' 1 ^A'^£ 36 walter höflechner die thun'schen reformen im kontext der wissenschaftsentwicklung 37 Schleicher, vor allem — Benitz 35 Jahre alt, die anderen 30 Jahre und jünger, für die damaligen Universitäten Österreichs, die vom Anciennitätsdenken beherrscht waren, ungeheuerlich.29| Dementsprechend auch die Wirkung dieser enthusiastischen jungen Wissenschaftler, die einen geradezu missionarischen Elan und Eifer entfalteten - sie mussten als wahre Lichtgestalten erscheinen30 und bedeuteten eine Ermunterung des wissenschaftlichen Nachwuchses am Ort. Deutlich älter waren die aus dem Ausland zurückgeholten Österreicher wie der Internist Johann von Oppolzer (41 Jahre) und schon gar der 62-jährige Physiologe Purkyne. Am 28. Juli 1849 trat Leo Graf Thun-Hohenstein in das Minister amt31 — er hatte sich die Zusammenfühi-ung von Kultus und Unterricht ausbedungen; Hammer-Purgstall hat ihn treffend bezeichnet als einen Mann des Fortschritts, „ohne deshalb revolutionär zu sein"32. Als Thun das Amt übernahm, war der (von ihm von Prag her verehrte und neun Jahre ältere) Exner33 bereits im Ministerium. In der Person Exners war das bedeutendste Element 29 Mach wurde 1864 als damals 26-jähriger dem 1801 geborenen also 63-jährigen Hummel :; zur Seite gesetzt. \ j 30 Es darf hier nicht außer Acht gelassen werden, dass Männer wie Brücke ja selbst eben :i J noch im Aufbruch in eine neue Wissenschaftswelt waren; siehe dazu Wolfram W. Swo- : * eoda: Ernst Brücke als Naturwissenschaftler, in: Hans Brücke, Wolfgang Hilgee, Walter ■; f Höflechner, Wolfram W. Swoboda (Hg.): Ernst Wilhelm von Brücke. Briefe an Emü du : I Bois-Reymond, 2 Bde. (Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz, Bd. 8/1 + 8/2), : ) Graz 1978, 8/1 S. xxix-xlii. ~ Es war nicht bloß altersbedingte Verklärung, wenn der Hei- ■: delberger Physiologe Wilhelm Kühne 1897 noch in Erinnerung an seine Wiener Studienzeit | in den 1850er-Jahren sehreibt: „An keinen denke ich mit so viel Liebe und Anhänglich- I keit zurück wie an Brücke; unter allen den Großen, die dahin sind, war er ohne Frage die ... £ feinste Natur und der edel vornehmste Charakter", s. Alexander Eollett. Seine Welt in :, i Briefen 1844-1903, hg. von Walter Höflechner und Ingrid M. Wagner, 2 Bde. Graz 2012 ) [ (nicht im Buchhandel, demnächst in vollständiger Fassung im Internet unter [http://gams. ■ ? uni-graz.at/fedora/get/container:rolIett/bdef:Container/get], eingesehen 31.08.2016, dort ■ | Brief 2493 ddo 1897 VI 20 Heidelberg. Alexander Roliett selbst sehrieb rückblickend: „Mir : hat ein seltener Glückstern geleuchtet. Brücke und Ludwig gleichzeitig in Wien, als ich : J dort meine ersten Schritte machte", Brief 2134, Konzept des Dankschreibens an Ludwig für :: dessen Brief ddo 1893 XI 30 Leipzig. : * 31 Eduard Winter: Revolution, Neoabsolutismus und Liberalismus in der Donaumonarchie, Wien 1969, S. 68 schrieb dazu: „Exner galt damals als so stark, daß er, wie der Günthe-rianer Für am 23. März 1853 schrieb, ,die Berufung Thuns zum Minister veranlaßt und bewirkt' habe." 32 „Die Vorbereitungen zur Revolution sah ich schon seit einem Jahr in den Abendgesellschaften des Freiherrn von Dobblhoff, in welchen auch drei der jetzigen Minister, Bach, Schmerling, Thun, welche Männer des Fortschritts, ohne deshalb revolutionär zu sein, zu den ausgezeichnetsten Genossen jenes gehörten." So Hammer-Purgstall in seinen Erinnerungen zum 8. März 1848. 33 Exnerwar Jahrgang 1802. Thun war 1811 geboren. gegeben, das sich aus dem Vormärz heraus zur Erneuerung im Wege der Reform gestaltetejExner hatte 1842 in Berlin Hermann Bonitz kennengelernt und - wie er seiner Frau schrieb - das Berliner „wissenschaftliche Leben und Weben übt einen elektrischen Einfluss [auf ihn aus]; ich bin geladen wie eine Leydnerflasche und der Stoff drängt, als Funke auszufahren"34. Unter diesem überwältigenden Eindruck begann sich Exner mit Fragen der Reform des Studienwesens zu befassen. 1844 legt er der Studienhofkommis-sion eine Denkschrift über das Unterrichtswesen „im allgemeinen und in besonderer Beziehung auf die philosophischen Studien" vor, worauf er 1845 zu diesbezüglichen Beratungen nach Wien berufen und bald mit der Erstellung eines Entwurfes beauftragt wird, in dem er die Grundlagen für die nach 1848 errichtete neue Philosophische Fakultät entwickelt. Erst 1847 kehrt er wieder nach Prag zurück. Kurz nach Ausbruch der Revolution wird Exner von Sommaruga nach Wien berufen, wo er den umfangreichen Entwurf der Grundzüge des öffentlichen Unterrichtswesens in Österreich konzipiert, der wesentlich auf den schon erwähnten Denkschriften beruht.35 Und: Exner war es, der die Berufung von Bonitz (aus Stettin) und anderer und damit eine Verstärkung des durch ihn selbst bereits gegebenen deutschen Einflusses auf das Reformwerk bewirkte. 34 Franz Serafln Exner (1802-1853), der Stammvater der „Exnerei", hatte in Wien Rechtswissenschaften und bei Leopold Rembold Philosophie studiert, dann 1824/25 einige Zeit in Pavia, wo er die von ihm als unbrauchbar erkannte „alte" Philosophie kennenlernte, für die John Locke und Immanuel Kant verdammenswürdige Ketzer waren und die ihn sich in Wien Herbart und überhaupt der Philosophie und der Psychologie zuwenden ließ, obgleich sein Lehrer Rembold mittlerweile als Philosoph in Schwierigkeiten geraten war. 1831 wurde Exner auf die Prager Philosophie ernannt und entwickelt eine hervorragende Lehrtätigkeit, die ihn auch prompt in Schwierigkeiten brachte, weil etliche seiner Ausführungen nach Herbart kirchlichen Widerspruch auslösten. Zu Beginn der 1840er-Jahre setzte sich Exner höchst kritisch mit der damals dominierenden Hegel'schen Philosophie auseinander. Als Exner 1842 eine Reise nach Deutschland unternimmt, lernt er in Berlin Hermann Bonitz kennen. Aus der Schilderung des Umganges mit ihm und anderen an seine Frau stammt das so aufschlussreiche Zitat: „Das hiesige wissenschaftliche Leben und Weben übt einen elektrischen Einfluss; ich bin geladen wie eine Leydnerflasche und der Stoff drängt, als Funke auszufahren. Ein Monat freie Zeit könnte ihn sehr fördern." (Frankfurter: Graf Leo Thun-Hohenstein, S. 75). In den 1840er-Jahren verkehren zahlreiche Intellektuelle in Exners Prager Haus, unter ihnen auch Leo Graf Thun und Christian Doppler; Exner selbst wird 1844 Sekretär der philosophischen Sektion der kgl. Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. Nach seiner zeitweiligen Abwesenheit in Wien wurde er in Prag zum Rektor für das Studienjahr 1847/48 gewählt. Exner nahm die Wahl jedoch nicht an. 35 Zweimal hat Exner die Übernahme des Ministeramtes abgelehnt, da er sich von der Politik fernhalten und in seiner Arbeit an der Reform nicht stören lassen wollte, Frankfurter: Graf Leo Thun-Hohenstein, S. 100 f. 36 walter höflechnee Schleicher, vor allem - Bonitz 35 Jahre alt, die anderen 30 Jahre und jünger, für die damaligen Universitäten Österreichs, die vom Anciennitätsdenken beherrscht waren, ungeheuerlich.29 Dementsprechend auch die Wirkung dieser enthusiastischen jungen Wissenschaftler, die einen geradezu missionarischen Elan und Eifer entfalteten - sie mussten als wahre Lichtgestalten erscheinen30 und bedeuteten eine Ermunterung des wissenschaftlichen Nachwuchses am Ort. Deutlich älter waren die aus dem Ausland zurückgeholten Österreicher wie der Internist Johann von Oppolzer (41 Jahre) und schon gar der 62-jährige Physiologe Purkyne. Am 28. Juli 1849 trat Leo Graf Thun-Hohenstein in das Ministeramt31 - er hatte sich die Zusammenführung von Kultus und Unterricht ausbedungen; Hammer-Purgstall hat ihn treffend bezeichnet als einen Mann des Fortschritts, „ohne deshalb revolutionär zu sein"32. Als Thun das Amt übernahm, war der (von ihm von Prag her verehrte und neun Jahre ältere) Exner33 bereits im Ministerium. In der Person Exners war das bedeutendste Element 29 Mach wurde 1864 als damals 26-jähriger dem 1801 geborenen also 63-jährigen Hummel zur Seite gesetzt. 