Graf Öderland Eine Moritat in zwölf Bildern Personen 1. Ein Staatsanwalt hat es satt der staatsanwalt Elsa, seine Gattin doktor hahn hilde. Inge, coco (die gleiche Darstellerin) der mörder ein wärter der vater die mutter mario, ein Hellseher die köhler ein concierge ein gendarm der fahrer der innenminister der kommissar der direktor der general ein sträfling ein student zwei kulturträger zwei kellner der greise staatspräsident frau hofmeier Arbeitszimmer in der Villa des Staatsanwalts. Nacht. Auf dem Schreibtisch brennt eine Arbeitslampe. Der Staatsanwalt, ein Herr von fünfzig Jahren, kräftig und groß, steht reglos, Hände in den Hosentaschen, Blick gegen die Wand, die aus lauter Ordnern besteht, aber er blickt nicht auf diese Ordner, sondern ist in Gedanken verloren. Eine Turmuhr schlägt zwei. Später hört man eine Frauenstimme. stimme Martin? Martin! ... Der Staatsanwalt nimmt keinerlei Notiz davon, bis die Stimme plötzlich aus nächster Nähe tönt: er knipst das Licht aus, so daß die Suchende in ein finsteres Zimmer tritt. Martin? Martin! .. . Wo ist er nur hingegangen -Sie schaltet die große Deckenlampe an. -da bist du ja! Der Staatsanwalt steht wie zuvor, die Gattin trägt einen Schlafmantel und ist schön, aber verschlafen. Elsa Ich suche dich im ganzen Haus, wieso gibst du keine Antwort? Ich dachte schon, du bist ausgegangen - staatsanwalt Wohin? Elsa Was ist los? Staatsanwalt Ich habe mich nur angezogen. elsa Mitten in der Nacht? Staatsanwalt Es scheint so. elsa Wieso schläfst du nicht? Staatsanwalt Wieso schläfst du nicht? Er nimmt sich eine Zigarre und schneidet sie gelassen. Es tut mir leid, Elsa, ich habe dich nicht wecken wollen. Was soll schon los sein? Ich habe mich angezogen, um eine Zigarre zu rauchen, wie du siehst. Das ist alles. Er zündet sich die Zigarre an. Ich kann nicht schlafen. elsa Du rauchst zuviel. Staatsanwalt Möglich ... 261 elsa Du arbeitest zuviel. Staatsanwalt Sicher... das tun wir ja alle hierzulande. Bis es einmal reißt. Und dann wundern sie sich, unsere braven Geschworenen, wenn einer zur Axt greift. Er raucht, dann lacht er. Dein Doktor Hahn, das finde ich ja besonders witzig: daß der Anwalt, der den armen Kerl verteidigen soll, von seiner Tat am allerwenigsten begreift! elsa Ich weiß nicht, wovon du redest. Staatsanwalt Heute hat er gestanden. elsa Wer? Staatsanwalt Der Mörder. Er raucht. Nicht Doktor Hahn, sondern der Mörder... elsa Was willst du damit sagen? Staatsanwalt Mord aus Gewinnsucht, Mord aus Rache, Mord aus Eifersucht, Mord aus Rassenwahn, alles geht in Ordnung. Läßt sich erklären, läßt sich verurteilen. Aber ein Mord einfach so? Das ist wie ein Riß in der Mauer. Man kann tapezieren, um den Riß nicht zu sehen. Der Riß bleibt. Man fühlt sich nimmer zuhaus in seinen vier Wänden, Er raucht. Das ist alles ... elsa Martin, es ist zwei Uhr. Staatsanwalt Ich weiß, in acht Stunden stehe ich vor Gericht, um die Anklage zu führen, ich, schwarz und fürchterlich - und auf der Bank sitzt ein Mann, den ich immer besser begreife. Bald besser als mich selbst. Obschon er nichts erklären kann. Ein Mann von siebenunddreißig Jahren, Kassierer bei einer Bank, brav, gewissenhaft zeit seines Lebens, gewissenhaft und bleich, und eines schönen Abends nimmt er die Axt und erschlägt einen Hauswart, der nichts dafür kann. Warum? elsa Warum denn? Der Staatsanwalt raucht und schweigt. Du solltest nicht immer an deine Akten denken, Martin. Du machst dich krank. Jede Nacht arbeiten,das verträgt kein Mensch. 262 Staatsanwalt Nimmt einfach die Axt.. . iLSA Hörst du nicht, was ich sage? Der Staatsanwalt raucht und schweigt. Ich sage, es ist zwei Uhr vorbei. Staatsanwalt Es gibt Stunden, wo ich ihn begreife ... elsa Wenn du nicht schlafen kannst, warum nimmst du kein Pulver? Nun gehst du wieder die ganze Nacht hin und her. Was hat das für einen Sinn! Wie ein Gefangener. Was kommt dabei heraus? Am andern Morgen bist du wieder wie gerädert, du bist nicht mehr jung, Martin — Staatsanwalt Ich bin es nie gewesen. Er nimmt ein Foto vom Schreibtisch. So sieht er aus! elsa Ich verstehe dich nicht, Martin. staatsanwalt Ich Weiß. elsa Wieso bist du nicht jung gewesen? Der Staatsanwalt raucht und betrachtet das Foto. Warum machst du keine Ferien? Staatsanwalt . . . vierzehn Jahre an der Kasse, Monat um Monat, Wocheum Woche, Tagfür Tag, ein Mann, derseine Pflicht erfüllt wie wir alle. Schau ihn an! Ein Mensch ohne Laster, alle Zeugen bestätigen es, ein stiller und friedlicher Mieter, Naturfreund, Fußgänger, unpolitisch, Junggeselle, seine einzige Leidenschaft war das Sammeln von Pilzen, ein Mensch ohne Ehrgeiz, scheu und arbeitsam, ein geradezu vorbildlicher Angestellter. Er legt das Foto wieder hin. Es gibt Augenblicke, wo man sich wundert über alle, die keine Axt ergreifen. Alle finden sich damit ab, obschon es ein Spuk ist. Arbeit als Tugend. Tugend als Ersatz für die Freude. Und der andere Ersatz, da die Tugend nicht ausreicht, ist das Vergnügen: Feierabend, Wochenende, das Abenteuer auf der Leinwand — Elsa gähnt. Du hast recht, Elsa, es ist zwei Uhr. Vielleicht kann ich mich nicht ausdrücken. Du bist müde, ich langweile dich. Du gähnst, sobald ich rede. 263 elsa Verzeihung. Staatsanwalt Du mußt schlafen. elsa Ich kann dir nur immer das gleiche sagen: -Staatsanwalt Daß ich zu einem Arzt gehen soll. elsa Aber das tust du ja nicht. Weil du weißt, was er dir sagen wird: - Staatsanwalt Daß es so nicht weitergeht. elsa Das sagen auch deine Freunde. Staatsanwalt Wer zum Beispiel? elsa Hahn — Doktor Hahn, zum Beispiel. Staatsanwalt Doktor Hahn ist nicht mein Freund. elsa Sondern-? Staatsanwalt Deiner. elsa Martin! Staatsanwalt Das nebenbei. Er setzt sich an den Schreibtisch. Lassen wir das. Darum geht es ja nicht . . . Ich bin der einzige Mensch, sagt er, der erste Mensch, der ihn versteht, sagt er. elsa Wer? Staatsanwalt Der Mörder. elsa Martin, ich friere. Staatsanwalt Es ist kalt hier. elsa Du bist übermüdet, Martin, das ist alles. Du bist nervös. Ein Prozeß nach dem andern! Und ein Mensch wie du, der alles so ordentlich nimmt, so gewissenhaft - staatsanwalt Ich Weiß. elsa Warum machst du keine Ferien? Staatsanwalt Ferien in Spanien. elsa Der Mensch braucht das, Martin. Staatsanwalt Vielleicht. Er blättert in den Akten. Vielleicht auch nicht . . . Hoffnung auf den Feierabend, Hoffnung auf das Wochenende, all diese lebenslängliche Hoffnung auf Ersatz, inbegriffen die jämmerliche Hoffnung auf das Jenseits, vielleicht genügte es