Korporal Registrator Korporal Registrator Kürmatin Korporal Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Braut Kürmann Registrator Kürmann Abteilung: gradaus: marsch. Richtung: links. Richtung: rechts. Eins - zwo, eins - zwo. Korporal - Links - zwo, eins — zwo. Das genügt. Das ist leicht gesagt. Abteilung: singen. Alan hört Soldatengesang, der Korporal folgt der unsichtbaren Kolonne, langsam verliert sich der Gesang, Stille. Möchten Sie jetzt die Urkunde hören? Der Rektor entrollt wieder die Urkunde. Ist Katrin noch da? Ja. Geh auch du. Wollen Sie das wirklich? Er liest aus dem Dossier: „Heute vormittag in einem Wortwechsel mit Katrin, die immer verzeihen will, habe ich gesagt: Dann häng dich halt auf. Als ich nachmittags vom Institut zurückkomme, hat Katrin es getan. Jetzt liegt sie hier im Sarg. Meine Schuld ist untragbar. Ii. 6. 1949." Kürmann schweigt. Sie ist neunundzwanzig. Kürmann schaut sie an. Geh auch du. Hannes - Ich habe mich an meine Schuld gewöhnt. Die Braut tritt zurück, die Schwiegereltern und der Pfarrer und einige andere, die dazukommen, bilden den Trauerzug, die beiden Bestattungsbeamten tragen den Sarg. Möchten Sie nochmals das Gesicht sehen? Ich habe es nicht vergessen. Der Trauerzug geht zaeg. Rektor Registrator Kürmann Rektor Registrator Kürmann Registrator Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Registrator Kürmann Antoinette Registrator Kürmann Ich verstehe unsern Herrn Kollegen vollauf. Die Entdeckung des Kürmannschen Reflexes, eine Entdeckung, die aus der heutigen Verhaltensforschung nicht mehr wegzudenken ist, verdanken wir einem Zufall. Selbst wenn man die jahrelange Versuchsreihe wiederholen würde, wer garantiert, daß dieser so aufschlußreiche Zufall noch einmal eintritt? Es wäre für einen Wissenschaftler, glaube ich, beinahe unverantwortlich - Wann war dieser Zufall? Februar 59. Der Registrator blättert im Dossier. Es schmälert Ihre wissenschaftliche Leistung in keiner Weise, Herr Kollege, wenn ich hier von Zufall spreche; wir wissen: nicht der Zufall entdeckt, sondern der Menschengeist, der am Zufall erkennt. „Möwe No. 411, Versuchsserie C." Ja. Darauf möchten Sie nicht verzichten? Dieser Möwe verdankt er seine Karriere. Ich möchte die junge Dame bitten - zum letztenmal - zu begreifen, daß sie hier nichts verloren haben kann. - meine Handtasche. Ich bitte um Herbst 1959. Fräulein Stein -Wo war sie Herbst 1959? In Paris. Herr Kürmann möchte Herbst 1959. Antoinette geht weg. Andere sollen sich um ihre Handtasche kümmern. Der Rektor rollt dir Urkunde zusammen, ■IS Rektor Sie lassen midi wissen, wenn es soweit ist, daß ich die Urkunde verlesen kann. Die drei Herren im Talar geben weg. Rcgistrator Also:- Antoinette kommt nochmals zurück. Antoinette Dann sagen Sie aber meinem Mann, er soll zum Arzt gehen. Und zwar heute noch. Je früher, um so besser. Bevor es zu spät ist. Registratur Sie fühlen sich nicht wohl, Herr Kürmann? Kürmann Unsinn. Antoinette Wenn man weiß, was es ist, und wenn es zu spät ist, heißt es immer: vor einigen Jahren wäre es heilbar gewesen, eine Bagatelle. Kürmann Ich werde zum Arzt gehen. Antoinette Ich bitte ihn. Der Registratur nickt, und Antoinette geht weg. Rcgistrator Und sonst, Herr Kürmann, was sonst möchten Sie anders machen: Herbst 1959? Kürmann Ich überlege. Ein Bühnenarbeiter holt das Fahrrad weg. Registratur Sie erinnern sich an Herbst 1959: Er blättert im Dossier: „Spannungen zwischen Kuba und USA./Nigerien wird unabhängig./Bisenhower empfängt Chruschtschow./Somalia wird unabhän- gig./Die sowjetische Mondrakete Lunik II, 390 kg, prallt auf den Mond." Kürmann putzt seine Brille. Kürmann Geben Sie mir noch einmal die Unterredung mit Krolcvsky. Professor Wladimir Krolcvsky, der später seines Lehramtes enthoben wurde. Das war im Dezember, glaube ich. Unsere Unterredung in meiner Wnfiniinj;. Rcgistrator Bitte. Arbeitslicht. Das Zimmer wird wiederhergestellt. Man hört wieder das schlechte Kittvier nebenan, immer dieselben Takte, die abbrechen, Wiederholung. Da durch diesen Umbau eine Pause entsteht, nimmt der Registratur sich eine Zigarette. Zuletzt wird die Bücherwand heruntergelassen, der Registralor löscht seine Zigarette. Stille. Registrator Herr Kürmann, Ihre Wohnung ist wieder da. Neonlicht aus. Spiellicht. Kürmann Was soll denn das hier? Registrator Ihre alte Spieluhr. Kürmann Weg damit! Registrator Wie Ihnen beliebt. Ein Bühnenarbeiter holt die Spieluhr weg. Wünschen Sie sonst noch Veränderungen? Sie brauchen es nur zu sagen. Vielleicht möchten Sie den Schreibtisch auf der andern Seite? Kürmann Als käme es darauf an. Registrator Sie können wählen. Wieder das schlechte Klavier nebenan. Kürmann Muß das sein? Registrator Das ist die Ballettschule. Herbst 59. Sie erinnern sich: nebenan befindet sich eine Ballettschule. Leider lassen die immer das Fenster offen. Wiederholung derselben Takte, dazu hört man die Stimme eines Ballettlebrers, dann Stille. Kürmann Und das jeden Tag? Registrator Ausgenommen Sonn- und allgemeine Feiertage. Kürmann Das ist ja nicht auszuhalten. Registrator Sie haben es ausgehalten. Kürmann Sie sagen, ich könne wählen -Registrator Die andern aber auch. Sie sind nicht allein auf der Welt, Herr Kürmann, und nun haben die ■17 eben das Nachbarhaus gemietet, Klettenhof 18, um hier ihre Ballettschule zu machen. Das sind Gegebenheiten. Wenn Sie's nicht aushalten, warum wählen Sie nicht eine andere Wohnung? Kürmann Und was ist dort? Registratur Es wird sich zeigen. Kürmann Eine Motorsäge vielleicht. Registrator Möglich. Kürmann Oder die Eisenbahn. Oder Glockengeläute. Oder die Ausflugschneise vom Flughafen -Man hört ein perfides Geräusch. Registrator Das wäre die Motorsäge. Kürmann Hören Sie auf 1 Registrator Wie Ihnen beliebt. Man hört ein andres Geräusch. Kürmann Was ist das denn? Registrator Eine sehr schöne Gegend, aber es wird gebaut. Weil es eine sehr schöne Gegend ist. Baumaschinen. Aber das dauert nur anderthalb Jahre. Kürmann Und was ist dann? Man hört ein drittes Geräusch. Registrator Ein Kindergarten. Kür mann schüttelt den Kopf. Sie können wählen. Wieder das schlechte Klavier nebenan, dieselben Takte, die abbrechen, dazu die Stimme des Ballettlehrers. Wiederholung, dann Stille. Sie bleiben also in dieser Wohnung. Kürmann sieht sich um. Kürmann So war das? Registrator Sie wundern sich über Ihren Geschmack? Es kommt Frau Hubalek. 'rau Hubalek Herr Professor Krolevsky. Kürmann Ich lasse bitten. o Frau Hubalek geht weg, und es kommt Kro- Krolevsky Kürmann Krolevsky Kürmann Krolevsky Kürmann levsky: ein Glatzkopf mit wachen Augen hinter einer randlosen Brille, bleich, man meint z" Unrecht, er lächle immerzu, er trägt einen veralteten Mantel, den er nicht ablegt, und eine dünne Ledermappe, Hut in der Hand, sein Gehaben ist perfekt schüchtern, er ist klein, aber er hat etwas von Instanz. Ich glaube, Sie haben hier gesessen. Krolevsky setzt sich. Wahrscheinlich mutet es Sie komisch an: wir haben diese Unterredung schon einmal geführt, Herr Kollege. Sie kennen meine Gründe, warum ich keiner Partei beitrete, meine grundsätzlichen Bedenken. Ich brauche mich nicht zu wiederholen. Nein. Trinken Sie etwas? Nie. Kürmann gießt sich einen Whisky ein. Kurz und gut, Herr Kollege, ich habe es mir noch einmal überlegt. . . Pause. Kürmann steht und trinkt. Was haben Sie sich überlegt? . . . unsere Unterredung in diesem Zimmer, unsere Unterredung unter vier Augen: Sie dort, ich iiier. Auch Sie brauchen sich nicht zu wiederholen, Krolevsky, ich weiß es: ich bin in Ihren Augen, was man zur Zeit einen Nonkonformisten nennt, ein Intellektueller, der die herrschende Klasse durchschaut, und zwar ziemlich genau, jedenfalls mit Entsetzen oder mindestens mit Ekel; aber das genügt ihm. Ab und zu unterzeichne ich einen Aufruf, eine Kundgebung für oder gegen: Proteste zugunsten meines Gewissens, solange Gewissen noch gestattet ist, und im 49 übrigen arbeitet der Nonkonformist an seiner Karriere, Krolevsky Habe ich das gesagt? Kürmann Sie haben es anders gesagt. Krolevsky Nämlich? Kürmann Arbeit in der Partei, sagen Sie, ist das einzige Mittel, um die Welt zu ändern -Es kommt Frau Hnbalek. - wobei der Zweck, versteht sich, die Mittel zu heiligen hat, das ist bekannt und genau der Grund, warum ich keiner Partei beitrete. Er sieht Frau Hubalek: Was denn schon wieder? Er nimmt einen Brief in Empfang. Danke, Frau Hubalek, danke. Frau Hubalek gebt weg, Arbeit in der Partei, sagen Sie, und in diesem Augenblick kommt der Brief vom Senat: Anfrage, ob ich auf das kommende Frühjahr bereit wäre und so weiter, in Würdigung meiner wissenschaftlichen Leistung und so weiter, unter dem Vorbehalt, daß die Regierung und so weiter und so fort. Krolevsky Mein Glückwunsch, Herr Kollege. Kürmann Danke. Er legt den Brief ungeöffnet auf den Tisch. In der Erinnerung habe ich immer den Eindruck, daß Sie lächeln, und wenn ich Sie ansehe, lächeln Sie eigentlich nie. So wenig wie ein Schachspieler. Sie glauben nur meinen nächsten Zug schon zu kennen: Sie sehen mich jetzt schon als Professor Dr. H. Kürmann, Direktor des Instituts für Verhaltensforschung. Wieder das schlechte Klavier nebenan, aber kurz. Glauben Sie, Krolcvsky, Sic als Kybernetiker, daß die Biografie, die ein Individuum nun einmal hat, verbindlich ist, Ausdruck einer Zwangs- läufigkeit, oder aber: ich könnte je nach Zufall auch eine ziemlich andere Biografie haben, und die man eines Tages hat, diese unsere Biografie mit allen Daten, die einem zum Hals heraushängen, sie braucht nicht einmal die wahrscheinlichste zu sein: sie ist nur eine mögliche, eine von vielen, die ebenso möglich wären unter denselben gesellschaftlichen und geschichtlichen Bedingungen und mit derselben Anlage der Person. Was also kann, so gesehen, eine Biografie überhaupt besagen? Sie verstehen: ob eine bessere oder schlechtere Biografie, darum geht es nicht. Ich weigere mich nur, daß wir allem, was einmal geschehen ist - weil es geschehen ist, weil es Geschichte geworden ist und somit unwiderruflich-, einen Sinn unterstellen, der ihm nicht zukommt. Krolevsky Ich verstehe. Kürmann Sie verstehen? Krolcvsky Ab posse ad esse valet, ab esse ad posse non valet. Er steckt sieb eine Zigarette an. Aber Sie wollten, glaube ich, etwas Dringliches sagen . . . Wieder das schlechte Klavier nebenan: aber diesmal scheint die Übung zu klappen, so daß sie weitergebt; fünf Ballettschule/innen tanzen ans der Seitenbühne, gefolgt vom Ballettlehrer, sie tanzen nicht für die Zuschauer, es bleibt Probe. Lehrer Haiti - und die Spitze? Er macht es ohne Musik vor. Verstanden? Er klatscht in die Hände. Also, Kinder, von Anfang an! Wieder das schlechte Klavier nebenan: sie wiederholen die I)billig, indem sie in die Seitcnhi'tbite hiuaiistanzen; eine Ballett Schülerin bleibt stehen. Stille. Kiirmann Was tut dieses Mädchen hici ? Registratur (jYlälli es Ihnen? Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kellner Registrator Kellner Registrátor Kellner Registrator Kellner Registrator Ich spreche mit Krolevsky. Sie sprechen mit Krolevsky: plötzlich hören Sie sich selbst nicht zu, Sie blicken zum Fenster hinaus, während Sie sprechen, und sehen die Ballettschule nebenan. Plötzlich sind Sie etwas zerstreut - Ich kenne diese Ballettschülerin nicht. Aber Sie könnten sie kennenlernen. Man bort das schlechte Klavier nebenan, die drei Takle, die Ballett Schülerin macht die Übung dazu, dann wieder Stille. So war das, als Sie mit Krolevsky gesprochen haben: über Biografie. Und? Sie haben die Genehmigung, Herr Kürmann, noch einmal zu wählen: anders zu wählen: vielleicht möchten Sie einmal speisen mit ihr - Es erscheint ein Kellner mit Speisekarte. Die Herrschaften wünschen? Was gibt es denn?