Weise kochte der Groll über den nationalen Zustand in Deutschland richtig hoch. Die Fürsten, welche die Vormachtstellung ihrer Länder sichern wollten, die Bürger, die in den Städten auf der Suche nach Freiheit waren, und die Bauern, die durch die Bedrückungen durch Fürsten und Kirche erschöpft waren, unterstützten allesamt Luther. Gerade in einen Krieg mit Frankreich verwickelt, verurteilte Karl V. ebenso wie der Papst Luther und entzog ihm den rechtlichen Schutz. Luther fand allerdings Schutz in dem Schloss von Kursachsen und konzentrierte sich auf die Übersetzung der Bibel. 34 『世界史』山川出版社、1961、152頁。 35 『世界史B』山川出版社、2012、209頁。 36 『世界史』山川出版社、1961、153頁。 Darstellungen der Reformation in japanischen Geschichtsschulbüchern 307 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 Version 201237 : Somit konnte die Öffentlichkeit nun direkt von den Lehren Christi erfahren. Version 196138 : Die Bauernkriege brachen zu jener Zeit in Deutschland aus. Die Bauern aus Süddeutschland begannen 1524 unter der Führung Müntzers einen Aufstand und verlangten die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Etablierung der Selbstverwaltung, etc. Luther kritisierte diese gewaltsamen Aktionen. Diese Bauernrevolten wurden schließlich blutig durch die Fürsten niedergeschlagen. Version 201239 : Die Fürsten, die das Luthertum übernahmen, wurden zu Oberhäuptern der Kirche in ihren Territorien (Territorialkirchentum) und gingen daran, die Klöster abzuschaffen und den Kirchenritus zu reformieren etc. Damals wurde Karl V. oft gezwungen, angesichts einer angespannten internationalen Lage Kompromisse mit Lutheranern zu schließen, z.B. im Italienischen Krieg und im Fall der Belagerung Wiens durch das Osmanische Reich. Der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten eskalierte bis zum Schmalkaldischen Krieg. Version 196140 : Deutschland teilte sich in Katholiken und Protestanten und ihr Kampf hielt bis 1555 an, als der Augsburger Religionsfrieden ausgehandelt wurde. Mit dieser Vereinbarung erhielten Fürsten und freie Städte das Recht, sich entweder für den Katholizismus oder den Protestantismus zu entscheiden. Das Luthertum breitete sich unter den nordeuropäischen Ländern aus. Version 201241 : Untertanen und Individuen hatten jedoch keine Religionsfreiheit. Version 196142 : Calvin und die Schweizer Reformation: In der Schweiz begann die Reformation später als in Deutschland. Zwingli verfocht seine eigene Reformtheologie. Nachdem Calvin nach Genf gezogen war, predigte er dort für eine Reform der Kirche aufbauend auf dem Evangelium. Er gewann viele Anhänger und die städtische Regierung betraute ihn mit der Reform. 37 『世界史B』山川出版社、2012、210頁。 38 『世界史』山川出版社、1961、154頁。 39 『世界史B』山川出版社、2012、210頁。 40 『世界史』山川出版社、1961、154頁。 41 『世界史B』山川出版社、2012、211頁。 42 『世界史』山川出版社、1961、154頁。 Shinn Watanabe308 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 Version 201243 : Die Besonderheit seiner Lehre ist die strenge Gleichmut, die die absolute Macht Gottes betont. In Genf wurde eine Art Theokratie errichtet. Version 196144 : Calvin betonte die Vereinfachung der kirchlichen Organisation, leugnete die päpstliche Autorität und überzeugte die Menschen von der Überflüssigkeit der Bischöfe. Er lehnte Luxus und Verschwendung ab, empfahl harte Arbeit und sanktionierte den kommerziellen Handel und die Anhäufung von Reichtum, da sie auf Arbeit beruhten. Daher stimmte seine Lehre mit den Interessen der aufkommenden Bourgeoisie