30 Es darf hier nicht außer Acht gelassen werden, dass Männer wie Brücke ja selbst eben noch im Aufbruch in eine neue Wissenschaftswelt waren; siehe dazu Wolfram W. Swo-boda: Ernst Brücke als Naturwissenschaftler, in: Hans Brücke, Wolfgang Hilger, Walter Höflechneh, Wolfram W. Swoboda (Hg.): Ernst Wilhelm von Brücke. Briefe an Emil du Bois-Reymond, 2 Bde. (Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz, Bd. 8/1 + 8/2), Graz 1978, 8/1 S. xxix-xlii. - Es war nicht bloß altersbedingte Verklärung, wenn der Heidelberger Physiologe Wilhelm Kühne 1897 noch in Erinnerung an seine Wiener Studienzeit in den 1850er-Jahren schreibt: „An keinen denke ich mit so viel Liebe und Anhänglichkeit zurück wie an Brücke; unter allen den Großen, die dahin sind, war er ohne Frage die feinste Natur und der edel vornehmste Charakter", s. Alexander Rollett. Seine Welt in Briefen 1844-1903, hg. von Walter Höflechner und Ingrid M. Wagner, 2 Bde. Graz 2012 (nicht im Buchhandel, demnächst in vollständiger Fassung im Internet unter [http://gams. uni-graz.at/fedora/get/container:rollett/bdef:Container/get], eingesehen 31.08.2016, dort Brief 2493 ddo 1897 VI 20 Heidelberg. Alexander Rollett selbst schrieb rückblickend: „Mir hat ein seltener Glückstern geleuchtet. Brücke und Ludwig gleichzeitig in Wien, als ich dort meine ersten Schritte machte", Brief 2134, Konzept des Dankschreibens an Ludwig für dessen Brief ddo 1893 XI 30 Leipzig. 31 Eduard Winter: Revolution, Neoabsolutismus und Liberalismus in der Donaumonarchie, Wien 1969, S. 68 schrieb dazu: „Exner galt damals als so stark, daß er, wie der Günthe-rianer Flir am 23. März 1853 schrieb, ,die Berufung Thuns zum Minister veranlaßt und bewirkt' habe." 32 „Die Vorbereitungen zur Revolution sah ich schon seit einem Jahr in den Abendgesellschaften des Freiherrn von Dobblhoff, in welchen auch drei der jetzigen Minister, Bach, Schmerling, Thun, welche Männer des Fortschritts, ohne deshalb revolutionär zu sein, zu den ausgezeichnetsten Genossen jenes gehörten." So Hammer-Purgstall in seinen Erinnerungen zum 8. März 1848. 33 Exner war Jahrgang 1802. Thun war 1811 geboren. die thun'schen reformen im kontext der wissenschaftsentwicklung 37 gegeben, das sichaus dem Vormärz heraus zur Erneuerung im Wege der Reform gestaltete. jExner hatte 1842 in Berlin Hermann Bonitz kennengelernt und - wie er seiner Frau schrieb - das Berliner „wissenschaftliche Leben und Weben übt einen elektrischen Einfluss [auf ihn aus]; ich bin geladen wie eine Leydnerflasche und der Stoff drängt, als Funke auszufahren"34. Unter diesem überwältigenden Eindruck begann sich Exner mit Fragen der Reform des Studienwesens zu befassen. 1844 legt er der Studienhofkommis-sion eine Denkschrift über das Unterrichtswesen „im allgemeinen und in besonderer Beziehung auf die philosophischen Studien" vor, worauf er 1845 zu diesbezüglichen Beratungen nach Wien berufen und bald mit der Erstellung eines Entwurfes beauftragt wird, in dem er die Grundlagen für die nach 1848 errichtete neue Philosophische Fakultät entwickelt. Erst 1847 kehrt er wieder nach Prag zurück. Kurz nach Ausbruch der Revolution wird Exner von Sommaruga nach Wien berufen, wo er den umfangreichen Entwurf der Grundzüge des öffentlichen Unterrichtswesens in Österreich konzipiert, der wesentlich auf den schon erwähnten Denkschriften beruht. 35\Und: Exner war es, der die Berufung von Bonitz (aus Stettin) und anderer und damit eine Verstärkung des durch ihn selbst bereits gegebenen deutschen Einflusses auf das Reformwerk bewirkte. 34 Franz Serafm Exner (1802-1853), der Stammvater der „Exnerei", hatte in Wien Rechtswissenschaften und bei Leopold Rembold Philosophie studiert, dann 1824/25 einige Zeit in Pavia, wo er die von ihm als unbrauchbar erkannte „alte" Philosophie kennenlernte, für die John Locke und Immanuel Kant verdammenswürdige Ketzer waren und die ihn sich in Wien Herbart und überhaupt der Philosophie und der Psychologie zuwenden ließ, obgleich sein Lehrer Rembold mittlerweile als Philosoph in Schwierigkeiten geraten war. 1831 wurde Exner auf die Prager Philosophie ernannt und entwickelt eine hervorragende Lehrtätigkeit, die ihn auch prompt in Schwierigkeiten brachte, weil etliche seiner Ausführungen nach Herbart kirchlichen Widerspruch auslösten. Zu Beginn der 1840er-Jahre setzte sich Exner höchst kritisch mit der damals dominierenden Hegel'schen Philosophie auseinander. Als Exner 1842 eine Reise nach Deutschland unternimmt, lernt er in Berlin Hermann Bonitz kennen. Aus der Schilderung des Umganges mit ihm und anderen an seine Frau stammt das so aufschlussreiche Zitat: „Das hiesige wissenschaftliche Leben und Weben übt einen elektrischen Einfluss; ich bin geladen wie eine Leydnerflasche und der Stoff drängt, als Funke auszufahren. Ein Monat freie Zeit könnte ihn sehr fördern." (Frankfurter: Graf Leo Thun-Hohenstein, S. 75). In den 1840er-Jahren verkehren zahlreiche Intellektuelle in Exners Prager Haus, unter ihnen auch Leo Graf Thun und Christian Doppler; Exner selbst wird 1844 Sekretär der philosophischen Sektion der kgl. Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. Nach seiner zeitweiligen Abwesenheit in Wien wurde er in Prag zum Rektor für das Studienjahr 1847/48 gewählt. Exner nahm die Wahl jedoch nicht an. 35 Zweimal hat Exner die Übernahme des Ministeramtes abgelehnt, da er sich von der Politik fernhalten und in seiner Arbeit an der Reform nicht stören lassen wollte, Frankfurter: Graf Leo Thun-Hohenstein, S. 100 f. 2> H-AC'i u lljll 38 waltee höflechner Im Frühjahr 1849, als die seit den Märztagen 1848 geschlossene Universität wieder eröffnet wurde, erarbeiteten Exner und Bonitz die bahnbrechende und erfolgreiche Reform der Gymnasien und Realschulen36 mit der Lehrbefähigungsprüfung, die sofort provisorisch und 1856 definitiv in Kraft trat.37 Als Thun Ende Juli 1849 seine Ministerschaft antrat,39 war dieser Gesetzesentwurf fertig, und Thun übernahm ihn „rückhaltlos" und setzte seine Annahme im September 1849 durch.39 Innerhalb kürzester Zeit schuf nun Exner das „Provisorische Gesetz über die Organisation der akademischen Behörden", das unter dem 30. September 1849 vom Kaiser genehmigt wurde, womit den Universitäten die Selbstverwaltung zugestanden wurde.40 Als im Oktober die Studien- und auch eine Disziplinarordnung folgten, war der zentrale Teil der für die Universitäten unmittelbar relevanten Re- 36 Nicht bewältigt wurde, obgleich Thun sehr am Herzen liegend, die Volkschulreform, sie geschah erst 1869 im Wege des Reichsvolkschulgesetzes. 