Ein Staat im Staate. Zu Ludwig Winders Darstellung des Systems Baťa im Roman Doktor Muff Ludwig Winder als Österreicher und Tschechoslowake. 21.11.2019 Verkürzung des literarischen Werks in der Konkretisation Roman Ingarden "Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks" (1937) •Wilhelm Garban 38 Jahre alt •173, Ich kann Ihnen und allen Ihren Schülern Tag für Tag beweisen, daß mein System ein Segen ist! •1925: Baťaman Tomáš Baťa gründet seine erste Schule, škola Mladých mužů •Baťaman wird man durch Gehorsam und tüchtige Arbeit. Acht Stunden arbeitet man, um seine Verpflegung, Unterkunft und Bekleidung zu finanzieren, vier Stunden am Abend soll man lernen. Garban als Camouflage oder ein Tyrann schlechthin? •Er wußte nun, daß er den Unteroffizier Garban den „Römer mit den Negerlippen“ genannt hatte. Diesen Kopf eines römischen Kriegers mit den wulstigen Lippen eines Negers hatte er zwei Jahre lang täglich mit Neugier betrachtet. •S. 23 •Jan Antonín Obsah obrázku osoba, exteriér, fotka, stojící Popis byl vytvořen automaticky „Existierte Zlín nicht , man müsste es schaffen“ (hieß es auf einem Tansparent in einer Maikundgebung) •"Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müsste im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen.“ Palacký •Rostislav Marek als Tomáš Baťa im gespielten Doku von Jak Motejzík, ČT 2019 Obsah obrázku osoba, budova, muž, oblek Popis byl vytvořen automaticky Annett Steinführer •Stadt und Utopie. Das Experiment Zlín 1920–1938. •Bohemia 43, München 2002/1, s. 34. •Beruft sich auf Kučera, Bohumil: Batismus, ideologie sociálfašismu [Der Batismus, die Ideologie des Sozialfaschismus].Gottwaldov 1958. - •An Baťas System von .Zuckerbrot und Peitsche' - materielle Anreizsystemen und betriebliche Sozialpolitik einerseits, ein Höchstmaß an physischer und psychischer Belastung andererseits - und der daraus vorgeblich resultierenden Aufhebung des Gegensatzes von Kapital un d Arbeit (so die Firmenpropaganda ) • Company Town •1923 verfügte die Baťa-Partei über etwa die Hälfte der Mandate im Stadtparlamen von Zlín (17 von 30), 1931 waren alle Abgerodneten bis auf einen schon Mitglieder dieser Partei von Tomáš Baťa. •Nach den Brüdern Baťa stand gleichzeitig an der Spitze der Fabrik und der Stadt Dominik Čipera, Ehemann von Božena Klaus, einer Nichte von Tomáš Baťa •Company Towns of the Baťa Concern: History – Cases – Architecture. Sevecek, Ondrej (Hrsg.) | Jemelka, Martin (Hrsg.) Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2013. 312 s. • Garban •Selbstverständlich gehöre ich auch der politischen Partei an, zu der sich die Mehrzahl meiner Arbeiter bekennt. Ich bin ihr Bürgermeister, ihr Abgeordneter, ihr Ratgeber, ihr Bruder, ihre Amme. Wir bilden einen Staat im Staate oder vielleicht eine große Familie, eine Familienorganisation, die dem Hausgesetz gehorcht. Einer anderen Organisation darf niemand beitreten. Wie gefällt Ihnen das alles, Leutnant?' • Baťa / Cekota •Tomáš Baťa: Výchova k blahobytu (1932, vyd. Cekota) •DÍLNA, PRACUJÍCÍ LEVNĚ A DOKONALE, má býti podobna rodině a mistr jí má býti středem. Její členové by měli bydleti i poblíže sebe, aby si mohli nejen v dílně, ale i v životě navzájem vypomáhati. •Eine billig und perfekt arbeitende Werkstatt soll einer Fasmiolie ähnelN UND DER Werkmeister soll in ihrem Mittelpunkt stehen. Ihre Mitglieder sollten in der Näher wohnen, damit sie einander nicht nur in der Werkstatt, sondern auch im Leben helfen können. System Garban •Wir haben natürlich unsere eigenen Ärzte. Wir haben