schon, wenn man den Millionen angestellter Seelen, die Tag für Tag an ihren Pulten hocken, diese Art von Hoffnung nehmen würde: - groß wäre das Entsetzen, groß die Verwandlung. Wer weiß! Die Tat, die wir Verbrechen nennen, am Ende ist sie nichts anderes als eine blutige Klage, die das Leben selbst erhebt. Gegen die Hoffnung, ja, gegen den Ersatz, gegen den Aufschub ... Die Turmuhr schlägt. elsa Nimm es mir nicht übel, Martin, aber ich bin wirklich zum Umsinken müde. staatsanwalt Ich Seh'S. elsa Grübeln ändert nichts. Staatsanwalt Da hast du recht. Er erhebt sich und gibt der Gattin einen Kuß auf die Stirne. Geh schlafen, Elsa! elsa Und du auch. Staatsanwalt Gutnacht. elsa Gut nacht. Staatsanwalt Ich rauche bloß noch meine Zigarre. Elsa entfernt sich, der Staatsanwalt steht, wie er zu Anfang gestanden hat. Er raucht. Er bemerkt nicht, daß durch eine andere Türe eine weibliche Gestalt eingetreten ist, barfuß, fast noch ein Kind, Holz unter dem Arm. Erst als sie vor dem Kamin kniet und ein Scheit auf den Boden fällt, erschrickt er. Hilde Ich habe Sie erschreckt? Staatsanwalt Wer bist du? Hilde Hilde. Staatsanwalt Was ist denn? Hilde Herr Staatsanwalt haben geklingelt. staatsanwalt Ich? hilde Es ist kalt hier. Vielleicht soll ich Feuer machen. Herr Staatsanwalt verzeihen mein offenes Haar, ich komm aus dem Bett. Staatsanwalt Ich habe nicht geklingelt. hilde Ich will Feuer machen. Der Staatsanwalt schaut ihr zu. Es schneit noch immer so. Eine Lawine ist vom Dach gerutscht. Daran bin ich aufgewacht. Das hat gedonnert wie im Sommer. 264 265 Haben Herr Staatsanwalt es nicht gehört? Und alles hat ge- 1 - Wie das scheint! wankt wie bei einem Erdbeben. siaatsanwalt Ja . . . Pause .....>e Wie bei den Köhlern im Wald! Herr Staatsanwalt lesen wieder die ganze Nacht? maatsanwalt Ja . . . Staatsanwalt Du hast geträumt, Kind, ich habe nicht geklingelt. im de Daß man möchte tanzen dazu! Hilde Jetzt brennt's. '. 1 Aatsanwalt Ja . . . Feuerschein .....je Wie bei den Köhlern, als der Graf Öderland kam. Hoch Warum sehen Herr Staatsanwalt mich so an? lebe der Graf! und da sagte die Fee, als die Köhler erschraken, Der Staatsan walt seh weigt. denn es brannten ihre eigenen Hütten, es brannten die Dörfer Immer sagen Herr Staatsanwalt, ich seh aus wie eine Fee. Aber I und Städte - Herr Staatsanwalt glauben ja nicht an Feen, das hab ich schon . i AA'rsAnwalt Was sagte da die Fee? gemerkt. Herr Staatsanwalt machen sich lustig über mich. Bei I hilde Wie das scheint! uns droben, im Wald, da glauben's auch die Männer, nicht bloß so ein dummes Dienstmädchen wie unsereins. Staatsanwalt Du siehst aus wie eine Fee. Hilde In der Stadt, da glauben sie ja überhaupt nichts, das hab ich schon gemerkt, da lächeln sie bloß, wenn ich erzähle davon. staatsanwalt WOVOII? hilde Ach so, Geschichten. Sie schürt das Feuer. Jetzt brennt's! staatsanwalt Ja . . . hilde Warum verbrennen Sie es nicht, Herr Staatsanwalt, das viele Papier, das Herr Staatsanwalt alleweil lesen müssen? Staatsanwalt Verbrennen? hii.de Ich würde das tun. Staatsanwalt Dusprichst wie ein Kind. hilde Ich würde das tun. Staatsanwalt Danntu's! hilde Ichtu's! Der Staatsanwalt lacht und gibt ihr ein Aktenbündel. Ich tu's. Sie wirft das Aktenbündel ins Feuer, der Staatsanwalt sieht zu, I als wäre es nicht getan, sondern bloß gedacht, und lacht tonlos, Hilde holt ein zweites Bündel, ein drittes, schließlich den ganzen Rest, es lodert, daß das ganze Zimmer in Röte aufleuchtet. 266 267 2. Der Mörder Gefängniszelle. Doktor Hahn sitzt auf der Pritsche, Hut auf dem Kopf, Akten auf dem Knie. Der Mörder steht, die Hände in den Hosentaschen, und blickt zum Gitterfenster hinaus. Mörder Schnee... Doktor Hahn Was sagen Sie? Mörder Ich sage: Schnee ... Doktor Hahn Wenn Sie mir keine Antwort geben auf meine Fragen, wie soll ich Sie verteidigen? Ich frage nicht als Staatsanwalt. Seine Verhöre haben Sie erschöpft, das kann ich ja verstehen, seine Verhöre sind berühmt, sein Blick, sein Verständnis. Wie stehe ich heute da? Ich war von Ihrer Unschuld überzeugt. Mörder Ich weiß . . . doktor Hahn Warum haben Sie plötzlich gestanden? Der Mörder zuckt die Achsel. Heute wird das Urteil gefällt. Und ich weiß noch immer nicht, woher ich die mildernden Umstände nehmen soll. Ich weiß es nicht! wenn Sie mir nicht helfen. Pause Mörder Doktor, haben Sie noch eine Zigarette? Doktor Hahn bietet Zigaretten an. Das stimmt übrigens nicht, Doktor, was Sie vorher gesagt haben: daß er's mit Zigarren gemacht habe, der Staatsanwalt. doktor hahn Sondern? Mörder Weiß nicht. Doktor Hahn gibt Feuer. Er versteht mich einfach. Wenn man Monate lang gefragt wird und gefragt und wieder gefragt, und dann, plötzlich, steht einer im Saal, der einen versteht, Staatsanwalt hin oder her, Herrgott nochmal, es hat mir einfach wohlgetan ... Er raucht. Danke. doktor hahn Ich komme auf meine Frage zurück: Was haben Sie gedacht, beziehungsweise empfunden, als Sie damals, ich spre- 268 che vom 21. Februar vergangenen Jahres, von dem besagten Ort kamen? Mörder —was Sie wollen. doktor hahn Erinnern Sie sich! Mörder Das ist leicht gesagt, Doktor. doktor hahn Sie gingen aufs Klosett -Mörder Wie manchmal noch! doktor hahn Ich stütze mich auf die Akten. mörder Wenn es wahr ist, Doktor, was in diesen Akten steht, man könnte meinen, ich verbrachte mein ganzes Leben auf dem besagten Ort. doktor hahn Was in den Akten steht, sind Ihre eignen Aussagen. mörder Ich Weiß. doktor hahn AlSO. Mörder Mag sein -! doktor hahn Was mag sein? mörder Daß es wahr ist. Gewissermaßen. Daß ich mein Leben gewissermaßen auf dem besagten Ort verbracht habe. Ich erinnere mich, oft hatte ich durchaus dieses Gefühl. doktor hahn Daß Sie stets die Arbeitszeit dafür genommen haben, sagten Sie schon. Das ist ein Spaß, der die Geschworenen zum Lachen gebracht hat. Ich habe nichts dagegen, daß man die Geschworenen eimal zum Lachen bringt. Aber wesentlich ist das nicht; das machen alle Angestellten. mörder Dieses Gefühl hatte ich auch, Doktor, daß es nicht wesentlich ist, auch wenn ich vor dem Spiegel stand und mich rasierte jeden Morgen, wir mußten immer tadellos rasiert sein, oder wenn ich meine Schuhe nestelte und dazwischen frühstückte, um Schlag acht Uhr an meinem Schalter zu sein jeden Morgen ... jeden Morgen ... doktor hahn Was haben Sie sagen wollen? mörder In sechs Jahren wäre ich Prokurist geworden. Er raucht. Sie haben recht, auch das hätte nichts verändert. Es fällt mir nur so ein. Überhaupt beklage ich mich in