eingelaufen und macht mit beiden Händen Victory-Zei-cben. Er bleibt im linken Durchgang stehen. Richard Und diese Abteilung nennt sich dann: Einbildungen der Realität. Dachten wir ... Kiepert erscheint mit seinem Sohn an der Hand. Dunkel. Vorhang. Gross und klein Szenen Marokko • Nachtwache ■ Zehn Zimmer ■ Groß und klein Station ■ Familie im Garten ■ Falsch verbunden ■ Diktat Der eklige Engel • In Gesellschaft Lotte, Mitte Dreißig, allein. Auffallend zurechtgemacht, eine Touristin am Abend im Süden. Heller Hosenanzug, sehr bunte Bluse, falsches Haarteil als Knoten im Nacken, großes Ohrgehänge, aufgesteckte Wimpern und Fingernägel. Sie sitzt an einem Tisch im Speisesaal. Hinter ihr eine übergroße Jalousie, nicht ganz geschlossen, so daß Mondlicht hindurchfällt und die Schatten von zwei Männern, die draußen auf der Terrasse spazieren. Lotte Hören Sie? Zwei Männer gehen draußen auf und ab. Ewig. Tiefe Stimmen. Hören Sie? Wahnsinn. Sie reibt ein Ohr. Sie gibt mit verstellter Stimme einen aufgeschnappten Satz wieder. >Da wurden wahre "Wunder vollbracht.. .< "Wahnsinn. "Was haben die Kerle bloß für tiefe Stimmen! Die sind nicht aus unserer Siesta-Gruppe. Die kommen von woanders her. Gott schütze mich, in der Hitze der Nacht. Das klingt! Vater, Vater... Die gehören nicht zu uns, die Kerle. Hab ich mein Lebtag nicht gehört, solche ... solche... "Wohl - laute! Wäre gesünder, man hörte nicht hin. Aber was willst du machen? Du kannst ja nicht schlafen, wenn draußen diese SuperStimmen -Der eine sagt: "Warum nicht alles noch einmal von vorne durchdenken, Frieder? Tja. Frieder. Das ist der andere. 129 Frieder sagt: So kommen wir nicht -weiter, und weiter müssen wir aber kommen. Deshalb schlage ich vor: denken wir rücksichtslos weiter, und bloß nicht noch einmal von vorn. Tja. Ruhe. Jetzt sind sie still. Gehen wieder auf und ab. Logiker sind das...! Marokko, Wahnsinn! Muß man gesehen haben. Anfangs waren wir eine gute Reisegesellschaft. Wir paßten zusammen. Inzwischen aber. Die Höllenhitze. Wir sind so ziemlich alle gegen jeden inzwischen. Haben Sie gehört? Der eine sagt Frieder zum anderen, Frieder sagt zu ihm aber nichts. So geht das schon seit Stunden, Wahnsinn. Frieder nennt Nichtfrieder niemals beim Namen. Ich warte bloß, daß ich endlich weiß, wie Nichtfrieder heißt. Ich warte bloß, daß es Frieder mal endlich rausrutscht, wie Nichtfrieder heißt. Wenigstens ein kleines Ha - oder Be - oder Wa -, Sie Ro -, Gus -, Joch - Wahnsinn. Die Ruhe der Logiker möchte ich haben. Sie trinkt einen Schluck Mineralwasser. Das ganze Haus voll ungerechter Menschen. Da sind zwei Fremde draußen und mit ihren Stimmen ein Labsal. Solange sie gehen, besteht immer noch Hoffnung, daß sie später hier drinnen vorbeischaun. Sie werden ja sehen: hier im Saal ist noch Licht, soviel werden sie vermutlich ja sehen. Erst wenn ich erst einmal höre, sie gehen die Terrasse hinunter, dann weiß ich, sie gehen durch den Haupteingang hoch auf ihre Zimmer, kommen hier drin nicht, wie erwartet, vorbei, wo sie mich doch, vermutlich, zu guter Letzt, auf ein Gläschen einlüden, sehen ja, ich werd auch nicht jünger, so wie ich hier sitze. Erst wenn sie wirklich in ihren Betten liegen, erst dann bin ich sicher, daß mir auch heute der liebe lange Tag nichts Neues, rein gar nichts gebracht hat. Noch elf Tage in Agadir. Die Zeit vergeht. Ich habe bis jetzt bloß zugenommen. Alles ist sehr einfach: nichts klappt. Die Zeit vergeht, aber nicht richtig. Mir ist, als war zuhause Post in meinem Kasten. Ich sehe ein großes Kuvert, ich sehe die Heimatadresse, handgeschrieben: Sechsundsechzig Saarbrücken, Straße des dreizehnten Januar, Numero acht. Wahnsinn. Wer schreibt mir da? Die Buchgemeinschaft schickt ihren Jahresprospekt. 130 So. Na. Freut mich. Besser als nichts. Nochmal knapp an keiner Post vorbeigekommen. Da! Hören Sie? Der eine... Chefarztstimme. Nichtfrieder ist es, der spricht. Er sagt... Momentchen!... in etwa ... Er sagte eben soviel wie... Schwierig. Soviel wie >die elementarem, >das Elementarem Wahnsinn. Durch diese SuperStimme versteh ich fast nichts ... diese Stimme!... Musik, Musik! Eben sagt er: Warnung ... Muß man gehört haben: >Warnungdie elementarem... die elementaren Hm-hm-hm. Wie >Trotibadour< betonen. Was meinen sie? Sodann ...sodann... Jemand hatte den Rubikon überschritten. Soundso hatte den Rubikon überschritten. Ein Name fiel. Klang aber nach quasi nicht viel. 32 Wenig Vokabular. Minderes Wörtchen. So ein Wörtchen, das nicht anschlägt im Brustkorb, und ohne Brust klingt's bei Frieder und auch bei Nichtfrieder, als huschte ein Mäuslein über die Orchesterpauke. Achtung! Frieder... Sie lächelt; schnell, staccato >freudestrahlend<... belustigt >durchausauch< >durchausauch<. Nichtfrieder: >zugegeben<, >unumwunden<... strenger und schneller werdend Frieder: >Unsitten sind ... einquartiert in ... Trunksucht und Gier nach .. .< Was? Verstehe nicht... Nichtfrieder: >Gier ... Schachertum, zähnefletschender Ego- Frieder: >Unbefriedigend!< Nichtfrieder: >Gier ... Unterschiede zwischen denen, die ... Gierallein? und jenen langsamer werdend trotz Gier ... trotzgier< Ende. Gier. Wahnsinn. So schnell! Die Logiker liegen vorn, sag ich dir. Jetzt gehen sie erstmal wieder ihre zwei, drei Ründchen, jetzt denken Sie erstmal hin und her, was sie da eben so blitzschnell gesagt haben. Schöne Stimmen. Herrlicher Wohlklang. Wie gesagt, Genuß mit Rum. Und worüber sprachen sie eben, Schwesterchen? Gott, worüber sprachen sie...? Was soll ich sagen? Über Trunksucht. Über Habsucht. 