37 Diese Prüfung wurde staatlichen Prüfungskommissionen an den einzelnen Hochschulorten übertragen, deren Mitglieder vom Ministerium ernannt wurden und die in jeweils adaptierter Form bis zu Beginn der 1990er-Jahre bestanden; damit wurden diese Prüfungen nicht von der Universität als solcher abgenommen, sondern gewannen den Charakter von Staatsprüfungen. Die Realisierung der entsprechenden Kommission erfolgte jedoch je nach Universität zu unterschiedlichen Zeitpunkten; siehe Wolfgang Brezinka: Pädagogik in Österreich. Die Geschichte des Faches an den Universitäten vom 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, 4 Bde., Wien 2000-2013, Bd. 1, S. 141 f. und 144. - Interessanterweise bat sich gegen diese Regelung offenbar kein Widerstand wie gegen die juridischen Staatsprüfungen erhoben. Die Mediziner wurden einer derartigen Regelung nicht unterworfen - ihr Bereich war allgemein gültigen Charakters und schien in keiner Weise von staatsspezifischer Relevanz zu sein. In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass die Differenzierung zwischen rein akademischem Doktorat und Staatsprüfungen die Zurückhaltung des Staates erweist, der die Entwicklung des Aspektes Wissenschaft (samt ihrer Lehre natürlich) nicht tangieren wäll — und das macht einen gewaltigen Unterschied zu der Zeit vor 1848 aus. 38 Er hatte dafür zur Bedingung gemacht, dass die Kultusangelegenheiten vom Innenministerium weg mit den Unterrichtsangelegenheiten zusammengeführt würden. Frankfurter: Leo Thun-Hohenstein. 39 Frankfurter: Graf Leo Thun-Hohenstein, S. 108 f. - Mit dieser Reform - die den Universitäten einen entsprechend vorbereiteten Studenten sichern sollte — wurde das Fachlehrersystem eingeführt und der Lehrstoff den Zeitläuften angepasst; insgesamt wurde ihr ein harmonischeres Gleichgewicht zwischen den realistischen und humanistischen Fächern als in Deutschland zugeschrieben; tatsächlich verschaffte sie dem österreichischen Gymnasialwesen höchstes Ansehen bis weit in das 20. Jahrhundert. Die neuen Realschulen waren für die Technischen Hochschulen von großer Bedeutung. Neue Lehrbücher, nachdem die alten „ein Spott von ganz Deutschland" gewesen waren, und die Gründung der „Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien" rundeten diesen Komplex ab. 40 Dies macht verständlich, dass Exner im Herbst 1849 zum ersten nach der neuen Wahlordnung gewählten Rektor der Universität Wien gewählt wurde — eine Ehrung, die er nicht annahm. die thün'schen reformen im kontext der wissenschaftsentwicklung 39 formarbeiten, das, was gemeinhin primär mit Thuns Namen verknüpft wird, abgeschlossen und im Prinzip gesichert. So erweist sich das mit Thuns Namen bezeichnete Reformwerk als ein Unternehmen, durch das im Wesentlichen von kompetenten, reformbegierigen und lange darauf vorbereiteten Wissenschaftlern und Intellektuellen des österreichischen Vormärz stammende Inhalte durch einen böhmischen Aristokraten als Exponent einer zentralen Regierung abgesichert wurden. Und insofern handelt es sich nur bedingt um eine „Revolution von oben". Thuns Leistung darf dennoch keineswegs gering geschätzt werden und seine Funktion als Namensgeber wurde ihm nicht von ungefähr zuerkannt, denn: [ Thun hat die liberalen Intentionen seiner Vorgänger und Exners aufgegriffen, gesichert41 und in toto konsequent weiterhin vertreten, auch nach Exners Tod 1853;42 das war für einen sehr katholisch-konservativen Adeligen'53 keineswegs selbstverständlich und hat ihn zahlreichen Angriffen ausgesetzt, bis der Kaiser selbst diesen ein Ende machte.44 Es ist Thuns enormes Verdienst, dass es zu keinem Rückfall gekommen ist. Eduard Winter hat wohl treffend bemerkt, dass es gerade Thuns bekannt konservativ-katholische Haltung gewesen sein dürfte, die es ihm ermöglichte, die liberale Reform durchzuziehen und zu stabilisieren. Er „legitimierte" in seiner Person, Herkunft und Haltung, was der Kirche, die den Neuhumanismus als heidnisch perhorreszierte (der noch dazu von einem protestantischen Preußen, nämlich Bonitz, propagiert wurde), und er konnte auch „legitimieren", was den Konservativen, den Josephinern, missfiel.46 Ein weiterer Faktor, der Thuns Arbeit begünstigte, war sein Selbstverständnis als Böhme, das ihm die Unterstützung der nichtdeutschsprachigen Nationalitäten eintrug, die ihn als Gegner der Bach'schen Germanisierungsbestrebungen betrachteten und so im Gefüge der Reform auch ihre eigenen Intentionen unterzubringen hofften.^Tatsächlich wurde dies ja auch ein höchst sensibler und 41 So wurden die Studienordnungen etc. im Oktober 1850 im Erlasswege gefasst, Leo von Beck Mannagetta, Carl von Kelle (Hg.): Die österreichischen Universitätsgesetze. Sammlung der für die österreichischen Universitäten gültigen Gesetze, Verordnungen, Erlässe, Studien und Prüfungsordnungen usw., Wien 1906, S. 365 und 366, wie überhaupt eine Fülle von Detailregetungen erst in dieser Zeit folgt. 42 Schon 1850 erkrankte Exner und verfiel mehr und mehr, bis er immer länger beurlaubt werden musste und schließlich am 21. Juni 1853 auf einer Dienstreise in Padua verstarb, wo er auch beigesetzt wurde. Frankfurter: Graf Leo Thun-Hohenstein, S. 115 f. 43 Thun ist 1870 immerhin nach Rom gereist, um nach der Zurückweisung der Infallibilitäts-erklärung dem Papst seine Oboedienz zu erweisen! 44 Siehe Lentze: Universitätsreform, S. 232 ff. 45 Winter: Revolution, S. 69. 46 Es wurden in diesem Zusammenhang ja auch tatsächlich und eben nicht so sehr aus wis- 40 walter höflechner die thun'schen reformen im kontext der wissenschafts entwicklung 41 künftige Entwicklungen andeutender Punkt, da die Errichtung germanistischer Lehrkanzeln von den deutschen Studierenden in Prag und die anderer philologischer Bereiche innerhalb der Monarchie vertretener Sprachen eben von den jeweiligen Nationalitäten gefordert wurde.47 Wissenschaftliche Erneuerung im Sinne der Philologie und nationale Interessen kamen hier damals schon in eins zusammen. Darüber hinaus maß man allerdings der Germanistik aufgrund der überragenden wissenschaftlichen Leistungen in Deutschland auch eine übernationale Bedeutung bei. fThun hat mit der ihm eigenen Toleranz trotz seiner persönlichen Anschauungen die angestrebte Rekonfessionalisierung der weltlichen Fakultäten der Universitäten im Wege des Konkordats von 1855 nicht zugelassen und hat auch weitere ähnliche Ansinnen48 strikt zurückgewiesen49 — zur Illustrierung der Thematik sei daraufhingewiesen, dass noch 1861 62,5 % der senschaftssystematäschen Überlegungen heraus slawistische Professuren geschaffen; deren Propagatoren gingen allerdings so weit, dass sie sogar slawische Philosophie forderten, um gleichsam der nationalen Eigenart slawischen Denkens nachzuspüren. Winter: Revolution, S. 70. 47 Man ging sogar so weit, die Frage aufzuwerfen, ob es nationale Ausformungen von Wissenschaft insgesamt gebe, ob und inwieweit Wissenschaft ähnlich den künstlerischen Aus-dt'ueksformen Dichtung und Musik eine spezifisch nationale, etwa slawische oder sogar < tschechische Ausformung eigen sei, ob es eine „Nationalwissenschaft" gebe, Winter: Revolution, S. 115. Siehe auch Stanislaus Hafner: Geschichte der österreichischen Slawistik, in: Beiträge zur Geschichte der Slawistik in nichtslawischen Ländern, Wien 1986, S. 11-88. 48 Wie etwa die Eliminierung der naturwissenschaftlichen Gegenstände in der gymnasialen [ Unterstufe. 