keiner Weise über die 269 Bank-Union. Unser Betrieb war musterhaft, das muß ich sagen, unser Hauswart hatte einen Kalender, wo man nachsehen konnte, wann jede Flügeltür zum letzten Mal geschmiert worden ist. Diesen Kalender habe ich mit eignen Augen gesehen. Da gab es keine girrende Türe und nichts. Das muß man sagen. Doktor mahn Um auf unsre Frage zurückzukommen: - Mörder Ja: Was ist wesentlich? Doktor Hahn Ich rekapituliere: Sonntagnachmittag beim Fußball-Länderspiel, die Niederlage unsrer Mannschaft bedrückt Sic, abends im Kino, aber der Film fesselt Sie nicht, Sie gehen zu Fuß nachhaus, laut Akten empfinden Sie keinerlei Unwohlsein- mörder Nur Langeweile. Doktor mahn — zuhause Fernsehen, aber das fesselt Sie auch nicht, 11 Uhr 20 nochmals in die Stadt, Besuch einer Milchbar, kein Alkohol, Sie klingeln kurz vor Mitternacht an der Hinterhoftüre der Bank-Union - Mörder Weil das Hauptportal geschlossen war. doktor haiin Als der Hauswart öffnet, sagen Sie ihm, Sie müßten auf den besagten Ort .. . Ich verstehe noch immer nicht, warum Sie zu diesem Zweck (es war Sonntag) ausgerechnet auf die Bank-Union gehen. Mörder Ich versteh's ja auch nicht. doktor Hahn Weiter! Mörder Macht der Gewöhnung. doktor mahn Jedenfalls läßt Hofmeier Sie herein. Mörder Er war eine Seele von Mensch. doktor hahn Ohne sich zu wundern über Ihren nächtlichen Besuch? Mörder Natürlich wunderte ersieh. doktor haiin Aber? Mörder Ich wunderte mich ja auch, ich schaute zu, wie er die Heizkessel bediente, und wir plauderten noch mindestens fünf Minuten. doktor hahn Worüber? Mörder Ich sagte: Dich sollte man auf der Stelle erschlagen! Wir lachten. 270 doktor hahn Und dann? Mörder Ging ich auf den besagten Ort. . doktor hahn Uiiddann? Mörder — hab ich 's getan. Er zertritt die Zigarette auf dem Boden. Ich weiß nicht, Doktor, was Sie noch wissen möchten ... Pause doktor hahn Haben Sie eine schwere Jugend gehabt? Mörder Wieso? doktor hahn Hat Ihr Vater Sie mißhandelt? Mörder Wie kommen Sie denn darauf? doktor hahn Hat Ihre Mutter Sie vernachlässigt? Mörder Im Gegenteil. doktor hahn Hm. Mörder Ich würde es Ihnen schon sagen, Doktor, aber ich habe kein Motiv ... doktor hahn Hm. Mörder Ehrenwort. doktor hahn Karl Anton Hofmeier, der Ermordete, hatte, wie ich in den Akten sehe, eine verhältnismäßig junge Frau -Mörder Sie tut mir leid. doktor hahn Sie kannten Frau Hofmeier? Mörder Sie hat mir die Wäsche geflickt. doktor hahn Hm. Mörder Um Geld zu verdienen. doktor hahn Karl Anton Hofmeier, Hauswart bei der Bank-Union, hatte keinen Grund zur Eifersucht? Mörder Das weiß ich nicht. doktor hahn Ich meine: Ihretwegen? Mörder Davon habe ich nichts bemerkt. doktor hahn Ich meine: Hofmeier ist Ihnen nicht im Weg gestanden? Mörder Wieso? doktor hahn Und ein politisches Motiv haben Sie auch nicht! Mörder Ich versteh nichts von Politik. doktor hahn Sie glauben also zum Beispiel nicht daran, daß 271 durch Gewalt die Welt verbessert werden kann? Mörder Das weiß ich nicht. Doktor Hahn Ich meine: Sie betrachten den Mord unter allen Umständen als eine verbrecherische Handlung? Mörder Unter allen Umständen. doktor haiin Hm. Mörder Ich versteh Ihre vielen Fragen nicht, Doktor. Doktor Hahn Karl Anton Hofmeier ist tot -Mörder Ich weiß. doktor hahn Was haben Sie sich davon versprochen? Mörder Nichts. doktor hahn Ich weiß nicht, wie ich Sie verteidigen soll. Soll ich dem Gericht vielleicht sagen, Sie haben es getan, bloß weil Sie gerade eine Axt hatten, bloß weil kein andrer zugegen war als Karl Anton Hofmeier? Mörder So war's aber. Pause Doktor, haben Sie noch eine Zigarette? Doktor Hahn bietet Zigaretten an. Danke. Er wartet vergeblich auf Feuer. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich mehr verstanden hätte vom Geld. doktor hahn Wie meinen Sie das? Mörder So. doktor hahn Millionen sind durch Ihre Hände gegangen. Es ging Ihnen nicht um Geld. Darauf fußt meine ganze Verteidigung. Sie hätten Millionen unterschlagen können, ohne zur Axt zu greifen. Was Sie begangen haben, ist Mord, aber kein Raubmord. Und das setze ich durch! Mörder Ich meine es auch nicht so. doktor hahn Wie denn? Mörder Wenn ich mehr verstanden hätte vom Geld, meine ich, vielleicht hätte ich mich nicht so gelangweilt vierzehn Jahre lang. doktor hahn Gelangweilt? 272 Mörder Klar. Doktor hahn Wollen Sie dem Gericht vielleicht sagen, daß Sie den alten Hauswart erschlagen haben aus — Langeweile, aus purer Langeweile? - Es klopft. Herein! Eintritt ein Wärter mit einem Brief. Was ist denn? Wärter Ich soll auf Ihren Bescheid warten. Doktor Hahn öffnet den Brief und liest. Das Essen kommt gleich. doktor hahn Was soll das bedeuten? warter Keine Ahnung. doktor hahn Näheres weiß man nicht? Wärter Die Frau Staatsanwalt wartet unten. doktor hahn Ist der Gerichtshof unterrichtet? Wärter Jawohl, Herr Doktor! doktor hahn Ich komme sofort. Der Wärter geht, Doktor Hahn sammelt seine Akten. Sie haben Glück. Mörder Wie das schneit... doktor hahn Das Gericht ist vertagt. Mörder Sie können sich nicht vorstellen, Doktor, wie vertraut mir dieser Anblick ist: Immer diese sieben Stäbe, dahinter die Welt, so war es auch hinter dem Schalter, als ich noch arbeitete, als ich noch frei war ... doktor hahn Haben Sie nicht gehört, was ich sage? Das Gericht ist vertagt. Überlegen Sie sich, was ich Sie gefragt habe. Überlegen Sie es in aller Ruhe. Heute ist Freitag, wir sprechen uns wieder am nächsten Montag. Ich bin sehr eilig. Der Wärter kommt. Wärter Fertig? doktor hahn Fertig. Doktor Hahn geht, der Wärter bleibt, er hat das Essen gebracht, einen blechernen Teller und einen großen Eimer. Wärter Was sagen Sie jetzt? Mörder Wieder Bohnensuppe? 