VORWORT Dieses Skriptum behandelt die grundlegensten phonologischen und morphologischen Veränderungen des Deutschen auf seinem Weg vom Germanischen bis in die frühe Neuzeit. Die wichtigsten „Stationen“ auf diesem Weg stellen das Althochdeutsche, das Mittelhochdeutsche und das Frühneuhochdeutsche dar. Das Bild dieser sprachlichen Stadien kann im Rahmen dieses Lehrwerkes freilich nicht in aller Vollständigkeit erfasst werden. Das Ziel des Lehrbuches ist, insbesondere die lautliche und formale Wandlung des Deutschen vom Althochdeutschen bis zur Zeit des Barocks anschaulich zu zeigen. Zu diesem Zweck sind dem Lerntext Tabellen beigefügt, welche diese Wandlung anhand einer Übersicht der Flexion (Nomen,Verbum usw.) illustrieren und das Erlernen erleichtern. Dieselbe Aufgabe erfüllen auch manche Fragen zum durchgenomenen Stoff, die von den Studierenden zu beantworten sind. Der Geist jeder der erwähnten Zeitepochen wird anhand ausgewählter literarischer Texte charakterisiert, die nicht nur zur Lektüre bestimmt sind, sondern auch zum Erproben der gewonnenen philologischen Kenntnisse der Leser dienen. Diese Texte spiegeln das kulturelle Streben der jeweiligen Zeit wider. Mein besonderer und herzlicher Dank gilt Frau Dana SPĚVÁKOVÁ, welche die schwierige Aufgabe der graphischen Gestaltung und Vereinheitlichung des Textes auf sich genommen hat. Ich danke ihr für ihre aufmerksame Begleitung bei meiner Arbeit. Ich möchte mich auch bei den Projektleitern des wissenschaftlichen Projektes FIFA unserer Fakultät bedanken, ohne dessen finanzielle Möglichkeiten die Fertigstellung und die Drucklegung dieses Lehrwerkes nicht möglich gewesen wäre. Möge dieses Lehrbuch den Lernenden und den interessierten Lesern die reiche und durch Höhen und Tiefen führende Entwicklung des Deutschen beleuchten und verständlich machen. Brno, im September 2013 Sylvie Stanovská I. KAPITEL Das Indoeuropäische, das Germanische. 7 Indoeuropäische Sprachen-Übersicht: 8 Kentum- und Satemsprachen. 10 Gemeinsamkeiten indoeuropäischer Sprachen. 10 Lexikalische Gemeinsamkeiten. 10 Morphologische Gemeinsamkeiten. 11 Theorien der Entstehung der indoeuropäischen Sprachen. 11 Die Urheimat der Indoeuropäer 12 Die hypothetische indogermanische Ursprache. 12 Ablaut (auch Apophonie) 13 Merkmale der germanischen Sprachen. 14 Zum Begriff „Germanen“. 15 Zur Gliederung der Germanen und der germanischen Dialekte. 16 DIE GÖTTER UND GÖTINNEN DER GERMANEN.. 21 EXKURS II. 23 TEXTANLAGE.. 30 VORGERMANISCHE LAUTVERÄNDERUNGEN.. 32 Konsonantische Veränderungen. 26 LAUTLICHE VERÄNDERUNGEN AUF DEM WEG VOM GERMANISCHEN ZUM ALTHODEUTSCHEN (Vorhistorische Veränderungen) 26 VOKALE.. 26 KONSONANTEN.. 27 Vernersches Gesetz. 27 Grammatischer Wechsel 28 Die ältesten germanischen Sprachzeugnisse. 28 Lehn- Namen. 29 Zitat-Wörter 29 Lehn-Wörter 29 EXKURS IV.. 30 Erste direkte germanische Sprachzeugnisse: Runen und Runeninschriften. 30 II. KAPITEL Das Althochdeutsche. 33 Die Kultur dieser Zeitepoche. 33 Missionstätigkeit: Iroschottische und angelsächsische Missionare auf deutschsprachigem Gebiet, die ersten Klostergründungen. 33 Iroschotten. 33 Das Reich Karls des Großen, die Reichsidee. 34 Die Bildungsreform Karls des Großen. 35 Die Gelehrten und Künstler am Hof Karls des Großen. 35 Zum neuen Wortschatz der Zeit 37 TEXTTEIL.. Chyba! Záložka není definována. Vokalismus. 39 Die althochdeutsche Diphthongierung von ê und ô. 40 Konsonantismus. 50 Die Schicksale anderer Konsonanten im Althochdeutschen. 51 ALTHOCHDEUTSCHE FLEXIONSMORPHOLOGIE.. 53 SUBSTANTIVE.. 54 Veränderungen zum Althochdeutschen. 55 Die Hauptklassen der ahd. Substantivdeklination. 56 Vokalische Stämme. 56 Konsonantische Stämme. 56 Weitere vokalische Stämme. 56 Wurzelnomina. 58 Aufgaben 58 ADJEKTIVE.. 50 Starke Deklination. 50 Steigerung der Adjektive. 51 Numerale (in Auswahl) 52 Kardinalzahlen. 52 Aufgaben. 54 Verben.. 55 Hauptklassen der Verben. 55 A Flexion (Konjugation) der starken Verben. 56 Präsens. 56 B Flexion (Konjugation) der schwachen Verben. 58 Klasse I: urspr. jan-Verben. 58 Klasse II: urspr. ôn-Verben. 59 Klasse III – urspr. ên –Verben. 59 C Flexion (Konjugation) der Modalverben (Praeteritopräsentia) 59 Atematische Verben. 59 Verb tuon. 60 Verb sîn. 60 Aufgaben. 61 Literarischer Exkurs Die Gattung „Evangelienharmonie“ Tatian, Heliand und das Evangelienbuch Otfrids von Weißenburg. 62 Notkers Werke in knapper Auswahl 65 Notkers Erfindungspotential 65 III. Kapitel Mittelhochdeutsch. 66 Die Vollendung der Feudalisierung. 67 Lautbestand. 69 Vokalismus. 69 Reduktion der vollen Vokale in den unbetonten Silben (Beispiele) 69 Weitere Veränderungen. 70 System der kurzen Vokale: a ë i o u. 70 Konsonantismus. 73 1. Auslautverhärtung. 73 2. Assimilation. 74 3. Konsonantenschwund. 74 Mittelhochdeutsche Morphologie. 75 Deklination der Substantive. 75 Übersicht der Deklinationstypen (in Auswahl) 75 A Starke Deklination. 75 a-Stämme. 75 i-Stämme /Primärumlaut 76 B Schwache Deklination. 77 Reste anderer Deklinationen. 77 Deklination der Adjektive. 77 Steigerung. 78 Konjugation der Verben. 79 Starke Verben (Schema) 79 Schwache Verben. 79 Präterito-Präsentien. 80 Atematische Verben. 81 LITERARISCHER EXKURS MITTTELHOCHDEUTSCHE WELTLICHE LYRIK.. 83 Zum Wesen des (deutschen) Minnesangs. 83 Minnesang als Rollenlyrik. 84 Peotik des Minnesangs. 86 DIETMAR von AIST: Lied XVI. 86 Minne und Minnesang – eine thematische Abgrenzung. 87 Minne, Minnevorstellung im 12. Jahrhundert 88 Meinloh von Sevelingen.. 90 Mariendichtung, Marienverehrung. 96 Übersicht über die wichtigsten Marienlieder 96 Ausführliches zum „Melker Marienlied“. 97 Melker Marienlied. 97 Weltliche Epik. 100 Charakteristik des höfischen Romans und seiner Grundstruktur 100 Der Begriff des „höfischen Romans“. 101 Vertreter de Gattung in Deutschland. 101 Der Artusstoff. 101 Die deutschsprachige Lyrik und Epik in Böhmen: Auf dem Hof der letzten Přemysliden 102 DIE LYRIKER.. 102 DIE EPIKER.. 104 LEGENDE.. 104 IV. KAPITEL Frühneuhochdeutsch (1350-1650) 107 Wichtigste grammatische und lautliche Neuerungen und Kennzeichen (in knapper Auswahl) 109 Lautstand - Vokalismus. 109 Morphologie. 110 Literarischer Exkurs DIE ZEIT DES KAISERS KARL IV.: JOHANN VON NEUMARKT und JOHANNES VON TEPLA (SAAZ) 111 Johann von Neumarkt. 111 JOHANN VON NEUMARKT: BUCH DER LIEBKOSUNG (Übersetzung Johanns von Neumarkt. 113 Johannes von Saaz, Der Ackermann aus Böhmen, 117 DIE ZEIT MARTIN LUTHERS DAS LIEDSCHAFFEN VON PAUL GERHART. 122 Martin Luther (10. 10. 1483 Eisleben – 18.2. 1546 Eisleben) 122 LIEDER.. 123 Paul GERHART. 126 DIE ZEIT DES BAROCKS. 128 LITERATUREXKURS. 130 PAUL FLEMING.. 130 Andreas Gryphius. 131 Epigramme, Aphorismen, Sprüche. 132 Friedrich von Logau (1605-1655) 132 Das Beste der Welt 132 Abgedankte Soldaten. 132 Johannes Scheffler (Angelus Silesius) 132 Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicius Simplicissimus - Kapitel 2 135 Das erste Buch, 1. Kapitel 135 Literaturverzeichnis. 138 Ausgewählte literarische TexTPROben… ……………………………141 I. KAPITEL Das Indoeuropäische, das Germanische Die deutsche Sprache gehört bekanntlich zu den germanischen Sprachen, die ihrerseits einen Teil der indoeuropäischen Sprachfamilie bilden. Aus traditioneller Sicht bezeichnet man als indoeuropäisch eine Gruppe von Sprachen, die trotz (zunehmender) Unterschiede doch eine große Zahl von Gemeinsamkeiten aufweist, die die heutigen indoeuropäischen Sprachen miteinander verbinden. (andere Sprachfamilien – z. B. semito-hamitische Sprachfamilie, austro-asiatische Sprachfamilie, darunter sino-tibetische Sprachgruppe usw.). Die Herauslösung des Germanischen aus der (angenommenen) indoeuropäischen Spracheinheit (?) scheint etwa um die Mitte des 1. Jahrtausends vor der Zeitenwende abgeschlossen gewesen zu sein. „Indoeuropäisch“ fasst eine Gruppe von Sprachen zusammen, die ursprünglich zwischen Indien und Europa gesprochen wurden, deren lexikalische und grammatische Gemeinsamkeiten durch die vergleichende Sprachwissenschaft als Verwandtschaft gedeutet und auf eine gemeinsame Grundlage zurückgeführt worden sind.[1] „Die Methode der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft ist die Rekonstruktion früherer Sprachstufen. Diese erfolgt mittels Annahme von Lautgesetzen (Regeln für die historische Veränderungen von Lauten bzw. Phonemen), welche ausnahmslos postuliert werden: am selben Ort zur selben Zeit in derselben Sprachschicht und in vergleichbarer Laut- und Phonemumgebung dieselben Veränderungen auftreten. Bsp. Jedes idg. p wird im Germanischem zu einem f, solange das Lautgesetz produktiv ist. lat. piscis entspricht germ. *fiskaz „Fisch“ Beide Wörter gehen an eine gemeinsame, indogermanische (indoeuropäische) Grundlage zurück.[2] Problematisierung Die sprachlichen Gemeinsamkeiten unter vielen Sprachen in Europa und Vorderasien führten im 19. Jahrhundert dazu, eine gemeinsame sog. indoeuropäische oder indogermanische Sprache anzunehmen und zu rekonstruieren. Man nahm sogar an, dass diese Sprache auch in Urzeiten gesprochen wurde. Dieses ist jedoch eine doppelte, zweifache Rekonstruktion: - erst rekonstruierte man die Sprache, - aus dieser Rekonstruktion folgerte man, dass diese Sprache auch tatsächlich gesprochen wurde. Die heutige vergleichende Sprachwissenschaft basiert auf folgenden Merksäzten (nach ERNST):[3] 1. Ein indogermanisches oder indoeuropäisches „Urvolk“ ist archäologisch nicht nachweisbar. 2. Eine indogermanische Ursprache ist nicht belegt. Alle Aussagen über sie beruhen bloß auf sprachwissenschaftlichen Rekonstruktionen. 3. Wir besitzen nur Quellen in indogermanischen Einzelsprachen, die höchstens bis ins 18. Jh. vor Christus (Hettitisch) zurückreichen. Indoeuropäische Sprachen - Übersicht[4] a) Historische Sprachen Nur durch schriftliche Quellen (Namen, Lehnwörter) bezeugt. Sie sind keinen lebenden Sprachen zuzuordnen z. B. in Kleinasien: Hethitisch (18.-13. Jh. v.u.Z.) Phrygisch (ab 6. Jh. v. u. Z.) eine Vorstufe des Armenischen? Lydisch ( 7.-4. Jh. v.u.Z.) (China) z. B. in Europa: Tocharisch (ca. 7. Jh.), adriatischer Raum Pelasgisch (Substrat im Griechischen) Makedonisch – das antike Makedonien des Alexanders des Großen (nur Namen und Inschriften), nicht das heutige moderne slawische Makedonische b) Indische Sprachen – z.B. Sanskrit – eine Kunstsprache der klassischen altindischen Literatur (ab 4. Jh. in Regeln gefasst), schriftsprachlich als Hindī, bzw. als Urdū (in arabischer Schrift Staatssprache Pakistans). Weiter Bengali (in Bangladesch). c) Iranische Sprachen – z. B. das Sogdische, die Vorstufe des modernen Persischen. Weitere neuiranische Sprachen werden in Afghanistan und dessen Umgebung gesprochen: Afghanisch, Tadschikisch, Ossetisch usw. d) Armenisch e) Griechisch f) Albanisch g) Romanische Sprachen Lateinisch (ursprünglich eine Mundart des Gebiets um Rom, seit dem 3. Jh. v.u.Z. auch literarisch verwendet). Tochtersprachen vulgärlateinischer (spätlateinischer) Sprachformen auf der Grundlage einheimischer Sprachen: Französisch (9. Jh.) Italienisch (10. Jh.) Sardisch und Provenzalisch (11. Jh.) Spanisch, Katalanisch und Portugiesisch (12. Jh.) Moldauisch (16. Jh.) h) Keltische Sprachen Nur aus Inschriften und Örtlichkeitsnamen (u.a. hal „Salz“) lässt sich erschließen, dass vor 2000, 3000 Jahren weite Teile Mittel- und Südeuropas, ja sogar Kleinasiens von Kelten besiedelt, d. h. keltischer Sprachraum gewesen sein dürften (nie verschriftlicht! Von ihren Sprechern zugunsten anderer, vor allem romanischer Sprachen aufgegeben worden). Bis heute (mehr oder weniger) gebraucht sind jedoch die inselkeltischen Sprachen: z.B. Irisch (4.-5., 7. Jh.) Gälisch (Schottland, 15. Jh.) Bretonisch (seit dem 8. Jh. belegt, Bretagne) i) Baltische Sprachen Altpreußisch, literarisch bezeugt vom 14. bis ins 17. Jh. Litauisch und Lettisch (Estnisch – keine indoeuropäische Sprache!, verwandt mit dem Finnischen) j) Slawische Sprachen Südslawisch: Bulgarisch (ab 10. Jh. – Texte in altkirchenslawischer Sprache) Slowenisch (um 1000 u. Z.) Serbisch und Kroatisch (ab dem 12. Jh. überliefert) Makedonisch – erst spät fassbar Ostslawisch: Gemeinrussisch (10.-11. Jh.) Weißrussisch und Ukrainisch (seit dem 16. Jh.) Westslawisch: Polnisch (12. Jh.) Tschechisch (13. Jh.) Sorbisch – Sprache der westslawischen Minderheit in der Lausitz, die seit dem 16. Jh. in Form einer Übersetzung der Luther-Bibel literarisch belegt ist) k) Germanische Sprachen (diese Problematik wird im Kapitel II behandelt) Kentum- und Satemsprachen Als Merkwort wird die indogermanische Bezeichnung für „hundert“ herangezogen: 100 idg. *kmtom aind. śatam lat. centum avest. satəm toch. känt tschech. (slaw. Sprachen) sto got. hund „Kentum“ „Satem“[5] Zur Entstehung des Ausdrucks „hundert“: germanisch *hunda + *raÞa (Zahl) (etym. verwandt mit nhd. „gerade“)[6] Gemeinsamkeiten indoeuropäischer Sprachen[7] Lexikalische Gemeinsamkeiten Beim Vergleich vieler deutscher Wörter mit bedeutungsgleichen (oder –nahen) Äquivalenten in anderen indoeuropäischen Sprachen fällt die Ähnlichkeit der Lautgestalt auf, z. B.: „Mutter“: engl. mother, anord. mōdir, lat. māter, gr. mētēr, russ. матери (Gen.), lit. móté („Ehefrau“), air. mātir, aind. mātár- „drei”: engl. three, got. Þreis, lat. trēs, gr. treĩs, russ. три, lit. trys, aind. trayas „ist”: engl. is, got. ist, lat. est, gr. estí, russ. йест, lit. est(i), aind. asti usw. Morphologische Gemeinsamkeiten Die Zusammengehörigkeit der ide. Sprachen lässt sich z. B. an den Verbalformen zeigen: deutsch: (ich) bin, ahd. bim, engl. (I) am, ae. eom, got. im, anord. em, lat. sum, abg. jesm, tsch. jsem – Nasal in der 1. Person Sg. athematischer Wurzelverben Außer der indoeuropäischen gibt es über 280 weitere Sprachfamilien (finno-ungrische Sprachen, türkische Sprachen, mongolische Sprachen, sino-tibetische Sprachen usw.). Theorien der Entstehung der indoeuropäischen Sprachen Stammbaumtheorie August Schleicher (1821-1868) stand unter dem Einfluss der damals hochmodernen Anschauungen Charles Darwins und glaubte, sie auf die Sprachwissenschaft übertragen zu können. Seine Theorie geht von der Vorstellung aus, dass Sprachen wie Menschen Vorfahren und Nachkommen haben, dass man also für Sprachen „Stammbäume“ erstellen kann. Ur- oder Grundsprache - abgespaltene Sprache (Dialekt), die wieder zu einer Ur- oder Grundsprache für eine weitere Sprache werden kann. Diese Theorie erläutert viele Fragen nicht genügend. Wellentheorie SchLeichers Schüler Johannes Schmidt (1843 -1901) formulierte die so genannte „Wellentheorie“. Sprachliche Zusammenhänge werden nicht als Form einer „genetischen“ Verwandtschaft gesehen, sondern als Kontaktphänomene – vergleichbar den Wellenbewegungen, die entstehen, wenn man ein Stein ins Wasser wirft. Treffen zwei Wellen von zwei benachbarten Steinen aufeinander, kommt es zu Überlagerungen, die mit sprachlichen Interferenzen verglichen werden können. Sprachen gleichen ungefähr Flächen, an deren Rand es zu Interferenzen mit benachbarten Sprachen kommen kann.[8] Schlussbetrachtung Der Optimismus, mit dem man im 19. Jh. glaubte, eine gemeinsame Urform der belegten indoeuropäischen Sprachen rekonstruieren zu können, ist dem Bewusstsein gewichen, dass die indoeuropäischen Sprachen bereits sehr weit vom gemeinsamen Ursprung entfernt sind. Die Ursprache ist keine Größe, die mit dem heutigen Deutschen, Englischen usw. vergleichbar wäre, sondern nur eine Summe der in den indoeuropäischen Sprachen verstreut begegnenden gemeinsamen Züge. „Aufgrund vor allem der Wanderungen der Sprecher des Indoeuropäischen haben sich diese Dialekte sehr unterschiedlich entwickelt. Eine kompakte Ursprache in einer ebenso kompakten Urheimat ist nicht vorstellbar“.[9] Aus dem systematischen Vergleich von Einzelsprachen ergibt sich folgende Charakteristik der Indoeuropäer – durch den Vergleich der Wörter aus Einzelsprachen (linguistische Paläontologie). Die Urheimat der Indoeuropäer - sie wird in den verschiedensten Gegenden zwischen Skandinavien und Indien vermutet - Asien oder Europa? - Vieles spricht für die europäische Herkunft: Tiernamen wie Fuchs, Hase, Hirsch, Wolf, Ente, Kranich, Adler tragen indoeuropäische Bezeichnungen, nicht aber Kamel, Tiger, Löwe, Affe usw. Die hypothetische indogermanische Ursprache - für diese ist die Flexion charakteristisch, d.h. Deklination der Nomina und Konjugation der Verben. - beim Nomen: 8 Kasusformen: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Vokativ, Ablativ, Lokativ, Instrumental - beim Verb: synthetisch gebildete Formen: der Person (je drei im Sg. und Pl.) Genus-Formen: Aktiv und später ein Passiv modale Formen: Indikativ, Konjunktiv Tempus-Formen: Präsens, Imperfekt, Aorist, Perfekt Reduplikation: Verdoppelung des Anfangskonsonanten der Wurzelsilbe mit eingeschobenem Vokal: lat. tendo („ich spanne“) – tetendi („ich habe gespannt“) (Bildung der Vergangenheitsform mit Hilfe der Reduplikation) im Gotischen: haitan („heißen“) haihait („hieß“) Ablaut: Regelmäßiger Vokalwechsel, der bei der Bildung der Verbalformen und in der Wortbildung auftritt: gr. logos („Wort“) – lego („ich sage“) lat. toga („Gewand“) – tegere („bedecken“) deutsch starr – sterben Tempusformenbildung beim starken Verb im Deutschen: singen – sang – gesungen Ablaut Von Jacob Grimm (1785-1863) verwendete Begriff zur Bezeichnung des regelmäßigen, ursprünglich akzentbedingten Vokalwechsels bei etymologisch zusammengehörigen Worten bzw. Wortformen in den indoeuropäischen Sprachen. Es handelt sich um eine morphologisch geregelte Vokalalternation des Indoeuropäischen mit -e- als Grundvokal. In synchroner Hinsicht setzt sich der Ablaut (auch Apophonie) 1. aus dem qualitativen Ablaut (Abtönung) e : o, im Ide. auf dem melodischen Akzent basierend, im Germanischen e : a, z. B. ahd. 1., 3. Ps. Sg. Prät. von Inf. neman : nam 2. aus dem quantitativen Ablaut (Abstufung V : V´: R: ø ) V – Vollstufe (der Vokal stand auf starkbetonter Stelle) V´- Dehnstufe (der Vokal erscheint in gedehnter Form, im Ahd. z. B. Pl. Prät. von neman: nâmum) Die Dehnstufe entwickelte sich aufgrund morphologischer Analogie. R – Reduktionsstufe (der Vokal erscheint an schwachbetonter Stufe) ø – Schwundstufe (der Vokal ist geschwunden) Diachron gesehen gab es Ablaut bereits im Urindoeuropäischen. e-Normalstufe : o abgetönte Stufe – melodischer Akzent ø-Schwundstufe : V – Vollstufe – dynamischer Akzent Die Klassifikation der germanischen starken Verben erfolgt nach ihrem Ablautverhalten. Die Realisation des Ablauts ist in verschiedenen Formen der starken Verben unterschiedlich: Präsens nimu urspr. e-Normalstufe, dazu Erhöhung –e- zu –i- Ind. Prät. Sg. nam qualitativer Ablaut 1. Ps. Pl. nâmum quantitativer Ablaut, Dehnstufe Partizip Perfekts, Passiv ginoman Schwundstufe, die Schwundstelle ist durch den sog. „Stützvokal“ ausgefüllt Stufen des Ablauts in den Flexionsformen der ahd. Verben – Beispiele: 1. Normalstufe Inf. und Präs. rîtan, neman abgetönte Stufe 1.,3. Ps. Sg. Prät. reit, nam Schwundstufe (1.-3.- AR) 2. Ps. Sg. Prät., Pl. Prät. ritum Dehnstufe (4.-6. AR) 1. Ps. Pl. Prät. nâmum Schwundstufe (1.-4. AR) Part. Prät. giritan 2. Normalstufe (5.-6. AR) (abgetönte Stufe)[10] gigeban Merkmale der germanischen Sprachen Die germanischen Sprachen unterscheiden sich in folgenden Punkten von allen anderen indoeuropäischen Sprachen: 1. Festlegung des ursprünglich freien dynamischen Wortakzents auf die erste Silbe (den Stamm). Dies hatte weit reichende Folgen für die weitere Entwicklung der germanischen Sprachen: die Endsilben wurden abgeschwächt und der Ausbau eines analytischen Sprachbaus gefördert Wortakzent auf die erste Silbe → Endsilben wurden abgeschwächt → analytischer Sprachbau 2. Erste – oder germanische Lautverschiebung 3. Vokalische Veränderungen 4. Systematischer Ausbau des ide. Ablauts bei starkem Verbum (Ablautreihen – z. B. binden-band-gebunden) 5. Ausbau einer n-Deklination (schwacher Deklination) beim Substantiv: Bsp. Ahd. hano (Nom.Sg.) – hanen (Gen.Sg.) herza (Nom.Sg.) – herzen (Gen.Sg.) 6. Ausbau einer schwachen Adjektivdeklination neben der starken, z. B. der gute Mensch neben guter Mensch 7. Ausbau eines schwachen Präteritums mit t-Suffix beim Verb, z. B. lachen – lachte - gelacht.[11] Zum Begriff „Germanen“ Die Bezeichnung „Germanen“ haben in die Geschichte ursprünglich wohl die Kelten eingeführt. Unter diesem Namen verstehen wir verschieden Völkerschaften und Stammesverbände. Die Herkunft des Namens ist nicht eindeutig geklärt. „Antike Quellen unterscheiden nicht immer zwischen Germanen, Kelten und Skythen“.[12] Die Germanen gehören zu der indoeuropäischen (indogermanischen) Sprachfamilie. „Sie bildeten eine sprachliche und kulturelle Einheit um Nord- und Ostsee“, von dort wanderten als ersten bereits früh die Kimbern,[13] Bastarnen und Skyren aus. Die Bewegung der einzelnen germanischen Stämme durch Ost- und Südeuropa im Rahmen ist unter den Strom der Völkerwanderung einzureihen, an der sich die Germanen massiv beteiligt haben (s. weiter unten). Der Ursprung der Germanen nimmt die Zeit etwa 2000 – 500 v. Chr. ein. Das Auftauchen der Stämme der Bastarnen und Skiren am Schwarzen Meer wurde um ca. 200 vor Christus von den Römern wahrgenommen. Das, was wir über die Germanen wissen, wissen wir von den griechischen und den römischen Historiographen. Die Stämme der Kimbern, Teutonen, Ambronen – sie kamen wohl über die Alpen (113-101 vor Christus) setzten sich mit den Römern kriegerisch auseinander. Zur Cäsars Zeit werden kleinere und größere germanische Stämme genannt, wir verfügen jedoch über keine direkten Bestimmungen der Sprache dieser Stämme.[14] Zur Gliederung der Germanen und der germanischen Dialekte[15] Es ist üblich, die Germanen nach den Himmelsrichtungen in Nordgermanen, Westgermanen, Ostgermanen und Südgermanen zu gliedern. Dazu Näheres: 1. NORDGERMANEN Es sind Stammesgruppen von Nord- bzw. Ostseegermanen, unter denen die wichtigsten die Schweden (als Sviones schon bei Tacitus, Kap. 44 bezeugt, um 100 u. Z.), die Dänen (erst um 600 u. Z.). Sie beteiligten sich zuerst nicht an der Völkerwanderung, sind jedoch ab 9. und 10 Jh. als Wikinger und Normannen, die für die weiten Gebieten eine große Gefahr bedeuteten, bekannt (Besiedlung Islands, Grönlands, Fahrten bis nach Amerika?, über russische Flüsse als Waräger kamen sie bis zum Schwarzen bzw. Kaspischen Meer nach Konstantinopel und bis nach Bagdad). In Europa gründeten sie ihre Reiche in der Normandie und Sizilien. 1066 eroberten sie England, das auch schon früher von den Dänen bedroht wurde. Nordgermanische Sprachen: Das Altnordische, aus dem sich folgende spätere Sprachstufen entwickelten: Westnordisch: Altnorwegisch, Altisländisch Ostnordisch: Altdänisch, Altschwedisch 2. WESTGERMANEN, die folgendermaßen gegliedert werden: Nordseegermanen (Angeln, Sachsen, Jüten und Friesen). Sie bewohnten die Gebiete auf der Nordseeküste bis zum heutigen Belgien. Sie (Angel und Sachsen) eroberten das von den Römern aufgegebene keltische Brittanien und machten es zu England (vgl. die Benennungen der Grafschaften Sussex, Wessex u.a.) Ein Teil der Sachsen blieb auf dem Kontinent (heutiges Niedersachsen). Ihre Sprache (Altsächsisch) – nahm bis zum Hochmittelalter eine bedeutende Stelle als Literatursprache und Sprache der späteren Hansestädte ein. Sachsen und Angeln – „latinisierte Namensformen „Saxones“ und „Angli“ – in der Zeitspanne zwischen 440-600 nach Chr. bezeugt, die Angeln benennen sich nach einer Halbinsel in Schleswig-Holstein, Sax – eine Art Kurzschwert, also Sachsen heiße ungefähr „die Kurzschwertbesitzer“, ahd. Namensform Sahs.“[16] Südgermanen: Weser-Rheingermanen: Franken (was ursprünglich „freie“ heißt) am Nieder- und Mittelrhein. „Zwischen 247-260 fallen sie in das Römische Reich, und zwar in den Bereich von Köln, Trier ein. Ahd. Form des Namens „Franken“ heißt francon = „die Kühnen“. Zwischen 310-330 wurden die Franken durch Kaiser Konstantin besiegt, danach Friede.“[17] Die überragende Bedeutung gewannen sie zusammengeschlossen in das Reich der Merowinger und das Fränkische Reich unter Karl dem Großen. Dieses Frankenreich übernahm die gesellschaftlich-kulturelle Funktion des Römischen Reiches (Renovatio Imperii – die Wiederherstellung des Imperiums). Sie besiedelten auch das heutige Holland (die heutige Nationalsprache entwickelte sich aus dem ehem. Niederfränkischen), Belgien (Flamen) und das Nordfrankreich. Das ehemalige Reich der Chatten (heutige Hessen) integrierte sich bereits früh in das Frankenreich. Elbgermanen: Sweben, Alamannen, Hermunduren, Langobarden, Baiern. Sweben (Schwaben): Sie hatten kriegerische Auseinandersetzungen bereits mi Cäsar, im Zuge Zeit der Völkerwanderung zogen sie teilweise mit den Ostgermanischen Wandalen auf die iberische Halbinsel. Sie lebten im dort Reich, das die Westgoten regierten. Alamannen: etymologische Deutung des Namens: Ala / manni – ältere Deutung: „alle Männer“, – neuere Deutung ala als Steigerungsformel – Mannus als Göttername = „die ganz besonderen Menschen“.[18] Langobarden: Bei der Völkerwanderung gelangten sie über Pannonien nach Italien, das sie fast ganz eroberten und wo sie ein Königreich mit Schwerpunkt in Norditalien gründeten (vgl. das heutige „Lombardei“). Politisch wurden sie der fränkische Herrschaft und dem Karl dem Großen unterordnet. Sie wurden im Laufe des 10. Jh. zur Gänze romanisiert. Das Langobardische als Sprache ist ausgestorben. Bayern: Bayern – latinisierte Namensform Baiwarii (Bajuwaren), erst um die Mitte des 6. Jhs. Wahrgenommen in spätrömischen Schriftdenkmälern. Geographisch situiert: südlich der Donau (ein gemischtes Volk aus dem Rest der romanisierten Kelten und kleiner Germanenstämme, also entstanden innerhalb des römischen Reiches). Namensdeutung nach Greule: die germanische Grundform: Bai – warj - ôz (= Pluralendung) -warjôz heiße wohl „die Bewohner von“ – ursprünglich ein Kompositum aus drei Teilen: Bai – haim – warjôz – also die Bewohner von Bai-haim, das spätere „Böhmen“ Dabei gibt es jedoch eine andere Hypothese: „Bai“ kann zurückgeführt werden auf das keltische „Boii“ – den Stamm, das Volk der „Boii“, also der Bojen. Diese Hypothese wird gestützt durch die ältere Namensform von Passau – Boiodurum.“[19] 3. OSTGERMANEN Es handelt sich um Stammesgruppen, die ursprünglich im Gebiet von Oder und Weichsel ansässig waren. Sie zogen später ab. Am wichtigsten sind Goten, Burgunder und Wandalen. Die Goten teilen sich in West- und Ostgoten. Die Westgoten kamen am Ende des 4. Jahrhunderts über Byzanz, Griechenland und Rom bis nach heutiges Südfrankreich (Aquitanien). Auf der Iberischen Halbinsel gründeten sie ein Königreich, in dem sie über 200 Jahre lebten. Dieses Königreich wurde im 8. Jh. durch die vordrängenden Araber zerstört. Danach angesiedelt in Dakien – auf der Balkanhalbinsel. Die Westgoten wurden missioniert von Bischof Wulfila, der als erster unter allen germanischen Stämmen im 4. Jh. nach Chr. die Bibelübersetzung verfertigte. Die Ostgoten kamen im 5. Jh. teils mit, teils auf der Flucht vor den Hunnen aus der südrussischen Steppe nach Westen und gründeten in Norditalien ein Königreich, dessen bedeutendes Herrscher (Amalendynastie) Theoderich der Große (Dietrich aus Verona, dmhd. Dietrich von Bern) war. Ein gotischer Rest (Krimgoten) scheint nach Quellen des 17. Jahrhunderts im Süden Russlands geblieben zu sein (Krimgoten). Die Burgunder lebten im Rhein-Main Gebiet, wo sie unter dem König Gundahar (ältere Namensform Gundahari, „Gunther des Nibelungenliedes“?) ein Reich gründeten, das im Jahre 436 von Hunnen (im römischen Dienst) geschlagen wurde. Danach lebten sie auf dem Gebiet des damaligen Frankreich an der Rhône (vgl. die heutige Namensform Burgund). Im Jahre 534 fügten sie sich den Franken. Die Wandalen, ursprünglich im Karpatengebiet angesiedelt, flüchteten vor den Goten nach Westen. Sie zogen mit weiteren germanischen Stämmen bis auf die iberische Halbinsel, von wo sie bis nach Nordafrika kamen. Dort gründeten sie unter dem Herrscher Geiserich und der reichen Hauptstadt Karthago, die von ihnen eingenommen wurde, ein Reich, das jedoch nicht lange hielt. Gliederung der germanischen Dialekte[20] NORDGERMANISCH SKANDINAVIEN *Urnordisch *Altnordisch Westnordisch: Altnorwegisch, Altisländisch Ostnordisch: Altdänisch, Altschwedisch OSTGERMANISCH ELBE / WEICHSELGEBIET – heute ausgestorben GOTISCH – nach Gotland, Schweden *Ostgotisch – untergegangen im 6. Jahrhundert (Sagenkreis um Dietrich von Bern, Ostgotenkönig in Norditalien) *Westgotisch – untergegangen im 7. Jahrhundert - Übersetzung der Bibel im 4. Jh. durch den Missionsbischof Wulfila (Wölflein) *Krimgotisch – bezeugt bis ins 17. Jh. WANDALISCH –untergegangen im 6. Jh., Nordafrika „Skapjam matzjam, drinkan!