140 Jobann Wolfgang Goethe warf es über die auf dem Altar stehende Gruppe. Der König, die Königin und ihre Begleiter erschienen in dem dämmern den Gewölbe des Tempels von einem himmlischen Glan/.e erleuchtet, und das Volk fiel auf sein Angesicht. Als die Menge sich wieder erholt hatte und aufstand, war der Köni|; mit den Seinigen in den Altar hinabgestiegen, um durch verborgene Hallen nach seinem Palaste zu gehen, und das Volk zerstreute sich in dem Tempel, seine Neugierde zu befriedigen. Es betrachtete die drei aufrecht stehenden Könige mit Staunen und Ehrfurcht, aber es war desto begieriger zu wissen, was unter dem Teppiche in der vierten Nische für ein Klumpen verborgen sein möchte; denn, wer es auch mochte gewesen sein, wohlmeinende Bescheidenheit hatte eine prächtige Decke über den zusammengesunkenen König hin gebreitet, die kein Auge zu durchdringen vermag und keine Hand wagen darf wegzuheben. Das Volk hätte kein Ende seines Schauens und seiner Bewunderung gefunden, und die zudringende Menge hätte sich in dem Tempel selbst erdrückt, wäre ihre Aufmerksani keit nicht wieder auf den großen Platz gelenkt worden. Unvermutet fielen Goldstücke, wie aus der Luft, klingend auf die marmornen Platten, die nächsten Wanderer stürzten darüber her, um sich ihrer zu bemächtigen, einzeln wiedet holte sich dies Wunder, und zwar bald hier und bald da. Man begreift wohl, daß die abziehenden Irrlichter sich hier noch mals eine Lust machten und das Gold aus den Gliedern des zusammengesunkenen Königs auf eine lustige Weise vergeit deten. Begierig lief das Volk noch eine Zeitlang hin und wider, drängte und zerriß sich auch noch, da keine Gold stücke mehr herabfielen. Endlich verlief es sich allmählich, zog seine Straße, und bis auf den heutigen Tag wimmelt die Brücke von Wanderern, und der Tempel ist der besuchteste auf der ganzen Erde. Ludwig Tieck Der blonde Eckbert Im einer Gegend des Harzes wohnte ein Ritter, den man ^■wohnlich nur den blonden Eckbert nannte. Er war ohnge-fähr vierzig Jahr alt, kaum von mittler Größe, und kurze, hellblonde Haare lagen schlicht und dicht an seinem blassen, eingefallenen Gesichte. Er lebte sehr ruhig für sich und war niemals in den Fehden seiner Nachbarn verwickelt, auch sah in,in ihn nur selten außerhalb den Ringmauern seines kleinen Schlosses, Sein Weib liebte die Einsamkeit ebensosehr, und beide schienen sich von Herzen zu lieben, nur klagten sie gewöhnlich darüber, daß der Himmel ihre Ehe mit keinen Kindern segnen wolle. Nur selten wurde Eckbert von Gästen besucht, und wenn > auch geschah, so wurde ihretwegen fast nichts in dem gewöhnlichen Gange des Lebens geändert, die Mäßigkeit wohnte dort, und die Sparsamkeit selbst schien alles anzuordnen. Eckbert war alsdann heiter und aufgeräumt, nur wenn er illein war, bemerkte man an ihm eine gewisse Verschlossenheit, eine stille, zurückhaltende Melancholie. Niemand kam so häufig auf die Burg als Philipp Walther, ■ in Mann, dem sich Eckbert angeschlossen hatte, weil er an diesem ohngefähr dieselbe Art zu denken fand, der auch er .1111 meisten zugetan war. Dieser wohnte eigentlich in Franken, hielt sich aber oft über ein halbes Jahr in der Nähe von Iii hberts Burg auf, sammelte Kräuter und Steine und beschäftigte sich damit, sie in Ordnung zu bringen; er lebte von Imein kleinen Vermögen und war von niemand abhängig. Kl kbert begleitete ihn oft auf seinen einsamen Spaziergängen, und mit jedem Jahr entspann sich zwischen ihnen eine inni-\: K- Freundschaft. Es gibt Stunden, in denen es den Menschen ängstigt, wenn i i vor seinem Freunde ein Geheimnis haben soll, was er bis 142 Ludwig Tieck dahin oft mit vieler Sorgfalt verborgen hat; die Seele fühlt dann einen unwiderstehlichen Trieb, sich ganz mitzuteilen, dem Freunde auch das Innerste aufzuschließen, damit er um so mehr unser Freund werde. In diesen Augenblicken geben sich die zarten Seelen einander zu erkennen, und zuweilen geschieht es wohl auch, daß einer vor der Bekanntschaft des andern zurückschreckt. Es war schon im Herbst, als Eckbert an einem neblichtcn Abend mit seinem Freunde und seinem Weibe Bertha um das Feuer eines Kamines saß. Die Flamme warf einen hellen Schein durch das Gemach und spielte oben an der Decke, die Nacht sah schwarz zu den Fenstern herein, und die Bäume draußen schüttelten sich vor nasser Kälte. Walther klagte über den weiten Rückweg, den er habe, und Eckbert schlug ihm vor, bei ihm zu bleiben, die halbe Nacht unter traulichen Gesprächen hinzubringen und dann noch in einem Gemache des Hauses bis am Morgen zu schlafen. Walther ging den Vorschlag ein, und nun ward Wein und die Abendmahlzeil hereingebracht, das Feuer durch Holz vermehrt und das Gespräch der Freunde heitrer und vertraulicher. Als das Abendessen abgetragen war und sich die Knechte wieder entfernt hatten, nahm Eckbert die Hand Walthers und sagte: »Freund, Ihr solltet Euch einmal von meiner Frau die Geschichte ihrer Jugend erzählen lassen, die seltsam genii|; ist.