* Caviar russe. Saumon fume. Foie gras de Strasbourg. Escargot ä la Bourgogne. Sie können wählen. Oder italienisch? Cannelloni. Tortellini alla panna. Tortellini con funghi. Lasagne verdi. Hm. Specialitä della casa. Ein ausgezeichnetes Restaurant, Herr Kürmann, und man kennt Sie hier nicht. Zum Kellner: Was haben Sie heute für Fisch? 52 Kellner Registrator Registrator Kellner Registrator Kellner Registrator Kellner Registrátor Kellner Registrátor Kellner Registrátor Kellner Registrátor Kellner Registrátor Kellner Registrátor Ich zeige Ihnen. Dar Kellner geht weg. Wenn Sie mit dem Mädchen speisen, ich könnte mir denken, daß Sie sich in vier Monaten, wenn Fräulein Doktor Stein aus Paris kommt, vollkommen anders verhalten, Herr Kürmann, unbefangener, intellektueller, geistreicher, so daß Fräulein Doktor Stein kurz nach zwei Uhr ihre Handtasche nimmt und aufbricht: Biografie ohne Antoinette. Der Kellner kommt mit einer Platte voller Fische. Ahl Hecht. Schauen Sie her! Heute gefangen. Sehr schön. Seezunge. Felchen. Eine sehr schöne Schleie. Für zwei Personen? O ja. Forellen ? Immer nur lebend. Was ist das denn? Spado. Spado? Schwertfisch. Haben Sie schon Schwertfisch gegessen? Ganz frischer Hummer. Kürmann betrachtet die Ballett Schülerin. Haben Sie den Hummer gesehen? Wieder das schlechte Klavier nebenan: die Ballettschülerinnen tanzen wieder aus der Seken-bübne heraus, gefolgt vom Tanzlehrer, und das ausgeschiedene Mädchen reiht sich in die Gruppe, die wieder hinaustanzt. Stille. 53 Wie Ihnen beliebt. Der Kellner hält immer noch den Hummer. Vielleicht ein andermal. Kellner Bitte sehr. Der Kellner gebt weg. .Registratur Sehen Sie: Sie können wählen. Kürmann Weiterl Registratur Warum schreien Sie mich an? Kürraann Wofür halten Sie mich eigentlich? Als gehe es hier um die Wahl von Weibern I Wenn ich schon die Genehmigung habe, dann überhaupt keine Geschichte mit einer Frau. Registrator Wie Ihnen beliebt. Krolevsky sitzt unverändert. Krolevsky Ab posse ad esse valet, ab esse ad posse non valet. Er zündet die Zigarette an. Aber Sie wollten, glaube ich, etwas Dringliches sagen -Kür mann setzt sich auf die Tischkante. Kürmann Ohne Umschweife, Krolevsky - Sie brauchen mir nicht zu antworten -, Sie sind Mitglied der Kommunistischen Partei, was bis heute nicht bekannt ist, mindestens Verbindungsmann, wahrscheinlich sogar ein führender Kopf der Partei. Ihr Fach, Mathematik, dekuvriert Sie nicht. Ihre häufigen Reisen, ob nach Prag oder Paris oder Mexico-City, sind durch Kongresse fachlicher Art bestens getarnt. Auch trinken Sie ja nicht, um nicht in später Stunde sich auszuplaudern. Er trinkt. Gesetzt den Fall: eines Tages wird es bekannt, und unter irgendeinem Vorwand, jedenfalls im Namen der Philosophischen Fakultät, wird auf Ihre weitere Lehrtätigkeit verzichtet ( werden müssen, was uns oder einige von uns ebenso selbstverständlich wie aufrichtig empört: Unterdrückung der Lehrfreiheit und so weiter. Es kommt zum Fall Krolevsky. Ich selbst, Non- 5-1 konfoiinist, werde einen Aufruf verfassen: „Bestürzt über die jüngsten Ereignisse an unsrerUniversität", einen ebenso besorgten wie besonnenen Aufruf, den unterzeichnet zu haben eine Ehre ist und der im übrigen, versteht sich, nicht das mindeste bewirkt. Krolevsky Sie sprechen aus Erfahrung. Kürmann Allerdings. Krolevsky Was, Herr Kollege, wollen Sie mir sagen? Kürmann Wenn wir noch einmal anfangen können, wir alle wissen, was wir anders zu machen haben: -Unterschriften für, Unterschriften gegen, Proteste, Kundgebungen, und was dabei herauskommt, ist die Ohnmacht der Intelligenz, der Opposition, die Gewalt vorerst im Namen des Rechtsstaates, der Terror: die Quittung dafür, daß unsereiner nie gehandelt hat. Zum Registrator: Wann war diese Unterredung mit Wladimir Krolevsky genau? Der Registrator blättert im Dossier. Kurz darauf wurde Professor Krolevsky verhaftet, Hausdurchsuchung, Entlassung aus dem Lehramt. Registrator 3. 12. 1959. Kürmann Nehmen Sie's in mein Dossier. Registrator Was? Kürmann „3. 12. 1959. Eintritt in die KP." Der Registrator notiert. Krolevsky Ich gestehe, Herr Kollege, Sie überraschen mich. Die Partei wird Ihren Antrag prüfen; nach unseren Erkundungen waren Sie nie in einer Partei. Ich hoffe, Herr Kollege, Sie sind sich bewußt, was das bedeutet für Ihre akademische Karriere? Kürmann Ich bin mir sehr bewußt, Herr Kollege, was das bedeutet; deswegen mach ich's ja. Zum Registra- 55 tor, der mit dem Dossier zu Kürmann tritt: Was .soll ich? Registrator Unterzeichnen. Kür mann unterzeichnet im Dossier. Kürmann Genosse Krolevsky - Arbeitsücbt. Künnann Was ist los? Registrator Der Arzt erwartet Sie. Ein Bühnenarbeiter bringt einen weißen Sessel und stellt ihn in den Vordergrund rechts, [ein zweiter Bühnenarbeiter rollt einen Instrumenten-t/vagen dazu, dann gehen sie weg. Krolevsky erhebt sich. Krolevsky Was uns betrifft, Herr Kollege: unser gesellschaftlicher Verkehr bleibt wie bisher. Ab und zu ein kleines Gespräch im Hof der Universität. Ab und zu. Unsere Anrede bleibt: Herr Kollege. Er gibt die Hand. Sie wissen, Herr Kollege, daß Sie fortan überwacht werden. Er setzt den Hut auf. Wenn Sie hier eine Party geben, bin ich in Zukunft nicht dabei. Kürmann Wieso Party? Krolevsky Wenn Sie demnächst Professor werden. Kürmann Dazu wird es nicht kommen! Spiellicht im Vordergrund. Es erscheint ein Arzt im zeeißen Kittel, er hält einen Filmstreifen gegen das Licht. Arzt Haben Sic Schmerzen? Kürmann Wo? 56 Arzt Kürmann Arzt Registrator Arzt Registrator Arzt Registrator Kürmann Arzt Kürmann Registrator Kürmann Registrator Das frage ich Siel Ihr EKG ist schön. Er gibt Kürmann den Vilmstreifen. Sehr schön. Er geht Zum Instrnmentenwagen. Was mir nicht gefällt, ist Ihr Urin. Wieso? Wir werden ja sehen. Sie müssen die Jacke ausziehen. Wir brauchen ein wenig Blut. Kürmann zieht die ]acke aus. Sie können sich setzen. Kürmann setzt sich und krempelt den Hemdsärmel auf. Haben Sie Sorgen? Der Arzt sticht und entnimmt Blut. Was sagen Sie zum Fall Krolevsky? Der Arzt gibt eine Watte. Halten Sie die Watte drauf. Kürmann hält die Watte drauf. Einmal, als Kind, hatte ich Mumps, einmal die Masern, aber sonst. . . Der Arzt füllt das Blut in ein Glas. Schwester Agnes? Er geht weg. Was haben wir jetzt für ein Datum? 12. April i960: Fräulein Stein ist noch in Paris. Sie packt heute ihre Koffer, um Paris zu verlassen. Das können Sie nicht ändern. Hm. Sie ist mit den Gästen gekommen, die Sie feierten, als Sie Professor wurden, aber Sie haben alles getan, um zu verhindern, daß Sie Professor werden. Spiellicht auch im Zimmer: es erscheinen zwei Herren in Mantel und Hut, begleitet von Frau Hnbalek. Es scheint zu klappen! Die grauen Herren sehen sich um. 57 Frau Hubalek Sie wünschen? Der Herr Doktor ist nicht zu Haus. Wer sind Sie überhaupt? Ich bin die Haushälterin hier. Darf man fragen, wer die Herren sind? Einer zeigt einen Ausweis. Registrator Bleiben Sie sitzen. Kürmann Hausdurchsuchung? Registrator Sie sind beim Arzt. Kürmann setzt sich wieder. Halten Sie die Watte drauf. Einer der Herren öffnet Schubladen. Sie stehen unter dem Verdacht, daß Sie die Welt verändern wollen. Niemand wird auf den Verdacht kommen, daß Sie bloß Ihre Biografie verändern wollen. Der andere Herr öffnet Bücher. Herr Frau -? Frau Hubalek Hubalek. Herr Sagen Sie, Frau Hubalek -Frau Hubalek Ich weiß von nichts, Herr Woher stammen Sic? Frau Hubalek Aus Böhmen, Herr Aus Böhmen. Frau Hubalek Was hat der Herr Doktor denn getan? Herr Sie haben Verwandte? Frau Hubalek In Böhmen. Herr In Böhmen. Frau Hubalek Wieso nicht? Herr Antworten Sie auf unsre Fragen. Frau Hubalek Er will nicht, daß man seine Bücher anfaßt. Herr Wie oft besuchen Sie Ihre böhmischen Verwandten? Frau Hubalek Nie. «Üferr Das ist aber wenig. Frau Hubalek Es genügt mir aber. 5* Schwester Herr Frau Hubalek Herr Registrator Atzt Registrator Arzt Registrator Arzt Registratur Arzt Registrator Im Vordergrund erscheint die Krankenschwester. Der Herr Doktor kommt sofort. Die Kraukenschwester nimmt etwas und geht weg. Sagen Sie, Frau -Hubalek. Gibt's hier noch andere Zimmer? Die grauen Herren und Frau Hubalek gehen weg. Sie werden nichts finden, aber machen Sie sich deswegen keine Sorgen: Verdacht bleibt Verdacht, und Verdacht genügt. Zimmer dunkel; im Vordergrund kommt der Arzt zurück. Schlimm ist es nicht. Immerhin müssen Sie sich schonen, mit der Leber ist nicht zu spaßen.,. Also: keine Foie gras, keine Escargot ä la Bour-gogne, überhaupt nichts Gewürztes. Kein Pfeffer, Senf, Curry. Meerfisch keinesfalls -Neonlicht. Ich schreibe auf. Der Registrator notiert. Keine Steinfrüchte: Aprikosen, Kirschen, Pflaumen, Pfirsiche. Kein Knoblauch. Nichts, was bläht. Quark jederzeit, Quark soviel wie möglich-Gemüse? Aber salzlos. Ausgenommen Kohl, keine weißen Bohnen, überhaupt keine Bohnen, keine Zwiebeln - Nichts, was bläht. Nichts Kaltes: kein Bier. Whisky und Wodka und so weiter, Gin, Kirsch, Williame und so weiter, Steinhäger, Grappa, Marc und so weiter, Cognac, Calvados und so weiter: unter keinen Umständen. Wein? 59 Arzt Ihr Vater, sagen Sie, war ein Trinker? Kürmann So schien es mir. Arzt Vor allem kein Weißwein. Registrator Wie ist es mit Rotwein? Arzt Überhaupt kein Alkohol. Registrator Was dann? i Arzt Milch. Registrator Mineralwasser? ! Arzt Aber ohne Kohlensäure, Tee. Aber kein Schwarz- , tee, versteht sich. Kamillen, Lindenblüten, Pfef- j ferminz, Hagebutten und so weiter. Kaffee kei- I nesfalls. Mögen Sie Yoghurt? j Registrator Ob Sie Yoghurt mögen? i Arzt Yoghurt jederzeit. Quark soviel wie möglich. Ge- i müse jederzeit, aber salzlos, Meerfisch keinesfalls - Registrator Das haben wir schon. Arzt Was Sie essen dürfen: Forelle blau. Registrator Immerhin. ! Arzt Ohne Butter. ■ Registrator Hummer? Arzt Um Gottes willen! Registrator Da haben Sie aber Glück gehabt. Beinahe hätte Herr Kürmann neulich einen Hummer gegessen. i Arzt Um Gottes willen! j Registrator Fleisch? Arzt Gekocht. Ohne weiteres. Ohne Fett. Nichts Ge- ! schmortes. Gekocht oder vom Grill: salzlos. Ohne Gewürze, wie gesagt. Keine Würste und so weiter - ■ Registrator Brot? Arzt Knäckebrot. Registrator Nichts, was bläht. Arzt Quark soviel wie möglich. Es kommt die Krankenschwester. 60 Ich komme. Die Krankenschwester jährt den Instrumentenwagen weg. Registrator Sonst noch etwas? Arzt Schwitzen, viel schwitzen. Registrator Wie? Arzt Sport, Wandern, Sauna. Er legt Kürmann die Hand auf die Schulter. Schlimm ist es nicht, eine leichte Leberschwellung, sonst habe ich nicht das mindeste gefunden. Was vor allem wichtig ist: keine Aufregung, mein Lieber, keinerlei Aufregung ... Arbeitslicht: man sieht -wieder die ganze Huhne, im Hintergrund haben sich viele heute versammelt, Herren im Smoking, Damen in Abendkleidern, alle mit einem Sektglas in der Hand. Der Arzt ist weg. Kürmann Von Krebs kein Wort. Registrator Nein. Kürmann Sonst hat er nichts gefunden. Registrator Sie können die Jacke wieder anziehen. Kürmann Quark soviel wie möglich ... Registrator Was überlegen Sie? Kürmann erhebt sieb und nimmt seine Jacke. Kürmann Wer sind diese Leute? Registrator Freunde. Kürmann Was wollen sie? Registrator Man will Sie feiern. Kürmann Wieso? Registrator Sie sind Professor geworden. I Spiellicht im Zimmer: das Zimmer ist voller Gäste, sie stehen in Gruppen und plaudern, man versteht kein Wort. Kürmann Professor? Registratur Es wundert mich auch, offen gestanden. Kürmann Ein Mitglied der Kommunistischen Partei wird nicht Professor hierzulande: i960. Das ist unmöglich. Registratur Unwahrscheinlich. Kür mann schüttelt den Kopf. Henrik Hannes! Registratur Man ruft nach Ihnen. Henrik Wo steckt er denn? Kürmann schüttelt den Kopf. Registratur Die Gäste wollen aufbrechen, es ist spät geworden. Er hilft Kürmann in die Jacke. Das brauche ich Ihnen, Herr Professor, nicht zu erklären: Kein System garantiert das Wahrscheinliche für jeden Fall. Kürmann wird entdeckt. Henrik Da bist du ja. Schneider Es ist zwei Uhr. Henrik Herr Professor, wir verlassen dich jetzt. Kür mann verschwindet in der Gesellschaft. Stimmengewirr, die Gesellschaft verläßt gruppenweise das Zimmer: es bleibt die junge Dame im Abendkleid genau wie zu Anfang, sie sitzt im Fauteuil und wartet, sie trägt die Hornbrille. Stimmen der Gesellschaft draußen, kurz ciarauf kommt Kür mann zurück: ohne zu pfeifen. Antoinette „Ich gehe auch bald." Pause. Kürmann „Ist Ihnen nicht wohl p" Antoinette „Im Gegenteil." Sie nimmt sich eine 'Zigarette. „Nur noch eine Zigarette." Sie wartet vergeblich 6z auf Peiter und zündet selber an. „Wenn ich nicht störe." Sie raucht vor sich hin. „Ich habe es sehr genossen. Einige waren sehr nett, fand ich, sehr anregend . . ." Pause. „Haben Sie noch etwas zu trinken?" Kürmann rührt sich nicht. „Warum sehen Sie mich so an?" Schweigen. 