“ (Gehen wir an das Essen und Trinken heran) – Der einzige durch römischen Historiographen bezeugte wandalische Spruch. (Heutzutage herrscht die Ansicht, dass dieser Text doch eher Gotisch geschrieben sei.) BURGUNDISCH; untergegangen in Mitteleuropa im 5. Jh., burgundischer Sagenkreis um die Nibelungen, das sog. Nibelungenlied (Siegfried-Kriemhilt, Gunther – Brunhilt, Giselher, Gernot). WESTGERMANISCH heutiges Deutschland ANGLO-FRIESISCH Angelsächsich /Altenglisch Friesisch (auf den Friesischen Inseln) ALTNIEDERDEUTSCH Niederfränkisch /Altniederländisch Altsächsisch / Altniederdeutsch ALTHOCHDEUTSCH Mitteldeutsch /Fränkisch Thüringisch Oberdeutsch / Alemannisch Bairisch Langobardisch (untergegangen im (8. Jh.) Cäsar bezeichnet als „Germanen“ die Stämme, die auf dem rechten Rheinufer lebten. Der Rhein bildete die Grenze des römischen Imperiums. Diese Stämme müssen aber nicht „sprachgermanisch“ gewesen sein. Wir beschränken uns auf die Germanen, deren Sprache wir kennen. An diesen Grenzen entstanden zwei größere Stämme der Germanen, die sich aus den kleineren Stämmen formten: a. Franken – für die weitere Entwicklung von entscheidender Bedeutung (Hauptstädte Köln und Trier). Franken gelten als einer der wichtigsten germanischen Stämme. Ein Königreich unter König Chlodwig – Annahme des Christentums als der Staatsreligion. In die Geschichte eingegangen vor allem als Reich des Karl des Großen, auch auf dem Gebiet des heutigen Frankreichs. Erst im Reich des Karls des Großen sind alle germanischen Stämme vereinigt, die sich auf der Herausbildung der deutschen Sprache beteiligt haben. Als Ludwig der Fromme, Sohn Karls des Großen, 840 starb, lebten von seinen Söhnen drei: Lothar, Ludwig und Karl der Kahle. Da Lothar die Gesamtherrschaft beanspruchte – Bruderkrieg, in dem er von Ludwig und Karl 841 bei Fontaneilles geschlagen wurde. Es wurde dadurch unmöglich, die Reichseinheit einzuhalten. Ludwig und Karl befestigten 842 ihr Bündnis durch einen Eid, den sie sich gegenseitig schworen: jeder in der Sprache des anderen (Ludwig schwor auf Altfranzösisch, Karl, der Beherrscher des romanischen Teils des Frankenreichs, schwor auf Althochdeutsch, beide taten es absichtlich in der Volkssprache des anderen, um von dem verbündeten Heer verstanden zu werden). Beide Eide, die sog. Straßburger Eide, überliefert uns Nithardus (14. 02. 842). Wichtig ist die Reichsteilung von Verdun 843 n. Chr. Ludwig der Deutsche, Enkel des Karl des Großen, erhält den Ostteil des Frankreichs, die sog. „Franzia orientalis“ – dort lebten nur deutschsprachige germanische Stämme. „Die Herausbildung der deutschen Sprache erfolgte als ein Integrationsprozess. In den ersten Jahrhunderten u. Z. waren die germanischen Stammesverbände der Alemannen, Baiern, Franken, Thüringer und Sachsen als eigenständige politische Gemeinschaften durch den Zusammenschluss westgermanischer Einzelstämme entstanden. Sie bildeten größere Kommunikationsgemeinschaften, innerhalb deren sich ihre sprachlichen Eigenheiten einander anglichen und neue gemeinsame Besonderheiten entstanden. Als diese germanischen Stammesverbände mehr oder weniger fest in das Großreich der Karolinger (der Franken) eingegliedert wurden, begann eine Entwicklung, die dazu führte, dass die Sprachbesonderheiten der Altstämme allmählich teilweise abgebaut wurden und (für eine gewisse Zeit) eine neue Spracheinheit entstand.“[21] b. Alemannen (Hauptstadt- Mainz)[22] Rekapitulation Im Norden: SACHSEN das heutige Niedersachsen In der Mitte: FRANKEN Frankfurt, Mainz, Köln Im Südwesten: ALEMANNEN Schweiz, Elsass, Baden-Württemberg Im Südosten: BAIERN deutscher u. österreichischer bairischer Raum u. Südtirol Die Götter und Göttinnen der Germanen Der Geschichtsschreiber Tacitus nennt eine Triade der germanischen Götter, deren Namen viele germanische Stämme, die von den Römern und deren Kultur bedeutend beeinflusst wurden, mit den römischen Göttergestalten kombinierten. An erster Stelle ist es Merkur/Hermes als Gott, der im 3. und 4. Jahrhundert u.Z. eindeutig mit Wodan (skandinavische Entsprechung dieses Namens ist Odin) identifiziert werden kann. „Der römische Wochentag dies Mercurii wurde mit ags. Wōdnesdaeg (engl. Wednesday), … altnord. Ôdisndagr, ahd. Wôdanestag übersetzt“.[23] Dieser Gott war ein Gott des Handels. In zweiter Linie erfüllt er die Funktion eines Seelenführers. Hermes (er fiel im ersten Jh. mit Merkur zusammen) war „ein Gott der rede und Deklamation“[24] wie Odin, der von den Wikingern ebenfalls als Gott der Dichtung verehrt wurde. In der Form Uuodan begegnen wir diesem Gott z.B. im 2. Merseburger Zauberspruch (s. unten unter der Textanlage). Ihm waren auch Heilkräfte zugeschrieben. Als zweiten Hauptgott nennt Tacitus Herkules, der wohl mit dem Donnergott *Þunaraz (Donar, in Skandinavien entspricht dem Namen Thor) zu identifizieren ist. Da die germanische Bezeichnung des Tages aber mit dem Jupiter geweihten Tagzusammenfällt, liegt auch die Gleichsetzung mit Jupiter nahe. Die primäre Eigenschafft dieses Gottes war die Herrschaft über den Blitz und Donner. Auf der anderen Seite teilt Donar viele Eigenschaften mit Herkules/Herakles – z. B. Überwindung von Ungeheuern und Riesen. So verteidigt er die Götter- und Menschenwelt gegen diese bösen Mächte. Das Attribut Donars ist Hammer, der in Form von vielen Amuletten der vor allem Nordgermanischen Stämme belegbar ist. Ihm sind auch Weihesteine angeweiht. Als dritten Gott nennt Tacitus Mars, der nach der Übersetzung der Wochentagsnamen mit dem germanischen Gott *Tȋwaz (anord. Týr, ahd. Zȋo) identifiziert werden kann. Die angelsächsische Entsprechung von dies Martis heißt tíwesdaeg (engl. Tuesday), anord. týsdagr, ahd. ziestag. Es kann entweder direkt von dem Namen des Gottes Zȋo abgeleitet werden, oder es kann auf einen weiteren Gott Mars Thingsus Bezug genommen werden, der als Gott der Thingversammlung galt[25]. Als „Thing“ bezeichnete man die oberste Versammlung, Sitzung des Stammes, „Volks-, Heeres- u. Gerichtsversammlung, auf der alle Rechtsangelegenheiten eines Stammes behandelt werden“.[26] Nach Ansicht Šimeks soll die Vorstellung Tȋwaz als des Griegsgottes immer mehr Oberhand genommen haben, während Wodan / Odin mit der Zeit mehr als Gott der Heilkunst und der Magie verehrt wurde. Neben dieser Haupttriade der Götter erfreuten sich bei den einzelnen Stämmen mehrere Götter als Stammesgötter großer Beliebtheit. Als Beispiel für alle sei Saxnôt genannt, den die Saxen[27] verehrten. Als weibliche Gottheit muss die Göttin Frȋja (anord. Frigg) genannt werden. In der Übersetzung der Tagesbenennungen war sie in der germanischen Welt mit dem Tag der Venus gleichgesetzt (engl. Friday). Abgeleitet wohl von der altenglischen Bezeichnung für „Frau“ – verwandte Formen sind as. frȋ, altengl. frēo (Frau), wurde sie als Ehefrau Odins betrachtet.[28] Es muss aber gleichzeitig betont werden, dass es bei vielen germanischen Stämmen, die am Niederrhein siedelten und mit der römischen Sitten, der Kultur und der Lebensart durchdrungen waren, weil sie oft dem römischen Imperium dienten, ein bedeutender Kult der weiblichen Matronen-Göttinnen zu beobachten ist. „Mit den Lebensformen der Römer übernahmen diese Germanen auch deren äußere Formen der Religiosität, was sich in zahlreichen Votivsteinen und Weihealtaren mit lateinischen Inschriften an germanische Gottheiten widerspiegelt. Die bekannteste unter den einzelnen Göttinnen ist zweifellos Nehalennia“[29]. Kaufleute und Händler haben ihre Votivsteine errichtet. Nehalennia ist oft „mit einem Hund, Früchte und Fruchtkörben aber auch mit einem Ruder und auf einem Schiffsbug gestützt“[30] verbildlicht. Die Verbildlichung dieser Göttin mit den genannten Attributen ist wohl dem Kult der römischen Göttin Isis entnommen. Als ein weiteres Beispiel einer lokalen weiblichen Göttin sei die Sunucsal angeführt, die nach den erhaltenen Inschriften am Niederrhein schon im Jahre 239 u.Z. verehrte wurde. Sie war wohl die Stammesgöttin der Sunuci, eines ebenfalls am Niederrhein lebenden germanischen Stammes. Verbreiteter war der Kult der weiteren Göttin Vagdavercustis (am Niederrhein wie in Ungarn haben sich ihr gewidmete Inschriften erhalten). Als weitere Namen der Göttinnen seien Tamfana, Baduhenna und Hludana bloß angeführt.[31] Noch älter ist der Kult der Matronen, also der Muttergöttinnen (erste Belege der ihnen gewidmeten Steine reichen in die Jahre 79 und 80 u. Z.). Die Verehrung dieser Göttinnen als Schutzgöttinnen war in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts n.Chr. am Niederrhein in Form von Matronendenkmälern belegt. Eines dieser Denkmäler zeigt drei sitzende Frauengestalten, deren damals übliche Kleidung sie als verheiratete Frauen, in einem Fall auch als ein lediges Mädchen verblidlichen. Sie tragen auf ihren Schößen „Körbchen oder Schalen mit Obst (…), eine Blume, eine Ähre, einen Zweig oder – wie auf vermutlich keltischen Steinen – ein Kind, eine offene Windel oder beides (…) Matrona hat im Lateinischen in erster Linie eine säkulare Bedeutung für „angesehene, weise Frau“. Vermutlich waren auf diese göttliche Eigenschaften übertragen, wobei vor allem der Mütterkult in Frage kommt, welcher jedoch auch bei den Kelten, in Oberitalien und auch in Südfrankreich lebendig war und mit den Legionären keltischen und germanischen Ursprungs in weite Gebiete, nach Gallien, Britanien, Spanien und Nordafrika weiter verbreitet wurde. Sie trugen Namen, deren Etymologie ungeklärt ist, einige sind jedoch auf den ersten Blick germanisch, wie z. B. Gabiae, was „die Gebenden“ heißt. Andere Gottheiten waren an bestimmte Orte oder Flüsse gebunden, wie Vatviae abgeleitet vom germ. *watar – Wasser, oder als Stammesgöttinnen betrachte, wie Matris Suebis.[32] Noch eine kleine Hinzufügung: Es gab auch die Bezeichnung Disen (altnord. Dísir) als allgemeinen Namen für eine „mythologische Frau“. Sie wohnen im Jenseits. Zu ihnen reihen sich auch die Nornen (bei den Wikingern als Phrophezeiherin des Schicksals und Helferinnen bei der Geburt verehrt), und Walküren, die als Naturgeister und jungfräuliche Kriegerinnen bezeichnet, die auf fliegenden Pferden durch die Lüfte reiten, und die tapfersten Krieger in die Walhall (heiliger Ort für erstorbene Helden) zu Wodan bringen.[33] EXKURS II: Die sieben-Tage-Woche im römisch-germanischen Kontakt (entwickelt aus der Kommunikation zwischen diesen zwei Ethnika) Im Rahmen der Geschäftskontakte war es für die Germanen wichtig, es zu übernehmen. Römischer Name Germanische Entsprechung 1 Solis dies Sunnun tag (nach Sonne) 2 Lunae dies Mānen tag (nach Mond) 3 Martis dies Thingses tag (Gott der Versammlung) 4 Mercuri dies Wodnes tag (nach Gott Wodan) 5 Jovis dies Donnars tag (nach Gott Donar) 6 Veneris dies (nach Venus) Frija tag (statt Venus Frija) 7 Saturni dies Sater tag (nach Saturn) In der christlichen Interpretation gibt es Ersetzungen: z.B. Althochdeutsch: mitta – wocha für Mittwoch statt Gott Wodan, der nicht mehr erinnert werden sollte. z. B. im Norddeutschen Raum: statt „Samstag“ – „Sonnabend“ z. B. im bairischen Sprachraum: Dienstag = ertoch, abgeleitet von dem Namen des griechischen Gottes Arēs (hoher Gott der Griechen), im Rahmen der arianischen Mission, oder Arius als höchster Gelehrter der Arianer.[34] TEXTANLAGE 1. Merseburger Zauberspruch Eiris sazu idisi, sazun hera, duoder. suma hapt heptidun, suma heri lezidun, suma clubodun umbi cuoniouuidi: insprine haptbandun! inuar uigandun! Eiris: Einst setzten sich Frauen, setzten sich hierhin, dorthin?. Einige knüpften Fesseln, andere hielten das Heer auf, andere lösten die Stricke auf: Entspring den Fesseln! Entflieh den Feinden![35] 2. Merseburger Zauberspruch Phol ende uuodan uuorun zi holza. du uuart demo balderes uolon sin uuoz birenkit. thu biguol en sinhtgunt, sunna, era suister; thu biguol en friia, uolla era suister; thu biguolen uuodan, so he uuola conda: sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki: ben zi bena, bluot zi bluoda, lid ze geliden, sose gelimida sin! Phol und Wodan ritten in den Wald. Da wurde Balders Fohlen de Fuß verrenkt. Da besprach ihn Sinthgunt [und] Sunna, ihre Schwester; da besprach ihn Frija [und] Volla, ihre Schwester; da besprach ihn Wodan so, wie er es gut konnte: Ob Beinverrenkung, ob Blutstau, ob Gliedverrenkung: Knochen zu Knochen, Blut zu Blut, Glied zu Gliedern, als ob sie geleimt wären! [36] VORGERMANISCHE LAUTVERÄNDERUNGEN Konsonantische Veränderungen Sprachwissenschaftlich unterscheiden sich die germanischen Sprachen von dem Lateinischen und den anderen idg. Sprachen durch die Durchführung der I. Lautverschiebung Ide. > Germ. p t k > f Þ (wohl [th]) ch, h (stimmlose Spiranten) bh dh gh > b d g (stimmhafte Spiranten) b d g > p t k Beispiele: p > f lat. piscis > germ. fisk Ausnahmen: Lautverbindungen -sp-; -st-; -sk- lat. hostis > germ. *gasts > ahd. gast t > Þ lat. tres > germ. Þrei, Þrîa aind. bhrātar > lat. frāter > got. brôÞar c > h lat. cor, cordis > got. hairto > ahd. herza c [k] > h [h] keltischer Stamm der Volcae (latinisierte Namensform) > *Walhôz LAUTLICHE VERÄNDERUNGEN AUF DEM WEG VOM GERMANISCHEN ZUM ALTHODEUTSCHEN Vokale Das System war ohne kurzes o: lat. longus > deutsch „lang“ lat. octô > deutsch „acht“ ohne langes â: aind. bhrâtar > got. brôÞar Die Asymmetrie unter den kurzen Vokalen beseitigt man durch die sog. Erhöhung: e > i - eine kombinatorische Lautveränderung a) vor der Lautgruppe e + Nasal + Konsonant lat. ventus > deutsch „Wind“ ide. *bhend > ahd. bintan („binden“) b) vor i, j der Folgesilbe lat. medius > ahd. mitti („der Mittlere“) Inf. neman, 2. Ps. Sg. nimis („du nimmst“) B. später vor u- der Folgesilbe: 1. Ps. Sg. nimu von ahd. neman („nehmen“) Die „Gegenantwort“ auf diese Veränderung war die sog. Brechung: i > e, wenn in der Folgesilbe die Vokale a, e, o stehen griech. nizdos > deutsch „Nest“ u > o Wiederbesetzung des kurzen o got. wulfaz > deutsch „Wolf“ Das â wird entweder 1. durch die sog. Ersatzdehnung ins System wiederintegriert (in der Lautgruppe a + Nasal + Konsonant = anh wird a zu langem â, es schwindet der Nasal). Beispiel: germ.*branhta – brâhta (Prät. „brachte“) 2. es entsteht aus dem breiten und offenen ê1, das zu â wurde. Konsonanten Vernersches Gesetz Karl Verner, ein dänischer Sprachwissenschaftler, entdeckte dieses Gesetz, nach dem die Unstimmigkeiten im Lautwert zwischen stimmlosen und stimmhaften Spiranten erklärt werden können. aind. bhr´âtar, griech. phr´âtor, lat. fr´âter > got. br´ôÞar (stimmloses th) griech. pat´êr > got. fadar (stimmhaftes d, spirantischer Lautqualität) Grammatischer Wechsel Nach diesem Gesetz erscheint auch das s je nach der Betonung im Ide. entweder als stimmloses s oder als stimmhafter Laut, der mit Ausnahme des Gotischen in allen anderen germanischen Sprachen zu r wurde. got. maiza > ahd. mêro, eng. more (“mehr” - Rhotazismus) In verwandten Wortformen kommt so zu unterschiedlicher Entwicklung, einem „Wechsel“ zwischen stimmhaften und stimmlosen Konsonanten, sog. grammatischem Wechsel (je nach der Position des Akzents im Indoeuropäischen). Diese Alternation kommt meistens in der Morphologie der starken Verben zum Tragen, aber auch in der Wortbildung. Beispiele: f – b Hefe - heben ch - g hoch - Hügel h - g ahd. ziohan („ziehen“) - ahd. 1. Ps. Pl. zugum („wir zogen“) s – r Frost - frieren d – t schneiden - schnitt EXKURS III: Die ältesten germanischen Sprachzeugnisse Die ältesten Zeugnisse sind indirekt überliefert, etwa seit Christi Geburt. Zitat-Namen kommen in nicht-germanischen Texten vor, d. h. germanische Namen in antiker Überlieferung wie Götter oder Völkernamen, Bsp. 1: Häuptling der sog. Chatten hieß ARPUS (Deutung aus dem Germanischen über das ae. eorp > das ahd. erpf = „braun“, also „der Braune“). Bsp. 2: germ. Stamm der „Ariones“ (bei Tacitus belegt) (Deutung: Nhd. „Au“ = Land am Wasser, also „Wasserlandbewohner“, aus dem germanischen agwjo < ide.*ahwô „Wasser“ (grammatischer Wechsel) Lehn-Namen Z. B. germanische Götter – Beinamen, Inschriften aus der Römerzeit in Deutschland, es gab ein Kult der weiblichen Gottheiten, der „Muttergöttinnen“ Matres / Matronae, insbesondere in Rheinland vorhanden. Lehn- Namen sind keine reinen Zitatnamen mehr, sondern ein germanischer Name in römischer Überlieferung. Bsp. 1: Inschrift auf einem Kriegshelm, der in Negau in Steiermark gefunden wurde: H A R I G A S T I T E I V A (Buchstaben gehören zu norditalischem Alphabet, ins unsere Schrift transkribiert). Harigasti Tei soll Name des Soldaten sein: HARIGASTUS TE(I)US, beide Namen wohl germanisch, aber der Träger des Helms muss nicht ein Germane gewesen sein. Zitat-Wörter Um das germanische Lokalkolorit wiederzugeben, zitierten manche antike Autoren germanische Wörter: alces – „Elch“ (Cäsar und Plinius) reno - „Pelz“ (Cäsar) framea – „Wurfspeer“ (Tacitus) ganta - “Gans” (Plinius) glaesum- “Glas”, “Bernstein” (Tacitus, Plinius; wohl Exportglas von der Nordsee) urus – „Auerochse“ Die lateinischen Autoren „pressten“ evtl. auch germanische Wörter in lateinisches Deklinationssystem. Lehn-Wörter (aus einer fremden Sprache entlehntes Wort) (Insbesondere im Finnischen, also einer finno-ungarischer Sprache, verwandt mit z. B. Karelisch) Die Entlehnung dauerte jahrhundertelang, deshalb herrscht unter Wissenschaftlern keine Einigkeit über die Entlehnungszeit, schon wohl im ersten Jahrtausend n. Chr. Bsp.: finn. skaunas < germ. *skanni (später ahd. skôni „schön“) finn. kuningas < germ. *kuningaz „König“ finn. rengas < germ. *hrengaz „Ring“ finn. lammaz < germ. *lambaz „Lamm“[37] EXKURS IV: Runen und Runenschriften Runen und Runeninschriften sind erste direkte germanische Sprachzeugnisse. Etymologie: Runen hängen mit dem nhd. Verb „raunen“, ahd. rûnên zusammen („mit stiller, gedämpfter Stimme etwas sagen, geheim flüstern, murmeln“); in der heidnischen Zeit murmelte man wohl auf diese Weise Zauberrunen. Viele Runen als Buchstaben besaßen einen Zauberwert. ahd. rûna – „Geheimnis“[38] Runen-Definition die den Germanen ursprünglich eigene Schrift, die ins Holz oder Stein eingeritzt wurde Die ältesten Runeninschriften: 200 – 750 n. Chr. Die Runeninschriften verwenden eine gemeingermanische Runenreihe mit 24 Zeichen. Runenalphabet „FUTHARK“ ist nach den ersten sechs Lauten in diesem Alphabet benannt. Es waren gerade, ritzbare Zeichen. Zur Bedeutung mancher Runen: neben der „geläufigen“ Bedeutung hatten einige Runen auch Bedeutung als Glücks-, Gesundheits- oder Besitzrunen. Beispiele: Lautwert germanisches Wort nhd. Entsprechung F fehu Vieh, Besitzt, Glück U ûruz Auerochse, männliche Kraft Þ Þurisaz Riese, Unhold A ansuz Ase, Wodan R raidô / d als Spirans Fahrt, Totenfahrt, „Wagen“? K kauna, kênaz Krankheit, Geschwür, Fackel? Zauberinschriften (in Auswahl) Inschrift „ALU“ bedeutet höchstwahrscheinlich „Schutz“, „Abwehr“, oft an Grabinschriften zu finden. Dieser Ausdruck sollte wohl die Ruhe der Begräbnisstätte bewahren. Inschrift „LAUKAR“ (Lauch) bedeutet höchstwahrscheinlich metaphorisch „Gedeihen“ oder „Gesundheit“. Sie ist oft auf kleinen Metallplättchen (Brakteaten) zu finden, die als Amulette getragen wurden und seinem Träger Gesundheit bringen sollten. Inschrift „GAUKAR“ am ehesten als „Kuckuck“ zu verstehen, der bei den Germanen als Vogel des Frühlings und der Fruchtbarkeit galt. Die Ausdrücke wurden auch miteinander verbunden, z. B. in der Inschrift LAÞU/LAUKAR/ GAUKAR/ALU Sie lässt sich ungefähr wie folgt deuten: „(Ich soll) ? / gesund bleiben, (ich soll) fruchtbar sein (und) alles Böse soll von mir abgewiesen werden.“ Weitere Möglichkeiten bestanden in der Wiederholung bestimmter Runen mit magischem Inhalt. Z.B.: Dreimalige Wiederholung des Rune „Th“ in der Bedeutung „Sieg“ Dreimalige Wiederholung der Rune „F“ in der Bedeutung „Glück“, „Besitz“ Über die Entstehung dieser Schrift ist sehr wenig bekannt, kulturgeschichtlich vorausgehendes Volk waren die Kelten, welche jedoch schriftlos waren. Um 200 n. Chr. verzeichnen wir die ältesten Inschriften auf den dänischen Inseln. Inschriftenträger: Waffen, Schmuck (Fibeln, Spangen), Steine, Münzen, Knochen Philologische Interpretation: von 223 Inschriften im älteren Futhark lassen sich nur wenige eindeutig lesen und deuten. Umfang der Inschriften: 1 Wort bis 91/92 Runenzeichen (Norwegen, Steinplatte aus Eggjum) Beispiel: Inschrift eines Runenmeisters auf einem Brakteat (Goldplättchen) aus Schweden: HARIUHA HAITIKA FARAUISA GIBU AUJA Hariuha (Eigenname) heiße ich, Gefahr weiß ich, ich gebe „Glück“, „Heil“. In Übersetzung: Hariuha heiße ich: ich kenne die Gefahr, ich bringe Glück. Der Runenmeister identifiziert sich mit dem Brakteat, dem Besitzer des Brakteats wird dieser Glück bringen in der Funktion eines Glücksamuletts, das Gefahren abwendet. lat. braktea – „dünnes Metallblech“ (besonders Goldplättchen)[39] II. KAPITEL Das Althochdeutsche Die Kultur dieser Zeitepoche Es handelt sich grundsätzlich um die Zeitspanne vom 8. bis zum 11. Jahrhundert. Die Sprache dieser Zeit war keineswegs homogen: die einzelnen Stammesdialekte setzten sich fort. So können wir hauptsächlich über das Fortleben der westgermanischen Dialekte sprechen. Es besteht weiterhin die Teilung in das Altniederdeutsche, das aus Niederfränkisch (Altniederländisch) und aus Altsächsisch (Altniederdeutsch) besteht, und das Althochdeutsche, in dem die bedeutendste Rolle das Fränkische (Mitteldeutsch) und das Alemannische und das Bairische spielten. Das noch zum Althochdeutschen gehörende Langobardische ist im 8. Jh. untergegangen. Das Bewusstsein der Stammessprachen ist noch stärker als das nationale Gemeinschaftsgefühl. So schreibt der bekannteste Autor dieser Zeit, Otfrid von Weißenburg, Autor der Evangelienharmonie[40] zunächst über die fränkische Sprache, in der er sein Werk verfasste, und erst sekundär über das Deutsche, das eher die „Volkssprache“ bedeutete. Missionstätigkeit: Iroschottische und angelsächsische Missionare auf deutschsprachigem Gebiet, die ersten Klostergründungen Für die weitere Entwicklung des Frankenreiches war die Missionsarbeit irischer Mönche von großer Bedeutung. Iroschotten Als erster war es Columban, der zunächst das Kloster Luxeuil in Burgund gründete, dessen Ausstrahlung nach Allemanien hineinreichte[41]. Das Bistum Basel erhielt von dort viele Impulse. Columban wurde für seine heftige Kritik der Sitten an den Königshöfen vertrieben. Die asketische Strenge des irischen Mönchtums und die Organisation (Wanderbischöfe) wurden abgelehnt. In dieser Zeit begann sich im fränkischen Reich die Benediktinerregel durchzusetzen, die eine klare Teilung zwischen dem Bischofsamt und dem Mönchtum propagierte. Sein Gefährte Gallus zog sich in die Einöde am Bodensee zurück, sein Grab wurde zur Walfahrtsstätte. Später erwuchs an diesem Ort das Kloster St. Gallen, das für die früheste deutsche Literatur sehr bedeutend war. Ein weiterer Missionsbruder Trudbert lebte auch als Einsiedler, sein Grab wurde ebenfalls zu einer Wallfahrtsstätte und dem späteren Kern der Stadt Würzburg. Weitere Klöster in knapper Übersicht[42]: 724 Reichenau am Bodensee 727 Murbach in Elsass 670 Kloster St. Emmeram[43] 700 Salzburg[44] Im 8. Jh. gaben angelsächsische Mönche dem Missionswerk neue Impulse. Willibrord (gest. 739) wurde Erzbischof von Utrecht. Als den bedeutendsten Gelehrten und Missionar muss an erster Stelle Winfried aus Wessex genannt werden. Er ging zunächst nach Hessen und Thüringen. 722 bekam er vom Papst Gregor II. die Bischofsweihe und den neuen Namen „Bonifatius“. Der Papst beauftragte ihn mit dem Missionswerk. Dadurch entstand eine neue Dimension der Missionsarbeit in einer direkten Verbindung mit Rom.732 wurde Bonifatius Erzbischof von Mainz.744 wurde zum Mittelpunkt seines Wirkens Fulda.754 fand er beim Versuch, die Friesen zu bekehren, den Märtyrertod. Er stand am Beginn der Reform der fränkischen Kirche.[45] Das Reich Karls des Großen, die Reichsidee Alles, was wir über diese Epoche wissen, ist aus der klösterlichen Kultur hervorgegangen, aus der Bemühung, ein neues Reich nach dem Muster des römischen Imperiums zu bilden. Diese Bemühungen gipfelten unter der Herrschaft des Karl des Großen in einer konzentrierten Arbeit an der neuen althochdeutschen Sprache. Man wollte das geistig-kulturelle Erbe des römischen Imperiums übernehmen und unter der Idee des Christentums fortentwickeln. Dies erforderte einen komplexen Aufbau der Sprache in allen ihren Bereichen, vor allem in der Syntax und im Lexikum. Die Sprache brauchte vor allem neue Ausdrücke, Termini und Begriffe, um den schwierigen philosophischen Wortschatz der spätantiken christlichen Schriften zu bewältigen. Diese Aufgabe gelang es innerhalb von mehreren Generationen nur teilweise zu erfüllen. Die literarischen Denkmäler dieser Zeit reichen von einfachen Grundtexten des Glaubens über Beichtformeln zu anspruchsvollen literarischen Unternehmen der Übersetzung. Es wurden neben den einzelnen Teilen der Bibel weitere Schriften übersetzt. Den Gipfel bilden die Evangelienharmonien, der fränkische „Tatian“, der altsächsische (altniederdeutsche) „Heliand“ und der „Evangelienbuch“ Otfrids von Weißenburg. Die Bildungsreform Karls des Großen Durch eine konsequente persönliche Teilnahme des Herrschers an der Reform wurde die fränkische Kirchenreform, die Bonifatius einleitete, fortgeführt. Das Ziel war: 1. Eine „rechte Ordnung der Dinge zu schaffen“ – lat. reformare. 2. Jedes menschliche Versagen muss korrigiert werden, um zu einer „rechten Ordnung der Dinge“ zu gelangen, deshalb muss man in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, der Kirchenpolitik und der damaligen Kunst und Literatur eine „richtige Norm“ innerhalb gefunden und befolgt werden (lat. emendare, restauere, corrigere usw.).[46] Karl der Große unterzog die Bildung seiner Zeit einer gründlichen Reform: Das klassische Latein der Antike wurde gegenüber dem Latein der merowingischer Zeit bevorzugt, das auf einem sprachlich geringerem Niveau stand. Als eine allgemein gültige Schriftart wurde die karolingische Minuskel eingeführt, für das Kirchenrecht war die antike Rechtssammlung des Dionysius Exiguus gültig, für die Liturgie das „Sacramentarium Gregorianum“, das von dem führenden Geist der Kirchenreform am Hof Karls des Großen Alcuin ergänzt wurde. Alcuin und sein Mitarbeiter Theodulf von Orleans nahmen eine Revision des Bibeltextes vor. Beiden ist die heutige Überlieferung des bekannten Bestandes an antiker lateinischer Literatur zu verdanken. Die generelle Wiederbelebung des geistigen Schaffens durch die Sammlung des antiken geistigen Gutes, die kritische Reinigung der Bibel, die Reform der Kirche und speziell der Liturgie, die Bemühungen um korrektes Latein und eine einheitliche Schrift, wie sie vom Karl dem Großen angeregt wurden, wird als „Karolingische Renaissance“ bezeichnet.