Guy P. Marchai Von den Anfängen des Territorialstaates Luzern Beiträge zur Frühgeschichte des Kantons Luzern Mit einer Studie von Waltraud Hörsch: Adel im Bannkreis Österreichs Helbing & Lichtenhahn Basel 1986. 4. Kapitel: Die Auseinandersetzung um das Luzerner Burgrecht Luzern befand sich - das ist das Ergebnis der vorangegangenen Untersuchungen - in einer Zone zunehmender Herrschaftsverdichtung. Die Belehnung von Luzerner Bürgern mit österreichischem Lehen war an sich von geringer politischer Bedeutung und hatte mit der Stadt selbst nur indirekt zu tun; es war die Angelegenheit einzelner wohlhabender Bürger. Anderseits ist es allgemein bekannt, daß die Aufnahme von sogenannten Ausbürgern gerade bei Luzern eine wichtige Komponente der unmittelbaren Vorgeschichte der Schlacht bei Sem-pach darstellt. Will man das frühe Verhältnis Luzerns zum umliegenden Land feststellen, so muß man sich mit dieser Erscheinung auseinandersetzen. Wie sah nun diese Burgrechtspolkik aus? Inwiefern war sie eine Reaktion der städtischen Kommune auf den Strukturwandel der österreichischen Herrschaft? Welche Resultate hat sie gezeitigt? Diese Fragen stellen sich, wenn man das erste Ausgreifen des städtischen Gemeinwesens als solches - und nicht einzelner Bürger - auf das Land verfolgen will. Nun bildet sich um jede Stadt, unabhängig von diesem politisch-rechtlichen Einbezug des Umlandes, eine Einflußsphäre, in der sie in vielfältiger Beziehung eine zentral-örtische Funktion ausüben kann. Diese Einflußsphäre läßt sich aus den sozial- und wirtschaftsräumlichen Verflechtungen der Stadt ablesen. Sie seien zunächst skizziert und damit der vorgegebene geographische Rahmen abgesteckt, zu dem die Luzerner Burgrechtspolitik in Beziehung zu bringen ist. I. Die sozial- und wirtschaftsräumliche Verflechtung der Stadt Luzern in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Für das 14. Jahrhundert ist die Abklärung der Zentralitätsfunktion einer Stadt von der Quellenlage her meist nur beschränkt möglich, und Luzern macht hier keine Ausnahme. Soll nämlich das gewonnene Bild repräsentativ sein, so muß mit Quellen gearbeitet werden, die in einer gewissen Dichte über einen längeren Zeitablauf vergleichbare Aussagen machen. Das ist für die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts in Luzern allein für das älteste Bürgerbuch der Fall, wo seit 109 1357 in zunehmender Regelmäßigkeit die Bürgeraufnahmen registriert wurden. Die übrigen Quellen, wie vor allem die urkundlich belegten Rechtsgeschäfte von Luzernern auf dem Lande, sind im 14. Jahrhundert noch zu selten; ihre Überlieferung ist zu sehr zufallsbedingt und ihre Auskünfte sind zu punktuell, als daß wir einen repräsentativen Überblick gewinnen könnten. Eine weitere Möglichkeit besteht, wenn sich ein für die Stadt signifikanter und überschaubarer Besitzkomplex untersuchen läßt. Das trifft für das Spital mit gewissen, sich aus der Quellenlage ergebenden Vorbehalten zu. Die Frage nach dem sozial- und wirtschaftsräumlichen Interessenkreis der Stadt in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts soll daher anhand der Bürgernamen und ergänzend des Spitalbesitzes beantwortet werden. 1. Die Herkunft der Luzerner Bürger Die Lebensfähigkeit jeder mittelalterlichen Stadt war in erheblichem Maße von der Zuwanderung aus dem Lande abhängig. Daraus ergab sich von Anfang an ein steter Austausch zwischen Stadt und Land. Die Landleute bevorzugten aus verschiedensten Gründen die Stadt, in die sie zogen und in der sie sich zu Bürgern aufnehmen ließen. Mit dieser Bevölkerungsbewegung hängt nun eine namenkundliche Erscheinung zusammen, die für unsere Fragestellung aufschlußreich ist. In den Städten hat sich die Gewohnheit ausgebreitet, die Bewohner nach dem Ort zu benennen, aus dem sie zugezogen waren. Die einfachste Form dieses Namentyps ist der mit dem Präfix «von» vor dem tatsächlichen Herkunfts- oder dem letzten Aufenthaltsort1. Im Luzerner Bürgerbuch lassen2 sich zwei Arten unterscheiden: einerseits die eigentlichen, die einfachen Herkunftsnamen, bei denen dem Personennamen allein die Herkunftsbezeichnung folgt, zum Beispiel «Ueli von Ruswil», «Klaus von Heratingen», anderseits jene komplexen Namenbildungen, bei denen die Herkunftsbezeichnung zusätzlich zu einem Familiennamen anderen Typs - etwa jenem der Berufsbezeichnung - tritt, zum Beispiel «Schnider von Wangen» oder «Jenny Bannwart von Schötz». Der zweite Typ kommt seit Beginn der neunziger Jahre immer regelmäßiger vor3. Es versteht sich, daß dieser Typ im Hinblick auf die tatsächliche Herkunft des Neubürgers noch viel aussagekräftiger ist als die einfache Herkunftsbezeichnung. Diese Herkunftsnamen erlauben es nun, das gesellschaftliche Beziehungsgeflecht der Stadt geographisch zu orten, wobei nicht nur die Tatsache in Rechnung zu stellen ist, daß die Neubürger eben nach Lu-zern und nicht in eine andere Stadt zogen, sondern auch die Tatsache, daß sie eben nach ihrer Übersiedlung in die Stadt naturgemäß in Verbindung mit ihrer Landschaft blieben. Auf Karte 8 und 9 sind die Herkunftsorte der Neubürger aus dem Jahre 1357 bis 1384 eingezeichnet4, undzwar in zwei Schnitten: 1357-1369 und 1370-1384. Was sofort erkennbar wird, ist die Häufigkeit der Belege im Reußtal bis zum Einfluß der Lorze, in der Region westlich des Zugersees und im Seetal bis nördlich des Baldeggersees. Vergleichsweise wenige Neubürger kommen aus dem Suren- und Rottal und aus den Ämtern Wolhusen, doch nehmen sie im Laufe der Zeit eher zu; auffallend vor allem in Willisau seit Mitte der siebziger Jahre5. Bestimmend bleibt aber auch dann noch die Reuß- und Seetalachse. Aus den Herkunftsnamen der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ergibt sich so ein ähnliches Bild, wie es für die Luzerner Führungsschicht um 1330 aufgezeigt werden kann6. Offenbar hat sich verkehrsmäßig die alte Reuß- und Seetallinie auf die Beziehung zwischen der Stadt und der Landschaft auch weiterhin ausgewirkt. Dagegen scheinen die Verbindungen ins Wolhuser und Willisauer Amt sowie in die Gegend des Sempachersees, des Suren- und Winentals noch verhältnismäßig spärlich gewesen zu sein. Das ist umso beachtlicher, als ja die neue Hochstraße, \l die den Gotthard und Elsaßverkehr erschloß, über Rothenburg, Sempach, Sur- /'■ see führte. Diese geringe Beziehung darf aber kaum auf eine in diesem Gebiet' auf die Kleinzentren Rothenburg, Sempach und Sursee abgestützte Machtstellung Österreichs zurückgeführt werden. Luzern besaß ja - wie wir sehen werden - seit 1361 die ausdrückliche Bewilligung Herzog Rudolfs IV., Leute «aus C [ seinen Landen» zu eingesessenen Bürgern anzunehmen. Der Einbürgerung \ von Leuten aus dem österreichischen Machtbereich stand also rechtlich nichts entgegen. Viel mehr Gewicht wird der altgewohnten Ausrichtung Luzerns, wie f^JV sie sich in der Murbacherzeit entwickelte, als Luzern noch ein Klosterhof unter p anderen gewesen war, zugekommen sein. Diese aber wies mit den Höfen Em- i *~ men, Buchrain, Adligenswil, Küßnacht, Lunkhofen seit jeher ins Reußtal in A^L nordöstlicher Richtung auf den Bützberg hin. 2. Die Güter des Heilig-Geist-Spitals Wir haben eingangs den Spitalbesitz als für eine Stadt signifikant bezeichnet; das sei hier kurz begründet. Es ist eine grundlegende Erkenntnis der Spitalgeschichte, daß seit dem 13. Jahrhundert das ursprünglich rein kirchlich-bruderschaftliche Spitalwesen im städtischen Umfeld zusehends eine Verbürgerlichung erfährt und unter die Verfügung und Kontrolle des städtischen Rates, vertreten durch bürgerliche Verwaltungsorgane, gelangt7. Das Spital bot sich dabei als wirkungsvolles Instrument an, das es dem städtischen Rat ermöglichte, den Güterfluß an die sogenannte «tote Hand» einzudämmen. An 110 111 die Kirche gestiftetes Gut war ja nicht mehr rückrufbar und vor allem auch nicht besteuerbar, für die Stadt also wirtschaftlich verloren. Dadurch, daß die Stiftungen an das von städtischen Pflegern verwaltete Spital gezogen wurden, blieben sie der Bürgerschaft erhalten - ohne daß dabei die fromme Zielsetzung der Stiftung beeinträchtigt wurde. Diese rechtliche und wirtschaftliche Funktion des Spitals, ganz abgesehen von seinem gemeinnützigen Zweck, führte dazu, daß es von der stiftungswilligen Bürgerschaft zunehmend bevorzugt wurde. Aus diesen Gründen kann die Frage nach dem Spitalbesitz für jenen, der sich ein Bild über die wirtschaftsräumliche Verflechtung einer Stadt machen will, recht aufschlußreich sein: Spitalbesitz zeigt, sei es nun, weil er von Bürgern aus ihrem Gut gestiftet worden war, oder sei es, weil er von einer bürgerlichen Pflegerschaft verwaltet wurde, in besonderer Weise die städtische Interessenlage auf dem Umland auf. In Luzern entspricht die Entwicklung des Heilig-Geist-Spitals, soweit aus den spärlichen Quellen erkennbar, dem allgemeinen Rahmen8. Doch ist es gerade beim Güterbesitz schwer, Aufschlüsse für unsere Frage zu erhalten und eine differenzierte Interpretation des Tatbestandes zu geben. Dies vor allem aus zwei Gründen: Unverkennbar ist die kirchliche Stellung zu Luzern im Vergleich zu andern Städten sehr stark gewesen. Während des ganzen 14. Jahrhunderts ist der Propst von St. Leodegar Oberherr des Spitals geblieben. Ein wirtschaftlicher Grundstock war aus Propsteigütern vorgegeben und während des ganzen 14. Jahrhunderts wurden dem Propst die Rekognitionszinsen hiefür regelmäßig entrichtet. Städtischerseits war man seit Beginn des 14. Jahrhunderts an der Bestellung des Spitalmeisteramtes beteiligt. Und ebenso wie anderswo läßt sich feststellen, daß durch Schenkungen von bürgerlicher Seite begonnen wurde, das alleinige Verfügungsrecht des Propstes zu durchbrechen. Aber 1319 wurde vom Spitalmeister u. a. auch verlangt, daß das Spital anderes Gut als Propsteilehen nicht besitzen durfte. Gestiftete Güter und Lehen hatte er daher jeweilen zu veräußern, aus dem Erlös freies Eigen zu erwerben, dieses dem Propst aufzugeben und als Propsteilehen wieder zu empfangen. Diese Maßnahme verunmöglicht es uns zum vornherein, die ursprünglich durch Stiftungen und Schenkungen eingeleiteten Güterbewegungen zu erkennen. Dazu kommt nun die für das 14. Jahrhundert sehr geringe Quellendichte und der fehlende inhaltliche Zusammenhang dieser Überlieferung. Wohl besitzen wir urkundliche Hinweise auf Schenkungen eines Werner Rickenbach oder eines Heinrich des Stanners aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts, die in der Regel die nähere Umgebung südwestlich Luzerns betreffen9, sowie auf zwei geographisch etwas entlegenere Erwerbungen10. Auch die Propsteirödel geben Auskunft über eine weit ausgreifende Güterlage des Spitals". Aber wie wir 1421 zum ersten Mal die Möglichkeit erhalten, den Gesamtbesitz des Spitals zu überschauen, sind diese frühbelegten Güter zum größten Teil bereits wieder aus dem Besitz ausgeschieden12. Wann und wie dies geschah und wann und woher die zahlreichen neuen Güter dem Spital zugewachsen waren, können wir nicht mehr feststellen. Immerhin zeigt es sich, daß Besitzungen, über deren erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts erfolgter Erwerb wir orientiert sind, in den Urbaraufzeichnungen von 1421 noch nicht erfaßt wurden13. Dies läßt die Annahme zu, das Urbar von 1421 spiegle im allgemeinen - Ausnahmen müssen in Kauf genommen werden - den Besitzstand zu Ende des 14. Jahrhunderts wider. In diesem Sinne ist die über den Spitalbesitz erstellte Karte zu verstehen: Sie gibt lediglich den mutmaßlichen Spitalbesitz um 1400 wieder. Daneben sind auch jene Güter eingetragen, die im 14. Jahrhundert belegt, aber 1421 nicht mehr verzeichnet sind, sowie jene, die in den späteren Urbarien als Erwerbungen des 15. Jahrhunderts erscheinen. Bei der Kartierung ist auch das wirtschaftliche Gewicht der einzelnen Güter dargestellt worden, wie es sich aus den Urbarien des 15. Jahrhunderts ergibt14. Trotz der quellenkritischen Restriktion, die wir vornehmen mußten, läßt die Karte den Schluß zu, daß auch die wirtschaftsräumliche Verflechtung der Stadt Luzern im 14. Jahrhundert zur Hauptsache auf das Reuß- und Seetal ausgerichtet war. Die vereinzelten Streubesitze in der Schwellenregion und beim Sempachersee berühren diese Aussage nicht: Sie stehen zum größeren Teil im Zusammenhang mit dem Propsteigut und nicht mit den Besitzungen der Stadtbürger". Erst im 15. Jahrhundert, in großem Umfang erst nach 1415, wachsen dem Spital jene Besitzungen in Ruswil, Willisau und im Surental zu, die fortan die Hauptgrundlage der Spitalwirtschaft bilden sollten. Interessant ist hier, daß 1384, also zu einer Zeit, wo die Bürgeraufnahmen gerade in Willisau besonders angewachsen waren, es auch zu einem Kauf des Luzerner Spitals in Willisau gekommen ist16. Die Besitzverhältnisse des Heilig-Geist-Spitals, zu Luzern zeigen so mit genügender Deutlichkeit, daß die wirtschaftsräumliche Verflechtung Luzerns sich mit der sozialräumlichen deckt. Luzern war sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich im 14. Jahrhundert weiträumig auf das See- und Reußtal17 und nach Osten hin bis in die Region westlich des Zugersees ausgerichtet. Vergleichen wir das durch dieses Beziehungsgeflecht erfaßte Gebiet mit den Ämtern des Habsburger Urbars, so zeigt sich eine Überdeckung vor allem im Bereich Rothenburgs, Meienbergs und Richensees. 114 115 10 Karte Der Besitz des Heilig-Geist-Spitals Luzern um 1400 Höhe der Einkünfte in Stuck o bis 5 O 5,1-10 O 10,1-20 Q 20,1-40 ■ Besitzungen 14. Jh., nicht mehr im Urbar 1421 erfaßt • Urbar 1421 Jahreszahlen: früheste Belege o Urbar 1461 o 60 (Ruswil) 140 (Willisau) Besitz des Hl. Geist-Spitals von Luzern um 1400 (ohne Stadt und unmittelbare Umgebung, ohne Innerschweiz) cod. cod. cod. Grösse 3030 3030 2555 Erste Erwähnung in Stuck Ort 1421 1431 1461 ff oder Erwerbung 4 Amt Richensee X X (Nunwil, Gelfingen) 3,5 Gelfingen X X 13 Winterschwil (Meienberg) X X X 37,6-40,2 Weggis X X 3,3 Linau, Staffeln X X 2,6-3,5 Ligschwil X X 31,85 Emmen X X X 1 Littau, Staffeln X 12,6-16,3 Kriens X X X QWl/2no. 993 (1319) 10,2 Lieli X X X 3,9 Kleinwangen X X 3,5 Gelfingen X X 1 Aesch X X 36-48 Rumentikon X X 2,-5 Küßnacht X 8,1-10,65 Waltwil X X QWII/3,199(1320) 1-6,5 Buchrain X X 1,3 Ferren X X 1,3 Reussegg X 4,3 Neuenkirch X X QWII/3, 199 (1320) 3,1 Sempach X X QWII/3, 199(1320) 1 Hochdorf X X 1 Urswil X X 1,3 Tannenfels X X QW 1/2, no. 1248 (1324) 0,4 Nunwil X X 2,5 Helliswil X 140 Willisau X Gfr. 7, 1851, 81 no. 31 (1384), 89 no. 56 (1417) 14,1-15,1 Büron X 1,7 Triengen X 1,1 Rottertschwil X QWI/2, no. 1375 (1327) 54,6-65 Ruswil X Gfr. 7, 1851, 84 no. 42(1404), 91 no. 60 (1419) Quellen: QW 1/2 u. QW II/3; Urkunden-Regesten des Bürgerspitals zum heiligen Geist in Luzern (1245-1520), in Gfr. 7, 1851, 68-118. - StALu cod. 3030, 2555 116 117 II. Das Ausburgerwesen Die mittelalterliche Stadt stellte einen von der Landschaft gesonderten Rechtskreis dar, der die Einwohner über die grundherrlichen Abhängigkeiten und Untertanenverhältnisse heraushob, wie es in den das Umland überragenden, Stadt und Land trennenden Ringmauern sichtbar zum Ausdruck kam. Dieser Rechtskreis beinhaltete vor allem Rechtsschutz gegen außen, eigene Gerichtsbarkeit und genossenschaftliche Selbstverwaltung im Innern, beides Grundlagen für ein geregeltes Gewerbe, für freien Handel und Wandel. Bürger wurde man ursprünglich, indem man in der Stadt Grund und Hofstatt erwarb. Des Bürgerrechtes teilhaftig und von seinem Grundherrn unbelangbar konnte auch jeder Leibeigene werden, wenn er Jahr und Tag in der Stadt wohnte, ohne von seinem Herrn zurückgefordert worden zu sein. Grundsätzlich war es also der tatsächliche Übertritt von der einen in die andere Rechtssphäre, vom Land in die Stadt, der die Teilhabe am städtischen Recht begründete. Schon sehr früh, wohl seit es mittelalterliches Stadtrecht gab, lag bei dem ständigen Austausch zwischen Stadt und Land die Tendenz nahe, Landleute zu Bürgern aufzunehmen, die nicht in die Stadt übergesiedelt waren, die schließlich auf dem Lande sitzen blieben. Jedenfalls bildet das Verbot dieser Erscheinung seit Friedrich II. (Constitutio in favorem principum von 1231) und dem wichtigen Mainzer Reichslandsfrieden von 123518 ein regelmäßig wiederkehrendes Traktandum. Bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts hatte also das Überwuchern des städtischen Rechtskreises ein solches Ausmaß angenommen, daß man sich veranlaßt sah, von Reichs wegen dagegen einzuschreiten, Bemühungen, die offensichtlich nur von geringem Erfolg waren. Galten die Verbote zunächst nur den «phalburgere», so ging die goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356 einen Schritt weiter und verbot - ebenfalls erfolglos - alle Formen von Ausbürgern". Damit sind verschiedene Arten von Ausbürgern angesprochen, die es zu unterscheiden gilt20. Bei den erwähnten Pfahlbürgern21 handelt es sich um Landleute, welche zu einem Landes- oder l3rimdlierrn in irgendeinem Abhängigkeitsverhältnis standen, sei dieses nun vogteilicher, grund- oder leibherrlicher Art, und zugleich zu einer Stadt in bürgerrechtliche Beziehungen traten. Aus dieser doppelten Rechtsverbindung ergab sich eine konfliktträchtige Situation zwischen herrschaftlichem und städtischem Anspruch. Die herrschaftliche Seite bezeichnete solche Ausburger als «falsi cives», falsche Bürger, eben Pfahlburger - so die gängige etymologische Herleitung -, und erstrebte ihr Verbot. Die städtische Seite sprach unterschiedslos höchstens von «usburgern» und vermied schon sprachlich den ominösen Pfahlburgerbegriff. Dadurch wird in den Quellen der Unterschied zu einem weniger brisanten Ausburjejverhältnis verwischt: In ein rechtlich anerkanntes Ausburgerverhältnis konnten nämlich Leute freien Standes, Ritter und Adlige, Inhaber eigener Herrschaften, treten, wobei das beiderseitige Interesse vor allem auf die militärische Hilfe, die gegenseitige Ergänzung von befestigter Stadt und ländlicher Burg zum Wirken kam. Oft werden diese Ausburger auch Edelburger genannt. Auch wenn diese Ausburgerart grundherrliche Verhältnisse nicht mehr berührte, konnten doch von herrschaftlicher Seite Einsprüche erfolgen, sobald die landesherrlichen Interessen intensiver wurden, und so sind es ja in der goldenen Bulle von 1356 gerade auch diese Ausburgerverhältnisse, die verboten worden sind. Die Regelung der durch die Ausburger geschaffenen Konfliktsituation erfolgte nun nicht durch die strikte Anwendung von irgendwelchen Rechtsgrundsätzen - der Mißerfolg der kaiserlichen Gesetzgebung zeigt dies schon zur Genüge -, sondern im Widerstreit der verschiedenen Interessen der Stadt, der Herrschaft und der betroffenen Landbevölkerung. Die Dynamik dieser Auseinandersetzung wurde zudem bestimmt durch die wirtschaftliche und machtpolitische Konstellation im betroffenen Raum. Dieses komplexe Kräftespiel im kleinen Raum - es ist Inhalt und Thema der Ausburgerfrage. Die Städte konnten mit der Aufnahme von Ausbürgern verschiedene Zwecke verfolgen. Wirtschaftlich stellte das Ausburgerwesen einen der gangbaren Wege dar, mit geringem Aufwand unmittelbar an die Erträge ländlicher Agrarproduktion heranzukommen oder sich diese zu sichern: Durch die bürgerrechtliche Verbindung \ / bot