überein und wurde zur dominanten Religion in der Schweiz. Sie verbreitete sich überall dort, wo industrielles Kapital akkumulierte. Version 201245 : Im Kontrast zu Luthers Position, die das bischöfliche System beibehielt, schaffte Calvin dieses ab46 , wählte eine strenggläubige Person zum Presbyter und etablierte das Presbyterium, welches Unterstützung durch einen Pastor erhielt. Version 196147 : Diese Konfession wurde in Schottland presbyterianisch48 und in Großbritannien puritanisch genannt und in Frankreich hießen die Anhänger Hugenotten. Version 196149 : Die Anglikanische Kirche in England: In England wandte sich Heinrich VIII. zunächst gegen Luther und erhielt vom Papst den Titel »Verteidiger des Glaubens« verliehen. Er stritt jedoch später mit dem Papst über sein Scheidungsproblem. Er erhielt die Zustimmung des Parlaments und brach 1534 mit dem Papst. Er etablierte sodann die Anglikanische Kirche, ernannte sich selbst zum Oberhaupt, löste die Klöster auf und beschlagnahmte deren Land und Eigentum. Die Anglikanische Kirche glich der Katholischen jedoch praktisch in Lehre und Zeremonie. Das »Neue Gebetbuch«, welches auf dem Protestantismus basierte, wurde von Edward VI., Heinrichs Sohn, herausgegeben. Da die nächste Königin Mary zum Katholizismus zurückkehrte, hielten die Unruhen im Land an. Die Anglikanische Kirche wurde jedoch von Elisabeth I. wiederhergestellt und somit eine besondere Form des Protestantismus in England ge- schaffen. 43 『世界史B』山川出版社、2012、211頁。 44 『世界史』山川出版社、1961、155頁。 45 『世界史B』山川出版社、2012、211頁。 46 Anmerkung: »Allgemeines Priestertum.« 47 『世界史』山川出版社、1961、155頁。 48 Anmerkung in der Version 2012: »John Knox als Reformator«. 49 世界史』山川出版社、1961、155頁。 Darstellungen der Reformation in japanischen Geschichtsschulbüchern 309 Version 196150 : Gegenreformation: Vor dem Hintergrund der Reformation gestand sich die Katholische Kirche die Notwendigkeit der Selbstprüfung ein. Ab 1545 hielten die Katholiken über 18 Jahre das Trienter Konzil ab und diskutierten Gegenmaßnahmen. Als Resultat erkannte das Konzil den Vorwurf der Korrumpiertheit der Alten Kirche an und korrigierte diese. Gleichzeitig wurde in der Glaubenslehre die Unfehlbarkeit des Papstes bestätigt und das Konzil entschloss sich, den Protestantismus zu bekämpfen. Diese Gegenmaßnahme wird Gegenreformation genannt. Zu diesem Zweck wurde die Inquisition vorbereitet, die darauf abzielte, die Häresie in katholischen Ländern zu unterdrücken. Außerdem trat die Gesellschaft Jesu, 1543 gegründet von dem Spanier Ignatius von Loyola, mit einer strikten militärischen Organisation an, um missionarische Arbeit zu leisten. Durch die Tätigkeiten dieses Ordens wurde der Einfluss des Protestantismus in Südeuropa unterbunden und Südwestdeutschland wurde den Protestanten erneut entrissen. Zudem breitete sich der katholische Glaube in jenen Regionen aus, die außerhalb Europas entdeckt worden waren. Die Jesuiten wirkten mit an der Kolonisierung durch Portugal und Spanien und trugen zur Machtexpansion dieser Länder bei. Francisco Xavier wurde als Missionar nach Ostasien entsendet, besuchte 1549 auch Japan und gewann Gläubige. Im Vergleich mit der Beschreibung der Reformation in der 1961er Version beschreibt die aktuelle Version von 2012 diese stärker in Verbindung mit kirchlichen und politischen Systemen. Es ist eine Spezifik, dass japanische Schulbücher nicht die Autoren und Autorinnen der einzelnen Kapitel nennen. Es gibt jedoch