[47] Die Gelehrten und Künstler am Hof Karls des Großen Karl baute Aachen (tschechisch „Cáchy“ < mhd. ze Aachen) zur festen Residenz (seit 795) und einem geistigen Führungszentrum aus. Er baute eine Bibliothek und eine Schule zur Heranbildung des Nachwuchses für geistliche und weltliche hohe Beamte. Er umgab sich mit einem Gelehrtenkreis. Zu den Mitgliedern dieses engeren Kreises gehörten: - Petrus von Pisa (Italiener) - Paulinus (Hymnendichter) - Paulus Diaconus (der Langobarde, Autor der „Geschichte der Langobarden“) - Theodulf von Orleans (Theologe, Staatsmann, Königsbote, westgotischer Herkunft, Berater des Karl in Rechtsfragen) - Karls Vetter Adalhard (Franke) - Angilbert (Dichter, Franke) - Einhard (Mainfranke, schrieb die erste Herrscherbiografie des Mittelalters „Vita Caroli magni“) - Überragend diesem Kreis war ALKUIN (Angelsachse, ursprünglich aus York, ca. 730-804). Karl war ihm bei einem Aufenthalt in Italien begegnet, und ALCUIN folgte dem Ruf Karls in das Frankenreich. „Alcuin lehrt, dass der Mensch als „templum Dei sanctum“ eine alle anderen irdischen Geschöpfe überragende Würde besitzt“. Besonders intensiv widmet sich Alcuin der Vorbildfunktion Gottes im menschlichen Leben: die geistigen Kräfte wie „intelligentia, memoria, voluntas“ seien dem Menschen von Gott verliehen. Einen besonderen Ernst spricht Alcuin dem individuellen Menschsein zu. Der Mensch sei durch seinen freien Willen für sein Handeln verantwortlich. Alcuin beschreibt ausführlich die Auferstehung des Fleisches, das Jüngste Gericht, die ewige Seligkeit oder die Verdammnis. Er setzt damit deutlichen Akzent: er möchte diese Vorstellungen, die im germanischen Denken fehlten, den Zuhörern möglichst suggestiv nahe bringen. Er setzt damit eine „völlig neue Dimension der Transzendenz und des Fortlebens jedes einzelnen Menschen“. Gegenüber Sippe oder Herrschaftsverbund stellt er individuelle Verantwortung des Menschen für sich selbst. Er mahnt zur Einheit und zum Frieden.“[48] Über die Bildungsstrategien dieser Zeit bringen besonders zwei wichtige Dokumente Zeugnis. Es handelt sich um die Anordnungen Karls des Großen. Die erste ist in Form eines Briefes verfasst. Es ist der Brief „De litteris colendis“ („Über die Pflege der Wissenschaften“) aus dem Jahre 787 und die Schrift „Admonitio generalis“ vom 23. März 789. Dieses zweite Dokument enthält „Vorschriften zu Amt und geistlicher Lebensführung der Bischöfe und Priester, zu den religiösen Pflichten der Laien.“[49] Die Priester sollten vordergründig die zwei Grundtexte, den Vaterunser und das Glaubensbekenntnis, den Menschen erläutern können. Reformatorisch war, dass einfache Menschen diese zwei Gebete auswendig lernen mussten, deren Kenntnis zur Taufe und zur Beichte notwendig war. Die Bischöfe und Priester sollten daneben regelmäßig in Predigt die zentralen Ereignisse der Heilsgeschichte näher bringen. In diesen Anordnungen widerspiegelt sich das Streben der Zeit, die christlichen Inhalte korrekt und normgerecht auf gutem sprachlichem Niveau zu wiedergeben und zu erläutern. Otfrid von Weißenburg äußert sich kritisch über das Fränkische als über eine „nicht disziplinierte Sprache“ im Vergleich zu Latein.[50] Diese seine Meinung entspricht völlig dem Geist dieser Epoche, die eine „Verbesserung“ als Zentralbegriff propagierte. Zum neuen Wortschatz der Zeit Die verschiedenen Einflüsse auf die Sprache sind besonders in zwei Bereichen greifbar: In der Rechtssprache und in der Kirchensprache. In der Rechtsprache dominieren die fränkischen Ausdrücke (z. B. die Wortfamilien Urteil und Urkund), welche die politische Macht der Franken zeigen. Auf dem Gebiet der Kirchensprache lassen sich Beeinflussungen einerseits der iroschottischen Mission, andererseits der angelsächsischen Mission beobachten. Beispiele: Lateinisch Fränkisch (angelsächsischer Einfluss) Süddeutsch (gotischer Einfluss) gratia geba (ags. gifu) ginâda salvator heilant (ags. haelend) neriand (got. nasjands) humilitas ōdmuotī (ags. ēadmōd) deomuatī misericors miltherzi armherzi (got. armahairts) sanctus heilag (ags. hālig) wīh (got. weihs)[51] Lehnbeziehungen mit dem Lateinischen Führende kulturelle Institution ist die Kirche mit ihrer Organisation und Gelehrsamkeit. Sie ermöglichten, die christliche Ideen- und Vorstellungswelt sprachlich umzusetzen, in die „alte“ Sprache einzupflanzen. Es war jedoch keine leichte Aufgabe, weil die Gedankenwelt der einstigen Heiden weit entfernt von der neuen Begrifflichkeit war. Es gibt mehrere Arten der Übernahme des fremden Wortschatzes. In erster Reihe sind es: Fremdwörter direkte Übernahme des fremden Ausdrucks Lehnwörter das Wort wird weitgehend der neuen Sprache angepasst – z. B. Münster > lat. monasterium Lehnbildungen Nachahmung fremder Wörter mit den Mitteln der eigenen Sprache Lehnübersetzung engster Zusammenhang, Glied-für-Glied-Übersetzung, z. B. dt. Mit-leid > lat. com- passio Lehnschöpfung Bildung eines neuen Wortes als Äquivalent eines Fremdwortes, z. B. ahd. findunga für das lat. experimentum. Lehnbedeutung Das Wort wird so weit von der Bedeutung eines Fremdwortes beeinflusst, dass es dessen Bedeutung annimmt. So war das ursprünglich althochdeutsche, in der Bedeutung nicht mehr durchsichtliche Wort suntea als ein Äquivalent für das lat. peccatum („Sünde“) genommen. Weitere Entlehnungen aus dem Lateinischen[52] in knapper Auswahl: Lateinisch Deutsch pelegrinus Pilger matutina, spätlat. mettīna, mattīna Messe predicare predigen magister Meister regula Regel breve Brief spätlat. cipolla Zwiebel cucurbicum Kürbis glaesum Glas Die Aneignung eines fremden Begriffs bedeutete für die „alte“ Sprache fast immer einen langen Prozess, während dessen sich mehrere Lehnwörter einander konkurriert haben. Dies zeigen uns sehr anschaulich die Neubildungen für das lateinische Wort resurrectio („Auferstehung“, auf Christus bezogen), das einen der Zentralbegriffe des christlichen Glaubens ist. Hier einige dieser Ausdrücke in Auswahl: Lateinisch Althochdeutsch Mittelhochdeutsch resurrectio urristi ûferstandenheit urstand ûferstandunge urstende ûferstendnisse irstantnisse ûferstêung (nhd. „Auferstehung“) [53] arstantnessi LAUTLICHE VERÄNDERUNGEN IM ALTHOCHDEUTSCHEN Vokalismus Die althochdeutsche Monophthongieren der Diphthonge ai > ê (3) Die ahd. Quellen des 7. Jhs. zeigen uns, dass in der Position vor h, w, r und im Auslaut zu einer kombinatorischen Veränderung kommt. In allen anderen Positionen bleibt es sonst unverändert, graphisch fixiert als ei (seit dem 8. Jh.). Beispiele: got. laisjan > as. lêrian ahd. lêren Rhotazismus got. saiws > ahd. sêo („See“) Reduktion der Endung ins Nhd. aber: got. ains > ahd. ein („ein“) au > ô (2) Die Quellen des 8. Jhs. zeigen uns, dass in den Positionen vor germanischem h, vor allen Dentallauten (d,t,s,z,n,l,r) und im Auslaut der Diphthong au > ô wird. In allen übrigen Fällen wird der Diphthong erhalten, allerdings gehoben zu einem ou. Beispiele: got. hauhei > ahd. hôhî („Höhe“) got. rauÞs > ahd. rôt („rot”) got. laun > ahd. lôn (“Lohn”) aber: got. haubiÞ > ahd. houbit („Haupt“, „Kopf“) Die althochdeutsche Diphthongierung von ê und ô Ende des 8. Jhs. kommt zu einer weiteren Veränderung im Bereich der langen Vokale: zu einer spontanen Lautveränderung von ê (2) > ia > ie und ô(1) > uo Beispiele: got. hêr > aeng., as. hear > ahd. hiar (“hier”) got. brôÞar > aeng. brôdor > ahd. bruoder („Bruder“) Man kann diese Diphthongierung als eine Folge der Monophthongierung ansehen. Infolge der Entstehung der neuen ê (2) und ô (1) – Laute weichen die alten ê und ô aus. Konsonantismus Die I. Lautverschiebung war eine Neuerung bereits im Germanischen, in der Zeit der einzelnen germanischen Dialekte (2000 vor Chr. – 500 nach Chr.).[54] Die II. Lautverschiebung verläuft in Althochdeutschen. Es handelt sich auch um kombinatorische Änderungen, von denen vor allem die stimmlosen Verschlusslaute (die in der 3. Phase der 1. Lautverschiebung entstanden sind) p,t,k betroffen sind. Diese wurden verschoben: a) zu stimmlosen Spiranten (Doppelspirans) Im In- und Auslaut des Wortes nach einem Vokal: p > ff t > zz k > hh Beispiele: as. opan > ahd. offan „offen“ as. slâpan > ahd. slâfan „schlafen“ (Vereinfachung nach langem Vokal) as. etan > ahd. ezzan „essen“ as. ik > ahd. ih (Vereinfachung im Auslaut - „ich“) b) zu Affrikaten Im Anlaut, inlautend und auslautend nach einem Konsonanten sowie in der Gemination: p > pf t > z k > kch Beispiele: as. tiohan > ahd. ziohan „ziehen“ as. herta > ahd. herza „Herz“ as. settian > ahd. setzan „setzen“ (in der Gemination) Ausnahme In den Verbindungen –sp, -st, -sk bleiben p, t, k unverschoben, also ahd. spil, ahd. fisk, ahd. stein. Es muss ferner auf das Schicksal der stimmhaften Verschlusslaute b, d, g aufmerksam gemacht werden, die sich im Laufe der 1. LV aus den stimmhaften b, d, g entwickelt haben. Sie wurden zu p, t, k verschoben, aber nur teilweise (territorial). Beispiele: as. drinkan > ahd. trinkan „trinken“ as. geban > fränk. geban, aber obd. bairisch kepan Die Verschiebung b > p und g > k ist nur im Bairischen und Alemannischen durchgeführt, auf eine größere Region bezieht sich lediglich die Verschiebung von d > t. Sie erfasst neben dem Bairischen und Alemannischen einen Teil des Fränkischen. Durch die 2. Lautverschiebung wird das Altniederdeutsche (Altsächsische) von dem Althochdeutschen endgültig getrennt. Die Schicksale anderer Konsonanten im Althochdeutschen Das germanischen w hatte einen bilabialen Charakter wie im englischen Wort „water“ > durch die 2. LV – ahd. wazzar. In den ältesten Denkmälern wird dieses w graphisch als uu, vv, uv wiedergegeben. Allmählich kommt es zu dem Schwund, und zwar in folgenden Fällen (in Auswahl): 1. vor –r: got. wrikan > ahd. rehhan „verfolgen“ vor –l: got. wlits, as. uuliti > ahd. antluzzi „Antlitz“ (russ. лицо) 2. nach stimmlosen Konsonanten: got. ahua > ahd. aha „Wasser” (lat. aqua) got. saihuan > ahd. sehan „folgen, mit den Augen folgen“ („sehen“) 3. im Auslaut kommt w zu –o oder –u über: ahd. snêo > Gen.Sg. urspr. snêwes, heute „des Schnees“, Nom.Sg. „der Schnee“ (Schwund des Konsonanten aufgrund der Überlagerung des Akzents auf die erste Silbe im Wort).[55] ALTHOCHDEUTSCHE FLEXIONSMORPHOLOGIE SUBSTANTIVE Die ahd. Substantive werden, wie im Neuhochdeutschen, nach den drei Kategorien Genus, Kasus und Numerus flektiert. 3 Genera Maskulinum, Femininum, Neutrum 4 Kasus Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ Ein weiterer Kasus, der Instrumental, ist im Ahd. nur in Resten vorhanden. Kasussynkretismus – die anderen Kasus sind in den Dativ zusammengefallen 2 Numeri Singular und Plural, Reste des Duals Die genaue Einteilung der Substantivdeklination nach Klassen geht auf voralthochdeutsche Verhältnisse zurück. Als Grundlage der althochdeutschen Einteilung der Substantivflexion dienen die germanischen Stammbildungselemente (Stammbildungssuffixe). Im Germanischen bestand jede flektierte Form eines Substantivs aus drei Elementen: 1 Wurzel 2 das stammbildende Suffix 3 Endung 1 2 3 Gen. Sg. Mask. han in s „des Hahnes“ hanins hairt in s „des Herzens“ hairtins Neutr. tugg ôn s „der Zunge“ tuggôns Fem. gib ô s „der Gabe“ gibôs 1 2 3 Akk. Pl. Mask. dag a ns „die Tage“ dagans gast i ns „die Gäste“ gastins Dieselbe Wurzel kann in verschiedenen Wörtern auftreten, z.B. die Wurzel dag im Ahd. neben dem Substantiv tag gibt es ein schwaches Verb „Tag werden“ – ahd. tagên usw. Das Stammbildungselement oder das stammbildende Suffix wirkt klassenbildend: - vokalische a-Klasse, bzw. a-Stamm: dagans, stainans, wulfans (Akk. Pl. Mask.) - konsonantische n-Klasse, bzw. n-Stamm: das Stammbildungselement geht auf –n aus hanins (Gen. Pl. Mask.) Daneben gibt es noch eine Gruppe von Substantiven, die das Flexionselement (ohne das stammbildende Suffix, das Stammbildungselement) gleich an die Wurzel anschließen. Sie heißen Wurzelnomina: 1 2 3 Nom.Sg. Mask. man „der Mann“ man Gen. Sg. Mask. man es „des Mannes“ manes Nom.Pl. Mask. man „Männer“ man Veränderungen zum Althochdeutschen Die germanischen Stammbildungsverhältnisse sind in den althochdeutschen Formen nur noch teilweise erkennbar, es sind dazwischen verschiedene lautliche Veränderungen eingetreten (dies ist z. T. auch schon im Gotischen zu beobachten). Eine Hauptursache ist der Anfangsakzent im Germanischen, noch im Ing. konnte der Akzent auf verschiedensten Silben im Wort liegen: Bsp. lat. ámo „ich liebe“ – amavísti „du hast geliebt“. Im älteren Germanischen war der freie Wortakzent zunächst noch erhalten, dann legte sich der ursprünglich freie Wortakzent auf den Wortanfang, in den meisten Fällen auf die Wurzelsilbe. Dieser Anfangsakzent ist im Germanischen Ursache für die Abschwächung und Abbau der Endsilben. Bei den Substantiven sind die Elemente betroffen, die Stammbildung und Flexion kennzeichnen: Beispiel 1: *dagaz > dags > tag Germ. Nom. Sg. *dag-a-z verliert zunächst das Stammbildungselement: vgl. got. dags im Ahd. ist die gesamte Endung -az verschwunden: tag (kein Stammbildungselement, kein Flexionselement) Beispiel 2: *dagans > taga got. Akk. Pl. *dag-an-s, im Ahd. gehen die Flexionselemente -n und –s verloren, sodass die Form ahd. taga lautet. Ausgehend von germanischen Flexionsverhältnissen benennt man diese Klasse vokalische a-Klasse.[56] Die Hauptklassen der ahd. Substantivdeklination Vokalische Stämme Mask. Fem. Neutr. a-Stämme tag wort i-Stämme gast kraft ir-/ar-Stämme kalb, lamb ô-Stämme geba u-Stämme sun Konsonantische Stämme Mask. Fem. Neutr. n-Stämme hano zunga herza nt-Stämme friunt, fiant r-Stämme vater/fater muoter, tohter Verwandschaftsnamen Vokalische Stämme im Einzelnen a-Stämme (zu dieser Klasse gehören Maskulina und Neutra) Mask. Neutr. Sg. Pl. Sg. Pl. 1 tag tagâ wort wort 2 tagas, tages tago wortas worto 3 taga, tage tagum worta wortum 4 Tag tagâ wort wort (berg, stein, fisk, geist, auch mehrsilbige: kuning, truhtîn …usw.) ir-/ar-Stämme (zu dieser Klasse gehören Maskulina und Neutra) Diese Gruppe von Substantiven bildet ihre Pluralformen mit Hilfe des sog. „Primärumlautes“. Es handelt sich um einen i-Umlaut: ein i, î, j der Folgesilbe verursacht zunächst bei a der Stammsilbe den Umlaut. Zeitlich ist dieser Umlaut seit dem 8. Jh. belegt. Beispiele: Sg.: ahd. gast „Gast“ Pl.: gasti > gesti „Gäste“ Positiv: ahd. alt Komparativ: altiro > eltiro „älter“ [57] Die Substantive dieser Klasse fallen im Sg. mit der Flexion der neutralen a-Stämme zusammen. Es gehören hierher oft Benennungen für Jungtiere, z. B. lamb („Lamm“), kalb[58] („Kalb“), huon („Huhn“), rind („Rind“), ei („Ei“). Pluralformen (aufgrund der Flexionsendung -ir(-) realisiert sich Primärumlaut) Sg. Pl. 1 lamb Lembir 2 lambes Lembiro 3 lambe Lembirum 4 lamb Lembir Auch manche Wurzelnomina gehen später zu diesem Paradigma über: Nom. Pl. manne > männer[59] Weitere vokalische Stämme ô- Stämme (zu dieser Klasse gehören Feminina) Sg. Pl. 1 geba („Gabe“) gebâ 2 geba gebôno 3 gebu gebôm 4 geba geba i- Stämme (zu dieser Klasse gehören Maskulina und Feminina) Diese Substantiv-Gruppe ist imstande, den Singular vom Plural durch den Primärumlaut zu markieren, wodurch sie sehr produktiv ist. Maskulina Feminina Sg. Pl. Sg. Pl. 1 gast gesti kraft krefti 2 gastes gesteo krefti krefteo 3 gastes gestim krefti kreftim 4 gast gesti kraft krefti u-Stämme (zu dieser Klasse gehören alle Genera) Im Westgermanischen verliert diese Deklination an ihrer Bedeutung. Im Ahd. ist sie daher nur in Resten nachzuweisen. Belegt sind z. B. Maskulina wie sunu („Sohn“), hugu („Sinn“) usw. Konsonantische Stämme im einzelnen Als besonderes Merkmal dieser Gruppe verzeichnen wir das Stammbildungssuffix -en in allen Ablautstufen. Mask. hano („Hahn“), Fem. zunga („Zunge“), Neutr. herza („Herz“) Als ein Beispiel für alle führen wir die Maskulina an: Sg. Pl. 1 hano hanon 2 hanen hanôno 3 hanen hanôm 4 hanon hanon Nach diesem Muster flektiert eine Reihe von maskulinen Substantiven wie haso („der Hase“), garto („der Garten“), gomo („der Mann“) usw. Außer den produktiven Deklinationstypen, die wie behandelt haben, gibt es noch einige sporadisch vertretene Deklinationstypen wie: r- Stämme (Verwandschaftsbezeichnungen wie fater, muoter, bruoder, tohter, swester) Sie sind im Singular später nach der a-Deklination flektiert, im Plural übernehmen sie den Umlaut. nt- Stämme Ursprünglich substantivierte Partizipien des Präsens. Im Ahd. gehören hierzu nur zwei Wörter: friunt („der Freund“) und fiant („der Feind“). Wurzelnomina Sie sind ohne das stammbildende Suffix, die Flexionsendung tritt unmittelbar an die (konsonantische) Wurzel an. Maskulina Feminina Sg. Pl. Sg. Pl. 1 man man naht naht 2 man, mannes manno naht nahto 3 man, manne mannum naht nahtum 4 man man naht naht Zu dem Deklinationsmuster „naht“ gehört ursprünglich auch ahd. fem. Substantiv „buoh“ („Buch“). Die heutige Pluralform „Bücher“ wurde von den –ir/ar-Stämmen übernommen.[60] Aufgaben Bestimmen sie die Form folgender Substantive. Handelt es sich um Singular oder um Plural? Zu welcher Stammklasse gehören sie? Sg. Pl. Stammklasse Rindes Wint diorna („Mädchen, Jungfrau“) wintar („Winter“) berno („Beer“) farawa („Farbe“) got geista stein garto („Garten“) wiht („böser Geist“) ADJEKTIVE Die Adjektive werden wie in den übrigen germanischen Sprachen in zweifacher Weise dekliniert: stark und schwach. Die starke Flexion ist aus dem Indoeuropäischen ererbt und stimmt im Prinzip mit der Flexion der vokalischen Substantivstämme überein; in mehrere Kasus dringen jedoch pronominale Flexionsformen ein. Die schwache Deklination ist eine germanische Neuerung: jedes Adj. kann als ein n-Stamm nach der substantivischen n-Deklination flektiert werden. Der Gebrauch der beiden Flexionsarten ist syntaktisch bedingt: ist das Adjektiv durch ein Demonstrativpronomen (Artikel) determiniert, dann wird das Adjektiv schwach flektiert, sonst gilt im Prinzip die starke Flexion. Starke Deklination Sg. Pl. Pronominale Deklination Nominale Deklination Pronominale Deklination Nominale Deklination 1 blintêr blint blinte 2 blintes blintero 3 blintemu blintêm, blintên 4 blintan blinte Dabei sind zwei Stellungen zu unterscheiden: Attributive Stellung Beide Formen des Adjektivs sind möglich: die nominale blint man wie auch die pronominale blintêr man. Prädikative Stellung Bevorzugt wird die nominale Form der man ist blint, es kann aber auch die pronominale Form hier stehen: Der man ist blintêr. Schwache Deklination (bei den Maskulina wie das Substantiv hano) Sg. Pl. 1 blinto blinton 2 blinten blintôno 3 blinten blintôm, blintôn 4 blinton blinton Steigerung der Adjektive 1. Der Komparativ wird mittels der Suffixe –iro und –ôro gebildet. Bei den auf ein -i ausgehenden Adjektiva verwendete man das Suffix –iro: Positiv: skôni („schön“) Komparativ: skôniro („schöner“). Andere Adjektive, z. B. hôh („hoch“) können den Komparativ „höher“ entweder als hôhiro oder als hôhôro bilden. 2. Der Superlativ wird mittels der Suffixe -isto und -ôsto gebildet. Beispiel: lang – lengiro – lengisto (mit Hilfe des Primärumlauts). Bei den mehrisilbigen Adjektiven kommen folgende Steigerungssufixe vor: Komparativ: -ôro Superlativ: -ôsto Beispiel: mahtig – mahtigôro – mahtigôsto („mächtig“ – „mächtiger“ – der, die das „mächtigste“) Numerale (in Auswahl) Kardinalzahlen Die drei ersten Zahlen sind in allen Kasus deklinierbar und unterscheiden drei Genera. 1. „Ein“ – als Zahlwort hat die Flexion eines Adjektivs wie blint, also stark: N.Sg. Mask.: 1. nominale Form ein 2. pronominale Form einêr G.Sg. Mask.: eines (usw.) Nach dem bestimmten Artikel und dem Demonstrativpronomen steht die schwache Flexion, z. B. daz eina 2. „Zwei“ Als Beispiel folgen die Formen von N. und A. Sg. für alle drei Genera: Mask. zwêne Fem. zwâ Neutr. zwei 3. „Drei“ Als Beispiel folgen die Formen von N. und A. Sg. für alle drei Genera: Mask. drî Fem. drîo Neutr. driu Die Zahlen 4 – 12 gebraucht man meistens unflektiert 4 vior 5 fimf 6 sehs 7 sibun 8 ahto 9 niun 10 zehan 11 einlif 12 zwelif Die Zahlen 13-19 sind Zusammensetzungen der betreffenden Zahl mit dem Wort zehan: drîzehan, viorzehan, fimfzehan usw. Die Zahlen 20 -99 sind Zusammensetzungen der betreffenden Zahl mit dem Element zug: zweinzug, drîzug, viorzug, finfzug usw. Für den Begriff „100“ benutzte man zwei Ausdrücke: Zehanzug, was etwa als „zehn mal zehn“ zu erläutern ist, wie auch hunt, „hundert“.[61] Für den Begriff „1000“ benutzte man den Ausdruck dûsunt, thûsunt. Die Zwischenzahlen werden durch Zusammenstellung mit inti („und“) gebildet: 48 Jahre viorzug inti ahto jâr 99 niuni inti niunzug 160 zehanzug inti sehzug 250 [62] zwei hunt funfzug Aufgaben Übersetzen Sie ins Althochdeutsche zwei junge Männer Nom.Sg. man (athematisches Substantiv) diese erhabenen Könige Adj. (h)êristo („erhaben“, „vornehm“), Nom. Sg. kuning 12 Nächte Nom. Sg. naht (athematisches Substantiv) im Jahr 789 drei schwarze Tücher Adj. swarz, Nom. Sg. tuoh 66 564 111 Verben Das ahd. Verb hat folgenden Formenbestand: 1. Genus: Nur ein selbständig entwickeltes, d.h. synthetisch gebildetes Genus, das Aktiv. Das Passiv wird durch die Konstruktion wesan oder werdan + Part. Prät. umschrieben: im Präs. ist ginoman – wirdit ginoman, im Prät. was ginoman 2. Zwei Tempora: Präsens und Präteritum, das Präsens vertritt in der Regel auch das Futurum, manchmal wird Präsens mit dem Verb sculan („sollen“) umschrieben. 3. Zwei volle Modi: Indikativ und Optativ (Konjunktiv). Der Imperativ ist auf Präsens beschränkt. 4. Zwei Numeri: Singular und Plural 5. einen Infinitiv, ein Partizipium Praesentis (er ist gote thionônti) und ein Partizipium Praeteriti (ginoman) Hauptklassen der Verben Wir unterscheiden nach der Bildung des Präteritums und des Part. Praeteriti zwei Hauptklassen von Verben: Starke Verben – diese bilden den Stamm des Präteritums ohne Suffix, durch den Wechsel des Wurzelvokals (Ablaut), den Stamm des Part. Prät. bilden sie durch ein -en-Suffix. Man unterscheidet zwei Klassen starker Verben: a) ablautende - 6 Ablautreihen Beispiel: bintu „ich binde“- bant „ich band“ b) ehemals reduplizierende Verba, die im Gotischen ihr Präteritum noch durch Reduplikation bildeten Beispiel: got. haitan – Prät. haihait Im Ahd. ist die Reduplikation verschwunden. Daher ist ein jüngerer Wechsel des Stammvokals eingetreten, der aber mit dem Vokalwechsel der sechs alten Ablautreihen nichts zu tun hat. Schwache Verben, sog. abgeleitete Verben, die nach ihren Ableitungssuffixen geteilt werden in: a) jan-Verben: 1. Ps. Sg. Präs. neriu – Prät. nerita 1. Ps. Sg. Präs. suochu – Prät. suchta b) ôn-Verben: 1. Ps. Sg. Präs. salbôm > salbôn – Prät. salbôta c) ên-Verben: 1. Ps. Sg. Präs. habêm > habên – Prät. habêta A Flexion (Konjugation) der starken Verben Präsens neman Sg. Pl. 1 nimu nemamês 2 nimis nemet 3 nimit nemant Merke: Erhöhung im Präsensstamm faran Sg. Pl. 1 faru faramês, farên 2 feris, ferist faret 3 ferit farent Merke: 2. und 3 Ps. Sg. mit Primärumlaut! Wir unterscheiden insgesamt 7 Klassen von starken Verben: - die Klassen 1-3 basieren auf dem qualitativen Ablaut e-o - die Klassen 4 und 5 enthalten sowohl den qualitativen als auch den quantitativen Ablaut - die Klassen 6 und 7 gründen sich auf einem jüngeren Vokalwechsel Präteritum 1. Ablautreihe: Inf. rîtan, zîhan rîtan Sg. Pl. Part. Prät. giritan 1 reit ritum 2 riti ritut 3 reit ritun zîhan[63] Sg. Pl. Part. Prät. gizigan 1 zêh[64] zigum 2 zigi zigut 3 zêh zigun 2. Ablautreihe: Inf. biogan, biotan biogan Sg. Pl. Part. Prät. gibogan 1 boug bugum 2 bugi bugut 3 boug bugun biotan Sg. Pl. Part. Prät. gibotan 1 bôt[65] butum 2 buti butut 3 bôt butun 3. Ablautreihe: Inf. bintan, werfan bintan Sg. Pl. Part. Prät. gibuntan 1 bant buntum 2 bunti buntut 3 bant buntun werfan Sg. Pl. Part. Prät. giworfan 1 warf wurfum 2 wurfi wurfut 3 warf wurfun 4. Ablautreihe: Inf. neman neman Sg. Pl.[66] Part. Prät. ginoman 1 nam nâmum 2 nâmi nâmut 3 nam nâmun 5. Ablautreihe: Inf. geban geban Sg. Pl. Part. Prät. gigeban 1 gab gâbum 2 gâbi gâbut 3 gab gâbun 6. Ablautreihe: Inf. faran (tragan, wachsan usw.) faran Sg. Pl. Part. Prät. gifaran 1 fuor fuorum 2 fuori fuorut 3 fuor fuorun 7. Ablautreihe: (ehemals reduplizierende Verben), mehrere Subklassen haltan Sg. Pl. Part. Prät. gihaltan 1 hialt hialtum 2 hialti hialtut 3 hialt hialtun loufan „laufen“ Sg. Pl. Part. Prät. giloufan 1 liof liofum 2 liofi liofut 3 liof liofun B Flexion (Konjugation) der schwachen Verben Klasse I urspr. jan-Verben Sie teilen sich nach der ursprünglichen Quantität der Wurzelsilbe in 1. kurzsilbige Inf. nerien (“retten”, got. nasjan, Umlaut a > i ahd. nerien) Prät. nerita Part. Prät. ginerit 2. lang- oder mehrsilbige ohne Umlaut Inf. hôren Prät. hôrta Part. Prät. gihôrit ähnlich: suochen (“suchen” – got. sôkjan, ahd. suohta – gisuochit) Klasse II urspr. ôn-Verben Inf. dionôn Prät. dionôta Part. Prät. gedionôt ähnlich: dankôn, machôn Klasse III urspr. ên-Verben habên, fragên usw. C Flexion (Konjugation) der Modalverben (Praeteritopräsentia) Sie haben alte präteritale Formen, die jedoch präsentische Bedeutung haben. Ihr (neues) Präteritum bilden sie mit Hilfe des Suffixes –ta. Nach der Art ihrer Stammsilbe im Präsens werden sie formal zu den Ablautreihen der starken Verben zugeordnet. Infinitiv Sg. (1./3. Person) 1. Ablautreihe wizzan weiz 2. Ablautreihe nicht belegt toug („passte“, „half“) 3. Ablautreihe kunnan[67] durfan kan darf 4. Ablautreihe scolan, sculan scal („soll“) 5. Ablautreihe magan, mugan[68] mag 6. Ablautreihe nicht belegt muoz Anmerkung: In der 2. Ps. Ind. Sg. erscheinen die Formen darft, scalt, maht, tarst die Endung -t verbreitet sich allmählich auf die übrigen Verben dieser Gruppe. Atematische Verben Sie haben kein Themavokal, ihre Endung wird direkt an die Wurzel angehängt. Zu dieser Gruppe gehören lediglich 4 Verben: sîn („sein“), tuon („tun“), gân („gehen“), stân („stehen“) Verb tuon tuon Ind. Präs. Ind. Prät. Sg. Pl. Sg. Pl. 1 tuom tuomês teta tâtum 2 tuos(t) tuot tâti tâtut 3 tuot tuont teta tâtun Anmerkung: Im Ind. Prät. gehen die Formen des Präteritums auf die Reduplikation zurück! Verb sîn Dieses Verb bildet sein Indikativ mit Hilfe von zwei Wurzeln: idg. –es und idg. –bheu. Die übrigen Formen werden vom starken Verb (5. Klasse) wesan gebildet: Infinitiv: wesan Part. Präs. wesanti Prät. Sg. was Prät. Pl. wârun (grammatischer Wechsel) sîn Ind. Präs. Ind. Prät. Sg. Pl. Sg. Pl. 1 bim, bin birum was wárum 2 bist birut wári wárut 3 ist sint was wárun Bei den Verben gân („gehen“), stân werden für die fehlenden Präteritalformen die Formen 1. und 3. Ps. Sg. Prät. stuont, giang verwendet[69]. Diese sind regelmäßige Formen von den starken Verben stantan (6. Klasse) und gangan (7. Klasse). Aufgaben a. Bestimmen Sie näher die Ablautreihe sowie die Form folgender Verben: Ablautreihe Form butut nâmi gâbum gebamês reit ginoman nimis bintu buntum giworfan wurfi rȋtant rȋtet b. Wie unterscheiden sich präteritale Formen der schwachen Verben von den starken Verben? Durch welche Endungen? c. Erschließen Sie die Pluralformen von folgenden Präteritopräsentien: wizzan kunnan durfan magan d. Wie würden Sie die athematischen Verben formmäßig charakterisieren? Exkurs V. Die Gattung „Evangelienharmonie“ Tatian, Heliand und das Evangelienbuch Otfrids von Weißenburg Die wichtigste Aufgabe der neuen deutschsprachigen Literatur war, christliche Inhalte zu vermitteln. In erster Linie war es die Bibel. So entstand die deutsche Bibeldichtung. Sie entwickelte sich in zwei Linien: in der althochdeutschen und in der altniederdeutschen Sprache. Es war ein Interesse des fränkischen Reiches, beide diese Linien zu unterstützen. 