« — »Gern«, sagte Walther, und man setzte sich wieder um den Kamin. Es war jetzt gerade Mitternacht, der Mond sah abwechselnd durch die vorüberflatternden Wolken. »Ihr müßt mich nicht für zudringlich halten«, fing Bertha an, »mein Mann sagt, daß Ihr so edel denkt, daß es unrecht sei, Euch etwas zu verhehlen. Nur haltet meine Erzählung für kein Märchen, so sonderbar sie auch klingen mag. Ich bin in einem Dorfe geboren, mein Vater war ein armer Hirte. Die Haushaltung bei meinen Eltern war nicht zum besten bestellt, sie wußten sehr oft nicht, wo sie das Brot hernehmen sollten. Was mich aber noch weit mehr jammerte, Der blonde Eckbert 143 war, daß mein Vater und meine Mutter sich oft über ihre Armut entzweiten und einer dem andern dann bittere Vorwürfe machte. Sonst hört' ich beständig von mir, daß ich ein einfältiges, dummes Kind sei, das nicht das unbedeutendste (Jeschäft auszurichten wisse, und wirklich war ich äußerst ungeschickt und unbeholfen, ich ließ alles aus den Händen Lilien, ich lernte weder nähen noch spinnen, ich konnte nichts in der Wirtschaft helfen, nur die Not meiner Eltern verstand ii h sehr gut. Oft saß ich dann im Winkel und füllte meine Vorstellungen damit an, wie ich ihnen helfen wollte, wenn ich plötzlich reich würde, wie ich sie mit Gold und Silber überschütten und mich an ihrem Erstaunen laben möchte; dann iah ich Geister heraufschweben, die mir unterirdische Schätze entdeckten oder mir kleine Kiesel gaben, die sich in Edelsteine verwandelten, kurz, die wunderbarsten Phantasien beschäftigten mich, und wenn ich nun aufstehn mußte, um irgend etwas zu helfen oder zu tragen, so zeigte ich mich noch viel ungeschickter, weil mir der Kopf von allen den ■cltsamen Vorstellungen schwindelte. Mein Vater war immer sehr ergrimmt auf mich, daß ich eine so ganz unnütze Last des Hauswesens sei; er behandelte mich daher oft ziemlich grausam, und es war selten, daß ich ein freundliches Wort von ihm vernahm. So war ich ungefähr icht Jahr alt geworden, und es wurden nun ernstliche Anstal-len gemacht, daß ich etwas tun oder lernen sollte. Mein Vater l'Jaubte, es wäre nur Eigensinn oder Trägheit von mir, um nieine Tage in Müßiggang hinzubringen, genug, er setzte mir mit Drohungen unbeschreiblich zu; da diese aber doch nichts Iruchteten, züchtigte er mich auf die grausamste Art, indem er sagte, daß diese Strafe mit jedem Tage wiederkehren sollte, weil ich doch nur ein unnützes Geschöpf sei. Die ganze Nacht hindurch weint' ich herzlich, ich fühlte mich so außerordentlich verlassen, ich hatte ein solches Mitleid mit mir selber, daß ich zu sterben wünschte. Ich fürchtete den Anbruch des Tages, ich wußte durchaus nicht, was ich .mfangen sollte, ich wünschte mir alle mögliche Geschicklich- 144 Ludwig Tieck Der blonde Eckbert 145 keit und konnte gar nicht begreifen, warum ich einfältiger .sei als die übrigen Kinder meiner Bekanntschaft. Ich war dl Verzweiflung nahe. Als der Tag graute, stand ich auf und eröffnete, fast ohm daß ich es wußte, die Tür unsrer kleinen Hütte. Ich stand au! dem freien Felde, bald darauf war ich in einem Walde, in den der Tag kaum noch hineinblickte. Ich lief immerfort, 0hm1 mich umzusehen, ich fühlte keine Müdigkeit, denn ich glaubte immer, mein Vater würde mich noch wieder einholen und, durch meine Flucht gereizt, mich noch grausamer behandeln. Als ich aus dem Walde wieder heraustrat, stand die Sonne schon ziemlich hoch; ich sah jetzt etwas Dunkles vor nni liegen, welches ein dichter Nebel bedeckte. Bald mußte ich über Hügel klettern, bald durch einen zwischen Felsen gewundenen Weg gehn, und ich erriet nun, daß ich mich wohl in dem benachbarten Gebirge befinden müsse, worübei ich anfing, mich in der Einsamkeit zu fürchten. Denn ich hatte in der Ebene noch keine Berge gesehen, und das bldjj Wort Gebirge, wenn ich davon hatte reden hören, war mei nem kindischen Ohr ein fürchterlicher Ton gewesen. Uli hatte nicht das Herz, zurückzugehen, meine Angst trieb midi vorwärts; oft sah ich mich erschrocken um, wenn der Wind über mir weg durch die Bäume fuhr oder ein ferner Hob schlag weit durch den stillen Morgen hintönte. Als mir Köh ler und Bergleute endlich begegneten und ich eine fremde Aussprache hörte, wäre ich vor Entsetzen fast in Ohnmaclil gesunken. Ich kam durch mehrere Dörfer und bettelte, weil ich jet/i Hunger und Durst empfand; ich half mir so ziemlich mit meinen Antworten durch, wenn ich gefragt wurde. So waf ich ohngefähr vier Tage fortgewandert, als ich auf einen kln nen Fußsteig geriet, der mich von der großen Straße imml mehr entfernte. Die Felsen um mich her gewannen jetzt eine andre, weit seltsamere Gestalt. Es waren Klippen, so aufein-ander gepackt, daß es das Ansehn hatte, als wenn sie der erst( Windstoß durcheinanderwerfen würde. Ich wußte nicht, ob i< Ii weitergehen sollte. Ich hatte des Nachts immer im Walde geschlafen, denn es war gerade zur schönsten Jahrszeit, oder 111 abgelegenen Schäferhütten; hier traf ich aber keine menschliche Wohnung und konnte auch nicht vermuten, in dieser Wildnis auf eine zu stoßen; die Felsen wurden immer luichtbarer, ich mußte oft dicht an schwindlichten Abgründen vorbeigehen, und endlich hörte sogar der Weg unter meinen Füßen auf. Ich war ganz trostlos, ich weinte und schrie, und in den Felsentälern hallte meine Stimme auf eine schreck-liche Art zurück. Nun brach die Nacht herein, und ich suchte mir eine Moosstelle aus, um dort zu ruhen. Ich konnte nicht ■■elilafen; in der Nacht hörte ich die