49 Siehe Winter: Revolution, S. 126 f. Frankfurter geht in seinem ADB-Artikel zu Thun den vielfältigen Verwicklungen der Konfessionenfrage eingehender nach. - Bestehen blieb ! weiterhin die Zurücksetzung der Protestanten und Juden an allen Universitäten; an der ; Universität Wien war deshalb weiterhin der Dompropst von St. Stephan deren Kanzler, : l und Nichtkatholiken konnten nicht das Amt des Rektors, auch nicht eines Dekans übernehmen, wie das 1868 noch am Fall des Physiologen Brücke vom Wiener Satiriker Daniel | Spitzer sehr öffentMchkeitswirksam demonstriert worden ist, der dazu schrieb: „Der Lehrer " J der Physiologie an der Wiener Universität, Herr Professor Brücke, ist soeben von einem * j schweren Unglück heimgesucht worden, das ihn vor 50 Jahren getroffen hat. Damals näm- •' j lieh war es, wo derselbe mit dem bei Neugeborenen leider zur Regel gewordenen Leichtsinn : f in religiösen Dingen in den Schoss der protestantischen Kirche trat [...] Der Herr Unter- j richtsminister v. Hasner, welcher sich gerade mit der Frage beschäftigte, warum unsere | Universität anderen Universitäten gegenüber so zurüekbliebe, soll die Abweisung des Pro- ; | fessors Brücke damit begründet haben, dass die Universität ,katholischen Charakter' habe. :; | Wenn die Universität ein Kloster wäre, [.,,] hätte sich kaum eine schlagendere Antwort ; ■ [ ersinnen lassen. [...] Die Universität ist jedoch kein Kloster und der Herr Professor Brücke ; J wird hoffentlich so einsichtsvoll sein, nicht die Priorswürde anzustreben. Die Universität ; |. ist bekanntlich nichts anderes, als eine ,Genossenschaft der Lehrer und Lernenden'!" Da- . | niel Spitzer: Wiener Spaziergange, Wien 1877, Bd. 1, S. 196-199 (Kein protestantischer • | Dekan. Juni 1868). ''f an den Gymnasien Lehrenden Geistliche waren!50 Die Tragweite der Haltung Thuns ist kaum abschätzbar und war die Grundlage für alles weitere, auch wenn in gewisser Hinsicht der Schlussstein erst in der liberalen Ära und mit der Aufhebung des Konkordats bzw. mit der Rigorosenordnung von 1872 und dem Organisationsgesetz von 1873 gesetzt worden ist.51 Die Konkordatscausa warf naturgemäß zu ihrer Zeit einen Schatten auf das Reformwerk; Grillparzer formulierte dazu 1854 beißend: „Einen Selbstmord hab' ich euch anzusagen. Der Kultusminister hat den Unterrichtsminister todtgeschlagen"52, und der mit Thun befreundete Anastasius Grün alias Anton Graf Auersperg nannte später noch das Konkordat einen „gedruckten Canossagang"5^ Im Grunde genommen war das Reformwerk 1854 bzw. 1855 mit der Konsolidierung durch den Kaiser abgeschlossen und definitiv gesichert.54 Nicht zu verschweigen ist freilich, dass sich Thun nicht selten über die von ihm selbst festgeschriebene Neuerung des Berufungsverfahrens hinweggesetzt hat, wenn es um weltanschaulich relevante Fächer ging; so hat Thun vor allem in der Philosophie (insbesondere der Rechtsphilosophie55) und in der Geschichtswissenschaft darauf geachtet, dass Wissenschaftler zum Zug kamen, die seine Auffassungen vertraten. Hierzu zählt auch als besonders unglücklich, letztlich aber folgenlos, die weniger bekannte Ernennung des 28-jährigen Poeten und radikalen Gegners des Neuhumanismus, Oscar von Redwitz-Sehmölz, zum Professor der Allgemeinen Literaturgeschichte und 50 Wenn auch vor und nach dem Konkordat an Gymnasien protestantische Lehrer angestellt worden waren, weil es anders nicht möglich gewesen wäre, die Posten zu besetzen, so Frankfurter: Leo Thun-Hohenstein. 51 Hiezu sei bemerkt, dass genau genommen von 1858 bis 1873 ein gesetzloser Zustand geherrscht hat, da das provisorische Gesetz 1858 nicht mehr verlängert worden war, zumal Thun dieser Frage wegen der Opposition Kardinal Rauschers aus dem Weg gegangen ist, siehe LENTZE: Universitätsreform, S. 259. 52 [http://www.gedichte.eu/kl/grillparzer/gedichte3/sinngedichte-und-epigramme.php], eingesehen 31.08.201S. 53 Frankfurter: Leo Thun-Hohenstein. Diese Bezeichnung wurde auch anderweitig verwendet. 54 Am 24. Februar 1855 erließ Kaiser Franz Joseph eine ah. Entschließung, in der er die öffentliche Debatte über das Reformwerk abschloss und Thun in die Lage versetzte, seine Arbeit fortzuführen, siehe Lentze: Universitätsreform, S. 234 f. 55 Überhaupt nahmen die Rechtswissenschaften in den Diskussionen breiten Raum ein, da sie in besonders hohem Maße staatliche Interessen tangierten und die Staatsprüfungen als Einschränkung der Lehre interpretiert wurden, weshalb verschiedentlich ihre Zurücknahme gefordert wurde, zu der es aber auch im Hochliberalismus nicht kam - unter Hinweis, dass die Staatsprüfungen „nicht wie üblich der zur Herrschaft gelangten Reaktion zuzuschreiben [, sondern ...] aus dem staatlichen Interesse entsprungen" seien; dazu ausführlichst Lentze: Universitätsreform, S. 236 ff. und bes. S. 289. 42 WALTER HÖFLECHNER Ästhetik an der Universität Wien56, der dann kläglichst scheiterte57; damit ging in Österreich die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in ihren ersten Anfängen schon unter, da die Redwitz-Schmölz zugedachte Materie letztlich an die primär sprachwissenschaftlich gedachten Philologen fiel. Nicht unähnlich verlief es in Pest.58 Thun folgte dabei der Maxime, die Jarcke schon Metternich nahegelegt hatte: sorgfältig ausgewählte, politisch-konfessionell zuverlässige Professoren aus Deutschland oder der Schweiz zu berufen - Thun hat übrigens diese Vorstellungen in einem Schreiben im Zuge der Berufungsverhandlung mit dem angesehenen Germanisten Franz Pfeiffer 1855 völlig klar und unumwunden dargelegt, und den in Ehe mit einer Protestantin lebenden und seine Kinder protestantisch erziehenden Katholiken Pfeiffer nicht berufen; zwei Jahre später dann allerdings doch.59 Mit derlei Aktionen nahm Thun natürlich auch der konservativen Opposition, die gegen die Protestanten wetterte, etwas Wind aus den Segeln, und: Völlig voraussetzungslose Wissenschaft lehnte Thun ebenso wie Jarcke ab.60 \ Derlei aus heutiger Sicht weniger glückliche, „bremsende" Entscheidungen wurden aber relativ bald kompensiert durch die Selbstreinigungskraft des nun herrschenden Systems im Wege der Lernfreiheit und Lehrfreiheit auf der Grundlage der Fächerdifferenzierung, die bald zur Auflösung von Fächern wie etwa „Universalgeschichte" führte. - Nach 1855 traten allerdings offenbar auch für Thun die konfessionellen Überlegungen mehr und mehr in den Hintergrund.61 Eine länger anhaltende Auswirkung des Konkordats von 185562 und vielleicht auch eine Folge gerade der schützenden Haltung Thuns war, dass die Universität Innsbruck als besondere Pflegestätte kirchlich und politisch 56 Aufgrund von dessen christlich-germanischer Poesie, siehe die Biografie Redwitz in Cons-tant von Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 25, Wien 1868, S. 122-129. 5Y Schon 1852 legte er seine Professur zurück, siehe ebenda bzw. die einschlägigen Akten im ÖStA, AVA. 58 Hier wurde der katholische Priester und Publizist Wilhelm Gärtner ernannt. Egglmaier: Errichtung, S. 370 f. 59 In seinem Schreiben zog sich Thun auf die Gefährlichkeit „der Augendienerei" Pfeiffers ihm gegenüber zurück, Lentze: Universitätsreform, S. 125, siehe auch Egglmajer: Errichtung, S. 371 f. 60 Beider Ideal war eine beschränkte Lehrfreiheit, mit deren Hilfe die Regierung unliebsame Professoren fernhalten können sollte, Lentze: Universitätsreform, S. 85 ff. 61 Egglmaier: Errichtung, S. 377. 