1. Im deutschen Kloster Fulda hinterließ der Heilige Bonifatius (siehe die frühere Abhandlung Missionierung und die Missionare) bereits im 8. Jahrhundert eine lateinisch geschriebene Übersetzung eines ursprünglich auf Syrisch oder auf Griechisch geschriebenen Textes, dessen Autor ein syrischer Mönch namens Tatian war. Dieser Text behandelt in einer Zusammenfassung nach den vier Evangelien (dem Neuen Testament) das Leben Christi. Der griechische Terminus für diese Zusammenfassung heißt „Diatesseron“ (wörtlich „durch die vier Evangelisten“), was auch mit dem weiteren Terminus „Evangelienharmonie“ wiedergegeben werden kann. Es dient gleichzeitig als eine Bezeichnung für die ganze Gattung, unter die mehrere Werke gehören. Im 2. Viertel des 9. Jahrhunderts, zur Zeit des berühmten Abtes Hrabanus Maurus (780-856, seit 847 Erzbischof von Mainz) wurde dieser Text von mehreren Übersetzern ins Deutsche überführt. Der deutsche Text steht in der Handschrift seiner lateinischen Vorlage gegenüber. Dies hatte mehrere Vorteile: für den Lateinkundigen kann der Originaltext als eine Vergewisserung in der Handlung dienen, für den Leser, der eher deutschsprachig ist und über geringere Lateinkenntnisse verfügt, dient der zweisprachige Text gleichzeitig als Übung in Latein. Den Text bezeichnen wir verkürzt als „Tatian“. Es handelt sich um eine sehr genaue Übersetzung, die seine Vorlage ins Detail zu wiedergeben versucht. 2. Es war eine politische Bemühung des Ludwig des Frommen, des Sohnes des Karl des Großen, bereits vor 840, auch in altsächsischer Sprache die biblischen Ereignisse schildern zu lassen. So entstand vermutlich in dieser Zeit die sog. „Altsächsische Genesis“, die den Inhalt dieses Grundbuches des Alten Testaments in Stabreimversen schildert. Bis heute haben sich (von einem vermutlich größeren Umfang) Bruchstücke folgender Geschehnisse erhalten: der Sündenfall, die Geschichte Kains, die Aufzählung weiterer Nachkommen Adams und Evas sowie der Untergang der Stadt Sodom. Es gibt weiter auch eine altsächsische Bearbeitung des Neuen Testaments in Stabreimversen von einem anderen Autor. Hier schildert er in 71 Abschnitten, sog. „Fitten“, die Lebensgeschichte Jesu nach allen vier Evangelien. Auch dieses Werk gehört also zur Gattung „Evangelienharmonie“. Es hat sich für dieses Buch der Titel „Heliand“ („Heiland“) eingebürgert. Der Autor bemüht sich um bessere Verständlichkeit des Stoffes, deshalb schildert er manche Ereignisse im „germanischen Geiste“: z.B. Christus wird als ein weltlicher Herrscher, seine Jünger als seine Gefolgsleute verbildlicht. Die berühmte „Hochzeit zu Kana“ wird als ein germanisches Fest abgebildet. Man spricht in diesem Falle über eine „Annäherung, Akkomodation“ des unvertrauten Inhaltes an den bekannten Inhalt. 3. Um das Jahr 860-70 ist das bekannteste Werk der althochdeutschen Epoche entstanden. Sein Autor, der erste namentlich bekannte Autor der deutschen Literaturgeschichte, heißt OTFRID VON WEIßENBURG. Er studierte in Fulda, hielt sich dann als Lehrer, Bibelkommentator und Bibliothekar in seinem Mutterkloster Weißenburg bis zu seinem Tode um 870 auf. Seine enorme sprachliche Leistung, die er gegenüber „Tatian“ erreicht hat, sieht man, wenn man seine Verse liest: er verwendete u. A. in seiner Evangelienharmonie erstmals den Endreim, mied viele Stabreime, schrieb poetisch und frei. Sein vermutlich 867 oder 868 zu Ende geführtes Werk schildert die Lebensgeschichte Christi nach allen vier Evangelien.[70] Über die enorme politisch-kulturelle Bedeutung, die diesem Werk in den höchsten Kreisen beigemessen wurde, zeugen die kunstvolle Vorrede zum Werk, die Widmungen an führende politische und geistliche Persönlichkeiten des Frankenreiches (auch an den König Ludwig den Deutschen, an den Bischof Salomo von Konstanz, gest. 871) und das Kapitel 1 des I. Buches, das als eine Begründung des Autors, warum er sein Werk in der Volksprache (auf Fränkisch) verfasst hat, zu interpretieren ist. Sein „Evangelienbuch“ steht am Ende der geistigen Bemühungen mehrerer Generationen von Missionaren, Gelehrten und ihrer Schüler und ist eine Frucht der geistigen Blütezeit des fränkischen Reiches, die sich bald nach dieser Zeit zu ihrem Ende neigte. Hier ein kurzer Ausschnitt in der Originalsprache und in Übersetzung ins Neuhochdeutsche : OTFRIDs Evangelienbuch Kapitel V.: Missus est Gabrihel angelus (Es wurde gesandt der Erzengel Gabriel) Ward áfter thiu irscrítan sár, só moth es sin, ein halb jár, mánodo after ríme, thría stunta zuéne; Tho quam boto fona góte, éngil ir hímile, bráht er thero wórolti diuri árunti. Floug er súnnun pad, stérrono stráza, wega wolkóno zi theru ítis fróno; Zi édiles fróuun, selbun sancta Máriun (…) Tho sprach er (…): „Heil mágad zieri, thiárna so scóni, allero wíbo gote zéizosto!“ Ni brútti thih múates, noh thines ánluzzes, fárawa ni wenti; fol bistu gótes ensti! (…) Danach mochte etwa ein halbes Jahr vergangen sein in Monaten gerechnet: dreimal zwei -, da kam ein Bote Gottes, ein Engel vom Himmel, und brachte dieser Welt herrliche Botschaft. Er flog auf dem Sonnenpfad, auf der Sternenstraße, auf den Wolkenwegen zu der erhabenen Herrin, zu der edlen Frau, zur Maria, der geheiligten. Da sprach er (…): Heil dir, edles Mädchen, wunderschöne Jungfrau, von allen Frauen Gott die liebste! Erschrick nicht in deinem Herzen, und dein Antlitz wechsle nicht die Farbe: du bist erfüllt von der Gnade Gottes. (…)[71] 4. Die althochdeutsche Literatur findet eine stilistische Vollendung in der Übersetzertätigkeit des Notker III. von St. Gallen, einem Autor, dessen Leistung wir in mehreren Bereichen der damaligen Gelehrsamkeit bewundern können. Über sein Leben geben uns seine Korrespondenz und die Erwähnungen seines Schülers Ekkehard IV. von St. Gallen Auskunft. Es hat sich ein Brief Notkers erhalten, den er an Bischof Hugo II. von Sitten adressiert. In diesem Brief schreibt Notker über seine Werke und die Gründe, die ihn dazu bewogen, diese Werke zu schaffen. Wir sind heute nicht im Sicheren, wie viele Werke von Notkers hand ausgingen; es haben sich nicht alle erhalten. Notkers Werke in knapper Auswahl 1. Rhetorik „De arte rhetorica“. Hier führt er u. A. in deutscher Sprache die verschiedensten Redewendungen, Sprichwörter und Verse an. 2. Musik Seine Schrift „De musica“. Es werden hier die Grundzüge der Musiklehre, Intervalle und Tonarten, sogar die korrekte Abmessung von Orgelpfeifen thematisiert. 3. Astronomie „Novus Computus“ ist eine Schrift über die Zeitberechnung, die als „Kunst“ seit Karlischer Zeit wegen der Berechnung der kirchlichen Feste im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. 4. Philospohie - „De nuptiis philologiae et Mercurii“ (Die Hochzeit der Philologie mit Merkur) des Martianus Capella - „De consolatione Philosophiae“ (Die Tröstung, der Trost der Philosophie“) – eine Übersetzung der berühmten Trostschrift des spätrömischen Philosophen Boethius. Beide Bücher gehörten zum damaligen Lesekanon in der Klosterschule. 5. Theologie und Bibel Übersetzung des Psalters als Hauptwerk Notkers. Notkers Erfindungspotential Notkers übersetzerische Meisterschaft zeigen wir uns am Beispiel aus dem letztgenannten Werk „Über die Tröstung der Philosophie“. Für den Zentralbegriff der wandelfreudigen Fortuna (des Glücks), die einen Menschen an einem und demselben Tag erhöhen wie auch erniedrigen kann, wählt er mehrere Äquivalente. So z. B: sâlida (Äquivalent für Glück) liutsâlida (Glück, das den Menschen widerfährt) trugisâlida (trügerisches Glück) uuerltsâlida (das besonders verwerfliche Glück, die die Welt bringt und den Menschen damit betrügt) unsâlida (Unglück) sâliggheit (Glück) hwîla ein kurzer Zeitabschnitt des Glücks (die Glücksweile), die Kürze ist besonders betont. III. Kapitel Das Mittelhochdeutsche Das mittelhochdeutsche Sprachgebiet „In mittelhochdeutscher Zeit, d.h. von etwa 1050 bis 1350, setzten sich die althochdeutschen Dialekte weiter fort. Dazu entstehen in Folge der Ostkolonisation (ab dem 11./12. Jh.) im Osten neue deutschsprachige Landschaften in ursprünglich slawischen Gebieten (durch Neubesiedlung bzw. durch Rodung unbesiedelten Waldlandschaften). Auf diese Weise bilden sich die sog. ostmitteldeutschen Dialekte: das Thüringische, das Obersächsische, das Schlesische, im Nordosten kommt noch das Hochpreußische hinzu“.[72] Die fränkischen Dialekte (das Rheinfränkische, das Mittelfränkische, das Moselfränkische usw. – westmitteldeutsche Dialekte) und das Bairische mit dem Alemannischen (oberdeutsche Dialekte) spielten bereits in der ahd. Zeit eine konstitutive Rolle bei der Entwicklung der deutschen Sprache. „Der oberdeutsche Sprachraum erweitert sich auch nach Süden und Südosten und bildet deutsche Sprachinseln inmitten romanischer, ungarischer und westslawischer Gebiete“.[73] Auf Mähren konstituieren sich als deutsche Sprachinseln Städte oder ganze Landschaften: Iglau, Olmützer Gegend, Nord- und Südmähren. Auch der Terminus „das Mittelhochdeutsche“ bezeichnet also wie „das Althochdeutsche“ keine einheitliche Sprachform, sondern eine Anzahl von Einzeldialekten. Historisch - kulturelle Voraussetzungen Sieht man die Triebkraft der kulturellen Entwicklung in althochdeutscher Epoche in der „Begegnung von Antike und Christentum, so sind es im Mittelhochdeutschen vor allem drei kulturelle Veränderungen, die sich auf die Sprachgeschichte auswirken: 1. die Vollendung der Feudalisierung (Entstehung der höfischen Ritterkultur) 2. die deutsche Ostkolonisation 3. das Aufkommen der Städte“[74] „Zwischen 1050 und 1500 machte die Gesellschaft im deutschsprachigem Raum tief greifende Wandlungen durch. Es begannen sich territoriale Fürstentümer und Machtzentren unabhängig vonder alten Stammesstruktur zu bilden (…), neue Städte mit neuen Verfassungen wurden gegründet, die Bevölkerung wuchs kontinuierlich an (bis zu den großen Pestepidemien im 14. Jahrhundert), in den Städten entstanden neue Bevölkerungsschichten mit neuen Bedürfnissen.[75] Die Vollendung der Feudalisierung Gegen 1150 betritt die Szene der Geschichte eine Bevölkerungsschicht, die ritterliche Schicht, deren Lebensform - eine auf Treue beruhende Gefolgschaft - zur Herausbildung des ganzen Sittenkodex führt. Die Treue dem Herrn war ursprünglich Ausdruck einer Notwendigkeit – Sicherung des Territoriums des Herrn. Der Ritter bekommt von seinem Herrn Land, um Einkommen zu haben (mhd. daz lehen, nhd. das Lehn, tschech. léno). Das Lehen wird später erblich. Aus der engen Beziehung des Ritters zu seinem Herrn erwuchsen seine meisten ritterlichen Tugenden, die das Leben eines adeligen Menschen bestimmt haben und die mit der Zeit veredelt wurden: Treue, Beständigkeit, Schutz der Schwächeren und der Frauen, ein neues Verhalten gegenüber den Frauen: Frauendienst (dieser gründet sich wiederum auf Treue und Beständigkeit). Neue literarische Gattungen Für diese ihre neue Lebensform sucht die adelige Schicht einen neuen literarischen Ausdruck: sie möchte in ihrer Lebensführung bestätigt werden, sie möchte sich mit Hilfe der so genannten ritterlichen, weltlichen Literatur als eine Schicht integrieren. Die tief greifenden neuen Gattungen: der ritterliche Roman (Epos) und die ritterliche Lyrik (Minnesang – der Sang über die Liebe des ritterlichen Mannes zu einer höfischen Dame) widerspiegeln diese neuen Vorgänge auf eine künstlerische Art, die mit der historischen Wirklichkeit in mancher, nicht jedoch in jeder Hinsicht korrespondiert. Diese Literatur ist keine Abbildung des tatsächlichen Lebens der Ritter und der Damen, sie ist vielmehr ein künstlerischer Ausdruck des Strebens, einen idealen Zustand der ritterlichen Gesellschaft zu erreichen. (Bild eines idealen Ritters, einer idealen Liebe usw.). Sie spiegelt also die Wunschvorstellungen des Adels wider. In der Zeit der sog. mittelhochdeutschen Klassik (1150-1250) wuchs die so genannte weltliche Literatur, in erster Linie Auftragswerke des Adels, stark an. Mhd. Autoren der weltlichen Literatur Mäzenen, Gönner Epiker Hartmann von Aue das Geschlecht der Zähringer (Erec, Iwein, Minnelieder) Wolfram von Eschenbach Hermann von Thüringen (Parzival) Gottfried von Straßburg - (Tristan und Isolt) der Dichter des Nibelungenliedes Wolfger, Bischof von Passau und später von Aquileja Lyriker (Minnersänger) Heinrich von Morungen Dietrich von Meißen Walther von der Vogelweide Otto IV. von Braunschweig, Hermann von Thüringen, die Babenberger (Wiener Hof) u.a. Reinmar von Zweter (Spruchdichter) die Babenberger in Wien, der Przemyslidenhof die böhmischen Könige Wenzel I., Přemysl Ottokar II. und Wenzel II.[76] Lautbestand Vokalismus Reduktion der vollen Vokale in den unbetonten Silben Beispiele: Nomen Nom.Pl. Gen.Pl. Ahd. Mhd. Ahd. Mhd. a-Stämme taga Tage tago tage i-Stämme gesti geste gestio geste ir-/ar-Stämme lembir Lember lembiro lember Verbum in verschiedenen Wortformen 1. Ps. Sg. Präs. Ind. Akt. stV., schwV. ahd. rîtu, biugu, wirfu, nimu, gibu, faru, suochu, hôru mhd. rîte, biuge, wirfe, nime, gibe, fare, suoche, hôre 1.Ps. Pl. Präs. Ind. Akt. ahd. rîtamês, suochemês mhd. rîten, suochen 2.Ps. Sg.Prät. Ind. Akt. ahd. riti, bugi, wurfi, nâmi mhd. rite, büge, würfe, naeme (neben der Reduktion auch der mhd. i-Umlaut!) Infinitiv: ahd. stV. rîtan, neman, schw.V. suochen, salbôn mhd. rîten, nemen, suochen, salben Partizip Prät. ahd. bigraban, ginoman, giloufan, gisuochit, gisalbôt mhd. begraben, genomen, geloufen, gesuochet, gesalbet Weitere Veränderungen Synkope: Schwund des abgeschwächten Vokals im Wortinneren: ahd. verliesen > mhd. vliesen (nhd. „verlieren“) Apokope: Schwund des abgeschwächten Vokals im Wortauslaut: ahd. grôziro > mhd. groezer Diese Veränderungen führen zur Vereinfachung des Deklinations-, bzw. Konjugationssystems. System der kurzen Vokale a ë i o u Umlaute e ä (ö) ü A. Umlaut des kurzen a 1. Primärumlaut - bereits im Ahd. (gast - gesti) 2. Sekundärumlaut (Graphem ä), welcher sich in folgenden Formen realisiert: a) in den ehemaligen Hemmungsgruppen -ht, -hs, -rh Sg. macht – Pl. ahd. mahti > mhd. mähte 3. Ps. Sg. Präs. Ind. Akt. ahd. wahsit > mhd. er wähset ahd. mar(i)ha > mhd. märhe "Stute" b) in der zweitfolgenden Silbe bewirkt -i- ebenfalls Umlaut: Pl. ahd. magadi >mhd. mägede (+ Reduktion der Nebensilben) c) bei den Suffixen -lîch und -lîn: mhd. mänlîch, väterlîn B. Umlaut des kurzen u > ü ahd. suntia > mhd. sünde ahd. turi > mhd. tür(e) st. Verben der 2. und 3. Ablautklasse: 2.Ps. Sg. Prät. und Konj. Prät. ahd. bugi, bunti > mhd. büge, bünte (nhd. „böge“, „bände“) Vor einigen Konsonantengruppen wird dieser Umlaut jedoch nicht realisiert. So vor -lt, -ld: gedultic, schuldic Die Durchsetzung des Umlauts erfolgt in Nord-Süd-Richtung, deshalb werden die mitteldeutschen Mundarten stärker erfasst als die oberdeutschen. Kein Umlaut im Oberdeutschen: vor -ck, -pf, -tz: ahd. brucka obd. brucke („Brücke“, vgl. Osnabrück-Innsbruck), nutzen, hupfen. Die Wortpaare rucken / rücken, drucken / drücken sind urspr. als zwei Territorialvarianten ein und desselben Wortes aufzufassen. Die Worte drucken, Druckerei, Buchdruck gingen ins Neuhochdeutsche unumgelautet hinein, weil sich die größten Druckereien vor 1500 im oberdeutschen Raum befanden (Basel, Augsburg, Zürich). C. Umlaut des kurzen o Da o nur dort aus u entsteht, wo sich in der Folgesilbe a, e oder o befinden (vgl. got. wulfaz > ahd. wolf), während vor den i-Umlaut bewirkenden i, j der Folgesilbe u erhalten bleibt, kann es zu einem echten Umlaut des o nicht kommen. Alle Belege des Umlauts entstanden durch Systemzwang oder Analogie, so vor allem als Sg.-Pl.-Oppositionen nach dem Modell ahd. lamp - lembir > mhd. dorf - dörfer, horn - hörner oder nach dem Vorbild der i-Stämme: Plurale Böcke, Stöcke, Bischöfe. System der langen Vokale â- ê2- ê3 - î - ô1- ô2 - û[77] ahd. Monoptongierung: ai > ê3 (vor h, w, r) au > ô2 (vor germ. h und allen Dentalen) / neue Monoptonge Durch einen strukturellen Druck kam es zu der ahd. Dipthongierung der alten Monoptonge ê2, ô1: ê2 > ea > ia > ie (germ. hêr > hear > hiar > hier) ô1 > uo (got. brôÞar > ahd. bruoder) i-Umlaut: 1. â - seit dem 11. und 12. Jh. Vor allem in den fränkischen Dialekten > Digraph ae Beispiele: ahd. swâri > mhd. swaere (nhd. „schwer“) 2. Ps. Sg. Prät. der stV. nâmi > naeme / auch 1. und 3. Ps. des Konj.Prät. 2. ô > Digraph oe ahd. hôhî > mhd. hoehe (nhd. „Höhe“) ahd. Komparativ des Adj. hôhîro > mhd. hoeher (nhd. „höher“) 3. in dem spätahd. und mhd. Digraph -iu- fallen drei Laute verschiedender Herkunft zusammen: a) zuerst Dipthong (der zu Monoptong wurde), Teil der komplementären Distribution aus ide. *eu Inf. ide.*beutan > ahd. biotan, aber in der 1. Ps. Sg. Präs.: ahd. biutu > mhd. biute b) als Umlaut des langen -û- ahd. Pl. hûsir > mhd. hiuser (nhd. „Häuser“) c) als Umlaut des ahd. Diptongs -iu- ahd. Pl. liuti > mhd. liüte (nhd. „Leute“) ahd. diutisk > mhd. tiütsch (nhd. „Deutsch“) Auf dem mitteldeutschen Gebiet entsteht aus dem (aus dem Diphtong iu) Monoptong [y:] vor allem vor -r und -w ein -û: niuwe > nûwe In einigen Fällen wird dieses -û- mit dem Strom der Diptongierung zu -au-, so z. B. der Stadtname „Naumburg“, eigentlich aus niuweburc > nûweburc>Naumburg entstanden. Im Mhd. gibt es sechs verschiedene e-Laute: ë, e, ä, ê3, æ, э (ê2 > ie dipthongiert). System der Diphtonge Bereits in der Zeit der ahd. Monoptongierung und Diptongierung wurden alle Diphtonge außer iu gehoben: ai > ei, au > ou, eo > io, eu > iu (es handelt sich um die nicht monoptongierten ai und au). mhd. Stand: ie, uo, ei, ou Die Entwicklung im Mhd: In dem mhd. Dipthong -ie- fielen zwei Diphtonge zusammen: ea/ia (aus germ. -ê- entstanden ahd. hear > hiar, mhd. hier) und eo/io (aus ide. *eu entstanden: ahd. beotan / biotan, mhd. bieten) Das mhd. uo ist die Fortsetzung des ahd. -uo-, das durch die ahd. Diphtongierung des urgerm. –ô1 entstanden ist. Durch ein -i- der Folgesilbe kommt es ggf. zum Umlaut: ahd. guoti > mhd. güete (nhd. „Güte“) Das mhd. -ei- ist Fortsetzung des ahd. -ai-, falls es im Ahd. nicht monoptongiert wurde (also nicht in den Positionen vor h,w,r), so z. B. mhd. stein (nhd. „Stein“). Analog dazu erfolgt auch die Entwicklung des mhd. -ou-, das die Fortsetzung des germ.-au- ist, sofern es in den Positionen vor germ. h und den Dentalen durch die ahd. Monoptongierung nicht zum langen Monoptong ô2 wurde. Bsp. ahd. ouga > mhd. ouge. Fals das Umlautfaktor -i- vorhanden ist, wird ou > öu umgelautet. z.B. ahd. loufit > mhd. 3. Ps. Sg. Präs. StV. er löufet (nhd. „läuft“) Konsonantismus Es handelt sich hauptsächlich um assimilatorische, dissimilatorische und Kontraktionsprozesse, Konsonantenschwund. Auslautverhärtung Es handelt sich um die Neutralisation der Stimmhaftigkeitsgegensätze. Die stimmhaften Verschlusslaute -b-, -d-, -g- werden im Auslaut stimmlos realisiert und durch die Grapheme -p-, -t-, -c- markiert. Beispiele Verben: Inf. geben – 1. und 3. Ps. Sg. Prät. gap Substantive: G. Sg. leides - N. Sg. leit G. Sg. tages - N. Sg. tac Assimilation mb > mm vor Labialen: Bsp. umbe > umme (nhd. „um“) zimber > zimmer nt > nd nach Nasalen: Bsp. G.Sg. lantes > landes (nhd. „Landes“) Konsonantenschwund -h fällt intervokalisch aus: mhd. vâhen > vân (nhd. „fangen“) infolge der Kontraktion: die Gruppen -age-, -ege- > -ei, -ige > î (Schwund des g zwischen Vokalen): 3. Ps. Sg. Präs. er saget > er seit er leget >er leit, er liget > er lît infolge der Dissimilation: Bsp: ahd. honang > mhd. honec (nhd. „Honig“) ahd. kuning > mhd. künec (nhd. „König“) Das ahd. -sk- (-sc-) wird zum Zischlaut -sch-: Bsp.: ahd. skînan > mhd. schînen (nhd. „scheinen“) Häufig tritt ein unorganisches -t- an den konsonantischen Auslaut, besonders nach n: mhd. iergen > iergent (nhd. „irgend“) mhd. nieman> niemant (nhd. „niemand“) mhd. obez > nhd. Obst Mittelhochdeutsche Morphologie Deklination der Substantive Die meisten Veränderungen im mhd. Deklinationssystem sind als Folgen der Reduktion der Endsilben aufzufassen. Die Substantivklassen können aus diesem Grunde nicht mehr nach den "Themavokalen" (stammbildenden Suffixen) a, o, i, u klasifiziert werden: bezeichnend bleibt nur noch die Abgrenzung als "stark" gegen "schwach" (n-Klasse). Die Endungsvokale, die im Ahd. die Kasusbedeutungen trugen, wurden abgeschwächt und ihre Funktion übernimmt der Artikel. Die Funktion der Umlaute zur Markierung der Sg.-Pl.-Opposition wird intensiv ausgenutzt. Bei den Pluralformen gibt es noch kein selbstständiges Morphem für die Kategoerie des Numerus: z.B. die Form ahd. tag-o signalisierte nicht nur den Genitiv, sondern zugleich den Plural gegenüber dem Genitiv Sg. tag-es. Dies führt zu verstärkter Verwendung des Artikels. Übersicht der Deklinationstypen (in Auswahl) A Starke Deklination a-Stämme Mask. Neutr. Sg. Pl. Sg. Pl. 1 tac[78] tage[79] wort wort[80] 2 tages tage wortes worte 3 tage tagen worte worten 4 tac tage wort wort Die Pluralformen wie diu worte, diu lande schwankten eine Zeitlang zwischen der -e- und -er-Pluralendung. Heute besteht bekanntlich ein Bedeutungsunterschied zwischen den Wortformen Worte - Wörter. i-Stämme /Primärumlaut Maskulina Feminina Sg. Pl. Sg. Pl. 1 gast geste[81] kraft krefte 2 gastes geste krefte krefte 3 gaste gesten krefte kreften 4 gast geste kraft krefte Die femininen Formen des G. und D. Sg. können in einigen Fällen auch ohne Umlaut sein, z. B. noete / nôt, flühte / fluht. Bei einigen dieser Formen ist der Umlaut zurückgegangen und es setzten sich die unumgelauteten Formen durch. Bei manchen anderen griff der Umlaut auch auf die übrigen Kasus des Sg. über, bis heute verzeichnen wir z.B. nur die Form drüese (nicht druos) („Drüse“), siule (nicht sûl) („Säule“). Bei einigen Wortformen kam durch das Nebeneinander zweier Formen zu ihrer Bedeutungsdifferenzierung, so z. B. bei stat („Stadt“) / stete („Stätte“). Auch das Wurzelnomen (athematisches Substantiv) naht wies zwei Singular- und Pluralformen auf (Pl. ursprünglich naht, später nähte unter dem Einfluss der i-Stämme = Sekundärumlaut). Die alte Form des Dativs Pl. ohne Umlaut ist im Wort "Weihnachten" < ze den wîhen nahten nachzuweisen. Auch das ehemalige u-stämmige Substantiv hant (Dat. Pl. ahd. hantum, vgl. nhd. vorhanden) ist in die i-Deklination übergetreten. ir/ar-Stämme (Neutra) Sg. Pl. 1 lamp[82] lember[83] 2 lambes lember 3 lambe lember 4 lamp lember ô-Stämme (Feminina) Sg. Pl. 1 gebe gebe[84] 2 gebe geben 3 gebe geben 4 gebe gebe Manche ehemalige schwache Feminina wie z. B. sunne, vrouwe sind in diese Deklination übergetreten. Bei manchen ô-Stämmen treten besonders im G., D. Sg. schwache Endungen auf: erde - erden, sorge - sorgen. Dieser Umstand führt zur Entstehung der sog. gemischten Deklination. B Schwache Deklination Ihre ursprünglichen Endsilben wurden reduziert, so dass die Endung -en bis auf das Nom. Sg. aller Genera und das Akk. Sg. bei Neutra sowohl den Singular wie auch den Plural beherrschte. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der schwachen Deklination ist das en-Genitiv gegenüber dem s-Genitiv der starken Deklination bei Maskulina und Neutra. Maskulina Neutra Sg. Pl. Sg. Pl. 1 han, hane[85] hanen herze[86] herzen 2 hanen hanen herzen herzen 3 hanen hanen herzen herzen 4 hanon hanen herze herzen Reste anderer Deklinationen ter-Stämme: vater, bruoder treten zu den a-Stämmen über, im Plural setzt sich der Umlaut durch: (veter, brüeder, müter, töhter). Das atematische Maskulinum man, behält zwar im Sg. die alten endungslosen Formen (man), weist jedoch daneben allmählich Formen nach den a-Stämmen auf, die durch Analogie zustande kamen: G. mannes, D. manne. Deklination der Adjektive Die Reduktion der Endsilben führt zu einer Vereinfachung ihrer Formen. Wie im Ahd. weisen die Adjektive a) die starke und b) die schwache Flexion auf. a) Man unterscheidet eine nominale und eine pronominale Form. Die nominalen Formen folgen bei Maskulina und Neutra der substantivischen a-Deklination, bei den Feminina der substantivischen ô-Deklination. Das Adjektiv kann entweder attributiv (blint man, blinter man) oder prädikativ verwendet werden, in prädikativer Stellung ist die unflektierte Form (der man ist blint) üblicher. Maskulina: Sg. Pl. 1 blint, blinder blinde[87] 2 blindes blinder 3 blindeme[88] blinden 4 blinden[89] blinde b) Die schwache Deklination folgt der Deklination der substantivischen n-Stämme. Bei allen Genera: Sg. Pl. 1 blinde[90] blinden 2 blinden blinden 3 blinden blinden 4 blinden blinden Steigerung Die Endungen der ahd. Komparativ- und Superlativsuffixe -iro, -ôro bzw. -isto, -ôsto werden zu -er und -est abgeschwächt, ihre Doppelformen fallen also zusammen. Der bereits in ahd. Zeit realisierte Primärumlaut wird zum Charakteristikum der Steigerung. Doch verzeichnet man in mehreren Fällen umgelautete Formen neben den unumgelauteten: lanc - langer - lenger. Konjugation der Verben Starke Verben (Schema) Verfolgen Sie bitte die Abschwächung der Silben in unbetonten Positionen (Nebensilben, Endsilben) gegenüber den althochdeutschen Formen. Ablautreihe Inf. 1.3.Ps.Sg.Prät 2.Ps.Sg.Prät. 1.Ps.Pl.Prät. Part. Prät. 1a 1b rîten zîhen reit zêch du rite du zige riten zigen geriten gezigen 2a 2b biegen bieten bouc bôt du büge du büte bugen buten gebogen geboten 3a 3b binden werfen bant warf du bünde du würfe bunden wurfen gebunden geworfen 4 nemen stelen[91] nam stal du naeme du staele nâmen stâlen genomen gestolen 5 geben gap du gaebe gâben gegeben 6 tragen wachsen truog wuochs du trüege du wüechse truogen wuochsen getragen gewachsen 7 reduplizierte Verben halten lassen scheiden hielt lies(s) schiet du hielte du lies(s)e du schiede hielten liesen schieden gehalten gelassen gescheiden Schwache Verben Während im Ahd. noch drei Klassen schwacher Verben zu unterscheiden sind, kommen diese Unterschiede im Mhd. nur noch wenig zur Geltung. Infolge der Reduktion der Endsilben fallen alle drei Klassen in eine (Endung -en) zusammen. Ahd. Mhd. Nhd. Kl.I -en (ehem. -jan-Verben) nerjen -en „retten“ Kl.II -ôn lobôn „loben“ Kl.III -ên lebên „leben“ Die alten -ôn- und -ên-Verben weisen im Präsens wie auch im Präteritum keinen Umlaut auf: Beispiel: Prät. 1.,3.Ps.Sg.Prät. lobôta (Suffix –ta + Reduktion der Endsilben) > mhd. lobete Formen (in Auswahl): Präsens Präteritum hoeren Sg. Pl. Sg. Pl. 1 hoere hoeren hôrte hôrten 2 hoerest hoeret hôrtest hôrtet 3 hoeret hoerent hôrte hôrten Präterito-Präsentien Hinsichtlich ihrer Funktion und Zuordnung den Klassen der starken Verben bleibt der althochdeutsche Stand erhalten, infolge der Reduktion der Endsilben kommt zu leichter Veränderung ihrer Formen (farbloses e). Ablautreihe Inf.,1.,3.Ps. Pl. Präs. Ind. 1.,3.P.Sg.Präs. Ind. 2. P.Sg.Präs. Ind. 1.,3.Ps.Sg.Prät. Ind. Part. Prät. 1 wizzen weiz weizt wisse/wiste gewist 2 tugen /tügen touc --- tohte --- 3 gunnen/günnen[92] gan ganst gunde gegunnen 3 kunnen/künnen kan kanst kunde --- 3 durfen /dürfen darf darft[93] dorfte bedorft 3 turren/türren[94] tar tarst torste --- 4 suln/süln/soln sal /sol salt /solt solte /solde --- 5 mugen/mügen mac maht mahte/mohte --- 6[95] muozen/müezen[96] muoz muost muose /muoste --- Atematische Verben Kennzeichnendes Merkmal: Vereinfachung ihrer Formen infolge der Reduktion der Endsilben. sîn Ind. Präs. Ind. Prät. Sg. Pl. Sg. Pl. 1 bin birn, sîn was wâren 2 bist birt, sît waere wâret 3 ist sint was wâren Das Präteritum wird mit Hilfe der Formen des stV. wesen gebildet. tuon Ind. Präs. Ind. Prät. Sg. Pl. Sg. Pl. 1 tuon, tuo tuon tete[97] tâtum[98] 2 tuost tuot taete[99] tâtet 3 tuot tuont tete tâten gân, stân (bairische und fränkische Nebenformen gên, stên) Die Präteritalformen wurden durch Substitution von den starken Verben ahd. Inf. gangan (Prät.ahd. giang, mhd. gienc - 7. Klasse) und ahd. Inf. stantan (Prät. ahd. stuont, mhd. stuont - 6. Klasse) gewonnen.