seltsamsten Töne, bald Hielt ich es für wilde Tiere, bald für den Wind, der durch die 1'eisen klage, bald für fremde Vögel. Ich betete, und ich , Mief nur spät gegen Morgen ein. Ich erwachte, als mir der Tag ins Gesicht schien. Vor mir war ein steiler Felsen; ich kletterte in der Hoffnung hinauf, von dort den Ausgang aus der Wildnis zu entdecken und \ lelleicht Wohnungen oder Menschen gewahr zu werden. Als l< h aber oben stand, war alles, soweit nur mein Auge reichte, ebenso wie um mich her, alles war mit einem neblichten Dufte überzogen, der Tag war grau und trübe, und keinen Kaum, keine Wiese, selbst kein Gebüsch konnte mein Auge nspähn, einzelne Sträucher ausgenommen, die einsam und betrübt in engen Felsenritzen emporgeschossen waren. Es ist unbeschreiblich, welche Sehnsucht ich empfand, nur eines Menschen ansichtig zu werden, wäre es auch, daß ich mich vor ihm hätte fürchten müssen. Zugleich fühlte ich einen peinigenden Hunger, ich setzte mich nieder und beschloß zu .1 erben. Aber nach einiger Zeit trug die Lust zu leben dennoch den Sieg davon, ich raffte mich auf und ging unter Tränen, unter abgebrochenen Seufzern den ganzen Tag hindurch; am Ende war ich mir meiner kaum noch bewußt, ich war müde und erschöpft, ich wünschte kaum noch zu leben und fürchtete doch den Tod. 146 Ludwig Tieck Gegen Abend schien die Gegend umher etwas freundlidin zu werden, meine Gedanken, meine Wünsche lebten wiedei auf, die Lust zum Leben erwachte in allen meinen Adern. Ii Ii glaubte jetzt das Gesause einer Mühle aus der Ferne zu hören, ich verdoppelte meine Schritte, und wie wohl, wie leicht wanl mir, als ich endlich wirklich die Grenzen der öden Felsen erreichte; ich sah Wälder und Wiesen mit fernen, angeneli men Bergen wieder vor mir liegen. Mir war, als wenn ich am der Hölle in ein Paradies getreten wäre, die Einsamkeit und meine Hülflosigkeit schienen mir nun gar nicht fürchtet lieh. Statt der gehofften Mühle stieß ich auf einen Wasserfall, dm meine Freude freilich um vieles minderte; ich schöpfte mit dfl Hand einen Trunk aus dem Bache, als mir plötzlich war, als höre ich in einiger Entfernung ein leises Husten. Nie bin ich so angenehm überrascht worden als in diesem Augenblick, ich ging näher und ward an der Ecke des Waldes eine alte Frau gewahr, die auszuruhen schien. Sie war fast ganz schwär/ gekleidet, und eine schwarze Kappe bedeckte ihren Kopf und einen großen Teil des Gesichtes, in der Hand hielt sie einen Krückenstock. Ich näherte mich ihr und bat um ihre Hülfe, sie ließ midi neben sich niedersitzen und gab mir Brot und etwas Wein. Indem ich aß, sang sie mit kreischendem Ton ein geistliches Lied. Als sie geendet hatte, sagte sie mir, ich möchte ihi folgen. Ich war über diesen Antrag sehr erfreut, so wunderlich mii auch die Stimme und das Wesen der Alten vorkam. Mit ihrem Krückenstocke ging sie ziemlich behende, und bei jedem Schritte verzog sie ihr Gesicht so, daß ich im Anfange darüber lachen mußte. Die wilden Felsen traten immer weiter hinter uns zurück, wir gingen über eine angenehme Wiese und dann durch einen ziemlich langen Wald. Als wir heraustraten, gin^ die Sonne gerade unter, und ich werde den Anblick und die Empfindung dieses Abends nie vergessen. In das sanfteste Rot und Gold war alles verschmolzen, die Bäume standen mii Der blonde Eckbert 147 ihren Wipfeln in der Abendröte, und über den Feldern lag der 'iiizückende Schein, die Wälder und die Blätter der Bäume ,t,inden still, der reine Himmel sah aus wie ein aufgeschlossenes Paradies, und das Rieseln der Quellen und von Zeit zu /.eit das Flüstern der Bäume tönte durch die heitre Stille wie in wehmütiger Freude. Meine junge Seele bekam jetzt zuerst • nie Ahndung von der Welt und ihren Begebenheiten. Ich vergaß mich und meine Führerin, mein Geist und meine Augen schwärmten nur zwischen den goldenen Wolken. Wir stiegen nun einen Hügel hinan, der mit Birken bepflanzt war, von oben sah man in ein grünes Tal voller Unken hinein, und unten mitten in den Bäumen lag eine Ideine Hütte. Ein munteres Bellen kam uns entgegen, und luld sprang ein kleiner behender Hund die Alte an und wedelte; dann kam er zu mir, besah mich von allen Seiten und kehrte mit freundlichen Gebärden zur Alten zurück. Als wir vom Hügel hinuntergingen, hörte ich einen wunderbaren Gesang, der aus der Hütte zu kommen schien, wie von einem Vogel; es sang also: >Waldeinsamkeit, Die mich erfreut, So morgen wie heut In ew'ger Zeit, O wie mich freut Waldeinsamkeit. < Diese wenigen Worte wurden beständig wiederholt; wenn ich es beschreiben soll, so war es fast, als wenn Waldhorn und Vlialmeie ganz in der Ferne durcheinander spielen. Meine Neugier war außerordentlich gespannt; ohne daß ii Ii auf den Befehl der Alten wartete, trat ich mit in die Hütte. I >ie Dämmerung war schon eingebrochen, alles war ordentlich aufgeräumt, einige Becher standen auf einem Wand-»chranke, fremdartige Gefäße auf einem Tische, in einem glän-/enden Käfig hing ein Vogel am Fenster, und er war es wirk-iich, der die Worte sang. Die Alte keichte und hustete, sie 148 Ludwig Tieck schien sich gar nicht wieder erholen zu können, bald strei chelte sie den kleinen Hund, bald sprach sie mit dem Vogel, der ihr nur mit seinem gewöhnlichen Liede