die Stadt dem Landmann marktrechtliche Vorteile in der Stadt an, was zu- \ gleich ihre Versorgung verbesserte. Deutlich läßt sich dies bei den elsässischen/ \ Reichsstädten und Straßburg erkennen, wo das Ausburgerwesen in besonderer Blüte stand. Je nach dem Vorgehen der Städte läßt sich auch als Motivation die Gewinnung weiterer Finanzquellen erkennen. Das gilt vor allem dort, wo mit dem Ausburgerverhältnis neben der Aufnahmegebühr die Verpflichtung zu jährlichen Zinszahlungen verbunden war, wie es in Bern und Zürich der Fall war, oder in den Städten Flanderns und des Hennegau. Nicht zu vergessen ist schließlich auch die militärische Bedeutung der Ausburger. Diese wurden mit der Verleihung des Bürgerrechtes ja auch zur Verteidigung der Stadt verpflichtet. In den belgischen Städten gehören der Dienst zu Pferd für die Stadt oder die Verteidigung der Stadt zu den expliziten Bedingungen bei der Aufnahme ins Bürgerrecht. Wie wichtig dieses Motiv sein konnte, zeigt sich etwa bei den Städten des Hennegau. In Ath wurden so während des Konfliktes mit dem Herzog von Brabant in nur zwei Jahren, 1356 bis 1358, gegen zweitausend Ausburger aufgenommen. Es handelt sich hier allerdings um eine vom Landesherrn, dem Grafen von Hennegau, gesteuerte Bewegung - die Ausburger hießen geradezu 118 119 «Bürger des Grafen» - zur Unterstützung seiner Städte. Aber gerade hierin zeigt sich die Bedeutung, die den Ausbürgern im militärischen Bereich zukam. Für die Landleute bedeutete die Aufnahme ins städtische Bürgerrecht rein rechtlich gesehen eine Verbesserung ihrer Stellung: Sie wurden ins Schutzrecht der Stadt aufgenommen, wurden der mundrechtlichen Vogtgewalt entzogen. Sie traten aus dem Status von Eigenleuten heraus, die grundherrlichen Pflichten und Lasten entfielen, und im Streitfall unterstanden sie nicht mehr landgräflichem oder grundherrlichem, sondern städtischem Gericht. So läßt sich in Flandern und Hennegau nachweisen, daß das Hauptmotiv der Landleute die Lösung aus dem grundherrlichen Recht auf den Besthauptfall - ursprünglich die Abgabe des besten Stück Viehs beim Tod eines Hörigen - war. Aus den Klagen der Herrschaften aus allen Teilen des Reiches ist denn auch vielfach belegt, daß die Pfahlburger sich den grundherrlichen Lasten und Diensten entziehen. «Des gewalts halb» der Stadt, deren Bürger sie sind, wollen sie «keins dienst gehorsam» sein, «nicht engern noch frontage tuen», «weder helfen noch wachen», sondern «aller dinge fri sin», wie es in den elsässi-schen und Breisgauer Quellen etwa heißt. Vom Stift Beromünster besitzen wir noch die Klage, daß «alle die gen Luzern gesworen hand, sie sigen ze Münster ze Hochdorf, ze Phaffikon, ze Nudorf oder wa sie gesessen sint», «weder zins, zehenden noch ander ir schuld geben wend»22. Schieden so die Pfahlburger aus grundherrlichen Leistungen und Diensten aus, so beanspruchten sie anderseits, wie die gleichen Klagen regelmäßig vermelden, die Vorteile der dörflichen Genossenschaft: Anteil an Wun und Weide, an Wasser und Allmend, ja oft noch mehr als ihnen eigentlich zustand. Warum aber blieben die neu aufgenommenen Bürger auf dem Land? Warum zogen sie nicht, wie es ihnen auch die Pfahlburgerverbote zugestanden, ja befahlen, in die Stadt, um sich dort in aller Form niederzulassen und damit völlig legitim in den städtischen Rechtskreis einzutreten? Ein wesentlicher Grund hiefür lag im wirtschaftlichen Bereich: Der Zug in die Stadt hätte nämlich bedeutet, daß die Landleute ihre bisherige wirtschaftliche Grundlage hätten aufgeben müssen. Als Kompromißlösung ist hieraus das Pfahlburgertum entstanden: Die zu Bürgern Aufgenommenen behielten ihre wirtschaftliche Grundlage auf dem Land bei, und das hieß, daß sie auch nach Erwerb des Bürgerrechtes noch auf dem Gut, das sie bebauten, sitzen blieben. Auch der Stadt konnte aus dieser Situation ein versorgungswirtschaftlicher Vorteil entstehen. Erst wenn die rechtlichen Komplikationen mit den sich wehrenden Herrschaften unangenehm und belastend wurden, kam es - meist unter dem Druck der Herrschaften - zu Maßnahmen zur Klärung der Lage. In zahlreichen Ausburgerverboten wird für bereits bestehende Pfahlburgerverhältnis- se ein ultimativer Termin zur Übersiedlung in die Stadt bestimmt. In Verträgen zwischen Herrschaften und Städten wird verordnet, daß die Städte sich bis zu einem gewissen Termin mit den Pfahlbürgern beraten sollen und daß, wer eingesessener Bürger bleiben wolle, in die Stadt ziehen solle. Wo die durch das Pfahlburgerwesen geschaffene Situation für die Städte selbst untragbar wurde, haben sie auch von sich aus restriktive Beschlüsse gefaßt. Der große rheinische Städtebund hat so 1254 angeordnet, daß keine der verbündeten Städte Pfahlburger annehmen solle. Das wirtschaftliche Problem war damit aber für jene, die sich für die Stadt entschieden, nicht gelöst: Sie saßen nun in der Stadt und konnten die notwendige Arbeit auf ihrem Gut nicht mehr leisten. Zugleich wurde der Nutzen beeinträchtigt, den die Stadt aus ihren Pfahlbürgern ziehen konnte. So entwickelte sich eine neue Kompromißform, die der geforderten Minimalresidenz in der Stadt. Hatte der rheinische Städtebund am 6. Oktober 1254 das Pfahlburgertum verboten, so sah er sich noch vor der nächsten Sommerernte am 29. Juni 1255 dazu genötigt zu bewilligen, daß die - nun in der Stadt sitzenden ehemaligen Pfahlburger - vom 12. Juli bis zum 10. August «pro colligenda annona», zur Kornernte, und im Herbst zur Weinlese vom 22. September an drei Wochen mit ihren Frauen aufs Land ziehen dürfen, allerdings unter Zurücklassung der Familie und des ganzen Haushaltes. Wo in der Folge solche Minimalresidenzen festgelegt wurden, erfaßten sie in der Regel nur die Winterzeit, jene Zeit also, wo ohnehin keine dringenden Landarbeiten anfielen. Diese Minimalresidenz konnte noch weitere Formalisierungen erfahren: In den flämischen Städten etwa wurden drei genau fixierte Residenzzeiten im Jahr eingeführt; in den französischen Königsstädten Residenz nur während den Festzeiten gefordert. Immer blieb aber diese Residenz - zumindest als Rechtskonstruktion - verbunden mit einem Hausbesitz oder Haushalt, «fami-lia competens», in der Stadt. Diese Form der Pfahlburgerwesen zeigt deutlich, an wem die Städte interessiert waren. Sie erforderte eine doppelte Haushaltsführung auf dem Land und in der Stadt - und das war nur den Wohlhabenden möglich. Aber nicht nur die wohlhabenden, sondern - ihrem Beispiel folgend und ebenfalls auf Vorteil erpicht - auch die weniger begüterten Bauern suchten diesen Weg zur rechtlichen Besserstellung zu beschreiten und erreichten - sofern es den Interessen der Stadt entsprach - ihr Ziel, auch wenn es offensichtlich über ihre materiellen Möglichkeiten ging. Diese Entwicklung führte in den Städten zu einer immer extensiveren Praxis der geforderten Minimalresidenz. Auf die Klage des Domstiftes von Straßburg, daß viele Bürger dieser Stadt jahrein, jahraus auf seinem Grundbesitz wohnten und nicht in die Stadt zögen, erklären diese, wie ihre Arbeit in den Reben bis zum 11. November dauere und schon 120 121 im Februar wieder einsetze. Sie selber seien wie «arme gesellen, die die arbeit selbs thun müssen und nit zu Ionen haben, darzu ye ire wiber, khind und gesin-de». Wenn sie dann «etwo zwischen den Wuchten 8 oder 14 tag herin sollen, sie alsdann jedesmol mit wib und khinden derselben zit uss und eintlempern, das were inen gantz verderblich». Es handelt sich hier um Ausburger mit Familie und Gesinde, die aber grundsätzlich der Landarbeit selber nachgehen mußten und diese nicht delegieren konnten. Beachtenswert ist bei ihrer Klage, daß sie sich nur dagegen wehren, wegen acht bis 14 Tagen mit dem ganzen Haushalt in die Stadt zu ziehen, was für sie ein kostspieliges Hin und Her bedeute. Hier erscheint die Minimalresidenz in der Stadt schon als lästige und sinnlose For-malie. Von hier zur bloßen Fiktion war es nur noch ein kleiner Schritt, und dieser ist offensichtlich schon früh getan worden. Dieser Tatsache suchten die Pfahlburgerverbote seit Beginn des 14. Jahrhunderts zu begegnen, indem sie ausdrücklich forderten, daß die Bürger das ganze Jahr in der Stadt residieren - «summer und winter pawlich und hablich in der stat» sein - müssen, wie es 1303 Albrecht I. am Reichstag zu Nürnberg verabschieden ließ, oder wie es dann in der Goldenen Bulle Karls IV. unmißverständlich festgehalten wurde: Bürger dürfen nicht angenommen werden, wenn sie nicht leiblich und wirklich - corpora-liter et realiter - in die betreffende Stadt übersiedelten, dort ihren Wohnsitz nehmen - larem foventes - und beständig, wahrhaft und nicht fiktiv residierten - continue et vere ac non ficte residentiam facientes - und die geforderten Lasten mittragen und Dienste leisten würden. So sehr auch immer wieder die Residenz ohne Trug wie wahre Bürger - absque dolo sicut veri cives - gefordert wurde, so wird gerade in der steten Wiederholung deutlich, wie eben auch dieses Gesetz nicht eingehalten wurde. Die fiktive Residenz von Pfahlbürgern war im 14. Jahrhundert gang und gäbe, eine Rechtsfiktion, die den Fortbestand des Pfahlburgerwesens trotz aller Verbote möglich machte. Diese Zählebigkeit des Pfahlburgerwesens läßt sich nur daraus verstehen, daß hier verschiedene Interessen zusammentrafen, die sich gegenseitig ergänzten. Ausgangspunkt der ganzen Entwicklung war die Attraktivität des städtischen Rechtskreises für die Landleute, insbesondere für Eigenleute. Der Grund für die Herausbildung des Pfahlburgertums lag im Kompromiß zwischen der mit der Bürgeraufnahme verbundenen rechtlichen Anforderung einerseits und der konkreten materiellen Lage des Neubürgers anderseits. Dieser Kompromiß entsprach zugleich einem starken gegenseitigen Interesse wirtschaftlich materieller, militärischer und rechtlicher Natur. Tragend war dabei vor allem das Interesse der Stadt, die zur Erhaltung des Pfahlburgerwesens die rechtlichen Anforderungen immer extensiver auslegte bis hin zur reinen Rechtsfiktion. 1. Luzerns «ingesessen burger» auf dem Land Wenn wir uns von diesem allgemeinen Erscheinungsbild der Pfahlburger den !Luzerner Verhältnissen zuwenden, so treten uns schon in den frühesten Rechtsquellen Angaben über das luzernische Bürgerrecht entgegen. Im ältesten Ratsbüchlein werden von Magister Johann Kottmann, der um 1318 herum seine I Einträge gemacht hat, verschiedene Rechtsgrundsätze aufgezeichnet: Der alte und neue Rat habe beschlossen, daß wer Bürger von Luzern sei, sobald es ihm ; der Rat gebiete, mit Weib und Kind in die Stadt ziehen solle, widrigenfalls er aus dem Bürgerrecht austreten und den Udel entrichten müsse23. Hier handelt es I sich nicht um ein allgemeines Ausburgerverbot. Es erscheint vielmehr als ganz I selbstverständlich, daß Bürger auf dem Lande wohnen, so selbstverständlich, i daß dieser Tatbestand gar nicht eigens formuliert wird. Nur wer dem an ihn er- I gangenen Aufgebot, in die Stadt zu ziehen, nicht Folge leistet, verliert das Bür-t gerrecht. In gleicher Weise ist auch eine weitere Verordnung zu interpretieren. i Der Rat sei, so schreibt Kottmann, übereingekommen, daß jener Bürger, der ■% Jahr und Tag mit Weib und Kindern von der Stadt ziehe «an des rat es urlop und iemandü weder schaft noch wacht git», daß der «von sinem burgrecht gangen» ! sei24. Was der Rat hier vornimmt, ist eine Definition, wann der Tatbestand der * Burgrechtsaufgabe gegeben sei. Beachtlich ist nun die Feststellung, was offenbar alles möglich war ohne Verlust des Burgrechtes. Man konnte mit Erlaubnis des Rates mit der Familie außerhalb der Stadt wohnen unter der Bedingung, daß man jemanden stellvertretend mit dem Wachtdienst, «wacht», und mit der Steuerzahlung, «schaft», beauftragt hatte. Über die Dauer der Niederlassung außerhalb der Stadt wird nichts gesagt. Aber offensichtlich war dies ohne Erlaubnis des Rates bis zu einem Jahr möglich. Erst nach Jahr und Tag ist der Tatbestand des Bürgerrechtsverlustes gegeben. Das heißt aber anderseits, daß mit Wissen und Willen des Rates eine längere Abwesenheit von der Stadt - und zwar mit der Familie - möglich war, sofern die Leistungen stellvertretend sichergestellt waren. Erstaunlich ist des weitern, daß der Rat sich in so umständlicher Weise um die Definition der Voraussetzungen zum Bürgerrechtsverlust bemühte. Das ist nur verständlich, wenn eben die an und für sich einfache Grundbestimmung, daß ein Bürger in der Stadt Wohnsitz haben müsse, nicht bestand. Der Ratsbeschluß zeigt nun, wie es unter Einhaltung verschiedener Bedingungen möglich war, das Burgrecht zu behalten, auch wenn man nicht in der Stadt weilte, und zwar auch über längere Zeit nicht. Das stellt nun eine im Vergleich zur üblichen Definition der Burgrechtsbedingung, nämlich der Wohnsitznahme in der Stadt, X eine sehr extensive Interpretation des Bürgerrechtsgeltungsbereiches dar. 122 123 Inwiefern auch die Bestimmung, daß die Kinder der «usburger» ihr Burgrecht nicht erbten, sondern selber annehmen mußten, in diesem Zusammenhang zu sehen ist, muß hier offenbleiben25. Es sei jedoch daraufhingewiesen, daß hier der von den Städtern so gemiedene Begriff «usburger» in einer internen Rechtssetzung erscheint, und übrigens nur dieses eine Mal in einer Luzerner Quelle des 14. Jahrhunderts. Dies legt die Vermutung nahe, daß es sich hier um eine interne Begriffsverwendung handelt, die nicht zwingend der üblichen, von der Gegnerschaft der Ausburgerpraxis entwickelten Begriffsauffassung entsprechen muß. Es ließe sich auch folgende Interpretation denken: Wenn es einer Luzerner Bürgerfamilie möglich war, über längere Zeit mit Erlaubnis des Rates auswärts zu wohnen, so mußte die rechtliche Rückbindung der in dieser Zeit geborenen Kinder so gestaltet werden, daß sie dieser bewußt wurden, diese explizit bejahen mußten. Von den Kindern der «usburger» - das sind hier die Stadtbürger, die auswärts wohnen - wurde daher verlangt, daß sie das Burgrecht selber empfangen mußten. Dagegen war dieses, wie der gleiche Ratsbeschluß festhält, bei den Kindern «ingeseßner burger» erblich. Doch wenn zugleich festgelegt wurde, daß diese das Burgrecht verlören, wenn sie von der Stadt zogen, ohne die - so dürfen wir ergänzen - gesetzlich festgelegten Bedingungen einzuhalten, so zeigt dies, daß der Unterschied zwischen «ingesessen» und «usburger» nicht ein wesentlicher war. Schon in den frühesten zur Verfügung stehenden Quellen zeigt sich, daß es in Luzern keine klare Scheidung zwischen «usburger» und «ingesessen burger» gab. Es stand Luzerner Bürgern durchaus frei, über längere Zeit auswärts zu wohnen. Das Burgrecht verloren sie erst, wenn sie die gesetzlichen Bedingungen nicht erfüllten oder dem Aufgebot des Rates, in die Stadt zu ziehen, nicht Folge leisteten. Diese auf das Land hin offene, extensive Auffassung des burgrechtlichen Geltungsbereiches war es gerade, die es dem Rat als notwendig erscheinen ließ, einmal genau zu bestimmen, wann denn überhaupt der Tatbestand der Burgrechtsaufgabe gegeben sei26. Diese unklare Scheidung von Stadt und Land im luzernischen Burgrecht tritt uns auch aus den übrigen Quellen entgegen. Es wird angenommen, daß auch in Luzern der ursprünglich für die Einbürgerung notwendige Besitz von Grund und Boden in der Stadt abgelöst worden ist durch die Sicherstellung einer den Grundbesitz ersetzenden Geldsumme, das Udel, das bei Aufgabe des Bürgerrechts zu entrichten war. Die Sicherstellung des Udels sei deshalb nur durch städtische Grundstücke und nur durch Bürgen, die bereits zur städtischen Genossenschaft gehörten, erfolgt27. Daß gerade bei Luzern die Verbindung zwischen Udel und Besitz in der Stadt oder eingesessenem Bürgertum nicht so evident ist, wie aufgrund von Segesser immer wieder angenommen wird, zeigen folgende Beobachtungen: Es war - erstens - durchaus möglich, als Sicherung des Udels, Grundstücke außerhalb der Stadt einzusetzen, wie es etwa 1361 Wel-ti Amstad von Tribschen oder noch deutlicher 1385 Heinrich von Lichtenberg taten, die das Udel auf ihre Güter in Tribschen und «uf Kaphenberg» im Entle-buch legten28. Noch bemerkenswerter sind die verschiedenen Fälle, wo die Sicherstellung auf mobilia, auf die Fahrhabe also, gelegt wurde29. Zwischen Fahrhabe und materieller Bindung an die Stadt kann aber kein Zusammenhang bestehen. Was - zweitens - die Bürgschaft anbetrifft, so bestand ohne weiteres die Möglichkeit, daß Neubürger sich gegenseitig Bürgschaft leisten konnten: Bei der 1368 erfolgten Aufnahme der Brüder Heini und Jenni Zimmermann wird angemerkt, daß «ir jedwedre des andern gelt worden» sei30. 