unser eigenes Hotel, unser eigenes Kino, Warenhaus, Krankenhaus, Gebäranstalt, Badeanstalt, Kinderheim, Turnhalle, Restaurant, Cafe und Bar, jetzt eröffnen wir unsere eigene Schule, in zwei, drei Jahren vielleicht schon unser eigenes Theater. Meine Arbeiter sind die bestgestellten Arbeiter in der ganzen Welt. Ich beteilige sie am Reingewinn. Den dürfen sie natürlich nicht beheben, sonst könnte ich sie nicht zur Sparsamkeit erziehen, aber ich verzinse jedem sein Guthaben besser als jede Bank. Das hat übrigens auch den Vorteil, daß ich es nie nötig haben werde, Bankkapital in Anspruch zu nehmen. • System Garban, nicht Baťa •Wer trinken will, bekommt bei Garban zu trinken, wer essen will, bekommt bei Garban zu essen, wer sich zerstreuen will, geht in Garbans Kino. Kein Pfennig gerät in fremde Hände. • •Da war Walter Seidl besser informiert. Oder ist es Teil von Winders Camouflage? • Kritik des Systems Baťa •Kisch, Egon Erwin, Továrna na boty: Socializovaný Baťa: K přejmenováni podniku. Baťa na národní podnik Svit, Svit n.p., Gottwaldov, TISK, 1949 •Turek, S., Botostroj, (1933, Sfinx; beschlagnahmt) •Turek, S., Batismus v kostce, Svit, Gottwaldov, 1950 •Mariusz Szczygiel: Gottland. hier: Ani krok bez Bati. An Egon Erwin Kisch gewidmet • Kritik des Systems Baťa bei Rudolph Philipp •Der unbekannte Diktator Thomas Baťa •Wien ; Berlin: Agis-Verlag, [1928] — 465 S. •1924 bis 1932 erschienen bei Agis 35 Titel , unter anderem von Max Barthel, Johannes R. Becher, Ludwig Renn, F. C. Weiskopf (Ein Soldat der Revolution, 1929). Einige davon erschiene als Vorabdruck •in der Roten Fahne (KPÖ). • Urteil des Preußischen Kammergerichts vom 7.8.1929 •Das Urteil im Prozeß Bata contra Philipp. Eine vernichtende Kritik der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen im Bata'schen Betriebe. In: Schuhfabrikanten-Zeitung 65 (1929) H. 10, 1-19, v.a. 5ff. – •234/235 •Philipp: Baťas Systém der „Selbstverwaltung der Werkstätten“: •Bei der primitiven ihm zur Verfügung stehenden Arbeiterschaft speist er die beim Wetten gewinnende Werkstatt mit Prämien ab, die ihm für einige Hundert Mark einmaliger Ausgabe Zehntausende Mark ständigen monatlichen Mehrprofits bringen. Bei Verlusten kann sich jeder Aufsichtsbeamte am letzten Arbeiter regressieren, insofern der es nicht vorzieht die Werkstatt gleich zu verlassen. Doktor Muff hört im Bus die Klagen der Arbeiter •Garban, Lohnliste, Abzug. • Begründung des Urteils •Das Urteil gab Philipps Verteidigung recht, ein Unterlassungs-anspruch gegen die Verbreitung dieses Buches ist nicht ausreichend begründet, da die Aussagen nur ausnahmsweise nicht zu belegen waren. Philipps Darstellung der nationalistischen Zuspitzung der Baťa-Ideologie fehlt bei Winder •Als die Deutsch-Böhmen Hurra schrieen und die Tschechen verzweifelten: da dachte der große Thomas daran, wie man bei Verteilung des „Ratschgeldes" dabei sein könnte. Oesterreichischer Armeelieferant und gleichzeitig Wohltäter seiner tschechischen Brüder: das zu werden gelang dem elastischen Zliner Hausschuhmacher! Die Kaufleute hatten den Kopf verloren. Der Schuß in Sarajewo hatte die Pläne alter Firmen durchlöchert. Dem Bata aber den Weg zur Krippe freigemacht. Er muß den Anschluß erreichen, opfert die Pferde. Während der ganzen Fahrt steht er mit seinem Kutscher Hubacek, in der einen Hand die Peitsche, in der anderen die Zügel — die Augen auf den Sekundenzeiger der Uhr und auf die Kilometersteine am Straßenrand gerichtet. Philipps Darstellung der Minderwertigkeit der Baťa-Produktion fehlt bei Winder •Zu jener Zeit verlor die österreichisch ungarische Armee unzählige Soldaten nicht infolge von Verwundungen durch feindliche Geschosse, sondern wegen Marschunfähigkeit, verursacht durch minderwertige Produkte skrupelloser Schuhlieferanten. Noch ist mir das Bild lebendig vor Augen, wie ganze Züge bärtiger Landstürmer in den Straßengräben Ostgaliziens lagen und ihre blutigen Füße mit Lappen umwickelten, die sie aus ihrem einzigen verlausten Hemde rissen. […] Ein Jahr später war der Warenmangel der Zentralmächte so ungeheuer gestiegen, daß das kaiser-königliche Militär-Aerar die gleiche fehlerhafte Ware dem Herrn Bata um 50 Prozent teurer abkaufen musste. • Ludwig Winders Nähe zu Baťas Kritikern •Sie ging auf seine Sympatie für die multinationale KPTsch und seine humanistische Postion als Freimauerer zurück. •Dr. Muff, der an die Würde menschlichen Seins glaubt und an diesem Glauben schließlich zugrunde geht (Walter Angel in der NFP). •Die Lockung des Todes wies er von sich. Weder aus Trägheit noch aus Feigheit klammerte er sich an sein elendes Leben. Was ihn am Leben erhielt, war sein hoher Begriff von der Würde des menschlichen Seins, der durch keinen Schicksalsschlag, durch kein Leid und keine ihm zugefügte Unbill ins Wanken geraten war. • Der ananchronistische Schwärmer •Walter Angel: Aenne hat ihn mißbraucht, Garban Schwester, die er geheiratet hatte und aus einer verirrten Existenz hatte retten wollen und Alice, Garbans Frau; die er keusch wie eine Göttin verehrt hatte. Muff ein Weltverbesserer? Nein. Ein unbelehrbarer Schwärmer. • • Symbolische Wiederkehr des Irrweges •Abschnitt 18 •S. 311 •Ein Mann ging durch das Gehölz, er merkte nicht, daß es regnete. •Vgl. den einleitenden Satz: •Ein Mann ging durch das Gehölz, er merkte nicht, daß es regnete. • Muff als Kritiker Garbans •172, „Sie haben in der Fortbildungsschule für Erwachsene einen neuen Unterrichtsgegenstand eingeführt: Gesundheitslehre. Verstehn Sie was von Medizin?" •„Ich trage nicht medizinische Wissenschaft vor. Ich erzähle den Arbeitern nur, zu welchen Resultaten die Soziologen und Ärzte bei der Beobachtung der Arbeit in industriellen Betrieben gelangen." •„Sie machen gegen die Arbeit am laufenden Band Propaganda." •„…warum ein Arbeiter, der den ganzen Tag, jahraus, jahrein, mit der linken Hand eine Schleifarbeit ausführt, nach einiger Zeit mit der linken Hand zu essen beginnt. Und warum der unbeschäftigte rechte Arm und die ganze rechte Körperhälfte immer schwächer wird. Auf diese Gefahr, die mit der Arbeit am laufenden Band verbunden ist, muß man die jungen Arbeiter aufmerksam machen." • Muff als Kritiker Garbans •Garban fühlt sich ihm überlegen: • •173 •Ich kann Ihnen und allen Ihren Schülern Tag für Tag beweisen, daß mein System ein Segen ist! — Von nun an ist der Unterricht an unserer Schule öffentlich. Jedermann kann zuhören kommen und mitreden. Auch ich! Was meinen Sie dazu?" „Es entspricht durchaus meinen Wünschen.“ • • Muff als Kritiker Garbans •223 •Es war nicht zu befürchten, daß Muffs Vorträge und Lehren die Arbeiterschaft ermutigen würden, höhere Lohnforderungen zu stellen; er war im Grunde ungefährlich, weil er sich „nur mit höheren Dingen" befaßte. Aber er weckte „einen revolutionären Geist", den Garban zwar bei jedem seiner Besuche in der Schule mit Leichtigkeit umzubringen glaubte, aber immer aufs neue umzubringen genötigt war, weil Muff Garbans Beweisführungen einfach ignorierte und von der Heiligkeit des Lebens sprach, statt Garbans Frage, wo ein Arbeiter bessere Aussichten als in