133 Aber frag mich nicht, was. Ich bin nicht der Typ, der sich alles merkt. Ich bin kein Erinnerungsmensch. Ich war nie einer. Hab ich nicht eben >Gier< gesagt? Solange sie gehen, ist es ja möglich, daß sie später doch noch hier drinnen vorbeischaun, auf ein Gläschen, und mit mir ins Gespräch kommen, falls sie sich nicht entschließen, zum Strand hinunter- und dann durch den Haupteingang hinaufzugehen. In dieser Höllenhitze findet keiner den Schlaf des Gerechten. Nur die, die heute etwas unternommen haben, die also mit auf dem Ausflug nach Marrakesch waren und erst spät am Abend zurückgekommen sind, die schlafen jetzt fest wie die Ratzen. Ich war nicht dabei. Total zerstritten, wie unsere Gruppe ist. Ich sitze tagsüber gern im lounge, wo immer ein kühles Lüftchen weht. Die Frauen schreien die Männer an, einer nach dem anderen verliert sein Gesicht, die Männer schreien die Frauen mitten in der Wüste an. Ich mache keine Extras mit. Von Anfang an nicht. Ich habe ja gar keine Extras gebucht. Sie trinkt. Gier, Neid, Desinteresse, Habsucht und blinder Eifer -das sind die Hauptleidenschaften, die unserer Siesta-Gruppe am ärgsten zu schaffen machen. Und Trunksucht, Und- das vergißt du jedesmal, Frieder, sobald wir hierauf zu sprechen kommen, fehlt an dieser Stelle ein logisches Teil — und, sage ich, der Unterschied zwischen den Gutbemittelten, die sich einfach alles, und jenen Mindergutbemittelten, die sich in aller Regel nur das Nötigste vom Besten, was das Veranstaltungsprogramm zu bieten hat, also keinerlei Extras, leisten können. So reden sie. Wahnsinn. Genauso. Das ist in etwa die Art, wie sie reden. Natürlich mit anderem geistigen Schliff. Sie reden über ganz andere Probleme. Ich meine nur, die Art ist in etwa dieselbe. Aber tiefe Stimmen, Gott schütze mich. Uberall Unordnung, jahrelang Unordnung und Pech, Lügen und Seitensprünge -die von Paul in Saarbrücken -ein Leben in Scheidung, und dann Männer wie Frieder und Nichtfrieder, welche Freundschaft! Welche Logik! Welche Stimmen! Schnell wird man klüger... Hören Sie? Es geht wieder los. Frieder:... soviel wie ... >Jammertal<... Schön. So schön! Singt ein wenig. Ja-a-mmer-tal. Wahnsinn. Nichtfrieder: Spricht schnell nach. >Die Erde lebt< oder >bebt<... >Der Mensch verliert das Bild vom Menschen.. .< Die Erde lebt oder bebt. >Halt ein<, sagt Frieder. >Dies dürfen wir nicht undurchdacht lassen !< Unzufrieden. Die Erde lebt oder bebt. War nicht viel. Sie schweigen schon wieder. Soviel wie... hat ein Mensch ein Bild verloren. Oder Brief? Brief oder Bild, ich kann mich täuschen. War nichts Erschütterndes. Ein Bild, na ja. Verloren, gutgut. Aber das wars! Das wars! Fast wäre es ihm rausgerutscht, wie Nichtf rieder heißt, fast! Halt ein, sagte Frieder, genau! Er sagte doch: Halt ein. Sucht durch den Rhythmus den Namen zu finden. Hmhm ... hmhmhm... Auf der Zunge! Ha-! Her-! Rolll-! Ber-! Oder Karrr-? Es hätte ihm herausrutschen müssen. Scheißdreck. Noch elf Tage in Agadir. Singt laut. i)6 Ja-mmer-tal. Zwei Männer, Wahnsinn. Auf und ab, hin und her. Keine Leichtfüße, würde ich sagen. Männer im reifen Mannesalter, auf Ledersohlen, im feinsten Schuhwerk, gehen ihre Runden, und knirscht es ja deutlich, draußen auf der Terrasse, Sand, Leder und Stein — unter einem gewissen Gewicht, unter dem Druck von Statur, keine Sandalenträger, unüberhörbar, keine Strohschuhtreter. Wahrscheinlich heller Abendanzug, cremefarben der eine und fliederweiß der andere, dazu die burgunderrote Krawatte, wo hinter dem Knoten der Kragen ein wenig offen steht, bei der Kehle, bei der Stimme! Unüberhörbar auch der Tuchstoffschlag der Hosenbeine. Der eine klimpert in der Jackentasche mit Feuerzeug und Münzen: Nichtfrieder, glaub ich, während er denkt. Frieder, führender Kopf, braucht ja nicht klimpern zum Denken. Ach, ich wünschte, ich wäre Frieder oder Nichtfrieder und ging heut nacht neben Frieder oder Nichtfrieder draußen auf und ab, im gleichen Schritt und Tritt... Nein, nein. Ich will ja nichts. Wer war ich denn. Nur reden möcht ich dich hören, mein seliges Paar! Oh, redet, ihr meine unzertrennlichen Stimmen...! 137 Ein Tag Marrakesch kostet mich hundertzweiundvierzig Mark zusätzlich vom Taschengeld. Hinzukäme Besuch der Märkte, also Einkäufe, ohne die man Marrakesch nicht zu sehen braucht. Hinzukäme zahlloses Bettelgesindel, Früchte, Getränke und Mittagessen auswärts. Hinzukäme die Gluthitze und daß ich Busfahren nicht immer gut vertrage, also ständig die Furcht, vertrag ich's heute oder heute gerade -wiedermal nicht, ständig der kalte Schweiß, ob der Bus auch hält, wenn mir schlecht wird, wo wir uns sowieso schon spinnefeind sind, jeder gegen alle. -Da! Frieder...! Sie springt auf; lacht freudig; versucht zu verstehen. Was?-Was?-Was? Bewegt von der Stimme geht sie ein paar Schritte vor -entgegengesetzt zur Hörrichtung. Ja!... Ja! Für chte Für chte chte chte Sie redet in Begeisterung. Siehe, der Mensch wird abgehen von dieser Erde und aus sein in allen seinen Werken. Hinter ihm wird der Boden erröten in Scham und Fruchtbarkeit. Die Gärten und die Felder werden in die leeren Städte einziehen, die Antilopen in den Zimmern äsen, und in offenen Büchern wird der Wind zärtlich blättern. Die Erde wird unbemannt sein und aufblühn. Die gefesselte Hoffnung, befreit von jeglichen Propheten, wird erlöst sein und in der Stille reichlich wirken. Frachtlos wiegt sich das Meer, unbetreten wandert das Land und spielt an hohen Blumen die Luft. So wird es sein für tausendzweihundertundsechzig Tage... Wieder für sich. Tausendzweihundertundsechzig Tage... Was heißt das? Wie komme ich auf tausendzweihundertundsechzig Tage? Das macht umgerechnet vier Jahre. Vier Jahre, nicht ganz. Vier Jahre was? Sie hört. Die Männer stehen still! Die Männer gehen nicht mehr! Gütiger Himmel, was hab ich gesagt? Sie stehen still-! Ich höre: sie stehen, sie schlucken! Sie hören! Sie horchen mich... Lieber Gott, mach sie wieder gehen... sie horchen mich! Sie hält sich den Mund zu. Nichtfrieder: >Mir war, als hätte jemand im Haus geschrien.< Frieder: >Auch ich glaube, daß es geschrien hat. Doch gegenwärtig schreit es nicht. Entweder die Noth ist überstanden -< Nichtf rieder: >oder die Freude< - Frieder: >oder es kommt zu erneutem Geschrei«.. Sie schweigen. Sie sehen auf ihre Schuhspitzen. 