62 Das Konkordat von 1855 wurde 1868 durch die Maigesetze modifiziert, 1870 nach der Infal-libilitätserklärung österreichischerseits für unwirksam erklärt und 1874 formell aufgehoben. DIE THUN'SCHEN REFORMEN IM KONTEXT DER WTSSENSCHAFTSENTWK'Kl.UNG 43 konservativer Tendenz ausersehen und ihre 1857 neu errichtete Katholisch-Theologische Fakultät vom Kaiser dem in Österreich 1851 wieder zugelassenen Jesuitenorden übertragen wurde.63 - Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Ministerium Gautsch und dann Härtel verbundenen Bemühungen um eine katholische Renaissance in Österreich und die damit verbundenen massiven Einflussnahmen auf die Universität Wien griffen noch auf die Universität Innsbruck zurück.64 Mit den vorhin erwähnten Details und mit dem Hinweis, dass nun eine sehr respektable und effiziente Verwaltung aufgebaut wurde, sind nun aber auch schon die bedeutendsten Faktoren der weiteren Entwicklung von Wissenschaft in Österreich aufgezählt^ Indem Thun klar jene Ideale vertrat, die man an den deutschen Universitäten realisiert sah, und damit den vor 1848 unterschwellig entwickelten Ansätzen den Nährboden sicherte, der ihnen so sehr gefehlt hatte, um dem Vorbild der Wissenschaftsentwicklung in den deutschen Ländern vor allem nördlich des Mains erfolgreich nachzueifern, kam ein Verwissenschaftlichungsprozess in Gang, der nicht nur zeitgemäße Forschung zur Folge hatte, sondern natürlich auch die Lehre erfasste. Nun erst wurden die philosophischen Studien zu Philosophischen Fakultäten in einem modernen Sinne, das bedeutete die endgültige Verselbständigung der naturwissenschaftlichen Disziplinen aus ihrer der Medizin gegenüber hilfswissenschaftlichen Position.65 Mit der sich nun rasch entfaltenden Differenzierung bahnte sich eine ungeahnte Entwicklung an und es gewann das System innerhalb kurzer Zeit, was durch keinerlei Verordnung herbeiführbar ist und was Jarcke als oberste Maxime gefordert hatte: „wissenschaftlicher Sinn", d.h. „Lust und Freude am Stu- 63 Der österreichische Provinzial konnte Professoren einsetzen und abberufen, auch den Dekan ernennen (1873 fiel diese Regelung, wurde aber im Konkordat von 1933 wieder erneuert). Siehe Beck, Kelle: Universitätsgesetze, Nr. 4. 64 Mit dem in Innsbruck lehrenden Ludwig Pastor sollte ein prononciert katholischer Historiker der Universität Wien oktroyiert werden, ernannt wurde nach langem Kampf der marginale Josef Hirn, siehe dazu Walter Höflechner: Metamorphosen und Konsequenzen. Zur Auflösung der Allgemeinen Geschichte an den Universitäten Wien, Prag und Graz, in: Reinhard Härtel (Hg.); Geschichte und ihre Quellen. Festschrift für Friedrich Hausmann zum 70. Geburtstag, Graz 1987, S. 289-298, hier bes. S. 295. Und als man Mach nicht als Philosophen an der Universität Wien neben Jodl zu verhindern vermochte, grub man eine zusätzliche (1859) zuletzt (mit Georg Schenach) besetzte Professur für Philosophie aus, um der überraschten Philosophischen Fakultät der Universität Wien einen zusätzlichen - linientreuen - Philosophieprofessor zu „schenken", nämlich den Theologen Laurenz Müllner (Walter Höflechner, Bemerkungen zur Institutionalisierung der Philosophie in Österreich, noch unveröffentlichtes Manuskript). 65 Und das bedeutete das Aus für viele Professoren dieser Fächer. 44 walter höflechner dium als solchem, die Freude an jeder in die Tiefe gehenden geistigen Beschäftigung, die Neigung sich an jedweder Erweiterung des Wissens zu beteiligen"66. vollzog sich die Verwissenschaftlichung der zuvor eher beschaulich beschreibenden Naturwissenschaften nach den Maximen der nun maßgeblichen Trias Physik, Chemie, Physiologie, die nun deutlicher als zuvor als Erforschung jener Gesetzlichkeiten verstanden wurde, die man hinter den bislang nur beschriebenen Erscheinungen suchte: Das führte beispielsweise im Zusammenspiel mit günstigen Umständen in der Physik dazu, dass in Österreich die Theoretische (damals noch „mathematische") Physik in weltweitem Vergleich außerordentlich früh eigene Professuren erhielt - bereits in den 1860er-Jahren; München und Leipzig folgten erst um die Jahrhundertwende! Überhaupt kann die Physik als ein Bereich gesehen werden, in dem Österreich autochthon ohne große Hilfe von außen innerhalb weniger Jahrzehnte - mit Boltzmann und Mach vor allem - zur Spitze vorstieß67 und sich dort mit Gelehrten wie Marian Smohiehowski, Erwin Schrödinger, Victor Franz Hess, Lise Meitner lange halten konnte^Die beschreibende systematische Botanik wurde bald von der Pflanzenphysiologie, die eine sehr bedeutende Entwicklung bis hin zu Friedrich („Friedl") Weber, dem Pionier der Protoplasmaforschung nehmen sollte, ihrer Vormachtstellung beraubt, Kerner von Marilaun wurde zu einem der Begründer der Pflanzensoziologie, und früh — schon aus dem Vormärz heraus - erlangte man in der Paiäobota-nik mit Franz von Unger und Constantin von Ettingshausen weltweit führenden Rang. Ähnlich verlief die Entwicklung in der Zoologie, wo der adria-tische Raum reiches Forschungsmaterial an niederen Meeerestieren bot und am Quarnero eine eigene Forschungsstation neben jener in Neapel geschaffen wurde. Auch in den Erdwissenschaften bemühte man sich nun mit moderneren Methoden um ein Verständnis der geodynamischen Vorgänge bis hin zur Tektonik Otto Ampferers und der Kontinentaldrift Wegeners; in der Pharmazie gewann - wenn auch mit einiger Verzögerung - die physiologie- 66 Dieses Zitat stammt aus Jarckes Memorandum über die Aufgaben eines Unterrichtsmi- | nisters in Österreich vom 5. August 1849, abgedruckt bei Lentze: Universitätsreform, S. j 295-299 (Anhang I), bes. S. 296. j 67 Hierzu ist zu bemerken, dass die Rezeption der Newtonschen Physik in Österreich rela- ; tiv früh einsetzte, nämlich in den 1740er-Jahren (also nahezu gleichzeitig mit der dritten Auflage und mit der Übersetzung der Principja in das Französische durch die Marquise du Chätelet), als sich jüngere Jesuiten dafür interessierten; nicht ohne Grund ist Rud-jer Boscovichs Theoria 1758 in Wien gedruckt worden, wo der aus Graz dorthin versetzte Karl Scherffer dafür sorgte. Ein gewisses Minimum an physikalischer Tradition erhielt sich durch Exjesuiten wie Leopold Biwald und dessen Lehrbuch bis in das 19. Jahrhundert (die Angabe, dass Biwald 1765 in Graz eine Ausgabe von Boscovichs Theoria philosophiae naturalis herausgebracht habe, lässt sich - leider - nicht verifizieren). die thun'schen reformen im kontext der wissenschaftsentwicklung 45 geleitete Pharmakologie auch in Österreich gegenüber der Pharmakognostik an Boden (was innerhalb kurzer Zeit zu den bahnbrechenden Arbeiten Otto Loewis führte; die Auswirkungen der Physiologie auf die anderen medizinischen Teilfächer bis hin zur Chirurgie waren enorm und trugen wesentlich zu dem weltweit hohen Ansehen der Zweiten Wiener medizinischen Schule bis weit in das 20. Jahrhundert hinein bei. Gegen Ende des Jahrhunderts wurden bis dahin weit von einander entfernt liegende Bereiche in fruchtbarer Weise zusammengeführt, wie dies am Beispiel der Entwicklung der Seismik wie der mathematischen Modellierung meteorologischer Ereignisse durch den international berühmten, heute wenigen nur bekannten Meteorologen Max Margules zu erkennen ist, einer der tragischsten Figuren der Wissenschaft in Österreich vor dem