Antwort gab; übrigen« tat sie gar nicht, als wenn ich zugegen wäre. Indem ich sie so betrachtete, überlief mich mancher Schauer, denn ihr Gesicht war in einer ewigen Bewegung, indem sie dazu wie vor Ahn mit dem Kopfe schüttelte, so daß ich durchaus nicht wissen konnte, wie ihr eigentliches Aussehn beschaffen war. Als sie sich erholt hatte, zündete sie Licht an, deckte einen ganz kleinen Tisch und trug das Abendessen auf. Jetzt sah .sie sich nach mir um und hieß mir einen von den geflochtenen Rohrstühlen nehmen. So saß ich ihr nun dicht gegenüber, und das Licht stand zwischen uns. Sie faltete ihre knöchernen Hände und betete laut, indem sie ihre Gesichtsverzerrungcii machte, so daß es mich beinahe wieder zum Lachen gebracht hätte; aber ich nahm mich sehr in acht, um sie nicht zu et bösen. Nach dem Abendessen betete sie wieder, und dann wies sii mir in einer niedrigen und engen Kammer ein Bett an; sii schlief in der Stube. Ich blieb nicht lange munter, ich war halb betäubt, aber in der Nacht wachte ich einigemal auf, und dann hörte ich die Alte husten und mit dem Hunde sprechm, und den Vogel dazwischen, der im Traum zu sein schien und immer nur einzelne Worte von seinem Liede sang. 1 ).i machte mit den Birken, die vor dem Fenster rauschten, und mit dem Gesang einer entfernten Nachtigall ein so wundei I u res Gemisch, daß es mir immer nicht war, als sei ich erwai In sondern als fiele ich nur in einen andern, noch seltsam« m Traum. Am Morgen weckte mich die Alte und wies mich bau nachher zur Arbeit an. Ich mußte spinnen, und ich begril 11 nun auch bald, dabei hatte ich noch für den Hund und für den Vogel zu sorgen. Ich lernte mich schnell in die Wirtsch.ih finden, und alle Gegenstände umher wurden mir bekam il nun war mir, als müßte alles so sein, ich dachte gar nicht mein daran, daß die Alte etwas Seltsames an sich habe, daß dll Der blonde Eckbert 149 Wohnung abenteuerlich und von allen Menschen entfernt liege und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches sei. Seine Schönheit fiel mir zwar immer auf, denn seine Federn glänzten mit allen möglichen Farben, das schönste Hellblau und das brennendste Rot wechselten an seinem Halse und I iibe, und wenn er sang, blähte er sich stolz auf, so daß sich ii nie Federn noch prächtiger zeigten. ()ft ging die Alte aus und kam erst am Abend zurück, ich ging ihr dann mit dem Hunde entgegen, und sie nannte mich Luid und Tochter. Ich ward ihr endlich von Herzen gut, wie lieh unser Sinn denn an alles, besonders in der Kindheit, gewöhnt. In den Abendstunden lehrte sie mich lesen, ich fand mich leicht in die Kunst, und es ward nachher in meiner I insamkeit eine Quelle von unendlichem Vergnügen, denn ii hatte einige alte geschriebene Bücher, die wunderbare 1 (Schichten enthielten. I )ie Erinnerung an meine damalige Lebensart ist mir noch bis jetzt immer seltsam: von keinem menschlichen Geschöpfe besucht, nur in einem so kleinen Familienzirkel einheimisch, denn der Hund und der Vogel machten denselben Eindruck ml mich, den sonst nur längst gekannte Freunde hervorbringen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den seltsamen [amen des Hundes besinnen können, so oft ich ihn auch damals nannte. Vier Jahre hatte ich so mit der Alten gelebt, und ich mochte 'ilingefähr zwölf Jahr alt sein, als sie mir endlich mehr ver-M.mte und mir ein Geheimnis entdeckte. Der Vogel legte hämlich an jedem Tage ein Ei, in dem sich eine Perl' oder ein l'ilelstein befand. Ich hatte schon immer bemerkt, daß sie lu'imlich in dem Käfige wirtschafte, mich aber nie genauer darum bekümmert. Sie trug mir jetzt das Geschäft auf, in Ihrer Abwesenheit diese Eier zu nehmen und in den fremdar-i|rn Gefäßen wohl zu verwahren. Sie ließ mir meine Nahrung zurück und blieb nun länger aus, Wochen, Monate; nein Rädchen schnurrte, der Hund bellte, der wunderbare ogel sang, und dabei war alles so still in der Gegend umher, 150 Ludwig Tieck Der blonde Eckbert 151 daß ich mich in der ganzen Zeit keines Sturmwindes, keinei Gewitters erinnere. Kein Mensch verirrte sich dorthin, kein Wild kam unserer Behausung nahe, ich war zufrieden und arbeitete mich von einem Tage zum andern hinüber. - Ol Mensch wäre vielleicht recht glücklich, wenn er so ungestöii sein Leben bis ans Ende fortführen könnte. Aus dem wenigen, was ich las, bildete ich mir ganz wun derliche Vorstellungen von der Welt und den Menschen, alle*, war von mir und meiner Gesellschaft hergenommen: wenn von lustigen Leuten die Rede war, konnte ich sie mir nicht anders vorstellen wie den kleinen Spitz, prächtige Damen sahen immer wie der Vogel aus, alle alten Frauen wie meine wunderliche Alte. Ich hatte auch von Liebe etwas gelesen UM spielte nun in meiner Phantasie seltsame Geschichten mit mii selber. Ich dachte mir den schönsten Ritter von der Welt, ich schmückte ihn mit allen Vortrefflichkeiten aus, ohne eigeni lieh zu wissen, wie er nun nach allen meinen Bemühungen aussah: aber ich konnte ein rechtes Mitleid mit mir selbei haben, wenn er mich nicht wiederliebte; dann sagte ich lang« rührende Reden in Gedanken her, zuweilen auch wohl laui, um ihn nur zu gewinnen. - Ihr lächelt! wir sind jetzt freiliiI alle über diese Zeit der Jugend hinüber. Es war mir jetzt lieber, wenn ich allein war, denn alsdann war ich selbst die Gebieterin im Hause. Der Hund liebte mich sehr und tat alles, was ich wollte; der Vogel antwortete mii mit seinem Liede auf alle meine Fragen, mein Rädchen drelin sich immer munter, und so fühlte ich im Grunde nie einen Wunsch nach Veränderung. Wenn die Alte von ihren langen Wanderungen zurückkam, lobte sie meine Aufmerksamkeit sie sagte, daß ihre Haushaltung, seit ich dazu gehöre, wen ordentlicher geführt werde, sie freute sich über mein Wach', tum und mein gesundes Aussehen, kurz, sie ging ganz mit nm wie mit einer Tochter um. >Du bist brav, mein Kind!