[100] LITERARISCHER EXKURS MITTTELHOCHDEUTSCHE WELTLICHE LYRIK Zum Wesen des (deutschen) Minnesangs Minne ist die erotische Beziehung eines Mannes zu einer Frau. Minnesang ist das sprachlich-musikalische Vorführen des Werbens eines Mannes (Ritters) um eine Frau (Dame) im Umkreis der höfischen Gesellschaft. Ziel ist die Liebeserfüllung; durchaus die körperliche Unio der Liebenden (der Minnenden). Die Direktheit dieser Formulierung wird jedoch dadurch abgeschwächt und auf die Ebene der Wunschvorstellung transponiert, dass die Dame im klassischen Minnesang immer als Unerreichbare, Hochgestellte gedacht wird. Minnesang ist also ein Zeremonialhandeln, das „sprachliche Nachahmen“ einer Mann-Frau-Beziehung, die neuartig definiert wird: Als ein lebenslanger Dienst an der Dame und für die Dame. Die Dame stellt für den Ritter eine Verkörperung ethischer und erotischer Qualitäten in einem idealen Maße dar, sie erscheint dem Ritter als ein Ideal. Deshalb ist auch der Lohn; die körperlich-geistige Unio, fast ausschließlich als abstrakte Kategorie gedacht. Gut merken: Minnesang ist also keine Erlebnislyrik, kein Zeugnis wirklicher Beziehung, es ist eine völlig abstrakt aufgefasste Kunst. Unser heutiges Verständnis der Liebeslyrik als Widerspiegelung des momentanen seelischen Zustandes eines Liebenden müssen wir beim Minnesang vergessen. Folgende Momente seien als Unterstützung der These, Minnesang ist eine abstrakte Kunst, ein „sprachlicher Volzug des körperlich nicht Vollzogenen“ (Hugo Kuhn) angeführt: 1. die völlig befremdende Namenlosigkeit der Dame; 2. die Aufführung des Minnesangs immer im Rahmen der höfischen Gesellschaft, auf dem höfischen Fest, der Minnesänger beruft sich immer auf ein Publikum; 3. Vortrag der Lieder durch einen professionellen Sänger. Diese Formulierungen leuchten ein, dass Minnesang auch wichtige literaturexterne (außerliterarische) Funktion ausübte, Minnesang war weit mehr als eine literarische Kunst: 1. Abgrenzung gegenüber den anderen Gesellschaftsschichten, vor allem der Kirche; 2. Festigung des Selbstwertgefühles der neuen Ritterschicht, Adelsschicht. Integrative Funktion. Hier ist auf eine geradezu gestalterische Rolle des Minnesangs aufmerksam zu machen. 3. ethische Funktionen, didaktische Funktion – Der Ritter bemüht sich, immer vollkommener zu werden, seine Tugenden vor der Dame und durch den Einfluss der Dame immer zu entfalten. Minnesang als Rollenlyrik Die einzelnen Rollen, die des Ritters, die der Dame und die der Gesellschaft, sind genau festgelegt. Mit reicher Variationsfähigkeit versucht der Minnesänger, dieselben Rollen immer neu zu formulieren und zu akzentuieren. (Identifikationsmöglichkeit mit den einzelnen Rollen für die Mitglieder der höfischen Gesellschaft.) Minnesang ist Zeremonialhandeln, ein höfisches Ritual. Auf eine rituelle Art zelebriert, preist der Ritter seine erwählte Dame vor dem höfischen Publikum. Er spricht über ihre Schönheit und Tugenden und über die Unmöglichkeit, sich an sie anzunähern, daraus folgt das charakteristische Leid, die Pein der höfischen Liebe (im klassischen Minnelied). Dieses Zeremonial hat mit der Echtheit des persönlichen Erlebnisses nichts zu tun, die Dame ist bis zur völligen Fiktion idealisiert. Zu den Rollen: - Die Dame Bezeichnung: vrouwe „Herrin, Dame“ Akzentuierung des gesellschaftlichen Ranges, eine Adelige wîp „Frau“ Akzentuierung ihrer erotischen Ausstrahlung, ihrer Schönheit diu guote, diu beste eine hyperbolische Umschreibung Sie ist immer namenlos (Identifikationsmöglichkeit mit dem Ideal). Die Tugenden der Dame: In Absehung von jeder Realität war die Dame als ideale Verkörperung des höfischen Wertesystems dargestellt. Sie ist: schoen, guot, kiusche, reine, staete, triuwe. Sie besitzt: mâze, zuht, êre, wirde, werdekeit. Als ein Beispiel, wie die Dame gepriesen wurde, sei hier die erste Strophe des Liedes „Si ist ze allen êren“ Heinrichs von Morungen angeführt: Si ist ze allen êren Si ist ze allen êren ein wîp wol erkant, schoener gebaerde, mit zühten gemeit, sô daz ir lop in dem rîche umbe gêt. alse der mân wol verre über lant liuhtet des nachtes wol lieht unde breit, sô daz sîn schîn al die welt umbevêt, als ist mit güete umbevangen diu schône. Dês man ir jêt, si ist aller wîbe ein krône. Ona ve vší své ctnosti je paní překrásnou, okouzluje svou krásou, chováním, dvorností, chválí ji celá říše, všechna se koří jí. Tak jako měsíc z dáli září tmou, prosvěcuje čas noci jasnou světlostí a jeho bílý svit nad zemí sní – tak září ona dobrem nad celým krajem. každý to ví, je korunou všech žen a rájem.[101] - Der Ritter Bezeichnung meistens: ich Ein Angehöriger des Hofes. Im Unterschied zu der Dame befindet er sich erst auf dem Weg zur Vollkommenheit. Er bemüht sich darum, die genannten Werte, insbesondere die staete und die triuwe, zu realisieren. Sonst ist die Rolle des Ritters nur aus der Rolle der Dame definierbar. - Die Gesellschaft - positive Mitglieder: friunde - negative Mitglieder, die das Minnepaar, vor allem die Minnedame überwachen: huote, merkaere - die Verleumder, die das Minnepaar durch Verleumdung gefährden, sie wollen, damit sich die Liebenden verfeinden und verleumden sie: lügenaere, nîdaere. Peotik des Minnesangs Das klassische (hohe) Minnelied beschreibt immer die Situation, wann die Bitte um Erhöhung von der Dame noch nicht erfüllt ist: trûren, swaere. Den Inhalt des Liedes bildet immer das Bitten des Mannes (an die Dame) um Erhörung. Dieses Bitten erfolgt in einer gut überlegten Argumentation. Die Atmospäre und die Idee der Minne als einer völligen Sich-Auslieferung an die Dame, einer völliger Unterordnung der Dame, illustriert sehr anschaulich das folgende Lied: DIETMAR von AIST: Lied XVI[102] 1. Strophe Ich suchte guter Freunde Rat, der allerbeste hat mir dennoch nicht gut geraten. Wahrhaftig, ich weiß nicht, warum er das unterläßt, mein Herz meine ich, das vor allen Freunden raten soll. Es riet den Sinnen, daß sie mich und sich selbst (zum Dienst) verleiten bei einer sehr tugendreichen Frau. Die ist mir lieber als ich ihr. Deshalb bin ich traurig. 2. Strophe Bei mir weilt viel Ungemach, meine allerbeste Freude liegt dagegen ganz bei der Guten. Wie ungnädig sie zu mir auch ist, so will dennoch mein Herz nirgendwo anders hin als zu ihr. Es hat mich ihretwegen ganz verlassen und will ihr untertan sein. Was habe ich mir an ihm herangezogen! Es handelt gerade wie die Tochter, die ihre liebe Mutter betrogen hat. Minne und Minnesang – eine thematische Abgrenzung Der mhd. Begriff minne hieß, abgeleitet vom ahd. Wort minna, zunächst „freundliches Gedenken“ – dies galt für die Beziehung der Menschen zu Gott oder für die Beziehung der Menschen untereinander in karitativer, freundschaftlicher, erotischer oder sexueller Hinsicht.[103] Im deutschsprachigen Raum begann sich dieser Begriff erst ungefähr in der Mitte des 12. Jahrhunderts in seiner Bedeutung differenzieren. Wenn man seinen Stellenwert in der Literaturgeschichte abgrenzen möchte, muss man das Augenmerk auf die kulturellen, sozialen und ökonomischen Veränderungen auf dem deutschsprachigen Gebiet richten, die einen geistesgeschichtlichen Umbruch einleiten. Im weltlichen Bereich beobachten wir einen Aufstieg einer neuen Adelsschicht – des niederen Adels – der Ministerialität, eigentlich ein „engeres Zusammenrücken verschiedenster Adelsstände an größeren Machtzentren. … Verbunden damit ist eine neue Ich-Entwicklung, also eine Entwicklung des ritterlichen Bewusstseins, sind neue Formen der Emotionalität, eine Sensibilisierung und Öffnung für ästhetische Werte“.[104] Im Gegensatz zu der Schicht des Klerus (Kleriker, Priester, Bischöfe – also der kirchlichen Hierarchieordnung) entsteht ein revolutionär neuartiges Menschenbild: in einfache Worte überleitet: ein Ritter möchte seine weltliche Lebessform literarisch zum Ausdruck, zur Sprache bringen, er möchte für seine Lebensform, für die er in der sakralen Literatur wenige, begrenzte Ausdrucksmittel fand, beschreiben. Er möchte sich definieren, auch in seinem Verhalten und seiner Beziehung zu einer adeligen Dame, aber auch zu seiner höfischen Umgebung, den Mitmenschen. Dieses Streben mündete im Bereich der Lyrik in den Minnesang (Mann–Frau–Beziehung im höfischen Milieu), im Bereich der Epik in den sog. höfischen Roman (Hartmann von Aue – um 1200, die ersten, auf französischen Vorbildern beruhenden Romane Erec und Iwein). Es muss gleich einleitend betont werden, dass Minnesang für den höfischen Mann eine Art Zeremonial bedeutete, ein Vorbildfunktion ausübte: etwa in der Art: so soll sich ein höfischer Mann gegenüber eine Frau, die ihm und der Gesellschaft gefällt, verhalten. Der Vortrag eines Minneliedes war immer etwas festliches, zeremonielles, drückte das Selbstwertgefühl eines Ritters, der sein Bestes, seine besten Eigenschaften, der höfischen Frau anbietet: vor allem Beständigkeit und Treue der Bindung. Verbunden ist ein solcher Vortrag immer mit hohem ästhetischen Anspruch: Minnesang war nicht nur eine Form, einer Dame Bewunderung auszusprechen, sondern eine hohe Kunst, die die Adelsschicht, wie auch der höfische Roman, repräsentierte. Minne, Minnevorstellung im 12. Jahrhundert Wir sprechen über diesen Begriff, der nur inmitten einer höfischen Gesellschaft zu seiner Blüte kam. Aus der höfischen Gesellschaft ist er hervorgegangen, das dürfen wir nicht vergessen. Es deckt sich mit dem Begriff amour courtois, der aus Frankreich übernommen wurde (Trobadordichtung in Frankreich). Der Begriff Minne repräsentiert die Selbstbestimmung und die Vorstellungswelt, die Werte dieser und nur dieser Gesellschaft. Der adelige Mensch möchte sein Verhalten, seine Lebensform, zu der auch die neue literarische Kunst gehört, nach außen abgrenzen von der Schicht des Klerus und der Bauern. Es wird also ein revolutionär neuartiges Menschenbild geboren! Was haben die unterschiedlichen Minnevorstellungen der Minnesänger gemeinsam? „Minne ist die liebende Beziehung eines höfischen Mannes zu einer höfischen Dame. Beide repräsentieren in sich höfische Werte: Ein Mann wählt eine Frau nach deren Wert, der sich in ihrer Schönheit und erotischer Ausstrahlung kundtut.“ (Hahn, 1995). Wert meint auch die Summe höfischer Qualitäten wie: triuwe „Treue“ staete „Beständigkeit“ zuht „Wohlerzogenheit“ maze „angemessenes Verhalten“ ere „gesellschaftliches Anerkanntsein“ etc. Diese Qualitäten werden in der Frau in der Regel als bereits vorbildlich, ideal verwirklicht angesehen. Spuren dieses Verhaltens, das damals als höfisches Verhalten bezeichnet wurde, sind auch in der heutigen Gesellschaft zu finden. Wir bekamen vieles aus dieser Zeit mit unserer Erziehung eingepflanzt: z. B. hilfreiches Benehmen gegenüber einer Frau, Begriffe wie höfliches Benehmen, höfliche Konversation, Höflichkeitsformeln – diese Normen wurden seit dem späteren Mittelalter auf die breiteren Schichten der Gesellschaft übertragen. Ein wichtiges Moment: In der Regel wird der Mann so ausgemalt, dass er sich erst auf dem Weg zu der Verwirklichung dieser Werte befindet. Die Frau akzeptiert die Werbung des Mannes, achtet jedoch auf seine êre, deshalb existieren verschiedene Stufen und Arten, auf die sie ihm ihre Gunst (Gewogenheit) – prizen – zu erkennen gibt: z. B. Freundlicher Gruß, freudliche Erwiderung, das Spiel der Augen und die Mimik – freundliches Zulächeln (der Mann fühlt sich wahrgenommen, erhöht in seinem Selbstbewusststein); ein Treffen in der Einsamkeit; ein Kuß, eine Umarmung, zielend auf eine Unio (d.h. geschlechtliche Vereinigung). Jedes Minnelied trägt diese Vorstellungen im Hintergrund, sie müssen nicht erfüllt werden und auch nicht eigens formuliert werden, aber auch das Publikum weiß, das die höchste Wonne eines Ritters die Unio mit der Dame ist (nicht nur körperliche, sondern auch geistige Vereinigung!). Minnesang will also eine höchst erotische Kunst, nicht eine „spirituelle“, völlig platonische Verehrung der Dame sein.[105] „Die Minne beruht also auf gegenseitiger Wert-Schatzung, die sich als erotischer Impuls vermittelt und letzlich auf die gegenseitige Unio des Paares zielt.“ (HAHN,1995) Noch zugespitzter formuliert: „Der Mann sieht in der Frau seinen Lebenssinn und seine Lebenserfüllung vorgegeben, sie ist sein irdisches summum bonum, sein höchstes irdisches Gut. Es geht in der Minne also nicht weniger als um die fundamentale Frage: Wer bin ich eigentlich? Wozu bin ich da? Und sie wird so beantwortet: Wer bin ich? Meine höchsten Möglichkeiten, das, was ich sein sollte und sein könnte, das tritt mir im Bild der Frau entgegen. Sinn und glückhafte Erfüllung meines Lebens bieten sich mir an, indem ich es als lebenslange Beziehung zu einer Frau lebe, die mir als ein Idealbild menschlicher Möglichkeiten entgegentritt.“ (Hahn, 1995) An dieser Stelle ist es angebracht, ein weiteres Beispiel aus dem deutschen Minnesang (der sich natürlich in Phasen einteilt), aus seiner ersten Phase – der frühen ritterlichen Liebeslieddichtung anzuführen: Meinloh von Sevelingen[106] MF 11,1 Als ich dich loben hörte, da hätte ich dich gerne kennengelernt. Deiner vielen Tugenden wegen zog ich aus, immerzu wallfahrtend, bis ich dich fand. Dass ich dich nun gesehen habe, das berührt dich nicht. Der ist gar hoch geadelt, den du, Herrin, in Dienst nehmen willst. Du bist der besten eine, das muss man dir billig zugestehen. Gepriesen seien deine Augen, sie können, wen sie wollen, sehr huldvoll ansehen. MF 15,1 Sehr schön und ehrenhaft, dazu edel und gut, so weiß ich eine Dame, der steht alles wohl an, was sie auch tut. Ich sage dies nicht deshalb, weil ich das Glück genossen hätte, dass ich jemals mit ihr gesprochen oder nahe bei ihr gelegen hätte, Gedanke an die Unio sondern nur, weil meine Augen die offenbare Wahrheit sahen: Sie ist edel und ist schön, in rechtem Maße hochgemut. Wert, erot. Impuls MF 11,14 Dir bietet (einer) seinen Dienst an, dem du, Herrin, so (teuer) bist wie das Leben. Er lässt dir aufrichtig sagen, du habest ihm alle anderen Frauen aus seinem Sinn verdrängt, so dass er keinerlei Gedanken mehr (für sie ) hat. Nur handle deinen Tugenden gemäß und gib mir irgendeinen Rat. Aufforderung an die Du hast ihm geradezu beides umgewandelt, Denken und Leben. Dame, Bitte um Er hat um deinetwillen Hilfe eine ungebrochene Freude völlig für die Traurigkeit hingegeben. „Die Minnebeziehung kann zwischen zwei Unverheirateten angesetzt sein. - Sie kann aber auch als ein Dreieckverhältnis gestaltet sein: der Mann wirbt um eine verheiratete Frau. (Beispiel: Tristan verliebt sich in Isolde, die als Frau für seinen König Marke bestimmt ist, Artusepik – Lanzelot als Ritter des Königs Artus - Ginover) - Sie kann in die Ehe münden und hat dann als „Minneehe“ eine besondere Qualität (Erec-Enite), ist nicht weniger revolutionär als die Minne selbst. Das revolutionär Neue dieses Konzepts tritt in aller Deutlichkeit hervor, wenn wie unseren Blick auf die damals geltenden zeitgenössischen Vorstellungen von Partnerwahl werfen: - In der Adelsgesellschaft zielt die eheliche Partnerwahl auf die Macht- und Besitztbewahrung und -vermehrung. Der „Wert“ eines Partners wird in diesen Kategorien taxiert, nicht nach den ethisch- erotischen Qualitäten (Wahlkriterien für die Minne). - Daneben war es in den Adelskreisen üblich, dass sich ein Mann aus sexuellen Gründen eine Nebenfrau, Mätresse hielt. Für die Frauen war dies unzulässig. Das gilt aber nicht für den Minnesang, die Frau zeigt sich als betroffen von der Werbung des Ritters (Frauenlieder, Frauenstrophen). Das revolutionär Neue des Minnebegriffs ist demgegenüber, dass die Minneverbindung als eine Lebenslange, in unverbrüchlicher Treue angesetzt wird und darin als eheartig angesehen wird. Nicht amoreuse Abenteuer, nicht Sexusbetontheit, sondern die Tugenden und der Wert der Partner werden in den Vordergrund gestellt. Die Minne hebt sich von der Sexualmoral der Kirche dieser Zeit stark ab, die den Geschlechtstrieb nur legitimiert sah - als eine gerade noch erlaubte Möglichkeit der Triebbefriedigung, - Ideal war männliche oder weibliche Jungfräulichkeit. Die Minne gerät aber auch auf eine andere Weise noch in eine stärkere Spannung zur kirchlichen Lehre: dadurch dass sie der Frau bei ihrer Vergöttlichung eine gott analoge Stellung im irdischen Leben zuerkennt. Die Frau ist, wenn Minne Minne sein soll, Lebensziel, Lebenserfüllung, Lebensinhalt des Mannes sein. Sie erhebt auf ihen einen Totalanspruch, der zuvor nur Gott zuerkannt wurde. Diese Spannung zwischen zwei Systhemen der Verpflichtung – Frau auf einer Seite und Gott auf der anderen – wird durchaus ernsthaft ausgetragen im Kreuzzugslied. Hier wird versucht, den Konflikt zwischen Dienst dem Gott und dem Dienst an der Frau zu lösen, was äußerst schwierig ist.“[107] Minne gibt es auch in der Epik – z. B. bei Gottfried von Straßburg. An einer der schönsten Stellen in seinem mittelhochdeutschen Versroman „Tristan und Isolde“ schildert Gottfried von Straßburg, ein Meister der mittelalterlichen Rhetorikkunst (hier vor allem der Wortspiele), das Entfachen der Liebe in der Seele der Isolde: der unsterblichen Liebe zu Tristan. Die wichtigste Rolle spielt hier der Liebestrank, den beide auf ihrer Heimschiffart aus Versehen ausgetrunken haben. Dieser Trank verursachte ihre gegenseitige starke Liebe, starke, unwiderstehliche Anziehung. Im folgenden Textausschnitt befinden sich Tristan und Isolde auf der Seefahrt zurück zu König Marke, beide bereits unheilbar von Liebe getroffen. Gottfried von Strassburg: TRISTAN[108] (V. 11965- 12022)[DS1] (Tristan na lodi na cestě ke králi Markovi hovoří s Izoldou, zdá se mu, že je pobledlá a že ji něco trápí. Ještě netuší, že to je láska k němu, z níž Izoldě pobledly líce.) „Was bewegt euch so? Was wisst Ihr?“ (fragt Tristan) (Isolde antwortet):„Mich bewegt, was ich weiß. Was ich sehe, schmerzt mich. Der Himmel plagt mich und die See. Leib und Leben bekümmern mich.“ Sie stützte und lehnte sich mit ihrem Ellbogen an ihn. Das war der Beginn ihrer Kühnheit. Ihre spiegelklaren Augen füllten sich heimlich. Ihr Herz ging ihr über, ihre süßen Lippen wurden voll, ihr Kopf sank ganz nach vorne. Ihr Geliebter umarmte sie ebenfalls weder zu eng noch zu weit, wie es einem Fremden zukommt. Sanft und leise sagte er zu ihr: „Ach, liebliche Schöne, sagt! Was bestürzt euch, was klagt ihr?“ Isolde, der Falke der Liebe, antwortete: „Lameir ist mein Kummer, lameir betrübt mein Herz, lameir schmertzt mich.“ Als sie so häufig lameir sagte, überlegte er und betrachtete sorgfältig und genau die Bedeutung dieses Wortes. Da entsann er sich, dass l´ameir „Liebe“ heißt, l ´ameir „bitter“ und la meir „Meer“. Es schien eine ganze Menge Bedeutungen zu haben. Er überging eine von den dreien und fragte nach den beiden anderen. Er verschwieg die Liebe, ihrer beider Herrin, ihrer beider Trost und Streben. Er sprach von Meer und bitter. „Ich glaube“, sagte er, „ schöne Isolde, Euch bedrücken Meer und Bitternis. Euch missfällt das Meer und der Wind. Ich denke, beides ist bitter für euch. „Nein, Herr. Was sagt ihr? Keines von beiden bewegt mich. Weder Luft noch See missfallen mir. Lameir allein tut mir Weh.“ Als er das Wort begriff, bemerkte er „Liebe“ darin, und er flüsterte ihr zu: „Wahrhaftig, meine Schöne, so geht es mir auch: Ihr und lameir bedrängen mich. Liebste Herrin, liebliche Isolde, Ihr allein und Eure Liebe habt mir die Sinne ganz und gar verwirrt und geraubt. Ich bin vom Wege abgekommen So sehr und weit, dass ich nicht mehr zurückfinde. (…)“ Isolde gesteht seine Liebe zu Tristan Tristan gesteht seine Liebe zu Isolde „Vy stůněte? Nač myslíte?“ (ptá se Tristan) (Izolda odpovídá:)„Nač myslím, tím srdce žhne; co vidím, to mne spaluje nebe, moře mne sužuje; tělo i život jsou břímě mé.“ A tak se jemně opřela o Tristana, svého vazala, a láska obou zaplála. Oči se v slzách topily tak byli láskou opilí a jejich srdce zaplála, a rtů se červeň ujala klonili hlavy k sobě jen a Tristan objal tu, jež z žen mu byla souzena: jak host nezapomněl na počestnost. Zašeptal sladce, tiše: „Aj, sladká krásko, spíše prozraďte mi, proč blednete? Izolda, sokolík lásky té, šeptla: „l´ameir, ta mne tak sužuje, l´ameir, to je mé břemeno l´ameir mi k tobě kloní rameno.“ Když řekla l´ameir tolikrát Tristan se o ni začal bát: „Co asi míní slovem tím? Marně o tom všem přemýšlím l´ameir je láska (Bože chraň!) l´ameir ? snad hořký? l´ameir – oceán ? Přešel „lásku“ a ptát se chtěl na dva významy slova l´ameir, zamlčel Lásku, obou vládkyni bál se jen hlesnout o té bohyni, co je jim útěchou i po níž oba lpěli na „hořkost“ ptal se, na moře, po němž jeli: „Izoldo krásná, myslím, že z hořkosti moře Vaše potíže povstaly: moře a vítr Vám hořký dech vanou k útrobám.“ Ne, pane, ne! Co říkáte? Nic z toho není proklaté, hořce mi moře nevane, to láska, to ta trápí mne. Ještě než větu dořekla, láska Tristana obemkla a velmi tiše zašeptal: „Ó pravda, krásko, lásky žal, l´ameir a Vy, vy jste můj hrob. Jste v srdci mém už z dávných dob, smysly jste tělu odňala, a srdce jste mi přeťala. Tak velice jsem omámen nikdy nebudu uzdraven.(…)“ Mariendichtung, Marienverehrung Eine der weiteren Stränge der mittelhochdeutschen Literatur war die geistliche Dichtung. In erster Linie war es geistliche Lyrik. Das 12. Jahrhundert war eine Blütezeit der Marienverehrung. Zum ersten Mal können wir hier auch persönlich-emotionale Züge entdecken, die in der Verehrung der Maria als Mutter Gottes und Beschützerin sichtlich in den Vordergrund treten. In diesem Jahrhundert, nach lateinisch geschriebenen ersten literarischen Versuchen auf diesem Gebiet, beginnt auch die eigenständige Mariendichtung in deutscher Sprache. Übersicht über die wichtigsten Marienlieder Lyrik 1. Hälfte des 12. Jhs. – das Vorauer Marienlob – Kloster Vorau (Österreich), wo sich die neue Marienfrömmigkeit entwickelte. 2. Das früheste deutsche Marienlied – Melker Marienlied aus dem Kloster Melk (Österreich) – erstes Drittel des 12. Jhs. – 14 Strophen aus je drei Reimpaaren mit dem Refrain „Santa Maria“ – betont ist die Rolle Mariens in der Heilsgeschichte. 3. Von der berühmten Mariensequenz „Ave praeclara maris stella“ des Herrmann von Reichenau (1013-54) gehen zwei deutsche Sequenzen aus, die „Mariensequenz aus Seckau“ (Mitte 12. Jh.) und die „Mariensequenz aus Muri“ (um 1180), mit dem Thema: Maria als reine Jungfrau, Mutter und Fürbitterin bei Gott.[109] Epik 1172 entstand, wahrscheinlich in Augsburg, das erste epische Gedicht „Driu liet von der maget“ (Drei Gedichte von der Jungfrau), Autor ist Priester Wernher. Quelle war das im Mittelalter sehr beliebte apokryphe Evangelium des Pseudo-Matthäus, eine vor der Mitte des 9. Jahrhunderts angelegte Sammlung volkstümlicher Erzählungen mit Maria als Hauptfigur.[110] Ausführliches zum „Melker Marienlied“ Der anonyme Autor arbeitet mit den Metaphern aus dem Alten Testament, die er in jeder Strophe zum ersten Mal in deutscher Sprache auslegt. Maria stellt dar 1. einen Stab, der Mandeln trägt – so gebar Maria Christus (Str. 1) 2. Feuer, das in einem Gesträuch entfacht wurde – Sinnbild für die Jungfräulichkeit Mariens (Strophe 2) 3. Gedeons Lammfell, über den der Regen Gottes ging – so ist auch Maria von der Kraft Gottes überschattet worden und empfing den Gottessohn. (Strophe 3) 4. Meerstern, Morgenrot, ungepflückter Acker, auf dem eine Blume steht „wie die Lilie unter den Dornen“ – Leitstern, Ankündigung der Ankunft Gottes als des Neuen Tages, Unschuld Mariens und ihr edles Wesen - Sinnbild: weiße Lilie (Strophe 4) 5. ein Reis vom Stamme Jesse (geht zurück auf die Prophezeiung von Jesaja) - in vielen späteren Weichnachtsliedern ist dieses Motiv vorhanden 6. verschlossene Pforte, geöffnet für das Wort Gottes, (Metapher für Jungfräulichkeit), weitere Attribute Mariens: eine triefende Wabe (Wachswabe erfüllt mit Honig), wohlduftend… (9. Strophe) 7. versiegelter Brunnen, verschlossener Garten, in dem Balsamum strömt… (Jungfräulichkeit) (Strophe 10) 8. rosa in Jericho – Rose als Symbol für die brennende Liebe zu Gott – rote Farbe in der geistlichen Farbauslegung des Mittelalters (11. Strophe) 9. Maria gleiche der Sonne, aufgegangen in Nazareth (das höchste Attribut, goldene Farbe) (Strophe 13) 10. Pforte des Paradieses, du auserwählte Wohnung Gottes …(14. Strophe) Melker Marienlied[111] 1. Einst auf die Erde legte Aaron einen Zweig. Der gebar Mandeln, Nüsse so herrlich: Diese Süße hast du hervorgebracht Mutter ohne Mannes Hilfe, Sancta Maria. 2. Einst in dem Gesträuche sah Moses ein Feuer. Das Holz brannte nicht die Flamme sah er oben auf, die war lang und groß: Das bedeutet dein Magdtum, Sancta Maria. 3. Gideon, dux Israel, nieder breitete ein Lammfell. Der Himmelstau die Wolle betaute ganz und gar: So kam dir die große Kraft, dass du schwanger wurdest, Sancta Maria. 4. Meerstern, Morgenrot, ungepflückter Acker, darauf steht eine Blume, die leuchtet so schön: Sie ist unter den andern Wie Lilium unter den Dornen, Sancta Maria. 5. Eine Angelschnur ist geflochten, daraus bist du geboren: das war deine Verwandtschaft, der Angelhaken war die Gotteskraft, daran der Tod erwürgt ward: Der ward von dir aufgehoben, Sancta Maria. 6. Jesaias der Prophet, der hat deiner gedacht: Der sagte, wie aus Jesse Stamm Ein Zweig dann wüchse. Draus soll eine Blume kommen, die bedeutet dich und dein Kind: Sancta Maria. 7. Da vermählte sich so herrlich der Himmel mit der Erde, da der Esel und das Rind wohl erkannten das heilige Kind: Da war dieser dein Schoß eine Krippe dem Lamm, Sancta Maria. 8. Da gebarst du das Kind Gottes, der uns alle erlöste seither mit seinem heiligen Blute, von der ewigen Drangsal: Dafür soll er immer gepriesen sein. Gar sehr freuen wir uns an dir, Sancta Maria. 9. Du bist eine verschlossene Pforte, geöffnet dem Gottesworte, du triefende Wabe, plástev, z níž vytéká med du voller Spezereien, plná vybraných pokrmů du bist ohne Galle jsi bez žluči wie die Turteltaube, Sancta Maria. 10. Versiegelte Quelle, verschlossener Garten, darin Balsamum fließt der duftet wie Zynamonium, du bist wie der Zederbaum, den da fliehet der Wurm, Sancta Maria. 11. Cedrus in Libano, Rosa in Jericho, du auserwählte Myrrhe, du duftest so weithin, du bist über alle Engel: Du sühntest Evas Fall, Sancta Maria. 12. Eva brachte uns zweifachen Tod: Der eine herrscht noch immer. Du bist das andere Weib, das uns das Leben brachte. Der Teufel empfahl den Tod: Gabriel verkündete dir das Gotteswort, Sancta Maria. 13. Ein Kind gebarst du als Jungfrau, das herrlichste in aller Welt. Du bist der Sonne gleich, aufgegangen aus Nazareth, Jerusalem gloria, Israel laetitia, Sancta Maria. 14. Königin des Himmels, Pforte des Paradieses, du auserwähltes Gotteshaus, Sacrarium sancti spiritus, erweise du uns allen Hilfe, zuletzt am Lebensende, Sancta Maria.[112] Weltliche Epik Charakteristik des höfischen Romans und seiner Grundstruktur Der höfische Roman ist als ein künstlerisches Werk aufzufassen. Auf eine künstlerische Art malt er vor uns an seinem Ende ein Idealbild eines Ritters aus. Der höfische Roman ist also nicht eine Widerspiegelung historischer Wahrheit und des tatsächlichen Lebens der Adelsschicht. Er ist vielmehr ein Medium, an dessen Ende ein Wunschbild der idealen ritterlichen Lebensform präsentiert wird. Soviel als erster Horizont für die Gattung. Der Begriff des „höfischen Romans“ Mit dem Terminus „höfisch“ meint man nicht nur, das diese Gattung auf dem Hof entstanden ist und dort vorgetragen wurde; mit dem Attribut „höfisch“ meint man, dass diese Gattung einer am „Hof“ entstandenen bestimmten Lebensvorstellung, Lebenshaltung, Lebensform, bestimmten Wertvorstellungen, einem bestimmten Menschenbild, einem Bildungsideal Ausdruck gebe. Vertreter de Gattung in Deutschland Die vier Hauptverteter sind: - „Erec“und „Iwein“ des HARTMANN VON AUE - „Parzival“ WOLFRAMS VON ESCHENBACH und - „Tristan und Isolt“ GOTTFRIEDS VON STRAßBURG. Sie bringen nicht nur höfische Vorstellungen zum Ausdruck, sondern tun dies in einem bestimmten Erzählstoff. Es handelt sich um den Artus-Stoff. Der Artusstoff Dem „Erec“, „Iwein“ und „Parzival“ im deutschen Bereich und ihren Vorbildern im französischen Bereich liegt eine bestimmte Stoffwelt zugrunde. „Artusstoff“, das soll heißen: die Protagonisten der Romane sind entweder von Anfang an Ritter des König Artus, Mitglieder seines Hofes, der sich in prächtigen Hoffesten (meist zur Pfingstzeit) darstellt, sie sind Mitglieder seiner Tafel, die als rund vorgestellt wird und eine ranggleiche enge Gemeinschaft symbolisiert – oder sie werden durch ihre ritterlichen Leistungen zu Artusrittern. (Ersteres gilt für Iwein, Letzteres für Parzival - erst durch seine Taten erlangt er die Würde eines Artusritters.) „Die Haupthelden reiten zu Waffen und Minne-Taten aus in die nicht-arturische Welt, die sich selbst - als eine Ritterwelt darstellt, die der arturischen Welt allerdings unterlegen ist, mit deutlich negativen Kennzeichen versehen. - oder als eine phantastisch-monströse Gegenwelt von Riesen, Zwergen, Zauberschlössern und Zaubergegenstände meist negativen Charakters. (Positiv ist lediglich der Löwe Iweins.) - die Hauptprotagonisten kehren dazwischen und auch am Ende wieder in die Artusrunde, zu Artus zurück, und erfahren diese Einkehr als Auszeichnung vom exklusiven Rang.