Nationalsozialismus. Jene Bereiche, die wir heute als Geisteswissenschaften bezeichnen,68 68 Es darf hier nicht außer Acht gelassen werden, dass dieser Begriff (lässt man frühere in anderem Sinne geschehene Verwendungen des Wortes im IS. und in der Mitte des 19. Jahrhunderts beiseite) erst später entstand (wenn auch die methodischen Differenzen früher schon angesprochen wurden), konkret 1883 von Wilhelm Dilthey geprägt wurde, dessen Auseinandersetzung mit der Thematik von der Frage der außerhalb der Mathematik durch die Nicht-Naturwissenschaften erlangbaren Erkenntnisgewissheit ausging, um die man seit dem 16. Jahrhundert rang, um eine Akzeptierung der von ihm als Geisteswissenschaften bezeichneten Disziplinen im Sinne von scientia zu erlangen (welche Diskussion zuvor von Droysen in Auseinandersetzung mit dem Positiväsmus resp. der Naturwissenschaften maßgeblich belebt worden war). Die wesentlichen Schritte hin zur Gewinnung einigermaßen fundierter Erkenntnisse aus dem nicht der evidenten Empirie zugänglichen Erkenntnisbereichen vollzogen sich im Wege der Entwicklung der Kritik, sowohl im historischen als auch im philologischen Bereich. Nachdem man in der Mitte des 18. Jahrhunderts bereits akzeptieren hatte müssen, dass eine der experimentellen Physik, geschweige denn der Mathematik adäquate Erkenntnisgewissheit im Historischen aus der Natur der Sache heraus nicht erzielbar sei und sogar letztlich den Naturwissenschaften im strikten Sinne des Wortes nicht eigne, veränderte sich zumindest im deutschen Bereich der Gewissheits-Anspruch von Wissenschaft in der Weise, dass das Kantische Meinen als hinreichend akzeptiert wurde. Und in diesem Zusammenhang kam der Entwicklung der historischen Kritik und der Entwicklung der kritischen Sprachwissenschaft auf Grundlage der vergleichenden Indogermanistik wissenschaftskonstituierende Bedeutung zu. Die Zusammenführung zu einer übergeordneten Einheit „Geisteswissenschaften" erfolgte erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts; das einigermaßen wache Bewusstsein der erkenntnistheoretischen Grundlegung wurde auf breiterer Ebene erst in dieser Zeit durch das Droysen'sehe und Dilthe/sche Verstehen geweckt. Insoferne kann man für die Mitte des 19. Jahrhunderts die geisteswissenschaftlichen Disziplinen an den Philosophischen Fakultäten noch nicht als einen mit den Naturwissenschaften vergleichbaren, sich qua Wissenschaft identifizierenden Block betrachten. - Als in Wien die Akademie der Wissenschaften endlich ins Leben getreten war, versuchten die Naturwissenschaftler Anton Schrötter und Wilhelm Haidinger 1848 im Wege der Statuten die beiden Klassen zu selbstständigen Akademien zu erheben, also eine völlige Trennung zwischen den beiden Bereichen herzustellen, dazu Hammer-Purgstall in seinen Erinnerungen zum 15. April 1848. - Interessant in diesem 46 walter höflechnee die thun'schen reformen im kontext der wissenschaftsentwicklung 47 wurde nun einer gewissen Systematik unterworfen - die wenig glückliche Symbiose von Klassischer Philologie und Ästhetik wurde beseitigt, indem man letztere in die kunstbezogene Trias (Allgemeine) Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft auflöste,69 und es entwickelten sich, nicht zuletzt durch die vorhin bereits angedeutete politische Haltung Thuns ermöglicht und gefördert, wegweisend Fächer, die aus der besonderen Situation Österreichs resultierten, wie die Sprach- und Literaturwissenschaften des slawischen Bereiches (konkret aufbauend vor allem auf dem 1849 aus der Hofbibliothek herangeholten Franz von Miklosich, dem Josef Dobrovský, Jernej Kopitar und Pavel Jozef Šafárik schon vor- und zugearbeitet haben70), die sehr bald eine kulturhistorische Bearbeitung und damit eine wesentliche Ausweitung des historischen Betraehtungsfeldes jenseits des klassischen Abendland- bzw. Europabildes bewirkten. Aber auch das Feld der neueren Orientalistik, wo Hammer-Purgstall Pate stand, August Pfizmaier sowie Stephan Endlicher wirkten und Joseph von Karabacek neue Wege beschritt, ist hier zu erwähnen, ebenso wie die Geschichte und Archäologie Südosteuropas bis nach Anatolien, wo Osterreich bis heute eine bedeutende Position einnimmt. Die Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft entwickelte sich unter Anton Boller in Wien und August Schleicher in Prag, in Graz wurden Johannes Schmidt und Hugo Schuchardt — beide aus Deutschland berufen — die Begründer der sprachwissenschaftlichen Wellen-theorieÍDie Geschichtswissenschaft nahm unter dem Protestanten Theodor Sickel einen enormen Aufschwung, zwar nicht so sehr im Sinne der von Reifert und Thun intendierten Geschichte des österreichischen Kaiserstaates, dafür aber in den historisch-mediävistischen Hilfswissenschaften und damit einer neuen kritischen Geschichtsforschung, was bis in die Neuere Geschichte ausstrahlte. Zusammenhang sind natürlich auch die Diskussionen um die Teilung der Philosophischen Fakultäten (in Graz 1878 unter der Führung von Ludwig Boltzmann) bzw. um das Verhältnis zwischen „reiner", d. h. theoretischer", und „angewandter" Wissenschaft, ab der Jahrhundertmitte und mit ihrem Höhepunkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts; diese Fragen klingen bei Lemaybr: Verwaltung, S. 13 ff., der die Diskussionen in Deutschland verfolgte, sehr wohl bereits an, spielten aber in der Reformdiskussion noch keine Rolle. 69 Dass dieses an sich logische Konzept mit dem Scheitern von Redwitz-Schmölz nicht ganz aufgegangen ist, wurde bereits erwähnt. 70 Welches Bild vom Schicksal österreichischer Gelehrter im Vormärz man im Ausland gewann, zeigt das Beispiel Josef Dobrovskýs: Im Jahr 1824 regte der dänische Bischof Friedrich Munter aus Kopenhagen bei Hammer(-Purgstall) an, er möge sich doch dafür einsetzen, dass dem unter dürftigen Verhältnissen in einem Stallgebäude (wohl beim Palais der Grafen Nostitz) lebenden 70-jährigen Dobrovský eine Pension verschafft würde, die ihm ein würdigeres Altern ermögliche (Brief Münters vom 8. Dezember 1824 im Nachlass Harn-mer-Purgstalls im Schloßarchiv Hainfeld, Steiermärkisches Landesarchiv). Als sehr fruchtbar erwies sich in diesem Prozess in der Thun'schen Ära die Schaffung neuartiger Institutionen; nämlich zweier staatlicher Zentralanstalten in Verbindung mit der neuen Akademie der Wissenschaften, also die Geologische Zentralanstalt im November 1849 und die Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus 1851 (der älteste staatliche Wetterdienst der Welt), deren Leitung stets Ordinarien der Universität Wien innehatten und die aus ihren praktischen Zielsetzungen heraus Material für wertvolle wissenschaftliche Arbeit lieferten. Und andererseits zweier Institute, die zwar noch aus den alten Zielsetzungen von Lehre heraus entstanden (wie ihre Errichtung wohl aus der Gymnasialreform resultierte), unter dem Einfluss des allgemeinen "Wandels aber eine andere, fruchtbarere Entwicklung als ursprünglich intendiert nahmenjEs waren dies das 1850 gegründete Physikalische Institut71 und das 1854 eröffnete Institut für österreichische Geschichtsforschung72, deren Lehrkörper in Personalunion 71 Das Physikalische Institut sollte „angehenden Lehramtskandidaten der Physik, Chemie und Physiologie die Gelegenheit [bieten], sich die zu einem erfolgreichen Lehren nötigen gründlichen Kenntnisse, die