Jakob Wassermann (1873-1934) Das Los der Juden, Neue Rundschau 1904 Ein Bild, das Text enthält. Automatisch generierte Beschreibung Kommentar zum einleitenden Foto: Sein letztes Werk Joseph Kerkhovens dritte Existenz (1933 vollendet, erschien postum 1934) ist im Amsterdamer Exilverlag Querido posthum erschienen. Der Arzt und Psychiater Joseph Kerkhoven schon aus dem Roman „Etzel Andergast“ bekannt: Nimmt die Seele die Krankheit nicht an, so kann sie den Leib nicht ergreifen. Thomas Mann notiert über sein Treffen mit Wassermann in Zürich: HW. von seiner holländischen Reise zurück, sieht sehr schlecht aus und injiziert dreimal täglich Insulin. Seine Angelegenheiten stehen desolat. Er macht den Eindruck eines ruinierten Mannes. (Schneider-Handschin). Das Los der Juden, 1904 Ich glaube auch nicht an die Geschichte vom »Erbfeind«. [...] Wenn ein Semit und ein Arier auf eine einsame Insel verschlagen würden, sie würden sich zu verstehen, zu verständigen, zu lieben versuchen. Die Abneigung des Durchschnitts-Deutschen oder -Christen oder -Germanen gegen den Durchschnitts-Juden beruht auf Unwissenheit, auf versteinertem Misstrauen, auf religiöser Voreingenommenheit. Es gibt kein jüdisches Volk, vielleicht nicht einmal eine jüdische Rasse, doch alle wissen vom Juden, dem Gezeichneten, Auserwählten, mit Erinnerungen Beladenen, Schicksalserfüllten. Der Literat oder Mythos und Persönlichkeit, 1909 Der Jude als Europäer, als Kosmopolit ist ein Literat; der Jude als Orientale, nicht im ethnographischen, sondern im mythischen Sinne, mit der verwandelnden Kraft der Gegenwart, die er besitzen muss, kann Schöpfer sein. Der Jude als Orientale, 1914 Lieber Freund Martin Buber! Sie haben mich gebeten, ich möge eine auf Juden und Judentum sich beziehende Stelle in meinem Büchlein »Der Literat oder Mythos und Persönlichkeit« zugunsten einer Sammelschrift in ausführlicherer Weise, als es dort geschehen ist, also gleichsam erläuternd oder exemplifizierend, der Betrachtung würdigen und dabei das Angedeutete, Hingeworfene und scheinbar Beiläufige rechtfertigen, festigen und klarstellen. … [Der orientale Jude ist] noch im Besitz seiner Vergangenheit und [steht] daher bewußter und selbstverständlicher im Leben. [...] Sein Geist [hat] Muße für die innere Welt. Der Typus dieses Juden existierte in Spanien noch, als ihn die übrige Christenwelt längst vernichtet hatte. Den Mord hat Europa zu büßen. Der Jude als Orientale, 1914, zitiert ausführlich »Der Literat oder Mythos und Persönlichkeit«: In der Existenz des Juden gibt sich die schärfste Gegensätzlichkeit geistiger und seelischer Eigenschaften kund. Er ist entweder der gottloseste oder der gotterfüllteste aller Menschen; er ist entweder wahrhaft sozial, sei es in veralteten, leblosen Formen, sei es in neuen, utopischen, das Alte zerstörenden, oder er will in anarchischer Einsamkeit nur sich selber suchen. Entweder ist er ein Fanatiker oder ein Gleichgültiger, entweder ein Söldner oder ein Prophet. Das Schicksal der Nation, ihre Vereinzelung unter fremden Nationen, ihre ungeheuren wirtschaftlichen und geistigen Anstrengungen im Kampf gegen die widrigsten Umstände, der fortwährende Zustand der Abwehr, der Selbstbehauptung, das plötzliche Erwachen am Morgen eines Kulturtags, das leidenschaftliche Ergreifen der Hilfsmittel und Waffen dieser Kultur und die darauf erfolgte gewaltsame Unterdrückung und Zerschneidung der Tradition, all das hat die Juden als ganzes Volk zu einer Art von Literatenrolle vorbestimmt. Mein Weg als Deutscher und Jude