1 Zweiter Teil Spiellicht: das Zimmer am Morgen, Frau Huba-lek räumt auf, nach einer Weile kommt Kürmann in einem Morgenmantel, Briefe in der Hand. Kürmann Frau Hubalek - guten Tag - wären Sie so freundlich, Frau Hubalek, ein Frühstück zu machen? Er steht und öffnet Briefe. Ich habe gefragt, ob Sie so freundlich wären, Frau Hubalek, ein Frühstück zu machen. Frau Hubalek geht weg. Ich weiß genau, was Sie jetzt denken. Aber Sie irren sich. Sie denken, ich tue immer wieder dasselbe, und wenn ich noch hundertmal anfangen könnte... Er liest einen Brief und wirft ihn in den Papierkorb. Glückwünsche! Er wirft das ganze Bündel in den Papierkorb. ... aber Sie irren sich. Wir werden nicht aufs Land hinausfahren. Wir werden einander nicht kennenlernen. Er setzt sich an den Schreibtisch. Es wird unser erstes und unser letztes Frühstück sein. Registrátor Wie Ihnen beliebt. Kürmann Wir werden kein Paar. Registrátor Sie haben noch immer die Wahl. Antoinette erscheint im Abendkleid, sie bleibt bei der Türe stehen, so daß Kürmann sie nicht wahrnimmt. Kürmann Was ist heute für ein Wochentag? Registrátor Donnerstag. Kür mann blickt auf seine Armband/ihr. Um elf Uhr haben Sie eine Sitzung, Sie erinnern Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette sich, eine Sitzung, die Sie damals versäumt haben - Man hört wieder das schiechte Klavier nebenan, die drei Takle, die abbrechen, Kürmann sieht Antoinette und erhebt sich. Ich habe deine Zahnbürste genommen. Ich habe vergessen zu fragen: Kaffee oder Tee? Vielleicht nimmst du lieber Kaffee. Er geht zur Türe. Und ein weiches Ei? Ich nicht. Pause, sie stehen. Wie spät ist es eigentlich? Um elf Uhr habe ich eine Sitzung. Antoinette kramt in ihrer Handtasche. Wenn ich jetzt nur wüßte, wo ich meinen Wagen parkiert habe. Die Schlüssel habe ich. Sie überlegt: Eine Allee, kann das sein, eine Allee mit einem Denkmal. . . Hier gibt's keine Alice. Komisch. Wollen wir uns nicht setzen? Frau Hubalek kommt und deckt den Tisch, die beiden stehen und schweigen und warten, bis Frau Hubalek wieder weg ist. Unser Tee kommt sofort. Jetzt weiß ich, wo ich meinen Wagen habe. Sie lacht. Ich wundere mich jedesmal, daß ich meinen Wagen wiederfinde. Beiläufig: Kennen Sie den jungen Stahel? Stahel? Der hat meinen Wagen gefahren. Er wollte nicht heraufkommen. Und das mit der Allee war vorher ... Stundenschlag: zehn Uhr. Zehn Uhr? 66 Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Antoinette nimmt ihre Abendkleidjacke vom Sessel. Du willst schon gehen? Wenn Sie's nicht übelnehmen, Hannes. Ohne Frühstück? Auch ich habe zu arbeiten. 'Zehn Uhr! Ich muß mich ja umziehen. O Gott! Um zehn Uhr war ich verabredet. Kürmann schaut zu, wie sie die Jacke anzieht. Machen Sie sich keine Sorgen! Warum lachst du? Männersorgen. Ich schlafe nicht mit vielen Männern, aber wenn es dazu kommt, bin ich jedesmal froh, Hannes, genau wie Sie, daß ich nachher wieder mit mir allein bin. Wo habe ich jetzt bloß meine Uhr? Im Bad, glaube ich. Antoinette gebt ins Badezimmer. So war das? Genau so. Kein Wort von Wiedersehen? Kein Wort. Das verstehe ich nicht - Laut Dossier - Neonlicht, er sieht im Dossier nach -: sie kommt aus dem Bad, aber angezogen und gekämmt. Sie sucht sogleich ihren Wagenschlüssel, Stundenschlag zehn, sie nimmt ihre Jacke, kein Wort von Wiedersehen - Ihre Erinnerung, Herr Kürmann, hat gedichtet: niemand hat sich auf ihr linkes oder rechtes Knie gesetzt, kein A rm am Hals, kein Kuß, der zu verlängerter Zärtlichkeit nötigt. Nichts von alledem. Auch sie hat eine Verabredung. Sie wirkt weder enttäuscht noch verwirrt, im Gegenteil, offenbar hat die Nacht ihr gefallen, aber vorbei ist vorbei, sie C>7 Künnann Registrator Kürmann Registrator Antoinette Registrator Antoinette Registrator Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette beharrt nicht einmal auf der Vertraulichkeit der nächtlichen Anrede. Das verstehe ich nicht - So war das, Herr Kürmann. Wieso habe ich denn die Sitzung versäumt? Neonlicht aus. Was macht sie denn so lang? Sic sucht ihre Uhr. Pause. Antoinette kommt zurück, sie zieht ihre Armbanduhr an. Heute will ich nochmals diese Räume besichtigen, wissen Sie, wegen meiner Galerie. Leider ist kein Lift im Haus. Das ist der einzige Haken, aber die Räume wären herrlich. Genau, was ich suche. Groß und nüchtern. Leider sehr teuer. Man müßte ein Oberlicht einbauen. Drum treffe ich heute diesen jungen Architekten. Stahel. Um zu wissen, was das kosten würde. Die Lage ist einmalig, und wenn es gelingt mit der Galerie, dann nehme ich die untere Wohnung dazu und mache meinen kleinen Verlag. Später einmal. Und wenn es nicht klappt, gehe idi zurück nach Paris - das wird sich heute entscheiden . . . Pause. Sie brauchen sie nur zum Lift zu führen. Ja. Hoffentlich klappt es, ich meine die Sache mit dem Oberlicht. Ja. Ja. Halten Sie mir den Daumen! Kür mann begleitet sie hinaus, Frau liubaiek kommt und bringt den Tee und geht wieder, dann kommt Kürmann zurück. Kürmann Eine ungewöhnliche Frau. Registrátor Sehen Sie. Kürmann Eine großartige Frau. Registrátor Sie haben sie unterschätzt, Sie haben damals nicht glauben wollen, daß eine Frau, nachdem sie mit Ihnen geschlafen hat, auch lieber allein sein möchte. Kürmann Eine einmalige Frau. Neonlicht. Registrátor Was die Sitzung um elf Uhr betrifft, Sie erinnern sich ... Er liest aus dem Dossier: „Traktandum eins: Wahl des neuen Rektors der Universität -" Kürmann tritt ans Fenster. Es dürfte wichtig sein, Herr Kürmann, nicht nur für Sie persönlich, aber auch für Sie, daß die Wahl nicht auf den Kollegen Hornacher fällt. Kollege Hornacher ist, wie man weiß, leiden» schaftlicher Antikommunist, als Gelehrter unbedeutend, aber ein Mann von Gesinnung. Ein Mann der geistigen Landesverteidigung. Kollege Hornacher, zum Rektor gewählt, wird alles unternehmen, damit Sie, Herr Kürmann, nicht lange im Lehramt bleiben. Auch das entscheidet sich heute ... Hören Sie zu? ... In der ersten Fassung Ihrer Biografie haben Sie die heutige Sitzung versäumt, weil Sie meinten, Sie müßten mit der jungen Dame aufs Land hinausfahren, um Fisch zu essen und Landwein zu trinken. Hornacher wurde gewählt, wenn auch knapp. Sie haben Ihr Versäumnis dann bereut. Sie erinnern sich? - Dabei hat Hornacher Ihnen nichts anhaben können in der ersten Fassung: da waren Sie ja nicht Mitglied der Kommunistischen Partei. Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Warum fährt sie nicht? Pause. Sie fahrt nicht. Vielleicht wegen der Batterie, das kennen Sie ja: sie läßt das Standlicht brennen, dann wundert sie sich, warum der Anlasser streikt. Oder sie sieht, daß Sie am Fenster stehen. Kürmann verläßt das Fenster. Was überlegen Sie? Kürmann gießt Tee in eine Tasse. Ich habe sie unterschätzt. Wer zweifelt daran? Kürmann steht und trinkt Tee. Was wird sie jetzt tun? Sich nicht mehr unterschätzen lassen. Kürmann trinkt Tee. Ihre Frau hat unsere volle Bewunderung, das können Sie glauben, unsere volle Bewunderung. Wenn ich das sagen darf: Sie ist Ihnen überlegen. Machen Sie sich keine Sorgen darüber, was sie jetzt tun wird. Eine Frau von ihrer Intelligenz wird ihren Weg schon machen, Herr Kürmann, ohne Sie. Seien Sie getrost. Sie weiß, was sie will. Sie ist eine Frau, aber mehr als das: eine Persönlichkeit, aber mehr als das: eine Frau. O ja. Sie wird eine Galerie leiten, GALERIE ANTOINETTE, oder einen kleinen Verlag, EDITION ANTOINETTE, und wenn es nicht klappt, so kann sie jederzeit nach Paris zurück. Zu ihrem Tänzer. Sie trifft jetzt einen jungen Architekten, um zu erfahren, was ein Oberlicht kostet. Vielleicht wird das zu teuer, aber der junge Architekt weiß sie zu schätzen, eine Frau voller Pläne und unabhängig, und eines Tages, wer weiß, bekommt sie ein Kind, das ihre Pläne zerschlägt, aber das 7" Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette alles braucht Sie, Herr Kürmann, nicht zu bekümmern - sie ist weg. Ja. Kümmern Sie sich um das Institut. Kür mann setzt sich an den Schreibtisch. Was Sie jetzt in Händen halten, ist ein Dokument, das Sie in der heutigen Sitzung vorlegen sollen, eine Fotokopie betreffend Horst Dieter Hornacher, der heute zum Rektor gewählt werden soll: seine Unterschrift im Jahr 1941. Kürmann überfliegt das Dokument. > Es wird Zeit, daß Sie sich ankleiden, damit Sie die heutige Sitzung nicht wieder versäumen. Er blickt auf seine Uhr, dann auf Kürmann: Zehn Uhr zwanzig... Können wir nochmals zurück? Warum? Ich habe diese Frau unterschätzt. Sie werden sie wieder unterschätzen. Wieso? Wie Sie wollen. Neonlicht aus, Antoinette kommt zurück. Herr Kürmann möchte nochmals zurück. Kürmann nimmt ihr die Hornbrille ab. Was soll das? Ich lasse Sie nicht weg. Sie haben eine Sitzung. Im Ernst. Im Ernst. Wir kennen einander nicht. Das ist doch das Schöne. Warum lachen Sie? Brauchen Sie am andern Morgen eine Liebeserklärung? 7' Pausa. Geben Sie mir die Brille. Kürmann Ich mache einen Vorschlag: Ich lasse die Sitzung, die allerdings wichtig wäre, und Sie lassen diesen Architekten mit seinem Oberlicht, wir fahren zusammen aufs Land, wir fahren irgendwohin. Antoinette Hinaus in die Natur? Kürmann Es ist ein herrlicher Tag. Antoinette Hand in Hand durch Schilf? Kürmann Wir brauchen nicht zu wandern, wir streifen nicht durch Schilf, wir setzen uns in eine Wirtschaft am See, wir essen einen Fisch und trinken einen leichten Landwein dazu, das alles braucht nicht geschmacklos zu sein. Sie lächelt. Antoinette, ich bitte Sie darum. Antoinette Ich denke, wir duzen uns. Kürmann Entschuldige. Kürmann gibt ihr die Hornbrille zurück. Antoinette „Wo habe ich jetzt bloß meine Uhr?" Kürmann „Im Bad, glaube ich." Antoinette geht ins Badezimmer. Registratur Also doch die erste Fassung! Neonlicht. Sie wissen, was darauf folgt. Er liest ans dem Dossier: „Mittagessen im Hotel zum Schwanen, Diskussion über General de Gaulle. / Abends allein, Nachricht, daß Hornacher zum Rektor gewählt worden ist. / Samstagvormittag: Fräulein Stein übers Wochenende bei ihren Eltern. Montag im Institut, später Aperitif in der Stadt, abends beide besetzt, aber Anruf nach Mitternacht: das Oberlicht sei unerschwinglich." Kürmann Und so weiter! Registratur „- Mittwoch: Antoinette fliegt nach Paris zurück, Kürmann Registrator Kiirmann Registrator Kiirmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kiirmann Registrator Kürmann Registrator K ürmann Versprechen in der Flughafenbar, daß man nie schreiben wird. / Freitag: Vortrag in der Philosophischen Gesellschaft, Verhaltensforschung und Anthropologie. / Wochenende zusammen in Paris, Hotel Port Royal." Und so weiter und so weiter! „Sie ist Sekretärin bei Gallimard." Wem lesen Sie das vor? Und so weiter. Er blättert, aber liest nicht vor. -Glück, Griechenlandreisc, Glück, Schwangerschaftsunterbrechung, Glück ... Er nimmt eine Karte aus dem Dossier: „Wir heiraten: Antoinette Stein, Hannes Kürmann, Juni 1961." Kürmann stopft seine Pfeife. Also dabei bleibt es... Sie haben noch immer die Wahl - also Frühstück gemeinsam? Ja. Der Registratur notiert ins Dossier: „Frühstück gemeinsam." Man hört einen Krach von der Straße. Was war das? Das gilt nicht. Ein Unfall? Auch dies wäre möglich gewesen. Er nimmt einen Zettel: „27. 