« sagte sie einst zu mir mit einem schnarrenden Tone; >wenn du so fortfährst, wird es dir auch immer gut gehen: aber nie gedeiht es, wenn man von der Meinen Bahn abweicht, die Strafe folgt nach, wenn auch noch »0 spät.< - Indem sie das sagte, achtete ich eben nicht sehr darauf, denn ich war in allen meinen Bewegungen und meinem ganzen Wesen sehr lebhaft; aber in der Nacht fiel es mir wieder ein, und ich konnte nicht begreifen, was sie damit hatte sagen wollen. Ich überlegte alle Worte genau, ich hatte wohl von Reichtümern gelesen, und am Ende fiel mir ein, daß ihre Perlen und Edelsteine wohl-etwas Kostbares sein könn-ien. Dieser Gedanke wurde mir bald noch deutlicher. Aber was konnte sie mit der rechten Bahn meinen? Ganz konnte Ich den Sinn ihrer Worte noch immer nicht fassen. Ich war jetzt vierzehn Jahr alt, und es ist ein Unglück für den Menschen, daß er seinen Verstand nur darum bekömmt, lim die Unschuld seiner Seele zu verlieren. Ich begriff nämlich Vöhl, daß es nur auf mich ankomme, in der Abwesenheit der Alten den Vogel und die Kleinodien zu nehmen und damit die Welt, von der ich gelesen hatte, aufzusuchen. Zugleich war es mir dann vielleicht möglich, den überaus schönen Ritter .iiizutreffen, der mir immer noch im Gedächtnisse lag. Im Anfange war dieser Gedanke nichts weiter als jeder nidre Gedanke, aber wenn ich so an meinem Rade saß, so kam er mir immer wider Willen zurück, und ich verlor mich «0 in ihm, daß ich mich schon herrlich geschmückt sah und Kitter und Prinzen um mich her. Wenn ich mich so vergessen hatte, konnte ich ordentlich betrübt werden, wenn ich wieder mfschaute und mich in der kleinen Wohnung antraf. Übrigens, wenn ich meine Geschäfte tat, bekümmerte sich die Alte nicht weiter um mein Wesen. An einem Tage ging meine Wirtin wieder fort und sagte mir, daß sie diesmal länger als gewöhnlich ausbleiben werde, ich solle ja auf alles ordentlich achtgeben und mir die Zeit nicht lang werden lassen. Ich nahm mit einer gewissen Bangigkeit von ihr Abschied, denn es war mir, als würde ich sie nicht wiedersehen. Ich sah ihr lange nach und wußte selbst nicht, warum ich so beängstigt war; es war fast, als wenn mein Vorhaben schon vor mir stände, ohne mich dessen deutlich bewußt zu sein. Nie hab ich des Hundes und des Vogels mit einer solchen Emsigkeit gepflegt; sie lagen mir näher am Herzen als sonsi. Die Alte war schon einige Tage abwesend, als ich mit dem festen Vorsatze aufstand, mit dem Vogel die Hütte zu verlas sen und die sogenannte Welt aufzusuchen. Es war mir engt1 und bedrängt zu Sinne, ich wünschte wieder da zu bleiben, und doch war mir der Gedanke widerwärtig, es war ein seltsfl mer Kampf in meiner Seele, wie ein Streiten von zwei wider spenstigen Geistern in mir. In einem Augenblicke kam mir die ruhige Einsamkeit so schön vor, dann entzückte midi wieder die Vorstellung einer neuen Welt mit allen ihren wuii derbaren Mannigfaltigkeiten. Ich wußte nicht, was ich aus mir selber machen sollte, dci Hund sprang mir unaufhörlich an, der Sonnenschein breiten-sich munter über die Felder aus, die grünen Birken funkelten ich hatte die Empfindung, als wenn ich etwas sehr Eiliges 2] tun hätte, ich griff also den kleinen Hund, band ihn in def Stube fest und nahm dann den Käfig mit dem Vogel unter den Arm. Der Hund krümmte sich und winselte über diese unge wohnte Behandlung, er sah mich mit bittenden Augen an, aber ich fürchtete mich, ihn mit mir zu nehmen. Noch nahm ich eins von den Gefäßen, das mit Edelsteinen angefüllt war, und steckte es zu mir, die übrigen ließ ich stehn. Der Vogel drehte den Kopf auf eine wunderliche Weise, all ich mit ihm zur Tür hinaustrat; der Hund strengte sich sehr an, mir nachzukommen, aber er mußte zurückbleiben. Ich vermied den Weg nach den wilden Felsen und ging nach der entgegengesetzten Seite. Der Hund bellte und winselte immerfort, und es rührte mich recht inniglich; der Vogel wollte einigemal zu singen anfangen, aber da er getragen ward, mußte es ihm wohl unbequem fallen. Sowie ich weiter ging, hörte ich das Bellen immer schwii eher, und endlich hörte es ganz auf. Ich weinte und wäre Der blonde Eckbert 153 hei nahe wieder umgekehrt, aber die Sucht, etwas Neues zu ehen, trieb mich vorwärts. Schon war ich über die Berge und durch einige Wälder n kommen, als es Abend ward und ich in einem Dorfe einkehren mußte. Ich war sehr blöde, als ich in die Schenke trat, man wies mir eine Stube und ein Bette an, ich schlief ziemlich i jhig, nur daß ich von der Alten träumte, die mir drohte. Meine Reise war ziemlich einförmig, aber je weiter ich ging, je mehr ängstigte mich