erschien in einer Erstauflage von 15 000 Exemplaren, 1922 werden 5000 Exemplare nachgedruckt, verglichen mit den Romanen eine recht niedrige Auflage. Eine weitere Rezeption der Autobiographie setzt erst 1987 an. Als ich in New York, oft und oft, durch die Straßen von Bronx ging, stierte mich jüdisches Elend in solchen Massen an, daß es den Augen schwer wurde zu schauen. Dieses Riesenghetto hat eine Bevölkerung von eindreiviertel Millionen Seelen; in jedem Jahr wandern davon etwa tausend zu Wohlhabenheit und hundert zum Reichtum ab; diese Minorität bildet den Zündstoff für den Ofen des Antisemitismus, die Millionen werden ohnehin drin verbrannt. Verbrannt wird auf alle Fälle. Wenn auch nicht mehr wirklich, so doch in effigie, was die Dinge vor Gott um kein Jota besser macht. In der Zeit des ersten Kreuzzugs war es ein einzelner Mönch, der es fertigbrachte, daß in den Rheinprovinzen sechzehntausend Juden massakriert wurden und Selbstmord begingen; warum vermag im Bösen ein Einzelner so viel, und im Guten ein Einzelner fast nichts? (Selbstbetrachtungen, 1933) “ ... der Herd der Umtriebe, das Zentrum der Infektion, ist nach wie vor Deutschland. Das schmerzt. ... Es ließe mich nicht ruhen, auch wenn ich kein Jude wäre; den Stachel würde ich nicht los, ... das Gefühl einer brandigen Wunde am Körper der Nation.” (Selbstschau am Ende des sechsten Jahrzehnts, März 1933) Beatrix Müller-Kampel: ‚Biographie‘ – hier jene Jakob Wassermanns – als eine „konstruierte Flugbahn“, motiviert und zu einem nicht geringen Teil determiniert von sozial vordefinierten Positionen, Dispositionen und Positionierungen in den sozialen und literarischen Feldern der Zeit. Das heißt höchst konkret: den Blick nicht auf die großen Intentionen, sondern auf die kleinen Konkretisationen zu richten; nicht auf das Kunstverständnis, sondern auf den Habitus als einen „Praxissinn, der einem sagt, was in einer bestimmten Situation zu tun ist“; nicht auf Nimbus, sondern auf Herkunft; nicht auf veräußerlichten Geist und veröffentlichtes Gefühl, sondern auf Affären und Geld. Unter diesem Blickwinkel ergänzt sie dann die bekannten Biographischen Angaben: Ein reicher Onkel mütterlicherseits, einFächerfabrikant Paul Heyse 1895 engagiert Ernst von Wolzogen Wassermann als Sekretär. der im Feld herrschende und die Kunstspieler beherrschende legitime ‚Geschmack‘ •Michael Pollak: Wien 1900. Eine verletzte Identität. Konstanz 1997. •Die große Wende in der Geschichte des 19. Jahrhunderts : das Aufkommen des (politischen) Antisemitismus, vor allem die christlichsoziale Massenbewegung mit ihrer Kulmination unter Lueger. •Die Identitätsarbeit der Bedrohten bezieht sich vor allem auf die Bereiche nationale Zugehörigkeit, ästhetische Präferenzen und Geschlechterverhältnis. •Die unpolitische L'art pour l'art- Bewegung Jung-Wiens erhält - so die Pointe Pollaks - eine unerwartete Wendung ins eminent Politische; und die Schorske-Hypothese wird geradezu invertiert. (Albert Müller) •Schorske besteht auf einem Zusammenhalt der gesamten Elite in Wien (im Unterschied zu Berlin, Paris oder London, S. XVI) und auf dem Bruch mit der historischen Anschauung. Moritz Goldstein, Deutsch- jüdischer Parnass. Kunstwart, Jg. 25, Heft 11, 1912, S. 281-94 Programm einer deutschsprachigen jüdischen Nationalliteratur •In der Tat: für einen produktiven oder sonstwie an der Kultur mitarbeitenden deutschen Juden wäre die einzige Rettung aus der Halbheit, aus dem Zwitterwesen, aus Verleumdung und Verdächtigung, aus Ungerechtigkeit und Übelwollen: der