5. Zeit 10.17. E'n Austin-Coo-per, Nummernschild 907 139, wird bei der Ausfahrt aus dem Parkplatz gestreift vom Anhänger eines Lastwagens -" Antoinette! Ollenbar hat sie nicht in den Rückspiegel geschaut. Tot? Passen Sie sich. Tot? 7-i Registratur Schnittwunden im Gesicht. Er zerknüllt den Zettel. Aber das gilt nicht, Herr Kürmann, zum Glück haben wir registriert: Frühstück gemeinsam. Man hört Sirenen eines Sanitätswagens. Stop! Arbeitslicht, man sieht die ganze Bühne, Stille, im Hintergrund stehen Sanitäter mit einer Tragbahre. Rcgistrator Es bleibt bei der ersten Fassung. Die Sanitäter entfernen sich. Spiellicht. Das Zimmer wie vorher. Registratur Weiter. Antoinette kommt aus dem Badezimmer zurück. Weiter! Der Tee ist da -Kürmann und Antoinette bleiben stehen. Warum setzen Sie sich nicht? Kürmann Müssen wir jetzt alles wiederholen? - auch was man nicht zu ändern wünscht: Hotel Port Royal -auch das Glück und alles ... Das geht doch nicht. Antoinette Nein. Kürmann ...die Freude, die Erwartung: wie sie dasteht an der Gare de l'Est - und überhaupt: unsere Gespräche, unsere glücklichen Gespräche ... Wie soll man das wiederholen, wenn die Geheimnisse verbraucht sind - wenn das Ungewisse verbraucht ist, der Sog der Erwartung von Augenblick zu Augenblick ...? Wie stellen Sie sich das vor: dieser Morgen in Saloniki, und wie wir auf Antoinette Kürmann Registrator Kürmann Antoinette Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Antoinette Registrator Kürmann Registrator diesem kleinen Schiff stehen mit den stinkenden Schafen — meine Scherze, ihre Scherze: wer soll da noch einmal lachen? Können wir das nicht überspringen? Können wir das nicht überspringen? Ausgerechnet die Freude? Ja. Ja. Wiederholen Sie einmal eine Freude, wenn Sie schon wissen, was darauf folgt! Neonlicht. Also was möchten Sie ändern? Er blättert im Dossier hin und her: - die Schwangerschaftsunterbrechung? Kürmann und Antoinette blicken einander an, einen Augenblick lang zögern sie, dann schütteln beide den Kopf. Was denn? Der Registratur blättert weiter. Ich weiß, was ich ändern möchte. Nämlich? 2. Juni 1963. Was war da? 1963, Juni - Vormittag. Der Registrator sucht im Dossier und findet: - die Szene mit der Ohrfeige? Kürmann nickt. Bitte. Neonlicht aus. Es ist neun Uhr vormittags, Frau Kürmann: Sie sind noch nicht zu Haus, wir wissen nicht, wo Sie sich zu dieser Zeit befinden. A?itoinette geht weg. Bitte. Kürmann zündet fetzt seine gestopfte Pfeife an. 1963. Er liest aus dem Dossier: „Präsident Kennedy besucht Westberlin. / Erdbeben in Lybien. / 74 75 Fidel Castro als erster Ausländer zum Held der Sowjetunion ernannt -" Kürmann Das ist nicht mein Tabak. Registratur Wieso nicht? Kürmann Der Tabak ist abscheulich. Registratur Aber billig. Kür mann klopft die Pfeife ans. Das kommt davon, Herr Kürmann, Sic sind jetzt ohne ein festes Einkommen -Kürmann Wieso? Ein Herr in gediegenem Mantel, Homburg in der Hand, steht im Zimmer, als habe ein längeres Gespräch bereits stattgefunden, Kürmann steht mit den Händen in den Taschen seines Morgenmantels. Kürmann Ich verstehe, Magnifizenz, ich verstehe. Hornacher Ich bitte um Entschuldigung, daß ich beim Frühstück störe. Aber ich empfand es als ein Gebot der Korrektheit, daß ich nicht mit dieser Angelegenheit vor den Senat trete, bevor ich mich noch einmal persönlich erkundigt habe. Pause. Ich warte auf eine klare Antwort. Kürmann Magnifizenz, ich bin Mitglied der Kommunistischen Partei. Ich glaube an die Ziele der Kommunistischen Partei, sofern sie den Marxismus-Leninismus vertritt, und bitte den Senat, die eben erwähnten Konsequenzen zu ziehen. Hornacher setzt den Homburg auf. Registrator Warten Sie! Hornacher Eine klare Antwort. Registrator Vielleicht möchte Herr Professor Kürmann, nachdem er sich selbst gehört hat, anders antworten. Zu Kürmann: Vielleicht erscheint Ihnen diese Antwort zu simpel. Oder zu heroisch. Hornacher nimmt den Hornburg ab. Kürmann Magnifizenz -Hornacher Nun? Kürmann Ich glaube nicht an Marxismus-Leninismus. Was natürlich nicht heißt, daß ich die russische Revolution für ein Unglück halte. Im Gegenteil. Ich glaube nicht an Marxismus-Leninismus als eine Heilslehre auf Ewigkeit. Das wollte ich sagen. Allerdings glaube ich auch nicht an eure christliche Heilslehre vom freien Unternehmertum, dessen Geschichte wir nachgerade kennen. Das noch weniger. Es ist schwierig, Magnifizenz. Die Alternativen, die uns zur Zeit aufgezwungen werden, halte ich für überholt, also für verfehlt. Da sie uns aber aufgezwungen werden, bin ich, solange ich im Westen lebe, Mitglied der Kommunistischen Partei. Ich wähle die Unfreiheit, die nicht bloß den freien Unternehmern zugute kommt. Ich bekenne, daß ich die UdSSR nicht für das Paradies halte. Sonst würde ich dahin fahren. Aber ich bestreite dem Westen jedes Recht auf einen Kreuzzug . . . Das genügt, denke ich - Hornacher Ich denke auch. Kürmann Dabei stimmt auch diese Antwort nicht. Mein Eintritt in die Partei, Dezember 1959, ist zwar nicht unbesonnen gewesen, aber im Grunde - wie soll ich sagen - ein Akt privater Natur. Ich habe mit Konsequenzen gerechnet, sie überraschen mich nicht, ich habe sie allerdings früher erwartet. Er lacht, dann wieder offiziell zu Hornacher: Ich danke für die Unterredung, Magnifizenz, und bitte den Senat, die Konsetiuenzen zu ziehen. 76 77 Registrator Künn an ii Registrator Kiirniann liornacher Kürmann Registrator Kiirmann Kürmann liornacher Kiirmann Hornacher Kiirmann liornacher Registratur Kiirmann Hornacher setzt den Homburg auf. Warten Sie! War die erste Antwort hesser? Knapper. Nehmen wir die erste. Eine klare Antwort. Wenn du Wert legst auf Klarheit, so kann ich noch klarer antworten. Er sucht etwas. Augenblick. Nehmen Sie den Hut nochmals ab. Hornacber nimmt den Homburg ab. Ich besitze hier eine Fotokopie, die der Senat, so darf ich entgegenkommenderweise annehmen, nicht kennt: deine Unterschrift im Jahr 1941. Er erhebt sich und gibt Hornacber die Fotokopie: So hast du dafür gesorgt, daß einer, der deine akademische Laufbahn möglicherweise gekreuzt hätte, mitsamt Familie abgeschoben wurde 1941 zum Schutze des Vaterlands -Hornacber gibt das Dokument zurück. Du wirst sagen: eine Fälschung. Ja. Dann beweise es. Du irrst dich: Ich habe nichts zu beweisen, sondern du hast zu beweisen, und das dürfte kaum gelingen an Hand einer Fotokopie, die von der Kommunistischen Partei geliefert worden ist. Deine Quelle ist unglaubwürdig. Und drum bin ich untragbar. Leider. Kürmann legt die Fotokopie in den Schreibtisch. Kann ich meinen Hut jetzt aufsetzen? Warten Sie! Magnifizenz, du bist eine Sau, und eine Universität, die dich zum Rektor wählt - 7* Pause. Registratur Welche von den drei Antworten wünschen Sie? Hornacher Die Konsequenz bleibt dieselbe. Kürmann Er soll alle drei nehmen ... Hornacber setzt den Homburg auf. ... das heißt: Nein. Er braucht nicht zu wissen, daß diese Fotokopie besteht... Die erste. Registratur Magnifizenz, es gilt die erste Antwort. Hornacher gebt weg. Registrator Kürmann Registrator Kürmann Frau Hubalek Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Neonlicht. Das war 1962. Ich werde auswandern. Jetzt ist 1963 : Sie sind nicht ausgewandert. Es kommt Frau Hubalek und bringt Post. Ist meine Frau gekommen? Nein. Danke, Frau Hubalek, danke. Frau Hubalek gebt weg. Ich bin nicht ausgewandert... Nein. Ich stehe wieder in diesem Morgenrock und habe die ganze Nacht gewartet, ob sie nach Hause kommt, wann sie nach Hause kommt, wie sie nach Hause kommt. Er lacht. Genau so. Anders. Jetzt ist es zehn Uhr morgens. In der ersten Fassung haben Sie nicht gelacht, Herr Kürmann, Sie waren besorgt. Kür mann gebt ans Telefon und wählt eine Nummer. Hallo ... Hallo - Warum sprechen Sie nicht? 79 Kiimumn Registrator Kii tniann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Das knackt jedesmal. Sie können trotzdem sprechen. Wieso knackt es jedesmal? Ihr Telefon wird überwacht. Kürmann legt den Hörer auf. Einiges hat sich schon verändert... Bühnenarbeiter bringen ein Spinett. Was ist das? Ein Spinett: da Antoinette, wie sich plötzlich gezeigt hat, musikalisch ist. Sie erinnern sich? Die Bühnenarbeiter gehen weg. Was hat sich sonst verändert? Es ist kein Whisky mehr im Haus. In der ersten Fassung, Sie erinnern sich, haben Sie ziemlich getrunken, wenn Sie auf Antoinette gewartet haben. Und auch sonst. Der Arzt hat Sie überzeugt, daß es um die Leber geht. Sie fühlen sich wohler als in der ersten Fassung. Kürmann horcht. Endlich! Neonlicht aus. Kürmann setzt sich an den Schreibtisch, Antoinette kommt in einem andern Abendkleid, sie trägt eine Frisur, die sie jünger macht als früher. Antoinette Entschuldige. Pause. Sie setzt sich zum Frühstück. Schneiders lassen grüßen. Kürmann Der Tee ist kalt. Antoinette Man fand es schade, daß du nicht gekommen bist. Sie gießt Tee ein. Ich habe es sehr genossen, einige waren sehr nett, fand ich, sehr anregend. Sie trinkt. Schneiders lassen grüßen -Kürmann Das hast du schon gesagt. So Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Registrator Kürmann Antoinette Kürmann Registrator Kiirmnnn linst du schon gefrühstückt? Es ist zehn Uhr. Kürmann tut, als arbeite er. Pause. Auch Henrik läßt grüßen. Wer? Henrik. Das wundert mich. Wieso wundert dich das? Weil Henrik zur Zeit in London ist. Sie dreht sich um und blickt ihn an. Hannes - was ist los? Das frage ich dich. Ich komme nach Hause - - um zehn Uhr morgens. - ich bestelle dir Grüße von Henrik - - der zur Zeit in London ist. - und somit lüge ich? Sie nimmt sich eilte Zigarette, gelassen: Henrik ist nicht in London. Kür mann springt auf. Das hat sich geändert. Diesmal ist Henrik nicht nach London geflogen, diesmal ist es keine Lüge,' diesmal sind Sie im Unrecht. Entschuldige. Kürmann geht und gibt Feuer. Sind deine Korrekturen gekommen? Sie sitzt und raucht, Kürmann steht. Wer läßt mich sonst noch grüßen? Sic meint die Korrekturen für ein Taschenbuch, das Sic jetzt für den Rowohlt-Verlag schreiben: Verhaltensforschung allgemeinverständlich. Wie gesagt, Sie haben jetzt kein festes Einkommen mehr, kein Institut, um Forschung zu betreiben. Sie haben froh zu sein für jede Art von Arbeit. Das ist neu. Die Korrekturen sind gekommen. Stundenschlag: zehn Uhr. Wo hast du deine Armbanduhr? Sie schaut auf ihre» leeren Arm. In einem Badezimmer? Es kommt Frau Hubalek. Frau Hubalek Frau Doktor? Antoinctte Was ist? Frau Hubalek Soll ich frischen Tee machen? Frau Hubalek nimmt die Kanne und geht weg. Antoinette Ich möchte wissen, was du dir eigentlich vorstellst. Jetzt ist man zwei Jahre verheiratet, ich übersetze von Morgen bis Abend, und wenn ich nicht unter Leute gehe, werde ich nie zu einer Galerie kommen. Das sagst du selbst. Aber jedesmal, wenn ich von einer Gesellschaft komme, schaust du, ob ich meine Armbanduhr habe. Was denkst du dir eigentlich dabei? Kürmann Sag du's. Antoinette Was? Kürmann Wo du gewesen bist. Sie zerdrückt ihre Zigarette. Antoinette Wenn du's wissen willst: -Neonlicht. Registratur Wollen Sie's wissen? Sie haben dann die Gewißheit sehr schlecht ertragen. Er sieht im Dossier nach: Sie haben gebrüllt. Zuerst haben Sie eine Tasse zerschmettert, dann gebrüllt. Übrigens nur kurz, dann wurden Sie feierlich. Als Antoinette, ihrerseits die Gelassenheit in Person, Sie aufmerksam machte, daß Sie sich