273 Wärter Einfach verschwunden und verschollen, ein Staatsanwalt, einfach verschwunden und verschollen! Das ist noch nicht vorgekommen. Zu mir hat er immer gesagt, ich sehe aus wie ein Bienenzüchter - Mörder Brot gibt's auch? Wärter Ich frage, was Sie dazu sagen. Mörder Schade. Wärter Wieso schade? Mörder Der Einzige, der mich verstanden hat... Der Mörder beißt in sein Brot, dann löffelt er die Suppe, die der Wärter unterdessen geschöpft hat. Der Wärter wartet umsonst auf ein Gespräch, dann geht er; man hört, wie die Gefängnistiire von außen geschlossen wird. 3. Der Staatsanwalt kommt zu seiner Axt Hittte im Wald. Am Herd steht Inge, ein junges Mädchen mit hellem Haar. Die Mutter, ein altes Weib, stellt drei Teller auf den Tisch. Inge Die Suppe ist fertig. Wenn Vater nicht kommt, nachher ist alles wieder kalt. mutter Immer das gleiche Lied! Inge Nachher bin ich wieder schuld. mutter Jens! - Jens ... Die Mutter geht hinaus, rufend. Inge So ist unser Leben Tag für Tag, und so würde es sein, bis ich alt bin und sterbe - Man hört den schimpfenden Vater draußen. So würde es sein Tag für Tag. Aber einmal, wenn ich die Hühner füttern soll wie immer und immer, wenn alles von vorne beginnt, und Vater hat schon den Schlitten geschirrt, ich soll ihm helfen im Wald wie immer und immer - einmal: Da steht er im Zimmer plötzlich der Graf von Öderland. Da steht er und hat eine Axt in der Hand. Wehe! Wer uns die Wege verstellt, wehe, wehe euch allen, 274 275 ich sehe euch fallen wie Bäume im Wald! Eintreten Mutler und Vater, ein alter Kollier, der eine Axt in der Hand hat. Er stellt sie neben die Türe an die Wand. Alle setzen sich. Vater Alles muß einer allein machen. Mutter Komm, Herr Jesus Christ, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast, Amen. Inge schöpft die Suppe. vater Was ist das für ein Kerl da draußen? Jetzt streicht er schon wieder ums Haus herum. mutter Wer? vater Ich frag sie. inge Mich? vater Was das für ein Kerl ist. inge Wie soll ich's wissen? vater Mir streicht er nicht nach. inge Ich hab niemand gesehen. vater Salz ist auch nicht da! Inge erhebt sich und holt Salz. Gestern schon, stundenlang steht er droben im Wald, wo ich die Föhren schäle. Meint, ich seh ihn nicht, wie er da hinter den Stämmen steht und gafft. Ich lauf ihm nicht nach. Wenn er den Weg nicht weiß, kann er ja fragen. mutter Gestern schon? inge Wo ist er denn die ganze Nacht gewesen? mutter Im Schnee? vater Was geht das uns an ... Inge ißt nicht weiter. Wo glotzt sie wieder hin? mutter Laß sie. vater Warum ißt sie ihre Suppe nicht? Die Eltern essen weiter. inge So ist unser Leben Tag für Tag. Aber einmal da steht er im Zimmer plötzlich der Graf von Öderland, da steht er und hat eine Axt in der Hand, und wer uns die Wege verstellt, wehe, wehe euch allen, ich sehe euch fallen wie Bäume im Wald .. . vater Denkt sie wieder an ihren Graf. mutter Laß sie. vater Tagein, tagaus. inge Graf Öderland geht um die Welt, Graf Öderland geht mit der Axt in der Hand, Graf Öderland geht um die Welt! Vater und Mutter blicken erschrocken nach der 1 ure, Inge sitzt unverändert und blickt ins Leere, in der Türe steht der Staatsanwalt mit einer Ledermappe, Hut und Mantel sind verschnet. mutter Sie wollen zu uns? Der Staatsanwalt schweigt. vater Wir sind grad beim Essen. Der Staatsanwalt schweigt. mutter Wer sind Sie? Der Staatsan waltsch weigi. inge Wollen der Herr sich setzen? Sie gibt ihren Hocker. Der Herr sind müd, denk ich, von der Nacht. Staatsanwalt Sehr. - Schweigen. Ich möchte nicht stören ... mutter Sie kommen aus der Stadt herauf? Staatsanwalt Das ist sonst nicht meine Art. .. inge Wollen der Herr etwas essen? mutter Wir haben bloß Suppe. inge Bohnensuppe. mutter Hol den Teller, den andern. 276 277 Inge gehl hinaus. vater Ja. Staatsanwalt Eine einsame Gegend hier ... vater Ja. Mutter Da hat sich schon manch einer verirrt im Winter, wenn die Wege verschneit sind. Aber Sie könncn's nicht verfehlen, wenn Sie ins Dorf wollen. Immer am Bach entlang. Jetzt ist er zugefroren, da brauchen Sie keine Brücke, da kommen Sie jetzt hinüber, wo Sie wollen. Pause Ich weiß ja nicht, ob Sie ins Dorf wollen. Pause Hier heraus kommt niemand. Der Staatsanwalt schweigt. vater Hier gibt es nichts zu holen! meint sie. Die Hütte, zwei Monate lang ohne Sonne, ein Schlitten und ein Gaul, Sie haben mich ja gesehen, Holz, das ist alles, was es hier gibt, eine Ziege, wenn Sie's wissen wollen, und neunzehn Hühner, das ist alles, und der Gaul ist auch nichts wert. Staatsanwalt Wie meinen Sie das? Mutter Wir sind arm! meint er. vater Einmal ist einer gekommen -Mutter Laß das! Der Vater löffelt seine Suppe. Der Herr müssen halt Geduld haben. Das Kind muß ihn erst waschen, den Teller, wir brauchen nie einen vierten Teller. Staatsanwalt Ich bin froh um die Wärme. vater Einmal ist einer gekommen, ja, vor einundzwanzig Jahren, der hat meinen Vater erschlagen und die Mutter dazu. Keine Krone hat er genommen. Ein Verrückter. Mit einer Axt hat er sie erschlagen, als ich im Wald war. Und gefunden haben sie ihn nie. mutter Warum erzählst du das immer. vater Es geschieht nicht viel in unserm Tal. Staatsanwalt Fürchten Sie sich nicht! vater Ich fürchte mich nie. m aatsanwalt Ich möchte, ich dürfte das gleiche sagen - Inge kommt mit dem gewaschenen Teller. Es ist mir nicht recht, daß ich einfach so komme, aber ich habe wirklich Hunger. mutter Brot ist genug da. Staatsanwalt Das ist nicht meine Art sonst... Er bekommt Brot. Ich danke. Er bekommt den gefüllten Suppenteller. Ich danke. Schweigen vater Wenn ich den Schlitten geschirrt hab, kommst du. Verstanden? Alles kann ich nicht allein machen. inge Ich? vater Knüppel binden, dazu braucht's keinen Mann. Staatsanwalt Vielleicht kann ich etwas helfen? mutter Essen Sie jetzt Ihre Suppe, solang sie warm ist. Staatsanwalt Aber nachher. vater So war das nicht gemeint. Staatsanwalt Warum nicht? Der Vater geht hinaus. mutter Du hast's gehört! Laß ihn nicht warten, wenn der Schlitten geschirrt ist. Er schimpft schon den ganzen Tag. Und vergiß nicht die Hühner! Die Mutter geht hinaus. Staatsanwalt Ich weiß nicht, woran es mich erinnert. inge Was? Staatsanwalt Bohnensuppe ... inge Ich bin froh, daß Sie gekommen sind. staatsanwalt Ich? WieSO? inge Bevor ich alt bin und sterbe. staatsanwalt Du —? inge Nehmen Sie mich fort von hier! Staatsanwalt Warum? inge Sehen Sie's nicht? staatsanwalt - ja . . . 