1377 leisten mehrere neu aufgenommene Bürger gegenseitig Bürgschaft, was dann wie folgt notiert wird: «Heinzli von Armense ein Mark, gelto Ruedi von Honre, Ruedi von Honre ein Mark, gelto Heinzli von Armense», usw.31. Oft erscheinen eben neu aufgenommene Bürger als Bürgen, wie am 15. Juli 1374 Johannes Pf ister von Willisau für Johannes von Lenzburg32. Wenn wir dann in den gleich folgenden Jahren den «Johannes von Lenzburg von Willisau» und den «Johannes Pfister von Willisau» für verschiedene Neubürger aus Willisau und Soppensee Bürgschaft leisten sehen33, läßt sich durchaus fragen, ob ihr Wohnsitz nicht eher in Willisau anzunehmen ist als in Luzern. Eindeutig läßt sich das aus der Formulierung mit Angabe des Herkunftsortes nicht schließen. Es kommt nämlich durchaus vor, daß Bürger, die mit vollem Geschlechtsnamen und Herkunftsort bezeichnet werden, nachweislich im Besitz eines Hauses in Luzern waren34. Wenn aber Neubürger gegenseitig oder für andere, zur gleichen Zeit aufgenommene Neubürger Bürgschaft leisten können, so zeigt sich in aller Deutlichkeit, daß nicht nur Bürger, die schon in der Genossenschaft waren, oder gar nur der Schultheiß bürgschaftsfähig waren35. In dieser Beziehung geben auch Einträge zu denken, wo man sich bei den Bürgen veranlaßt sah, eigens zu vermerken, daß es sich bei ihnen um cives lucernenses, Bürger von Luzern, handle36. Das alles heißt aber nichts anderes, als daß auch bei der Bürgschaft kein Konnex zwischen Udel und Udelsicherung in der Stadt bestanden hat. Diese Feststellung legt es nahe, das Problem des Luzerner Bürgerrechts insbesondere hinsichtlich des sogenannten Ausburgerwesens neu zu überdenken. Burger von Luzern wurde man unterschiedslos durch die Sicherstellung des Udels, gleichsam eines Pfandes, dessen man bei Austritt aus dem Burgrecht verlustig ging, und unter Entrichtung eines Einkaufgeldes. Das Udel scheint zunächst 10 Pfund37, dann bis Ende der siebziger Jahre mindestens eine Mark, schließlich seit den achtziger Jahren mindestens zwei Mark pro Person betra- 124 125 gen zu haben, wenn auch der Udelbetrag von einer Mark späterhin noch weiter vorkommt. Eine gesetzliche Fixierung ist in dieser Frühzeit nicht überliefert. Die genannten Richtwerte sind aber dort zu erkennen, wo bei Massenaufnahmen vermerkt wird, daß jeder der Neubürger auf ein oder dann zwei Mark Udel festgelegt worden sei: «Omnibus prescriptorum 1 mark pro Udel», heißt es so noch 13 7 938, seit 1380 dann in der Regel «quilibet 2 mark», so bei Kriens und Horw oder Weggis39. Die Einkaufssumme betrug in uer Regel einen Gulden. Bei Adligen oder Reichen oder bei Spezialberufen40 konnte das Udel und die Einkaufssumme entsprechend höher angesetzt werden. Entscheidend aber ist, daß nirgends eine unterschiedliche Behandlung von Ausbürgern und eingesessenen Burgern festzustellen ist. Nun hat Segesser in der alleinigen Bürgschaftsleistung durch den Schultheißen bei den Massenaufnahmen von ganzen Gruppen von Dorfgenossen seit 13 80 einen Hinweis erkannt, daß diese Ausburger nur der Form nach wie eingesessene Bürger aufgenommen worden seien41. Es darf indessen nicht übersehen werden, daß seit 1377 der Schultheiß recht häufig als Bürge auftritt und zwar in Einzelbürgeraufnahmen42, die nichts Erkennbares mit dem Ausburger-tum zu tun haben. Wenn dieser Schultheiß kein anderer ist als Peter von Gun-doldingen, der seit 1361 auch in zahlreichen anderen Fällen als Privatperson Bürgschaft leistet, ohne daß das Schultheißenamt involviert erscheint, wenn daneben seit 1361 ein Jakob von Rot, ein Heinrich von Moos und noch manch anderer bei Einzelaufnahmen immer wieder als Bürgen auftreten43 und dies in einem Ausmaß, das ihre Mittel wohl überstiegen haben dürfte, so gibt dies zu denken. Es handelt sich hier ohne Zweifel - wie Segesser richtig bemerkt hat -um eine bloße Formsache; aber diese Formalie wird nicht nur durch den Schultheißen stellvertretend für die städtische Gemeinde geleistet, sondern auch privat von anderen, in denen wir angesehene Bürger der Stadt erkennen können. Des weiteren bezieht sich diese rein formale Bürgschaft nicht spezifisch nur auf die Ausburger. Wenn wir uns aber daran erinnern, daß das Udel bei Aufgabe des Bürgerrechts an die Stadt bezahlt werden mußte, läßt sich der Tatbestand leicht erklären: Es handelt sich um eine Erleichterung für jene Bürgerrechtsbewerber, deren Bindung an die Stadt so eindeutig und offensichtlich war, daß sie für den Bürgen kein Risiko darstellten. Ganz entsprechend konnte es bei weniger sicheren Neubürgern eine ganze Gruppe von Bürgen geben, obwohl das Udel das normale Maß nicht überschritt44. Am ausgeprägtesten tritt uns ein solcher Fall entgegen bei Heinrich Zer Linden von Meierskappel, für den eine ganze Schar Sicherheit leisten muß für den Fall, daß er «den eid, den er den burgern gesworen hat übersieh»45. Daß dann in den achtziger Jahren ganze Dorfgemeinschaften unter der formalen Bürgschaft des Schultheißen aufgenommen werden, hat somit nichts mit dem Ausburgerwesen als solchem zu tun, sondern mit der Tatsache, daß die betreffenden Gemeinschaften bereits unter der Vogtei von Luzerner Bürgern standen, und damit eine gewisse Sicherheit vorhanden war, daß diese Bürger nicht so bald wieder aus dem Bürgerrecht austreten würden. Die Quellen, die Rechtssätze wie die Eintragungen im ältesten Bürgerbuch, lassen also keine Unterscheidung zwischen eingesessenen und auswärts wohnenden Bürgern zu. Die frühen Ratsbeschlüsse lassen darauf schließen, daß die extensive Burgrechtsinterpretation, die dem Bürger den Zug aufs Land durchaus offenhält, alte Gewohnheit darstellt, die nunmehr, um 1318, im Ratsbüchlein fixiert worden ist. Hierauf weist auch der Schiedsspruch zwischen Österreich und den Eidgenossen vom 12. Oktober 1351 hin, wo allein bei Luzern näher auf die rechtliche Stellung der «ingesessen burger von Luzern», die «ge-wonlich usvarent uf daz lant» eingegangen wird und diese, «diewile si hie uzze wonhaft sint», dem landgräflichen Gericht der Herrschaft unterstellt46. Segesser erkannte in diesen Bestimmungen, daß die Luzerner ihren für Stadt und Vorstadt geltenden befreiten Gerichtsstand nicht an den städtischen Rechtskreis, sondern an die Person zu binden trachteten47. Nach allem was bisher erörtert worden ist, wird man eher einen von Anfang an bestehenden Rechtsstandpunkt annehmen, der gewohnheitsmäßig den Begriff des Eingesessenseins des Bürgers und damit die Zuständigkeit des städtischen Gerichtes sehr extensiv aufgefaßt hat. Der gewohnheitsmäßigen Rechtsauffassung ist mit der Intensivierung der Herrschaft von außen her eine Einschränkung entgegengetreten. Das Innovative liegt hier nicht bei der Stadt, sondern bei der Herrschaft. In der Tat können wir schon 1336 im Schiedsentscheid, der bekanntlich die Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Luzernerbund abgeschlossen hatte, den alten luzernischen Standpunkt erkennen. Damals hat ihn die Herrschaft noch anerkennen müssen, wenn bestimmt wurde, daß «man den burgern von Lutzerren allü irü guter lidig und lere lassen sol, die si hatten vor dem kriege, und sie in nutzlich gewer setzen soll»48. Daß im luzernischen Bürgerrecht eine beachtliche Öffnung auf das Umland hin bestand, zeigt schließlich auch die bemerkenswerte Erscheinung, daß nicht nur Alteingesessene, sondern oft auch Neubürgerfamilien schon in der ersten oder zweiten Generation die höchsten Ämter innehaben konnten. So erscheint zu Beginn des 14. Jahrhunderts Johann von Wissenwegen, Sohn des Arnold, Bürgers von Meienberg und ursprünglich Eigenmann des Klosters Einsiedeln, 1314 - wenn nicht schon 1312 - als Bürger von Luzern und 1318 bereits als Mitglied des Großen Rats. Schon sein Sohn Peter wirkt später als Ammann"; wie auch Jost, der Sohn des Konrad von Moos, des Vogts von Ursern, nach seiner 126 127 Bürgeraufnahme50 seit 1364. Heinrich Zer Linden, der 1373 das Bürgerrecht erhielt oder sein Sohn, wirkte Ende der achtziger Jahre bereits als Ammann und Schultheiß". Auch Nikiaus Kaufmann von Buttisholz, der 1397 als Schultheiß fungiert, war erst 1377 Bürger der Stadt geworden52. Johann von Dieri-kon, der 1403 Schultheiß und nachher des öftern Ammann war, scheint der zweiten Generation seit Einbürgerung der Familie im Jahre 1368 angehört zu haben53. Ulrich Walker schließlich, der 1411 als Schultheiß und später als Ammann in Luzern eine wichtige Rolle spielte, war bekanntlich ein gebürtiger Sempacher, der 1398 das Luzerner Burgrecht erhalten hatte54. Neubürger konnten also in Luzern verhältnismäßig rasch zu Rang und Ehren kommen. Ermöglicht wurde dies vor allem durch die engen Beziehungen zwischen der Stadt und ihrem Umland, die seit jeher bestanden haben. Die Stadt war dem Neubürger vertraut, er oder seine Familie den maßgeblichen Kreisen nicht unbekannt. Insgesamt erhält man bei der Betrachtung der Luzerner Bürgerrechtspraxis den Eindruck einer gesellschaftlich landverbundenen Stadt. Soweit man zurückblicken kann, erscheint der Rechtskreis in der Praxis nicht nur auf die Stadt und ihr Weichbild beschränkt: Eingesessene Bürger behalten weiterhin ihre Wohnsitze und wirtschaftlichen Grundlagen auf dem Land und beanspruchen auch dort den Gerichtsstand der Stadt, der ihnen als «ingesessenen Burger» zukommt. Die Scheidung zwischen eingesessenen und Ausbürgern ist verwischt. Es ist wichtig, auf diesen Umstand hinzuweisen, weil er die Luzerner Variante der Ausburgerpolitik entscheidend bestimmt. Die Schwierigkeit der Herrschaft, die Luzerner Verhältnisse und Rechtsgewohnheiten in den Griff zu bekommen, zeigt sich schon im Schiedsspruch von 13365'. Wie wir gesehen haben, werden hier den «burgern von Lutzerren» alle ihre Güter wieder freigegeben wie vor dem Krieg, was sich nur auf ihre wirtschaftlichen Grundlagen auf dem Land beziehen kann. Zugleich werden alle /im Laufe des Krieges erfolgten Bürgeraufnahmen annulliert. Wenn dabei das \ Bedürfnis vorhanden war, das Burgrecht näher zu bestimmen mit der Wehdung «es si ussernt oder innernt» - was im Textzusammenhang nur im Sinne von «Ausburger oder eingesessener Burger» verstanden werden kann -, so deutet das darauf hin, daß hier eine^ga^h^U^laJh^t bestand. Sie wurde vom Schiedsgericht damals ohneTJffferenziefüng so gelöst, daß in beiden Fällen der Zustand vor dem Krieg wiederhergestellt werden solle: Die im Krieg eingegangenen Burgrechte wurden allesamt aufgelöst, die betroffenen Leute wieder der österreichischen Herrschaft unterstellt. Obwohl sich die Herrschaft, wie die Bemerkung «es si ussernt oder innernt» zeigt, der begrifflichen Problematik beim Luzerner Burgrecht bewußt war, erstrebte sie nicht eine grundsätz- liche Klärung der unterschiedlichen Rechtsauffassung durch nähere Bestimmung dessen, was ein eingesessener Bürger sei. Es genügte ihr zur Wahrung ihrer Interessen, durch die zeitlich auf die Dauer des vergangenen Krieges zurückwirkende globale Annullierung der Burgrechte die Herrschaftsleute wieder unter ihre Botmäßigkeit zurückzuführen, dies umso mehr, als Luzern ja durchaus eine österreichische Stadt blieb. Im Schiedsgericht, das nach den kriegerischen Auseinandersetzungen um den Beitritt Zürichs zur Eidgenossenschaft am 12. Oktober 1351 unter Königin Agnes von Ungarn zusammentrat56, ging man offenbar vom herrschaftlichen Standpunkt aus und suchte die Luzerner Verhältnisse mit folgender Unterscheidung in den Griff zu bekommen: Luzern sollte alle Leute des Herzogs, die auf dem Land gesessen und von Luzern «ze burgern» empfangen worden sind, von ihrem Burgrecht lassen. Zugleich wurde Luzern für immer verboten, Leute des Herzogs oder seiner Diener als Bürger aufzunehmen. Doch wußte man, daß Luzerns eingesessene Bürger auch auf dem Land wohnten. Für diese wurde bestimmt, daß sie für die Dauer ihres Landaufenthaltes der «grafschaft und ge- \ richten» des Herzogs unterstellt sein sollen. Man suchte also eine Unterschei- ^ dung zwischen «usburger» und «ingesessen burger» auf dem Lande herzustel-/ len. Die luzernische Rechtsauffassung aber kannte eine solche Unterscheidung nicht und faßte den Begriff «ingesessen burger» sehr extensiv auf. Nicht nur Bürger, die aufs Land zogen, waren «ingesessene burger», sondern auch solche, die üblicherweise als Pfahlburger galten, die auswärts wohnten. Um dies mit expliziten Zeugnissen zu belegen, müssen wir zeitlich etwas vorgreifen: Nir- ) gends kommt die Rechtsauffassung Luzerns nämlich deutlicher zum Ausdruck/ als beim Burgrecht mit den Bürgern von Sempach: Sie wurden zu «ingesessen burger» aufgenommen, obwohl hier von einer Wohnsitznahme in Luzern keine Rede sein konnte57. Das gleiche kann auch dort der Fall gewesen sein, wo wir in breiter ausgeführten Einzelburgrechtsverleihungen auf diesen Begriff stoßen. Eindeutig etwa bei der 1433 erfolgten Aufnahme des Lupoid Buessinger mit der «Vesti ze Heidegg», den Luzern zu gleichen Pflichten und Rechten «als einen ingesessenen Burger» empfing58. Für Luzern bedeutete das absolute und unbefristete Verbot, Landleute zu Bürgern aufzunehmen, eine unannehmbare Beeinträchtigung. Offenbar hat es sich vehement gegen diese Bestimmung gewehrt, wobei es erneut zur Aufnahme zahlreicher Landleute ins Burgrecht kam59. Im Brandenburgischen Frieden wurde jedenfalls der herzogliche Standpunkt entscheidend modifiziert". Dem allgemeinen Verbot, österreichische Eigenleute als Bürger aufzunehmen, wurden verschiedene Präzisierungen beigegeben: Die Stadt solle die zu Bürgern an- 128 129 genommenen österreichischen Eigenleute wieder herausgeben und nicht mehr «uf daz land» versprechen, außer wenn einer in ihre Stadt fahren und bei ihnen eingesessener Bürger sein wolle. Auch möge sie fürderhin wohl zu Bürgern empfangen alle die, «die von alter untz her nach irr statrecht emphahen möchten». Wenn sie aber Leute der Herrschaft oder ihrer Diener zu Bürgern aufnähmen, «die si von recht nicht emphahen solte», dann mag die Herrschaft diese wieder herausfordern und sollen die Luzerner diese herausgeben nach «irr stat recht und gewonheit». Diese Bestimmungen sind, wenn wir die sich gegenüberstehenden Rechtsauffassungen vor Augen haben, alles andere als klärend. Wohl wird ein Ausburgerverbot erlassen, wohl wird insbesondere die Burgrechtsverleihung an österreichische Eigenleute verboten, zugleich aber zugestanden, daß Luzern Landleute als eingesessene Bürger annehmen und wie von Alters her nach seinem Stadtrecht Bürger aufnehmen durfte. Die Bestimmungen sind im Regensburger Frieden von 1355 nicht klarer formuliert worden. Für das luzernische Rechtsverständnis lag hier eine Widersprüchlichkeit vor, welche die Stadt in ihrem Sinne interpretierte, umso mehr als ihr ja explizit zugestanden worden war, eingesessene Bürger zu empfangen. In der Folgezeit ist es zu weiteren Auseinandersetzungen mit den österreichischen Vogteien und Amtleuten gekommen, die nun offensichtlich den herrschaftlichen Standpunkt gegenüber dem luzernischen Gewohnheitsrecht nicht rechtlich durchzusetzen vermochten. Jedenfalls sind die österreichischen Amtleute schon damals mit Repressalien und Strafen gegen einbürgerungswillige Landleute vorgegangen. Als unter Rudolf IV. von Habsburg sich das Verhältnis der Stadt zum Herzog anfangs der sechziger Jahre freundlicher gestaltete, gelangten Schultheiß und Rat von Luzern denn auch an den Herzog mit der Klage, daß sie von etlichen herzoglichen Amtleuten «an den lüten und purgern, die si ußer unserem» - des Herzogs - «lande ze ingesessenn burgern in ir stat wol emphahen mügen» gehindert würden. Die Urkunde, die ihnen der Herzog hierauf am 6. März 1361 ausstellte, ist für die weitere Burgrechtsverleihungspraxis der Stadt von entscheidender Bedeutung geworden61. In ihr befiehlt er «allen unseren vögten und phlegern», daß sie die Bürger von Luzern in ihrem Recht nicht irren «und si us unserm lande ingesessen purger emphahen lazzen» sollen, entsprechend der von seinem Vater gemachten Richtung, d. h. dem Brandenburgischen Frieden. Jene, die «in die stat gen Lucern ziehen wellen und ingesessne purger sin», solle man ungestraft ziehen lassen. Beachtlicher als dieser ausdrückliche Befehl des Herzogs ist das, was die Urkunde nicht enthält: Das im Brandenburgischen Frieden ausgesprochene Pfahlburgerverbot ist weggefallen und eine genaue Definition dessen, was ein eingesessener Bürger sei, fehlt. Die - wie wir gesehen haben - zu jener Zeit sonst üblichen Bestimmungen zur Verhinderung einer Minitnalresidenz oder einer Fiktion finden sich nicht in der Urkunde. Zu beidem mag sich Rudolf IV. im unmittelbar anstehenden Rechtsgeschäft, der Klage der Luzerner, nicht veranlaßt gesehen haben. So aber blieb der Gegensatz der Rechtsauffassungen, insbesondere der Rechtsstandpunkt der Luzerner, unberührt. Für sie erlangte die Urkunde, die zunächst nichts anderes als ein Mandat des Herzogs an seine Amtsleute auf eine entsprechende Klage hin darstellte, eine eminente Bedeutung. Sie erhielt gleichsam den Rang eines herzoglichen Freibriefes für die Luzerner Burgrechtspraxis, der klarstellte, wie die Bestimmungen des Brandenburgischen Friedens zu gelten hätten. Erst im Zwanzigjährigen Frieden von 1394 ist es zu einem unmißverständlichen Verbot gekommen, außerhalb der an Luzern abgetretenen Ämter Entle-buch, Wolhusen und Rothenburg und dem Dorfmarkt von Hochdorf und Urswil österreichische Eigenleute als Bürger aufzunehmen62. Damals kam diesem Verbot lange nicht mehr jene einschneidende Wirkung zu wie 1351. Luzern hatten sich ganz andere Möglichkeiten eröffnet, seine Interessen auf der Landschaft wahrzunehmen, Möglichkeiten, die schließlich das Pfahlburgerwesen erübrigten. Fassen wir die bisherigen Ausführungen zum Ausburgerproblem in Luzern zusammen, so ließe sich das Hauptergebnis überspitzt so formulieren: Nach zeitgenössischem luzernischem Rechtsverständnis gab es hier keine Ausburger, geschweige denn Pfahlburger. Alle ins Burgrecht Aufgenommenen galten als «ingesessene Burger». Sie wurden nicht nur so genannt, nicht nur fiktiv der Form nach als solche aufgenommen. Es war vielmehr die sehr weite Fassung des Begriffs «ingesessene Burger» im luzernischen Rechtsdenken, die dies ermöglichte. Eingesessene Bürger konnten mit Bewilligung des Rates und nach Sicherstellung gewisser Leistungen auf dem Lande wohnen. Die auf dem Lande sitzenden Bürger beschworen zusammen mit den übrigen Bürgern zweimal im Jahr den geschworenen Brief63. Spürbare rechtliche Unterschiede zwischen eingesessenen und Ausbürgern werden erst nach 1415 quellenmäßig greifbar. 1419 wird so bestimmt, daß Ausburger die in ihren Angelegenheiten durchgeführten Ratsbotschaften selber zu bezahlen hätten, während dies bei eingesessenen Bürgern von der Stadt übernommen wurde64. Und als 1425 den Sempachern der Burgrechtsbrief endlich ausgestellt wurde, wurde ihre Rechtsstellung nicht mehr schlichtweg als die «eingesessener Bürger» charakterisiert, sondern sie standen, was die Ratsbotschaften wie auch die Aburteilung beim Tötungsdelikt an einem Luzerner Bürger anbetraf, auf der gleichen Stufe wie die Luzerner Ausburger65. Die Stadt war nun Herrin über das Land und die kleinen Landstädte geworden. Sie hatte 130 131 andere Mittel, ihren Einfluß auf dem Land geltend zu machen, und war am Ausburgerwesen nicht mehr interessiert. Erst jetzt begann sie selber den Status der Ausburger von jenem - vollwertigen - des eingesessenen Bürgers zu unterscheiden. Gleichzeitig fand auch eine Abdichtung gegen das Land hin statt. Stellten wir noch bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts fest, wie Neubürger relativ rasch in den Rat und in die höchsten Ämter einrücken konnten, so war das fortan nicht mehr möglich. Mit Ulrich Walker, den wir als letzten erwähnt haben, brach diese Erscheinung ab. 1421 wird vom Rat bestimmt, daß ein Burger nur dann in die Hundert und in den Rat wählbar sei, wenn er zuvor «hie hus-heblich gesin»66. Eine Maßnahme, die deutlich eine Einschränkung markiert, zugleich aber auch darauf schließen läßt, daß es früher eben eine largere Praxis gegeben hat. Im 14. Jahrhundert war das luzernische Bürgerrechtsverständnis noch durchaus auf das Land hin offen. Es entsprach der besonderen Landverbundenheit der Stadt, die sich aus ihrer Entwicklung ergab. Es war eine Reminiszenz aus der Zeit, da Luzern ein Klosterhof war und zusammen mit den übrigen Höfen sich im großen grundherrschaftlichen Verband von St.Leodegar befand. Diese alten Beziehungen menschlicher wie wirtschaftlicher Natur sind auch später, als Luzern zur Stadt und zum regionalen Zentrum herangewachsen war, lebendig geblieben. Es kann hier nicht der Ort sein, auf die frühen Rechtsstrukturen einzugehen67, lediglich darauf sei hingewiesen, daß Luzern seine Rechtsauffassung immer auf seine alten auch von den österreichischen Herzögen garantierten68 Gewohnheiten zurückgeführt hat, und das sind zweifelsohne jene aus der Murbacherzeit. Haben wir so gesehen, warum Luzern trotz der österreichischen Gegenwehr eine Ausburgerpolitik betreiben konnte, so ist damit noch nicht erklärt, warum es zu bestimmten Zeiten zu eigentlichen Massenbürgeraufnahmen, wie jenen in den achtziger Jahren, kommen konnte. 