“ (HAHN 1995) Dieser Artusstoff dominiert über einige Jahrzehnte besonders in Frankreich und Deutschland nahezu völlig, neben dem Artusstoff handelt es sich um den Karl-Roland–Kreis oder um Alexander-Stoff oder Troja-Stoff. Alexander als der beste Ritter, der antike Epos Homers über die Zerstörung der Troja wird im Mittelalter immer wieder bearbeitet und war sehr beliebt, beides haben wir auch in der alttschechischen Literatur: Alexandreis (Ende des 13. Jhs.), Kronika Trojánská (14. Jh.) Die Bedeutung des Artusstoffes überdauerte bis zum heute: die neuzeitlichen Artus-Verfilmungen. Die deutschsprachige Lyrik und Epik in Böhmen: Auf dem Hof der letzten Přemysliden Der Prager königliche Hof war ein Ort der Blüte der höfischen Kultur. Für die böhmischen Könige war die Unterstützung (Mäzenat) der höfischen Literatur ein Zeichen der Ehre und Representation ihres Hofes. Prag entwickelte sich seit den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts bis zum Tode des Wenzel II. zu einem bedeutenden kulturellen Zentrum der höfischen Lyrik und Epik und der geistlichen Literatur deutscher Sprache. Symptomatisch ist, dass diese Entwicklung wohl auch die Entstehung der ersten wichtigen Werke der alttschechischen Literatur stimulierte, der alttschechischen Alexandreis und der Reimchronik des sogenannten DALIMIL. Die alttschechische Alexandreis entsteht in einem unmittelbarren Zusammenhanmg mit der deutsch geschriebenen Alexandreis. Die Reimchronik des sogenannten DALIMIL ist als eine Reaktion auf die politischen Wirren im Land um das Jahr 1309 nach dem tragischen gewaltsamen Tode des Wenzel III. aufzufassen und hat deutliche antideutsche Züge. Sie setzt sich für den tschechischen Adel gegen dem reichen deutschen Patriziat im Land und für ei starkes Königtum ein. Nichts desto weniger ist die Rolle der deutschsprachigen Autoren auf dem böhmischen Königshof unübersehbar und hat nicht nur für die damalige deutsche Literatur, sondern auch für unsere Länder eine wetreichende Bedeutung. Die ersten Autoren, welche auf dem Prager Hof der přemyslidischen Könige die höfische Literatur pflegten, sind Lyriker. Sie verfassten jedoch nicht Minnesang mit seiner klassischen Gattung „Hohes Minnelied“. Es muss vorausgesetzt werden, dass diese Lieder im Prager Milieu bekannt wurden. Die folgenden Persönlichkeiten lebten zeitseise oder eine zeitlang auf dem böhmischen Königshof und schufen in deutscher Sprache lyrische oder epische Werke vom höchsten Rang. DIE LYRIKER REINMAR VON ZWETER Er stammte aus Rheinland. In den Jahren 1237 – 1241 wirkte dieser Dichter auf dem Hof des böhmischen König Wenzel I. Danach weilte er wohl an verschiedensten Höfen in Deutschland. Seine Lebensspur endet im Jahre 1248. Er schuf einen geistlichen Leich zum Lob der Heiligen Trinität. In seinem weltlichen Schaffen, das als allgemeine Betrachtungen zu verschiedenen aktuellen Themen bezeichnet werden kann (Spruch, Sprüche), befasst er sich mit der höfischen Liebe, mit der Lehre über die höfischen Tugenden, mit der Lehre über ein richtiges Verhalten des ritterlichen Mannes, mit politischen Themen und mit Rätseln, die damals als Gattung sehr beliebt waren. MEISTER SIGEHER Er wirkte ebenfalls auf dem Hof des böhmischen Königs Wenzel I. und dann auf dem Hof des Přemysl Ottokar II. Über seine Herkunft wissen wir nur wenig, er stammt wohl aus dem deutschen Süden oder aus Österreich. Auf den Prager Hof kam er noch zu Lebzeiten WenzelS I. vor dem Jahr 1253. Er ist Autor des geistlichen Leichs über die Jungfrau Maria (s. weiter unten in der Textanlage). Die Mehrheit seiner Sprüche besingt die Tugenden und die Tapferkeit seines späteren Herrn Přemysl Ottokar II. Er vergleicht ihn sogar mit Alexander dem Großen, der im Mittelalter allgemein als Vorbild der Ritterlichkeit galt. FRIEDRICH VON SONNENBURG Er stammt aus dem gleichnamigen Kloster in Pustertal bei Brixen in Südtirol. Er weilte auf dem Prager Königshof wohl bereits unter dem Wenzel I., dann auf dem Hof des Přemysl Ottokar II. In seinen lyrischen Strophen besingt er seinen Herrn, den König Přemysl Ottokar II., den er mit vielen berühmten Persönlichkeiten vergleicht (z. B. mit dem sagenhaften persischen König Cosdras oder mit dem berühmten arabischen Heerführer Saladin aus der Zeit der Kreuzzüge). Der böhmische König WENZEL II. verfasste selbst drei Minnelieder in deutscher Sprache. In den ersten zwei wählte er sich zum Thema den Grundgedanken der höfischen Liebe: eine Minne, die nicht erhörbar ist. Der Liebende erlebt diese Minne als eine geistige Extase. Das dritte Lied ist ein spätzeitlichesTagelied mit dem Motiv des bestechlichen Wächters. Aus der geistlichen Literatur ist in erster Linie auf die Fortsetzung der Marienverehrung hinzuweisen. Es entwickelte sich auch hier Marienlyrik vom höchsten künstlerischen Rang. Als Beispiele sind der Marienleich des Meisters Sigeher und der Marienleich Heinrichs von Meißen-Frauenlobs anzuführen. Heinrich von Meißen – Fraunelob soll nach der heutigen Forschungsmeinung seinen Leich dem böhmischen König Wenzel II. als eine Art Liedes zu seiner persönlichen Frömmigkeit gewidmet haben.[113] DIE EPIKER ULRICH VON DEM TÜRLIN Sein Aufenthalt auf dem Prager Hof ist nicht bewiesen. Sein Werk, das Epos „Willehalm-Arabel“, befasst sich mit den Schicksalen des provencalischen Markgrafen Wilhelm und seinen Schicksalen in der Zeit der Kreuzzüge. Er nimmt am Ende eine Heidin zur Ehefrau, die Arabel heißt und die sich schließlich auf den christlichen Namen Gyburg taufen lässt. ULRICH VON ETZENBACH Er war der Hofepiker am böhmischen Königshof des Přemysl Ottokar II. In dem „Land des Löwen“, wie er selbst formulierte, bereits geboren, schuf er seine Werke seit den 70. Jahren des 13. Jahrhunderts. Für seinen Herrn und Mäzenen schuf er den Roman über Alexander den Großen. Dieser Roman widmet sich der Zentralfigur des Alexanders in mehrerer Hinsicht: als ein Abenteuerroman bearbeitet dieses Werk die lebensgeschichte Alexanders, die Handlung ist jedoch von vielen höfischen Motiven, Elementen und Szenen durchwoben, die sich auf den Hof des böhmischen König beziehen. Der Roman diente in dieser Hinsicht der Repräsentation des Königs. Der mächtige böhmische Herrscher Přemysl Ottokar II. ist mit dem mächstigsten Heerführer aller Zeiten ALEXANDER DEM GROßEN verglichen. Für den böhmischen König Wenzel II. schuf Ulrich von Etzenbach dann den Roman „Willehalm von Wenden“. Es ist ein Werk mit legendenhaften Elementen, mit dem Hauptmotiv der Bekehrung zum christlichen Glauben. Auch hier finden sich zahlreiche Motive, die als Vergleiche zurück zum König Wenzel II. führen. Die Hauptintention des Werkes ist also nicht bloß Unterhaltung, sondern Repräsentation. LEGENDE Zu der geistlichen Epik reihen wir HEINRICH CLÛSENÊRE (KLAUSNER), der in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts lebte und wohl eine Zeitlang auf dem böhmischen Przemyslidenhof in Prag wirkte. Wir besitzen sonst keine Lebensdaten oder Indizien aus seinem Leben. Er schuf für den jungen König Wenzel II. eine auf Mittelhochdeutsch geschriebene Marienlegende. Zum Inhalt der Marienlegende In einer bischöflichen Stadt lebte ein Kleriker, der nur seine Mutter hatte. Er ging auf die Schulen und lernte gut. Am liebsten hatte er jedoch die Jungfrau Maria; wo auch immer er ihr Bildnis sah, kniete er nieder und betete Vaterunser und Ave. Jedes Jahr fastete er an den vier Marianischen Hauptfesten bei Wasser und Brot. Am 15. August, dem Fest der Himmelaufnahme Mariens, gingen die Kleriker in den Dom singen. Unser Kleriker war jedoch so arm, dass er keine Schuhe hatte. Deshalb wurde er aus der Kirche rausgeschmissen. Als auch sein zweiter Versuch, in die Kirche hineinzudringen, scheiterte, machte er der Jungfrau Maria Vorwürfe, dass sie ihm nicht zur Hilfe kam. Er sagte, obwohl zunächst kein Wunder passierte: „Obwohl du mir nicht geholfen hast, werde ich beten und dich in meine Gebete hundertmal kleiden.“ Er betete vor dem Bild der Jungfrau Maria 600 Ave-Gebete. Als er mit seinem Gebet fertig war, sah er, dass vom Bild eine herrliche Frau niedersteigt. An ihrem Kleid prangten 600 Ave-Gebete, die mit einem goldenen Zwirn gestickt waren. Die Mutter Gottes wollte dem Jungen einen Wunsch erfüllen – sie gab ihm die Wahl: entweder wird er Bischof und bleibt 30 Jahre in seinem Amt, oder er kommt er schon in drei Tagen in das Reich Gottes. Der fromme Junge wählte die zweite Möglichkeit. Für seine Treue belohnte die Mutter Gottes den Jüngling in besonderer Weise: sie weihte ihn in das Geheimnis ihrer Himmelsaufnahme. Sie gebot (befahl) dem Jungen, dass er diese Geschichte der ganzen Welt erzählt. Der Klostervorstand glaubte es zunächst dem Kleriker nicht, dann aber warf er sich vor ihm auf Knie und bat ihn um Verzeihung für seine Härte. Der Kleriker starb im Haus seiner Mutter am dritten Tag, wie von der Jungfrau Maria vorausgesagt wurde.[114] Textausschnitt aus dem Marienleich des Meisters Sigeher (13. Jh.) 1. Maria, Mutter und Jungfrau, du hast den höchsten Ruhm errungen, [: Kaiserin der Vortrefflichkeit :], Du Süße über alle Süße, der ganzen Welt ist deine Süße zugeteilt, [: Königin des Heiles schwanger :]. Du Zederbaum, du Balsamduft, du herrlich Lilienfeld, du Himmelsstreif, du Tag des Heils, geliebtes Spiegelbild für Gott. 2. Dich preisen die hohen Schulen der Musik, und die gar lieblichen Gesänge, [: Kaiserin an Vortrefflichkeit :], die preisen die Saitenspiele, die Schellen und die Orgeln, [: Königin des Heiles schwanger :]. Du Ölbaumzweig, du Muskatnuss, du dreifältiger Schrein des Sakraments du Sonnenglanz, du Liebesblitz, von dir gehen fromme Reden. 3. Du Licht hoch überm Licht der ganzen Welt, die Sterne können sich mit dir nicht messen, [: Kaiserin an Vortrefflichkeit .]. Dass du so lieblich bist, des freut sich all der Engel Schar, [: Königin des Heiles schwanger :]. Du Saitenklang, du Herrschersitz, du hoch schwebende Krone, du Himmelslied, du Schule der Sittsamkeit, dir kommt ein Königsthron wahrhaftig zu…. [115] IV. KAPITEL Frühneuhochdeutsch (1350-1650) Frühneuhochdeutsch ist eine Sprache der Übergangszeit während gesellschaftlicher Umwandlungen. Die Bedeutung der Städte und städtischer Bevölkerung nimmt immer mehr zu. Sie führt zu neuer, anderer Strukturierung der Gesellschaft. Die Folge dieser Entwicklung ist eine tiefgreifende neue Differenzierung der Sprache, im Besonderen dann die Entstehung von Fachsprachen (vor allem der Geschäftsprache). Man verzeichnet insgesamt stärkere mundartliche Färbung der Sprache gegenüber der mittelhochdeutschen Literatursprache. Die Zeitepoche, in der man frühneuhochdeutsch sprach und schrieb, nimmt mehrere Stadien ein. Es handelt sich um eine längere Entwicklung, die territorial differenziert verläuft. Diese Ausführungen konzentrieren sich besonders auf folgende Themen, die eine Auswahl in Zeit und geographischem Raum darstellen: 1. Auf das frühe Stadium des Frühneuhochdeutschen mi dem Zentrum Prag und der Kanzlei des Kaisers Karl IV. mit der Hauptpersönlichkeit des JOHANN VON NEUMARKT mit kleiner Auswahl aus seinem Text „Buch der Liebkosung“. Eine weitere Persönlichkeit derselben Zeit ist auch JOHANNES VON TEPLA (SAAZ) mit seinem Werk „Ackermann aus Böhmen“, aus dem auch einige Anfangskapitel zitiert werden. 2. Auf die Persönlichkeit des Kirchenreformators MARTIN LUTHER, seine Sprache und die Sprache seiner Zeit in kontrastiver Betrachtung. 3. Auf die Zeit des Barock und der barocken Literatur mit knapper Auswahl einiger wichtigen und illustrativen Texte. In der Zeit der Herrschaft des Kaisers Karl IV. gelangten die Länder der böhmischen Krone zur größten Blütezeit im Mittelalter, nicht nur in politisch-kultureller Hinsicht. Die Landesverwaltung und politische Organisation des Königtums waren nach den Wirren der Zeit des Vaters Karls, des Königs Johann von Luxemburg endlich stabilisiert und wiederhergestellt. Es begann sich das großartige Konzept Kalrs zu formieren, Prag ins Zentrum des europäischen Geschehens zu stellen. Dies erforderte eine enorme Leistung, die dem Kaiser Karl nach und nach gelang und welche auf einen wohlüberlegten inneren Sinn und Zweck einzelner seiner Schritte hinweisen. Hand in Hand war dies mit dem Aufschwung gleich mehrerer Gebiete der Stadtkultur verbunden: die Herrschaft und ihre Repräsentation erforderte Berufung führender Wissenschaftler, Architekte und Künstler, die Prag einen Charakter der spätmittelalterlichen Metropole verliehen. Denken wir in dieser Hinsicht nicht allein an die neue Architektur (der Bau des St. Veit, der Prager Karlsbrücke, Gründung der Prager Neustadt, der Burg Karlstein bei Prag u.a. m.), sondern an wichtige Neuerungen im Bereich der Verwaltung (Einführung des einheitlichen Kanzleistils und einer Amtssprache, die für diese Zeit als Vorbild galt) und im Bereich der Wissenschaft, Kultur und insbesondere der Literatur (Gründung der Prager Universität, reges literarisches Leben auf königlichem Hof und in den Kreisen um JOHANN VON NEUMARKT.) Ein wichtiges Anliegen des Kaisers war dabei die äußere Repräsentation seines Hofes und Legitimation seiner Macht mit Hilfe der kulturellen Werte, die in Prag geschaffen wurden. In dieser Zeit wurden in den Ländern der böhmischen Krone drei Sprachen als gleichbereichtigte Verständigunsmittel verwendet: Das hochmittelalterliche Latein, das Tschechische und das Deutsche. Dazu muss man noch das bezeugte Jiddisch rechnen, das besonders in Prag lebendig war. Selbstverständlich kam es zu einer inneren Beeinflussung zwischen diesen Sprachen, nicht nur auf der Ebene der Syntax und des Wortschatzes, sondern auch der behandelten literarischen und kulturgeschichtlichen Stoffe und Themen, die einen Korridor bildeten, durch den sie aus einer in die andere Sprachkultur ein und ausgingen. Jeder Gelehrte oder Schriftsteller in unserem Sinne des Wortes beherrschte mindestens diese drei oben angeführten Sprachen in Wort und Schrift. Das Zusammenwirken der Sprachen und Kulturen führte zu einem eigenartigen und sich gegenseitig befruchtenden kulturellen Milieu des spätmittelalterlichen Böhmens und Mährens. Dieses Milieu wurde erst durch die Ermordung des böhmischen Kirchenreformators Jan Hus stark erschüttert. Die weitere gemeinsame Entwicklung von Tschechisch und Deutsch in kultureller Hinsicht wurde durch die anschließende hussitische Bewegung unterbunden, dessen Ausmaß ohnegleichen war und die für das literarische Schaffen in Böhmen eine starke Zuwendung zu der tschechischen Sprache bedeutete. Das Hussitentum ist zu einem großen Teil als eine durchaus berechtigte Reaktion eines Teils des Adels und der städtischen Bevölkerung auf die politisch-religiöse Erniedrigung des Landes zu betrachten. Sie war stark national ausgerichtet. Zwei Jahrhunderte später wurde diese immer noch nicht geheilte Wunde durch den Dreißigjährigen Krieg in der für die böhmischen Stände verlorenen Schlacht auf dem Weißen Berg im Jahre 1621 wieder aufgerissen. Das fruchtbare Zusammenwirken von Tschechisch und Deutsch wurde dann durch die gewaltsame Rekatolisierung, in der die deutsche Sprache Oberhand nahm, so stark erschüttet, dass ein Nebeneinader von Deutsch und Tschechisch zwar überdauerte, eine wahre Symbiose und gegenseitige geistig-kulturelle Befruchtung nicht mehr gelingen konnte, obwohl der Begriff der „Nationalität und nationalen Zugehörigkeit“ im unseren heutigen Sinne noch beiweitem nicht dermaßen wie heute entwickelt war. Das Zusammenwirken von Latein, Tschechisch und Deutsch in dem Maße, das in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts zur Zeit der Regierung des Kaisers Karl IV. seine höchste Blüte erreichte, ist somit nie wieder lebendig geworden. Wichtigste grammatische und lautliche Neuerungen und Kennzeichen (in knapper Auswahl) Lautstand - Vokalismus 1. Frnhd. Dipthongierung: mhd. Langvokale wurden zu den Dipthongen mhd. mîn > frnhd. mein î > ei niuwes > neues iu (ü) > eu hûs > haus û > au Sie beginnt bereits im frühen Mhd (12. Jh.) in Bayern und erreicht bis zum 14. Jh. schon weite ober- und mitteldeutsche Gebiete. Sie wird zum Kennzeichen des Hochdeutschen. Nicht durchgeführt wurde sie z. T. im deutschen Südwesten, im thüringisch-hessischen Sprachraum, im Gebiet um Köln (die alte Form hûs - „Haus“ - bleibt erhalten), im Alemanischen (Schweiz „schwyzerdütsch“, Elsass) haben sich alle Langvokale bis zum Heute erhalten. Auch das Niederdeutsche führte die Dipthongierung nicht durch. 2. Frnhd. Monoptongierung: mhd. Dipthonge wurden zu Langvokalen mhd. lieben > frnhd. lieben[116] ie > [i:] guoten > guten uo > [u:] brüeder > brüder üe > ]y:] Im Oberdeutschen Sprachraum haben die Schreiber an den alten Dipthongen lange festgehalten; diese sind noch heute in den dortigen Mundarten (v.a. im Bairischen) deutlich hörbar: [liab], [guet]. 3. Positionsbedingte Dehnung und Kürzung der Vokale a) Kurze Vokale werden in offener Silbe gedehnt: mhd. sagen, leben, vogel > frnhd. [sa:g∂n], [le:b∂n], [vo:g∂l] Dieser Prozess ist jedoch uneinheitlich verlaufen, man verzeichnet viele Ausnahmen (die Dehnung bleibt vor -m oder -t aus: mhd. himel, gate > dies führt zur Gemination: nhd. Himmel, Gatte. b) Lange Vokale werden in geschlossener (auf einen Konsonant ausgehenden) Silbe gekürzt: z. B. mhd. brâhte > nhd. brachte auch vor Spiranten, die durch die 2. Lautverschiebung entstehen: mhd. lâzen > (Gemination) nhd. lassen mhd. müezen > (Gemination) nhd. müssen 4. die sog. Mitteldeutsche Senkung: Auf dem mitteldeutschen Gebiet kommt es bereits seit der mhd. Zeit vor Nasalen zur Senkung des Kurzvokals u > o, ü > ö so z.B. mhd. sumer, künec > nhd. Sommer, König Diese Veränderung ist in die Nhd. Schriftsprache eingegangen. Morphologie Charakteristikum sind Tendenzen zum Ausgleich der unterschiedlichen Formen im Formenbestand des Nomens und des Verbums. Es herrscht jedoch weiterhin Uneinheitlichkeit, mehrere Formen existieren als Dubletten nebeneinander. Unter vielen Erscheinungen dieser Art konzentrieren wir uns auf die Ausgleichstendenzen im Formbestand des Präteritums der starken Verben. 1a. Ablautreihe: 1.,3.Ps.Sg.Prät.: nhd. ritt statt reit (Ausgleich zugunsten des Plurals und des Part.Prät.) 2.a Ablautreihe[117]: 1., 3.Ps.Sg.Prät. nhd. [bo:g] statt bouc (Ausgleich zugunsten des Part.Prät. gebogen (Dehnung in offener Silbe), wohl auch durch Analogie zu der 2b Ablautreihe 1., 3. Ps. Sg. Prät. mhd. bôt) 3.a Ablautreihe: 1.,3.Ps.Pl.Prät. wir, sie banden, sangen statt mhd. bunden, sungen (Ausgleich zugunsten des Sg.Prät. mhd. bant, sang) 3.b Ablautreihe: eine analogische Entwicklung: wir, sie warfen statt noch mhd. wurfen 4. und 5. Ablautreihe: Die kurzen Präteritalformen der 1., 3 Ps.Sg. Prät. mhd. nam, gap wurden zugunsten des Langvokals des Plurals (mhd. nâmen, gâben) aufgegeben, also: ich, er [na:m], [ga:b] 6. und 7. Ablautreihe: Die Formen sind seit ahd. Zeit ohnenhin im Präteritum einheitlich. 1. und 3. Ps. Sg. [tru:g] statt truog, truoc – frnhd. Monoptongierung Literarischer Exkurs DIE ZEIT DES KAISERS KARL IV.: JOHANN VON NEUMARKT und JOHANNES VON TEPLA (SAAZ) Johann von Neumarkt (Johann de Novoforo, Jan ze Středy), geboren ca. 1315 in Neumarkt bei Breslau (Wroclaw, Vratislav), seit 1347 ist als Notar des Kaisers Karls IV., sein Secretarius und Hofkaplan, seit 1351 auch Kanzler der Königin. Seit 1352 Pronotar und seit 1353 bis 1374 Hofkanzler des Kaisers Karls IV. (mit Unterbrechung in den Jahren 1364-65). Er bekleidete verschiedene Kirchenämter, z. B. das Amt des Bischofs von Litomyšl (seit 1353) und das Amt des Bischofs von Olomouc (seit 1364). Das von ihm gegründete Augustinereremitenkloster in Litomyšl ist auch seine Grabstätte (er starb am 24.12.1380). Johann von Neumarkt unterhielt Korrespondenz mit führenen Geistern seiner Zeit in Europa, z. B. mit dem italienischen Renaissancedichter Francesco Petrarca, den er auf den Italien-Reisen des Kaisers Karls IV. auch persönlich kennenlernte und mit ihm dann auch in Prag zusammentraf, wo Petrarca auf die Einladung des Kaisers kurz weilte. Johann von Neumarkt war ein Förderer und Mäzene der Künste, insbesondere der Malerei.[118] Werke: Deutschsprachige Werke: Es handelt sich um stilistisch hochwertige Übersetzungen der Werke aus Latein. 1. Buch der Liebkosung 2. Stachel der Liebe 3. Hieronymus-Briefe 4. Gebete Lateinische Werke: Für unsere Zwecke sind hervorzuheben die „Briefe“. Johann von Neumarkt unterzog den Stil und die Sprache, in der man Formulare und Anordnungen der Kaiserlichen Kanzlei verfasste wie auch die sämtliche Korrespondenz führte, einer grunlegenden Reform, die z.B. auch von dem führenden italienischen Renaissancedichter Francesco Petrarca gerühmt wurde. Er ließ Mustersammlungen von Briefen und Urkunden verfertigen, die dazu dienten, die Beamten seiner Kanzei und die ihm unterliegenden Notare in den Ländern der Böhmischen Krone im Stil und Begrifflichkeit zu schulen. Dieser Stil beeinflusste nachhaltig den Stil der kaiserlichen Kanzlei und auch anderer Kanzleien. Manche dieser Briefe wurden auch in andere Briefsammlungen übernommen.[119] BUCH DER LIEBKOSUNG (Übersetzung Johanns von Neumarkt) Cap. II. Übersetzung De miseria et fragilitate hominis. Von des menschen vnseld nnd kranckheit. Miser ego, quando poterit obliquitas mea tue rectitudini adequari? Tu, domine, diligis solitudinem, ego multitudinem; tu scilencium, ego clamorem; tu ueritatem, ego uanitatem; tu mundiciam, ego immundiciam sequor. Quid plura, domine? Tu uere bonus, ego malus; tu pius, ego impius; tu sanctus, ego miser; tu iustus, ego iniustus; tu lux, ego cecus; tu vita, ego mortuus; tu medjcina, ego eger; tu gaudium, ego tristicia; tu summa ueritas, (…) ICH dürftiger, wi mag mein vngerehtickeit deiner gerehtickeit sich geleichen? Du hast lip di einickeit vnd ich di vild, du das sweigen vnd ich das geschrei, du di worheit vnd ich di eitelkeit, du die reinickeit [106r] und ich volg der vnreinickeit. Vnd was mer, herr? Du bist worhafticleiclien gut vnd ich böze, du senft vnd ich vnsenft, du heilig vnd ich vnselig, du in der einickeit vnd ich in der vild, du ein liht vnd ich ein blinder, du das leben vnd ich der tot, du di arcztey und icli der siech, du di frewd und ich das betrupnusz, du di holiste warheit (…) LESARTEN: 3 vnd vor ich fehlt M W1 5 alle sulche II, vor sulche am Bande von erster Hand xugefik/t widerbärtige M, so vviderwertige Wi geleich MS Ml 6 Überschrift fehlt HB, rot P des bis vndj menschleicher W1 vn- 8'alden Ml vnd von seyner Ml 6f. und kranckheit] volget hie hernach M, das II c[apitu1um] S 8 1 Initiale vier Zeilen hoch, rot P dürstiger W 9f. sich deiner gerechtikeit HBM SM1 W- Mk Mk1 11 vild] vili W, menig M Wi 11 f. du das bis geschrei] Ich das sprechen du das sweigen M 12 vnd fehlt H den ludem vnd das geschray Wl 13 vnd fehlt II 15 volg] vol W 16 was] das II herr mer S mer] mir P WBII 16f warhaftig MS, warhafticleich W' 19f. du bis vild fehlt M W1 vnd fehlt H 20 wild WMi 21 das liecht Wl ein blinder] plintte M 22 der tot] toter HM1 23 der arczt P W, ain ertzney M, dye erczney Jlf1, die erczney Wl Mk Mk1 siech von erster Hand durch 0 aus sich P, syechtumb Ml 24 das trübsal II, der trüebsal MS W' M' Mk M1S B u r d a c h , Mittclalt. u. Reform. VI. Joh. v. Noum. 1. 2 uersa uanitas, ut omnis homo uiuens. Eu, quid igitur, Creator, dicam? Audi, creator, creatura sum tua, iaru perii. Oreatura tua sum, iam morior. Factura tua sum, iam ad nichilum redigor. Plasma tuum sum. Manus tue, domine, fecerunt me et plasmauerunt me; manus tue ille, que clauis affise sunt pro me. Opus manuum tuarum, domine, sum, ne despicias me. Vulnera manuum tuarum, queso, ut aspicias. Ecce, in manibus tuis descripsisti me. Lege ipsam scripturam et salua me. En, ad te suspiro creatura tua. Creator es, recrea me. En, ad te clamo factura tua. Uita es, refice me. En, ad te respicio tuum plasma. Plasmator es, restaura me. Parce michi, domine, (…) alle eitelkeit, als ein iczleich lebender mensch ist. We mir, schepfer, was sol ich sprechen? Hör, schepfer, deine schepfung bin ich vnd bin yczunt verdorben. Dein schepfung bin ich vnd stirb yczund. Dein hantgetat bin ich vnd wird czu niht braht. Dein gemeht bin ich. Dein hend, herr, haben mich gemacht vnd io haben mich geschaffen, di hend, di durch mich mit negeln durchgraben sind. Deiner hend werck, herre, bin ich, niht versmeh mich. Beschaw, des bit ich dich, iß di wunden deiner hend. Vnd wen du in deinen henden mich beschriben hast, so Iis di selben schrift vnd heile mich, Czu dir erseufcze ich, deine schepfung. Der schepfer bistu, erquick mich. Czu dir ruf ich, deine getat. Das leben bistu, speisz mich. Der macher bistu, widerbreng mich. Vergib mir, herr, (…) LESARTEN: 11 domine fehlt M 16 En] Eu M 18 En fehlt M 19 refice B, respice M, viuifica Dr 20 En] eu M LESARTEN: 1 alle] die alle W, vol trugenheit vnd W yetlich II, iczlichir B, yedlicher S, ygleich W1 2 leben der W, lebentiger MS 3 scb8pfer M, mein schepher Wl ich von sp. Hancl übergesetxt P 4 Herr W, Horche H, her W* schepfenung II 6 f. vnd bin bis ich fehlt M Wl 6 schepfenung II 8 wirt an dich S gepracht M, fehlt W1 9 Dein gemeht bin ich fehlt S gemeht] geschöpf M dein von sp. Hand auf Rasur geändert xu deiner; die durch Rasur getilgten Buchstaben sind nicht mehr erkennbar P dy hent Mk1 10 hinter herr setzt sp. Hand auf Rasur sie P habend her W von haben steht be von sp. Hand auf Rasur P 10 f. hinter vnd haben ist getilgt gemacht, und -zwar gema durch Rasur, cht durch roten Strich P 11 geschaffet H, beschaffen MMi W- 12 nageln M 13 werck fehlt W 14 bin ich herre II herre fehlt M 15 vnd beschau W1 des] da W 16 Vnd fehlt M wenn II, wann M 17 du mich M Wl dein W1 hennten M, hent W', wunden Ml mich fehlt MW1 17f. geschriben II M Wl M1 18 Iis auch W1 selbe II, selb M 19 geschrift MM<- 20 erseufcze] seez M, sewft Wl schepfenunge II 21 du pist Wl Erkukeh W1 22 deine getat fehlt Wl 24 widerbringe II, widerpring M Johannes von Tepl (Johannes von Saaz) Über den Autor eines der wichtigsten deutschsprachigenWerke des Spätmittelalters wissen wir bis auf Weniges nur das, was diesem Werk zu entnehmen ist. Ein angesehener Bürger der Stadt Saaz, der um 1350 geboren worde sein dürfte und wohl an der neugegründeten Prager Univerität studierte, wurde zu einem „Mann der Feder“, wie er sich in seiner Schrift selbst bezeichnet. Er wirkte spätestens seit 1383, wahrscheindlich aber bereits vor 1378 als Notar der Stadt Saaz, d. h. führte u. A. auch das Stadtbuch. Daneben leitete er die ab 1386 Saazer Lateinschule. Seine Einkünfte ermöglichten ihm, dort ein Besitz zu haben, der ihm später möglich machte, nach Prag zu übersiedeln und dort, in der Prager Neustadt, ein Haus zu kaufen und eine neue Existenz zu gründen. Ab 1411 übernimmt Johannes das Amt des Stadtschreibers in Prag. 1413 erkrankte er schwer und starb bereits 1415. Über seine Nationalität (deutsch? tschechisch?) bestehen bis zum heute Zweifel, nicht jedoch über seine Sprachkompetenz: Als Stadtschreiber und Notar muss er beide diese Sprachen in Wort und Schrift beherrscht haben. Seine Dreisprachigkeit (Latein, Deutsch, Tschechisch) war auch die Grundlage seiner hervorragenden Stil- und Sprachleistung, die er in seinem Werk „Ackermann aus Böhmen“ erbrachte. Es handelt sich um ein Streitgespräch zwischen einem Witwer, der Vertreter der Menschen ist, und dem personifizierten Tod. Der Tod entriss dem Ackermann seine geliebte Frau (Margareta?). Ackermann streitet mit dem Tod, beschuldigt ihn des Mordes und des Raubes und fordert seine Frau entschieden zurück. Am Ende des Werkes spricht Gott dem Tod den Sieg zu (Kap. 33). Ackermann nimmt sein Schicksal fromm an. Er betet für seine verstorbene Frau in einem tiefgreifenden Schlussgebet, in dem er u. A. an den Schriften Johanns von Neumarkt Vorbild nimmt. (Kap.34). Mit diesem Werk erwies sich Böhmen und Prag speziell als ein Ort der hochentwickelten spätmittelalterlichen Sprach- und Sachkultur.