mechanische Geschicklichkeit im Experimentieren und die gehörige Anleitung zu selbstständigen Forschungen zu verschaffen". Die Leitung wurde dem damals angesehensten österreichischen Physiker, Christian Doppler, übertragen. Sehr rasch hat sich dieses Institut unter Ettingshausen und Josef Stefan in die wissenschaftliche Richtung entwickelt und zwischen den „normalen" Lehramtskandidaten und den „Zöglingen" des Instituts tat sich eine immer weiter werdende Kluft auf. Die Bedeutung dieses Instituts in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens war enorm, da aus ihm die bedeutendsten österreichischen Physiker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervorgingen; sehr bald aber geriet das Institut nahezu in Vergessenheit, zumal sich Stefan mehr und mehr in der Akademie der Wissenschaften engagierte. Erst im Zuge der Umstrukturierungen anlässlich der Rückberufimg Boltzmanns aus Leipzig 1901/02 wurde es sang- und klanglos aufgelöst. Siehe Walter Höflechner-. Materialien zur Entwicklung der Physik und ihrer „Randfächer" Astronomie und Meteorologie an den österreichischen Universitäten 1752-X938, Teil 1: Institutionen, unter [http://www-gem.uni-graz.at/wissg/ geschichte_der_physik/], eingesehen 31.08.2016. 72 Auch das Institut für österreichische Geschichtsforschung ist aus letztlich analogen Gründen entstanden - als eine Pflanzschule der patriotisch orientierten Geschichtsforschung zum Nachweis eines gleichsam gottgewollt organisch in seiner Vielfalt erwachsenen österreichischen Kaiserstaates. Thun setzte allerdings den zeitgemäßen Anforderungen in keiner Weise gewachsenen Tiroler Benediktiner Albert Jäger als Leiter ein, der hoffnungslos überfordert sehr rasch an Theodor Sickel übergab, unter dem sich das Institut wandelte zu einem international anerkannten wissenschaftsorientierten Forschungsinstitut, das sich weit von der „Normalausbildung", der es ursprünglich dienen sollte, entfernte, in mediävistisch-hilfswissenschaftlicher Hinsicht eine international bedeutsame Stellung errang und aus dem bis 1983 alle Professuren für österreichische Geschichte und fast ebenso lange alle mediävistischen und historisch-hüfswissenschaftlichen Professuren in Österreich besetzt worden sind, bis zu Ende des 20. Jahrhunderts die alte Ausbildungstradition im Wege des „Institutskurses" erlosch. 1 QrduU^ 34 walter hoflechner die thun'schen reformen im kontext der wissenschafts entwicklung 35 durch einen Berlinaufenthalt - 1844 einen tiefgehenden Reformentwurf vorlegte, der sich in der Folge als eine grundlegende Vorarbeit für die Reform erweisen und Exner letztlich zu Seele und Motor der Reform unter nicht weniger als vier Ministern werden lassen sollte.21 ^Als Resümee ergibt sich somit, dass es ein gar nicht geringes Volumen ernsthafter Ansätze und Bemühungen um einen Anschluss an die damals zeitgemäße Wissenschaft und eben auch sehr ernstzunehmende Reformvorstellungen gab, die durchwegs von der Basis kamen. Im Großen und Ganzen schien aber nach außen hin bei aller Ungerechtigkeit zahlreichen Individuen gegenüber die berühmte Formulierung Jarckes im Rückblick aus dem Jahr 1852 nicht allzu weit von der Realität des Vormärz entfernt, dass nämlich „kein österreichischer Professor einen deutschen, geschweige denn einen europäischen Namen gehabt [habe]. Der Ruf der meisten Universitäts-Gelehrten war nicht über die Bannmeile ihres Aufenthaltsortes hinausgedrungen"22 - Ähnliches hatte viel früher schon Friedrich Nicolai befunden. Ganz so arg war es aber eben doch nicht - nicht alle österreichischen Professoren saßen dumpf in ihrem Kämmerlein, ohne Kenntnis, was draußen weiter vor sich ging.23lSchon einige Blicke auf Titelblätter diverser Monografien lassen Interessantes an internationaler Vernetzung erkennen, die Vorlesungs- und Personalstandsverzeichnisse vor allem der Universität Wien im Bereich der Philosophischen Studien zeigen, dass zwar die Zahl der Professuren gering war und ihre Inhaber mitunter recht medioker waren, dass aber die Zahl der Lehrenden insgesamt wesentlich höher und das Angebot qualitativ recht gut durchwachsen war, aber eben nicht unbedingt auf der Ebene der Professoren. Überhaupt fehlt uns für eine wirklich tragfähige Einschätzung immer noch die Kenntnis erheblichen Quellenmaterials, vor allem aus den reichen Briefbeständen aus jener Zeit. In Anbetracht der eben skizzierten Verhältnisse ist es nicht verwunder- 21 Exner ist 1852 ausgeschieden und 1853 verstorben. - Exner Sehnte mehrmals die Ernennung zum Minister ab, weil er nicht in den Geschäften untergehen und von der konzeptionellen Arbeit abgehalten werden wollte. 22 Karl Ernst Jarcke an Leo Thun. Wien, 7. August 1852. Staatliches Gebietsarchiv Leitme-ritz, Zweigstelle Tetschen-Bodenbach, Familienarchiv Thun-Hohenstein, Linie Tetschen, Nachlass Leo Thun, A3 XXID171. Teilweise abgedruckt in Hans Lentze: Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, in: SBWien phiL-hist.Ifl. 239,2 (1962), S. 192-198. 23 Einen Einblick in reichhaltige internationale Verbindungen gibt z. B. Helmut W. Flügel: Briefe österreichischer ,Mineralogen' zwischen Aufklärung und Restauration (Scripta geo-historica. Grazer Schriften zur Geschichte der Erdwissenschaften, Bd. 1), Graz 2009; auch Hammer-Purestalls umfanereiche Korresnondenz zeusrt von den durchaus reichen lieh, dass die Realisierung lange gehegter Hoffnungen, als die Revolution einmal gezündet hatte, geradezu unglaublich schnell in Gang kam. Bereits am 27. März 1848 wurde die Studienhofkommission durch ein Unterrichtsministerium ab gelöst,24 dessen Chef Franz von Sommaruga sofort die führenden Köpfe zusammenrief - unter ihnen natürlich auch Exner -und innerhalb weniger Tage in erster Fassung mehr einschneidende Neuerungen setzte, als es in vielen Jahrzehnten zuvor gegeben hatte: Mit der Eliminierung des propädeutischen Teils aus der Philosophie in die damit neu geschaffene 7. und 8. Klasse des Gymnasiums entstanden nach deutschem Vorbild die Philosophischen Fakultäten in modernem Sinne, wie überhaupt dieser Bereich die tiefstgehenden Veränderungen erfuhr und als zentral erachtet wurde.25 Bs kam nun zur Propagierung der Lern- und Lehrfreiheit,26 zur Einführung der Habilitation und damit des Instituts der Privatdozenten sowie der akademischen Selbstverwaltung. Im August 1848 ersetzte Ernst von Feuchtersieben27 das Konkursverfahren durch das Berufungsverfahren. Damals wurde auch Exner mit der Oberleitung der Reform betraut.28 Als die Oktoberrevolution losbrach, waren in Bezug auf die Universitäten die wesentlichsten organisationstechnischen Schritte gesetzt, aber nicht wirklich gesichert. Was nun folgte, war nicht minder wichtig, weil es half, die Kontinuität des Begonnenen zu sichern, nämlich die Berufungen aus dem Ausland: Hermann Benitz, Ernst Brücke, Georg Curtius, August 24 Dieses Ministerium bestand bis 1860, als die Agenden in das Staatsministerium = Innenministerium übernommen worden; erst 1867 wurden im Ministerium für Kultus und Unterricht diese Agenden wieder durch ein separates Ministerium wahrgenommen. 25 Weshalb er auch in dieser Arbeit eingehender behandelt wird. Zur Sache siehe auch Walter Höflechnek: Die Auswirkungen politischer und kultureller Veränderungen auf Forschungsorientierung und Wissenschaftsorganisation, in: Karl Acham (Hg.): Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften, Bd. 1, Wien 1999, S. 149-214. 