2. Masseneinbürgerungen von Landleuten In Luzern ist es im 14. Jahrhundert zu mehreren Aufnahmewellen von Ausbürgern gekommen. Erstmals scheint eine solche während der Fehde von 1334 bis 1336 stattgefunden zu haben. Das läßt sich indirekt aus dem Schiedsspruch zwischen Österreich und Luzern vom 18. Juni 1336 entnehmen69. Danach sah man sich auf österreichischer Seite dazu veranlaßt, alle im Krieg eingegangenen Burgrechte rückgängig zu machen und die Leute wieder unter die Botmäßigkeit zurückzuführen, unter der sie vor dem Kriege gestanden hatten. Ebenfalls nur indirekt erfahren wir von der zweiten Massenbewegung Mitte des 14. Jahrhunderts. In der Zeit zwischen dem für die Eidgenossen ungünstigen Schiedsgericht der Königin Agnes im Jahre 1351 und dem Brandenburgischen Frieden vom 1. September 1352, einer Zeit zahlreicher kriegerischer Auseinandersetzungen, die unter anderem zur Zerstörung der Feste Neuhabsburg und zur Brandschatzung Beromünsters, Neudorfs, Nunwils und Hochdorfs durch die Luzerner geführt hatten70, sind nach einem österreichischen Klagerodel nicht nur die «usburger» dem Schiedsspruch folgend nicht aufgegeben, sondern, gerade von Luzern, deren noch viel mehr dazugeworben worden71. Im Herbst 1352 wurden zahlreiche Leute aus Hergiswil, Horw, Kriens, aus Malters und Littau, aus Meggen, Udligenswil, Adligenswil und Buchrain, aus Küßnacht, Greppen, Nieder-Immensee und Haitikon zur außerordentlichen Steuer herangezogen72. Die letzte Aufnahmewelle fand in den Jahren 1385 und 1386 statt. Über sie sind wir verhältnismäßig gut informiert, so daß wir versuchen können, hier das Vorgehen Luzerns und den dabei verfolgten Zweck herauszuarbeiten. a) Das Einzugsregister von 1392/93 (der sog. «Ergänzungsband» zum ältesten Bürgerbuch) Es ist eine einzigartige Quelle, die uns über diese Jahre orientiert: der sog. «Ergänzungsband» zum ältesten Bürgerbuch. Diese Bezeichnung verdankt die Handschrift ihrem Herausgeber, P. X. Weber, der in ihr das im ältesten Bürgerbuch fehlende, die Jahre 1385 bis 1389 erfassende Stück sah, das beim Einbinden im 16. Jahrhundert vergessen worden wäre73. Daß sie das nicht ist, wurde bereits erkannt74. Da sich schon aus der Anlage dieser Handschrift wichtige Aufschlüsse für die hier verfolgte Fragestellung ergeben, ist es nötig, hier einläßlicher als üblich auf die Handschriftenanalyse einzugehen. Es handelt sich - wie im ältesten Bürgerbuch - um Einträge von Bürgerrechtsverleihungen, wobei hier - anders als bei jenem - durchgehend bei der Aufnahme ganzer Gruppen von Neubürgern die Ortsnamen deutlich als Titel herausgehoben wurden. Zwischen den einzelnen Dorfgruppen sind zum Teil große Abstände gelassen, offenbar um nachträgliche Ergänzungen zu ermöglichen. Die gesamte Anlage des Bandes stammt von ein und derselben Hand, jener des Unterschreibers Ulrich Wisse75. Wisse hat jedoch für die Erstellung seines Registers verschiedene Vorlagen benutzt. Zunächst hat er ein Register A, das Bürgeraufnahmen aus den Jahren 1385,1386,1388 enthielt, abgeschrieben und zwar - außer im Fall Beromünster - wortwörtlich. Diese Arbeit hatte Wisse im Jahre 1389 ausgeführt und das Verzeichnis, das nun ein acht Doppelseiten starkes Heft darstellte, einer Ratsdeputation zur Einziehung der ausstehenden 132 133 Gulden übergeben". Offenbar ist aber damals die Ratsdeputation nicht tätig geworden, denn als einige Jahre später -1392, wie wir es unten begründen werden - ein neuer Anlauf zum Einzug der Bürgerrechtsgulden gestartet wurde, hat Wisse das schon geschriebene Heft wieder hervorgeholt und auf der letzten noch frei gebliebenen Seite mit der Fortsetzung begonnen. Bei dieser Fortsetzung zog er ein Register B aus mit Bürgeraufnahmen von 1385. Daß es sich nicht um ein vollständiges Register handelt, darauf weist nicht nur die Kürze des Verzeichriisses, sondern vor allem auch die Wiederholung der Angabe «De registro B» jeweils zu Beginn einer Gruppe hin, also die als notwendig erachtete Mitteilung, daß dies auch noch aus dem Register B entnommen sei77. Auf gleicher Seite, unmittelbar an den Auszug des Registers B anschließend, folgt der Auszug aus einem Register C, der sehr kurz ist und nur einzelne Bürgeraufnahmen ohne Jahresangaben enthält78. Auf Seite 35, wiederum an den vorausgehenden Text anschließend, setzt die Abschrift" des Registers D über Bürgeraufnahmen im Jahre 1386 ein. Das Register ist verhältnismäßig umfangreich, ob es vollständig ist, kann nicht mehr festgestellt werden. Schließlich exzerpierte Wisse auch Bürgeraufnahmen aus dem Liber civium pergamenům, also aus dem bekannten ältesten Bürgerbuch, und zwar von 1386 bis Anfang 139280. Da hier ausnahmsweise die Vorlage erhalten ist, bekommen wir einen Einblick, wie Ulrich Wisse vorgegangen ist. Bei Ausburgergruppen gab er - von seiner Gewohnheit abweichend - zum Teil nur den Ortsnamen an, mit der nach dem Eintrag des Bürgerbuchs zu verlangenden Einkaufssumme8'. Orte aus der näheren Umgebung Luzerns, wie Emmen oder das Luzerner Moos, ließ er weg82. Dieses Vorgehen sei an dieser Stelle vermerkt. Es ließe sich so schon aus der Registrierungsweise erklären, warum die Peripherie Luzerns im Ergänzungsband überhaupt nicht aufscheint83. Des weitern fehlen viele Einzelbürgeraufnahmen. Zum Teil eindeutig, weil die Neubürger ihren Gulden schon bezahlt hatten und ihr Name im Bürgerbuch mit einem «s» (solvit) versehen worden war". Vielfach läßt sich indes der Grund für ihren Wegfall nicht mehr erkennen: Gerade einzelne Namen können in einem anderen, nicht mehr erhaltenen Register gestanden haben, oder die betreffenden Leute waren inzwischen aus dem Luzerner Bürgerrecht bereits wieder ausgeschieden. Aus dem bisher Festgestellten geht bereits eindeutig hervor, daß der sogenannte «Ergänzungsband» nicht die fehlende Lücke des ältesten Bürgerbuches darstellt. Vielmehr handelt es sich um eine in einem Zug ausgeführte, zum Teil nur auszugsweise Abschrift mehrerer Register, die heute nicht mehr vorhanden sind und über deren Anzahl wir nur sagen können, daß es mindestens vier waren. Diese Register sind in den Jahren 1385 bis 1388 neben dem Bürgerbuch geführt worden. Wie haben wir diesen Umstand zu erklären? 134 7°"i ■f^*.**- i<»B 'WA faß - C f-y «fP-»y gefo ^%ft^ (fc&£ f ) % (Wo-- f-y g«fea»»sr P ^^ay-^Y geöiCäi ■ 'üöfi^l 140 Ut> L . ___________ wf Abb. 6 Das Einzugsregister von 1389,1392/93 135 11 Karte Die geographische Verteilung der Register Stellen wir anhand der Ortsangaben in den Registern geographisch den betroffenen Raum fest, so ergibt sich folgendes Bild (vgl. Karte): Soweit noch erkennbar, scheinen die Register auf ganz bestimmte Teile des umliegenden Landes bezogen gewesen zu sein: Das Register A erfaßt in weitem Bogen von Mal-ters/Littau über Buttisholz im Westen bis nach Merenschwand im Norden, mit eindeutigem Schwergewicht im Wynen- und Seetal, den luzernischen Norden bis tief in den Aargau hinein. Das andere relativ gut überlieferte Register D scheint auf den Westen bezogen gewesen zu sein. Der jetzt noch erkennbare Schwerpunkt liegt hier im Willisauer Hinterland und Napfgebiet. Von den beiden übrigen Registern vermittelt der sogenannte Ergänzungsband so wenig, daß kaum eine gesicherte Aussage zu machen ist. Immerhin fällt bei B auf, daß es sowohl im Westen (Menznau, Ruswil) wie im Nordosten (Kleinwangen, Gü- 136 nikon, Au) eingesetzt worden ist. Geht man von der durch die Register A und D geweckten Annahme aus, diese Register seien jeweils auf bestimmte Gebiete bezogen, so bliebe für eine Verbindung der beiden erhaltenen Komplexe eigentlich nurmehr das Gebiet des Amtes Rothenburg. Die Ausburger dieses Gebietes wären dann so wenig wie jene von Emmen und Luzerner Moos in Wisses Auszug aus dem ältesten Bürgerbuch beachtet worden. Daß es jedenfalls auch hier Ausburger gegeben haben muß, darauf weisen andere Quellen hin. In den österreichischen Verhandlungspunkten zum Zwanzigjährigen Frieden von 1394 werden gerade die Ausburger im Bereich des kleinräumigen Rothenburgeramtes, von denen wir aus Luzerner Quellen nichts erfahren, der Stadt zugestanden85. Aus der chronologischen Parallelität und der noch erkennbaren geographischen Aufteilung läßt sich die Funktion dieser Register einigermaßen plausibel erklären: Die maßenhafte Annahme von Luzerner Bürgerrechten nach 1385 hat offenbar die Aufnahmekapazität des wertvollen pergamentenen Bürgerbuches gesprengt, und so wurden Nebenbürgerverzeichnisse eingeführt. Nichts spricht dagegen, daß man diese Register - im Unterschied zum wertvollen Bürgerbuch - auch zu den Landleuten mitgenommen habe, damit die Einbürgerungswilligen gleich eingetragen werden konnten. So ließe sich jedenfalls die geographische Geschlossenheit der Register am einfachsten erklären. Mehr pragmatisch als prinzipiell gedacht führte diese Praxis offenbar dazu, daß man die Ausburger damals in der Regel nicht im Pergamentbuch, sondern in den betreffenden Registern eingetragen hat. Nachdem wir so gleichsam die älteste chronologische Schicht des sogenannten «Ergänzungsbandes», die verschiedenen Bürgeraufnahmeregister der Jahre 1385 bis 1388 aufgedeckt haben, wenden wir uns der Entstehung des «Ergänzungsbandes» selber zu. Wann ist dieser angelegt worden? Welche Funktion hat er erfüllt? Die letzten Bürgeraufnahmen, die aus dem Bürgerbuch in den «Ergänzungsband» abgeschrieben worden sind, datieren vom 8. Januar des Jahres 139286. Damit haben wir einen Terminus a quo gewonnen. Am 26. April 1392 wurden nun im Rate die Einzieher der Gelder, die von den Neubürgern an die Stadt versprochen sind, für das Jahr bestimmt und ihnen für ihre Arbeit ein Lohn von 12 Gulden zugesprochen: Es sind dies «H.Vogt», «Jo. Kundigmann», «Jekli Menteller»87. Nun begegnen uns schon auf dem ersten Blatt des «Ergänzungsbandes» ein Menteller und ein Heinzmann mit ihrem Lohn von je 12 Gulden, und am Ende der Bürgeraufnahmen ziehen Heinzmann Vogt, Johannes Kundigmann und Jekli Menteller die Summe aus allen ihren Einnahmen88. Es kann kein Zweifel bestehen: Der sogenannte Ergänzungsband ist die Verwaltungs- 137 I grundlage für diese Ratsdeputation. Er muß also 1392, am ehesten wohl in den ersten Monaten des Jahres, niedergeschrieben worden sein89. Zugleich ist es auch klar, zu welchem Zweck dieses Verzeichnis angelegt worden war: Offenbar standen die Bürgerrechtsgulden zum größten Teil seit Jahren aus. Man wollte nun darangehen, die Schulden systematisch einzuziehen. Das bedeutet, daß alle im «Ergänzungsband» Eingetragenen Schuldner waren oder daß -formulieren wir es vorsichtiger - ihre Zahlungen nicht mehr bekannt waren. Diese Schuldner wurden aus den verschiedenen Registern und dem Bürgerbuch ausgezogen und in einem Zug in den «Ergänzungsband» eingetragen. Der «Ergänzungsband» ist nichts anderes als das Einzugsregister der Ratsdeputation fvonl3 9 290. Wie nun die Ratsdeputation mit dem «Register» arbeitete, läßt sich aus den Bearbeitungsspuren erkennen. Hatte ein Schuldner bezahlt, so wurde sein Eintrag gestrichen und hinten vermerkt: «nob(is) 1 fl.», «er hat uns 1 Gulden gegeben». Von diesen «nobis»-Eingängen wird jeweils am untersten Rand des Blattes das Total verzeichnet; zählt man diese Totale zusammen, so kommt man genau auf die Summe der Schlußabrechnung der Einzüger: 518 Gulden. Aber nicht überall steht «nobis»: Vielfach werden drei Männer als Empfänger genannt: Werner Urner, Johann von Moos und vor allem Heinrich Zer Linden, bisweilen wird auch ein «Kaversche» oder «Weibel» als Empfänger genannt, bisweilen vermerkt, daß der Gulden ans «Ungeld» oder an die Stadt bezahlt worden sei oder zur Verpflegung der Deputation gedient habe51. In all diesen Fällen wurde der Eintrag ebenfalls gestrichen und davor ein «Ju», vereinzelt «juravit» oder «juraverunt» gesetzt. Das kann nur so gedeutet werden, daß die betreffenden Bürger ihre Behauptung, den Gulden schon früher bezahlt zu haben und also nichts mehr schuldig zu sein, vor den Deputierten eidlich bekräftigen mußten. Alle diese Vermerke und Streichungen sind in deutlich hellerer Tinte und mit einer flüchtigeren Schrift ausgeführt als der Anlagetext. Diese Bearbeitungsweise, bei der alles, was erledigt war, gestrichen wurde, zeigt deutlich, daß es sich hier nicht um ein Bürgerbuch, sondern lediglich um ein Verwaltungshilfsmittel für einmaligen Gebrauch handelte. Ein weiterer Punkt verdient Erwähnung: Beinahe alle Bürgeraufnahmen sind vorne mit einem Punkt gekennzeichnet. Nur am Anfang bis zur Seite 9 fehlt dieser. Dort steht denn auch die Erklärung: Bis hierher seien die sieben Schillinge bezahlt worden, und es sei zu beachten, daß im folgenden die Punkte vor den Namen bedeuteten, daß ebenfalls die sieben Schillinge entrichtet worden seien92. Wann die Zahlung, die hier registriert wird, erfolgt ist, läßt sich nicht sagen, denn bis Seite 27 werden die Vorpunkte sorgfältig von der Anlagehand gesetzt, was die Annahme nahelegt, das Eingehen dieser Schillinge habe 138 -fr&f- 'l7V3-6' 5°r] '♦«- t •r^v aus* jif&f fr- * 1 \ ' ' JJ^ ^ l'S fr *>~y (y^Zf^ Abb. 7 Das älteste Bürgerbuch der Stadt Luzern, 14./15. Jahrhundert 139 nichts mit der Tätigkeit der Deputation von 1392 zu tun und sei bereits vor der Anlage des Einzugsregisters erfolgt, ja möglicherweise schon vor der Aufzeichnung ins Originalregister geschehen, das dem Ulrich Wisse als Vorlage diente. Ab Seite 30 sind die Punkte jedoch von jenen der Anlagehand so verschieden und flüchtig gemacht, daß es sich um Nachträge von 1392 zu handeln scheint. Dies legt hingegen die Annahme nahe, daß die Zahlung der sieben Schillinge, oder zumindest deren Kontrolle, erst 1392 erfolgt ist. Festzuhalten ist demnach, daß der Vermerk über die sieben Schillinge sich vom Handschriftenbefund her keiner chronologischen Schicht zuordnen läßt. Das Ergebnis dieser Handschriftenuntersuchung: Im sogenannten Ergänzungsband zum ältesten Bürgerbuch sind offensichtlich nicht alle Neubürger verzeichnet, sondern nur jene, die der Stadt den Einbürgerungsgulden noch schulden. Des weitern haben sich mehrere zeitliche Schichten herauspräparieren lassen: Zunächst die Register über die Bürgeraufnahmen auf dem Land aus den Jahren 1385 bis 1388, die neben dem ältesten Bürgerbuch geführt worden und heute samt und sonders verloren sind. Dann zwei mit der Burgeraufnahme verbundene Verwaltungsakte, die vorläufig chronologisch nicht näher einzuordnen sind, nämlich die Einzugstätigkeit von Heinrich Zer Linden, Johann von Moos und Werner Urner, die sich die Ratsdeputierten von 1392 eidlich bestätigen ließen, sowie die Entrichtung von sieben Schillingen durch die Neubürger. Schließlich das vorliegende von Ulrich Wisse angelegte Einzugsregister und die damit verbundene, am 26. April 1392 vom Rat beschlossene Einzugstätigkeit einer Dreierdeputation des Rates. Die endgültige Schlußabrechnung über diese finanzielle Bereinigung der Situation ist dann am 17. Juli 1393 erfolgt93. b) Die Masseneinbürgerung von 1385/86 Schon die Tatsache, daß mehrere parallele Register geführt worden sind, zeigt das außerordentliche Ausmaß, welches die Bürgeraufnahmen um die Mitte der achtziger Jahre erreichten. Wenn wir nun die registrierten Aufnahmen in ihrer zeitlichen Abfolge und räumlichen Verteilung betrachten, so stellen wir folgendes fest: Bereits in den Jahren 1379 bis 1384 kommen Aufnahmen ganzer Gruppen von Dorfleuten vor. Sie sind noch im pergamentenen Bürgerbuch verzeichnet. Sie wohnen in Lokalitäten, die im altgewohnten Interessenkreis Luzerns liegen: Ebikon, Dierikon, Root, Udligenswil, Adligenswil und Meggen, Kriens und Horw, schließlich Weggis94. Es handelt sich hier, wie bei den im Jahre 1385 erfolgenden Aufnahmen der Leute von Malters und Littau sowie jener in Küßnacht und Greppen, um Landleute, die bereits durch lehens- oder pfandweise Übertragung von Vögtei oder Meier- und Kelnämtern an Luzerner Bürger in einer indirekten Beziehung zur Stadt stehen. Weitere Gruppen sind im altgewohnten näheren Einzugsbereich der Stadt zu lokalisieren; im Luzerner Moos, im näheren Reußtal und im Seetal95. Seit dem ersten Halbjahr 1385 nun stößt die Massenaufnahmebewegung über das altgewohnte Bezugsfeld der Stadt hinaus in bisher ausgesprochen österreichisches Gebiet vor: In mehreren Schüben wurden damals über hundert Landleute aus dem in der Pfandherrschaft des Peter von Torberg liegenden Ruswil zu Bürgern aufgenommen56. Erstmals hier ist die Massenaufnahme von Pfahlbürgern ohne Verbindung mit andern Rechten eingesetzt worden. Diese Tendenz sollte im Jahre 1386 vollends durchbrechen. Soweit wir es den erhaltenen Registern entnehmen können, ist damals in der ersten Jahreshälfte die Massenaufnahme von Dorfbewohnern zu Bürgern in weitem Ausgriff ins Amt Richensee, in die Rechtung Münster und in den südlichen Teil des Amtes Lenzburg vorgetragen worden. Im Reußtal treten Gruppen von Landleuten aus Sins, Abtwil und Gibelfluh sowie aus Merenschwand, Mülnau und Benzen-schwil ins Luzerner Burgrecht ein. Im Seetal sind es vor allem Richensee, Hochdorf und Urswil, aus denen der Hauptharst von Neubürgern anfällt. In außerordentlichem Maße hatte die Bewegung das Winental ergriffen, mit Schwerpunkt in Beromünster, Pfeffikon und Reinach, dazu im Süden Neudorf, im Norden Gontenschwil, Zetzwil und Rued. Aus Eich bei Sempach traten damals Bauern ins Bürgerrecht zu Luzern ein, und der Burgrechtsvertrag mit Sempach vom 6. Januar 1386 gehört auch in diese Bürgeraufnahmeperiode. Nun folgen auch die Landleute von Buttisholz dem Beispiel der Ruswiler. In die Periode post Johannis, nach dem 24. Juni, fallen schließlich die Massenaufnahmen im Westen, vor allem im Amt Willisau, dann auch im Amt Wolhusen. So beachtlich diese Schwerpunktverlagerung nach Westen im Vergleich mit der bisherigen Bürgeraufnahmepolitik erscheint, ganz unerwartet kam sie nicht. Seit Mitte der siebziger Jahre hatten die Aufnahmen von einzelnen Leuten aus Willisau ins Luzerner Bürgerrecht in auffallendem Maße zugenommen und Anfang 1386 stand Willisau bereits in einem Burgrechtsverhältnis mit Luzern, das es aber noch im Frühjahr wieder aufgeben mußte97. Des weitern ist bemerkenswert, daß bereits in der ersten Jahreshälfte 1386 - wir haben dies vorhin ausgeklammert - in zwei Schüben Leute aus Luthern, tief im Willisauer Hinterland, zu Bürgern aufgenommen worden sind. Nun nach dem 24. Juni 1386 scheint die Bewegung die gesamte Region erfaßt zu haben. Ein nicht zu übersehendes Ausmaß hat sie in Menznau erreicht. Weitere Neubürgergruppen sind in Ettis-wil, Großdietwil, Gettnau, Willisau und Hergiswil festzustellen, zu denen dann nochmals eine Gruppe aus Luthern stößt. 140 141 Ausburgerbewegung 1385/86: quantitative Darstellung 1-10 11-25 26-50 Weggis 1381 Meggen 1380 Udligenswil 1380 Weggis 1382 Adligenswil 1380 Kriens 1380 Küßnacht 1385 Horw 1380 Root u. Dierikon 1384 Luzerner Moos 1385 Greppen 1385 Emmen 1385 Wangen 1385 Buchrain 1385 Hohenrain 1385 Günikon 1385 Littau 1385 Benziwil 1385 Au 1385 Abtwil, Sins, Gibelfluh Luthern 1386, p. N., p. N., p. J. Iberg (?) 