benehmen wie ein Spießbürger, fiel die Ohrfeige, die Sie selbst verblüffte: eine links, und da Antoinette es nicht glauben wollte, zwei rechts. Ferner haben Sie, um Antoinette nicht anzublicken, mit der Faust auf das Spinett geschlagen, dabei fielen unter anderem die folgenden Wörter, laut Dossier: - Kür manu winkt ab. Wollen Sie wirklich die Gewißheit? Kürmann Ja. Rcgistrator Wie Sie wollen. Neonlicht aus. Antoinette Wenn du willst, Hannes, dann geh ich. Und zwar sofort. Ich lebe nicht im neunzehnten Jahrhundert. Das lasse ich mir nicht gefallen. Kürmann Das mit der Uhr war doch ein Spaß. Antoinette Wenn man bleich ist, spaßt man nicht. Kürmann Dann entschuldige. Antoinette Ich lasse mich von einem Mann nicht anbrüllen. Kürmann Ich habe nicht gebrüllt. Antoinette Weil du weißt, daß ich sonst gehe, Kürmann nimmt eine leere Teetasse. Kürmann Habe ich irgendwie gebrüllt? Registratur Nein. Kürmann Registrieren Sie das! Neonlicht, der Registratur registriert, Neonlicht aus. Antoinette Du schweigst, weil du weißt, wie kitschig es ist, was du jetzt denkst. Trotzdem denkst du es. Sie wird heftig: Ich finde es gemein. Kürmann Was? Antoinette Wie du mich behandelst. Kürmann Nämlich? Antoinette So brüll mich schon an! So daß auch Frau Hubalek es hört. So zeig schon, wer du bistl So ohrfeige mich schon! Kürmann Warum? Antoinette Wie ein Spießbürger! Frau Hubalek. kommt und bringt Tee. Kürmann Danke, Frau Hubalek, danke. Frau Hubalek geht weg. Antoinette Jetzt ist man zwei Jahre verheiratet, und es ist gl Kikmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Registrator Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Registrator Kürmann das erste Mal, daß ich eine Nacht nicht nach I laus komme, das erste Mal, und jedesmal machst du eine Szene - Antoinctte. Jedesmal! Kürmann rührt in der leeren Tasse. Du machst eine Szene, Antoinctte, nicht ich. Was tu ich denn? Ich stehe und trinke Tee. Tee? Tee. Aus einer leeren Tasse. Pause. Wieso weint sie jetzt? Neonlicht. Stimmt: In der ersten Fassung hat sie nicht geweint. Weil Sie gebrüllt haben, Herr Kürmann, in der ersten Fassung. Jetzt weint sie: Es können nie beide Teile eines Paares zugleich überlegen sein. Diesmal sind Sie's. Neonlicht aus. Daß ich mir das gefallen lassen muß. Ich finde es gemein. Sie schreit: Hundsgemein - hundsgemein! Was eigentlich? Wie du dich beherrschen mußt. Kürmann rührt in der leeren Tasse. Jetzt tust du wirklich, Antoinette, als habe ich dir eine Ohrfeige gegeben. Zum Registratur: Habe ich eine Ohrfeige gegeben? Nein. Registrieren Sie das! Neonlicht, der Registratur registriert, Neonlicht aus. Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich habe gearbeitet. Korrekturen. Ich habe angerufen. Um zwei Uhr »4 Antoinctte Kürmann Antoinette nachts. Schneiders waren schon im Bett. Ihr, so hieß es, seid schon gegangen -Sie nimmt etwas aus der Handtasche. Hier ist meine Uhr. Kürmann geht und gießt Tee in sehte Tasse. Ich kann dir nur sagen, du irrst dich. Dann ist es ja gut. Ich finde es gar nicht gut, Hannes, ich finde es unmöglich: ein Mann wie du, ein Intellektueller, ein Mann in deinem Alter - ich meine: ein Mann von deiner Erfahrung - ob ich mit jemand geschlafen habe oder nicht, hast du nichts andres zu denken in dieser Welt? Ist das dein Problem? Sie erhebt sich. - Und gesetzt den Fall, ich hätte mit einem Mann geschlafen heute nacht oder jedesmal, wenn du es dir vorstellst: Was dann? Ich bitte dich: Was dann? Ich frage dich: Wäre das denn der Wärmetod der Welt? Jetzt redest du Quatsch. Ich habe mit jemand geschlafen. Pause. Nimmst du noch Tee? Sie nimmt ihre Handtasche. Ich muß mich jetzt umziehen. Tu das. Zum Mittagessen bin ich verabredet. Antoinette gebt weg. Jetzt wissen Sie's. Neonlicht. Sie haben nicht gebrüllt, Herr Kürmann, überhaupt nicht. Auch ist es zu keiner Ohrfeige gekommen, obschon Antoinette darauf gewartet hat. Und das Spi-nett ist ebenfalls unbeschädigt. Sie haben sich verhalten wie ein erfahrener Mann: einwandfrei. Kürmann Und was ändert das? Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Registrator Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Registrator Kürmann Antoinette Vorbildlich. Der Tatbestand bleibt derselbe. Aber Sie fühlen sich überlegen. Kürmann schmettert die Tasse an die Bücherwand. Sie wissen, was folgt: - Sie traf ihn zum Mittagessen. Sie wollte nicht sagen, wie er heißt. Das gehe mich nichts an. Einen Monat später reisten sie zusammen nach Sizilien. Sardinien. Das Telefon klingelt. Wollen Sie nicht abnehmen? Nein. Er läßt klingeln. Fehlanruf. Woher wissen Sie das? Sobald er meine Stimme hört: Fehlanruf. Ich kenne das. Dieses Spiel werden wir nicht wiederholen. Antoinette kommt im Straßenmantel. Hannes, ich geh jetzt. Wohin? In die Stadt. In die Stadt. Ich habe dir gesagt, daß ich zum Mittagessen verabredet bin. Nachmittags bin ich in der Bibliothek. Abends bin ich da. Pause, sie zieht Handschuhe an. Hier, in dieser Stellung, haben Sie sich ausführlich entschuldigt: wegen Ohrfeige und Spinett und überhaupt. Aber das erübrigt sich jetzt... Pause, bis sie die Handschuhe angezogen hat. Darf ich fragen, wie er heißt? Ich möchte, daß du mich jetzt in Ruhe läßt. Das ist alles, was ich dir sagen kann. Es ist meine Sache. Sie nimmt ihre Handtasche. Wenn sich Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrator zwischen uns etwas ändert, Hannes, dann sag ich's dir. Antoinette geht weg. Haben Sie's anders erwartet? Weiterl Sie sagt es nicht: auch ohne Ohrfeige. Insofern hat sich durch Ihr einwandfreies Verhalten nichts verändert, aber Sie fühlen siel» wohler als in der ersten Fassung: Sie brauchen sich diesmal nicht zu schämen. Weiterl Fühlen Sie sich nicht wohler? Frau Hubalek kommt und bringt Post. Danke, Frau Hubalek, danke. Frau Hubalek räumt das Geschirr zusammen. Das ist eine Woche später: da wäre wieder dieser Brief an Antoinette, den Sie geöffnet haben, um zu wissen, woran Sie sind. Sie erinnern sich? Daraufhin nahm sie ein Postfach. Kürmann mustert den Brief. Frau Hubalekl So begann die Unwürde - Ein Eilbrief für meine Frau. Kürmann gibt ihr den Brief, Frau Hubalek geht weg. Sehen Sie: Sie können auch anders. Weiter! Sie verhalten sich einwandfrei. Was ist in einem Monat? Antoinette wird Ihnen dankbar sein. Antoinette wird Sie achten. Vielleicht nimmt sie trotzdem ein Postfach: aber nicht aus Mißtrauen, sondern aus Takt — Ich frage: Was ist in einem Monat? Sommer 1963, Er sieht im Dossier nach: „Konrad Adenauer erwägt seinen Rücktritt -" S7 _____ ..... Kürmann Registrator Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Rcgistra tot-Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kü rmann Hier, meine ich, was geschieht hier? Sie wohnen noch immer zusammen: -Antoinette kommt im Straßenmantel und mit einem kleinen Kofjer, den sie abstellt, um die Handschuhe anzuziehen. Neonlicht aus. Hannes, ich geh jetzt. Hast du alles? Ich bin in einer Woche wieder da. Hast du deinen Paß? Spätestens in einer Woche. Sie schaut in der Handtasche nach ihrem Paß. Fahrt vorsichtig. Ich habe den Wetterbericht gelesen: der Gotthard ist offen, aber Italien meldet Überschwemmungen, vor allem die Via Aurelia - Wir fliegen. - ist das geändert? Offenbar. Wir haben es uns anders überlegt: wir (liegen. Dann bin ich beruhigt. Egon hat nur eine Woche Zeit. Pause. Wie ist es mit deiner Post? Frau Hubalek hat das Haushaltsgeld. Wann fliegt eure Maschine? Um ein Uhr. Kür mann blickt auf seine Uhr. Die Post brauchst du nicht nachzuschicken. Wichtiges wird nicht kommen, und ich bin in einer Woche wieder da, Hannes, spätestens Montag oder Dienstag ... Pause. Was machst du? Korrekturen... Antoinette nimmt ihren kleinen Koffer. SS Registrator Kürmann Registrator Antoinette Kürmann Registrator Kürmann Registrator Du hast 'Zeit, Antoinette, viel Zeit. Zum Flughafen brauchst du vierzig Minuten. Höchstens. Jetzt ist es zehn Uhr. Noch nicht einmal. Zum Registratur: Warum ist sie so nervös? Sie verhalten sich so einwandfrei, und damit hat Antoinette nicht gerechnet. In der ersten Fassung kam es hier zu einem stundenlangen Wortwechsel: Sie mußten gestehen, daß Sie einen Brief geöffnet hatten. Antoinette war außer sich. Sie mußten es siebenmal gestehen und beschwichtigen und um Verzeihung bitten, bevor sie endlich ihren Koffer nehmen und gehen konnte - Sie ist ja viel zu früh am Flughafen. Weil es nichts zu verzeihen gibt. Stundenschlag: zehn Uhr. Hannes, ich muß gehen. Antoinette gibt ihm einen Kuß. Fahrt vorsichtig - ich meine: Fliegt vorsichtig ... Antoinette geht weg. Egon heißt er. Seine Personalien sind unverändert. Neonlicht. „Stahel, Egon, Jahrgang 1929, Architekt, verheiratet, katholisch." Stahe!. Sie haben den Namen schon vor drei Jahren gehört, aber nicht beachtet. Sie hören ihn jetzt, wo Sie hinkommen. Vor allem Leute, die noch nichts wissen, erwähnen ihn unentwegt: Egon oder Stahel. Der junge Mann scheint sehr geschätzt zu sein. Als Architekt. Aber auch menschlich und musikalisch - Kür manu geht zur Hausbar. Es ist kein Whisky mehr im Haus, das sagte ich Ihnen schon: das haben Sie geändert. Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Registrátor Kürmann Registrátor Kürmann Antoinette Registrátor Antoinette Kürmann Antoinette Kiirmann Antoinette Kürmann Antoinette Kiirmann Registrátor Kürtn'Iimi steht ratlos. Waruni arbeiten Sie niclit? Sie hat recht: Ilaben Sie nichts anderes im Kopf als die Ehe? Schweigen Sie. Ist das Ihr Problem in dieser Welt? Kürmann steht und schweigt. Möchten Sie nochmals zurück? Wozu? Wie Ihnen beliebt. Was ist in einem halben Jahr? Frau Hubalek kommt und bringt Post. Danke, Frau Hubalek, danke. Frau flfibalek geht weg. Ihr Taschenbuch ist erschienen. Endlich. Wie gefällt es Ihnen? Kürmann blättert, dann hält er inne. Was ist sonst geschehen? Antoinette kommt im Straßenmantel. Hannes, ich geh jetzt. Offenbar sind Sie noch immer verheiratet. Hannes, ich geh jetzt. In die Stadt. In die Stadt. Nachmittags bist du in der Bibliothek. Nachmittags bin ich in der Bibliothek. Abends bist du da. Das weiß ich noch nicht. Antoinette geht z&eg. Sie weiß es noch nicht! Kih 'mann wirft das 2 aschenbuch in die Ecke. Gefällt Ihnen die Ausstattung nicht? Kürmann läßt sich in den Fauteitil fallen. Das war 1964. Er liest aus dem Dossier: „Chruschtschow ist abgesetzt. / Der Mord an 9Q Kürmann Registrator Kürmann Registrator Kürmann Pina Registrator Kiirmann Registrator Kürmann Pina Kürmann Pina Kürmann Registrator Kürmann Registrator Präsident Kennedy in Dallas, Texas, bleibt ungeklärt. / Die Bundeswehr erreicht das von der NATO gestellte Ziel von 12 Divisionen -" Was ist in einem Jahr? 1965. Er liest aus dem Dossier: „Start des sowjetischen Raumschiffs Woschod 2, Leonow verläßt durch eine Luftschleuse das Raumschiff und schwebt als erster Mensch zehn Minuten lang im Weltraum, handgesteuerte Landung nach siebzehn Erdumkreisungen." Frau Hubalek 1 Warum schreien Sie? Warum steht das Frühstück noch immer da? Frau Hubalek! Warum räumt sie das Geschirr nicht weg? Frau Hubalek! Es kommt eine junge Italienerin. Professore desidera? Frau Hubalek ist gestorben. La tavola. Prego. Per favore. Sie heißt Pina und kommt aus Kalabrien. Come sta, Pina? Meglio, Signorc, molto meglio. Grazie. Brutto tempo in questo paese. Eh. Eh. Pina nimmt das Geschirr und geht weg. Ihr Italienisch macht Fortschritte. Und was sonst? Sie werden älter. Er sieht im Dossier nach: Sie sind jetzt achtundvierzig, Herr Kürmann, in zwei Jahren werden Sie fünfzig. Er sieht Kürmann an: Was überlegen Sie? Kürmann sitzt und schweigt. Die Träume, daß alle Zähne ausfallen und daß man sie im Mund spürt wie lose Kieselsteine, 91 diese Träume sind nichts Neues, aber sie häufen sich in letzter Zeit -Kürmann Und was sonst? Registrátor