138 139 Sie heben die Köpfe, unüberhörbar, sie schütteln die Köpfe. "Wahnsinn. Sie gehen! Allmächtiger, sie gehen wieder! Sie läßt sich in den Stuhl {allen. Oh Gott... Oh wie lebendig...! Während der Schlußsätze nimmt sie Stück für Stück das Haarteil, die Ohrringe, die Wimpern usw. ab und legt alles vor sich auf den Tisch. Vermutlich - vermutlich bin ich etwas zu laut geworden. Wie dumm von mir. Wie dumm. Es fällt mir nicht leicht, ganz ohne - ganz ohne Wortwechsel, manchmal tagelang ohne ein Visavis meinen Urlaub zu verleben. Es rutscht mir am Abend leicht mal ein Wörtchen heraus, und ich merke es gar nicht. Ich rede wunders was und meine aber fest, ich denke nur. Was soll man machen? Man muß sich bloß einmal klar werden darüber, dann geht es schon wieder. Sie schweigt und hört. Schöne Stimmen. Hören Sie? Ewig. Heute lieber als damals. Sie lächelt. Wahnsinn. Nachtwache Dunkel 140 Schlafzimmer der Frau am Morgen. Fenster mit zugezogenen Vorhängen. Die Frau schlafend in ihrem Bett. Der Mann sitzt neben dem Bett auf einem Stuhl. Anzugjacke über der' Stuhllehne, offenes Hemd, aufgeknüpfte Schnürsenkel. Frau fährt aus dem Schlaf. Was ist? Mann Ruhig. Schlaf nur. Nichts ist. Frau Hast du nicht eben gerufen? Mann Nein. Frau Was machst du in meinem Zimmer? Mann Ich sitze hier. Frau Seit wann? Mann Die ganze Nacht. Frau Die ganze Nacht? Mußt du dich nicht fertig machen? Mann Ich gehe heute nicht. Frau Ist irgend etwas? Mann Nein. Frau Warum liegst du nicht in deinem Bett? Mann Ich mochte nicht. Frau Ich muß heute die Kinder abholen. Wie ist das Wetter draußen? Mann Nebel. Ich glaube, es ist Nebel. Frau Mist. Ich fahre nicht gern bei Nebel. Mann Ich könnte fahren. Frau Willst du die Kinder abholen? Mann Wir könnten gemeinsam fahren. Frau Rosa hat keinen Mantel dabei. Sie hebt die Decke weg und setzt sich auf. Wie spät ist es genau? Mann Acht Uhr und vierzig Minuten. Frau Du müßtest längst fort sein. Habe ich was gesagt? Habe ich im Schlaf gesprochen? 143 Mann Nein. Frau Wolltest du mich aushorchen oder wie? Mann Nein. Frau Gibt es irgend etwas zu besprechen? Du! Mann Nein. Wir könnten zusammen die Kinder abholen. Frau Weißt du, ich meine, du sitzt hier in meinem Zimmer und horchst, wenn ich schlafe, irgendwie finde ich das nicht so gut oder wie findest du das? Da er nicht antwortet, dreht sie sich zu ihm um. Hm? Er zuckt die Achseln. Was heißt -? Sie macht sein Achselzucken nach. Sei doch nicht so dickfellig! Sag mir doch, was das bedeuten soll, warum du die ganze Nacht hier sitzt und horchst? Mann Ich habe nicht horchen wollen. Es war -so nicht gemeint. Frau Jetzt kann ich mir den ganzen Tag den Kopf zerbrechen, was das nun wieder soll, dasitzen und horchen, wenn ich schlafe; dir fällt also auch immer was Neues ein, um alles noch komplizierter zu machen, noch komplizierter! Mann Ursprünglich - Frau Sag mal: was verlangst du eigentlich von mir?! Mann Ich meinet was ist daran so kompliziert? Frau Alles. Du machst alles nur noch komplizierter. Mann Ursprünglich ist es etwas sehr Einfaches, etwas vollkommen Einfaches, daß jemand neben dir sitzt und jemand wach bleibt neben dir, wenn du schläfst, etwas, im Grunde genommen, etwas Beruhigendes. Frau Es kann schön sein, wenn jemand s a g t, er wacht bei einem. Das kann schön sein, wenn man es weiß, beim Einschlafen, da wacht einer. Aber du, du schleichst dich nachts in mein Zimmer, und ich spüre, unbewußt spüre ich ja, da ist einer im Zimmer, da atmet was, dann sage ich dir, dann ist das schlicht und schlecht nur unheimlich, es ist unheimlich! Mann Wie soll ich dir vorher sagen, ich komme und ich wache? So etwas sagt kein Mensch vorher. Du suchst das Mißverständnis. Frau Man sagt es nicht, man sagt es nicht und macht mir lieber die bösen Träume. Wie ich da wieder rauskomme, ist ja nicht deine Sache. Wie soll ich da wieder rauskommen, hm?! Die ganze Stadt fiel runter vom Abhang, runter gestürzt in den Fluß, und ich Kleine drüben im Wohnzimmer des älteren Birkholz... Der Mann ist aufgestanden, geht zum Fenster. Mann Du hast im großen und ganzen ruhig geschlafen. Bis in den frühen Morgen, als es draußen hell wurde. Er beschäftigt sich ausführlich mit dem Vorhang; die Frau sieht ihm zu. Der Vorhang ist bei weitem auch zu dünn. Läßt das erste Licht schon durch. Früher hatten wir diese dicken Stores... Man müßte vielleicht - entweder draußen ein Rolladen oder drinnen mehr als bloß Gardinen... Frau Schöps. Mann Du brauchst es morgens lange dunkel. Frau Schöps. Mann Ach, weißt du... Die Frau versucht aufzustehen, fällt zurück aufs Bett. Frau Wie komme ich bloß aus diesem Alptraum raus? Ich bin sowas von zerschlagen. Gott, was hast du bloß für einen Mist gebaut! Da bleibt bestimmt ein Schaden. Sie steht auf, geht nebenan ins Bad. Der Mann zieht die Vorhänge auf, öffnet das Fenster. Mann für sich. Das kann sie sagen, das muß sie sagen, weil sie eben eine so wunderschöne Frau ist. 144 145 Schlechte Nächte kann sie sich nicht leisten, ich mache das nie wieder. Er setzt sich auf seinen Stuhl. Nun kommt sogar die Sonne durch den Nebel. Sie wird sich freuen. Ich weiß ja, daß sie vor allem fröhlich sein möchte und wie versessen ist auf gute Laune, schöne Aussicht. Sie sucht die Lebensfreude jetzt mit jedem Schritt und Gruß und ist inzwischen doch so bitterlich nervös geworden, daß sie den Lärm, den Freude nun einmal schlägt, kaum noch ertragen kann. Mitunter, in guter Gesellschaft, es läßt sich nie vermeiden, ein Ausbruch unverschämten Lachens, rückwärts aus der andern Ecke - da stöhnt sie auf, kniet und springt davon, entsetzt wie eine Katze. Weil sie nicht weiß, worüber ihre guten Freunde lachen nebenan, hört sie sich ausgelacht und hört nur, wie Raubvögel kreischen über ihr. So sagt sie selbst. Dann habe ich sie anzuhalten. Ich führe sie in größter Ruhe auf ihr Zimmer und lasse an mir niedergehen, was sie in Angst und Flüchen, ordinär und blind, sich von der Seele schreit. Dann schreit sie. Ich sitze da und sie kommt außer sich. Ich brauche nichts zu sagen und kann ihr trotzdem helfen. Das gibt sie selber zu. Manchmal geht sie später wieder zu den Gästen, manchmal nicht. Manchmal nicht. Lotte lehnt von der Straße her im offenen Fenster. Sie trägt ein etwas aus der Mode gekommenes zweiteiliges Kostüm. Seit ich die Sorge kenne, brauche ich weder Freude noch Sehnsucht. Die Sorge füllt einen Mann ganz aus, die Freude wird das niemals können. Lotte Mit wem sprechen Sie so schön? Mann Ich dachte an meine Frau. Lotte Ich kenne sie vom Sehen. Reden Sie nur weiter. Mann Nichts wird mich je von diesem Menschen abbringen, nicht einmal die Kinder und nicht die Liebe zu den Kindern, Sie will ich sehen, auf meinem letzten Blick, und ihre Hände halten, wenn eines Tages das Fest zu Ende geht. Die Frau kommt zurück aus dem Bad. Frau zu Lotte. Wer sind Sie? Lotte Ich kenne Sie vom Sehen. Frau Sie sind? Lotte Ich bin Lotte. Frau Und? Lotte Und nichts. Frau Sie lehnen in unserem Fenster, weil? Lotte Weil ich Ihren Mann hier reden hörte, und das klang gut. Frau Geredet hast du? Was? Mann