1385 1386, p. N. Hochdorf 1386, p. N. Eich 1386, p. N. Zetzwil 1386, p. N. Rinach 1386, p. N. Lieli 1386, p. N. Gundelswil 1386, p. N. Mülnau, Mcrcnschwand, Birrwill386, p. N. Neudorf 1386, p. N. Benzenschwil 1386, p. N. Urswil 1386, p. N. Hergiswil 1386, p. J. Münster 1386, p. N. Knutwil 1386, p. N. Ettiswil 1386, p. J. Buttisholz 1386, p. N. Gr'Dietwil 1386, p. J. Gettnau 1386, p. J. Pfeffikon 1386, p. N. Willisau 1386, p. J. Rued 1386, (ohne Angabe) 51-100: Malters 1385 Ruswil 1385 p. N. = post Nativitatis, erstes Halbjahr Richensee 1386, p. N. p. J. = post Johannis, zweites Halbjahr Menznau 1386, p. J. Die Quellen verraten auch etwas über den Charakter dieser Bewegung. Bei den Bürgschaftsleistungen für das Udel ist zunächst auf eine Person hinzuweisen, die erstaunliche Aktivität entwickelt hat: Ruedi Meier von Rot. Dieser ist ebenfalls ein Neubürger. Im nicht datierten, aber in die Jahre 1385,1386 gehörenden Register C wird verzeichnet, daß er ein verhältnismäßig großes Udel von 10 Mark sichergestellt und dem städtischen Vertreter die Einkaufssumme von fünf Gulden entrichtet habe98. Es muß sich bei Ruedi Meier also um eine wichtige Persönlichkeit gehandelt haben. Dieser leistet nun bei den Bürgeraufnahmen nach Johann Baptist (24. Juni) 1386 Bürgschaft in Menznau, in Hergiswil, in Gettnau und Großdietwil. Neben Ruedi Meier tritt noch eine weitere Person in Erscheinung, allerdings in bedeutend geringerem Ausmaß: Hänsli Suter von Ettiswil, der in Ettiswil und Gettnau Bürgschaft leistet. Auch hier handelt es sich um einen Neubürger. Als einziger zahlt er in Ettiswil den Bürgergulden, während ihn die übrigen nur versprechen". Treten so gewisse Personen geradezu als einheimische Agenten auf, die durch Bürgschaftsleistungen in ihrem Umland die Burgrechtnahme in Luzern gefördert haben, so stellen wir anderswo, in Willisau oder in Luthern zum Beispiel fest, daß ortsansäßige Neubürger gegenseitig Bürgen gewesen sind. Auch sonst hat es eine Rückbindung der mit dem Bürgerrecht verbundenen Sicherheitsleistung, des Udels, auf die 12 Karte Ausburger Bewegung 1385/86: quantitative Darstellung O • 1380-84 O 1385/86 A Burgrechte ,_„ . . . a nur indirekt oder chronikal belegte Burgrechte 51-100 und mehr Ausburger í-í O 1-10 Ausburger O 11-25 Ausburger O 26-50 Augsburger 142 143 13 Karte Bürgschaftsleistung auf dem Land 14 Kaite Der Einzug des Bürgerguldens 1392-93 Stadt Luzern selbst in aller Regel nicht gegeben: Das Udel wird nicht in der Stadt sichergestellt, sondern durch Bürgschaftsleistungen anderer Neubürger am Ort selbst. Wir erhalten insgesamt den Eindruck einer spontanen, auf dem Land verankerten Bewegung, auch wenn die Einflußnahme einzelner Persönlichkeiten nicht zu übersehen ist. Zumindest in der Aktivität Ruedi Meiers von Rot läßt sich eine gewiße Förderung durch in der Region einflußreiche Größen annehmen. Wenn dem so war, wenn also lokale und regionale Kräfte wirksam gewesen sind, stellt sich die Frage, was denn Luzern dabei getan habe. War es lediglich das Sammelbecken, in dem sich ein allgemeiner Widerstand gegen die Herrschaft durch massenweise Annahme des Bürgerrechtes zusammengefunden hat? Oder hat es aktiv um solche Bürger geworben? Es scheint uns in der Tat aufgrund der Nachträge im Einzugsregister von 1392 möglich zu sein, das Vorgehen Luzerns näher auszuleuchten. Wir haben bei der Vorstellung dieses Registers gesehen, daß es zwei Handlungen gab, die wir aus der Handschriftenbeschreibung allein chronologisch nicht einordnen konnten. Es sind dies die Aktivitäten der drei Einzüger Heinrich Zer Linden, Werner Urner und Heinrich von Moos und die Entrichtung von sieben Schillingen durch die verzeichneten Neubürger. Wenden wir uns zunächst der Frage der Einzüger zu. In welchen Zusammenhang ließe sich ihre Tätigkeit am ehesten einordnen? 1392 dürften sie nicht aktiv gewesen sein: Wir kennen die Ratsdeputation, die mit dem Einziehen des Guldens beauftragt war, und es ist nicht anzunehmen, daß nebenher noch an- 144 145 I dere ohne offiziellen Auftrag in derselben Sache im Lande umherreisten. Wenn wir zudem die beiden Einzugstätigkeiten miteinander in Bezug bringen, gewinnen wir ebenfalls nicht den Eindruck einer koordinierten Arbeitsteilung. Bliebe die Ratsdeputation von 1389; wir haben indessen schon oben bemerkt, daß die Deputation nicht tätig geworden ist, sonst hätte der Stadtschreiber Wisse nicht das gesamte Register A, das für sie angelegt worden war, zuhanden der 1392 bestimmten Deputation unverändert in das Einzugsregister einbauen müssen. Zudem bezieht sich die Einzugstätigkeit Zer Lindens, von Moos' und Urners nicht spezifisch auf das genannte Register A. Bleiben also die Jahre von 1386 bis 1388. Nichts spricht dagegen und einiges spricht dafür, daß die Tätigkeit dieser drei am ehesten im Zusammenhang mit den Bürgeraufnahmen selbst gesehen werden muß. Es fällt zunächst auf, daß sie gerade an exponierten Orten ihre Spuren hinterlassen haben, insbesondere im Willisauer Hinterland, dann auch in den entlegeneren Orten des Reuß-, See- und Winentals100. Bei den hier eingezogenen Einkaufsgulden handelt es sich prozentual gemessen an der Gesamtzahl der Neubürger meist um kleinere Anteile. Diese sind zudem sehr unregelmäßig. Ein System ist nicht zu erkennen. Das ganze erweckt den Eindruck einer vorläufigen und eiligen Aktion. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn wir die Personen betrachten, die ihren Gulden den drei Einzügern entrichten. Es sind, soweit erkennbar, die lokalen Befürworter und Förderer der Burgrechtsannahme. Als einziger zahlt so in Ettiswil Hänslin Suter, der zugleich Bürgschaft für alle leistet, seinen Gulden an Heinrich Zer Linden, ebenso der besonders aktive Ruedi Meier von Rot. Wenn beim Letzteren die Söhne, die mit ihm das Bürgerrecht annahmen, ihren Gulden erst der Deputation von 1392 entrichten, so weist das deutlich darauf hin, daß es so etwas wie eine vorläufige stellvertretende Zahlung, eine Pars-pro-toto-Leistung, gegeben hat. Eine solche ist zeitlich aber am ehesten zur Zeit der Bürgeraufnahme anzunehmen. Geben uns die Personalien der drei Einzüger gewisse Hinweise? Was wir von Werner Urner und Johann von Moos wissen ist recht wenig und stammt erst aus späterer Zeit. Beide waren in den neunziger Jahren Mitglieder des Gerichts und des Rates. Während sich Werner Urner später in seinem Rufe abträgliche Streitigkeiten verwickelt, erscheint Johann von Moos Ende der neunziger Jahre als Vogt von Merenschwand und im Jahre 1406 schließlich als Vogt von Rothenburg und Hochdorf'°Beide scheinen also in den achtziger Jahren am Anfang ihrer öffentlichen Laufbahn gestanden zu haben. In unserem Zusammenhang ist von Interesse, daß Johann von Moos Mitinhaber der Vogtei und Gerichte von Malters war'02. Seine Tätigkeit beschränkt sich soweit erkennbar im wesentlichen auf Ruswil und Menznau, also gleichsam auf die ihm vertraute 146 Nachbarschaft. Aufschlußreicher sind die Fakten, die uns von Heinrich Zer Linden, der ja beim Einziehen des Einkaufsguldens von allen drei die Hauptarbeit geleistet hat, bekannt sind. Allerdings haben wir es in der interessierenden Zeit mit drei Personen gleichen Namens zu tun, von denen eine 1370 als Heinrich Zer Linden von Kappel erwähnt, eine andere seit 1361 als Senior oder «der älter» bezeichnet wird103. Man kann also davon ausgehen, daß es zunächst einen Vater und Sohn Heinrich Zer Linden gab, ob derjenige von Kappel mit ihnen in Beziehung steht, kann nicht festgestellt werden'04. Wohl der ältere Heinrich erscheint schon seit 1349 in den Waffenrödeln und 1352 im Steuerregister der Stadt105. Von 1386 bis 1388 erscheint ein Heinrich Zer Linden als Schultheiß, von 1388 bis 1391 als Ammann von Luzern106. In der Zwischenzeit erhalten wir verschiedene Nachrichten über Heinrich Zer Lindens Aktivitäten, wobei es aber nicht auszumachen ist, ob es sich hierbei um Vater oder Sohn handelt. Ende der sechziger Jahre hatte sich Zer Linden mit den österreichischen Pfandinhabern überworfen: mit Peter von Torberg, dessen Untervogt er zusammen mit anderen Torberger Leuten aus dem Wolhuser Amt gefangennahm, mit Peter von Grünenberg, dann auch mit der Stadt Baden, wobei er offenbar Bürger von Rothenburg und Baden gefangensetzte107. Über den Anlaß und die näheren Umstände dieser Auseinandersetzung wissen wir nichts. In den siebziger Jahren wird er in der Fehde gegen Cuenzi von Rüm-lang als Helfer Luzerns ausdrücklich erwähnt108. Hierbei ist er - wie Luzern später klagt - trotz des vereinbarten Friedens von dem von Rümlang gefangengenommen worden109. Welcher der beiden Heinriche es war, der in den Jahren 1385 und 1386 bei zahlreichen, zu Bürgern aufgenommenen Landleuten als Einzüger des Einkaufsguldens wirkte, kann hier dahingestellt bleiben. Es war jedenfalls ein Zer Linden und dieser Name dürfte durch das furchtlose Auftreten eines seiner Träger gegenüber verschiedenen Herren in den vorausgegangenen Jahrzehnten im näheren und weiteren Umland bekannt gewesen sein, ganz abgesehen von den persönlichen Beziehungen, welche eine solche Aktivität in der Landschaft geschaffen haben mochte. Wenn jemand die Anliegen Luzerns im Lande draußen vertreten und Parteigänger werben sollte, so war - soweit uns die spärlichen Quellen unterrichten - schon jener Zer Linden der rechte Mann am Ort. So weist einiges darauf hin, daß wir die Tätigkeit dieser drei Einzüger zeitlich am ehesten im Zusammenhang mit der damaligen Massenbür-geraufnahme sehen können. Die aktive Förderung der Bürgeraufnahmen durch Luzern wird durch einen anderen Umstand noch weiter erhellt. Das Einzugsregister zeigt, daß bei den zahlreichen Aufnahmen von 1385 und 1386 der Einkaufsgulden nur zu einem geringen Teil bezahlt, vielmehr in der Regel der Stadt bloß versprochen wurde. 147 Offensichtlich hat Luzern die Bürgeraufnahme erleichtert, indem es auf den sofortigen Einzug des Guldens verzichtete. Geschenkt wurde hingegen das Bürgerrecht auch wieder nicht. Wir haben bei der Quellenbeschreibung gesehen, daß die Punkte vor den Namen sich auf die Bezahlung von 7 Schillingen beziehen. Welche Bewandtnis hatte es mit diesen 7 Schillingen? Die Summe wird im Zusammenhang mit Bürgeraufnahmen verschiedentlich erwähnt. Uns interessieren hier jene Fälle, wo eine Begründung für die 7 Schillinge gegeben wird. 1399 werden die minderjährigen Kinder des Bürgers Klaus Gürber ins Bürgerrecht aufgenommen «mit 7 Schillingen, die hand si bezalt»110. Als 1400 Verena von Heidegg das Burgrecht erneuert und dabei auch ihre sieben Kinder zu Bürgern empfangen läßt, geschieht dies für «jeglichs mit 7 sol.»111 Als 1406 zehn Leute von Meggen das Bürgerrecht empfangen, erfolgt dies im Hinblick darauf, daß schon ihre Väter Bürger von Luzern waren, um 7 Schillinge"2. 7 Schillinge erscheinen auch als Erneuerungsgebühr bei jenen, die schon früher einmal das Bürgerrecht von Luzern oder dann auch von Sempach besessen haben, so 1399 bei Peter Kloter von Rickenbach und 1410 bei Klaus Gürber von Oberhofen113. Es handelt sich also bei den 7 Schillingen um eine reduzierte Einkaufssumme, die dann zu entrichten war, wenn Kinder von Bürgern aufgenolnmenwurden oder wenn das Bürgerrecht einer Person erneuert wurde. Offenbar wurden die Massenaufnahmen von 1385 und 1386 dadurch begünstigt, daß zunächst nur dieser reduzierte Betrag gefordert wurde. Dafür, daß die Zahlung der 7 Schillinge in der Regel zum Zeitpunkt der Aufnahme ge-. schah, gibt es folgende Hinweise: In einigen Fällen konnten auch die reduzierten Aufnahmegebühren nicht sogleich entrichtet werden und so wird nicht nur für den Gulden, sondern auch für die 7 Schillinge Bürgschaft geleistet: So heißt es bei Werner Wirz von Malters, für den Johannes von Moos Bürgschaft leistet, zusätzlich «um die siben sol. gelte Welti Schilling»114. Bei den Bürgern von Reinach, die alle füreinander Bürgschaft leisten, wird zusätzlich vermerkt «um die siben sol. gelte Heini Weidehus»115, wobei dieser ebenfalls ein neu aufgenommener Ausbürgeren Reinach ist. Es sind gerade diese wenigen Ausnahmen, die bei der Anlage der verschiedenen Neubürgerregister verzeichnet wurden, die darauf hinweisen, daß in der Regel die 7 Schillinge sofort bezahlt worden sind116. Die Analyse des Einzugsregisters von 1392 hat es erlaubt, Einblick in die Dynamik und den Charakter der Massenaufnahmen von 1385/86 zu erhalten. ^ , Was zunächst auffällt, ist die geradezu explosionsartige Ausbreitung der Bewe-( gung. Nach einigen Vorläufern im Jahre 1385 erfaßt sie im ersten Halbjahr 1386 das Reußtal, das Seetal und das Winental, am Sempachersee Eich und 148 Sempach. Diese erste Welle trifft also ein Gebiet, das schon immer im Blickfeld Luzerns gelegen hatte, ufert aber zugleich schon im Norden und am Sempachersee in Regionen aus, die bisher von Luzern noch kaum erfaßt worden waren. Im zweiten Halbjahr 1386 ergreift die Bewegung nun auch Willisau und das Hinterland. Diese Welle dürfte am ehesten nach der Schlacht bei Sempach erfolgt sein und eine Reaktion auf den brandschatzenden Zug des österreichischen Heeres nach Willisau darstellen1 Dabei ist es deutlich geworden, daß hier zwei Komponenten gewirkt und sich gegenseitig ergänzt haben. Zunächst erscheint die Bewegung durchaus auf dem Lande verankert. In zahlreichen Ortschaften sind es die aufnahmewilligen Genossen, die sich insgesamt und gegenseitig für das Udel Bürgschaft leisten, ohne unmittelbare Rückbindung an die Stadt. Vereinzelt lassen sich lokal und regional einflußreiche Personen erkennen, die durch zahlreiche Bürgschaftsleistungen die Bewegung förderten. Es handelt sich - und das ist bemerkenswert -nicht um Personen, die schon seit längerer Zeit Luzerner Bürger waren. Gerade die von uns festgestellten Aktivisten im Willisauer Umland sind selbst Neubür-( / ger. Alles weist daraufhin, daß es sich hier um eine kurzfristig eingeleitete, von X den betroffenen Landbevölkerungen getragene Bewegung gehandelt hat. Anderseits wurde von der Stadt aus diese Bewegung vor allem durch einzelne Agenten energisch geschürt. Zudem ist die Annahme des Bürgerrechts durch finanzielles Entgegenkommen erleichtert worden. Auch die Tatsache, daß man in Luzern dazu überging, mehrere gleichzeitige Bürgerregister anzulegen und die Namen der Neubürger nicht mehr ins pergamentene Bürgerbuch einzutragen, zeigt, daß man in der Kanzlei kurzfristige Maßnahmen ergriff, um die rasch zunehmenden Bürgeraufnahmen, die man administrativ offensichtlich einplante, zu bewältigen. In den folgenden Jahren wurden wieder alle Neubürgeraufnahmen allein ins Pergamentbuch eingetragen. Es fragt sich, welches der Vorteil Luzerns bei dieser ganzen Angelegenheit war. Im finanziellen Bereich war der Gewinn alles andere als überwältigend. Die sofort bezahlten 7 Schillinge ergaben nicht einen eben hohen, wenn auch nicht zu verachtenden Betrag. Die Einkaufsgulden waren wohl versprochen, aber ihre Bezahlung folgte erst viel später und - wie wir sehen - erst noch recht unvollständig. Ob durch die Bürgeraufnahmen von Landleuten die Versorgung der Stadt sichergestellt werden sollte, ist zumindest bei den entfernten Ort- \ y Schäften im Winental oder im Willisauer Hinterland fraglich. Überhaupt wird A man bei dieser unerhört rasch vorgetragenen Burgrechtsverleihungsaktion da- ^ von absehen müssen, diese mit langfristigen wirtschaftlichen Entwicklungen -etwa der Ende des 14. Jahrhunderts verbreiteten Agrarkrise118 - in Beziehung setzen zu wollen. 149 Luzerns Interesse kann nur politischer Natur gewesen sein. Durch die Ver-burgrechtung von Landleuten auf weit vorgeschobene Positionen ließ sich in dieser kritischen Zeit auch weit vor dem unmittelbaren luzernischen Interessenbereich Unruhe im Land und damit Behinderungen der Gegenpartei schaffen. Zumindest von Zofingen ist uns die Klage erhalten, daß jene, die nach Lu-zern geschworen hätten, ihnen den Kauf verweigerten, das heißt also, sie wirtschaftlich boykottierten11'. Luzern hat diese Möglichkeit der weiträumigen Einflußnahme umso dezidierter ergriffen, als es offenbar auf dem Land auf eine breite Bereitschaft stieß, das Luzerner Burgrecht anzunehmen. In diesem Zusammenhang muß auf zwei Dinge hingewiesen werden: Zunächst die beachtliche geographische Verlagerung, die im Vergleich zum bisherigen Interessenbereich der Luzerner Bürgschaft stattgefunden hat. Lag früher das Schwergewicht im Reuß- und Seetal, so jetzt im nördlichen Winental, im äußern Wol-huseramt und im Willisauer Hinterland. Gerade auch diese Verlagerung innert kürzester Zeit weist auf eine politische Motivation der Ausbürgeraufnahmen hin. Hingegen darf hinter diesen Massenaufnahmen keine zielgerichtete Territorialpolitik Luzerns auf längere Sicht hin gesehen werden. Es ist doch außerordentlich beachtenswert, daß die Sicherung des Udels nicht auf die Stadt zurückgebunden wird. Wir finden hier weder die formale Bürgschaftsleistung durch den Schultheißen, noch sonst Bürgschaften alteingesessener Luzerner Bürger. Das heißt aber nichts anderes, als daß diese Udel in Wirklichkeit für die Stadt gar nicht gesichert waren. Denn es war Luzern nicht möglich, im gegebenen Fall das Udel einzuziehen oder den Bürgen haftbar zu machen, sofern nicht zusätzliche andere vogteilich-herrschaftliche Rechtshandhaben zur Verfügung standen. Wenn überhaupt, so ist es hier angebracht, von einer bloß formalen Bürgschaftsleistung zu sprechen, diesmal nicht im Sinne einer besonders engen, sondern im Gegenteil einer besonders lockeren Bindung an die Stadt. Weder die Stadt als solche, noch ihre Bürger gingen bei diesen Bürgeraufnahmen ein materielles Risiko ein, und sie haben denn auch einen großen Teil der 1385 bis 1386 empfangenen Ausburgergruppen recht bald und schmerzlos wieder verloren. Das Luzerner Interesse an jenen Massenbürger-aufnahmen war zunächst nur kurzfristig, auf die unmittelbare Krisenzeit ausgerichtet. Darauf weist auch die Tatsache hin, daß nach dem Sempacherkrieg in jenen Regionen keine größeren Bürgeraufnahmen mehr stattfanden. Zu einer Massenbewegung ist es nachmals nur mehr im Grenzgebiet zu Zug und Schwyz gekommen: 1399 in Buonas, Meierskappel, Lendiswil, Dietisberg, Waltrat, vor allem aber zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Udligenswil und Meggen120. Die besondere Aufmerksamkeit Luzerns für diese Region in jener Zeit ist darauf 150 Herkunftsnamen der Bürger von Luzern 1394-1415 • 1- 4 Bürger • 5-9 Bürger 0 10-19 Bürger O Ortsangabe als Geschlechtsname • Geschlechtsname und Ortsangabe ¥ Ausburgergruppen Grenze nach österreichischem Entwurf bei Zwanzigjährigem Frieden 1394 5 10 km 15 Karte (vgl. Karten 8 und 9) zurückzuführen, daß diese damals offenbar Gefahr lief, in den schwyzerischen Einflußkreis wegzugleiten. Luzern hatte seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, insbesondere seitdem das Zugerland Ende der sechziger Jahre in schwyzerische Schirmgewalt geraten war, im Küßnachter Umland einen schweren Stand. 1378 befand sich Schwyz de facto im Besitz der Kastvogtei über die Kirche von Küßnacht, vor 1383 hatte es begonnen, daselbst Zölle zu erheben, 1389 wurden die Leute von Küßnacht, Haitikon, Immensee und Greppen, die noch 1352 ihre Steuer nach Luzern bezahlt hatten, von der neuerlichen Steuererhebung Lu-zerns nicht mehr erfaßt. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts erwarb Schwyz schließlich sukzessive die Hoheitsrechte über Küßnacht121. Luzern scheint nun seit 1399 durch Bürgerrechtsverleihungen in dieser Region, insbesondere an mehrere Udligenswiler in den Jahren 1400 und 1402 und dann 1406 an jene von Meggen, der Attraktivität des benachbarten und energisch ausgreifenden Landortes entgegengewirkt zu haben. Mit dem Kauf Udligenswils, Meggens und Greppens vom 15. Juli 1406 durch die Stadt Luzern wurde dann dieser [Raum für Luzern endgültig gesichert. In unserem Zusammenhang ist nun die Beobachtung von Interesse, daß Luzern auch hier in einer Krisenzone wieder-um das Mittel der Massenbürgeraufnahme einsetzt. Luzern hat also neben der gewohnheitsmäßig weit interpretierten Aufnahmepraxis zu «ingesessen bürgern» eine ausgesprochen krisenbezogene Masseneinbürgerungspolitik gekannt. Zu Massenaufnahmen ist es während der Auseinandersetzungen mit Vogt Hartmann von Ruoda von Rothenburg in den frühen dreissiger Jahren gekommen, in der Krisensituation um die Mitte des 14. Jahrhunderts, bei der Auseinandersetzung mit der Herrschaft der Pfandherren in Rothenburg und Wolhusen und schließlich im Zusammenhang mit der Eindämmung schwyze-rischer Ambitionen im Küßnachter Raum. In solchen Krisenzeiten hat es offensichtlich auch eine vermehrte Zuwendung der Landleute zur Stadt gegeben122. Die Stadt hat diese Zuwendung der Landbevölkerung jeweils genutzt und, wie vor allem bei der Massenbewegung von 1385/86 festgestellt werden konnte, aktiv gefördert. Ihre Motivation hiezu war eine kurzfristig politische. Die Massenaufnahmen für sich allein genommen hatten nämlich keine Folgen. Von jener der dreissiger Jahre kennen wir nicht einmal den Umfang, den sie erreicht hatte. Jene aus der Mitte des Jahrhunderts hat wohl ihren Niederschlag in der Steuer von 1352 gefunden. Territoriale Folgen hatte sie jedoch nicht, und als es 1389 wiederum zu einer Besteuerung der Landschaft kam, wurden etliche Orte nicht mehr belangt. Inwiefern die Massenbewegung der achtziger Jahre dauerhafte Folgen zeitigte, wird im weiteren näher zu untersuchen sein. Hier sei nur vorweggenommen, daß die nun einsetzende territoriale Entwicklung - auch wenn sie als von ihr gleichsam vorgezeichnet erscheint - 152 Herkunftsnamen der Einwohner (Bürger und Gäste) von Luzern • nach Waffenverzeichnissen 1349 und 1358 O nach Steuerrodel 1352 (ergänzend eingesetzt) nicht auf diese Ausburgerbewegung zurückzuführen ist. Nur dort hat Luzern sich schließlich dauerhaft eingerichtet, wo es Herrschaftsrechte erwerben konnte; die zahlreichen Ausburger, die außerhalb dieses Bereiches saßen, sind allesamt rasch verlorengegangen. Im Grenzgebiet gegen Schwyz schließlich, wo die letzte Massenaufnahme geschah, ist die Situation 1406 durch Kauf bereinigt worden. Doch hat sich 1385/86 eine erstaunliche Umorientierung des luzernischen Interessenkreises ergeben. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts scheint sich diese Bewegung zur Stadt hin noch durchaus im Rahmen des altgewohnten sozialen und wirtschaftlichen Bezugsfeldes der Stadt abgespielt zu haben. Das läßt sich für die Mitte des 14. Jahrhunderts indirekt aus den Waffenverzeichnissen von 1349 und 1353 sowie aus dem Steuerrodel von 1352 erkennen, wo nicht nur die Luzerner Bürger, sondern auch alle «Gäste» - also jene, die sich in die Sicherheit der Stadl begeben hatten - erfaßt wurden. Auch wenn hier nicht die Ausburger festgestellt werden können, so zeigen diese Verzeichnisse doch anhand der Namen mit Herkunftsbezeichnungen den geographischen Umkreis, aus dem man Zuflucht in Luzern suchte: Das Bild, das sich hierbei ergibt (s. Karte), entspricht im großen und ganzen durchaus jenem, das bei der Feststellung der sozialräumlichen Verflechtung gewonnen werden konnte. In dieser Beziehung ist es nun beachtlich, daß es 1385/86 deutlich zu einer Umorientierung des luzernischen Bezugsfeldes nach Norden und Westen gekommen ist. In diese Stoßrichtung sollte die nach der Entscheidung von Sempach erst möglich gewordene eigentliche Territorialpolitik Luzerns vorgetragen werden. 3. Das Verhältnis von Burgrecht und Herrschaftsrecht Wir haben bisher die allgemeine Entwicklung der Luzerner Burgrechtsverleihung betrachtet, die grundsätzliche rechtliche Auseinandersetzung um das luzernische Burgrecht mit der Herrschaft Österreich sowie die Massenbürger-aufnahmen verfolgt. Nun erlauben es einige Quellen, die Begleitumstände und Hintergründe der Burgrechtsverleihung konkreter zu erfassen, als es anhand des Bürgerbuchs und des Einzugsregisters möglich ist. Ihnen wenden wir uns im folgenden zu, wobei wir beständig die Frage im Auge behalten, in welchem Verhältnis diese Burgrechtsverträge und Bürgeraufnahmen zur Herrschaft Österreichs standen. 154 Uli V- 7 f "J.-P" Am pty,*^.. Ha ti^ tfe^ 6 T. IA, AihV«|W>ö- -t-.j f Vifc,"JlÜ(*^- 9r- 'Vh.-^i «- /je«., tümfy fit .i ä1 ■Gift, — 1 -^^»44, , Abb. 8 Das älteste Bürgerbuch der Stadt Luzern, 14./15. Jahrhundert 155 Jh. a) Burgrecht mit Vorbehalt herrschaftlicher Rechte Es fällt bei der Aufnahme ganzer Gruppen von Landleuten aus der näheren Umgebung Luzerns auf, daß sie unter Vorbehalt der Vogteirechte erfolgt sind. «Mit der bescheidenheit, daß si iren vögten, keinem und meiern für dishin tun sullent, was si inen von alter har geton habent, von recht oder von guter gewon-heit und sol si dis burgrecht davor nüt schirmen», heißt es 1380 in der ausführlichen Formulierung für die Ausburger zu Meggen, und für Adligenswil und Udligenswil galt dasselbe'". In Malters, Littau, Emmen und Root wird bestimmt, daß die Neubürger ihren Herren - «dominis suis» - alle Dienste leisten sollen nach Recht und alter Gewohnheit124. Für Kriens besitzen wir die abweichende Präzisierung, daß die Leistungen, die durch das Bürgerrecht nicht beeinträchtigt werden sollen, «von den gütern» her stammen125. Für Weggis schließlich werden die der Stadt gehörenden Vogteirechte vorbehalten126. Was bezweckte dieser \torbejialt_der bestehenden Rechte? Meggen, Adligenswil und Udligenswil stellten Bestandteile des alten Amtes Habsburg dar, welches pfandweise12' wie auch Emmen (lehensweise) im Besitz Walters von Tottikon war128. Dieser war aber nicht Bürger von Luzern. Es ist nun bemerkenswert, wie der Eintritt ins luzernische Burgrecht sich vollzog. An und für sich hätte die Möglichkeit bestanden, mit Walter von Tottikon einen Burgrechtsvertrag einzugehen, wie es Bern mit den benachbarten Herren tat. Statt dessen verlieh Luzern ihm und verschiedenen Gruppen von Landleuten, die in seinem Pfandbesitz seßhaft waren, im ersten Halbjahr 1380 das Bürgerrecht. Die verschiedenen Gruppen stellten jeweils für sich das notwendige Udel sicher und leisteten die Einkaufszahlung wie auch der von Tottikon, der sich auf eine ausnehmend große Udelsumme von 50 Mark verpflichten und 10 Gulden an die Stadt entrichten mußte129. Diese garantierte ihm dafür durch den Vorbehalt seiner Rechte die Aufrechterhaltung seiner Stellung im betroffenen Pfandbesitz. Mit dieser Form erstrebte Luzern offensichtlich zwei Ziele: Zunächst war eine Mediatisierung der Landleute unter der Herrschaft des Neubürgers von Tottikon ausgeschlossen. Auch die Landleute wurden unmittelbar Bürger von Luzern. Zugleich blieb aber die österreichische Herrschaftsstruktur in der Form des Pfandes erhalten. Dies trat dann ganz deutlich zutage, als Luzern 1406 das Amt Habsburg von der Erbin des von Tottikon, Johanna von Hunwil, erwarb: als österreichisches Pfand, mit dem üblichen Vorbehalt, der Lösung durch die Herrschaft gewärtig zu sein'30. Die hohe Gerichtsbarkeit, die niederen Gerichte und grundherrlichen Rechte von Malters befanden sich zur Zeit der Bürgeraufnahme, 1385, schon über fünf Jahre als österreichisches Pfand in den Händen einer Erbengemeinschaft 156 I i von luzernischen Bürgern, den Nachfahren des ehemaligen Burggrafen von Habsburg Jost von Moos, Johannes und Peter von Moos sowie Peters von Gundoldingen'31. Auch hier blieben die durch die Pfandschaft gegebenen Strukturen bestehen und wurden durch den Vorbehalt respektiert. In Kriens lassen sich die Rechtsverhältnisse zur Zeit der Ausburgeraufnahme mangels Quellen nicht sicher feststellen. Von denen «von Rot», deren Rechte vorbehalten wurden, erfahren wir so wenig wie zu jener Zeit von der Vogtei über Kriens selbst132. Der Vorbehalt ist so formuliert, daß daraus nicht unbesehen auf Vogteirechte der von Root geschlossen werden kann. Die Neubürger sollen das leisten, zu dem sie «von den Gütern wegen» - also doch wohl: aufgrund seines Besitzrechtes - verpflichtet sind. Respektierung der bestehenden Rechtsverhältnisse, dieses Motiv tritt nun deutlich hervor in den Herrschaftsvorbehalten bei Landleuten, die noch unter der Vogtei österreichischer Gefolgsleute oder anderer Herren standen. In Littau besaß Peter von Meggen von Rothenburg die gesamten Rechte, Vogtei, Meier- und Kelnamt, als österreichisches Lehen133. Eine bürgerrechtliche Verbindung des von Meggen mit Luzern ist 1385 nicht nachzuweisen. Die Rechte der Herrschaft wurden auch bei der Aufnahme der Landleute von Hohenrain von 1385 vorbehalten und zwar in genau gleicher Weise wie bei Emmen1". Wie weit auch die im gleichen Jahr erfolgte Bürgerrechtsverleihung an die Ruswiler unter diesem Vorbehalt stand, ist nicht eindeutig zu klären. Es wird bei ihnen angegeben «recepti sunt ut primi» - «sie sind aufgenommen worden, wie die ersten» - was sich auf die unmittelbar davor im Bürgerbuch eingetragenen Ho-henrainer oder auf früher aufgenommene Ruswiler, die aber quellenmäßig nicht überliefert wären, beziehen kann. In beiden Fällen wären hier also die Rechte letztlich des Pfandherrn Peter von Torberg gewahrt worden13S. Was diese Vorbehalte bedeutet haben, wie weit sie gegangen sein dürften, hierüber gibt uns die Burgrechtsverleihung an die Gemeinde Ebikon und Rotsee Aufschlüsse. Der Reversbrief der Genossen von Ebikon und Rotsee Die früheste bekannte Burgrechtsverleihung ist jene an die Gemeinde von Ebikon und Rot see, deren Reversbrief vom 17. Juni 1379 uns noch erhalten geblieben ist. Die Burgrechtsverleihung selbst, die wir nicht mehr besitzen, muß unter demselben Datum oder kurz zuvor erfolgt sein und steht im Zusammenhang mit der auf den 13. Mai 1379 datierten Übertragung der Vogtei Ebikon und Rotsee als österreichisches Lehen an den Luzerner Schultheißen Peter von Gundoldingen und seinen Sohn Werner von Gundoldingen136. Intensivere 157 Kontakte zwischen Luzern und denen von Ebikon bestanden aber schon vorher. Bereits 1352 haben zahlreiche Ebikoner in die Stadt gesteuert'". Nun, wie die Vogtei 1379 in den Besitz des Luzerner Schultheißen übergeht, bemühen sich - so zumindest der Wortlaut des Reversbriefes - die Genossen um die kollektive Aufnahme ins Bürgerrecht. Warum konkret es zu diesem Schritt kommt, erfahren wir nicht. Die Begründung spricht davon, daß «unser lip und gut deste fürbas beschirmet müge werden und auch wir nu und in künftigen zi-ten deste rüweklicher bi dem unsern in fride und gnade sitzen und bliben mü-gen». Das klingt recht formelhaft. Interessant ist der Reversbrief der Gemeinde Ebikon nun vor allem deshalb, weil wir allein hier Einblick erhalten, was der Vorbehalt, der im Bürgerbuch ja nur vermerkt wird, eigentlich beinhaltet. Die Genossen verpflichten sich «unsern vögten gentzlich und volleklich gehorsam» zu sein, «mit twingen, bennen, lüten, gütern, gerichten, freveln, sturen, fuoterhabern, vasnachthünren, vog-stüren, nutzen, diensten, vellen, züvellen, holtze, velde, wasser und mit allen rechtungen, die darzü gehörent». Mag dies auch fomelhaft klingen, so ist die Absicht doch klar: Alle aus der Vogtei erwachsenden Rechte werden gewahrt. Wenn anschließend die zu entrichtenden Maien- und Herbststeuern sowohl von Ebikon wie von Rotsee genau festgeschrieben werden, zeigt das, wo die materiellen Interessen dessen, der die Vogtei innehatte, lagen. Diesen Vogteirech-ten, so versprechen die Genossen, wollen sie sich weder mit dem Luzerner Burgrecht, noch mit einem andern «burgrecht, stetterecht, lantrecht» oder «buntnisse» entziehen. Beachtenswert ist nun, daß dieses Versprechen nicht nur für die günstige Konstellation galt, die durch den Erwerb der Vogtei durch Luzerner Bürger eingetreten war. Ausdrücklich wird nämlich festgehalten, daß es auch gelten solle, wenn diese die Vogtei «lideklich verkouftent oder uf ein widerlösen versastent», also verpfänden würden. Es handelt sich demnach um eine absolute, grundsätzliche Garantie der Vogtei, die durch den Eintritt der Vogtleute in eine neue Rechtsstellung, ins Luzerner Bürgerrecht, nötig geworden war. Der Vorbehalt ist also nicht auf eine politische Option zurückzuführen, sondern aus allgemeinen, hier lehensrechtlichen Rechtsvorstellungen zu erklären. Im Reversbrief wird denn auch ausdrücklich der Vorbehalt mit dem lehensrechtlichen Konnex begründet. Der Lehensträger war verpflichtet, das Lehen nicht zu mindern und es ohne Wissen und Zustimmung seines Lehensherrn nicht zu veräußern. Es wurde oben gezeigt, wie Lehensgeschäfte unmittelbar der Zuständigkeit der österreichischen Herrschaft unterstellt blieben. Dasselbe gilt für die pfandweise besessenen Rechte. Die von Gundoldingen, wie auch -so dürfen wir ergänzen - die andern mit Vogteien belehnten Luzerner Bürger, deren Rechte in den Einträgen des Bürgerbuches vorbehalten wurden, hielten sich durchaus an diese Rechtsvorstellung. Die bestehenden lehens- und pfandrechtlichen Strukturen der österreichischen Herrschaft wurden also noch zu dieser Zeit nicht in Frage gestellt. Der Reversbrief der Gemeinde von Ebikon und Rotsee zeigt, daß durch Lehensträgerschaft und Pfandbesitz luzernischer Bürger das österreichische Rechtsgefüge, wie es sich im Laufe der Zeit herausgebildet hatte, nicht aufgebrochen wurde. Die Wahrung der herrschaftlichen Rechte galt absolut, und in Littau und Hohenrain, wie möglicherweise auch in einem so brisanten Fall wie Ruswil, wurden die Rechte auch gegenüber Vögtei-inhabern, die nicht zu Luzern gehörten, garantiert. Burgrecht und Herrschaftsrecht Es stellt sich nun die Frage, wenn alle Vogteirechte gewahrt blieben, was brachte dann das Luzerner Bürgerrecht den Genossen von Ebikon? Die Initiative zur Bürgeraufnahme ging ja nach der Formulierung der Urkunde von den Genossen aus. Dabei mag wohl auch die Erwerbung marktwirtschaftlicher Vqrteilß eine Rolle gespielt haben, namhaft gemacht wird aber nur ein Bedürfnis nach vermehrtem Schutz. Schutz vor wem? Wir besitzen keine Nachrichten, die uns hierüber nähere Auskunft geben. Da aber die Rechte der Herrschaft an ihren Lehen in Form der bedingungslosen Garantie der Vogteirechte gewahrt blieben, kann es sich nicht um einen gegen die österreichische Herrschaft gerichteten Akt handeln. Wie denn auch die Belehnung des Luzerner Schultheißen durch die Herzöge von Österreich politisch nicht überbewertet werden sollte138. Wenn wir dieser merkwürdigen Verbindung von Bürgerrechtsverleihung und Vorbehalt der Vogteirechte näherkommen wollen, empfiehlt es sich, danach zu fragen, welches die Interessen derjenigen waren, die diesen Vorbehalt fordern mußten und offenbar auch durchsetzen konnten, nämlich der Vögte. Vielleicht bieten uns hier die Nachrichten, die wir von den Verhältnissen in Malters besitzen, eine Möglichkeit zum besseren Verständnis. Am 27. Februar 1378 sehen wir die Räte von Luzern ein Urteil fällen, in einer Sache, die sie eigentlich gar nichts angehen sollte. Damals ist an sie ein Fall gekommen «von den von Mose und den von Malters». Sie urteilen, daß die von Malters «kein verbüntniss me süllen ze einander sweren ane der von Mose wissen und willen; detent si es darüber, so sint si dem rate ze Lucern fünftzig mark Silbers vervallen» 1Wie kam es zu diesem Eingriff der Stadt? Als Pfandschaft war die Vogtei Malters von der österreichischen Landesherrschaft in gleicher Weise media-tisiert worden, wie Rothenburg und Wolhusen. Das bedeutete, daß für die Un- 158 159 tertanen keine Appellation mehr an die Herrschaft Österreich oder deren Vertreter möglich war; bedeutete aber auch für den Pfandherrn, daß er die Herrschaft mit seinen eigenen Möglichkeiten wahrnehmen mußte. Für die interne Verwaltung seiner Pfandschaft war er auf sich allein gestellt. Es ist oben gezeigt worden, wie die Pfandherren in dieser Situation die ihnen verpfändeten Rechte intensiv nutzten, sofern sie über die Machtmittel hiezu verfügten, von Torberg in einem größern, die von Grünenberg in einem geringeren Umfang. Das Machtmittel der Luzerner Bürger von Moos als Vögte von Malters war nun die Rückendeckung der Stadt. Der Rat sah sich damals offensichtlich bereits in der Lage, auch ohne Rechtsgrundlage, aber aufgrund der gegebenen Verhältnisse sich entscheidend für seinen Mitbürger einzusetzen. Das Vergehen jener von Malters war es, daß sie sich miteinander ohne Wissen des Vogtes und - so muß man annehmen - gegen ihn verschworen hatten. Das soll nun unter Androhung einer beachtlich hohen Strafe, die an den Rat - nicht an den Vogt - zu entrichten war, abgestellt werden. Im Zentrum der Reibereien zwischen der Gemeinde und den Vogteiinhabern dürften - wie allenthalben zu jener Zeit - die jährlichen Steuern gestanden haben, denen ja auch schon im Ebikoner Reversbrief eine besondere Beachtung geschenkt worden war und die auch in den übrigen Pfandschaften den Hauptkonfliktstoff bildeten. Die festen Jahresbeträge stellten für die einen eine ständige, in schlechten Jahren unerträgliche Belastung dar, für die andern eine kontinuierliche und sichere Einnahmequelle. Es lag so in der Natur der festen Steuer, daß alljährlich Spannungen auftreten konnten. Wenn im Ebikoner Reversbrief die Steuern genau fixiert wurden, so sollte damit gerade in dieser konfliktträchtigen Materie die Situation unmißverständlich geklärt werden. Der Luzerner Spruch über jene von Malters im Jahr 1378 zeigt, wie die Gemeinden zur Selbsthilfe greifen konnten, indem sie sich miteinander gegen ihre Vögte verschworen. Da 1378 lediglich die Verschwörung verboten und hart geahndet, ihr Grund aber nicht ausgelotet und behoben wurde, wird der Konflikt weiter geschwelt haben. Hier schuf 1385 die Bürgerrechtsverleihung an die von Malters eine neue Grundlage, auf welcher der Konflikt im rechtlichen Rahmen geregelt werden konnte. Zwei Jahre später - wohl verzögert durch die alle Aufmerksamkeit beanspruchende Entwicklung im Jahre 1386 - kam es am 20. April 1387 zur grundsätzlichen und rechtlichen Lösung der Steuerfrage durch den Loskauf der Leute von Malters'40. Daß dieser Akt in Luzern vor Schultheiß und Ammann und zahlreichen Luzerner Notabein vollzogen wurde, zeigt - auch wenn die Urkunde so stilisiert ist, daß die von Malters als Aussteller auftreten -, welche Bedeutung dem Luzerner Rat hierbei zukam: Das Geschäft wurde geregelt als eine Angelegenheit unter Luzerner Bürgern. 