Noch sind Sie kein Gaga. Kürmann Danke. Registrátor Ehrenwort!, auch wenn Thomas, Ihr Sohn, vielleicht schon andrer Meinung ist. Es erscheint Thomas in Beat-Frisur. Man trägt jetzt diese Frisur. Kürmann Ich brauche seine Meinung nicht. Thomas Das ist es eben. Drum kann man nicht sprechen mit ihm. Ich kann's nicht mehr hören: Als ich in deinem Alter war! Vielleicht war es so, wie er sagt, aber es ist eben nicht mehr so. Immer kommt er mit seiner Biografie. Er bockt sich auf den Schreibtisch. Ich lebe nun einmal so. Kürmann Das sehe ich, Thomas Und? Er schlenkert seine Jacke. Er ist einfach nicht mehr im Bild. Was heißt schon Erfahrung! Kein Mensch, der heutzutage im Bild ist, glaubt heutzutage noch an Marxismus-Leninismus. Zum Beispiel. Daran glauben grad noch die Chinesen - Registrátor Thomas ist jetzt dreiundzwanzig. Thomas Was hast du mir sagen wollen? Kürmann Nichts, Thomas Okay. Kürmann Du bist jung, Thomas, aber das ist vorderhand auch alles, was du bist. Du mit deinem Haar. Was weißt denn du von dir? Daß du machst, was du willst. Hast du schon einmal einen Irrtum eingesehen und damit weitergelebt? Registrátor Herr Kürmann, das wollten Sie nicht sagen. Kürmann Habt ihr schon einmal einen Irrtum eingesehen und damit weitergelebt? Es ist doch wahr. Was 92 Thomas Registrator Kürmann Antoinette Registrator Kürmann Registrator Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann habt ihr denn schon bestanden, ihr Pilzköpfe, ich frage dich: was denn? Er schreit: Was denn? Pa, jetzt wirst du ein alter Mann. Kürmann schweigt. Warum haben Sie das wieder gesagt? Thomas ist weg. Was ist sonst geschehen? Antoinette kommt im Straßenmantel. Hannes, ich geh jetzt. Augenblick. Er blättert. Natürlich ist allerlei geschehen, Sie stehen ja nidit jahrein und jahraus in diesem Morgenmantel, zum Beispiel sind Sie inzwischen in Rußland gewesen. Wie war's? Darüber haben Sie geschwiegen. Bisher. Sie waren in Rußland fast ein halbes Jahr, eine Begegnung mit Krolevsky war nicht möglich. Sie sind sich bewußt, Herr Kürmann, gewisse Leute glauben aus Ihrem Schweigen schließen zu dürfen, daß Sie von Rußland enttäuscht sind. Das ist er auch. Woher weißt du das? Egon war auch schon in Rußland. Egon! Er hat berichtet. Egon ist ein Reaktionär. - während du schweigst: weil du progressiv bist. Sie hat keine Zeit, tun weiterzusprechen. Also ich geh jetzt. Warum lassen wir uns nicht scheiden? Abends bin ich da. Ich habe dich etwas gefragt. Entschuldige. Warum lassen wir uns nicht scheiden? Pause. 9 í Registratur Sie erwartet eine Begründung. In der ersten Fassung haben Sic an diesem Vormittag die folgende Begründung gegeben. Er liest aus dem Dossier: „Es ist schade um unsere Zeit, Antoinette, ich liebe dich, aber es ist schade um die Zeit." Kürmann Schade um die Zeit. Registratur „Wir leben nur einmal." Kürmann Das habe ich gesagt? Registratur Trivial, aber empfunden. Er liest aus dem Dossier: „Einmal vor Jahren, du erinnerst dich, hast du gesagt: Wenn sich zwischen uns etwas ändert, dann wirst du es mir schon sagen." Antoinette Ja. Registrator „Es wird sich aber nichts ändern, Egon ist katholisch." Antoinette Was willst du damit sagen? Registrator „Er kann sich nicht scheiden lassen." Antoinette Nein. Registrator „Das heiligt auch unsere Ehe." Kürmann So ist es. Registrator „In diesem Ton, ich weiß, läßt du nicht mit dir reden, trotzdem bin ich dafür, daß wir uns scheiden lassen." Kürmann Unverzüglich. Registrator „Wir können." Antoinette setzt sich. Möchten Sie dieses Gespräch ändern? Kürmann Ich habe gehofft, daß es nicht dazu kommt. Ich habe mich benommen wie ein erfahrener Mann. Ich habe keine Briefe geöffnet und so weiter, ich habe gehofft -Registrator - daß Egon verschwindet. Kürmann Ja. Registrator Das ist nicht der Fall. Kürmann Nein. Registrator Also wollen Sie wieder die Scheidung? Kürmann Unverzüglich. Pause, Antoinette nimmt sich eine Zigarette. Antoinette Flast du mit einem Anwalt gesprochen? Kürmann Nein. Antoinette Ich habe mit einem Anwalt gesprochen. Es wäre einfacher, meint er, wenn wir den gleichen Anwalt nehmen. Wenn's zu einer sogenannten Kampfscheidung kommt, meint er, dauert das mindestens ein Jahr... Sie zündet die Zigarette an und raucht. Kürmann Was ist in einem Jahr? Registrator 1966. Kürmann Was ist dann? Man hört einen Säugling schreien. Kürmann Ein Kind? Registrator Ja. Kürmann Von ihm? Registrator Nein. Kürmann Von mir? Registrator Nein. Kürmann Von wem? Registrator Die junge Kalabresin hat ein Kind. Der Säugling verstummt. Registrator Was sonst geschehen ist - er sieht im Dossier nach -, der Kürmannschc Reflex, seinerzeit ein Begriff, der Schule machte, hat sich durch die neuere Forschung als unhaltbar erwiesen. Mau hört wieder den Säugling. Antoinette 1 lanncs, ich geh jetzt. Sie zerdrückt die Zigarette. ] entweder gehen wir zu einem Anwalt und lassen uns endlich scheiden, Hannes, oder wir sprechen nicht mehr davon. Es gibt nichts, was wir einander nicht schon gesagt haben. Sie erbebt sich. Nachmittags bin ich in der Bibliothek. 94 95 * Kürmann Antoinette Kürniann Antoinette Registrator Kürmann Registrator Nachmittags bist du in der Bibliothek. Abends bin ich da. Abends bist du da. Andernfalls rufe ich an. Anlo'uiette geht tveg. Hier, Herr Kürmann, haben Sie gesagt: Wenn Sie noch einmal anfangen könnten, so wüßten Sie genau, was Sie anders machen würden. Kürmann steht reglos. Möchten Sie noch einmal anfangen? Kürmann steht reglos. Sie lieben sie. Kürmann geht zur Bücherwand und nimmt einen Revolver hinter den Büchern hervor, dabei stellt er sich so, daß der Registratur es nicht sehen soll; er entsichert den Revolver so leise wie möglich. So weit waren Sie schon einmal: Sie wollten sich erschießen, weil Sie meinten, daß Sie ohne sie nicht leben können - dann fanden Sie sich selber kitschig. Er sieht im Dossier nach: „September 1966." Man hört wieder das schlechte Klavier nebenan, dieselben Takle, die abbrechen, Wiederholung, während der Registratur sich eine Zigarette anzündet; dann Stille. Auch wir, ollen gestanden, haben natürlich etwas anderes erwartet von einem Mann, der die Möglichkeit hat, noch einmal anzufangen: etwas Kühneres -Ja. - nichts Großartiges vielleicht, aber etwas anderes, was Sie nicht schon einmal gelebt haben. Zumindest etwas anderes. Er raucht. Warum, zum Beispiel, sind Sie nicht ausgewandert? Lichtbild: Kürmann im Tropenhelm. Kürmann auf den Philippinen, Verhaltensfor- 96 Kürmann Registrator Kürmann Registrator schung an Vögeln, die es in unseren Breitengraden nicht gibt. Ein Forscherleben: hart, aber sinnvoll... Kürmann Ja. Registratur Fragen Sie diesen Kürmann, was er von Horn-acher denkt, er wird sich nicht sofort erinnern, dann lachen. Oder fragen Sie ihn nach einem gewissen Egon. Lichtbild: Kür mann mit Damen. Oder Kürmann als Lebemann. Lassen Sie das. Ich weiß nicht, ob Sie sich so etwas gedacht haben, als Sie sagten: Wenn Sie noch einmal anfangen könnten und so weiter. Wofür halten Sie mich? Wenigstens wäre es anders gewesen . . . Lichtbild: Kür mann im Talar. Wenn Sie schon nicht ausgewandert sind, ubi bene ibi patria, Sie hätten bloß Geduld haben müssen und etwas Taktik, etwas Schlauheit, die verschweigt, was Anstoß erregt: Kürmann als Magnifizenz. Jetzt würden Sie bestimmen, wo Hornacher bestimmt. Das würde die Welt nicht verändern, aber ein wenig die Universität, eine von vielen. Lichtbild: Kür mann in einem Handgemenge. Warum sind Sie nicht auf die Straße gegangen? Lichtbild: Kür mann mit Katrin und Kindern. Da Sie noch einmal haben wählen können: Warum haben Sie nicht versucht - zum Beispiel -, den Selbstmord von Katrin zu verhindern? Vielleicht hätte es genügt, daß sie einen Garten voller Kinder hat, Kinder, die Federball spielen. Kürmann Schweigen Sie. Registrator Kürmann als Papi am Sonntag. 97 Man hört wieder das schlechte Klavier nebenan, dieselben Takte, Wiederholung, während die Lichtbilder verschwinden; Stille. Statt dessen: dieselbe Wohnung. Dieselbe Geschichte mit Antoinette. Nur ohne Ohrfeige. Das haben Sie geändert. Ferner sind Sie in die Partei eingetreten, ohne deswegen ein andrer zu werden. Was sonst? Und Sie halten einigermaßen Diät. Das ist alles, was Sie geändert haben, und dazu diese ganze Veranstaltung! Kürmann Ich liebe sie. Antoinette kommt im Straßenmantel. Antoinette Hannes, ich geh jetzt. Kür mann blickt auf den Revolver in seiner Hand. Hannes, ich geh jetzt. Kürmann Ich höre. Antoinette Vergiß nicht, daß wir Gäste haben heute abend. Schneiders kommen auch. Und Henrik. Und einige andere -Kürmann Nachmittags bist du in der Bibliothek. Antoinette Hörst du nicht, was ich sage? Kürmann Und einige andere. Antoinette Nachmittags bin ich in der Bibliothek. Kürmann dreht sich um, und da er grad den Revolver zur Hand hat und da ihm der Wortwechsel verleidet ist, zielt er auf Antoinette: ein erster Schuß, ohne daß Antoinette xoeiebt oder zusammenbricht. Hannes -Zweiter Schuß. Kürmann Sie meint, ich träume das. Dritter Schuß. Antoinette Flannes, ich geh jetzt. Kürmann In die Stadt. Antoinette In die Stadt. Vierter Schuß. Abends bin ich da. Fünfter Schuß; Antoinette bricht zusammen. Registratur Ja, Herr Kürmann, jetzt haben Sie geschossen. Kürmann Ich -? Arbeitslicht. Man sieht die ganze Bühne. Es wird eine graue Wand heruntergelassen, die das Zimmer verdeckt, zwei Bühnenarbeiter stellen eine Pritsche davor und geben weg. Spiellicht: Kür mann erscheint im Sträflingskleid. Registrator Sie dürfen sich setzen. Kürmann setzt sich. Der Registrator nimmt das Dossier und setzt sich neben Kürmann. Sie haben am Vormittag des 29. 4. 1966, ohne daß ein nennenswerter Wortwechsel vorangegangen ist, fünf Schüsse abgegeben auf Ihre Ehefrau Antoinette Kürmann, geborene Stein, Dr. phil. Der fünfte Schuß, ein Kopfschuß, war tödlich . . . In der Untersuchungshaft haben Sie gesagt, daß Sie mit der sechsten Patrone, die noch im Magazin war, Selbstmord verüben wollten; statt dessen haben Sie dann, laut Dossier, die Polizei benachrichtigt und ein umfassendes Geständnis abgelegt . . . Und so weiter. Er blättert. Auf die Frage, ob Sie Reue empfinden, haben Sie gesagt: Sie seien verwundert, Sie hätten sich das nicht zugetraut -Kür mann schweigt. 