Nur so. Frau Übernächtigt, wie du bist. Lotte Ubernächtigt ist er? Die Frau nimmt Kleider aus dem Schrank, legt sie über das Bett, um unter ihnen auszuwählen. Frau Sind Sie nicht etwa Schwester in der Klinik von Professor Tischner? Lotte Nein. Grafikerin bin ich. Aber selbständig. Früher war ich Krankengymnastin, insofern haben Sie nicht ganz danebengetippt. Aber im Bürgerhospital und damals Angestellte. Frau Da war ich auch schon mal. Lotte Mein Mann ist der Publizist Paul Liga. Ist bekannt? Frau Nein. Lotte Schreibt auch unter dem Namen Smoky. Kein Begriff? Frau Ich wüßte nicht. Lotte Sie sind nicht nur schön. Sie haben auch noch Wunderschönes zum Anziehen. Frau Spaß beiseite. -Lotte Ohne Spaß. Frau Sie mögen's glauben oder nicht: Ich kaufe schon seit Monaten nichts Neues. Lotte Im Leben von Saarbrücken sind Sie wie eh und je ein Blickpunkt. Frau Ich mag nicht mehr. Ich habe jahrelang das Meinige versucht, noch einmal einen Reiz in unser ödes Kaff zu setzen. Ich mag nicht mehr, ich kann nicht mehr. Es wird ja nicht beachtet. Lotte Sie können von Glück sprechen: Sie haben Ihre eigene Note. Frau Ich spüre aber: die Leute hassen gerade das. Die hassen meine eigene Note. Die hassen mich von oben ab: mein Gesicht, mein Rouge, mein Weiß. Ich steh doch heute vor keinem Schaufenster mehr, ohne ständig die Angst, daß einer mir von hinten den Schädel in die Scheibe drückt. Mann Es ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs der allgemeinen Erregung in der Heutzeit - Lotte Die Spitze des Eisbergs? Hoho! Frau Eine anspruchsvolle Aussage, Egbert! Lotte Die Spitze des Eisbergs! Hoho! Ein geglückter Vergleich, Egbert! Frau Vorsicht! Lotte Ja. Ich sähe Sie gern mal wieder in dem stillen Ton, in dem Sie vor zwei Jahren beim Tennisländerkampf gesessen sind. Frau Den stillen Ton? Sie meinen: dreiviertellang und beige? Lotte Ja. Frau Von Chanel. Sie geht zum Schrank, zieht ein Kleid hervor. Das? Lotte Nein. Das war es nicht. Frau sticht. Den stillen Ton von vor zwei Jahren... Das? Lotte Nein. Auch nicht. Sehen Sie, dort, neben dem moosgrünen PHssee ... Frau Das? Lotte Nein. Davor. Frau Das? Lotte Eins weiter. Frau Das? Lotte Ja! Das war's! Das war's! Frau Doch nicht beige! Lotte Ziehen Sie es, bitte, kurz eben über, nur für mich... Frau Das Düstere von Misoni! Nie im Himmel bin ich in dem beim Länderkampf gewesen. Lotte Doch doch, ich schwör's. Der stille Ton... Frau Ich könnte es Ihnen aus dem Tagebuch beweisen: das habe ich seit Martinas Geburt nicht mehr getragen. Lotte Egal. Ich möchte es erleben. Bitte! Die Frau zieht das Kleid an. Ich dachte noch: die sitzt ja da wie einst die wunderschöne Frau, um die die Ritter in Turnieren kämpften... Herrlich. Es ist herrlich. Klasse! Ein so stiller Ton, ganz von innen her, und weich und fließt! "rau Crepe de Chine. Changiert. Ein bißchen düster. Sie zieht sich Strümpfe an. Lotte Im Mittelpunkt des Mittelalters stand felsenfest das Bild der wunderschönen Frau. Denn sie war damals dem Manne der erste Schritt zu Gott. 148 149 Frau Und ist es noch. Und ist es heute wie damals! Lotte Nur: niemand will mehr zu Gott. Wer will noch über die schöne Frau hinaus? Sie ist dem Manne zum Selbstzweck geworden. Frau bürstet ihre Haare. Machen Sie was. Sie sind nicht etwa eine von der Kirche? Lotte Nein. Frau Na! Lotte Ich möchte bloß wissen, wie Sie sich mit Saarbrücken zufriedengeben können. Frau Ich bin nicht zufrieden mit Saarbrücken. So etwas dürfen Sie nicht von mir denken. Lotte Sie müssen gesehen werden. Auch mal in Weltstädten. Der Mann, der zwischen Lotte und seiner Frau hin und her guckt wie ein Tennisschiedsrichter, kichert leise und schüttelt den Kopf. Frau Wie? Mit den Kindern im Gepäck? Lotte Wer sich nicht zeigt, verfällt. Gehen Sie für mich einmal quer durchs Zimmer. Ich bitte Sie. Frau Ich werde lieber still von vorne angesehen. Lotte Haben Sie etwas nicht so Schönes zu verbergen? Frau Nein. Nichts. Es fehlen so früh noch die passenden Schuhe. Ich weiß nicht welche. Welche sind heute die einzig richtigen? Egbert, was ziehst du denn heute an, außerhalb der Firma? Mann Ich? ... Ich dachte lediglich an den Blaßgestreiften. Frau Den ollen Blaßgestreiften? Dazu paßt... dazu paßt... Nein. Scheiße. Also, dazu müßte ich glatt das alte Pucci-Kleid vom Speicher holen. Mann Nein, nein. Bitte, ich richte mich ganz nach dir. Ich nehme dann vielleicht... Frau Vielleicht den tintenblauen Fresco? Mann Nolens volens. Frau klatscht in die Hände. Oh ja! Fein! Sehr fein! Dazu probier ich endlich mal den lieben Seidenblazer von Brosoli. Lotte Nun gehen Sie doch ein bißchen. Treten Sie für mich ruhig gern in Strümpfen auf. Ich bitte Sie. Die Frau steht zögernd auf. Ja! Gehen! Nur los! Jetzt sind die Füße dran! Die Frau geht hin und her, mit zunehmender Allüre. Lotte Nicht wandeln, nichts verschleppen und noch schneller! Tipp-topp ... Tipp-topp ... Tipp-topp! Ja, so gehen Sie schön. Klasse! Ach, wenn ich die Augen ein bißchen blinzeln lasse, da sind Sie fern und ein Idol... Gut für die Erinnerung, danke sag ich. Wie geschaffen für Erinnerung. Gehen Sie! Gehen Sie! Und umgebogen! Was Ihnen fehlt, sind Tausende, die Sie beneiden. Was Ihnen fehlt, sind Laufsteg, Galadiner und Tete-a-tetes auf höchster Ebene! Frau Das ist meine Welt! Lotte Und sonst gar nichts! Frau Und sonst gar nichts. Mann laut. Quatsch! Frau Sehr liebenswürdig von Ihnen heute morgen. Ich fühl mich wieder wohl. Ein guter Zuspruch aus offenem Fenster tut ja besser als Gymnastik. Sie setzt sich in ihren Ankleidestuhl. Lotte Nun wollen wir die richtigen Schuhe suchen. Frau Egbert bockt. In seiner Firma arbeiten nur drei Angestellte. Vier Mann der ganze Export. Wir alle kommen durch. Aber Land und 150 151 Leute hat er keine mehr studiert in den letzten fuffzehn Jahren. Lotte Schuhe suchen. Schmuck betrachten. Erscheinung bleiben! Hüte, Mäntel, Capes und Tücher! Frau Jetzt möchte ich Sie bitten, den Hokuspokus einzustellen. Lotte Aber ein Stückchen näher sind wir uns hoffentlich gerückt. Frau Man hat nun eine weitere Person in Saarbrücken, die man grüßen muß. Lotte Wie? Ja, was glaubst denn du? Ich hätte dir was vorgemacht? Blauen Dunst? Frau Na, so lala. Lotte Aber nein! Es ist nur meine Art... es ist so meine Art! Man ist sich fremd, man windet sich, man redet leicht drauflos. Glaub mir doch, ich möchte dich kennenlernen! Frau Wer weiß ich denn, daß du bist? Möchte auf niemanden hereinfallen. Deine Art, ja. Deine Art ist nett. Aber so eine Art verfliegt so schnell. Lotte Ich bin einfach frei genug, daß ich irgendwie innerlich auf dich anspreche... Frau Und ich bin eine Familie. Ich suche keinen Anschluß bei fremden Leuten. Lotte Das soll ich verstehen? Frau Das mußt du auch verstehen. Lotte Trotzdem. Man hat sich eine Menge zu erzählen in einer neuen Bekanntschaft. Frau Wir sind keine Bekanntschaft. Sie steht auf, geht zum Fenster, will es schließen. Lotte Du!... Nicht! Meine Interessengebiete sind: Zeichnen, Lesen, Sprachen, Zeitgeschehen! 