die Vorstellung von der Alten Und dem kleinen Hunde; ich dachte daran, daß er wahr-.t licinlich ohne meine Hülfe verhungern müsse; im Walde Klaubt* ich oft, die Alte würde mir plötzlich entgegentreten, in legte ich unter Tränen und Seufzern den Weg zurück; so "Ii ich ruhte und den Käfig auf den Boden stellte, sang der Vogel sein wunderliches Lied, und ich erinnerte mich dabei (echt lebhaft des schönen verlassenen Aufenthalts. Wie die menschliche Natur vergeßlich ist, so glaubt' ich jetzt, meine * i irmalige Reise in der Kindheit sei nicht so trübselig gewesen i\s meine jetzige; ich wünschte wieder in derselben Lage zu ■ in. Ich hatte einige Edelsteine verkauft und kam nun nach ■ iner Wanderschaft von vielen Tagen in einem Dorfe an. '»hon beim Eintritt ward mir wundersam zumute, ich i schrak und wußte nicht worüber; aber bald erkannt' ich mich, denn es war dasselbe Dorf, in welchem ich geboren war. Wie ward ich überrascht! Wie liefen mir vor Freuden, Wegen tausend seltsamer Erinnerungen, die Tränen von den Wangen! Vieles war verändert, es waren neue Häuser ent- i.inden, andre, die man damals erst errichtet hatte, waren jetzt verfallen, ich traf auch Brandstellen; alles war weit kleiner, gedrängter, als ich erwartet hatte. Unendlich freute ich mich darauf, meine Eltern nun nach so manchen Jahren wie-ilerzusehn; ich fand das kleine Haus, die wohlbekannte ii hwelle, der Griff der Tür war noch ganz so wie damals, es war mir, als hätte ich sie nur gestern angelehnt; mein Herz Uopfte ungestüm, ich öffnete sie hastig - aber ganz fremde 154 Ludwig Tieck Gesichter saßen in der Stube umher und stierten mich an. Ii Ii fragte nach dem Schäfer Martin, und man sagte mir, er |l schon seit drei Jahren mit seiner Frau gestorben. - Ich ti.n schnell zurück und ging laut weinend aus dem Dorlr hinaus. Ich hatte es mir so schön gedacht, sie mit meinem Reich turne zu überraschen; durch den seltsamsten Zufall war 1 nun wirklich geworden, was ich in der Kindheit immer um träumte - und jetzt war alles umsonst, sie konnten sich nk In mit mir freuen, und das, worauf ich am meisten immer im Leben gehofft hatte, war für mich auf ewig verloren. In einer angenehmen Stadt mietete ich mir ein kleines H.ur mit einem Garten und nahm eine Aufwärterin zu mir. M wunderbar, als ich es vermutet hatte, kam mir die Welt nu In vor, aber ich vergaß die Alte und meinen ehemaligen Aufein halt etwas mehr, und so lebt' ich im ganzen recht zufrieden. Der Vogel hatte schon seit lange nicht mehr gesungen; LI Ii erschrak daher nicht wenig, als er in einer Nacht plötzin Ii wieder anfing, und zwar mit einem veränderten Liede. Iii sang: > >Waldeinsamkeit, Wie liegst du weit! Oh, dich gereut Einst mit der Zeit. -Ach, einz'ge Freud*, Waldeinsamkeit. < Ich konnte die Nacht hindurch nicht schlafen, alles fiel inn von neuem in die Gedanken, und mehr als jemals fühlt' ißl daß ich Unrecht getan hatte. Als ich aufstand, war mir iln Anblick des Vogels sehr zuwider, er sah immer nach mir hin, und seine Gegenwart ängstigte mich. Er hörte nun mit seinem Liede gar nicht wieder auf, und er sang es lauter und schal In der, als er es sonst gewohnt gewesen war. Je mehr ich ihn betrachtete, je bänger machte er mich; ich öffnete endlich dm Käfig, steckte die Hand hinein und faßte seinen Hals, hm/ Der blonde Eckbert 155 hilft drückte ich die Finger zusammen, er sah mich bittend an, Ii Ii ließ los, aber er war schon gestorben. - Ich begrub ihn im 11arten. Jetzt wandelte mich oft eine Furcht vor meiner Aufwärte-III) an, ich dachte an mich selbst zurück und glaubte, daß sie mich auch einst berauben oder wohl gar ermorden könne. -Schon lange kannt' ich einen jungen Ritter, der mir überaus lefiel, ich gab ihm meine Hand - und hiermit, Herr Walther, III meine Geschichte geendigt.« »Ihr hättet sie damals sehn sollen«, fiel Eckbert hastig ein -ihre Jugend, ihre Schönheit, und welch einen unbegreifli-lien Reiz ihr ihre einsame Erziehung gegeben hatte. Sie kam mir vor wie ein Wunder, und ich liebte sie ganz über alles Maß. Ich hatte kein Vermögen, aber durch ihre Liebe kam ich in diesen Wohlstand; wir zogen hierher, und unsre Verbindung hat uns bis jetzt noch keinen Augenblick gereut.« »Aber über unser Schwatzen«, fing Bertha wieder an, »ist it schon tief in die Nacht geworden - wir wollen uns schlafen legen>« Sie stand auf und ging nach ihrer Kammer. Walther wünschte ihr mit einem Handkusse eine gute Nacht und iftgte: »Edle Frau, ich danke Euch, ich kann mir Euch recht 11 erstellen, mit dem seltsamen Vogel, und wie Ihr den kleinen \trohmian füttert.« Auch Walther legte sich schlafen, nur Eckbert ging noch im ruhig im Saale auf und ab. - »Ist der Mensch nicht ein for?« fing er endlich an; »ich bin erst die Veranlassung, daß meine Frau ihre Geschichte erzählt, und jetzt gereut mich diese Vertraulichkeit! - Wird er sie nicht mißbrauchen? Wird Ii sie nicht andern mitteilen? Wird er nicht vielleicht, denn Jas ist die Natur des Menschen, eine unselige Habsucht nach insern Edelgesteinen empfinden und deswegen Plane anlegen Und sich verstellen?