99 Expertise des Psychiaters: Unzurechnungsfähigkeit kann nicht angenommen werden . . . Und so weiter, Er blättert. Vermögensverhältnisse. Er blättert. Vorleben des Angeklagten. Er blättert. Vorleben der Ermordeten. Er blättert. Einmal erklärten Sie auf die Frage, warum Sie auf Ihre völlig nichtsahnende Frau geschossen haben, ich zitiere: „Ich wußte plötzlich, wie es weitergeht." . . . Ein andermal, ich zitiere: „Meine Frau sagte, daß sie nachmittags in der Bibliothek sein werde, oder sie war im Begriff, das zu sagen, und da ich diesen Satz schon kannte und da er mir verleidet war, schoß ich sozusagen auf diesen Satz, um ihn nicht wieder zu hören." . . . Kürmann schweigt. Das Urteil lautet auf Zuchthaus lebenslänglich. Sie selbst haben auf ein Schlußwort, das Ihnen vor dem Urteilsspruch zustand, verzichtet... Sie verlangen keine Revision des Prozesses? Kürmann Nein. Registrátor Darf ich Ihnen jetzt eine Frage stellen? Pause. Gedenken Sie angesichts dieser Biografie - oder besser gesagt: glauben Sie - fühlen Sie, nachdem Sie jetzt in dieser Zelle wohnen, eine - wie soll ich sagen - Neigung, ja, eine Neigung, ein Bedürfnis, eine Bereitschaft, die Sie bisher nicht kannten und die erst aus dem Bewußtsein der Schuld entstanden ist, eine - Bereitschaft . . . Kürmann Zu was? Registrátor Sie werden vorerst in dieser Zelle bleiben, später auf dem Feld arbeiten oder in der Tischlerei, später vielleicht in der Verwaltung, Schreibarbeit und derartiges . . . Sie sind jetzt neunundvierzig, wo Herr Kürmann: - eine Strafverkürzung, bekanntlich bei einwandfreiem Verhalten nicht ausgeschlossen, dürfte vor zwölf Jahren nicht zu erwarten sein. Dann wären Sie also einundsechzig, vorausgesetzt, daß Sie so lang leben ... Sie verstehen meine Frage? Kürmann Sie meinen: um diese Aussichten zu ertragen, habe ich mich umzusehen nach einem Sinn für das, was geschehen ist. Registrator Ich frage. Kürmann Und dieser Sinn würde darin bestehen, daß ich glaube: So und nicht anders hat es kommen müssen. Was man niemals beweisen kann, aber glauben. So und nicht anders. Schicksal. Vorsehung. Registrator Sagen wir so. Kürmann Ich weiß, wie es geschehen ist. Registrator Zufällig? Kürmann Es mußte nicht sein. Pause. Registrator Herr Kürmann, Sie haben die Wahl. Kürmann Glauben oder nicht glauben. Registrator Ja. Kürmann erhebt sich, geht durch die Zelle, steht. Kürmann Und sie? - sie? ... Ob ich glaube oder nicht, ich, was ändert das für sie? Ihr Leben - nicht mein Leben . . . Was hat die Tote davon, daß ich, ihr Mörder, meine Zelle tapeziere mit Schicksal? Ich habe ein Leben vernichtet - ihr Leben - was heißt da noch Wahl? - Sie ist tot - tot, und ich wähle: glauben oder nicht glauben. Er lacht. Reue! Was ihr unter Reue versteht - Registrator Was wollen Sie sagen? Kürmann Antoinette könnte leben - das mußte nicht sein -, leben, essen, lachen, träumen von ihrer Galerie, die nie zustande kommt, ein Kind haben von wi .......'Jil..... irgend wem, lügen, srhlalen, ein neues Kleid trugen - leben . . . Der Registratur erhebt sich. Registratur Dann gehen wir nochmals zurück. Er gebt an sein Pult, wo er die letzten Seiten aus dem Dossier löst und in den Papierkorb wirft. Bitte. Neonlicht aus. Die graue Wand verschwindet nach oben, Spiellicht im Zimmer: eine kleine Gesellschaft im aufgelösten Zustand gegen Morgen, Herren und Damen bocken auf dem Boden, Antoinelle sitzt am Spinett und spielt, aber die Leute hören nicht zu, ausgenommen ein blonder Herr, der an der Bücherwand steht; die andern trinken oder flirten oder lachen, Antoinelle bricht ihr Spiel ah. Antoinette Ich habe jahrelang nicht gespielt. Lachen. Henrik Antoinette ist ein Genie. Wo ist Kürmann? Man muß es ihm sagen, daß Antoinette ein Genie ist. Kürmann! Jemand Brüll nicht. Henrik Man muß es ihm sagen. Pause. Dame i Kinder, wir sollten gehen. Jemand Was ist mit den Gartenzwergen? Dame i Herr Kürmann hat morgen zu arbeiten. Antoinette Soll ich eine Mehlsuppe machen? Es rührt sich niemand. Ich mache eine Mehlsuppe. Eine Dame quietscht. Henrik Was macht ihr mit meiner Frau? Dame i Du tust mir weh. Schneider Wer? Dame 2 Schneider 1 Ienrik Dame 2 Henrik Dame 2 Henrik Dame 2 Antoinette Schneider Jemand Henrik Schneider Henrik Antoinette Jemand Schneider Jemand Einige Einige Henrik Schneider Henrik Du. Das bin nicht ich. Lachen. Muggyl Brüll nicht immer. Warum bist du kein Genie? Henrik, du wirst blöd. Antoinette ist ein Genie. Wie kann ein Mann sich einfach verziehen, wenn sich zeigt, daß seine Frau ein Genie ist. Ich bin der zunehmenden Meinung, daß Antoinette ein Genie ist, das jahrelang nicht gespielt hat. Henrik ist blau. Soll ich eine Mehlsuppe machen? Diese Frage höre ich seit einer Stunde . . . Stille. Jetzt geht ein Engel durchs Zimmer! Kürmann, als Sträfling im Vordergrund, bat zugeschaut, jetzt geht er durchs Zimmer und verschwindet, niemand bat ihn bemerkt. Schneider! Du sollst nicht brüllen. Willst du eine Mehlsuppe? Wer will eine Mehlsuppe? Was ist mit den Gartenzwergen? Wer will eine Mehlsuppe? Gartenzwerge. Mehlsuppe! Gartenzwerge! Gläser klirren. Das kommt davon. Wovon? Man hört mir ja nicht zu. Die Dame j bat sieb erhoben. Frau Stahel will gehen. 10} Dame i Es ist Zeit. Henrik Frau Stahel hat drei Kinder. Antoinette geht zu/u blonden Herrn. Antoinctte! Schneider Sei still. Henrik Hier wird nicht getuschelt. Der blonde Herr setzt sich ans Spinett. Stahel! Jemand Was ist jetzt mit der Mehlsuppe? Henrik Ihre Frau will gehen, Ihre Frau hat drei Kinder -Stahel spielt auf dem Spinett, er spielt besser als Antoinette, nach und nach hören die Leute sogar zu, Kürmann erscheint in seinem Morgenmantel und wird vorerst nicht bemerkt. Kürmann ist auferstanden . . . Deine Auferstehung, Kürmann, macht überhaupt keinen Eindruck, aber deine Frau ist großartig, damit du's weißt, Kürmann, so eine Frau hast du gar nicht verdient. Kürmann tritt zu Antoinette. Kürmann Ich mache eine Mchlsuppe - Beifall, der das Spinettspiel unterbricht. - aber das dauert eine Weile. Kürmann geht weg. Henrik So einen Mann hast du gar nicht verdient, Antoinette, damit du's weißt, ihr beide habt euch gar nicht verdient. Dame 2 Egon soll weiterspielen. Henrik Muggyl Dame 2 Was denn? Henrik So hör doch zu, wenn ich dich als Zeugin brauche: Habe ich schon einmal eine Mehlsuppe gemacht? Dame 2 Nein. Stahel spielt weiter, Kürmann erscheint beim Re-gistrator. 104 Registratur Ich denke, Sie machen eine Mehlsuppe? Was ist los? Ist; Ihnen nicht wohl? Ihre Freunde warten auf die Mehlsuppe. Kürmann Was ist in einem Jahr? Registrator Wollen Sie das wissen? Kürmann Was ist in einem Jahr? Es wird eine weiße Wand heruntergelassen, die das Zimmer verdeckt, Kürmann steht davor, eine weiße Krankenschwester kommt mit einem Rollsessel. Schwester Sie sollen nicht aufstehen, Herr Kürmann, drei Wochen nach der Operation. Sie führt Kürmann in den Rollsessel. Sie müssen Geduld haben, Herr Kürmann, Geduld. Sie deckt ihn mit einer Decke. Haben Sie Schmerzen? Die Krankenschwester geht weg. Registrator Sie bekommen sogleich eine Spritze. Das Spinettspiel ist zu Ende. Kürmann Was ist geschehen? Registrator 1967. Er liest aus dem Dossier: „Militärdiktatur in Griechenland -" Kürmann unterbricht. Kürmann Seit wann bin ich in dieser Klinik? Registrator Seit Januar. Kürmann Jetzt ist Juni. Registrator Richtig. Kürmann Die Leber ist es nicht. Registrator Nein. Kürmann Was ist es denn? Registrator Sie haben die Leber geschont. Kürmann Niemand sagt, was es ist. Registrator Der Oberarzt sagt: Gastritis. 10 $ Künnann Registrator Kiirmann Registrator Kiirmann Registrator Kiirmann Registrator Kiirmann Registrator Kürmann Registrator Zuerst wurde gesagt, man wisse nicht. Eine besonders langwierige Gastritis. Die Krankenschwester bringt einen Stuhl und geht wieder. Warum spricht es niemand aus? Es erscheint ein Herr mit schwarzem Monokel links. Möchten Sie Besuche? Nein. Das wäre Rotzler. Sie erinnern sich: Schneeballschlacht. Aber er hat sich in dieser Welt zurechtgefunden, Sie sehen, auch ohne linkes Auge. Handelsattache. Er möchte aus Südafrika erzählen, ein Mann voller Geschichten. Ferner möchte er Mut machen, jedermann hat einmal Pech. Es erscheint eine Dame. Frau Stahel. Was wünscht sie? Nichts. Warum kommt sie denn? Es ist ihr ein Bedürfnis. Egon ist bereits in Brasilien, sie wird zu Weihnachten übersiedeln mit den Kindern. Es ist ihr einfach ein Bedürfnis. Es kommt ein Mann mit Bärtchen. Wer sind Sie? Der Mann blickt sieb um. Er möchte nur unter vier Augen reden. Es kommen ein Herr und eine Dame. Schneiders. Kürmann schließt die Augen. Herr Kürmann hat gerade Schmerzen. Es kommt ein Fräulein. Das wäre Marlis. Wer? Marlis war wichtig für Sie, als Sie zweifelten, ob 106 Sie überhaupt noch ein Mann sind. Menschen sind dankbar dafür, daß sie wichtig gewesen sind. Auch Marlis möchte Ihnen nur Mut inachen. Sie hat es gestern ganz zufällig erfahren, daß Sie seit Monaten in einer Klinik sind. Kürmann Marlis -? Registrator Marlis ist dumm, aber sie weiß es. Vielleicht wird sie von Metastase sprechen, nur weil sie Fremdwörter verwechselt. Es kommt ein Herr im Kamelhaarmanlel. Herr Witzig, genannt Henrik, Reklameberater. Der Mann mit dem Bärtchen will gehen. Bleiben Sie! Kürmann Krolevsky? Registrator Er hat Sie erkannt. Krolevsky setzt sich, die andern Besucher gehen weg. Krolevsky, Wladimir, geboren in Riga, Lettland, als Sohn eines Rabbiners, einer SS-Aktion entkommen, da er irrtümlicherweise für tot gehalten worden ist, später Partisan am Ladogasee, daselbst verwundet, Student der Mathematik in Leningrad, unter Stalin zeitweise Zwangsarbeit, später rehabilitiert, seit 1958 Agent im Westen, i960 seines Lehramts enthoben und ausgewiesen, Rückkehr nach Moskau, als Revisionist verurteilt, Flucht über Finnland, seit zwei Jahren arbeitet Kollege Krolevsky in Turin, alias Ferrari, Carlo, Mitglied der: italienischen KP, aber davon möchte er nicht sprechen, bevor Sie genesen sind. Kürmann Was sagt: er zum Krieg um Israel? Registrator Er ist für Nasser. Kürmann Gegen Israel? Krolevsky macht eine Geste. Was sagt er? i(>7 Registrator Er .sagt: Selbstverständlich - allerdings. Kürmann Wieso? Registrator Davon möchte Genosse Krolevsky nicht sprechen, bevor Sie genesen sind, Herr Kürmann. Die Krankenschwester kommt mit Blumen. Schwester Sehen Sie, Herr Kürmann, sehen Sie: Blumen von Ihrem Sohn aus Amerika. Sie nimmt das Seidenpapier weg. Lauter Rosen. Kürmann Schwester Agnes -Schwester Ein lieber Sohn. Kürmann Kann ich mit dem Oberarzt sprechen? Die Krankenschwester huschelt die Rosen. Schwester Sofort, Herr Kürmann, sofort. Registrator Warum geben Sie keine Spritze? Schwester Sofort, Herr Kürmann, sofort. Es kommt der Arzt im weißen Kittel, hegleitet von einem jungen Assistenten; Krolevsky entfernt sich. Arzt Nun, Herr Kürmann, wie geht's? Wie haben wir heute geschlafen? Zur Krankenschwester: Hat Herr Kürmann etwas essen können? Schwester Tee. Der Arzt läßt sich den Rapport geben. Arzt Sehen Sie, Herr Kürmann: langsam fühlen Sie sich wohler. Er gibt den Rapport dem Assistenten. Schon will Herr Kürmann spazieren! Er faßt Kürmann an der Schulter: Müde? Das kommt von der Bestrahlung, das hat nichts zu sagen, trotzdem werden wir noch ein wenig bestrahlen. Er stellt vor: Mein neuer Assistent: Herr Doktor Fink. Assistent Funk. Arzt Er wird Sie betreuen, solange ich im Urlaub bin. Herr Doktor Fink, soviel ich weiß, ist auch Schachspieler. Er will die Hund geben: In drei Wochen, Herr Kürniann, sehen wir uns wieder Kürmann J lerr Professor - Arzt Wir müssen Geduld haben. Kürmann - kann ich mit Ihnen sprechen? Assistent und Krankenschvoester gehen weg. Kürmann Weiß man jetzt, was es ist? Arzt Sie grübeln zuviel. Kürmann Sie können offen sprechen. Arzt Gastritis - er nimmt seine Brille ab und putzt sie - eine besonders langwierige Gastritis ... Er hält die Brille gegen das Licht und prüft, ob sie sauber ist. — Ich weiß, Herr Kürmann, was Sie sich denken, das ist das erste, was die Leute denken, wenn sie von Bestrahlung hören. Er setzt die Brille wieder auf. Machen Sie sich keine Angst. In drei Wochen, wie gesagt, bin ich wieder hier. Kürmann schweigt. Dieser Doktor Fink wird Ihnen sehr gefallen . . . Kürmann Funk. Arzt Ein gewissenhafter Mann. Er nimmt seine Brille nochmals ab, um sie gegen das Licht zu halten. Eigentlich wollte ich nach Griechenland, aber nach diesen jüngsten Ereignissen___Er setzt die Brille wieder auf. Oder würden Sie jetzt trotzdem nach Griechenland fahren? Kürmann schweigt. Herr Kürmann. Kürmann Ja. Arzt Wir müssen Geduld haben. Kürmann Wird Gastritis operiert? Arzt Nein. Kürmann Warum wurde ich operiert? Arzt Sie wurden nicht operiert, Herr Kürmann. Kürmann Warum sagt man mir denn - iog Ai/i Wer sagt? Kürmann Schwester Agnes. Der Arzt salzt sich. Arzt Ich darf olfen mit Ihnen sprechen: -Kürmann Es bleibt unter uns. Arzt - natürlich haben auch wir daran gedacht, das will ich Ihnen nicht verhehlen, sonst hätte man die Operation nicht erwogen. Kürmann Wieso Nuklearbestrahlung? Arzt Nuklearbestrahlung, so müssen Sie sich vorstellen, ist eine Vorsichtsmaßnahme. Solange Sie hier sind, ich meine, bis wir sicher sind, ich meine, ganz sicher, daß diese Gastritis nicht wiederkommt - wahrscheinlich haben Sie diese Gastritis schon früher gehabt, Magenschmerz, aber