152 Nicht! Laß uns Spazierengehen! Laß mich dein Kind einmal reden hören! Frau Meine Kind e r! Es sind zwei. Rosa und Martina. Die Frau schließt das Fenster, zieht den Vorhang zu. Der Mann beginnt unruhig zu reden. Mann Es ist doch sonderbar, daß niemand aus der Firma anruft, wo ich bleibe. Ich wünschte, Schönborn, Körner und Berkenrath täten wie ich und blieben zu Hause bei ihren Frauen am Vormittag. Wir müssen nicht so viele Magnetventile verkaufen, müssen es nicht. Die Elektronik auf dem Vormarsch, wie du häufig, aus der Illustrierten heraus, sagst, macht uns ja bis heute keine Sorgen. Im Gegenteil, der Umsatz ließ sich minimal noch etwas steigern. Das Magnetventil. Oder das Dingsda, wie du sagst. Er „olt ein Magnetventil in Gold aus der Jackentasche. So ein Dingsda schmiedet eine ganze Existenz. Mein Spe-zial, ohne das man in Basel und in Bogota noch keine Lüftung in Aquarien bauen kann. Das geht nun ab durch mich aus Deutschland in die ganze Welt. Unter all den prächtigen Gütern, mit denen die Menschheit Handel treibt, biete ich dies kleine häßliche Dingsda an. Ja, das ist zum Lachen. Und doch hast du's mir zum Vierzigsten in Gold geschenkt, denn Gold hat es uns gebracht bis dato. Ja, ich bin der erste, der ein Gelächter anstimmt über mich. Aber, siehst du, bei dir beginnt meine Selbstachtung. Meine Selbstachtung bist du. Laß das Materielle nur ein Lustspiel sein, laß es da unten nur kichern und kreischen. Hier oben soll es ernst bleiben und still. Hier oben wir. Frau Was denkst du dir? Was? Schläfst nicht die Nacht. Redest morgens laut mit dir selbst, daß es Passanten anzieht. Fantasierst! Gehst nicht in den Export. Was soll denn aus uns werden? »53 Mann leise. Mit ein bißchen Herzenstakt, bitte schön, wird es schon gehen. Zehn Zimmer Dunkel 154 Lotte Meggy Der Türke Seine Frau Ein junger Mann Der Junge Das Mädchen Hausbewohner Vor der Glastür eines Mietshauses. Eine Sprechanlage über ier Klingeltabelle. Lotte im Regenmantel mit der Zeichen-~^ppe unter dem Arm. Lotte sucht nach einem Namen auf der Klingeltabelle. Niedschläger... Steht gar nicht drauf. Muß aber draufstehen. Virchowstraße 85. Stimmt. Tillmann, Karnap, Kutnewski, von Roel.. Von Roel! ... Könnte sein, von Roel. Der Sohn vom Kinopächter. Umstrittenes Kind. Niedschläger wird von Roel durch späte Heirat erster Liebe. Die hat ja für nur einmal Quo vadis umsonst Zungenkuß remacht mit dem und der hatte weißgott einen wäßrigen Mund... Victor Mature hat auch einen wäßrigen Mund! ... Ach, du kannst mir viel erzählen... Sie drückt einen Klingelknopf. Ein Knacken im Lautsprecher der Sprechanlage. .:tte spricht in die Anlage. Ja, hier die Lotte-Kotte aus Lennep... Keine Antwort. Erneutes Knacken in der Anlage. Hallo? Irrtum sagte der Igel und sprang von der Kleiderbürste. Sie drückt einen anderen Klingelknopf. '-'.iage männliche Stimme. Wer spricht? L: tte Lotte. •J--age freudig. Lotti?! . ite Nein. Lotte. '_vlage Lotti? Ja, gibt's dich noch? "te Nein, nein. Ich bin jemand anderes. 191 Sie verwechseln mich. Ich suche die Mechthild Niedschläger... Anlage Ach... Knacken in der Anlage. Lotte drückt einen anderen Klingelknopf. Niemand antwortet. Sie drückt den nächsten... Anlage Stimme einer alten Frau. Ja? Lotte Entschuldigen Sie bitte, ich suche ein Fräulein Niedschläger - Anlage Nein. Lotte Oder Frau -, Frau! Anlage Nein. Wie heißt die? Lotte Ich weiß nicht genau, es könnte sein -falls inzwischen verheiratet. Anlage Wissen Sie, mein Mann und ich, wir kommen von drüben. Wir kennen hier praktisch kaum jemanden. Unsere Tochter ist Amtsgerichtsrätin, aber sie ist leider gerade nicht da. Fragen Sie mal bei Hein. Die wissen allgemein gut Bescheid. Lotte Danke... Hein, danke. Sie sucht den Namen und drückt die Klingel. Anlage Frauenstimme. Bitte! Lotte Frau Hein? Anlage Ja. Welche? Lotte Bitte entschuldigen Sie die Störung -kennen Sie Niedschläger, Meggy? Mechthild. Anlage die Frau ruft in die Wohnung nach ihrer Schweste-Gunilla! Zu Lotte. Warten Sie. Lotte Danke. Anlage andere Frauenstimme. Ja? Lotte Bitte ... hier muß eine Frau wohnen im Haus mit dez Mädchennamen Niedschläger. Aber es scheint, vielleicht hat sie plötzlich doch geheiratet und ich kann sie nicht finden. Weiß aber, daß sie hier wohnt, durch Brief des Vaters! Sie hält das Ohr an die Anlage. Man sagte mir bei Brauns, Sie wüßten gut Bescheid. Anlage Einen kleinen Augenblick, bitte. Sie ruft in die Wohnung. Lore! Lore! Nach einer Weile. Haben wir richtig verstanden: Tannsieder, ja? Lotte Nied-schläger. Nied wie niedlich. Anlage Oh, das ist ein ganz anderer Name. Warten Sie bitte. Nach einer Weile die Stimme der ersten Frau. Hören Sie? Lotte Ja... Anlage Wir wissen es nicht. Wir wissen es beim besten Willen nicht. Wenn wir auch fast alle Frauen im Haus gut kennen, so kennen wir doch die allerwenigsten bei ihren Mädchennamen. Glauben Sie uns! Lotte Ja. Ich danke Ihnen. Vielen Dank. Ich versuche es auf gut Glück. Sie drückt einen Klingelknopf, liest den zugehörigen Namen, Anlage aufgeräumte Männerstimme. Jabitte? Lotte Herr Schröder? Anlage Hmm. 1: tte Entschuldigen Sie die Störung... Ich bin Lotti, äh, Lotte -Anlage Macht nichts, macht nichts. Lotte Wissen Sie zufällig etwas von einer geborenen Nied-schläger in diesem Haus? ■lage Na, wo brennt's denn, Mädchen? Wollen Sie nicht einen Sprung raufkommen? 