« Es fiel ihm ein, daß Walther nicht so herzlich von ihm ■\hschied genommen hatte, als es nach einer solchen Ve/trau-li( hkeit wohl natürlich gewesen wäre. Wenn die Seele erst 156 Ludwig Tieck einmal zum Argwohn gespannt ist, so trifft sie auch in all« Kleinigkeiten Bestätigungen an. Dann warf sich Eckbert wi(j der sein unedles Mißtrauen gegen seinen wackern Freund vni und konnte doch nicht davon zurückkehren. Er schlug sie] die ganze Nacht mit diesen Vorstellungen herum und scliln I nur wenig. Bertha war krank und konnte nicht zum Frühsun Ii erscheinen; Walther schien sich nicht viel darum zu kümmei n und verließ auch den Ritter ziemlich gleichgültig. Ecklnn konnte sein Betragen nicht begreifen; er besuchte seine Ci.n tin, sie lag in einer Fieberhitze und sagte, die Erzählung in dei Nacht müsse sie auf diese Art gespannt haben. Seit diesem Abend besuchte Walther nur selten die Buic seines Freundes, und wenn er auch kam, ging er nach einigen unbedeutenden Worten wieder weg. Eckbert ward dun Ii dieses Betragen im äußersten Grade gepeinigt; er ließ sieh zwar gegen Bertha und Walther nichts davon merken, abei jeder mußte doch seine innerliche Unruhe an ihm gewalu werden. Mit Berthas Krankheit ward es immer bedenklicher; dei Arzt ward ängstlich, die Röte von ihren Wangen war vct schwunden, und ihre Augen wurden immer glühender. - An einem Morgen ließ sie ihren Mann an ihr Bette rufen, die Mägde mußten sich entfernen. »Lieber Mann«, fing sie an, »ich muß dir etwas entdecken, das mich fast um meinen Verstand gebracht hat, das meine Gesundheit zerrüttet, so eine unbedeutende Kleinigkeit e» auch an sich scheinen möchte. - Du weißt, daß ich mieli immer nicht, sooft ich von meiner Kindheit sprach, trotz allei angewandten Mühe auf den Namen des kleinen Hunde, besinnen konnte, mit welchem ich so lange umging; an je nem Abend sagte Walther beim Abschiede plötzlich zu min >Ich kann mir Euch recht vorstellen, wie Ihr den kleinen Strohmian füttert.< Ist das Zufall? Hat er den Namen ei raten, weiß er ihn, und hat er ihn mit Vorsatz genannn' Und wie hängt dieser Mensch dann mit meinem Schicksale Der blonde Eckbert 157 Misammen? Zuweilen kämpfe ich mit mir, als ob ich mir bliese Seltsamkeit nur einbilde, aber es ist gewiß, nur zu gewiß. Ein gewaltiges Entsetzen befiel mich, als mir ein fremder Mensch so zu meinen Erinnerungen half. Was sagst • In, Eckbert?« Ixkbert sah seine leidende Gattin mit einem tiefen Gefühle in; er schwieg und dachte bei sich nach, dann sagte er ihr i iiiige tröstende Worte und verließ sie. In einem abgelegenen 1 .rmache ging er in unbeschreiblicher Unruhe auf und ab. W.dther war seit vielen Jahren sein einziger Umgang gewe-. ii, und doch war dieser Mensch jetzt der einzige in der Welt, I. .sen Dasein ihn drückte und peinigte. Es schien ihm, als iirde ihm froh und leicht sein, wenn nur dieses einzige sen aus seinem Wege gerückt werden könnte. Er nahm i nie Armbrust, um sich zu zerstreuen und auf die Jagd zu flehen. Es war ein rauher stürmischer Wintertag, tiefer Schnee lag Uli den Bergen und bog die Zweige der Bäume nieder. Er in ifte umher, der Schweiß stand ihm auf der Stirne, er traf ml kein Wild, und das vermehrte seinen Unmut. Plötzlich ili er sich etwas in der Ferne bewegen, es war Walther, der I< »os von den Bäumen sammelte; ohne zu wissen, was er tat, I. i;ie er an, Walther sah sich um und drohte mit einer stum-men Gebärde, aber indem flog der Bolzen ab, und Walther iiiizte nieder. Kckbert fühlte sich leicht und beruhigt, und doch trieb ihn in Schauder nach seiner Burg zurück; er hatte einen großen ■ eg zu machen, denn er war weit hinein in die Wälder ver-in.- Als er ankam, war Bertha schon gestorben; sie hatte vor ihrem Tode noch viel von Walther und der Alten gespro-lien. I'.ckbert lebte nun eine lange Zeit in der größten Einsam-1' il; er war schon sonst immer schwermütig gewesen, weil 'Im die seltsame Geschichte seiner Gattin beunruhigte und er "r.rndeinen unglücklichen Vorfall, der sich ereignen könnte, l'. fürchtete; aber jetzt war er ganz mit sich zerfallen. Die 158 Ludwig Tieck Der blonde Eckbert 159 Ermordung seines Freundes stand ihm unaufhörlich vm Augen, er lebte unter ewigen inneren Vorwürfen. Um sich zu zerstreuen, begab er sich zuweilen nach dl nächsten großen Stadt, wo er Gesellschaften und Fest* besuchte. Er wünschte durch irgendeinen Freund die Leere 1 seiner Seele auszufüllen, und wenn er dann wieder an Waltlin zurückdachte, so erschrak er vor dem Gedanken, einen Freund zu finden; denn er war überzeugt, daß er um unglücklich mit jedwedem Freunde sein könne. Er hatte fl lange mit Bertha in einer schönen Ruhe gelebt, die Freuml schaft Walthers hatte ihn so manches Jahr hindurch beglückt und jetzt waren beide so plötzlich dahingerafft, daß ihm sein Leben in manchen Augenblicken mehr wie ein seltsame* Märchen als wie ein wirklicher Lebenslauf erschien. Ein junger Ritter, Hugo, schloß sich an den stillen, betriili ten Eckbert und schien eine wahrhafte Zuneigung gegen ihn zu empfinden. Eckbert fand sich auf eine wunderbare An überrascht, er kam der Freundschaft des Ritters um so schnei ler entgegen, je weniger er sie vermutet hatte. Beide waren nun häufig beisammen, der Fremde erzeigte Eckbert m möglichen Gefälligkeiten, einer ritt fast nicht mehr ohne den andern aus, in allen Gesellschaften trafen sie sich, kurz, fl schienen unzertrennlich. Eckbert