Sie dachten, es sei die Leber . . . aber wir wollen doch alles tun, Herr Kürmann, daß das nicht chronisch wird. Pause. Haben Sie aber schöne Blumen heute! Kürmann Von meinem Sohn. Arzt Sie haben einen Sohn? Kürmann In Amerika. Arzt Das wußte ich gar nicht. Kürmann Er hat ein Stipendium. Arzt Was studiert er denn? Kürmann Film. Arzt Ach! Kürmann Er ist begabt. Pause. Arzt Wie gesagt, Herr Kürmann, wir müssen doch alles tun, damit das nicht chronisch wird, Bestrahlung ist nichts Angenehmes, das wissen wir . . . Wie alt sind Sie jetzt? Eine gewisse Geiahr be steht in unserem Alter natürlich, das zeigt die Statistik, jedenfalls wäre es unverantwortlich, wenn wir nicht alles unternehmen würden . . . Der Arzt erhebt sich. Kürmann Ich danke Ihnen. Arzt Was lesen Sie denn da? Er nimmt ein Buch zur Hand: „Italienisch ohne Mühe." Er blättert darin. Sie möchten wissen, wann Sie endlich reisen können, das begreife ich. Er legt das Buch wieder hin. Chianciano ist auch im Herbst noch schön -sogar schöner . . . Kürmann Ich habe einfach Angst. Arzt Vor dem Bestrahlen? Kürmann Vor diesem langsamen Verrecken. Es klopft. Weiß es meine Frau? Es klopft. Arzt Um Ihnen die Wahrheit zu sagen - wir wissen nicht, was es ist. Antoinette kommt im Straßenmanlel, der Arzt geht ihr entgegen und gibt die Hand, sie stehen abseits und flüstern. Kürmann Was flüstern sie? Der Arzt geht weg. Sie haben immer gesagt, ich könne wählen. Registrator Ja. Kürmann Was kann ich wählen? Registrator Wie Sie sich dazu verhalten, daß Sie verloren sind. Antoinette tritt näher. Antoinette Ich habe dir die Bücher besorgt. Sie nimmt Bücher aus einer Tasche. Hast du Schmerzen? Kürmann Sie werden mir eine Spritze geben. Antoinette setzt sich. Antoinette I last du Besuche gehabt? Kürmann Ich glaube: ja. 111 Antoinette Wer war denn da? Kürmann Marlis. Antoinette Wer ist Marlis ? Kürmann Marlis. Antoinette Marlis? Kürmann Ich weiß es nicht mehr . . . Die Krankenschwester kommt mit der Spritze. Schwester Herr Kürmann. Kürmann Bleib da! Schwester Gleich werden Sie sich wohler fühlen. Sie gibt die Spritze. Um elf Uhr bestrahlen wir. Sie tupft ab. Gleich wird Herr Kürmann sich wohler fühlen. Die Krankenschwester geht weg. Kürmann Heute wollte ich in den Garten - Antoinette nimmt das Buch zur Hand. Ich habe mit ihm gesprochen . . . Wir haben sehr offen gesprochen. A ntoinetle erschrickt. Sie wissen nicht, was es ist. . . Chianciano, sagt er, kann auch im Herbst noch schön sein. Wenn wir mit dem Wagen dort sind, ist alles nicht unerreichbar, ich habe die Karte studiert: 175 Kilometer nach Rom, 78 Kilometer nach Siena. Alles ist ein Katzensprung. Antoinette Ja, Hannes, ja. Kürmann Kennst du Siena? Antoinette Ja, Hannes, ja. Kürmann Ich nicht. Antoinette macht das Lehrbuch auf. Antoinette Wo sind wir stehengeblieben? Kürmann „Decima Lezione." Antoinette Was wünscht der Herr? Kürmann „Che cosa desidera il Signore." Antoinette „II Signore desidera." Kürmann „Vorrei una cravatta." Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Registrator Antoinette Kürmann Antoinette Registrator Wo ist der Spiegel? „Dove c'e uno specchio." „Dove si trova —" „Dove si trova uno specchio." Der Spiegel. „Dove si trova il specchio." „Lo specchio." „- lo specchio, lo studio, lo spazio." Mehrzahl. „Gli specchi." Elfte Lektion. Kürmann schweigt. Was ist, Hannes? Ich wollte es dir schreiben. Wenn du da bist, geben sie jedesmal eine Spritze, dann weiß ich es nicht mehr -Neonlicht. Ich habe es notiert. Er liest von einem kleinen Zettel: „Wir haben einander verkleinert. Warum haben wir immer verkleinert? Ich dich, du mich. Wieso hat sich uns alles, was möglich wäre, so verkleinert? Wir kennen einander nur verkleinert." Er legt den Zettel weg. Das ist alles, was Ihnen ohne Morphium eingefallen ist. Neo/dicht aus. Elfte Lektion. „Undicesima Lezione." Es kommt der junge Assistent. Sie wollen mich wieder bestrahlen. Antoinette erhebt sich. Ich komme am Nachmittag wieder. Der junge Assistent rollt Kiirmann hinaus, Antoinette steht jetzt allein. Er weiß es! Zeitweise, nicht immer . . . Ii} Antoinette Wer war denn da? Kürmann Marlis. Antoinette Wer ist Marlis? Kürmann Marlis. Antoinette Marlis? Kürmann Ich weiß es nicht mehr . . . Die Krankenschwester kommt mit der Spritze. Schwester Herr Kürmann. Kürmann Bleib da! Schwester Gleich werden Sie sich wohler fühlen. Sie gibt die Spritze. Um elf Uhr bestrahlen wir. Sie tupft ab. Gleich wird Herr Kürmann sich wohler fühlen. Die Krankenschwester geht noeg. Kürmann Heute wollte ich in den Garten - Antoinette nimmt das Buch zur Hand. Ich habe mit ihm gesprochen . . . Wir haben sehr ollen gesprochen. Antoinette erschrickt. Sie wissen nicht, was es ist. . . Chianciano, sagt er, kann auch im Herbst noch schön sein. Wenn wir mit dem Wagen dort sind, ist alles nicht unerreichbar, ich habe die Karte studiert: 175 Kilometer nach Rom, 78 Kilometer nach Siena. Alles ist ein Katzensprung. Antoinette ja, Hannes, ja. Kürmann Kennst du Siena? Antoinette Ja, Hannes, ja. Kürmann Ich nicht. Antoinette macht das Lehrbuch auf. Antoinette Wo sind wir stehengeblieben? Kürmann „Decima Lezione." Antoinette Was wünscht der Herr? Kürmann „Che cosa desidera il Signore." Antoinette „II Signore desidera." Kürmann „Vorrei una cravatta." Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Antoinette Kürmann Registrator Antoinette Kürmann Antoinette Registrator Wo ist der Spiegel? „Dove c'e uno specchio." „Uove si trova -" „Dove si trova uno specchio." Der Spiegel. „Dove si trova il specchio." „Lo specchio." „- lo specchio, lo studio, lo spazio." Mehrzahl. „Gli specchi." Elfte Lektion. Kürmann schweigt. Was ist, Hannes? Ich wollte es dir schreiben. Wenn du da bist, geben sie jedesmal eine Spritze, dann weiß ich es nicht mehr -Neonlicht. Ich habe es notiert. Er liest von einem kleinen Zettel: „Wir haben einander verkleinert. Warum haben wir immer verkleinert? Ich dich, du mich. Wieso hat sich uns alles, was möglich wäre, so verkleinert? Wir kennen einander nur verkleinert." Er legt den Zettel weg. Das ist alles, was Ihnen ohne Morphium eingefallen ist. Neonlicht aus. Elfte Lektion. „Undicesima Lezione." Es kommt der junge Assistent. Sie wollen mich wieder bestrahlen. Antoinette erhebt sich. Ich komme am Nachmittag wieder. Der junge Assistent rollt Kürmann hinaus, Antoinette steht jetzt allein. Er weiß es! Zeitweise, nicht immer . . . 113 Lange Pause, Antoinette steht reglos. Ja . . . Es kann noch Monate dauern, und Sie kommen jeden Tag, jetzt schon zweimal am Tag. Auch Sie können ihn nicht retten, Frau Kürmann, das wissen Sie . . . In zehn Jahren vielleicht, wer weiß, oder schon in einem Jahr gibt es ein Heilmittel, aber jetzt ist es noch Schicksal. . . Antoinette will gehen. Frau Kürmann. Antoinette Ja. Registratur Bereuen Sie die sieben Jahre mit ihm? Antoinette starrt den Registratur an. Wenn ich Ihnen sage: Auch Sie haben die Wahl, auch Sie können noch einmal anfangen - wüßten Sie, was Sie anders machen würden in Mi rein Leben? Antoinette Ja. Registratur Ja? Antoinette Ja. Registratur Dann bitte . . . Der Registrator führt Antoinette hinaus. Auch Sic haben noch einmal die Wahl. Arbeitslicht. Das Zimmer wird wiederhergestellt. Spiellicht. Antoinette kommt im Abendkleid und setzt sieb auf den Fauteuil und wartet, sie trägt die Hornbrille. Wie zu Anfang des Spiels: Stimmen draußen, Gelächter, schließlich Stille, "*» kurz darauf erscheint Kürmann, der vor sich hin pfeift, bis er die junge Dame sieht. Antoinette „Ich gehe auch bald." "4 Schweigen, er steht ratlos, dann beginnt er, Flaschen und Gläser abzuräumen, Aschenbecher abzuräumen, dann steht er wieder ratlos. Kürmann „Ist Ihnen nicht wohl?" Antoinette „Im Gegenteil." Sie nimmt sieb eine Zigarette. „Nur noch eine Zigarette." Sie wartet vergeblich auf Feuer. „Wenn ich nicht störe." Sie zündet an und raucht. „Ich habe es sehr genossen. Einige waren sehr nett, fand ich, sehr anregend . . ." Schweigen. „Haben Sie noch etwas zu trinken?" Kürmann geht und gießt Whisky ein. Kürmann „Eis?" Kürmann überreicht den Whisky. Antoinette „Und Sie?" Kürmann „Ich habe morgen zu arbeiten." Antoinette „Was arbeiten Sie?" Stundenschlag: zwei Uhr. Kürmann „Es ist zwei Uhr." Antoinette „Sie erwarten noch jemand?" Kürmann „Im Gegenteil." Antoinette „Sie sind müde." Kürmann „Zum Umfallen." Antoinette „Warum setzen Sie sich nicht?" Kürmann bleibt stehen und schweigt. „Ich kann nicht schneller trinken." Pause. „Eigentlich wollte ich nur noch einmal Ihre alte Spieluhr hören. Spieluhren faszinieren mich: Figuren, die immer die gleichen Gesten machen, sobald es klimpert, und immer ist es dieselbe Walze, trotzdem ist man gespannt jedesmal." Sie leert langsam ihr Glas. „Sie nicht?" Kürmann geht zur Spieluhr und kurbelt, man hört ein heiteres Geklimper, er kurbelt, bis die Walze zu Ende ist. Kürmann „Womit kann ich sonst noch dienen?" Antoinette löscht ihre Zigarette. Antoinette „Ich werde jetzt gehen." K ürmann „Haben Sie einen Wagen?" Antoinette Ja. Antoinette steht auf und nimmt ihre. Abendkleidjacke. „Warum sehen Sie mich so an?" Sie zieht, ihre Abendkleidjacke an. „Warum sehen Sie mich so an?" Antoinette nimmt ihre Handtasche, Kür mann steht und blickt sie an, als glaube et ntebl, daß ite gehen will. „Auel) ich habe morgen ZU -iiIh Heu " Kürmann begleitet ue zum l /// hinaus, ././> '/.im * wer bleibt eine Weite /,;■>, dann kommt I .;• mann zur Utk. Kürmann I lud jetzt ? Registrator |etzl isl sie wie. Kürmann I lud jctzl ? Registrator Jetzt sind Sie frei. Kürmann Frei . . . Der Registrator schlägt, das Dossicr auf. Registrator „26. Mai i960. Ich hatte Gäste. Iis wurde spät. Als die Gäste endlich gegangen waren, saß sie einfach da. Was tut man mit einer Unbekannten, die nicht geht, die einfach sitzen bleibt und schweigt um zwei Uhr nachts? Es mußte nicht sein." Er blättert eine Seite um: . . . morgen um elf haben Sie eine Sitzung . . . Er legt das Dossier offen auf den Schreibtisch und tritt zurück. Bitte. Kürmann steht reglos. Sie sind frei - noch sieben Jahre . . . Vorhang Anmerkungen Das Stück spielt auf der Bühne. Der Zuschauer sollte nicht darüber getäuscht werden, daß er eine Örtlichkeit sieht, die mit sich selbst identisch ist: die Bühne. Es wird gespielt, was ja nur im Spiel überhaupt möglich ist: wie es anders hätte verlaufen können in einem Leben. Also nicht die Biografie des Herrn Kürmann, die banal ist, sondern sein Verhältnis zu der Tatsache, daß man mit der Zeit unweigerlich eine Biografie hat, ist das Thema des Stücks, das die Vorkommnisse nicht illusionistisch als Gcgenwür tigkeil vorgibt, sondern das sie reflektiert - etwa wie beim Schachspiel, wenn wir die entscheidenden Züge einer ver-li 11 .in 11 Partie rekonstruieren, neugierig, ob und wo und wir die Partie wohl anders zu führen gewesen wäre. I i.r, Stück will nichts beweisen. I )ri Registrator, der das Spiel leitet, vertritt keine metaphysische Instanz. Kr spricht aus, was Kürmann selber weiß oiler wissen könnte. Kein Conferencier; er wendet sich nie ans Publikum, sondern assistiert Kürmann, indem er ihn objektiviert. Wenn der Registrator (übrigens wird er nie mit diesem Titel oder mit einem andern angesprochen) eine Instanz vertritt, so ist es die Instanz des Theaters, das gestattet, was die Wirklichkeit nicht gestaltet: zu wiederholen, zu probieren, zu ändern. Er hat somit eine gewisse Güte. Das Dossier, das er benutzt, ist im Iii ■ in Tagebuch,das Kürmann einmal geschrieben hat;auch niehl ein Dossier, wie eine Behörde es anlegt; dies< I m 1 gibt es, ob geschrieben oder nicht, im Bewußtli In 1 111 mann: die Summe dessen, was Gcxchiihli wind..... seine Geschichte, die er nichl als die 1 inzifj .....||lltll erkennt. Der Wechsel von Spie Iii. In und Ailmullilil ll< "7