192 l9l Der Türöffner surrt mehrmals. Lotte öffnet zögernd die Tür. Sie tritt ein, kommt aber gleich wieder heraus. Die Tür fällt hinter ihr zu. Sie drückt auf einen anderen Klingelknopf. Anlage Stimme eines kleinen Mädchens. Wer ist da? Lotte schreit. Meggy! Pause. Meggy? Anlage Wen möchten Sie sprechen? Lotte Bist du nicht die Meggy? Anlage Nö. Kichern. Lotte wartet mit dem Rücken an die Tür gelehnt. Anlage Stimme des aufgeräumten Mannes. Hallo, Lotte! Lotte geht zur Anlage. Ja? Anlage Nun kommen Sie doch rauf! Beißt Sie ja keiner. Mein Puma hat eben sein Schappi gefressen. Der Türöffner surrt. Lotte Sie waren ... wer waren Sie gleich? Anlage Schröder. Lotte Ach, Herr Schröder. Nein, Herr Schröder. Anlage Jetzt seien Sie aber mal kein Frosch, Mädchen. Mehrmaliges Surren des Türöffners. Lotte drückt mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen Klingelknopf. Nein! Anlage träge Stimme einer Frau. Ja? Lotte müde. Guten Abend. Entschuldigen Sie die Störung Ich suche Niedschläger, Frau, jetzt aber eventuell nicht mehr Niedschläger... Anlage Ja. Und? Lotte Und... und... Wohnt in Numero 85, aber wo? Anlage Ja, ja. Ich bin das. Lotte freudig. Meggy! Meggy! Na, Meggy, also weißt du - da heißt du jetzt glücklich ... wie? Sie sieht auf die Klingeltabelle. Also was? ... Wittich. Wittich! Anlage Wer sind Sie? '-: tte Ich bin die Lotte-Kotte... Sie schweigt, horcht, keine Antwort. Sie spricht im rheinischen Dialekt. Dä Griffelklau ... dat Düftgen ... die hätt dat Dingens rolle laasse in uns 200-Meter-Staffel... die Jute! Die Gute, die Gute! Anlage Ah-ja. Lotte Oh Meggy... Imlage Die Lotte-Kotte. L: tte Na klar! Wie geht's, wie geht's? x age eintönig träge. Es geht so. 3ist du auf Besuch hier? Lotte Ja. Nein. Ich kam gerade durch Essen und ich dachte, sieh mal nach, wie's der Meggy so geht. Anlage Hm. Lotte Also, komm ich eben mal rauf, ja? Anlage Mir geht's nicht besonders. L: tte Bist du krank? Anlage Weiß auch nicht. L:tte Nur auf ein Wörtchen, auf ein Wörtchen nur. Anlage Ich weiß nicht... Lctte Was gibt es nicht alles zu erzählen! Meggy! Uberleg doch mal! Anlage Erzählen ... hm. Viel? Lotte Na klar, du. Was nicht alles. Ein älteres Ehepaar kommt. Lotte grüßt freundlich. Der Mann schließt die Tür auf, beide verschwinden im Haus. Anlage Lotte-Kotte? Lotte Ja. Anlage Was ist da unten los? Lotte Nichts. Leute gingen ins Haus. Anlage Ausländer? Lotte Nein, Deutsche, glaube ich. Anlage Sag mal genau. Lotte Zwei ältere Leute, so mittelgroß, Mann und Frau im durchsichtigen Regencape. Anlage Regencape alle beide? Okay, okay. Lotte Ich dachte, die kennst du doch und sag Guten Abend. Die sahen mal wieder genauso aus wie Leute, die ich kenne. Ich bin so hundemüde, ich seh schon überall Bekannte. Anlage Wenn du müde bist, mußt du dich erst einmal ausschlafen. Lotte Na, weißt du! Ich dachte, du freust dich, wir erzählen uns was, du freust dich. Anlage Erzählen, erzählen. Und hinterher? Hinterher schläfst du mir ein hier oben, was? Lotte Meggy, hör zu! Anlage Ich krieg kein Auge zu, wenn wer schläft in meinen Zimmern. Lotte Meggy, hör mal: dann eben nicht! Anlage Wittich schläft auch nicht mehr hier. Lotte Dann eben nicht. Tschüss, tschüss. Anlage Nein. Warte. Pause. Komm rauf. Der Türöffner surrt. Lotte verschwindet im Haus. Kurz danach tritt ein junger Mann aus der Tür in festlich i Knappenuniform, mit einer Klarinette in der Hand. M geht eilig nach rechts in den Bühnenhintergrund. Nack einer Weile kommt von links ein Junge mit seiner Freu-.- din. Das Mädchen folgt ihm in einiger Entfernung, es kann vor Blasenschmerzen nur langsam gehen. Madchen Au... Auatsch. Der Junge bleibt stehen, dreht sich um. Das Mädchen bleibt stehen. ' vnge Wat is? Solln we wieder na Hause? Dat mit der Blase, dat machße bloß, weiße mir den Um- zuch versauen wills. Solln we wieder na Hause? Mädchen Näh. . vnge Wat hasse denn? Kannße aum Klo nich richtich strüllen oder wat is? Mädchen Ich kann nich. . "."N'ge Dat gibt et nich, dat gibt et nich. Is da irgenßwat zu in der Blase, son Verschluß oder hasse Steine inner Blase oder wat nich allet. Solln we wieder na Hause? .dchen Näh. ."vnge Aber so kannße im Umzuch nich anständich mitmarschieren. Da bleibße mir ewich zurück un hintendran. dchen Ich komm schon mit. Sie gehen weiter, nach rechts in den Bühnenhintergrund ib. Lotte kommt wieder aus dem Haus, lehnt sich an die Tür. Sie sieht verheult aus. Anlage Meggys Stimme. Lotte-Kotte! Hörst du mich? Lotte-Kotte? Lotte geht zur Anlage. L:tte Was...? Lv: age Du bist so — L :tte Was machst du mit mir? Was? Anlage Du bist so — unruhig. Lotte Ich, Mensch, ich paß auf -Lvlage So unruhig. 196 197 Du gehst so unruhig und kommst schon so unruhig rein und setzt dich unruhig und sitzt unruhig auf meinem Fußbänkchen... Lotte Ich erzähl dir was und du sagst, ich bin unruhig. Ich paß auf, daß ich nicht einschlafe da oben, und du sagst, ich bin unruhig. Wie wenig Freundschaft, Meggy! Ich paß auf und erzähl dir was, setz mich auf das unbequeme Fußbänkchen, wo kein Arsch Schlaf finden kann, denn es wackelt ja auch noch nach allen Seiten, und erzähl dir was, ohne ein einziges Mal zu stocken, wie ein Perser so ruhig und ohne zu schlafen. Anlage Es sah aber so aus, als ob du lieber schlafen gehen würdest. Lotte Wohin? Wohin? Musik vom Umzug der Bergmannskapelle leise im Hintergrund. Anlage Deine Zeichnungen sind aber schon. Lotte Ja. Sie sieht in die Zeichenmappe. Anlage Das Bild von Paul ist schön. Lotte Ja. Anlage In der Schule warst du die Nummer Eins im Werken. Lotte Ich bin geschickt in den Händen. Anlage Ja. Sehr. Lotte Ich will jetzt Sprachen studieren. Anlage Oh Sprachen, puh! Lotte Wenn ich geschieden bin, krieg ich Geld vom Staat. Anlage Stipendium... Lotte Ja. Ein Stipendium... Kann ich hochkommen, Meggy? Anlage nach einer Pause. Mir geht's nicht besonders. 198 Lotte Na klar du, versteh ich gut. Anlage Bleibst du länger in Essen? Lotte Ich bin unterwegs nach Sylt. Anlage Nach Sylt? Machst du Ferien? Lotte Nein. Ich besuch in Hörnum meinen Bruder. Den Bernd. Anlage Ah Bernd. Der Kleine. Lotte Na du, der ist längst Zahnarzt und hat in Hörnum längst eine Zahnarzttochter geheiratet. Anlage Wie klein mußt du gewesen sein, mit deinen sieben Jahren, als ich dir ewige Freundschaft schwur, wie klein meine Hand auf deinem Herzen, wie klein ich! Lotte Oh Meggy, winzig, winzig! Anlage Wandertag auf Schloß Burg ... ewige Freundschaft! Lotte Ja! Ja! Wandertag, mein ich ja. Genau! Endlich weißt du's wieder, endlich. Weiter, weiter, nichts vergessen! Anlage Heute hast du eine fette Brust am selben Fleck, wo einst mein Schwurhändchen lag. Lotte Hab ich nicht. Anlage Doch, hast du. Lotte Du auch. Anlage Nicht ganz, du. L otte Meggy ... Anlage Fette Brüste, schwerer Schlaf. Lotte Lange Arme - Imlage Ach wie wirst du keuchen, wenn du schläfst! Lotte Lange Arme- .eh keuch gar nicht! ~ age Lange Arme: und? Xicht leicht über mich zu spotten, was? Lange Arme! Gottchen... 