ein Schulbuch, an dem ein Reformationsforscher mitwirkte. Dieses spiegelt die neueren Erkenntnisse der Forschung in der Einleitung wider. Insofern kann das Schulbuch Die Weltgeschichte B des Verlags Sansei-do aus dem Jahr 2007 als Beispiel für besondere Aktualität bezüglich des hier verhandelten Themas angeführt werden: Im Jahr 1523 begann Ulrich Zwingli seine Reformbewegung in Zürich in der Schweiz und er löste offene Debatten aus. Er trieb die Reform voran und erhielt viel Zustimmung in der Bevölkerung. Sein Vorgehen rief nicht nur unter Stadtbürgern der Schweiz und des südwestlichen Deutschland großen Widerhall hervor, sondern auch in Dörfern, die über eine ausgeprägte Selbstverwaltung verfügten. […] Ein temporärer Kompromiss konnte 1555 durch den Augsburger Religionsfrieden erlangt werden. Dadurch wurde den deutschen Fürsten das Recht zugesprochen, eine Konfession zu wählen, entweder katholisch oder lutherisch. Andererseits war es den Städten nicht möglich, sich dieses Recht zu eigen zu machen, wodurch nicht selten zwei Konfessionen innerhalb einer Stadt koexistierten. Aufgrund der konfessionellen Konflikte kam es zum Verfall der städtischen Selbstverwaltung.51 50 『世界史』山川出版社、1961、155–6頁。 51 『世界史』三省堂、2007、143–45頁。 Shinn Watanabe310 Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0 Resümee Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bildung im Fach Geschichte aus der Erkenntnis der Kriegsverantwortung heraus revidiert. Sie wurde mit dem Gedanken verwoben, dass gegenseitiges Verständnis Frieden schaffe. Dadurch traten bei den Beschreibungen der Reformation die theologischen Inhalte stärker hervor, besonders die von Luther und Calvin. Es waren nun nicht mehr nur Bezüge zu Politik und Diplomatie von Bedeutung. Diese Tendenz wurde retardiert durch die Veränderungen des Systems der historischen Bildung und die Revisionen der Schulbücher, die anhand der Richtlinien des Bildungsministeriums durchgeführt wurden. Sie hatten wiederum zur Folge, dass bezüglich der Reformation erneut die politischen und diplomatischen Aspekte höher bewertet und Inhalte, Ideengeschichte und Theologie reduziert wurden. Es mag mit Sorge erfüllen, dass die Bildung, die darauf zielte, Schülerinnen und Schülern die Ideen und Kultur des Anderen näherzubringen, nach dem Zusammenbruch der Strukturen des Kalten Kriegs erneut in ihren Ambitionen zurückgeworfen wurde. Angesichts einer ideologischen und religiösen Kriegsführung in zahlreichen Regionen, die heute zu vielen Tragödien führt, soll hier noch einmal unterstrichen werden, dass gegenseitiges Verständnis Empathie und Respekt für andere fördert und zu einer friedlicheren Welt beitragen könnte. Literatur Arita, Yoshinobu 有田嘉伸「世界史A教科書の比較研究」『長崎大学教育学部社会 科学論叢 Bulletin of Faculty of Education, Nagasaki University: Curriculum and Teaching』57, 1999, 15–24. Arita, Yoshinobu 有田嘉伸「戦前における外国史教育の歴史 (1)」『長崎大学教育 学部紀要. 教科教育学 Bulletin of Faculty of Education, Nagasaki University: Social science』38, 2002, 29–43. Hara, Katsuro 原勝郎『西洋中世史概説・宗教改革史』同文館, 1931. Ibaraki, Satoshi 茨木智志「『社会科世界史』はどのようにして始まったか」『歴 史学研究 The Historical Science Society of Japan』859, 2009, 182–191. Kaigo, Tomioki 海後宗臣「歴史教科書総説」『日本教科書大系・第20巻・歴史』講 談社, 1962. Kimata, Kiyohiro 木全清博「明治初年の万国史教育の実態」『滋賀史学会誌 Shiga University Repository』1989 (2), 43–62. Kimata, Kiyohiro 木全清博「歴史教科書」『近代日本の教科書のあゆみ 明治期か ら現代まで』サンライズ出版, 2006. Murata, Tsutomu 村田勤『宗教改革史』警醒社, 1909. 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