[120] Der Ackerman[121] 1401 Der Text folgt der Ausgabe: Johannes von Saaz, Der Ackermann aus Böhmen, hg. v. Günther Jungbluth, Band I, Germanische Bibliothek, 4. Reihe: Texte, Heidelberg: Winter 1969 Textgrundlage ist die digitale Ausgabe der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, die leider nicht mehr im Netz ist. Das lateinische Begleitschreiben an den jüdischen Jugendfreund sowie die Überschrift sind der Ausgabe von Christian Kiening0 im Reclam-Verlag entnommen (Stuttgart 2002). http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Tepl/tep_inc.jpg Titel des Basler Drucks von 1473 (Karlsruhe, Bad. Landesbibliothek) Epistola oblata Petro Rothers ciui Pragensi cum Libello ackerman de nouo dictato. Grato gratus, suo suus, socio socius, Petro de Tepla Johannes de Tepla, ciui Pragensi ciuis Zacensis philorticam karitatem et fraternam. Karitas que nos horis floride iuuentutis vniuit, me hortatur et cogit vestri memoria consolari et quia postulabatis nuper per me de et ex agro rethoricalis iocunditatis, in quo cum messem neglexerim spicas colligo, nouitatibus munerari, ideo hoc incomptum et agreste ex teutunico ligwagio consertum agregamen, quod iam uadit ab incode, vobis dono. Jn eo tamen per preasumptum grosse materie jnueccio contra fatum mortis ineuitabile situatur, jn qua rethorice essencialia exprimuntur. Jbi longa breuiatur, ibi curta materia prolongatur, ibidem rerum, ymmo quoque vnius et eiusdem rei laus cum vituperio continentur. Succisa inuenitur, jnvenitur sibi construccio suspensiua, cum equiuocacione sinonimacio. Illic currunt cola, coma, periodus modernis situacionibus; illic ludunt vna sede retinentj cum serio palponia. Methaphora famulatur, arenga invehitur et demollitur, yrronia sorridet; verbales et sentencionales colores cum figuris sua officia execuntur. Multa quoque alia et tamquam omnia utcumque inculta rethorice accumina, que possunt fieri in hoc ydeomate jndeclinabili, ibi vigent que intentus inveniet auscultator. Tandem uos latinis de agro meo sterili enuditibus stipilis recreabo. Jnter cetera Nicolaum Iohlinni, oblatorem presencium, amari et alumpnum meum vobis tamquam me recomendo intentis et fidelibus effectibus preessendum. Reliqua stent ut stabant, nisi fuerint in uberius reformata. Datum sub mei signetj euidencia uigilia beatj Bartholomei Anno 1428uo. [Datum einer Abschrift des Originalbriefs (ca. 1402)] http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Tepl/tep_tod.jpg Jn dem buchlein ist beschrieben ein krieg, wie einer, dem sein liebes gestorben ist, schiltet den Tot, so verantwortt sich der Tot. Also seczt der clager je ein cappittel vnd der Tot das ander bis an das ende. Der cappittel seint vier vnd dreyssig, dorjnn man hubsches synnes getichtes behendigkeit wol findet, vnd begynnet also der ackerman mit seyner clage anzuvahen. DER ACKERMAN. Das erste capitel. Grimmiger tilger aller lande, schedlicher echter aller werlte, freissamer morder aller guten leute, ir Tot, euch sei verfluchet! got, ewer tirmer, hasse euch, vnselden merung wone euch bei, vngeluck hause gewaltiglich zu euch: zumale geschant seit immer! Angst, not vnd jamer verlassen euch nicht, wo ir wandert; leit, betrubnuß vnd kummer beleiten euch allenthalben; leidige anfechtung, schentliche zuversicht vnd schemliche verserung die betwingen euch groblich an aller stat; himel, erde, sunne, mone, gestirne, mer, wag, berg, gefilde, tal, awe, der helle abgrunt, auch alles, das leben vnd wesen hat, sei euch vnholt, vngunstig vnd fluchend ewiglichen! In bosheit versinket, in jamerigem ellende verswindet vnd in der vnwiderbringenden swersten achte gotes, aller leute vnd ieglicher schepfung alle zukunftige zeit beleibet! Vnuerschampter bosewicht, ewer bose gedechtnuß lebe vnd tauere hin on ende; grawe vnd forchte scheiden von euch nicht, wo ir wandert vnd wonet: Von mir vnd aller menniglich sei stetiglichen vber euch ernstlich zeter geschriren mit gewundenen henden! DER TOT. Das ander capitel. Horet, horet, horet newe wunder! Grausame vnd vngehorte teidinge fechten vns an. Von wann die komen, das ist vns zumale fremde. Doch drowens, fluchens, zetergeschreies, vnd allerlei angeratung sein wir an allen enden vnz her wol genesen. Dannoch, sun, wer du bist, melde dich vnd lautmere, was dir leides von vns widerfaren sei, darvmb du vns so vnzimlichen handelst, des wir vormals vngewonet sein, allein wir doch manigen kunstenreichen, edeln, schonen, mechtigen vnd heftigen leuten sere vber den rein haben gegraset, davon witwen vnd weisen, landen vnd leuten leides genugelich ist geschehen. Du tust dem gleiche, als dir ernst sei vnd dich not swerlich betwinge. Dein klage ist one reime; davon wir prufen, du wellest durch donens vnd reimens willen deinem sin nicht entweichen. Bistu aber tobend, wutend, twalmig oder anderswo one sinne, so verzeuch, enthalt vnd bis nicht zu snelle, so swerlich zu fluchen, den worten das du nicht bekummert werdest mit afterrewe. Wene nicht, das du vnser herliche vnd gewaltige macht immer mugest geswechen. Dannoch nenne dich vnd versweig nicht, welcherlei sachen dir sei von vns so twenglicher gewalt begegent. Rechtfertig wir wol werden, rechtfertig ist vnser geferte. Wir wissen nicht, wes du vns so frevellichen zeihest. DER ACKERMAN. Das III. capitel. Ich bins genant ein ackerman, von vogelwat ist mein pflug, vnd wone in Behemer lande. Gehessig, widerwertig vnd widerstrebend sol ich euch immer wesen: wann ir habt mir den zwelften buchstaben, meiner freuden horte, aus dem alphabet gar freissamlich enzucket; ir habt meiner wunnen lichte sumerblumen mir aus meines herzen anger jemerlichen ausgereutet; ir habt mir meiner selden haft, mein auserwelte turteltauben arglistiglichen entfremdet: ir habt vnwiderbringlichen raub an mir getan! Weget es selber, ob ich icht billich zurne, wute vnd klage: von euch bin ich freudenreiches wesens beraubet, tegelicher guter lebetage enterbet vnd aller wunnebringender rente geeussert. Frut vnd fro was ich vormals zu aller stunt; kurz vnd lustsam was mir alle weile tag vnd nacht, in gleicher masse freudenreich, geudenreich sie beide; ein iegliches jar was mir ein genadenreichs jar. Nu wirt zu mir gesprochen: schab ab! Bei trubem getranke, auf durrem aste, betrubet, sware vnd zeherend beleibe ich vnd heul one vnderlaß! Also treibet mich der wint, ich swimme dahin durch des wilden meres flut, die tunnen haben vberhant genumen, mein anker haftet ninder. Hiervmb ich one ende schreien wil: Ir Tot, euch sei verfluchet! DER TOT. Das IIII. capitel. Wunder nimpt vns solcher vngehorter anfechtung, die vns nimmer hat begegent. Bistu es ein ackerman, wonend in Behemer lande, so dunket vns, du tust vns heftiglichen vnrecht; wann wir in langer zeit zu Behem nicht endeliches haben geschaffet, sunder nu newlich in einer festen hubschen stat, auf einem berge werlich gelegen; der haben vier buchstaben, der achzehende, der erste, der dritte vnd der drei vnd zwenzigste in dem alphabet einen namen geflochten. Da haben wir mit einer erberen seligen tochter vnser genade gewurket; ir buchstabe was der zwelfte. Sie was ganz frum vnd wandelsfrei; wir mugen wol sprechen wandelsfrei, wann wir waren gegenwurtig, do sie geboren wart. Do sante ir fraw Ere einen erenmantel vnd einen erenkranz; die brachte ir fraw Selde. Vnzerissen vnd vngemeiligt den mantel, den erenkranz brachte sie ganz mit ir vnz in die gruben. Vnser vnd ir gezeuge ist der erkenner aller herzen. Guter gewissen, frunthold, getrew, gewere vnd zumale gutig was sie gen allen leuten. Werlich, so stete vnd so geheure kam vns zu handen selten. Es sei dann die selbe, die du meinest: anders wissen wir keine. DER ACKERMAN. Das V. capitel. Ja herre, ich was ir friedel, sie mein amye. Ir habt sie hin, mein durchlustige eugelweide; sie ist dahin, mein frideschilt vur vngemach; enweg ist mein warsagende wunschelrute. Hin ist hin! Da ste ich armer ackerman allein; verswunden ist mein lichter leitestern an dem himel; zu reste ist gegangen meines heiles sunne, auf geet sie mir nimmermer! Nicht mer get auf mein flutender morgensterne, gelegen ist sein schein, kein leidvertreib han ich mer: die finster nacht ist allenthalben vor meinen augen. Ich wene nicht, das icht sei, das mir rechte freude immermer muge widerbringen; wann meiner freuden achtber banier ist mir leider vndergangen. Zeter! waffen! von herzen grunde sei immermer geschriren vber den verworfen tag vnd vber die leidigen stunde, darin mein herter, steter diamant ist zerbrochen, darin mein rechte furender leitestab vnbarmherziglich mir aus den henden wart gerucket, darin zu meines heiles vernewendem jungbrunnen mir der weg ist verhawen. Ach one ende, we one vnderlaß immermer! Versinken, gefelle vnd ewiger fal sei euch, Tot, zu erbeigen gegeben! Lastermeiliger schandung wurdelos vnd grisgramig ersterbet vnd in der helle erstinket! got beraube euch ewrer macht vnd lasse euch zu puluer zerstieben! One zil habet ein teufelisch wesen![122] DIE ZEIT MARTIN LUTHERS DAS LIEDSCHAFFEN VON PAUL GERHART Martin Luther (10. 10. 1483 Eisleben – 18.2. 1546 Eisleben) Es ist sehr schwierig, die vielfältige Rolle Martin Luthers in theologisch-exegetischer, kutlurgeschichtlicher, sprachwisseschaftlicher und musikalischer Hinsicht zu erfassen. Wir konzentrieren uns vor allem auf seine sprachlich-theologische und allgemein sprachliche Rolle im Strom der Ereignisse in Deutschland am Anfang der frühen Neuzeit. Seine Gestaltungsrolle als Denker, Theologe und Übersetzer lässt sich in folgende Schwerpunkte einteilen: 1. Als Augustinermönch und als studierter Theologe, der das Amt der Professur der Theologie bekleidete, war Luther ein schillernder und freier Geist und Denker. 1517 veröffentlichte er als einen Ausdruck seines Protests gegen den Ablaßhandel der damaligen Kirche seine 95 Thesen. Es war einer der stärksten Ausrufe gegen die päpstliche Politik, neben anderen damaligen Protesten gegen die Ablässe. 2. Nach seiner berühmten Übersetzung des Neuen Testaments und später der gesamten Bibel ins Deutsche übernahm Luther eine führende Role in der Neugestaltung der frühneuhochdeutschen Literatursprache. Es war ein glücklicher Umstand, dass er der ostmittedeutschen Sprachgegend entstammte, in der sich die Einflüsse mehrerer überregionalen mitteldeutschen und oberdeutschen Mundarten zusammenfanden. Aus seiner angeborenen Mundart ausgehend, prägte Luther den Stil und metaphorischen bildreichen Ausdruck des Deutschen entscheidend, auch wenn er sicher nicht allein an der Fortentwicklung des Frühneuhochdeutschen partizipierte. Eine Verlebendigung und eine neue Verständlichkeit der Sprache sind die Devize, die er seiner Muttersprache vererbt hatte. 3. Einen besonderen Einfluss übte Luther auf das deutsche protestantische Kirchenlied aus, das er selbst aktiv, auch musikalisch mitgestaltet hat, wie auch die folgenden Texte nahe bringen. LIEDER „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ Text und Melodie von Martin Luther (Anfang 1528) Thema: Christus als einziger Beschützer und Retter der Menschheit Ein’ feste Burg ist unser Gott, Ein gute Wehr und Waffen; Er hilft uns frei aus aller Not, Die uns jetzt hat betroffen. Der alt’ böse Feind, Mit Ernst er’s jetzt meint, Gross’ Macht und viel List Sein’ grausam’ Ruestung ist, Auf Erd’ ist nicht seingleichen. Mit unsrer Macht is nichts getan, Wir sind gar bald verloren; Es steit’t für uns der rechte Mann, Den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist? Er heisst Jesu Christ, Der Herr Zebaoth, Und ist kein andrer Gott, Das Feld muss er behalten. Und wenn die Welt voll Teufel wär’ Und wollt’ uns gar verschlingen, So fürchten wir uns nicht so sehr, Es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, Wie sau’r er sich stellt, Tut er uns doch nicht, Das macht, er ist gericht’t, Ein Wörtlein kann ihn fällen. Das Wort sie sollen lassen stahn Und kein’n Dank dazu haben; Er ist bei uns wohl auf dem Plan Mit seinem Geist und Gaben. Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr’, Kind und Weib: Lass fahren dahin, Sie haben’s kein’n Gewinn, Das Reich muss uns doch bleiben.[123] Vom Himmel hoch, da komm ich her. Text und Melodie von Martin Luther Thema: Die Geburt Jesu zu Weihnacht 1. Vom Himmel hoch, da komm ich her. Ich bring’ euch gute neue Mär, Der guten Mär bring ich so viel, Davon ich singn und sagen will. 2. Euch ist ein Kindlein heut’ geborn Von einer Jungfrau auserkorn, Ein Kindelein, so zart und fein, Das soll eu’r Freud und Wonne sein. 3. Es ist der Herr Christ, unser Gott, Der will euch führn aus aller Not, Er will eu’r Heiland selber sein, Von allen Sünden machen rein. 4. Er bringt euch alle Seligkeit, Die Gott der Vater hat bereit, Daß ihr mit uns im Himmelreich Sollt leben nun und ewiglich. 5. So merket nun das Zeichen recht: Die Krippe, Windelein so schlecht, Da findet ihr das Kind gelegt, Das alle Welt erhält und trägt. 6. Des laßt uns alle frölich sein Und mit den Hirten gehn hinein, Zu sehn, was Gott uns hat beschert, Mit seinem lieben Sohn verehrt. 7. Merk auf, mein Herz, und sieh dorthin! Was liegt dort in dem Krippelein? Wes ist das schöne Kindelein? Es ist das liebe Jesulein. 8.Sei mir willkommen, edler Gast! Den Sünder nicht verschmähet hast Und kommst ins Elend her zu mir, Wie soll ich immer danken dir? 9. Ach, Herr, du Schöpfer aller Ding, Wie bist du worden so gering, Daß du da liegst auf dürrem Gras, Davon ein Rind und Esel aß! 10. Und wär’ die Welt vielmal so weit, Von Edelstein und Gold bereit’, So wär sie doch dir viel zu klein, Zu sein ein enges Wiegelein. 11. Der Sammet und die Seide dein, Das ist grob Heu und Windelein, Darauf du König groß und reich Herprangst, als wär’s dein Himmelreich. 12. Das hat also gefallen dir, Die Wahrheit anzuzeigen mir: Wie aller Welt Macht, Ehr und Gut Vor dir nichts gilt, nichts hilft noch tut. 13. Ach, mein herzliebes Jesulein, Mach dir ein rein, sanft Bettelein, Zu ruhen in meins Herzens Schrein, Das ich nimmer vergesse dein. 14. Davon ich allzeit fröhlich sei, Zu springen, singen immer frei Das rechte Susaninne schon, Mit Herzenslust den süßen Ton. 15. Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron, Der uns schenkt seinen ein’gen Sohn. Des freuen sich der Engel Schar Und singen uns solch neues Jahr.[124] Dies Weihnachtslied von Martin Luther gehört zu den ersten Liedern Luthers, die gedruckt wurden. Paul GERHART (1628 Landeshut, Schlesien – 1668 Helmstedt) Paul GERHART gehört zu den bekanntesten Autoren der Kirchenlieder in Deutschland. Seine Lieder heben die emotionale Seite der persönlichen Frömmigkeit jedes einzelnen Beters hervor. Dies ist aus dem folgenden Liedbeispiel gut ersichtlich: O Haupt voll Blut und Wunden Ein Lied von Paul Gerhart Thema: Passion Christi O Haupt voll Blut und Wunden, Voll Schmerz und voller Hohn, O Haupt, zum Spott gebunden Mit einer Dornenkron’, O Haupt, sonst schön gezieret Mit höchster Ehr’ und Zier, Jetzt aber hoch schimpfieret: Gegrüßet sei’st du mir! Du edles Angesichte, Davor sonst schrickt und scheut Das große Weltgewichte, Wie bist du so bespeit! Wie bist du so erbleichet! Wer hat dein Augenlicht, Dem sonst kein Licht nicht gleichet, So schändlich zugericht’t? Die Farbe deiner Wangen, Der roten Lippen Pracht Ist hin und ganz vergangen; Des blassen Todes Macht Hat alles hingenommen, Hat alles hingerafft, Und daher bist du kommen Von deines Leibes Kraft. Nun, was du, Herr, erduldet, Ist alles meine Last; Ich hab’ es selbst verschuldet, Was du getragen hast. Schau her, hier steh’ ich Armer, Der Zorn verdienet hat; Gib mir, o mein Erbarmer, Den Anblick deiner Gnad’! Erkenne mich, mein Hüter, Mein Hirte, nimm mich an! Von dir, Quell aller Güter, Ist mir viel Gut’s getan. Dein Mund hat mich gelabet Mit Milch und süßer Kost; Dein Geist hat mich begabet Mit mancher Himmelslust. Ich will hier bei dir stehen, Verachte mich doch nicht! Von dir will ich nicht gehen, Wenn dir dein Herze bricht; Wenn dein Haupt wird erblassen Im letzten Todesstoß, Alsdann will ich dich fassen In meinen Arm und Schoß. Es dient zu meinen Freuden Und kommt mir herzlich wohl, Wenn ich in deinem Leiden, Mein Heil, mich finden soll. Ach, möcht’ ich, o mein Leben, An deinem Kreuze hier Mein Leben von mir geben, Wie wohl geschähe mir! Ich danke dir von Herzen, O Jesu, liebster Freund, Für deines Todes Schmerzen, Da du’s so gut gemeint. Ach gib, daß ich mich halte Zu dir und deiner Treu’ Und, wenn ich nun erkalte, In dir mein Ende sei! Wenn ich einmal soll scheiden, So scheide nicht von mir; Wenn ich den Tod soll leiden, So tritt du dann herfür; Wenn mir am allerbängsten Wird um das Herze sein, So reiß mich aus den Ängsten Kraft deiner Angst und Pein! Erscheine mir zum Schilde, Zum Trost in meinem Tod, Und lass mich sehn dein Bilde In deiner Kreuzesnot! Da will ich nach dir blicken, Da will ich glaubensvoll Dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.[125] DIE ZEIT DES BAROCKS Barock (v. portug. barocco, was eine der Form nach unregelmäßige, schiefe Perle bezeichnet, im übertragenen Sinne dann in der Bedeutung „schiefrund“, „übertrieben“, „verzerrt“) war zunächst abwertende Bezeichnung für den Stil der barocken bildenden Kunst. Für diese Kunst war typisch, die harmonischen Formen der Renaissance mit übertriebenen Formen zu ersetzen. Auch die Verzierung nimmt verselbständigte Konturen an, wird zu einem selbständigen Element (Ausschmückung durch Stuck, Detailzunahme usw., auch in der Architektur). Im 17. und im 18. Jahrhundert benennt der Terminus Barock die ganze Stilepoche und übeträgt diesen Begriff auch auf die Literatur der Zeit. Diese stürmische, politisch nicht einheitliche, in den Wirren des dreißigjährigen Krieges versinkende Epoche hat viele Pole und viele Dimensionen: es fehlt ihr ein einheitlicher Strom der Ideale und Denkweisen. Es durchgreifen sich humanistische Ideen mit streng elitärer Denkart der hohen Adelsgeselsschaft, Patriotismus mit Weltoffenheit, stürmische Bekennung zur Weltfreude mit der Weltabsage. Einer der zentralen Gedanken und ein verbreitetes Vorstellungsbild ist die Idee der Eitelkeit (lat. vanitas): alles Irdirsche ist vergänglich, unbeständig und neigt sich dem Tode, von dem man immer überrascht sein kann. Die Vorstellung der uneingeschränkten Macht Gottes gegenüber der Nichtigkeit des Menschen, dieser in der Barockzeit bis aufs Höchste empfundene Widerspruch, der in der geistlichen Lyrik zum Ausdruck kommt (besonders bei ANGELUS SILESIUS), führt auf der anderen Seite zu einem intensiven Erleben der irdischen Freude. Diese Stimmung widerspiegelt vor allem die weltliche Lyrik dieser Zeit (bei PAUL FLEMING). Es entsteht ein Interesse an der Sprache, die im humanistischen Sinne erneut und gereinigt werden muss: ein Ergebnis dieser Bemühung sind die Sprachgesellschaften und die damaligen Poetiken, aus denen das „Buch von der deutschen Poeterey“ von Martin Opitz das wohl wichtigste ist. Die dominierende Gattung ist in der Lyrik nicht nur ein lyrisches Gedicht (Lieder Paul Flemings), sondern auch das rationalistisch ausgerichtete Epigramm (Friedrich von Logau) und die politische Antikriegslyrik (das Gedicht „Tränen des Vaterlandes“ des Andreas Gryphius). In der Epik dominiert der frühe Erziehungsroman („Simplizius Simplizissimus“ Grimmelshausens). Man kann vor allem in stilistischer Hinsicht keine klare Trennlinie zwischen der barocken Literatur und der späteren Literatur der Aufklärung ziehen. Eine Kontinuität zwischen der barocken geistlichen Lyrik und der Lyrik der Aufklärungszeit stellt u. A. auf der Ebene der Metaphorik das Versepos „Messias“ Freidrich Gottlieb Klopstocks dar. Klopstocks „Messias“ übte darüber hinaus einen großen Einfluss auf die deutschsprachige Lyrik bis zu der Zeit der Romantik aus. LITERATUREXKURS a) BAROCKE LYRIK PAUL FLEMING An sich Sey dennoch unverzagt. Gieb dennoch unverlohren. Weich keinem Glücke nicht. Steh’ höher als der Neid. Vergnüge[1] dich an dir / und acht es für kein Leid / Hat sich gleich wider dich Glück’ / Ort / und Zeit verschworen. Was dich betrübt und labt / halt alles für erkohren [2]. Nim dein Verhängnüß an. Laß’ alles unbereut. Thu / was gethan muß seyn / und eh man dirs gebeut[3]. Was du noch hoffen kanst / das wird noch stets gebohren. Was klagt / was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke Ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an. Dieß alles ist in dir / laß deinen eiteln Wahn / Und eh du förder[4] gehst / so geh’ in dich zu rücke. Wer sein selbst Meister ist / und sich beherrschen kann / Dem ist die weite Welt und alles unterthan.[126] ------------------------------------------------------------------------ Anmerkungen zum Text: [1] vergnüge: hier im Sinne von „begnüge“ [2] erkohren: altertümlich von „erkiesen“; heute noch in religiösen Liedern gebräuchlich als auserkoren“ im Sinne von „auserwählt“ [3] gebeut: gebietet, befiehlt [4] förder: weiter (vgl. engl. „further“)[127] Andreas Gryphius Andreas Gryphius Tränen des Vaterlandes (1636) Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat aufgezehret. Die Türme stehn in Glut, die Kirch' ist umgekehret. Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun, Die Jungfern sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret. Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut. Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen. Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod, Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot, Daß auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.[128] Es ist alles eitel (1637) Du siehst, wohin du siehst, nur eitelkeit auf erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein; Wo ietzundt städte stehn, wird eine Wiese seyn, Auf der ein schäfers kind wird spielen mit den herden; Was itzundt prächtig blüth, sol bald zutreten werden; Was itzt so pocht und trotzt, ist morgen asch und bein; Nichts ist, das ewig sey, kein ertz, kein marmorstein. Jetzt lacht das glück uns an, bald donnern die beschwerden. Der hohen thaten ruhm muß wie ein traum vergehn. Soll denn das spiel der zeit, der leichte mensch bestehn? Ach, was ist alles diß, was wir vor köstlich achten, Als schlechte nichtigkeit, als schatten, staub und Wind, Als eine wiesen blum, die man nicht wieder find't! Noch wil, was ewig ist, kein einig mensch betrachten.[129] Epigramme, Aphorismen, Sprüche Friedrich von Logau (1605-1655) Das Beste der Welt Weistu, was in dieser Welt Mir am meisten wolgefällt? Daß die Zeit sich selbst verzehret, Und die Welt nicht ewig währet. Abgedankte Soldaten Würmer im Gewissen, Kleider wohl zerrissen, Wohlbenarbte Leiber, Wohlgebrauchte Weiber, Ungewisse Kinder, Weder Pferd noch Rinder, Nimmer Brot im Sacke, Nimmer Geld im Packe, Haben mitgenommen, Die vom Kriege kommen: Wer denn hat die Beute Eitel freche Leute.[130] Johannes Scheffler (Angelus Silesius)[131] Cherubinischer Wandersmann - Kapitel 7 232. HErr dein Wille geschehe. Das Wort das GOtt von dir am allerliebsten hört / Jst wann du hertzlich sprichst: Sein Wille sey geehrt. 233. GOttes Nachgeklinge. Mein Lieb und alle Ding' ist GOttes nachgeklinge / Wann Er mich höret schreyn / Mein GOtt und alle Dinge. 234. GOtt umb GOtt. Herr liebstu meine Seel / so laß sie dich umbfassen: Sie wird dich nimmermehr umb tausend GOtte lassen. 235. Alles mit GOtt. Jch bethe GOtt mit GOtt auß Jhm / und in Jhm an: Er ist mein Geist / mein Wort / mein Psalm / und was ich kan. 236. Der Geist vertrit uns. GOtt liebt und lobt sich selbst / so viel er immer kan: Er kniet und neiget sich / Er betht sich selber an. 237. Jm jnnern bethet man recht. Mensch so du wissen wilt was redlich bethen heist: So geh in dich hinein / und frage GOttes Geist. 238. Das Wesentliche Gebethe. Wer lauters Hertzens lebt / und geht auff Christi Bahn / Der bethet wesentlich GOtt in sich selber an. 239. GOtt lobt man in der stille. Meinstu O armer Mensch / daß deines Munds geschrey Der rechte Lobgesang der stillen GOttheit sey? 240. Das stillschweigende Gebeth. GOtt ist so überalls daß man nichts sprechen kan: Drumb bettestu Jhn auch mit schweigen besser an. 241. GOttes Leibgedinge. Mein Leib (O Herligkeit!) ist GOttes Leib-gedinge / Drumb schätzt er Jhn darinn zuwohnen nicht geringe. 242. Die Thür muß offen seyn. Eröffene die Thür / so komt der heilge Geist / Der Vater / und der Sohn / Dreyeinig eingereist. 243. Das Wohnhauß GOttes. Christ / so du JEsum liebst und seine Sanfftmutt hast / So findet GOtt in dir sein Wohnhauß / Ruh / und rast. 244. Die Liebe ist der weisen Stein. Lieb' ist der weisen Stein: sie scheidet Gold auß koth / Sie machet nichts zu jchts / und wandelt mich in GOtt. 245. Es muß vereinigt werden. Jm fall die Liebe dich versetzen sol auß Peyn / Muß deine Menschheit vor mit GOttes Eines seyn. 246. Die Tingierung. Der heilge Geist der schmeltzt / der Vater der verzehrt / Der Sohn ist die Tinctur, die Gold macht und verklärt. 247. Das alte ist hinweg. So wenig du das Gold kanst schwartz und Eisen nennen: So wenig wirstu dort den Mensch am Menschen kennen. 248. Die genaue Vereinigung. Schau doch wie hoch Vereint die Goldheit mit dem Bley / Und der Vergöttete mit Gottes wesen sey! 249. Die Goldheit und GOttheit. Die Goldheit machet Gold / die Gottheit machet GOtt: Wirstu nicht eins mit ihr / so bleibstu Bley und Koth. 250. Wie die Goldheit also die Gottheit. Schau wie die Goldheit ist deß Golds fluß / schwer' und schein: So wird die Gottheit auch im seelgen alles seyn. 251. Das liebste Kind GOttes. Sag wie ich möge seyn deß Vaters liebstes Kind? Wann Er sich selbst und alls / und Gottheit in dir findt. 252. Die Göttliche Kindtschafft. Jst GOttes GOttheit mir nicht jnniglich gemein / Wie kan ich dann sein Kind / und Er mein Vater seyn? 253. Der Kinder ists Himmelreich. Christ so du kanst ein Kind von gantzem Hertzen werden / So ist das Himmelreich schon deine hier auf Erden. 254. Die Kindheit und GOttheit. Weil sich die GOttheit hat in Kindheit mir erzeigt / Bin ich der Kindheit und der Gottheit gleich geneigt. 255. Kind und GOtt. Kind oder GOtt gilt gleich: hastu mich Kind genennt / So hastu GOtt in mir / und mich in GOtt bekennt. 256. Die widergiltliche Kind- und Vatterschafft. Jch bin GOtts Kind und Sohn / Er wider ist mein Kind: Wie gehet es doch zu daß beide beides sind! 257. Die Dreyeinigkeit in der Natur. Daß GOtt Dreyeinig ist / zeigt dir ein jedes Kraut / Da Schwefel / Saltz / Mercur / in einem wird geschaut.