199 Traust dich wohl nicht ran an den Speck, hm? Traust dich nicht sagen, was du wirklich gesehen hast, hier oben, was für eine, in meinem Stuhl? Im Hintergrund fliegen Hüte, Jacken, Luftschlangen usw. vom Umzug in die Luft. Ist auch nicht leicht, über mich zu spotten, was? Lotte Nein. Anlage Versuches. Lotte Nein. Anlage Mach einen Spott über mich, und ich laß dich rauf. Lotte Ich kann nicht. Anlage Mach den Spott, streng dich an. Und wenn er gut war, dann kriegst du mein eigenes Bett zum Ausschlafen. Lotte nach einer Pause. Kein Gesicht wie deines spricht spricht es auch wie kein Gesicht. Anlage Das war kein Spott. Lotte Doch, war einer. Anlage Wüßte nicht, was mir fehlt am Gesicht. Am Gesicht? Lotte Ich bin eben zu müde für einen guten Spott. Anlage Schade. Ist auch gar nicht leicht. Lotte letzter Versuch. Wer ist das? Hat ne Fratze wie ne Glatze Schnürt die Schuhe an die Knie Und ihr ganzer Rumpf steckt in einem Strumpf. Wer ist das? Anlage Ich? Lotte Ja. Anlage Ich glaube, du hast sie nicht alle! Ein alter Mann kommt mit drei aus der Reinigung abgeholten Hemden. Er schließt die Tür auf. Lotte geht hinter ihm ins Haus. Sie drückt von innen das Gesicht gegen die Glastür, schielt zur Sprechanlage. Anlage Sau. Mitleidlose. Viech. Dreck. Kaputte. Unmensch. Giftspritze. Abschaum. Pause. Lotte-Kotte? Lotte? Die Sprechanlage schweigt. Von links kommt eine Frau mit ihrem Mann, einem Türken. Sie hakt bei ihm unter. Nachdem sie an der Haustür vorbeigegangen sind, bleibt der Türke abrupt stehen, wendet sich in den Bühnenhintergrund und beginnt einzelne Schreie auszustoßen. Er brüllt einsilbige deutsche Wörter. »Beiß.* Dann nach einer Pause: »Tür.* Es klingt wie militärische Befehle. Lotte sieht hinter der Glastür zu den beiden hin. Der Türke brüllt, jeweils von längeren Pausen unterbrochen: »Scheiß.* »Mach.« »Bier.« Da löst sich die Frau von ihrem Mann, weicht zur Seite und betrachtet ihn wie einen Fremden. Lotte kommt aus dem Haus, drückt einen Klingelknopf, sieht unablässig zu den beiden hin... Anlage Ja? Lotte Ich bin's. Anlage Oh Lotte, ich dachte schon, du seist fortgegangen... Lotte Nein. Ich bin hier. Anlage Komm rauf! Der Türöffner surrt lange. Der Türke schreit weiterhin: »Eins.« »Wichs.« »Noch.« »Wann.« Lotte geht zu den beiden. Lotte Was ist los? Frau Weiß nicht. zoo 201 Lotte Ihr Mann? Frau Fürchte mich, ne. Sie hat sich >ne< nur angewöhnt, spricht im übrigen kein richtiges Essener Deutsch. Lotte Aber Sie brauchen sich doch vor Ihrem Mann nicht fürchten. Frau Sowas hat er noch nie gehabt. Brüllt wie am Spieß. Kenn ihn nicht so. Lotte Er ist ja nur betrunken. Frau Verträgt nix, ne. Haben ihn die Säcke voll gemacht. Schluck mal mit, los, schluck mal. Ich schick ihn unten ans Büdchen für zwei Päckchen Zigaretten und der kommt nicht wieder nach Haus. Verträgt ja nix, ne. Die Frauen betrachten den Betrunkenen, der in Abständen ruft: »Scheiß.« »Fritz.« »Futt.« »Hos.« »Nix.« »Komm.« Aus der Sprechanlage ruft es ab und zu noch: »Lotte«, »Lotte-Kotte...« Frau Aber steht noch wie ne Eins. Fällt nicht um, der Kerl. Können Sie selber sehen, ne, steht wie nix. Lotte Ja. Klasse! Hält die Balance bis zuletzt. Wie ein Korporal! Betrunkene sind sich nicht alle gleich. Der Türke tritt mit dem rechten Bein so kräftig aus, daß der Schuh hoch durch die Luft fliegt. Frau Nur im Kopf geht's rund. Lotte Was ist er? Türke? Frau Ja. Türke. Lotte Ich werd ihn fragen, was er will. Frau Er kann nicht reden, ne. Lotte holt den Schuh, der auf die Straße gefallen ist. Sie geht zu dem Betrunkenen, bückt sich und zieht ihm den Schuh an. Lotte Seien Sie ruhig. Ihre Frau fürchtet sich ja. Erzählen Sie mir, was Sie eigentlich wollen. Brüllen Sie nicht mehr. Kommen Sie. 202 Sie hakt bei ihm unter. Meinetwegen sprechen Sie auf türkisch. Ich werd's schon verstehen. Der Betrunkene löst sich aus seinem festen Stand und geht mit Lotte. Frau Wohin? He! Wohin? Lotte Warten Sie hier. Ich gehe einmal um den Häuserblock mit ihm. Warten Sie hier. Lotte und der Türke gehen nach rechts ab. Die Frau geht zum Hauseingang, drückt sich in die Ecke gegenüber der Sprechanlage. Nach einer Weile kommt von rechts ein junger Mann, schäbig gekleidet. Er bleibt in der Nähe der Tür stehen, pfeift >Dreh dich nicht um .. .<. Die Frau wendet sich ab, verbirgt ihr Gesicht im Ellenbogen, den sie gegen die Türfassung stützt. Der Mann Was gibt's Böses, sprach Herr Schnöses... Hör mal, Gaby, wir kennen uns jetzt lange genug. Du weißt genau, daß ich keine fremden Frauen auf der Straße anspreche, ich bin viel zu schüchtern... Frau guckt aus ihrem Versteck. Ich kenne Sie überhaupt nicht. Der Mann Siehst du, ich brauch nur mal kräftig Gaby sagen, und schon zeigt's sich, wer du wirklich bist. Es zeigt sich nämlich, daß du letzten Endes niemand anderes bist als die gute alte Ingeborg vom - Frau Oh Mann! Mann ... vom Leopold. Frau Quatschkopp! Hau ab! Mach daß du weiterkommst! Der Mann O -! Hand vorm Mund. Na -! Mahnender Zeigefinger. Nie! Flache zurückweisende Hand. 203 O-na-nie. Frau Ha. Ha. Ha. Mann Ja, so ist es in Essen. Leider, leider, easy rider. Frau Und ein Ei außem Konsum, ne. Mann Komm mit mir ans Büdchen, Regine, drüben am Büdchen, Regine, zeig ich dir gerne den Trick, wie man aus einem kühlen Wicküler einen warmen Händedruck macht. Frau Am Büdchen! Noch was! Am Büdchen da stehen ja lauter die Säcke herum, die den Türken verrückt gemacht haben, ne. Mann Welchen Türken? Frau Den Türken, meinen Mann. Mann Verstehe nur Reibekuchen. Frau Mein Mann, Mensch. Der geht nur mal mit einer Soundso eben einmal um den Häuserblock. Mann Siehe, ich bin nur ein einfacher Zeitungsleser. Türke und Soundso sind mir Pferdmenges und Süsterhenn. Schon mal davon gehört, aber frag mich nicht, was. Frau Ein Spinner! Tullitulli, ne. Mann, was machst du beruflich mit dem Quatschkopp obenauf? Mann Ich? Reisebegleiter. Frau Reisebegleiter... Mann Und selbst? Frau Wir