Sprung in die neuhebräische Literatur. Die einzige Rettung und zugleich die unfehlbar sichere: hier ist jungfräulicher Boden, sind Schaffensmöglichkeiten ins Unendliche, und hier hört jede ungerechte Vergleichung auf, hier wird kein Widerstand der Wirtsvölker gegen „Verjudung“ ihrer Nationalliteratur mehr geweckt, hier wird das Wort Jude von selbst zum Ehrennamen; denn hier mit einem Male hat es keinen Sinn mehr, von uns etwas andres zu verlangen, als dass wir jüdisch sind, mit Leib und Seele, mit Sitten, Anschauungen, Empfindungen, mit Vorzügen und Fehlern. Wohl jenen Glücklichen, die auf dieser Bahn nach der Palme laufen dürfen! •Uns andern aber geht es wie Moses, der das gelobte Land schauen, doch nicht betreten durfte. Wir aus dem Ghetto Entlaufenen, wir glücklich-unglücklichen Erben westeuropäischer Kultur, wir Ewig-Halben, wir Ausgeschlossenen und Heimatlosen, wir können mit dieser neuen Möglichkeit nichts anfangen, der junge Frühling, der aus den alten Stämmen hebräischer Sprache längst zu keimen begonnen hat, für uns grünt er nicht, über unserm Leben steht das graue Wort: sich abfinden! [291] • • Moritz Goldstein, Deutsch- jüdischer Parnass •Denn wir deutschen Juden, wir heute Lebenden, wir können ebensowenig hebräische Dichter werden, wie wir nach Zion auswandern können. Oder mit andern Worten: so sehr wir wünschen müssen, jüdische und nichtjüdische Deutsche kulturell reinlich voneinander zu scheiden, um aus dem Kompromiss, der Halbheit, der Menschen- und Mannesunwürdigkeit herauszukommen, so unmöglich scheint das, wenigstens in absehbarer Zeit. Denn trotz Verfolgung, Verhöhnung, Missachtung ist das Judentum im Laufe einer mehr als tausendjährigen Gemeinschaft mit dem Deutschtum so eng in den Wurzeln verwachsen, dass beide nicht mehr voneinander gelöst werden können. •… •Wir predigen zwar nicht [293] mehr eine „mosaische Konfession“, sondern glauben an ein jüdisches Volk mit angeborenen unverwischbaren Merkmalen. Aber so einfach, wie sich in gewissen Köpfen hüben und drüben die Welt malt, ist sie denn doch nicht. Germanen und Juden als Gegensätze zu behandeln, ist eine Vergewaltigung, eine Fälschung. Mag uns immerhin manches trennen: was wir gemein haben, ist mehr, wenn man nur ehrlich genug ist, das Verbindende zu sehen. Denn wären wir auch nirgends sonst Genossen, so sind wir doch gewiss Zeitgenossen und haben alles miteinander gemein, was die Zeit an Aufgaben und Forderungen an uns heranträgt. … •Der dämonisch-lasterhafte Shylock und der karikierte oder gutmütig-komische Trödeljude – bisher gab es fast nur diese beiden Extreme. Der Jude, der unser Ebenbild ist, unser jüdisches Ideal des Juden fehlt noch. Jüdische Dichter, heran! • Kriegsglück •1914 der Diplomat Edgar Spiegl von Thurnsee, und seine reiche Frau bauen Wassermann ein Hauses in Grinzing. •Entwurf von Oskar Strnad (1879–1935). •Das Gänsemännchen, Feldpostausdgabe Ein Bild, das Text, Gras, draußen, alt enthält. Automatisch generierte Beschreibung Steigerung der Honorarforderungen •der Wiener Bankier Paul Goldstein bezahlt die Villa in Altaussee, wohin JW 1919 mit seiner zweiten Frau Marta Karlweis einzieht. •Neben Hesse und Thomas Mann ist Wassermann der dritte große „Geldverdiener und ‑bringer des S. Fischer Verlags.