[132] BAROCKE EPIK Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen Simplicius Simplicissimus - Kapitel 2 Das erste Buch Das 1. Kapitel Vermeldet Simplicii bäurisch Herkommen und gleichförmige Auferziehung Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubt, daß es die letzte sei) unter geringen Leuten eine Sucht, in der die Patienten, wenn sie daran krank liegen, und so viel zusammen geraspelt und erschachert haben, daß sie neben ein paar Hellern im Beutel ein närrisches Kleid auf die neue Mode mit tausenderlei seidenen Bändern antragen können, oder sonst etwa durch Glücksfall mannhaft und bekannt worden, gleich rittermäßige Herren und adelige Personen von uraltem Geschlecht sein wollen; da sich doch oft befindet, daß ihre Voreltern Taglöhner, Karchelzieher und Lastträger; ihre Vettern Eseltreiber; ihre Brüder Büttel und Schergen; ihre Schwestern Huren; ihre Mütter Kupplerinnen oder gar Hexen; und in Summa ihr ganzes Geschlecht von allen 32 Anichen her also besudelt und befleckt gewesen, als des Zuckerbastels Zunft zu Prag immer sein mögen; ja sie, diese neuen Nobilisten, sind oft selbst so schwarz, als wenn sie in Guinea geboren und erzogen wären worden. Solchen närrischen Leuten nun mag ich mich nicht gleich stellen, obzwar, die Wahrheit zu bekennen, nicht ohn ist, daß ich mir oft eingebildet, ich müsse ohnfehlbar auch von einem großen Herrn, oder wenigst einem gemeinen Edelmann, meinen Ursprung haben, weil ich von Natur geneigt, das Junkernhandwerk zu treiben, wenn ich nur den Verlag und das Werkzeug dazu hätte. Zwar ohngescherzt, mein Herkommen und Auferziehung läßt sich noch wohl mit eines Fürsten vergleichen, wenn man nur den großen Unterscheid nicht ansehen wollte. Was? Mein Knan (denn also nennet man die Väter im Spessart) hatte einen eignen Palast, so wohl als ein anderer, ja so artlich, dergleichen ein jeder König mit eigenen Händen zu bauen nicht vermag, sondern solches in Ewigkeit wohl unterwegen lassen wird; er war mit Leimen gemalet und anstatt des unfruchtbaren Schiefers, kalten Bleis und roten Kupfers mit Stroh bedeckt, darauf das edel Getreid wächst; und damit er, mein Knan, mit seinem Adel und Reichtum recht prangen möchte, ließ er die Mauer um sein Schloß nicht mit Mauersteinen, die man am Weg findet oder an unfruchtbaren Orten aus der Erden gräbt, viel weniger mit liederlichen gebackenen Steinen, die in geringer Zeit verfertigt und gebrannt werden können, wie andere große Herren zu tun pflegen, aufführen; sondern er nahm Eichenholz dazu, welcher nützliche edle Baum, als worauf Bratwürste und fette Schinken wachsen, bis zu seinem vollständigen Alter über hundert Jahr erfordert: Wo ist ein Monarch, der ihm dergleichen nachtut? Seine Zimmer, Säl' und Gemächer hatte er inwendig vom Rauch ganz erschwarzen lassen, nur darum, dieweil dies die beständigste Farb von der Welt ist, und dergleichen Gemäld bis zu seiner Perfektion mehr Zeit brauchet, als ein künstlicher Maler zu seinen trefflichsten Kunststücken erfordert. Die Tapezereien waren das zarteste Geweb auf dem ganzen Erdboden, denn diejenige machte uns solche, die sich vor alters vermaß, mit der Minerva selbst um die Wett zu spinnen. Seine Fenster waren keiner anderen Ursache halber dem Sant Nitglas gewidmet, als darum, dieweil er wußte, daß ein solches vom Hanf oder Flachssamen an zu rechnen, bis es zu seiner vollkommenen Verfertigung gelangt, weit mehrere Zeit und Arbeit kostet als das beste und durchsichtigste Glas von Muran, denn sein Stand macht' ihm ein Belieben zu glauben, daß alles dasjenige, was durch viel Mühe zuwege gebracht würde, auch schätzbar und desto köstlicher sei, was aber köstlich sei, das sei auch dem Adel am anständigsten. Anstatt der Pagen, Lakaien und Stallknecht hatte er Schaf, Böcke und Säu, jedes fein ordentlich in seine natürliche Liberei gekleidet, welche mir auch oft auf der Weid aufgewartet, bis ich sie heim getrieben. Die Rüst- oder Harnischkammer war mit Pflügen, Kärsten, Äxten, Hauen, Schaufeln, Mist- und Heugabeln genugsam versehen, mit welchen Waffen er sich täglich übet'; denn Hacken und Reuten war seine disciplina militaris wie bei den alten Römern zu Friedenszeiten, Ochsen anspannen war sein hauptmannschaftliches Kommando, Mist ausfahren sein Fortifikationwesen und Ackern sein Feldzug, Stallausmisten aber seine adelige Kurzweil und Turnierspiel; hiermit bestritt er die ganze Weltkugel, soweit er reichen konnte, und jagte ihr damit alle Ernt ein reiche Beut ab. Dieses alles setze ich hintan und überhebe mich dessen ganz nicht, damit niemand Ursach habe, mich mit andern meinesgleichen neuen Nobilisten auszulachen, denn ich schätze mich nicht besser, als mein Knan war, welcher diese seine Wohnung an einem sehr lustigen Ort, nämlich im Spessart liegen hatte, allwo die Wölf einander gute Nacht geben. Daß ich aber nichts Ausführliches von meines Knans Geschlecht, Stamm und Namen für diesmal doziert, geschiehet um geliebter Kürze willen, vornehmlich, weil es ohne das allhier um keine adelige Stiftung zu tun ist, da ich soll auf schwören; genug ists, wenn man weiß, daß ich im Spessart geboren bin. Gleich wie nun aber meines Knans Hauswesen sehr adelig vermerkt wird, also kann ein jeder Verständige auch leichtlich schließen, daß meine Auferziehung derselben gemäß und ähnlich gewesen; und wer solches dafür hält, findet sich auch nicht betrogen, denn in meinem zehenjährigen Alter hatte ich schon die principia in obgemeldten meines Knans adeligen Exerzitien begriffen, aber der Studien halber konnte ich neben dem berühmten Amphistidi hin passieren, von welchem Suidas meldet, daß er nicht über fünfe zählen konnte; denn mein Knan hatte vielleicht einen viel zu hohen Geist, und folgte dahero dem gewöhnlichen Gebrauch jetziger Zeit, in welcher viel vornehme Leute mit Studieren oder, wie sie es nennen, mit Schulpossen sich nicht viel bekümmern, weil sie ihre Leut haben, der Blackscheißerei abzuwarten. Sonst war ich ein trefflicher Musicus auf der Sackpfeifen, mit der ich schöne Jalemj-Gesäng machen konnte. Aber die Theologiam anbelangend, laß ich mich nicht bereden, daß einer meines Alters damals in der ganzen Christenwelt gewesen sei, der mir darin hätte gleichen mögen, denn ich kennete weder Gott noch Menschen, weder Himmel noch Höll, weder Engel noch Teufel, und wußte weder Gutes noch Böses zu unterscheiden: Dahero ohnschwer zu gedenken, daß ich vermittelst solcher Theologiae wie unsere ersten Eltern im Paradies gelebt, die in ihrer Unschuld von Krankheit, Tod und Sterben, weniger von der Auferstehung nichts gewußt. O edels Leben! (du mögst wohl Eselsleben sagen) in welchem man sich auch nichts um die Medizin bekümmert. Eben auf diesen Schlag kann man mein Erfahrenheit in dem Studio legum und allen andern Künsten und Wissenschaften, soviel in der Welt sind, auch verstehen. ja ich war so perfekt und vollkommen in der Unwissenheit, daß mir unmöglich war zu wissen, daß ich so gar nichts wußte. Ich sage noch einmal, o edles Leben, das ich damals führete! Aber mein Knan wollte mich solche Glückseligkeit nicht länger genießen lassen, sondern schätzte billig sein, daß ich meiner adeligen Geburt gemäß auch adelig tun und leben sollte, derowegen fing er an, mich zu höhern Dingen anzuziehen, und mir schwerere Lectiones aufzugeben.[133] LITERATURVERZEICHNIS 1. Älteste deutsche Dichtung und Prosa. Ausgewählte Texte althochdeutsch – neuhochdeutsch. Herausgegeben von Heinz METTKE. Leipzig 1976 2. Althochdeutsche Literatur. Ausgewählte Texte mit Übertragungen. Herausgegeben, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Horst-Dieter SCHLOSSER. Frankfurt am Main – Hamburg 1970. 3. Althochdeutsche Literatur. Eine kommentierte Anthologie. Übersetzt, herausgegeben und kommentiert von Stephan MÜLLER. Stuttgart 2007. 4. ANGENENDT, Arnold: Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Darmstadt 2000^2 5. BEDNAŘÍKOVÁ, Jarmila: Frankové a Evropa. Praha 2009. 6. BEDNAŘÍKOVÁ, Jarmila: Stěhování národů. Praha 2003. 7. BERGMANN, Rolf / PAULY, Peter / MOULIN-FANKHÄNEL, Claudine: Alt- und Mittelhochdeutsch, Arbeitsbuch zur Grammatik der älteren deutschen Sprachstufen und zur deutschen Sprachgeschichte, Göttingen 1993^4 8. BOK, Václav/ POKORNÝ, Jindřich/STANOVSKÁ, Sylvie: Moravo, Čechy, radujte se!(Němečtí a rakouští básníci v Českých zemích za posledních Přemyslovců). Praha 1998 9. BRUNNER, Horst: Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters im Überblick, Stuttgart 2003 10. BUMKE, Joachim: Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter. München 1993^2 11. BUMKE, Joachim: Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter, Mönchen 1993^2 12. De BOOR, Helmut/ WISNIEWSKI, Roswitha: Mittelhochdeutsche Grammatik, Berlin-New York 1984 13. Deutsche Mariendichtung aus neun Jahrhunderten. Herausgegeben und erläutert von Eberhard HAUFE. Frankfurt am Main 1989 14. ERNST, Peter: Deutsche Sprachgeschichte, Wien 2004 15. Gedichte des Barock. Herausgegeben von Ulrich Maché und Volker Meid. Stuttgart 1980 16. GOTTFRIED VON STRASSBURG: Tristan. Text, Bd. 2. Herausgegeben und übersetzt von Rüdiger Krohn. Stuttgart 1993 17. GREULE, Albrecht: Vorlesung „Vor- und Frühgeschichte der deutschen Sprache“, gehalten an der Universität Regensburg 2009 (unveröfferntlicht) 18. HAHN, Gerhard: Johannes von Tepl. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 4. Berlin-New York 1983 19. HAHN, Gerhard: Vorlesung „Der deutsche Minnesang“, gehalten im WS 1994 und im SS 1995 an der Universität Regensburg (unveröffentlicht) 20. HÖVER, Werner: Johann von Neumarkt. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 4. Berlin-New York 1983 21. KARTSCHOKE, Dieter: Geschichte der deutschen Literatur im frühen Mittelalter. München 1994^2 22. KLUGE, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Unter Mithilfe von Max Bürgisser und Bernd GREGOR völlig neu bearbeitet von Elmar SEEBOLD. Berlin-New York 1989^22 23. KÖNIG, Werner, Atlas zur deutschen Sprache, München 1992^9 24. KRAUSE, Wolfgang: Runeninschriften im älteren Futhark, Halle 1937 25. Lateinische Prosa des Mittelalters. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Dorothea WALZ, Stuttgart 1995 26. Lateinische Lyrik des Mittelalters. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Paul KLOPSCH, Stuttgart 1985 27. LEXER, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Stuttgart 1969^33 28. Lexikon des Mittelalters, Band IV, „Germanen“, Sp. 1338 u.f. , Lachen am Zürichsee 1999 29. MÄRZ, Christoph: Das canticum boemicale „Otep myry“ und Frauenlobs Cantica Canticorum.In: Haustein, Jens und STEINMETZ, Ralf-Henning (Hrsg): Studien zu Frauenlob und Heinrich von Mügeln. Festschrift für Karl Stackmann zum 80. Geburtstag. Freiburg 2002, S. 15-30. 30. MASAŘÍK, Zdeněk, Historische Entwicklung des Deutschen, Masarykova Univerzita Brno 1994 31. MASAŘÍK, Zdeněk: Historická němčina pro archiváře, Masarykova univerzita Brno 1993 32. MEINEKE/SCHWERDT: Einführung in das Althochdeutsche (2001) 33. Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch, Auswahl, Althochdeutsch /Neuhochdeutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Gisela Vollmann-Profe. Stuttgart 1987 34. PAUL, Hermann: Mittelhochdeutsche Grammatik. Neu bearbeitet von Peter WIEHL und Siegfried GROSSE. Tübingen 1989^23 35. PHILIPP, Gerhard: Einführung ins Frühneuhochdeutsche. Heidelberg 1980. 36. SCHMIDT, Wilhelm: Geschichte der deutschen Sprache, Stuttgart 2000^8 37. Schützeichel, Rudolf: Althochdeutsches Wörterbuch . Tübingen 1995^5 38. SCHWEIKLE, Günther: Mittelhochdeutsche Minnelyrik. I. Frühe Minnelyrik. Stuttgart-Weimar 1993 39. SCHWEIKLE, Günther:Germanisch-deutsche Sprachgeschichte im Überblick, Stuttgart-Weimar 2002^5 40. ŠIMEK, Rudolf: Religion und Mythologie der Germanen, Darmstadt 2009 41. STANOVSKÁ, Sylvie: Hle, již v mém srdci vstává den. Antologie německé dvorské lyriky 12.-14. století. Praha 2009. 42. WACHINGER, Burghart: Hohe Minne um 1300. Zu den Liedern FRAUENLOBS und König WENZELS von Böhmen. In: Wolfram-Studien, Bd. X, Berlin 1988, S. 135-150. 43. WEDDIGE, Hilkert: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. München 1998^2 44. WISNIEWSKI,Roswitha: Deutsche Literatur vom achten bis elften Jahrhundert, Berlin 2003 Weitere ausgewählte literarische Textproben Alcuin – Gedicht (Übersetzt aus dem Lateinischen) Aus dem Brief an Gundrada, Cousine Karls des Großen, verfasst zw. (801-804 n. Chr.) 1 Dich lobe der Mensch, begabender Schöpfer, im Herzen und im Geiste, in Liebe zum Frieden; ein nicht eben geringer *není právě malou Teil des Alls ist er ja. součástí vesmíru. 2 Vielmehr ist er allein * (Člověk) je spíše sám dein großes Ebenbild, tvým odrazem Schöpfer, in des Heiligen Tvůrce, ve hradu Geistes Burg, Svatého ducha wenn er reinen Herzens když s čistým srdcem nur in der Ehrfurcht lebt. žije ve stálé pokoře a bázni. 3 O Gott und Licht, dein Preis möge stets Herzen und Münder erfüllen, auf daß wir dich * abychom tě stets lieben, Heiliger, Allgegenwärtiger. *svatý, všudypřítomný. 4 Diese frommen Worte, gläubige Jungfrau, laß in deinem Munde erklingen, auf dass der sanfte Christus dein ganzes Leben leite. 5 Er allein sei dir, bete ich, allzeit, Licht, Liebe und Urbild des Heils, ewiges Leben, immerwährender Ruhm. * věčná sláva 6 Ihm weihe dich *Jemu se zasvěť als keuschen Tempel coby počestný (ctnostný) chrám in Leib und Geist, tělem i duchem süße Freundin, und allzeit und ewig lebe wohl! Aus: Lateinische Lyrik des Mittelalters, hrsg. Von Paul Klopsch, Stutgart 1985 Quelle: Lateinische Prosa des Mittelalters. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Dorothea WALZ, Stuttgart 1995 Quelle: Lateinische Prosa des Mittelalters. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Dorothea WALZ, Stuttgart 1995 Quelle: Althochdeutsche Literatur. Eine kommentierte Anthologie. Übersetzt, herausgegeben und kommentiert von Stephan MÜLLER. Stuttgart 2007. Quelle: Althochdeutsche Literatur. Eine kommentierte Anthologie. Übersetzt, herausgegeben und kommentiert von Stephan MÜLLER. Stuttgart 2007. Quelle: Althochdeutsche Literatur. Eine kommentierte Anthologie. Übersetzt, herausgegeben und kommentiert von Stephan MÜLLER. Stuttgart 2007. Quelle: Althochdeutsche Literatur. Ausgewählte Texte mit Übertragungen. Herausgegeben, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Horst-Dieter SCHLOSSER. Frankfurt am Main – Hamburg 1970. Velmi náročné psaní, směřované židovskému malíři. Dopis, předaný pražskému občanu Petru Rotherschovi spolu s knížkou „Oráč“, složenou před krátkým časem. Laskavému nabízí laskavý, svému svůj, příteli přítel, Petrovi z Teplé Jan z Teplé, pražskému občanu občan žatecký prokazuje přátelskou a bratrskou náklonnost. Náklonnost, jež nás sdružovala ve chvílích kvetoucího mládí, mne nabádá a pobízí, abych ve vzpomínkách na Vás hledal útěchu; a protože jste před nedávnem ode mne žádal, abych Vás obeslal novinkami z pole rétorické krásy, na němž se odvažuji – i když jsem sklizeň promeškal – sklízet klasy, předávám Vám tímto tento neotesaný a selský, německým jazykem složený kus a dílo, které právě vychází zpod mé kovadliny. Nicméně je v něm na podkladě zmíněné neotesané látky učiněn útok na sílu a podstatu Smrti; o slovo se v něm hlásí hlavní formy řečnického umění. Dlouhá látka je v něm krácena, krátká prodloužena, při stejné příležitosti je chvála věcí, b dokonce jedné a téže věci spojena s její hanou. Naleznou se tu vyjádření přesné i nepřesné, vedle stejně znějících slov také jejich stejnojmennost. Běží zde a pospíchají větné členy, větné části a souvětí v nových, neotřelých formách; zde si pohrává na stejném místě žert s uzavřenou vážností. Metafora zde slouží, arenga popichuje a je opět uchlácholena, ironie se posmívá i usmívá, vedle řečnických figur se zde ujímají vlády ozdoby slov i vět. Ještě mnohé jiné, ano vskutku všechny již zapomenuté rafinovanosti řečnického umění, které je v tomto neotesaném jazyku možno vytvořit, jsou zde užity v živém pohybu, jak také pozorný posluchač sám zjistí. Nakonec Vás chci obšťastnit leskem latinských slaměných stonků z mého neplodného pole. Dále Vám do Vašich rukou poroučím Mikuláše Johlína, jenž Vám tento dopis předá, abyste jej mile přijal, a poroučím jej, svého chráněnce, jako sebe sama Vaší pozorné a neohraničené přízni a přednostnímu zacházení. Ostatní nechť zůstane, jak bylo, pokud se věci nestanou lepšími. Vyhotoveno z moci mého notářského znamení v předvečer dne Sv. Bartoloměje v roce 1428[134]. ________________________________ [1] Zitiert nach Wilhelm Schmidt, Geschichte der deutschen Sprache (s. u. Literaturverzeichnis), S.18 und 32, weiter als SCHMIDT angeführt. [2] Nach P. ERNST, Deutsche Sprachgeschichte (2004), weiter als ERNST zitiert. [3] ERNST, S. 43f. [4] Weiteres bei SCHMIDT. [5] Nach ERNST, S. 50 [6] Nach GREULE: Vorlesung „Vor- und Frühgeschichte der deutschen Sprache, Universität Rgensburg 2009, weiter als GREULE zietiert. [7] Nach SCHMIDT, S. 35f. [8] frei nach ERNST, S.21-23. [9] MEINEKE/SCHWERDT: Einführung in das Althochdeutsche (2001), S.25. [10] nach SCHMIDT, S. 196f. [11] Nach ERNST, S. 65-69 und 72. [12] Näheres s. Lexikon des Mittelalters, Band IV, „Germanen“, Sp. 1338 u.f. [13] Der Stamm der Kimbern ist auf seiner Wanderung durch Europa jedoch ausgestorben – er unterlag der Assimilation. [14] Frei nach der Vorlesung von Albrecht GREULE „Vor- und Frühgeschichte der deutschen Sprache“, die er im WS 2009 an der Universität Regensburg hielt. Die Vorlesung wird weiter als GREULE zitiert. [15] Folgende Ausführungen gründen sich grundsätzlich auf dem bereits erwähnten Standardwerk „Geschichte der deutschen Sprache“ von Wilhelm SCHMIDT (s. weiter unter Literaturverzeichnis), weiter als SCHMIDT zitiert. [16] GREULE [17] ebenda [18] ebenda [19] Ebenda, auch SCHMIDT, S. 63f. [20] Frei nach Günther SCHWEIKLE, Germanisch-deutsche Sprachgeschichte im Überblick, S. 26ff. [21] Nach SCHMIDT, S. 19. [22] Frei nach GREULE und nach der „Historischen Entwicklung des Deutschen“ von Prof. PhDr. Zdeněk Masařík, DrSc., MU Brno (1994), weiter als MASAŘÍK zitiert. [23] R. ŠIMEK, Religion und Mythologie der Germanen, S. 110 u.f., weiterhin als ŠIMEK zitiert. [24] Ebenda, S.111 [25] Frei nach ŠIMEK, S. 112f. Derselbe Autor führt auch an, dass die Gleichsetzung des Gottes Tȋwaz/Týr mit Mars in vielem problematisch ist. [26] Duden - Deutsches Universalwörterbuch. 4. Aufl. Mannheim 2001. [CD-ROM]. [27] Der Name bedeutet wohl „Gefährte der Sachsen“ oder der Schwertgefährte“[27], weil „Sax“ den Kurzschwert der Sachsen bezeichnete. [28] Frei nach ŠIMEK, S. 114. [29] Ebenda, S. 115. [30] Ebenda, S. 115. [31] Mehr zu der Etymologie der Namen führt ŠIMEK, S. 116 f. an. [32] Muttergöttin der Sueben, der späteren Schwaben; frei nach ŠIMEK, S. 121-123. [33] Nach ŠIMEK und nach dem Artikel „Die Götter der Germanen und ihr Umfeld“, zugänglich unter: http:/www.harzlife.de/info/goetter-der-germanen.html [22.4.2013]. [34] Frei nach GREULE. [35] Quelle: http://www.gedichtepool.de/thema/mittelalter.htm#6 [9.5.2013] [36] Quelle: http://www.gedichtepool.de/thema/mittelalter.htm#6 [9.5.2013] [37] Frei nach GREULE. [38] In dem finnischen Nationalepos (Kalewala), das mit festlicher Stimme vorgesungen wurde, gibt es den Ausdruck finn. runo, der „Lied“ oder „Gesang“ bedeutet. Wohl hängt dieses Wort mit dem germanischen Wort „raunen“ zusammen. [39] Frei nach GREULE und nach Wolfgang KRAUSE: Runeninschriften im älteren Futhark (1937), S. 24-35. [40] Zusammenstellung der Ereignisse aus dem Leben Christi nach allen vier Evangelien [41] Columban gründete außerdem im Langobardenreich das Kloster Bobbio. [42] Sie gehen als Gründungen auf Bischof Pirmin zurück, der vermutlich ein Westgote war (?). [43] Nach Bayern kam 670 der Wanderbischof Emmeram aus Poitiers, der das bekannte und literarisch wie im Bereich der Handschriftenmalerei bedeutende Regensburger Kloster St. Emmeram gründete. [44] Vom Missionar Rupert gegründet. [45] Frei nach WISNIEWSKI (2003), S. 24f. [46] Frei nach Dieter KARTSCHOKE, Geschichte der deutschen Literatur im frühen Mittelalter (1994), S. 66ff., bes. S. 68. [47] Frei nach WISNIEWSKI, S. 33f.. [48] Zitiert und frei wiedergegeben nach WISNIEWSKI, S. 34 f. [49] KARTSCHOKE,S.68 [50] Frei nach Werner KÖNIG: dtv-Atlas zur deutschen Sprache (1992). S.61. Weiter als KÖNIG zitiert. [51] Ebenda, S. 69. [52] Ebenda, S. 71 [53] Nach SCHMIDT, S. 70. Weiterführendes zu der Lehnwortschatz auch hier auf den Seiten 65-67. [54] Sieh Kapitel I [55] Nach MASAŘÍK (1994), S. 21-23. [56] Frei nach BERGMANN / PAULY / MOULIN-FANKHÄNEL: Alt- und Mittelhochdeutsch, ein Arbeitsbuch, S. 48-51 [57] Die Verbreitung des Umlauts auf andere Vokale, z.B. u > ü, û > ü, ou > öü, uo > üe fällt ins 11. Jh. [58] Dat. Sg. bair. Kelbirisbach ist ein uralter Name, in dem das ir-Stammbildungselement noch merkbar ist. [59] Dieses Paradigma spielt eine große Rolle im weiteren Verlauf der Flexion, da die Unterscheidung Sg.- Pl. hier leicht ist und es übergehen auch weitere Lexeme zu diesem Paradigma, wie z. B. später mhd. walde – Wälder, lande – Länder. [60] Nach MASAŘÍK (1994), S.24-31. [61] Dieser zweite, jüngere Ausdruck tritt erst seit dem 12. Jh. auf. [62] Nach MASAŘÍK (1994), S. 31ff. und 37f. [63] „zeihen“ = jemanden bezichtigen [64] ai vor h ändet sich zu ê [65] ein urspr. au ändert sich vor t zu ô [66] quantitativer Ablaut [67] psychische Möglichkeit [68] physische Möglichkeit [69] Nach MASAŘÍK (1994), S. 38-45. Nach SCHMIDT, S. 192-205. [70] Ähnlich bei BRUNNER Geschichte der deutschen Literatur im Überblick, S.49-68, hier auch Weiterführendes. Zu der genauen Beschreibung, Deutung und Auslegung des Werkes s. WISNIEWSKI, Deutsche Literatur vom achten bis elften Jahrhundert (2003); S.154-204. [71] Aus: Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch, Auswahl, Althochdeutsch /Neuhochdeutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Gisela Vollmann-Profe. Stuttgart 1987, S56f.. [72] ERNST, S. 100. (Peter Ernst, Deutsche Sprachgeschichte, Köln - Basel- Wien 2005, S. 99ff.) [73] Ebda. [74] Ebda, S.101 [75] Ebda. [76] Z.T. nach ERNST, S: 104, Angaben über die Mäzenen unter den Premysliden S. Stanovská [77] ê2 - ô1 später dipthongiert [78] Auslautverhärtung [79] die ahd. Formen im Plural: tagâ, tago, tagum, tagâ [80] Nom. und Akk. Ursprünglich ohne Endung, es setzt sich jedoch der er-Plural von den ehem. ir/ar-Stämmen durch (Pl. diu kint neben diu kinder). Einige Neutra übernehmen seit dem 12. Jh. die e-Endung des Plurals von den maskulinen a-Stämmen. [81] die ahd. Formen im Plural: gesti, gestio, gestim, gesti [82] Auslautverhärtung [83] die ahd. Formen im Plural: lembir, lembiro, lembirum, lembir [84] die ahd. Formen im Plural: gebâ, gebôno, gebôm, geba [85] Das -e- im N.Sg. ist bei vielen Wortformen abgefallen, so. z.B. herre >herr – Apokope. [86] ahd. herza, ôra, ouga, wanga - neutrale n-Deklination [87] die ahd. Formen im Plural: blinte, blintero, blintêm, blinte [88] im Ahd. blintemu [89] im Ahd. blintan [90] wie hane, zunge, herze [91] nhd. „stehlen“ [92] nhd. „gönnen“ [93] alte Endung -t [94] nhd. „wagen“ [95] auch: dürfen, können, werden [96] nhd. „müssen“ [97] ahd. teta, Reduplikation [98] ahd. tâtum. Die Pluralformen sowie die 2.Ps.Sg.sind durch Analogie zum stV. der 5. KLasse geben gebildet. [99] ahd. tâti, i-Umlaut [100] Frei nach WEDDIGE, MASAŘÍK, SCHMIDT, ERNST, de BOOR/WISNIEWSKI, PAUL/WIEHL/GROSSE. Hier auch Weiterführendes. [101] Übersetzt von Sylvie Stanovská [102] Edition und Übersetzung von Günther Schweikle, Stuttgart 1993, S. 156 ff. [103] Lexikon des Mittelalters, Bd. VI, Sp. 640f. [104] SCHWEIKLE, Minnesang, Stuttgart 1989, S. 73f. – hier auch Ausführliches zu den neueren Minnesangtheorien. [105] Die ganze Problematik ist jedoch komplizierter. Im sogenannten Hohen Minnelied ist keine Erhörung von Seiten der Dame zum eigentlichen Thema geworden. In den meisten Minnekonzepten wurde die Frau als unerreichbar, hochgestellt, eine leibliche und geistige Vereinigung ist absolut unerreichbar – klagender, düsterer Ton der Lieder, der sog. Minneklagen. [106] Edition und Übersetzung Schweikle, 1993, S. 126ff. [107] Nach der Vorlesung von Prof. Dr. Gerhard Hahn „Der deutsche Minnesang“, welche von ihm im WS 1994 und im SS 1995 an der Universität Regensburg gehalten wurde. [108] Reclam - Bd. II, S. 127ff, Vers 11970ff. Übersetzung ins Neuhochdeutsche: Rüdiger Krohn; Tristan a Izolda. Übersetzt von Sylvie Stanovská, unveröffentlicht. [109] Seguenz – eine musikalisch- textliche Neuschöpfung der Karolingerzeit – kirchlicher Gesang, bei dem musikalisch paarweise wiederholte Melodienteile unterschiedlicher Länge aneinander gereiht sind. Entwickelt hat sich Sequenz aus dem Alleluia-Gesang – die letzten Töne des Gesangs wurden mit einem neuen Text versehen und gesungen. [110] Nach BRUNNER: Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters im Überblick, S.96f. [111] Um 1130 / 40 verfasst (neuhochdeutsche Übersetzung) [112] Aus: Deutsche Mariendichtung aus neun Jahrhunderten. Hrsg. und erläutert von Eberhard HAUFE. Frankfurt am Main 1989, S.12-18. [113] So WACHINGER, 1988. [114] Zu weiteren Details s. Sylvie STANOVSKÁ im Buch „Moravo, Čechy, radujte se!“ (1998, S. 199f. ). Die neue Edition dieser Legende mit neuhochdeutscher Übersetzung verfertigte doc. PhDr.Jaromír ZEMAN, CSc.,(Masarykova univerzita, 2011) unter dem Titel „Die Marienlegende des Heinrich Clûsenêre“. [115] Aus: HAUFE, Deutsche Mariendichtung, S. 39ff. [116] Das -e als unbetonter zweiter Vokal bleibt bei -ie- erhalten und signalisiert die Länge des -i-. [117] In der 2.Ps.Sg.Prät. wird durch den Systemzwang die alte, vom Plural abgeleitete Form, die meist auch den Umlaut aufweist (z. B. mhd. rite, büge, bünde, naeme, gaebe) allmählich durch die Endung -es / -est ersetzt. Diese neue Form setzt sich endgültig im 16. Jh. durch; das e wird meist synkopiert: du ritest > bis zum nhd. rittst, du bandest, aber du namst, du gabst. [118] Aus seinem Besitz stammt z. B. das Buch „Liber Viaticus“, um 1360, Prag, Knihovna národního muzea, cod. XIII A 12. [119] Frei nach HÖVER, Werner: Johann von Neumarkt. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 4. Berlin-New York 1983, Sp. 686-695. [120] Frei nach HAHN, Gerhard: Johannes von Tepl. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 4. Berlin-New York 1983Sp. 763-774. [121] in: Bibliotheca Augustana, unter www.mediaevum.de/Bibliotheca Augustana/Ackermann aus Böhmen abrufbar. [122] Quelle: http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Tepl/tep_tod.html [22.5.2013] [123] Quelle: Zugängich unter http://kirchenliederblog.wordpress.com/2010/10/12/ein-feste-burg-ist-unser-gott-eg-362/ [22.52013] [124] Quelle: Zugänglich unter http://kirchenliederblog.wordpress.com/2010/12/22/vom-himmel-hoch-da-komm-ich-her/[22.5.2013] [125] Quelle: Zugänglich unter http://kirchenliederblog.wordpress.com/2012/03/09/o-haupt-voll-blut-und-wunden-eg-85/ [22.5.2013] Hier auch der Begleittext. [126] Quelle: Gedichte des Barock. Hrsg. von Ulrich Maché und Volker Meid. Stuttgart (Reclam) 1980, S. 58. Text nach der Ausgabe von 1646. Das Gedicht erschien zuerst 1641 in der posthumen Lyriksammlung „Prodomus“. [127] Zugänglich unter: http://www.vormbaum.net/index.php/component/docman/doc_view/1083-paul-fleming-an-sich?Itemid=8 [22.5.2013] [128] Abrufbar unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/2204/6 [6.6.2013] [129] Abrufbar unter: http://www.rhetoriksturm.de/es-ist-alles-eitel-gryphius.php [5.6.2013] [130] Zugänglich unter: http://unterrichtsprojekt.net/barock/abgedankte_soldaten/ [22.5.2013] [131] Informationen über den Autor sind unter: http://gutenberg.spiegel.de/autor/10[ 27.5.2013] abrufbar. [132] Zugänglich unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/3776/7 [27.5.2013] [133] Zugänglich unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/5248/2 [22.5.2013] [134] Dopis podle edice Johannes von Tepl: Der Ackermann, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Christian Kiening, Stuttgart 2000, S. 82-85 přeložila Sylvie Stanovská. Uvedené datum v závěru dopisu se nevztahuje k původnímu dopisu Jana z Teplé příteli Petru Rotherschovi . Je datem opisu ve sbírce cvičných listů Freiburského archivu. Díky tomuto opisu víme o záměru Jana z Teplé vyobrazit ve svém díle „Oráč“ všechny známé odstíny řečnických ozdob, stylů i dobového řečnického umění, školeného ponejvíce na latinských předlohách. Myšlenka užít tohoto stylu v textu psaném německy je unikátním počinem. Dílo je vrcholnou ukázkou náročné umělecké prózy pozdního středověku v národních jazycích (S. Stanovská). ________________________________ [DS1]takto?