haben zwei Läden. Einer wir und einer Arslans Bruder. Einer Mevissenstraße am Parkhaus und einer am Erlenbruch. Mann Läden mit allem? Frau Läden mit Frischobst, Frischgemüse. Solltest du eigentlich wissen, ne. In Essen wissen das die Leute. Pause. Reisebegleiter. Von wem? Von links kommt der Türke, allein. Mann Kommt drauf an. Rennpferde, Wahlkämpfer, Kunstwerke, alte Damen, blinde Herrn. Alles was nicht gern allein verreist, vom Wickelkind bis zur Leiche. Frau Arslan! Komm her! Wo ist die Frau, Arslan? Türke Bilmem, gitti. Mann Was hat er gesagt? Frau Er weiß es nicht. Sie ist fortgegangen. Türke Kim bu adam? Frau Niemand. Wir stehen hier nur so. Mann Was sagt er? Frau Wer du bist. Türke Defolsun, gitsin. Frau Nein, Arslan. Mann Was? Frau Er sagt, ich soll dich fortschicken. Mann Ja. Tu das. Frau Nein. Warte, ne. Türke Gitsin istemiyormusun, Karin? Frau Nein, Arslan. Mann Na? Türke Iyi, kalsin, öyleyse. Frau Du kannst stehenbleiben. Türke Ismi ne? Frau Wie du heißt. Mann Jürgen. Frau Jürgen was? Mann Jürgen Jürgen. Frau lacht. Scherzkeks. Vorne wie hinten, ne. Mann Ja. Scheint so. Frau Jürgen - heißt das was? 204 20J Mann Heißen? Weiß nicht. Was heißt Hitler? Hitler heißt ja auch nix. Frau Ich heiße aber nach was: Damla. Damla heißt soviel wie Wassertropfen, Wassertröpfchen. Mann Karin Wassertröpfchen. Frau Ja. Karin Damla. Türke Sen benim kanmsin, bir tanem... Mann Was sagt er? Frau Du bist meine Frau und mein Liebling. Türke Bir tanem! Frau Mein Liebstes. Türke Hayat merdiveninin binlerce tas basamaklarindan asagi benimle beraber in. Frau Du folgst mir ... die Treppe runter, oder wie war das? Türke Binlerce tas basamaktan... Frau Die tausend steinernen Stufen... Türke Hayat merdiveninin basanaklarindan asa£i. Frau ... hinunter auf der Treppe des Lebens. Mann Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob er nicht noch was Besseres findet. Frau Du hältst besser den Mund, ne. Die drücken das eben so aus, ausgesprochen schön. Türke Haydi gidelim. Mann Was? Frau Gehen wir. Mann Ja. Ich gehe. Frau Nein. Wir gehen zusammen. Du bleibst. Türke geht einen Schritt auf seine Frau zu. Sen benim kanmsin, bir tanem. Mann Was ist los? Frau schnell. Du bist meine Frau und mein Liebstes. Sie greift die Hand des jungen Mannes. Bleib! Türke Sus, tercüme etne. Frau Schweig. Übersetze nicht. Türke Tercüme etne. Frau Ubersetze nicht. Türke Agzim kapa! Frau Halt's Maul. Türke Orospu. Frau Du bist eine Straßendirne, leichtes Mädchen, unkompliziertes Geschöpf. Türke Sus! Sus! Sus! Frau Schweig, schweig, schweig. Der Türke dreht sich auf der Stelle um und beginnt •wieder einsilbige 'Wörter wie Befehle zu brüllen. Türke Scheiß!... Tür!... Wichs!... Komm! Der Mann reißt sich los und läuft nach rechts hinten ab. trau Bleib hier! Bleib doch hier! Oh nein!... Oh nein...! Sie setzt sich auf die Stufe vor dem Hauseingang. Von rechts kommen der Junge und seine Freundin. Er ist angetrunken. Türke Eins!... Eins! Junge bleibt stehen. Äi?! Voll, wa, Kanake? Mädchen Laß ne. Junge zur Frau. Is der voll, der Kanake, oder wat? Krissen nich mehr am brennen, den feuchten Docht, oder wat machter da? Frau Zählt ne. Junge Zählt. Wat zählter? Zählt sich selber, Kanake. De ganze Stadt, du... Geh bloß na Hause... Malisberg und Siebert, kennße dat? Chemotechnische Versuchsanlage ... Großdepot... ich, du, ich hab da malocht, Giftgas, sonne Kessel, sonne Kawenz-männer. Einet Tages, du, de ganze Stadt, du ... Peng! Peng! Mädchen unbeteiligt. Klappe zu, Affe tot. 206 207 Junge Komm, du, geh bloß na Hause... De ganze Stadt, du, runter inne Bunker... Peng! Mädchen Komm. Türke Eins! Junge Peng! Die beiden nach links ab. Der Türke und seine Frau allein. Stille. Station Dunkel 208 Wartezimmer eines Internisten. An den Wänden schockierende Antirattcher-Plakate. Lotte wartet mit sechs weiteren Patienten. Sie blättern in Illustrierten, lösen Kreuzworträtsel, starren vor sich hin. Eine dicke Frau strickt, ein Türke bewegt sich unruhig auf seinem Stuhl. Über der mit weißem Leder bespannten Tür zum Sprechzimmer ruft ein Lautsprecher die Namen der Patienten auf. Es ist Sommer. Lotte (in ihrem ausgeblichenen Kostüm) sitzt in der Nähe eines halbgeöffneten Fensters. Straßenlärm und Kindergeschrei von einem Schulhof. Für jeden Patienten nimmt sich der Arzt ein bis zwei Minuten. Manchmal, wenn nur ein Rezept zu erneuern ist, geht es noch schneller. Es werden, in Abständen, aufgerufen: >Fräulein Quadt, bitte<... »Herr Werner Schmid, bitte< ... >Frau Doktor Melchior, bittet. Die abgefertigten Patienten kommen nur dann ins Wartezimmer zurück, wenn sie dort noch ein Kleidungsstück oder eine Tasche abzuholen haben. Sie können auch vom Sprechzimmer aus die Praxis verlassen. Nach dem dritten Aufruf - Frau Doktor Melchior, bei der es etwas länger dauert - betritt eine alte Frau den Raum und grüßt höflich. Die Wartenden antworten mit undeutlichem Gemurmel. Auf einmal spricht Lotte laut in die Runde der schweigenden Leute... Lotte Vielleicht interessiert es Sie, daß mein Mann vor kurzem eine hohe Auszeichnung erhielt... Mein Mann ist der Publizist Paul Liga. Schreibt auch unter dem Namen Smoky. Er- Alle Patienten sehen Lotte verwundert an. Sie verstummt und starrt auf den Boden. Frau Doktor Melchior kommt aus der Ordination zurück und holt einen Sommermantel von der Garderobe. Sie sagt laut und deutlich »Auf Wiedersehen* beim Rausgehen. Alle erwidern. Der Name »Herr Üranüz, bitte* wird aufgerufen. Der Türke steht eilig auf und geht ins Sprechzimmer. Eine junge Frau kommt herein, sagt so leise »Guten Tag*, daß niemand antwortet. Alle mustern sie. Der Name »Frau Pentowski, bittet wird aufgerufen. Die dicke Frau steht auf, läßt ihr Strickzeug auf dem Stuhl liegen, geht zur Tür, kehrt um, nimmt ihre Handtasche mit, geht ins Sprechzimmer... Es wird dunkel und gleich darauf wieder hell. Lotte sitzt allein im Wartezimmer. Der Arzt kommt herein, wirft die neueste Ausgabe des >Spiegel< auf den Lesetisch. Er sieht Lotte... Arzt Sind Sie nicht aufgerufen worden? Lotte Nein. Ich bin hier nur so. Arzt Sie waren angemeldet für heut vormittag? Lotte Nein. Ich bin hier nur so. Mir fehlt ja nichts. Arzt Gehen Sie bitte. Lotte Ja. Lotte geht langsam hinaus. Der Arzt schließt hinter ihr die Tür. Geht ins Sprechzimmer, schließt die Tür. Dunkel