“Müller-Kampel •Die Verzweiflung, mit der Wassermann am Ende wider jede ökonomische Einsicht an der Altausseer Villa festzuhalten sucht, erhellt den Stellenwert dieses Hauses im Selbstverständnis des Autors: In ihm haben sich Akzeptanz und Erfolg im Feld sozialgeographisch materialisiert, mit ihr verlöre er nicht nur seinen Platz in der Sozialhierarchie, sondern alles und somit sich selber. (Müller-Kampel) Ein Bild, das Gras, draußen, Baum, Himmel enthält. Automatisch generierte Beschreibung Kommentar Müller-Kampel Ein Bild, das Text, draußen, Person, darstellend enthält. Automatisch generierte Beschreibung •Andienen und Anbiedern, das dem Dichter in seinen fatalen familiären, schulischen und ersten beruflichen Milieus zur zweiten Haut wurde •Der sozialen Aufsteiger aus der fränkischen Provinz hatte eine fränkische Aussprache, seine Seitensprünge passten nicht zum Image eines vornehmen Mitglieds der High society, sein Schreibstil wies kolportagehafte Züge auf. • 12 In sozialer Hinsicht mußte ich mich als Geächteter fühlen; ich war es auch, denn ich lebte so. Wer aus der Tiefe emporkommt, neigt, wenn er eine gewisse Höhe erlangt hat, gern dazu, seine finsteren Erfahrungen mit einem Goldsaum zu umbrämen. Er vergißt die Niedrigkeit um so bereitwilliger, als sie ihn gezwungen hat, niedrig zu sein, niedrig zu denken, niedrig zu handeln. Das ist unvermeidlich, und der es leugnet, lügt. Es erfordert im günstigsten Fall eine lange Zeit und lange sittliche Arbeit, damit die Seele von dem Schmutz und Unrat gereinigt wird, mit dem sie beworfen worden ist, mit dem sie sich bedeckt hat. Es ist geradezu eine Erneuerung nötig, und erst, wenn Erneuerung stattgefunden hat, wird Sinn und Frucht des Leidens offenbar. Der Mensch in der Qual ist gar nicht fähig, Erfahrungen zu machen und Resultate zu ziehen; ein angstvoller Geist kann weder lehren noch formen. Der Zuschauerirrtum, der dem Elend zeugende Macht zuschreibt, entsteht daher, weil die zahllosen im Elend Versunkenen keinen Einwand gegen dieses freche Luxusdiktat erheben können. Entkommt einer der Gefahr, so darf er die Gefahr preisen; der Gesicherte bescheide sich, selbst wenn er die rühmt, die für ihn ihre Haut zu Markte tragen. Am Rand der Gesellschaft stehend, haarbreit neben dem Abgrund, galt ihr meine Sehnsucht. Das Verlangen, von ihr aufgenommen und anerkannt zu werden, als Gleicher unter Gleichen, überwog jedes andere. Die Frage, ob Jude oder Deutscher, war zunächst unwichtig geworden gegen die, wie ich zu den Menschen kommen konnte. Ich wurde Sekretär bei einem sehr geschätzten Schriftsteller, der, obwohl nicht mehr jung, die Sache der Jungen zu seiner Sache gemacht hatte und dadurch allerdings mit der angeborenen Begabung in Zwiespalt geriet, die ihn mehr in bürgerlich-behagliche Bahnen wies. Er diktierte mir seine Romane und Erzählungen, Es hat sich keine Auslese vollzogen, es ist keine Gemeinschaft entstanden, es ist ein zufälliges In-, Mit- und Gegeneinander mehr oder weniger begabter, mehr oder weniger guter, mehr oder weniger zielbewußter, ehrgeiziger oder verbitterter oder entzündlicher Einzelner. Es sind in der Mehrzahl Entlaufene, Entgleiste, sozial Verwundete und Kranke; Exponierte alle. Ihrem Zirkel, ihrer Erde sind sie alle entflohen, nicht um frei zu sein, sondern freischweifend, ob es nun Proletarier, Bürger oder Aristokraten sind. Sie bauen daher nicht auf einem gegebenen Fundament; sie müssen sich das Fundament erst errichten, und zwar jeder für sich und auf seine Weise. So vergeuden sie von vornherein Blut, Kraft und Geist für etwas, das Voraussetzung und Mitgift sein sollte. Sie zersplittern sich, ummauern sich, keiner hat die Bindung mit dem Volk, den Rückhalt an ihm, ja, das Volk beargwöhnt und verleugnet sie, es ist keine Mitte da, keine Übereinkunft, kein