278 279 Inge öd ist es hier. Immer. Wenn Sie noch zehn Jahre in dieser Küche sitzen, da kommt nichts dazu, in einer halben Stunde wissen Sie alles. Staatsanwalt Ich kenne das ... inge Nehmen Sie mich wirklich fort von hier?! Der Staatsan wall löffelt seine Suppe. Ich heiße Inge. staatsanwalt Inge? inge Warum blicken Sie mich so an? Staatsanwalt Ich erinnere mich. Früher schon hatte ich dieses Gefühl. Immer schon. So ein hohles Gefühl, daß ich anderswo erwartet werde. Immer anderswo. Und daß ich jetzt etwas erledigen müßte. inge Was denn? Staatsanwalt Keine Ahnung! Inge kniet vor dem Herd. Früher meinte ich immer, ich wüßte es, nur stimmte es nie. Ich konnte tun, was immer meine Pflicht war, und ich wurde es dennoch nie los, das Gefühl, daß ich meine Pflicht versäume mit jedem Atemzug, nie. Nie. inge Wollen Sie noch mehr Suppe? Staatsanwalt Wie heißest du? inge Inge. Staatsanwalt — wenn ich bloß wüßte, wer ich selbst bin. inge Das wissen Sie nicht? Staatsanwalt All das hier habe ich schon einmal erlebt: wie du vor dem Feuer kniest. Genau so. Dein Haar voll Glut, und wie du mich anschaust. Genau so. Mit Augen voll Glut. Inge legt Holz auf. Ich hatte solche Angst, als ich den alten Köhler erblickte. Gestern. Nicht wegen der Axt, weißt du, und nicht wegen der Hunde. Ich habe Angst vor Menschen, am wenigsten vor dir: — Du fragst nicht, wer ich sei. Das ist wunderbar. Du mußt nicht denken, ich sei verliebt in dich, weil du jung bist und herrlich - inge Das bin ich nicht. Staatsanwalt - wie eine Fee. 280 inge Erzählen Sie weiter! Staatsanwalt Das ist alles, woran ich mich erinnere: Ich habe einen Beruf, aber plötzlich stehe ich im Wald, meine Ledermappe unterm Arm, und es ist eine Gegend, die ich noch nie erblickt habe. Und plötzlich habe ich Zeit. Da, hinter mir, plötzlich ist es weg, ein Wald voll Schnee, weiter nichts, Schnee, der alle Spuren löscht, Stämme ringsum, nichts als Föhren, rot, Stämme. Und dazu die hallenden Schläge einer Axt... Inge erhebt sich vom Herd. Hilde heißest du? inge Inge. Staatsanwalt Woher kenne ich dich? inge Erzählen Sie weiter! Staatsanwalt Ich habe nichts zu erzählen ... Inge setzt sich zu seinen Füßen. Am Ende, wenn ich mich erinnere, sind es zwei oder drei Gesichter, die immer wiederkehren, und wenn man ans Ende der Welt stapfte. Immer ist da ein Gesicht wie das deine, ein Kind. Und immer wenn man gehen will, immer ist eine Art von Gendarm da, der wissen muß, wohin und woher, und überall gibt es Stäbe ... inge Was gibt es? Staatsanwalt Stäbe, Schranken, Gitter, Stäbe. Er hat sich erhoben und blickt durch das kleine Fenster hinaus. Wie die Stämme im Wald, die man fällen möchte, wenn man eine Axt hätte. inge Erzählen Sie weiter, ich höre zu. Staatsanwalt Einmal war ich Kapitän. O ja. Draußen auf der offenen See. Mein Schiff hatte drei Mäste, der Bug hatte einen Schnabel, den ich heute noch zeichnen könnte, wie ein Adler. Wir fuhren nach allen Küsten der Welt. Kreuz und quer. Ohne Ziel und Zeit. Wir lebten von Fischen, wovon es genug gibt, und von den Früchten der Küsten, manchmal gingen wir auf Jagd, und wenn wir das Nötige hatten, segelten wir weiter — ja — und dann . .. inge Und dann? 281 Staatsanwalt Dann, plötzlich, war es ein Spielzeug, mein Schiff mit den drei Masten - so groß: man kann es in beide Hände nehmen, mein Schiff, wo ich Kapitän drauf war, man kann es auf eine Truhe stellen. inge Gräßlich. Staatsanwalt Ja. Er lacht. Und ein Dienstmädchen staubt es ab Tag für Tag -Der Vater kommt zurück. vater Der Schlitten ist geschirrt. Inge erhebt sich. Und da war die Axt, wenn der Herr noch Lust daran haben, Arbeit gibt's genug. Staatsanwalt Danke. vater Ich heiße Jens. Und Sie? staatsanwalt Ich — inge Graf Öderland! vater Graf - Der Staatsanwalt lacht. Graf öderland? inge Ja! Ja! Staatsanwalt Sie zittern ja .. . Warum atmen Sie nicht mehr . . . Sie schlottern ja plötzlich ... Der Vater weicht wie vor einem Gespenst zurück, voll Schrei, aber stumm. Der Staatsanwalt steht und sieht die Wirkung, dann erst die Ursache: die Axt in seiner eignen Hand. inge Einmal da steht er im Zimmer plötzlich der Graf von Öderland. Draußen wiehert der Gaul. Da steht er und hat eine Axt in der Hand, Wehe! Wer uns die Wege verstellt, wehe, wehe euch allen, ich sehe euch fallen -vater Erbarmen! Erbarmen! Erbarmen! Der Staatsanwalt lacht. inge Komm! Der Vater bricht auf die Knie. Unser Schlitten ist geschirrt - Draußen wiehert der Gaul. Komm! 282 Arbeitszimmer des Staatsanwaltes. Tag. Herr Mario, ein Hellseher aus dem Kabarett, stellt im Zimmer, die Hände in die Hüften gestützt, und betrachtet die Wände aus lauter Ordnern. Elsa in häuslicher Eleganz; sie wartet auf den Befund des Hellsehers, Zigaretten rauchend. Nervös. Abseits steht Doktor Hahn, der im Augenblick lieber nicht zugegen sein möchte. Mario Aha . .. aha ... aha. elsa Was wollen Sie damit sagen? mario Das also ist sein Arbeitszimmer. elsa Ja. mario Aha ... Und das sind lauter Ordner? elsa Ja. mario Fälle? elsa Wie meinen Sie das? mario Fälle. Ich meine: Fälle. Mord, Raub, Meineid, Notzucht, Erpressung, Ehebruch -elsa Jaja, natürlich. mario Ordner schwarz, Etikette weiß. Er nimmt seine Brille ab und nähert sich den Ordnern, liest da und dort eine Etikette. Sehr ordentlich, sehr ordentlich ... elsa Daß mein Gatte sehr ordentlich war, ist ja wohl bekannt, Herr Mario, das weiß die ganze Stadt; dazu braucht es keinen Hellscher. mario Sehr ordentlich ... Elsa und Doktor Hahn geben sich Blicke. Und Sie, Madame, sind seine Gattin? elsa Ja — freilich — natürlich. mario Aha ... elsa Wieso fragen Sie? Mario betrachtet sie brillenlos. Das war sein Schreibtisch. mario Wenn ich etwas fragen darf - elsa O bitte. mario Wessen Schreibtisch ist es jetzt? elsa Jetzt? Wieso? mario Weil die verehrte Dame sagen: Es war sein Schreibtisch. elsa Ich habe gesagt: Ist sein Schreibtisch. mario War sein Schreibtisch. elsa Dann habe ich mich versprochen. mario Aha ... Er putzt die Brillengläser und blinzelt nach Art der Kurzsichtigen in der Luft umher. Der geschätzte Verschollene, sehe ich, hat viel gearbeitet -elsa Das darf man wohl sagen. mario Sein Leben war Arbeit, wie es in den Nachrufen zu heißen pflegt, Arbeit und Pflichterfüllung. elsa Mein Mann war Staatsanwalt. mario Aha ... elsa Ist Staatsanwalt. mario Aha .. . Er hält die geputzte Brille gegen das Tageslicht. elsa Ich weiß nicht, Herr Mario, ob es Ihnen hilft, wenn Sie auch die andern Zimmer besichtigen. mario Ich komme. Er setzt die Brille wieder auf und sieht die andere Wand. Und das sind ebenfalls Ordner? elsa Jaja. mario Ordner schwarz, Etikette weiß. Er betrachtet auch hier die Ordner, liest da und dort eine Etikette. Sehr gewissenhaft, sehr gewissenhaft... Doktor Hahn und Elsa geben sich Blicke. Und - was ist denn das hier? elsa Was meinen Sie? mario Dort auf der Truhe. elsa Ach so. Nichts Besonderes. mario Ein Schiff? elsa Eine Spielerei. mario Aha . .. 284 285 elsa Ein Nippzeug. mark) Gewissermaßen ein Wikingerschiff? elsa Gewissermaßen. Mario Mit Segeln aus Pergament... elsa Eigentlich ist es mehr aus der spanischen Seefahrerzeit, glaube ich, Kolumbuszeit, nach dem spanischen Namen zu schließen. Mario Aha . . . elsa Esperanza. Mario Mit Segeln aus Pergament... Er wendet sich plötzlich, indem er die Betrachtung des kleinen Schiffs abbricht, und nimmt wieder die Brille ab. Und was für Räume sonst? elsa Hier war sein Schlafzimmer. Mario Aha . .. elsa Ist sein Schlafzimmer. Mario Wenn es gestattet ist. elsa Ich bitte darum. Man hat nichts verändert. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie allein sind. Mario Ich bitte darum. Herr Mario geht ins Schlafzimmer, Elsa macht die Türe zu und blickt zu Doktor Hahn, aufatmend; während Elsa sich eine Zigarette nimmt, nähert sich Doktor Hahn mit seinem Feuerzeug. elsa Du glaubst im Ernst, das hat einen Zweck? Doktor Hahn Wir müssen alles versuchen. Wir sind es ihm schul dig, Elsa, und wenn es ein Hellseher ist. elsa Aus dem Kabarett! Doktor Hahn Wo findet man sie sonst? Elsa raucht. Unsere Nachforschungen, du weißt es, sind ohne jedes Ergebnis. Seit achtundvierzig Stunden schneit es. Die Spürhunde der Polizei sind hilflos wie unser Verstand. Keine Fußspur, nichts, keine Witterung, kein Mensch, der ihn gesehen hat elsa Jetzt sind es schon zwei Tage. Doktor Hahn Nimmst du einen Cognac? elsa Ich kann mir nicht vorstellen, was geschehen ist. Ich kann es nicht! Aber ich werde den Gedanken nicht los: Was es auch ist, im Grund tut er es nur uns zuleid. Iii iktor hahn Elsa — . \ Dir und mir! i» iktor Hahn Liebes - Es klopft. 11 na Herein? Eintritt Hilde. Was ist los? iiii.de Die Post. Elsa nimmt de Post und öffnet sie. Der Hund, gnädige Frau, will noch immer nichts fressen. Ich habe ihm warme Milch gemacht, aber die nimmt er auch nicht, und wenn der Herr Staatsanwalt zurückkommt und der Wotan ist verhungert - iioktor hahn Hilde! Ich frage noch einmal i [Ilde Ich kann doch nichts dafür. 110ktor hahn Das behauptet auch niemand. Hilde Warum fragt man mich soviel? doktor hahn Sie sind der Mensch, der ihn zuletzt gesprochen hat. Warum erzählen Sie nichts? Sie habencin Kaminfeuer gemacht, sagen Sie iiilde Ja. Doktor hahn Was hat er zu Ihnen gesagt? iiilde Angeschaut hat er mich, weil ich barfuß war. doktor hahn Und gesagt hat er kein Wort? iiilde Natürlich. doktor haiin Was denn? Hilde Ich soll das Papier verbrennen doktor HAHN Hm. elsa Und das haben Sie getan?! Hilde Wenn Herr Staatsanwalt es wünscht doktor hahn Hm. iiilde Ich kann doch nichts dafür! Sie wird stehen gelassen und nicht mehr zur Kenntnis genommen, aber sie bleibt. 286 287 . . . Weiß man schon etwas, wo der Herr jetzt ist? In allen Zeitungen ist sein Bild. elsa Kümmern Sie sich um Ihre Arbeit. Hilde entfernt sich. Ich kann die Person nicht riechen! Diese Unschuld vom Land! Schau dir das Gesicht an! Ihre Backenknochen, und wenn sie das Maul aufmacht, ihr Tiergebiß, ihr Katzengebiß.' Doktor mahn Ob das gestattet ist? Elsa öffnet weiterhin die Post. Da hat er noch Zigarren, eine halbe Schachtel voll. Romeo y Julietta, die vertrocknen ja bloß. Elsa Ich bitte dich. Doktor Hahn richtet sich eine Zigarre. Nichts! - nichts als Rechnungen, Drucksachen, Einladungen, Vorschriften, Erlasse, Aufrufe, Anzeigen, Winterhilfe, Tierschutz, Altersversicherung, Förderung des Weltfriedens. Sie wirft alles auf den Schreibtisch. Nichts als Papier ... Doktor Hahn zündet die Zigarre an. Elsa läßt sich in einen Polstersessel fallen. doktor mahn Und was hat er denn zu dir gesagt in dieser Nacht? Ihr habt noch gesprochen, sagst du. elsa Nichts Besonderes. doktor mahn Aber was denn? elsa Ich habe nicht zugehört. Er soll zum Arzt gehen, habe ich gesagt, er soll Ferien machen, er soll ein Pulver nehmen. Daß er sich ankleidet mitten in der Nacht, das bin ich gewohnt. Das tut er oft, wenn er viel Arbeit hat. Plötzlich erwacht er und meint, er habe etwas vergessen. Das meint er, seit wir uns kennen. doktor Hahn Was meint er? elsa Er habe etwas versäumt. . . Pause doktor haiin Vielleicht hat er bloß eine Geliebte? Elsa erhebt sich wieder. Glaubst du, er hat etwas gemerkt? elsa Wegen uns? iioktorhahn Es wäre mir peinlich. Es klopft. 11 sa Du glaubst, er hat es gemerkt? doktor hahn Ich glaube, es hat geklopft. £5 klopft. 11 sa Jetzt ist es aber genug! Diese schamlose Schnüffelei! Wenn die Person meint, ich lasse mir alles gefallen -Sie reißt die Türe auf und findet niemand. Hilde? Hilde! Es klopft. 1ioktor Hahn Vielleicht ist es an der andern Türe. Es klopft. 1 isa Herein! Herr Mario tritt aus dem Schlafzimmer. Mario Entschuldigen Sie, wenn ich störe. elsa Aber gar nicht! doktor Hahn Keineswegs! i:lsa Wieso stören? doktor Hahn Im Gegenteil! elsa Im Gegenteil! Mario Ich sehe eben, es ist sechs Uhr. Um acht Uhr beginnt meine Vorstellung. Ich bedaure. Aber eigentlich habe ich gesehen, was zu sehen ist. Auch das Schlafzimmer: sehrordentlich, sehr gewissenhaft... elsa Sie müssen schon gehen? Mario Was ich Madame noch fragen möchte: - elsa Bitte? Mario Zwei Dinge. Er nimmt seinen Mantel vom Sessel. Ich habe leider den Herrn Staatsanwalt nie gesehen. Sie entschuldigen, daß ich fragen muß - das heißt: wenn die Gegenwart dieses Herrn nicht stört. doktor haiin Oh, ich kann ja gehen. mario Nämlich es betrifft sein Äußeres. elsa Dort ist sein Bild! mario Aha . . . aha ... aha ... 288 289 elsa Aufgenommen vor drei oder vier Jahren, als mein Mann in die Akademie gewählt worden ist; daher die Tracht. makio Aha ... Elsa Das Rähmchen, Sie verzeihen, wenn es nicht abgestaubt ist. ich habe ausdrücklieh befohlen, daß nichts von seinen Sachen I berührt wird. Mario Silber? elsa Das Rähmchen-ja. mario Aha .. . Und wenn ich fragen darf: wer hat den geschätzten! Verschollenen in dieses Rähmchen gebracht? elsa Warum? mario Madame persönlich? elsa Ein Erbstück. mario Aha ... Er stellt das Bild wieder hin. Sehr zierlich, sehr gediegen. Sehr. Er nimmt das Bild nochmals zur Hand. Herr Staatsanwalt liebt das Reisen? elsa Ein Mann in seiner Stellung -mario Kommt nicht dazu. Verstehe. elsa Als wir heirateten, begann der Krieg -mario Verstehe. elsa Alle Grenzen gesperrt -mario Verstehe, verstehe. elsa Manchmal muß er nach London oder Paris. mario - aber Santorin kennt er nur von Bildern? elsa Santorin? mario Madame wissen nichts von Santorin? Er stellt das Bild wieder hin. Santorin, soviel ich weiß, ist ein alter erloschener Vulkan, ver- I sunken im Meer, eine Insel in den Zykladen. Sehr weiß, sehr ] grell. Zwischen Griechenland und Kreta. Zur Zeit, wie es heißt, I in den Händen der Rebellen. elsa Was hat das mit meinem Mann zu tun? Mario kommt nicht in seinen Mantel hinein. Doktor mahn Darf ich helfen? »Rio Danke, danke, es ist nur das zerrissene Futter. Und die Eile! Die Menschen, wenn sie einmal im Kabarett sitzen, lassen nicht mit sich spaßen. Danke! Es geht schon. Und einen alten I