26 Dies war natürlich ein immer wieder aus den verschiedensten Gründen in Frage gestelltes Prinzip. Einen sehr späten, 1867, aus einer Universität gekommenen Reglementierungsversuch mit einer Verpflichtung zu bestimmten Lehrveranstaltungen hat die Unterrichtsverwaltung strikt und mit einer bündigen Formulierung abgelehnt: Es sei zwar das Bemühen um Abstellung einzelner Unregelmäßigkeiten anzuerkennen, „allein diese personlichen Rücksichten müssen unter allen Verhältnissen dem höheren, an den österreichischen Hochschulen zum Principe erhobenen Grundsatze der Lehr- und Lernfreiheit, soweit diese nur immer ausführbar ist, untergeordnet und dürfen nicht zum Ausgangspunkte von Beschränkungen dieses Princips gemacht werden. Der Begriff der Lernfreiheit schließt aber ein, dass dem durch die Ablegung der Maturitäts-Prüfung für reif erklärten Universitäts-Hörer die Wahl der von ihm zu hörenden Collegien sowie der von ihm zu besuchenden Docenten vollständig freigestellt [...] werde", Karl Lbmaybr: Die Verwaltung der österreichischen Hochschulen von 1868-1877. Im Auftrage des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht dargestellt, Wien 1878, S. 260 f. /je lyWCxe^^ walter höflechner dnen Berlinaufenthalt - 1844 einen tiefgehenden Reformentwurf vor-ler sich in der Folge als eine grundlegende Vorarbeit für die Reform ;n und Exner letztlich zu Seele und Motor der Reform unter nicht weis vier Ministem werden lassen sollte.21 Resümee ergibt sich somit, dass es ein gar nicht geringes Volumen after Ansätze und Bemühungen um einen Anschluss an die damals laße Wissenschaft und eben auch sehr emstzunehmende Reformvor-gen gab, die durchwegs von der Basis kamen. Jroßen und Ganzen schien aber nach außen hin bei aller Ungerech-zahlreichen Individuen gegenüber die berühmte Formulierung s im Rückblick aus dem Jahr 1852 nicht allzu weit von der Reali-Vormärz entfernt, dass nämlich „kein österreichischer Professor deutschen, geschweige denn einen europäischen Namen gehabt Der Ruf der meisten Universitäts-Gelehrten war nicht über die ieile ihres Aufenthaltsortes hinausgedrungen"22 - Ähnliches hatte .her schon Friedrich Nicolai befunden. Ganz so arg war es aber eben icht — nicht alle österreichischen Professoren saßen dumpf in ihrem erlein, ohne Kenntnis, was draußen weiter vor sich ging.23 Schon Blicke auf Titelblätter diverser Monografien lassen Interessantes ;rnationaler Vernetzung erkennen, die Vorlesungs- und Personalverzeichnisse vor allem der Universität Wien im Bereich der Philomen Studien zeigen, dass zwar die Zahl der Professuren gering war re Inhaber mitunter recht medioker waren, dass aber die Zahl der iden insgesamt wesentlich höher und das Angehot qualitativ recht rchwachsen war, aber eben nicht unbedingt auf der Ebene der Pro-■n. Überhaupt fehlt uns für eine wirklich tragfähige Einschätzung noch die Kenntnis erheblichen Quellenmaterials, vor allem aus den l Briefbeständen aus jener Zeit. nbetracht der eben skizzierten Verhältnisse ist es nicht verwunder- er ist 1852 ausgeschieden und 1853 verstorben. - Exner lehnte mehrmals die Ernen-g zum Minister ab, weil er nicht in den Geschäften untergehen und von der konzeptio-än Arbeit abgehalten werden wollte. I Ernst Jarcke an Leo Thun. Wien, 7. August 1852. Staatliches Gebietsarchiv Leitme-Zweigstelle Tetschen-Bodenbach, Familienarchiv Thun-Hohenstein, Linie Tetschen, Mass Leo Thun, A3 XXID171. Teilweise abgedruckt in Hans Lentze: Die Universitäts-rm des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, in: SBWien phil.-hist.Kl. 239,2 (1962), S. -198. ;n Einblick in reichhaltige internationale Verbindungen gibt z. B. Helmut W. Flügel: ;fe österreichischer .Mineralogen' zwischen Aufklärung und Restauration (Scripta historica. Grazer Schriften zur Geschichte der Erdwissenschaften, Bd. 1), Graz 2009; 3 Hammer-Furestalls umfangreiche Korrespondenz zeugt von den durchaus reichen die thun'sghen reformen im kontext der wissenschaftsentwicklung 35 lieh, dass die Realisierung lange gehegter Hoffnungen, als die Revolution einjnal gezündet hatte, geradezu unglaublich schnell in Gang kam. [ Bereits am 27. März 1848 wurde die Studienhofkommission durch ein Unterrichtsministerium abgelöst,2,1 dessen Chef Franz von Sommaruga sofort die führenden Köpfe zusammenrief - unter ihnen natürlich auch Exner -und innei'halb weniger Tage in erster Fassung mehr einschneidende Neuerungen setzte, als es in vielen Jahrzehnten zuvor gegeben hatte: Mit der Eliminierung des propädeutischen Teils aus der Philosophie in die damit neu geschaffene 7. und 8. Klasse des Gymnasiums entstanden nach deutschem Vorbild die Philosophischen Fakultäten in modernem Sinne, wie überhaupt dieser Bereich die tiefstgehenden Veränderungen erfuhr und als zentral erachtet wurde.25 Es kam nun zur Propagierung der Lern- und Lehrfreiheit,26 zur Einführung der Habilitation und damit des Instituts der Privatdozenten sowie der akademischen Selbstverwaltung. Im August 1848 ersetzte Emst von Feuchter sieben27 das Konkursverfahren durch das Berufungsverfahren. Damals wurde auch Exner mit der Oberleitung der Reform betraut.2^] Als die Oktoberrevolution losbrach, waren in Bezug auf die Universitäten die wesentlichsten organisationstechnischen Schritte gesetzt, aber nicht wirklich gesichert. Was nun folgte, war nicht minder wichtig, weil es half, die Kontinuität des Begonnenen zu sichern, nämlich die Berufungen aus dem Ausland: Hermann Bonitz, Ernst Brücke, Georg Curtius, August 24 Dieses Ministerium bestand bis 1860, als die Agenden in das Staatsministerium = Innenministerium übernommen worden; erst 1867 wurden im Ministerium für Kultus und Unterricht diese Agenden wieder durch ein separates Ministerium wahrgenommen. 25 Weshalb er auch in dieser Arbeit eingehender behandelt wird. Zur Sache siehe auch Walter Höflechner: Die Auswirkungen politischer und kultureller Veränderungen auf Forschungsorientierung und Wissenschaftsorganisation, in: Karl Acham (Hg.): Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften, Bd. 1, Wien 1999, S. 149—214. 26 Dies war natürlich ein immer wieder aus den verschiedensten Gründen in Frage gestelltes Prinzip. Einen sehr späten, 1867, aus einer Universität gekommenen Reglementie-rungsversuch mit einer Verpflichtung zu bestimmten Lehrveranstaltungen hat die Unterrichtsverwaltung strikt und mit einer bündigen Formulierung abgelehnt: Es sei zwar das Bemühen um Abstellung einzelner Unregelmäßigkeiten anzuerkennen, „allein diese persönlichen Rücksichten müssen unter allen Verhältnissen dem höheren, an den österreichischen Hochschulen zum Principe erhobenen Grundsatze der Lehr- und Lernfreiheit, soweit diese nur immer ausführbar ist, untergeordnet und dürfen nicht zum Ausgangspunkte von Beschränkungen dieses Princips gemacht werden. Der Begriff der Lernfreiheit schließt aber ein, dass dem durch die Ablegung der Maturitäts-Prüfung für reif erklärten Universitäts-Hörer die Wahl der von ihm zu hörenden Collegien sowie der von ihm zu besuchenden Docenten vollständig freigestellt [...] werde", Karl Lemayer: Die Verwaltung der österreichischen Hochschulen von 1868-1877. Im Auftrage des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht dargestellt, Wien 1878, S. 260 f.