160 Bei diesem Loskauf wurden jedoch die Interessen des von Moos gewahrt. Das geht nicht nur daraus hervor, daß alle übrigen Vogtrechte wiederum garantiert wurden. Der Steuersatz, der losgekauft werden mußte, war alles andere als untertanenfreundlich. Er entsprach nämlich dem unter Ausschöpfung aller Mittel möglichen Maximalansatz des Habsburger Urbars141. Die Aufnahme der Leute von Malters ins Luzerner Bürgerrecht hätte in dem hier entwickelten Zusammenhang zu einer Disziplinierung der dem Vogt unterstellten Leute geführt, dadurch daß sie in den gleichen Rechtskreis einbezogen wurden wie ihr Vogt, dem sich nun eine verbesserte Rechtsgrundlage und eine institutionalisierte Rückendeckung der Stadt bei der Durchsetzung der erworbenen Vogteirechte bot. Anderseits hat die Bürgerrechtsverleihung auch die Rechtsstellung der Leute von Malters verbessert. Wo der Rechtszug an die Landesherrschaft wegen der Mediatisierung nicht mehr möglich war, bot sich nun die Stadt als Schieds- und Vermittlungsinstanz an. Der gleiche bürgerrechtliche Status der Vogtleute und des Vogtes hat so die geregelte Lösung des Konfliktes durch den Steuerloskauf vor Schultheiß und Ammann von Luzern erst möglich gemacht. Vor diesem Hintergrund gewinnt nun die Tatsache eine besondere Aussagekraft, daß auch der Ebikoner Reversbrief von 1379 in Luzern ausgestellt worden ist; vor offenem alten und neuen Rat und besiegelt durch den Ammann von Luzern und Heinrich von Moos, Vogt von Malters. Auch hier ist die Urkunde so stilisiert, daß die Ebikoner als Aussteller und somit auch Initianten des ganzen Aktes erscheinen. Es läßt sich aber durchaus fragen, ob dies nur der Form nach so geschah und ob die Initiative zur Bürgerrechtsverleihung nicht auch von dem mit der Vogtei neu belehnten Peter von Gundoldingen ausgegangen sei, aus ähnlichen Gründen wie bei Malters. Die Begründung des Reversbriefes, daß man Ruhe und Schutz sichern wolle, ließe sich auch in diesem Sinne verstehen. Als Hauptinteressenten an der merkwürdigen Verbindung von Burgrecht und vogteilichem Herrschaftsrecht dürfen wir die Vogteiinhaber bezeichnen. Dadurch, daß sie Bürger von Luzern waren, traf sich ihr Interesse mit jenem der Stadt, welche ohnehin - wie wir gesehen haben - schon immer in regem personellem Austausch gerade mit der Region, in der die hier behandelten Orte lagen, gestanden hat. Dieser Zusammenschluß der Interessen brachte der Stadt eine rechtliche Konsolidierung ihres Einflusses im unmittelbaren Vorland, dem Vogt eine Rückendeckung gegenüber den Vogtleuten. Den Landleuten schließlich brachte das Burgrecht, abgesehen von den allgemein zu vermutenden marktwirtschaftlichenVorteilen, ebenfalls eine rechtliche Besserung: Die Aufnahme in den gleichen bürgerrechtlichen Status wie der vorgesetzte Vogt öf fne- 161 te ihnen die Möglichkeit, ihre Interessen gegenüber dem Vogt rechtlich zu vertreten. Es war die Bündelung der verschiedenen Interessen, welche die Überlagerung der an sich widerstreitenden Rechtssphären des städtisch-luzernischen Bürgerrechts und des vogteilichen Herrschaftsrechts ermöglichte. Die Formel der Burgrechtsverleihung unter Vorbehalt der Vogteirechte erlaubte es, die Verhältnisse rechtlich in einer für die Stadt vorteilhaften Weise zu regeln, ohne daß österreichische Rechte verletzt wurden. Die Ausburgeraufnahmen und Burgrechtsverleihungen unter Vorbehalt der Vogtei richteten sich in keinem Fall gegen die österreichische Herrschaft: Die österreichischen Rechte, sei es nun als Lehen oder Pfand, wurden vollständig garantiert. b) Burgrecht gegen die Herrschaft Wo eine solche Bündelung der Interessen nicht zustandekam, gewann die Entwicklung in den achtziger Jahren sehr rasch eine Eigendynamik, die nicht mehr bloß im Rahmen lokaler Auseinandersetzungen blieb, sondern die österreichische Herrschaft selbst in Frage stellte. Entlebuch und Wolhusen: Gewohnheit wider «nüwe vunde» Über die Aufnahme Entlebuchs ins Luzerner Burgrecht besitzen wir keine Quelle, die uns unmittelbar Auskunft gäbe. Sie dürfte im Winter 1385/1386 erfolgt sein. Jedenfalls war 1385 im Entlebuch das Streben nach Aufnahme ins Luzerner Bürgerrecht weit verbreitet. Darauf weist der Umstand hin, daß sich Peter von Torberg und seine Amtsleute offenbar veranlaßt sahen, ihre Untertanen in Eid zu nehmen, nicht Bürger zu Luzern zu werden. Luzern hat aufgrund des Regensburger Friedens und des Mandats Herzog Rudolfs IV. hiegegen interveniert, und am 15. November 1385 sah sich der Torberger dazu gezwungen, alle Eide zu lösen142. Über die Beweggründe, die zur Aufnahme ins Luzerner Burgrecht führten,, geben die noch erhaltenen Klagen gegen den Pfandherrn Peter von Torberg Aufschluß, welche das Land Entlebuch 1385 an die Herrschaft Österreich gerichtet hat143. In diesen Klagen wird deutlich, daß die Entlebucher grundsätzlich an zwei Punkten Anstoß genommen haben. Sie weisen einerseits auf die Pflichtvergessenheit des Torbergers hin, der wohl im äußeren Amt zwei Burgen wehrbereit halten sollte und dafür auch 21 Pfund jährlich bezog, sie aber nicht unterhalten habe, so daß sie «min her oder dien landliiten» im Falle eines Krieges unnütz wären. In ähnlicher Weise habe er, nachdem die Landleute ihre Tag- 162 Abb. 9 Burgruine Wolhusen. Restaurierter Zustand 1985 wanleistungen beim Bau der Stadt Wolhusen mit 600 Pfund abgegolten hätten, das Geld nicht für den Bau eingesetzt144. Beim Einfall der Gugler habe Torberg die Landleute im entscheidenden Augenblick im Stiche gelassen. Das sind alles Klagen, die sich darauf beziehen, daß der Torberger seine herrschaftliche Schutzpflicht gegenüber den Landleuten nicht wahrnahm und sich damit nicht nur gegenüber den Untergebenen, sondern auch gegenüber der Herrschaft als pflichtvergessen erwies. Die Entlebucher erscheinen durchaus als gut österreichische Untertanen, die sich mit den Klagen über ihren unmittelbaren Vorgesetzten an diese Herrschaft selbst wenden wollten. Die andere Beschwerde der Amtleute von Wolhusen und Entlebucher gegen ihren Vogt war die, daß er ihr altes Recht und ihre Gewohnheit verletze. In den Bereich solcher Konflikte mit alten Gewohnheiten gehören nun auch die Alpstreitigkeiten mit den Unterwaldnern, wobei die ganze Spanne von möglichen Mißverständnissen erkennbar wird. Die erste Nachricht von diesem Alpstreit 163 erhalten wir durch den Schiedsspruch vom 13. Juni 1381"". Die Schiedsleute auf der Entlebucher Seite waren weder selbst Landleute, noch von jenen an das Schiedsgericht delegiert; es handelte sich um Vertreter der Herrschaft, um vom Landvogt in Baden ernannte Ritter und Kleriker. Auch wenn diese Urkunde so stilisiert ist, daß die Entlebucher als Aussteller erscheinen, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Initiative zu diesem großen Schiedsgericht zwischen den Unterwaldnern und Entlebuchern von Peter von Torberg, dem interessierten Pfandinhaber des Amtes Wolhusen, ausgegangen ist. Dieses für die betroffenen Alpgenossen fremde Schiedsgericht zog wohl von jeder Partei zwanzig Leute bei und nahm von diesen Kundschaft über den Grenzverlauf auf, das Urteil fällte es aber allein. Die Entlebucher hatten den gefällten Entscheid nurmehr zu akzeptieren, wie es in der Urkunde geschah, und erst noch zur Kenntnis zu nehmen, daß fortan dieses Schiedsgericht für ihre Grenzstreitigkeit zuständig bleiben sollte. Solche Grenzstreitigkeiten traten aber bestimmt schon früher auf. Das geht aus dem erwähnten Schiedsspruch hervor, der im Grenzgebiet doch recht komplizierte Verhältnisse zeigt. Es gab nämlich - nach dem Wortlaut der Urkunde - Eigenbesitz von Unterwaldnern auf der Entlebucher Seite und umgekehrt, eine fortgeschrittene gegenseitige Verzahnung der Eigentumsrechte, wie sie nur nach einer längeren Entwicklung möglich war. Daß sich hier manche Reibungsfläche bot, leuchtet ein. Solche Streitigkeiten wurden nun - wie aus den Klagen der Entlebucher von 1385/86 geschlossen werden kann - von den Alpgenossen selbst geregelt. Genau das wollten sie tun, nachdem sich der große Schiedsspruch offenbar als ungenügend erwiesen hatte: «dz inen da nüt vol-langen mocht, als es verricht wart, des wurden sich die annemen, die zu dien al-pen horten und ouch ander und lobten zesamen, dz si der alpe grund und grat weltin behaben, als si von alter harkomen wem146.» Die Entlebucher handelten in bestem Glauben, damit nichts gegen die Herrschaft zu tun. Der von Torberg aber griff ein und ging streng gegen die Landleute vor: Er verbannte sie. Vermittlungsbemühungen schlugen fehl. Offensichtlich empfand der Pfandherr die eigenmächtige Handlung der Entlebucher als Verletzung seiner Rechte. In der Folge kam es zu Unruhen im betroffenen Grenzgebiet, in welche auch die Unterwaldner verwickelt wurden. Auch diese Einmischung der Unterwaldner wurde nach alter Gewohnheit durch eine gerichtliche Zusammenkunft beigelegt: «do giengen die lantlüte gemeinlich zu und tedingatten die von Unterwalde von dem lande.» Für den von Torberg stellte auch dies eine unannehmbare Rechtsverletzung dar: «ubeltz aber ir her vor, er ubeltz do noch vaster», wie die Entlebucher berichten. In den Klagepunkten der Entlebucher scheint so altes Herkommen, altes Gewohnheitsrecht auf, das der Genossenschaft der Talleute bei der Schlichtung solcher Grenzstreitigkeiten eine eigenständige Funktion zumaß. Bei der Huldigung an den Pfandherrn hatten sie sich - wie sie im Klagerodel schrieben - garantieren lassen, «bi aller guter gewonheit und rechtung» zu bleiben. Die Rechtsverletzung lag nicht bei ihnen, ihre Aktivitäten richteten sich nicht gegen die Herrschaft. Aus den auf die Strafverfolgung durch Peter von Torberg zurückgehenden Quellen147 selbst wird nun das ganze Mißverständnis deutlich. Der Pfandherr erkannte in dem eigenmächtigen Vorgehen der Entlebucher eine Verschwörung gegen die Herrschaft, einen Aufstand, den es niederzuschlagen galt. Nun ist nicht in Abrede zu stellen, daß es beim offenbar massiven Vorgehen des Torber-gers und seiner Amtleute zu Gegenwehr und Totschlag, ja auch zur Hilfeleistung von Unterwaldnern an die Landleute gekommen sein wird. Aber aus dem Urteilsspruch des Grafen Johann von Arberg vom 19. Juli 1382 und der Schuldanerkennung durch zahlreiche Entlebucher Landleute vom 22. Juli 1382 tritt uns nurmehr der Torbergische, den Verurteilten auf diktierte Standpunkt entgegen, daß sie durch die Verschwörung mit den Unterwaldnern die Herrschaft erheblich geschädigt hätten. Der ursprüngliche Anlaß der ganzen Auseinandersetzung, die Ausübung alten Rechts und das Festhalten daran, wird völlig verschwiegen. Das ist das Entscheidende, und hiergegen wehren sich nun die Entlebucher in den Klagen von 1385. Die «nüwen vunde», insbesondere der Brief, «den er uffen si gesetztet hat» und in dem wir unschwer das Urteil vom 19. Juli 1382 erkennen, wollen sie nun nicht mehr anerkennen, bis ihnen von der Herrschaft Recht gewährt und der Schaden behoben worden sei. Noch handelt es sich nicht um einen Abfall von der Herrschaft: Wenn diese das Unrecht behebe, «so wend si gern ir genedig herschafft tun wz si billich tun sond». Noch erscheinen die Entlebucher durchaus als österreichische Untertanen, die sich gegen die Rechtsmißbräuche eines - in ihrem Verständnis - untergeordneten Herrschaftsvertreters unmittelbar an die Herrschaft wenden, von der sie Abhilfe erhoffen. Es ist nicht uninteressant, diesen Klagerodel mit dem zweiten von 1386, der nicht mehr an die Herrschaft gerichtet, sondern allgemein gehalten war, zu vergleichen. Der Akzent liegt nun nicht mehr so sehr auf der Pflichtvergessenheit des Vogtes - der Paragraph über die zwei Burgen im äußern Amt entfiel -, sondern noch stärker auf dem Gegensatz zwischen Gewohnheit und neuen Funden. Torberg wird so nun zusätzlich beschuldigt, ohne «gemeins landes willen und wissen und rat» - das war offenbar der entscheidende Fehler - «einen sempt» auf sie gesetzt und sie vor auswärtige Gerichte geladen zu haben. Auch die jede Gelegenheit nützenden Geld- und Abgabenforderungen des von Torberg werden nun vermehrt betont. Vor allem wird aber auch die Herrschaft 164 165 I selbst beschuldigt, das 1358 gegebene Versprechen; die Leute des Amts Wolhu-sen nicht mehr zu verpfänden, gebrochen zu haben. Gerade die Änderung der Argumentationsweise im zweiten Klagerodel zeigt, daß die früheren Klagen noch durchaus systemimmanent, d. h. noch völlig innerhalb des Rahmens der österreichischen Herrschaft konzipiert waren. Erst der Mißerfolg dieser ersten Demarche änderte die Haltung der Entlebu-cher. Ob ihre Klagen an die Herrschaft gelangten, ist nicht bekannt. Selbst wenn sie bis dorthin durchgedrungen wären, hätte ein landesherrlicher Eingriff wohl so wenig genützt wie im Falle der Steuer von Ruswil148. Denn anders als beim Alpstreit mit den Unterwaldnern, wo es zu einem von der Herrschaft mitveranlaßten Schiedsgericht kam, handelte es sich hier um interne Angelegenheiten der Pfandherrschaft Wolhusen. Pfandherrschaft war mediatisierte „ \/Herrschaft und der Rechtszug an den fernen Landesherm nicht mehr möglich. «(Erst als dies erkannt wurde - und das muß nach der Abfassung des ersten Kla-if\igerodels geschehen sein - haben sich die Entlebucher dazu entschlossen, mit : Hilfe der Verburgrechtung mit Luzern den Schutz ihrer Gewohnheiten zu erlangen. Mit jenem Luzern, dem sich einzelne Untertanen des von Torberg offenbar bereits zugewandt hatten und das sich in der Frage der Bürgerrechtsverleihung im Herbst 1385 gegenüber dem Torberger hat durchsetzen können; vielleicht auch schon mit jenem Luzern, das mit den Überfällen auf Rothenburg und Wolhusen eine neue Situation geschaffen hatte und als kraftvoller Verbündeter erscheinen mußte. Sempach: Eine folgenschwere Verpfändung Am 6. Januar 1386 ist das Städtlein Sempach in das Burgrecht mit Luzern eingetreten. Die Kunde hievon erhalten wir lediglich aus dem Reversbrief Sempachs"". Schultheiß, Rat und Bürger von Sempach erklären darin, daß sie von Luzern als «ingesessen burger» aufgenommen worden seien, und geloben, aus demselben Burgrecht nicht auszutreten ohne Erlaubnis, Wissen und Willen Luzerns. Luzern hat sich dagegen nicht darauf eingelassen, einen Burg-• rechtsbrief auszustellen. Diese Einseitigkeit wurde von den Sempachern offensichtlich empfunden. Das geht aus heftigen Vorwürfen von Sempacher Bürgern hervor, die 1393 wegen des Ausbleibens des Burgrechtsbriefes «unser her-ren von Lucern» als meineidig erklärten und dafür von Luzern gebüßt wurden150. Die frühesten Zeugnisse, die wir vom Zusammengehen Luzerns und Sempachs haben, erwecken so nicht gerade den Eindruck eines spontanen Zusammenschlusses zweier gleichgesinnter Stadtgemeinden. Die Initiative ging offenkundig von Sempach aus, das sich die luzernische Unterstützung um je- den Preis sichern wollte und sogar dazu bereit war, sich im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Zusammengehens völlig einseitig zu verpflichten: Ohne Erlaubnis Luzerns war die Aufgabe des Burgrechts nicht mehr möglich. Dagegen erscheint Luzern geradezu,als zurückhaltend. Warum diese Einseitigkeit, warum diese Zurückhaltung gegenüber Sempach? Über die Hintergründe der Verburgrechtung von Sempach mit Luzern gibt zunächst der Klagerodel der Sempacher Hinweise. Er ist zwar nicht datiert, aber offensichtlich - die Grünenberger werden bereits in der Vergangenheitsform erwähnt - nach dem Ausscheiden der von Grünenberg aus ihrer Herrschaft Rothenburg verfaßt worden"1. Im Rodel werden die Übergriffe dieser Herren aufgezählt, die darauf zurückgingen, daß - wie die Sempacher berichten - sie von Landvögten und Vögten ebenfalls in die «pfandung gen Rotenburg» «versatzt» worden seien. Hievon gibt es keine Kunde, aber die Herren von Grünenberg haben, wie wir sahen, ihre Pfandschaftsberechtigung möglichst expansiv interpretiert, was zu Übergriffen gegenüber Sempach geführt haben muß. Sie usurpierten das Recht, in Sempach den Schultheißen einzusetzen, und entzogen dem Städtchen die vierzehn Höfe, die ihm bei der sogenannten Straßburger Steuer halfen. Die von den Sempachern verklagten weiteren Schikanen - erhöhte Bußen, Rechtsverweigerung auf dem Land und Tätlichkeiten - können hier übergangen werden. Nur darauf sei noch hingewiesen, daß den Sempachern der Rechtszug an die Herrschaft offenbar verunmöglicht wurde, wenn nötig sogar mit Gewalt. Die Sempacher weisen schließlich darauf hin, daß die Stadt durch den Wegzug zahlreicher Bürger und das Ausbleiben von Neuzuzügern empfindlich an Substanz verloren habe. Wenn viele dieser Klagen auch ungerecht sein mögen und in ihrem Wahrheitsgehalt nicht mehr überprüft werden können, so deutet gerade die letzte Bemerkung auf ein tieferliegendes strukturelles Problem hin, das durch die Übergriffe der Rothenburger Herren noch verschärft wurde. Dieses Problem sehen wir in der sogenannten Straßburger Steuer, die ja auch neben der Besetzung des Schultheißenamtes den Hauptpunkt der Klagen bildet. Worum handelt es sich hier? Um dies zu erklären, müssen wir zum Beginn des 14. Jahrhunderts zurückkehren. Am 25. November 1314 wurde Friedrich der Schöne zum deutschen König gewählt. Es war eine heiß umstrittene Wahl, bei deren Vorbereitung die Habsburger gewaltige finanzielle Anstrengungen unternehmen mußten. Sie erreichten bekanntlich nur einen Teilerfolg: Am gleichen Tag wurde auch Ludwig der Bayer auf den Königsthron erhoben. Er sollte nach langjährigen Auseinandersetzungen schließlich 1322 obsiegen. Die finanziellen Verpflichtungen aber, welche die Habsburger damals eingegangen waren, überdauerten den König, dessen Wahl sie ermöglichen sollten. 166 167 Zu den Geldgebern gehörte auch Heinrich von Mülnheim, das Oberhaupt der damals führenden Familie in Straßburg. Am 5. Oktober 1314152 verkauften ihm die Herzöge Friedrich, Leopold und Heinrich von Österreich gegen 3500 Mark Silber verschiedene Herrschaften und Rechte im Elsaß, sowie 175 Mark Silber jährlich auf den 11. November anfallende Steuergelder zu Brugg und den übrigen Aargauer Städten. Es handelte sich um einen Verkauf mit Wiederkaufsrecht, was in praxi einer Verpfändung gleichkam. Daß es sich von den von Mülnheim aus gesehen um eine langfristige Anlage handelte, ergibt sich aus der Klausel, die den Rückkauf nur für die gesamte Summe oder zumindest für deren Hälfte zugestand. Da bei den habsburgischen Verpfändungen von Einkünften diese in der Regel 10% des Hauptgutes ausmachten, hier also insgesamt 350 Mark, hieß das nichts anderes, als daß es bei einem Wiederkauf entweder um die elsässischen Rechte oder um die gesamte verkaufte Steuer der aargauischen Städte gehen mußte. Schon am 16. Februar 1315 war die Rücklösung der Burg Reichenberg mit der Stadt Bergheim, der Burg Ortenberg, des Dorfes Scherweiler und des Albrechtstales - also aller elsässischen Pfänder - vereinbart'Damit blieb der Verkauf auf Rückkauf oder die Verpfändung der aargauischen Städtesteuern festgeschrieben. Die Verteilung der Lasten auf die einzelnen Städte muß Schwierigkeiten bereitet haben. Erst am 12. April 1315 kam sie zustande154. Das zuerst genannte Brugg beteiligte sich nicht mehr, dafür Aarau, Sursee, Mellingen, Zofingen, Lenzburg und Sempach. Die so mühsam zusammengebrachte Summe reichte aber nur zur Leistung von 145 Mark, so daß die Herzöge am 28. April noch 30 Mark aus der Winterthurer Steuer dazuschlagen mußten'55. Die Lasten wurden wie folgt auf die Städte aufgeteilt: Aarau entrichtete 33 Mark, Sursee 25 Mark, Waldshut 19 Mark, Mellingen 2 Mark, Zofingen 45 Mark, Lenzburg 7 Mark und Sempach 14 Mark Silber. In welchem Verhältnis standen diese Zahlen zur Steuerkraft dieser Städte? In der gegenüberstehenden Tabelle werden die Angaben des Habsburger Urbars zusammengestellt, die altgewohnte fixe Steuer und die durch die Habsburger eingeführte veränderliche Steuer mit Minimal- und Maximalbeträgen. Diesen Zahlen steht der obige Verteilungsschlüssel gegenüber156. Bei dieser Übersicht fällt zunächst auf, wie völlig ungleich die Belastung des Steueraufkommens der einzelnen Städte ausgefallen ist. Sempach, das uns allein interessiert, ist dabei noch recht glimpflich davongekommen. Wohl lag die von ihm zu entrichtende Straßburger Steuer über dem minimalen Steueraufkommen, aber die österreichische Herrschaft pflegte im allgemeinen bei Verpfändungen die Steuern über ihrem Minimalwert einzusetzen, und die andern 168 17 Tabelle Die Steuern der Aargauer Städte 350% 300- 250 200- 100 250% 150 100 50 alte Steuer 100% m. alte Steuer Habsburger Urbar min. max. Straßburger Steuer Sempach 10 10 Vi 25^2 14 Sursee 10 20 Vi 28 25 Zofingen — 20 30 45 Mellingen [8]- 8 17 2' Lenzburg 3,5 4 7 7 Waldshut — 7 47 19 Aarau 10 16'/! 