Kirstadt hätte, zu beantworten. Garban hatte nicht die Absicht, Muff deshalb zu entlassen oder gegen die aufrührerischen Unterrichts-methoden Protest zu erheben; • Garbansche Stahlmöbelfabrik •W. Garban, Kirstadt. Er las noch einmal die ausgeschnittene Zeitungsannonce, die er in dem Briefumschlag aufbewahrt hatte: „Wir suchen für unsere neu zu errichtende Privatschule mehrere akademisch gebildete, aber in erster Linie mit den Bedürfnissen der Arbeiterschaft vertraute Lehrer. Auf Lebenserfahrung wird mehr Wert gelegt als auf alles übrige. Beträchtliches Einkommen. Angebote an W. Garban, Stahlmöbelfabrikation, Kirstadt.„ •Der Mann im Straßengraben legte sorgfältig den Zeitungsausschnitt in den Briefumschlag zurück und las noch einmal den Brief, dessen Wortlaut er bereits so genau kannte, daß die nochmalige Lektüre nichts als eine Reflexbewegung seiner Ratlosigkeit war. • Die Entdeckung des Inserats als Fingerzeig des Schicksals? •Trotzdem hatte der gescheiterte Mann lediglich wegen dieser Namensgleichheit ein Bewerbungsschreiben nach Kirstadt abgesandt, von der abergläubischen Vorstellung geleitet, das unerwartete Wiederauftauchen des vertrauten Namens könnte ein Fingerzeig des Schicksals sein. •Er war nicht abergläubisch. Er glaubte nicht an Fingerzeige des Schicksals. Wenn es einen Himmel gab, dem irdische Geschicke nicht gleichgültig waren, um Muff kümmerte er sich nicht; wenn ein Gott lebte, der auserwählten Menschen ein Zeichen sandte — Muff war ein solcher Mensch nicht, das wußte er. Über seinem Geschick stand kein Himmel und kein Stern, ihm gab kein Gott ein Zeichen, er lebte im Nichts. Wechsel der auktorialen und personalen Erzählperspektive •Am zwölften November hörte er von Änne, Garban und Alice seien zurückgekommen. In den nächsten Tagen bekam er weder Garban noch Alice zu Gesicht. Zweimal besuchte Garban Frau Plötz, aber Muff sah ihn nicht, er wartete nicht mehr auf der dunklen Straße … Fiktionalisierung, Splitter der tschechoslowakischen Ereignisse in die Rückblende eingegangen •Sein Vater, ein ehrgeiziger Architekt, hatte leichtsinnig beim Bau eines fünf Stockwerke hohen Hauses eine minderwertige Zementmischung verwendet. Das fast fertige Haus war eingestürzt und hatte dreiundsiebzig Arbeiter getötet. • •Kaufhaus Jakesch, Na Poříčí, 46 getötet, 23 schwer veletzt. Am 9. Oktober 1928, beim Begräbnis am 16. Okotber 100 000 Menschen anwesend. • Camouflage im Tagblatt •Bitte, nennen Sie mich nicht Leutnant." •„Warum? Glauben Sie, ich würde hier mit Ihnen meine kostbare Zeit verschwenden, wenn Sie nicht mein Leutnant wären? Aber wie Sie wollen. Ich kann Sie auch bei Ihrem Namen nennen, wenn Ihnen das besser gefällt. Also sagen Sie, Muff, sagen Sie, lieber Muff: weshalb haben Sie vor zwei Jahren Ihren Posten verloren?" • •Dr. Muff und Frau Blum •Prager Tagblatt, Nr. 245, Mi, den 21. Oktober 1931, S. 2. • • Muffs Ablehnung des späteren Angebots der Arbeit bei Herrn Blum •Sie glaubten, Muff sei besoffen oder verrückt geworden. •Als er seine Frage, ob jemand sofort zu antworten wünsche, wiederholte, erhob sich ein Schüler, der zu den schlechtesten zählte, der Sohn eines reichen Hauses, der sich durch Frechheit hervorzutun pflegte…. •„Ein Gentleman hängt sich nicht auf." • 27. X. 1931: Max Brod: Industrieromane •Erik Reger Union der Festen Hand, 1931. Eine Antwort auf Winder? •Die Stadt des Kommenden •In: Walter Seidl: Der Berg der Liebenden. Erlebnisse eines jungen Deutschen. • •Die Welt geht den Weg, den die Kraft sie führt. •Tam se svět hne, kam se síla napře.