war immer nur auf kurze Augenblicke froh, denn er fühlte es deutlich, daß ihn Hugo nur aus einem Irrtmin liebe; jener kannte ihn nicht, wußte seine Geschichte niclu, und er fühlte wieder denselben Drang, sich ihm ganz mit/u teilen, damit er versichert sein könne, ob jener auch wahrluh sein Freund sei. Dann hielten ihn wieder Bedenklichkeiieu und die Furcht, verabscheut zu werden, zurück. In manchen Stunden war er so sehr von seiner Nichtswürdigkeit übei zeugt, daß er glaubte, kein Mensch, für den er nicht ein voll] ger Fremdling sei, könne ihn seiner Achtung würdigen. Abi dennoch konnte er sich nicht widerstehn; auf einem einsamen Spazierritte entdeckte er seinem Freunde seine ganze (f| schichte und fragte ihn dann, ob er wohl einen Mördei lieben könne. Hugo war gerührt und suchte ihn zu trösten; I i kbert folgte ihm mit leichterm Herzen zur Stadt. Es schien aber seine Verdammnis zu sein, gerade in der iiimde des Vertrauens Argwohn zu schöpfen, denn kaum waren sie in den Saal getreten, als ihm beim Schein der vielen l icliter die Mienen seines Freundes nicht gefielen. Er glaubte im hämisches Lächeln zu bemerken, es fiel ihm auf, daß er mir wenig mit ihm spreche, daß er mit den Anwesenden viel rede und seiner gar nicht zu achten scheine. Ein alter Ritter vir in der Gesellschaft, der sich immer als den Gegner Eck-berts gezeigt und sich oft nach seinem Reichtum und seiner I rau auf eine eigne Weise erkundigt hatte; zu diesem gesellte lieh Hugo, und beide sprachen eine Zeitlang heimlich, indem nie nach Eckbert hindeuteten. Dieser sah jetzt seinen Argwohn bestätigt, er glaubte sich verraten, und eine schreckli-he Wut bemeisterte sich seiner. Indem er noch immer hin-i,irrte, sah er plötzlich Walthers Gesicht, alle seine Mienen, lie ganze, ihm so wohlbekannte Gestalt, er sah noch immer hin und ward überzeugt, daß niemand als Waltber mit dem \lien spreche. - Sein Entsetzen war unbeschreiblich; außer leli stürzte er hinaus, verließ noch in der Nacht die Stadt und lehrte nach vielen Irrwegen auf seine Burg zurück. Wie ein unruhiger Geist eilte er jetzt von Gemach zu 1 pemach, kein Gedanke hielt ihm stand, er verfiel von ent-p'izlichen Vorstellungen auf noch entsetzlichere, und kein M hlaf kam in seine Augen. Oft dachte er, daß er wahnsinnig tei und sich nur selber durch seine Einbildung alles erschaffe; ■Linn erinnerte er sich wieder der Züge Walthers, und alles v.ird ihm immer mehr ein Rätsel. Er beschloß, eine Reise zu ti.ichen, um seine Vorstellungen wieder zu ordnen; den 1 .edanken an Freundschaft, den Wunsch nach Umgang hatte ■ i nun auf ewig aufgegeben. Er zog fort, ohne sich einen bestimmten Weg vorzusetzen, Iti er betrachtete die Gegenden nur wenig, die vor ihm lagen. \ ls er im stärksten Trabe seines Pferdes einige Tage so fortge-'ik war, sah er sich plötzlich in einem Gewinde von Felsen 160 Ludwig Tieck Der blonde Eckbert 161 verirrt, in denen sich nirgend ein Ausweg entdecken Ii eil Endlich traf er auf einen Bauer, der ihm einen Pfad, einem Wasserfall vorüber, zeigte; er wollte ihm zur Danksaguni einige Münzen geben, der Bauer aber schlug sie aus. - »W.i gilt's«, sagte Eckbert zu sich selber, »ich könnte mir wiedi I einbilden, daß dies niemand anders als Walther sei?« - Um indem sah er sich noch einmal um, und es war niemand ander als Walther. - Eckbert spornte sein Roß, so schnell es mim laufen konnte, durch Wiesen und Wälder, bis es erschöpf unter ihm zusammenstürzte. - Unbekümmert darüber sci/i> er nun seine Reise zu Fuß fort. Er stieg träumend einen Hügel hinan; es war, als wenn 11 ein nahes, munteres Bellen vernahm, Birken säuselten da/u sehen, und er hörte mit wunderlichen Tönen ein Lm singen: »Waldeinsamkeit Mich wieder freut, Mir geschieht kein Leid, Hier wohnt kein Neid, Von neuem mich freut Waldeinsamkeit.« »Und Bertha war deine Schwester.« Eckbert fiel zu Boden. »Warum verließ sie mich tückisch ? Sonst hätte sich alles gut mid schön geendet, ihre Probezeit war ja schon vorüber. Sie v.ir die Tochter eines Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die Tochter deines Vaters.« »Warum hab ich diesen schrecklichen Gedanken immer Heahndet?« rief Eckbert aus. »Weil du in früher Jugend deinen Vater einst davon erzäh-len hörtest; er durfte seiner Frau wegen diese Tochter nicht bei sich erziehn lassen, denn sie war von einem andern Weibe.« lickbert lag wahnsinnig und verscheidend auf dem Boden; linnpf und verworren hörte er die Alte sprechen, den Hund Mlen und den Vogel sein Lied wiederholen. Jetzt war es um das Bewußtsein, um die Sinne Ecklnii geschehn; er konnte sich nicht aus dem Rätsel herausfinden ob er jetzt träume oder ehemals von einem Weibe Berlin geträumt habe; das Wunderbarste vermischte sich mit den Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war verzaubert und | keines Gedankens, keiner Erinnerung mächtig. Eine krummgebückte Alte schlich hustend mit eittflj Krücke den Hügel heran. »Bringst du mir meinen Vogrl. Meine Perlen? Meinen Hund?« schrie sie ihm entgegen »Siehe, das Unrecht bestraft sich selbst: niemand als ich w,n dein Freund Walther, dein Hugo.« »Gott im Himmel!« sagte Eckbert stille vor sich hin - ig) welcher entsetzlichen Einsamkeit hab ich dann mein Lelm hingebracht!«