Vertrauen vom einen zum andern, nicht einmal Respekt vor der Arbeit oft, und auch wo wahrhaft Berufene sich vereinen, bilden sie Partei und hochmütige Sippe. Die beiden literarischen Felder „Wiener Moderne“ und „S. Fischer“ •Es ist die Welt des ästhetisch-formalen und stofflich-thematischen Diskurses, der soziale Bedingungen und Verhaftungen konsequent in Abrede stellt – doch wie jede Kulissenwelt mit der dahinter verborgenen engstens verbunden ist und diese in den unterschiedlichsten Facetten repräsentiert. •Extensive psychologisierende Innensichten und Erlebte Reden favorisieren die Identifikation mit den Figuren, ebenso sparsam wie gezielt plazierte auktoriale Kommentare, kameraähnliche Perspektivierungen und ironische Fraternisierungen mit dem Leser … Erwerbszwang, Erwerbswille und wohl auch anfängliche Unsicherheit bei der Selbstpositionierung im fremden Feld führen ihn dazu, sich allgemein üblicher, immer öfter als ‚trivial‘ gebrandmarkter Ausdrucksformen zu bedienen (Müller-Kampel) 19 Es widerstrebte mir das, was sie die jüdische Nation nannten, rundweg gesagt, denn mir war, als könne eine Nation nicht von Menschen gewollt und gemacht werden; was in der jüdischen Diaspora als Idee davon lebte, schien mir besser, höher, fruchtbarer als jegliche Realität; was war gewonnen, so schien es mir, wenn im Jahrhundert des Nationalitätenwahnsinns die zwei Dutzend kleinen, in Hader verstrickten, aufeinander eifersüchtigen, einander zerfleischenden Nationen durch die jüdische zwei Dutzend und eine geworden wären? Historisch-psychologisch betrachtet, war ich vielleicht im Recht; die aus der Not geborene Erscheinung gab mir in jedem Augenblick Unrecht. Und die Not baut den Weg. [...] Ich konnte den oder jenen würdigen, schätzen, lieben, weil er so war, wie er war, eben dadurch würdigens-, schätzens-, liebenswert. Ich konnte aber nicht eine Gruppe, eine Gesamtheit würdigen, schätzen und lieben, nur weil man mich in den Verband einschloß. Thomas Mann Reaktion: Manns Vorwürfe wird man als durchaus repräsentativ für all jene einschätzen dürfen, die hinter Wassermanns Appellen und Beschuldigungen nichts anderes wiedererkennen wollten als den gekränkten Ehrgeiz, die verletzte Eitelkeit und Empfindlichkeit eines Künstlers, der sich noch immer nicht ausreichend anerkannt und bezahlt erachtete. Ähnliches unterstellen, wenn auch aus entgegengesetzter Position, Felix Weltsch, Bibliothekar und Herausgeber der in Prag erscheinenden zionistischen Wochenschrift „Selbstwehr“, und der führende Funktionär zionistischer Organisationen Robert Stricker in seiner Zeitschrift „Die Neue Welt“. Hinter Wassermanns Kritik an der, wie es ihm scheint, mangelnden Assimilationsfähigkeit und ‑bereitschaft vor allem ostjüdischer Immigranten vermuten beide nichts anderes als das geschichtsblinde Renegatentum eines Sozialaufsteigers. 22 Der unheimliche Extremismus mancher Juden: Warum ist gerade aus dem altehrwürdigen, in heiligen Traditionen ruhenden Judentum der politische Radikalismus erwachsen? War der zermalmende Druck die Ursache? Ist die Spannung zwischen Sehnsucht und Erfüllung unerträglich geworden, so daß die Dämme brachen? War es die These nur, die die Antithese erzeugte? War der Kulturaufstieg gewisser Gruppen zu jäh und hat ihnen den Boden unter den Füßen entzogen? Ist es Herrschgier? Ist es Sklavenaufstand? Ist es Aposteltum und Märtyrertrieb oder herostratisches Gelüst? Fragen über Fragen, die zu beantworten ich außerstande bin. Diese Angriffe auf den Zionismus lösten heftige Reaktionen aus.