lut hatte ich auch ... Erfindet den Hut auf einem Sessel. ich weiß nicht, Madame, was der Herr Staatsanwalt, der geschätzte Verschollene, zu tun hat auf Santorin, ich kann nur sagen, was ich sehe. 11 sa Nämlich? Iario Übrigens nichts Besonderes. Meine Tournee führt mich durch alle großen Städte von Europa, überall sehe ich schwarze Ordner mit weißer Etikette, überall, und dahinter: - Angst. i ii >ktor Hahn Was wollen Sie damit sagen? mario Angst, Rauch, Blut.. . Ich sage es in jeder Vorstellung, die Leute werden blaß, aber zum Schluß klatschen sie. Was soll man tun? i ii )ktor Hahn Krieg? meinen Sie. mario Zivilisation. iioktor hahn Und wieso Blut? Wieso Rauch? Wieso Angst? Wovor? mario Wovor? . Er lächelt wie über eine Kinderfrage, während er seine weißen Handschuhe aus dem Mantel nimmt und sie anzieht. Was den geschätzten Verschollenen betrifft, am deutlichsten, wie gesagt, sehe ich ihn hinter diesen Ordnern ... iLSA Lebend? mario Oh, sogar sehr. elsa Aber? mario Ich sehe nicht wo. Doktor hahn Schade! elsa Sehr schade. Doktor hahn Darauf käme es nämlich an! mario Ich sehe nur: wie. elsa Nämlich? mario Wenn ich das sagen darf? elsa Wir bitten darum. 290 291 mario Ich möchte Madame nicht erschrecken. Sie kennen ilv persönlich, den geschätzten Verschollenen, und vielleicht trau en Sie es ihm nicht zu. Sie kennen ihn als Staatsanwalt: sehi ordentlich, sehr gewissenhaft — Elsa So reden Sie schon! mario Ich aber sehe ihn, wenn ich offen sprechen darf, mit eine Axt in der Hand. doktor Hahn Mit einer-? mario Ja, das sehr deutlich. Elsa - mit einer Axt? mario Wahrscheinlich in der rechten Hand. Elsa und Doktor Hahn geben sich einen Blick. elsa Was Sie nicht sagen! Sie lächelt zu Doktor Hahn. Martin mit einer Axt in der Hand. Sie stellt sich ernsthaft. Was macht er denn mit dieser Axt? mario Das wird man ja sehen. doktor hahn Bäume fällen? mario Hoffen wir's. Er verbeugt sich. Sie verzeihen, Herrschaften, ich muß mich beeilen. elsa Haben Sie schönen Dank. mario Ich bedaure, daß ich die Herrschaften enttäuscht habe; ich kann nur sagen, was ich sehe. elsa Selbstverständlich! mario Nach Ihnen, Madame, nach Ihnen. elsa Ich bin hier zuhause. Elsa begleitet den Hellseher hinaus. Doktor Hahn, allein im Zimmer, nimmt einen Cognac aus der Bar und zwei Gläser. Bevor er sie füllt, stellt er das Radio an, das eine belanglose Musik liefert, und macht Licht an der Ständerlampe, Gemütlichkeit. radio »Wir geben Ihnen die genaue Zeit. Beim dritten Ton ist es genau: achtzehn Uhr null Minuten. Pik, Pik, Piiiik. - In wenigen Minuten vermitteln wir die Nachrichten.« Elsa kommt zurück. 292 La Gott sei Dank! So ein Scharlatan Uokiorhahn Nimm einen Cognac Kabarett im eignen Heim. / >oktor Hahn gibt den Cognac. Radio »Wir vermitteln die Nachrichten: —« ■i iorhahn Prost. Muni »Inland.« / >oktor Hahn stellt das Radio etwas lauter. »Ein schweres Verbrechen ereignete sich gestern in Ottertal. Drei Landjäger, die ihren gewohnten Dienst versahen, wurden von einem Unbekannten ermordet. Es ist anzunehmen, daß es sich bei dem Täter, der sich in seiner Unterschrift als Graf ausgibt, um einen Geisteskranken handelt. Im Fall einer Begegnung wird äußerste Vorsicht empfohlen. Die Untersuchung an den drei Opfern hat ergeben, daß der Mord mit einer Axt verübt worden ist.« 11 sä Stellab! i' \Dio »Paris.« Elsa läßt ihr Glas fallen. »Wie aus Paris gemeldet wird, dauern die schweren Unruhen trotz Einsatz von Panzerwagen weiterhin an und forderten neuerdings Opfer.« 11sä Stellab! i \i)io »Offenbar ist es den Rebellen gelungen -« Stille 11 sä Kannst du das glauben? 293 5. Hoch lebe der Graf Wald, ein Haufen betrunkener Köhler, Nacht und Wind. einer Herrlich sind wir und frei! einer Aber ohne Schnaps -einer Hoch lebe der Graf! einer Kein Tropfen mehr -einer Alles leer-einer Hoch lebe der Graf! einer Wo ist er hin? einer Er kommt zurück, das Kind hat's gesagt, mit neuem Schnaps -einer Woher? einer Herrlich sind wir und frei! einer Im ganzen Dorf ist kein Tropfen mehr, 's ist ausgesoffen, in allen Dörfern ist kein Tropfen mehr - Sie grölen: alle »Graf Öderland geht um die Welt, Graf Öderland geht mit der Axt in der Hand, Graf Öderland geht um die Welt.« Stille einer Er kommt zurück, das Kind hat's gesagt, er hat die Köhler gern, wir sind die Köhler, wir machen das schwarze Holz, wir sind die Taglöhner, wir stechen Torf, wir sind die Heizer, wir schwitzen beim Ofen, wir sind besoffen, das danken wir dem Graf, herrlich sind wir und frei - und ich, ein alter Handlanger, der nicht mehr stehen kann in seinen Stiefeln, ich hebe meinen leeren Becher und rufe aus diesem Mund, der keine Zähne mehr hat: Lang lebe der Graf! einige Er lebe. Er lebe ... einer Woher kommt dieser Feuerschein? einer Und lang lebe die Gräfin! einige Sie lebe. Sie lebe ... Auftritt der Staatsanwalt mit Inge. Staatsanwalt Hoch lebe der Köhler im Wald! Ule jubeln. I iing ist die Nacht, kurz ist das Leben, verflucht ist die Hoffnung, heilig der Tag, und es lebe ein jeder, wie er will, herrlich sind wir und frei. Wie jubeln. Warum trinkt ihr nicht? i ier Wo bleibt der Schnaps? Stille \ i a ats Anwalt Eure Becher sind leer? I'Iner Kein Tropfen mehr— maatsanwalt So war es das letzte Mal, Brüder, daß wir zusammen getrunken haben, i iNER Das soll er nicht sagen! j iNER Was sagt er? i iNER Er hat uns versprochen, so geht es immer! i iNER Wieso das letzte Mal? maatsanwalt Ich habe versprochen: Einmal werdet ihr leben, es fließt euch die Milch, solang ihr nicht fragt, woher sie kommt, und es fließt euch der Honig, solang ihr nicht fragt. Nehmt alles zusammen, so habe ich gesagt, und bringt es hieher, wir wollen es essen, trinkt euren Branntwein, ohne zu sparen, zur Feier des Tages, und wenn ihr den letzten Tropfen bringt und keiner fragt, was nachher wird - i-iner Da hat er ihn, Graf, unseren letzten Tropfen! Staatsanwalt Ich habe versprochen: Freude wird herrschen, solang ihr nicht fragt, und war es nicht da, was ich versprochen habe? einer Wahrhaftig, ja aus unserm Keller! Staatsanwalt War die Freude nicht da? Der Gaul wiehert. einer Der Gaul hat recht, es war eine Woche, so eine haben wir noch nicht erlebt, sagt, was ihr wollt, es lebe der Graf! Inge Komm. Staatsanwalt Warum hat man gefragt, wer ich bin? Ich habe mein Versprechen gehalten, ihr aber nicht. Warum ist man ins Nachbardorf gegangen, um nachzuforschen, ob ich dort mein 294 295 großes Wort gehalten habe? Es gehen Gerüchte, ich vm Nachbardorf sei niedergebrannt. Warum traut ihr mir nid hocken Leute unter euch, die ein Netz nach mir werfen inge Komm. Der Gaul wiehert. Staatsanwalt Es wird euch nicht gelingen! einer Ich versteh kein Wort — einer Was sagt er -Staatsanwalt Löscht eure Hütten! Feuerschein einer Verschwunden ist er. einer Wir sind verraten und verlumpt. einer Feuer — Feuer ... wir sind besoffen, und aus unsern I Ii schlägt das Feuer... einer Wir sind besoffen ... einer Und aus unsern Hütten schlägt das Feuer. 296 6. Lebenslänglich • niszelle. Der Mörder sitzt auf der Pritsche, mi n Ich weiß nicht, ob es Montag ist oder Freitag. Warum soll Ii I'. in zeigen? Vielleicht ist es heute gerade Montag. Wenn iii iiiii.iiiskämc, was wäre verändert? Wenn ich eure Mauern •»Ii. . manchmal meine ich, man müßte nur aufstehen-wortlos - ii i ■ in*.' Mauern fielen mir wie Staub von den Schultern. Aber in soll ich gehen? Das Schönste, was ich erlebt habe, war Wf Freitag. Wenn man weiß: morgen ist Samstag. Denn am ii lag arbeitet man noch und weiß: morgen ist Sonntag. Am mi.ig war fast immer ein Fußballspiel, aber schon in der l'iiii wenn ich Würstchen aß, war es gräßlich, das wußte ich. Man vergißt es bloß, solange sie spielen. Schon in der Pause iir ich: morgen ist wieder Montag, und alles fängt von vorne hu 1 lud nachher, wenn man vom Fußball nachhaus schlendert, lull man die Menschen, wie sie Gebäck kaufen und Kuchen. I ii-. einzige, glaube ich wirklich, war der Freitag, wenn es gegen Mund ging. Einmal wurde ich geliebt. Sie war ein junges Ding, Dilti auch damals wußte ich nicht, ob es Montag war oder Frei-i.i)'. j'.cnau wie jetzt. Jeden Abend wartete sie vor dem Ausgang iiiisrcr Bank, auch wenn es regnete. Das ging fast dreiviertel JiiIii. Dann hatte sie genug von mir, denn sie war ein junges l»mg und hatte einen andern, so daß ich eifersüchtig wurde .....I gemein, und das ist das einzige, was ich bereue. Ihren Na- liK'ii werde ich niemals sagen. Sonst holt man sie vors Gericht, «o daß sie mich sieht, und wenn ich dann in Reue zusammen-Im-che, mißverstehen sie's. Auch ein Hauswart sei ein Mensch. Wer zweifelt daran! Manchmal im Gericht, wenn ich die vielen I riiie sehe, vor allem die Geschworenen, die ihr Geschäft .....I ihre Werkstatt verlassen haben, damit Recht geschehe, dann empfinde ich es wie Trost: daß ihnen der Mensch so viel wert ist. Es war nicht vorauszusehen, solang er die Türe bediente, und niemand hat ihn bemerkt, bevor ich ihn erschla-|en habe — 297 Man hört Schlüssel, eintritt der Wärter, der das Essen bringt. Was gibt's Neues? wärter Nichts. Der Wärter entfernt sich wieder, die Zelle wird geschlossen, der Mörder löffelt seine Suppe. 298 7. Die Axt macht Schule Halle eines großen Hotels. Der Concierge steht hinler seinem Pult, davor ein Gendarm. Der Concierge verteilt Post in die Schlüsselfächer. (iKNDARM Ich tue bloß meine Pflicht. i oncierge Ich auch. Dendarm Sie wissen, daß Sie sich strafbar machen. < oncierge Strafbar ist man immer .. . Ein Gast kommt aus der Bar. Herr Direktor? hast Nummer dreihundertelf. i oncierge Bitte schön, Herr Direktor, bitte schön. Der Gast geht zum Lift. Natürlich hat er Papiere. Wir sind ein Hotel erster Klasse, ich sage es zum letzten Mal, nicht eine Spelunke für Landstreicher. Soll ich die Herrschaften denn überfallen? Schon am ersten Abend habe ich gebeten, der Herr möge uns gelegentlich die Pässe geben — gendarm Gelegentlich! (oncierge Ihr mit euren Papieren die ganze Zeit. Wenn ich jeden Tag nach Pässen frage, was macht das für einen Eindruck? Die Herrschaften denken ja, wir sind ein Polizeistaat. Ein Gast kommt aus dem Lift. Herr Konsul! gast Post? concierge Bitte sehr, Herr Konsul, bitte sehr. Der Gast geht hinaus. gendarm Kurz und gut, wenn die Papiere morgen nicht in unsrer Hand sind, spätestens bis morgen um diese Zeit -concierge Gut! gendarm Sonst mache ich mich selbst strafbar. concierge Gut! gendarm Wieso zeigt er keinen Paß? Zimmer mit Bad und Balkon? das kann sich auch ein Hochstapler leisten, Frühstück 299 ins Bett. Woher wissen Sie, daß er's nicht ist? concierge Rebellen spielen nicht Golf. gendarm Hm. concierge Nach meiner Menschenkenntnis. Ein Boy kommt aus der Bar und bringt eine Karte. Was soll das? Boy Die Herrschaften, die den Grafen sprechen möchten. Dil Herrschaften warten drüben in der Bar. concierge Wird besorgt. Der Boy geht in die Bar zurück. Gendarm Graf? hat er gesagt -Ein Gast kommt von draußen. concierge Monsignore? gast Hundertachtundachtzig. concierge Bitte schön, Monsignore, bitte sehr. Der Gast geht zum Lift. Ihr mit eurem Graf Öderland! Das ist ja zum Lachen. Graf Oderland mit der Axt in der Hand! Wenn unsre Polizei nichts andres zu tun hat, ich muß schon sagen, als einem alten Kindermärchen nachzulaufen - Gendarm Kindermärchen? concierge nimmt das Telefon ab: Monopol. Ich verbinde. Wie bitte? Ich verbinde mit der Reception. Er drückt und hängt auf. gendarm Das ist nicht zum Lachen, drei Gendarmen erschlagen, das nennen Sie ein Kindermärchen, einfach mit einer Axt erschlagen, das ist Tatsache, man hat Bilder gesehen, und jetzt sind es vielleicht an die hundert - concierge Vorher sagten Sie: an die tausend. gendarm Wenn's so weitergeht. concierge In der Zeitung steht, man soll keine Gerüchte verbreiten, Herr Wachtmeister, und daran halte ich mich. gendarm Ich sage ja bloß, was ich selbst gehört habe. Er lehnt sich über das Pult und flüstert: Mein Schwager, der Briefträger ist, hat gestern gehört, in den Wäldern ist schon ein halbes Heer versammelt: versteckt, wissen Sie, unsichtbar. 300 iM.iiiRGE Was für ein Heer? iiakm Taglöhner, Köhler, Handlanger, was Sie wollen, und I Tag für Tag werden's mehr, ein ganzes Heer, sogar die Weiber I sind dabei, heißt es, Dienstmädchen, Kellnerinnen, Huren. / >cr Concierge lacht. Ab morgen streiken die Dockarbeiter. ■ ■ ierge Ist das wahr? i iDARM Steht im Abendblatt. Ein Mann ist in die Halle getreten, ein Fahrer mit Lederjacke und Schirmmütze, die er nicht abzunehmen gedenkt. Bnuerge Was wünschen Sie hier? / )er Fahrer steckt sich eine Zigarette an. Was Sie wünschen, mein Herr? i Ihrer Ich warte auf jemand.— Man hört Musik aus der Bar. ■ .inDarm Kurz und gut, wenn die Papiere nicht bis morgen in unsrer Hand sind, spätestens morgen um diese Zeit -(c incierge Das sagten Sie schon. i.indarm Ich tue nur meine Pflicht. (i )ncierge Ich auch. Inge, gekleidet als Dame von Welt, tritt aus dem Lift. Inge Ist der Graf noch nicht zurück? < iincierge Bedaure, Gräfin, bedaure. inge Seltsam. i '