35 33 [Winterthur 33 Vi 60 150 30)k & S < 2 S £ 18 Graphik Das Verhältnis der veränderlichen Steuer des Habsburger Urbars zur alten Steuer 19 Graphik Die Straßburger Steuer im Verhältnis zum Minimum und Maximum des Habsburger Urbars -Max. I ^Min. 169 m Städte - wenn wir von Mellingen absehen, das aber nachweislich anderwärts belastet war - traf es allesamt stärker. Dazu kommt ein weiteres: Die Steuererhöhung, welche die Städte nach dem Übergang unter die habsburgische Herrschaft wohl in der Herzogszeit Albrechts I. erfuhren, war massiv und machte zum Teil ein Mehrfaches der alten Steuer aus. Der Aufschlag betrug in Sursee 100 bis 180% der alten Steuer, bei Aarau 60 bis 250%, bei Winterthur 80 bis über 300% und bei Lenzburg 14 bis 100%. Bei Sempach hingegen ging es um bloße 5 bis 155%. Nur Mellingen ging es noch besser, bei dem der Minimalansatz der alten Steuer entsprach und der Maximalansatz 110% derselben ausmachte. Wie haben wir diese Feststellungen über Sempach zu interpretieren? Offensichtlich war die materielle Lage Sempachs nicht besonders rosig. Die alte Steuer von 10 Mark entsprach hier der tatsächlichen Steuersubstanz, so daß die habsburgische Verwaltung bei ihren Bemühungen, die Steuern dem aktuellen Stand anzupassen und entsprechend anzuheben, bei Sempach kaum etwas ändern konnte. Einen größeren finanziellen Spielraum, den man hätte ausnutzen können, fand man nicht vor. Der Minimalansatz deckte sich beinahe mit der alten Steuersumme. Daß sich die Steuersubstanz der Stadt Sempach nur unwesentlich entwickelte, zeigt auch der Umstand, daß der Steueransatz bei der zwischen 1273 und 1281 erfolgten Verpfändung an Graf Eberhard von Habsburg-Laufenburg bereits 12 Mark betrug; die 1315 erfolgte Einschätzung also im Verlaufe von mehr als 30 Jahren nur eine Steigerung von 17% ausmachte1". Dagegen ist die Spannweite zum Maximalansatz größer als vergleichsweise bei Sursee. Die hier eingerechnete enorme Schwankung weist daraufhin, daß es bei Sempach bei aller Angespanntheit der Lage gewisse Reserven gab, die sich im Notfall mobilisieren ließen. Bei der außerordentlichen Steuer, die Anfang des 14. Jahrhunderts österreichischerseits erhoben wurde, brachte Sempach in der Tat 34 Mark auf, gleichviel wie das Verwaltungszentrum Baden oder auch Mellingen, das bei der Steuerveranschlagung des Habsburger Urbars ähnlich behandelt wurde. Sursee blieb bei seinen 25 Mark, Lenzburg konnte sich nur von 7 auf 10 Mark steigern und Zofingen stellte mit nun 80 Mark seine Finanzkraft erneut unter Beweis158. Wo lagen diese Reserven? Hier ist nun auf die Sempa-cher «uslüte» einzugehen. Nach der Sempacher Tradition sollen, als die Steuer an die von Mülnheim versetzt wurde, der Stadt Höfe zugeteilt worden sein, um bei der Steuer zu helfen159. In Wirklichkeit erscheinen diese «üslüte» bereits in einem um 1290 anzusetzenden Steuerrodel160. Hier sind die alten Steuerveranschlagungen, wie sie zum Teil noch im Habsburger Urbar wiedergegeben werden, angeführt. Bei Sempach heißt es: «ze Sempach 10 Mark und von dien üslüten 20 Pfund». In den 10 Mark erkennen wir die eigentliche alte Stadtsteuer. Der Vermerk über die Ausleute jedoch stellt nicht nur den ersten Beleg für diese dar, es ist überhaupt das einzige Mal, daß wir Auskunft darüber erhalten, was von ihnen gesteuert wird: nämlich 2Q Pfund. Das entspricht bei einem Wechselkurs von y( 2,8 Pfund pro Mark rund 7 Mark. Hieraus wird ersichtlich, daß schon zu Ende des 13. Jahrhunderts von den Ausleuten ein Betrag bezahlt wurde, der 70% der von der Stadt selbst aufgebrachten Summe entsprach oder 41% des Gesamtertrages von 17 Mark ausmachte. Um wieviele es sich bei diesen Ausleuten handelt, erfahren wir leider nicht. Die Quellen schweigen sich über sie und ihre individuellen Beiträge aus. Erst als der Stadt durch die Herren von Grünenberg die «usburger» aberkannt werden, treten sie wieder in unser Blickfeld161. Wir erfahren nun, daß es 14 Höfe sind, die nach Straßburg steuern halfen und deren Steuer nun von den von Grünenberg eingezogen wurde. Der Steuerrodel von 1290 zeigt, daß die Sempacher Tradition von der Zuteilung der helfenden Höfe so unrichtig nicht war. Wenn in der Kundschaft, die Luzern wohl um 1400 über das Verhältnis des Amtes Rothenburg und der Stadt Sempach aufnehmen ließ162, davon berichtet wird, daß die Stadt erst seit dem Amtsantritt der von Grünenberg begonnen habe, Ausburger anzusprechen, so trifft das in diesem absoluten Ausmaß nicht zu. Es muß sich um Ausburger gehandelt haben, die Sempach zusätzlich zu den 14 Höfen aufgenommen hatte. Es gab nach dem Wortlaut der Kundschaft offensichtlich Steuerstreitigkeiten zwischen dem Städtchen und den von Grünenberg. Diese hatten den nach Sempach gezogenen Leuten aus dem Röthenburger Amt die Steuer nachgelegt; auf der andern Seite besteuerte Sempach im Amt Rothenburg weitere Ausburger, die nicht zu den 14 Höfen gehörten. Der von der österreichischen Herrschaft offenbar auf Klage des von Grünenberg hin veranlaßte Schiedsspruch von Hil-disrieden, der um 1380 erfolgte163, scheint nun die Verhältnisse radikal geklärt zu haben, indem jede Steuerberechtigung sowohl Sempachs auf dem Land als auch der von Grünenberg in der Stadt aufgehoben wurde. Dabei sind nun offenbar - wie die Sempacher klagen - auch die altgewohnten helfenden Höfe erfaßt worden. In diesem Zusammenhang muß auch auf die luzernische Zeit vorgegriffen werden: Luzern hat sich dann später als neue Herrin sofort mit dem gleichen Problem konfrontiert gesehen. Schon 1386 suchten die Sempacher ihre Ansprüche zu sichern. Sie beantragten, daß Luzern ihre «usburger» nicht besteuern solle, da sie «von alter har zu inen gehörent,» und nannten acht Leute164. Im Jahre 1400 schritt nun auch Luzern zu einer grundsätzlichen Lösung, wie es die österreichische Herrschaft mit dem Tag von Hildisrieden erstrebt hatte, allerdings auf eine differenzierte Weise165. Nun wurden die bean- 170 171 spruchten Ausburger, über zehn an der Zahl, registriert sowie die Höfe, die «inen söllent helffen stüren gen Strasburg». Fünfzehn waren aufgeführt: zwei Höfe zu Wenischwand, zwei zu Mettenwil, einer zu Trutingen, zwei zu Adelwil, zwei im Seesatz, einer auf dem Kirchbühl, zwei auf Lebern und schließlich je ein Hof in Traselingen und Hildisrieden. Der Luzerner Ratsbeschluß ging nun dahin, dem Städtchen jede Aufnahme von Ausbürgern zu verbieten. Es ist ein durchaus herrschaftlicher Standpunkt, der hier zum Ausdruck kommt. Aber Luzern gestand Sempach die fünfzehn helfenden Höfe ausdrücklich zu, wie es dann viel später, 1425, im endlich verliehenen Burgrechtsbrief festgeschrieben wurde166. Die Präzisierung, daß die Leute auf diesen Höfen die Steuer nur so lange entrichten müssen, als sie auf dem Hof sitzen, und daß sie, sobald sie vom Hofe ziehen, nicht mehr belangt werden dürfen, daß also die Steuerberechtigung nur für den Hof, nicht für die Personen gelte, deutet an, wie es zu den Sempacher Ausbürgern gekommen sein wird: Das Städtchen hat von den Landleuten, nachdem sie von den helfenden Höfen weggezogen waren, die Steuer weiterhin bezogen. Alle diese Beobachtungen weisen daraufhin, daß es sich hier um einen altgewohnten Brauch handelt, der offenbar im ganzen 14. Jahrhundert funktioniert hatte, auch wenn wir keine schriftliche Kunde und keine Abrechnung davon besitzen. Dies gilt es vor allem deshalb zu betonen, weil im Habsburger Urbar nur noch die städtische Steuer erwähnt worden war. Bei der stagnierenden Steuersubstanz Sempachs dürfen wir annehmen, daß der Beitrag dieser mitsteuernden Höfe mindestens die 1290 erwähnte Summe ausgemacht habe, vielleicht sogar mehr. Diese an Sempach steuernden Höfe dürften also rund die Hälfte des gesamten Steueraufkommens von 17 Mark, wie wir es aus dem Rodel der Herzogin Agnes von 1290 erschlossen haben, aufgebracht haben. Die Einschätzung der Sempachersteuer durch die habsburgische Verwaltung bot beim Minimalansatz einen beachtlichen Spielraum und ließ auch den Maximalansatz als akzeptabel erscheinen. Der Pfandsatz von 14 Mark Steuer spannte die jährliche Leistungspflicht wohl an, indem die Möglichkeit des Minimalansatzes entfiel, maßlos war er nicht. Ja, auch er ließ theoretisch noch eine gewisse Reservemarge übrig. Das Bild, das wir so erhalten haben, läßt die Sempacher Steuerkapazität als vergleichsweise gering und stagnierend erscheinen. Sie wurde im gegebenen Rahmen wohl sehr intensiv beansprucht, wobei durchaus auch einmal eine außerordentliche Leistung abverlangt werden konnte, aber um eine maßlose Ausbeutung handelte es sich nicht. Dieses Bild aber stimmt nur, wenn wir die bei den Steuern helfenden Höfe mitrechnen. Fielen diese weg, verlor Sempach nicht nur einen mehr oder weniger großen Steuerbeitrag, sondern einen wesentlichen Teil seiner Steuersub- 172 stanz. Genau das trat ein, als Henmann von Grünenberg diese Höfe vereinnahmte und ihre Steuern nach Rothenburg zog. Die Sempacher sagen in ihren Klagen nicht, wann das geschah, aber wir dürfen annehmen, daß es sicher nach 1375, dem Todesjahr Peters von Grünenberg war, am ehesten wohl 1379. In diesem Jahr sehen wir Henmann von Grünenberg sich um zahlreiche, schon über ein halbes Jahrhundert alte Pfändverhältnisse bemühen, die er einerseits von seiner Frau Anna von Lieli erbte, anderseits als Erbschaft von Heinrich von Stein und Hans von Aarwangen beanspruchte'67. Zwei der von seiner Frau erworbenen Pfandschaften betrafen Höfe am Berg, nämlich mit einem Pfandertrag von 2Vi Mark den freien Hof Gundelingen und mit einem Pfandertrag von einer Mark Mettenwil, wo auch einer der an Sempach steuernden Höfe lag. Das zeigt, daß der Grünenberger sich gerade an jenem Gebiet zu interessieren begann, in welchem sich Sempachs Höfe befanden. Die Entfremdung der steuernden Höfe muß die Bürgerschaft, die unabhängig von dieser Entwicklung die 14 Mark weiter zu entrichten hatte, in eine rasch zunehmende, spürbare finanzielle Bedrängnis gebracht haben. Es lohnte sich wirtschaftlich schlichtweg nicht mehr und immer weniger, Bürger von Sempach zu sein. In den nächsten Jahren ziehen 15 Familien weg - wie die Sempacher klagen -, neue Zuzüger bleiben aus. Durch den Bevölkerungsschwund aber verlor auch die Stadt als solche an Substanz. Allerdings hatte der von Grünenberg, wie es aus der um 1400 aufgenommenen Kundschaft Luzerns hervorgeht, anläßlich des schon erwähnten Schiedsta-ges, den Sempachern auf ihre Klagen hin einen Zoll eingerichtet, «der» - wie die Zeugen sagen - «inen weger ist, dann heftend sy hundertt usburger»168. Wir erfahren nirgends, welches der Ertrag war, den dieser Zoll erbracht hat. In den zeitgenössischen Akten und in den verschiedenen Waffenstillständen findet der Sempacher Zoll keine Erwähnung. Wenn 1400 berichtet wird, er sei für die Sempacher einträglicher als die Steuer von hundert Ausbürgern, so mag dies -falls es überhaupt je stimmte - für jene Zeit zugetroffen haben; wie rasch aber der Zoll auf diesen Ertrag angestiegen ist, das ist eine andere, nicht zu beantwortende Frage. Gegen die Beschneidung der Steuerkraft suchten sich die Sempacher - wie sie im Klagerodel berichten - zu wehren. Sie appellierten an den Landvogt im Aargau, an seine Räte, an die übrigen Städte. Ob dieser Instanzenzug nach der Verpfändung - und damit Mediatisierung der Herrschaft - Rothenburgs noch möglich war, ist fraglich. Die Sempacher sahen jedenfalls ihre Demarchen durch den Grünenberger vereitelt, der offenbar ihre Gesandten überfiel, mißhandelte und in den Turm legte. Die Sempacher wurden an der Beschreitung 173 des Rechtsweges in der Sache der steuerbaren Höfe verhindert, wie es ihnen auch in anderen Rechtsfragen verwehrt wurde, daß sie «brief staltent nach unser gnedigen herschaft von Osterrich». Nun mochte die Stunde der Gehässigkeiten angebrochen sein, von denen der Klagerodel berichtet. Aber das sind bloß Begleitumstände, der eigentliche Kern der Auseinandersetzung lag in der Entfremdung eines wesentlichen Bestandteiles der Sempacher Steuersubstanz durch die Herren von Grünenberg. Wie sollte Sempach hier sein Recht finden, wenn der Kontrahent zugleich Pfandinhaber des Rothenburgeramtes, also der eigentliche Herr war und jeden Rechtszug an die Landesherrschaft verhinderte? Dann, nachdem Rothenburg von den Luzernern überfallen worden und dem von Grünenberg die Wahrnehmung seiner Rechte und Ansprüche verunmög-licht wurde, scheinen die Sempacher die Gelegenheit sofort ergriffen zu haben, um bei Luzern einen rechtlichen Rückhalt zu suchen. Dabei ging es nicht mehr nur um die Rückgewinnung der mitsteuernden Höfe. Vielmehr scheinen sie versucht zu haben, die lästige Steuer überhaupt abzuschütteln. Wir besitzen mehrere Hinweise in dieser Richtung. Der unmittelbar folgende, durch die Reichsstädte vermittelte Waffenstillstand vom 22. Februar 1386 befaßte sich in auffallender Weise gleich an zweiter Stelle mit den Zins- und Steuerverpflichtungen: «Wer dz deweder teil gült, stür oder zins uf dem andern hett, die selben gült stür oder zins mag ietweder teil an den andern vordem, ob er wil mit dem rechten oder sus mit bescheidenheit also, dz jetweder teil dz recht in disem frid von dem andern nemen sol, ob er wil an den Stetten da er gesessen ist169». Wenn unter den Vertretern der Reichsstädte an erster Stelle Ritter Eberhard von Mülnheim von Straßburg, der an diesem Punkt unmittelbar interessiert war, erscheint, wirft das ein besonderes Licht auf diese Bestimmung. Man hatte offenbar allen Grund, nicht nur den freien Handel und Wandel wie vor dem Waffengang sich gegenseitig zuzusichern, sondern gleich auch die bestehenden Zahlungspflichten festzuhalten. Welche Wirkung dieser Bestimmung zukam, ist nicht mehr zu erkennen. Die Schlacht von Sempach hat auch hier eine völlig neue Situation geschaffen, und Sempach hat nachweislich während den folgenden zehn Jahren keine Steuern mehr nach Straßburg entrichtet170. Wenn wir nun die Lage, wie sie zu Beginn des Jahres, also vor dem entscheidenden Sieg, den damals ja niemand voraussehen konnte, ins Auge fassen, so wird die Zurückhaltung Luzerns verständlich. Zunächst sei daran erinnert, daß - wie wir sahen171 - Sempach in den vorausgegangenen Jahrzehnten außerhalb des eigentlichen Interessenkreises der Stadt lag. Jetzt, da man das Fait accom-pli von Rothenburg geschaffen hatte, war man gegenüber dem Ansuchen der Sempacher nicht abgeneigt, bedeutete es doch eine gewisse Stärkung in einer 174 im Augenblick noch völlig ungewissen Situation, und dies in einem Gebiet, wo Luzern erst Fuß zu fassen begann. Zugleich aber ließ die bisherige österreichische Ausrichtung des Städtchens, es hatte ja das Recht noch immer durchaus innerhalb des österreichischen Rechtskreises gesucht, eine Absicherung als notwendig erscheinen. Eine weitere folgenschwere Rechtsverletzung gegen die österreichische Herrschaft wollte man nicht auf sich nehmen, wenn das Risiko bestand, daß die kleine Stadt, sobald die Lage wieder günstig, etwa die Steuerfrage in ihrem Sinne geregelt war, wieder unter die Fittiche der Landesherrschaft zurückkehrte. Luzern stellte zur Bedingung, daß die Sempacher nur mit seiner Bewilligung wieder aus dem Burgrecht austreten könnten. Dies versprachen die Sempacher mit ihrer Urkunde vom 6. Januar 1386. Man beachte: Es ging nicht um eine unbefristete, «ewige» - wie man es damals nannte - Regelung. Luzern band lediglich die Kleinstadt in der Frage der Aufkündigung des eingegangenen Burgrechts vollständig an seinen Entscheid172. Unangenehme] Überraschungen sollten in der kritischen Lage, in der sich Luzern befand, aus-/ geschlossen werden. Luzern verlieh den Sempachern, wie es seiner Rechtsauf-! fassung entsprach, das volle Bürgerrecht, als «ingesessene bürger», aber esj stellte keinen Burgrechtsbrief aus. Es wollte sich in der bestehenden und nochj offenen Lage nicht mehr exponieren, vor allem da sich Sempach vom Augenblick an, wo es die Straßburger Steuer grundsätzlich in Frage stellte, ohnehin in einer rechtlich schwierigen Position befand. Es darf nicht vergessen werden, daß Luzerns Politik einen ganz anderen Horizont umspannte als jene Sem-pachs und daß Luzern unter anderem auch ein Bündnispartner Straßburgs im eben geschlossenen.Konstanzer Städtejbjjndwar. So stand Luzern Sempach mit gemischten Gefühlen gegenüber, einerseits mochte ihm die Gelegenheit, in Sempach - d. h. auch auf der österreichischen Straße - Fuß zu fassen, nicht unwillkommen erscheinen, anderseits mußten ihm gerade die steuerlichen und, damit verbunden, rechtlichen Probleme des Städtchens zumindest als mögliche Belastung erscheinen. Trotz dieser einseitigen Bindung Sempachs an Luzern stellt das Verhältnis zwischen den beiden Städten einen Sonderfall dar. Sempach war - von Willisau abgesehen, das 1407 von Luzern einfach gekauft worden war173 - die einzige österreichische Landstadt, deren Besitz durch Luzern und die Eidgenossen schließlich nicht durch die pfandweise Erwerbung der Hoheitsrechte gesichert werden mußte. Ob dies einen Grund in einer besonders engen Beziehung zwischen den beiden Gemeinwesen hatte? Die Quellen legen eine nüchternere Erklärung nahe: Sempach war wegen der nach 1386 eingetretenen Machtverschiebung zu unbedeutend geworden, als daß es noch einen eigenen Weg hätte einschlagen können. Die überraschend zahlreichen Einzeleinbürgerungen von 175 Sempachern, die nach der Verburgrechtung Ende des 14. Jahrhunderts einsetzten, zeigen, daß viele Sempacher ihre Zukunft im immer bedeutender werdenden Luzern zu sehen begannen174. Durch die Krise bedingte Burgrechte Die Abklärung der Gründe, die zu den beiden Burgrechten Entlebuchs und Sempachs mit Luzern führten, hat uns länger aufgehalten, als erwartet. Es hat sich dabei gezeigt, daß sich die Entwicklung glich, so verschieden die Ausgangslage und die konkreten Beweggründe auch waren. Die Entlebucher wie die Sempacher standen beide im Konflikt mit den österreichischen Pfandherren. Die Auseinandersetzungen entwickelten sich im Zusammenhang mit der Herrschaftsintensivierung unter dem Zeichen der Pfandschaft. Diese verdrängte hier alte Gewohnheiten, dort seit langem bestehende, vitale Steuerrechte. Die Wiederherstellung des alten Rechts wurde sowohl von den Entlebu-chern wie von den Sempachern bis zuletzt bei der österreichischen Landesherrschaft gesucht. Erst als sich dieser Rechtsweg aus nun bekannten Gründen als ungangbar erwies, bot sich als Ultimaj-atiojiie Verburgrechtung mit jenem Luzern an, das eben die Herrschaftszentren der Pfandherrschaften ausgeschaltet hatte. Diese Burgrechte sind also unter dem Druck der damaligen Krise zustande gekommen. Es gibt keinen Hinweis dafür, daß die Entwicklung sich bereits seit längerer Zeit, wie es etwa für Sempach schon angenommen worden ist, abgezeichnet hätte und daß die Aufnahme ins Luzerner Burgrecht von langer Hand zielbewußt vorbereitet worden wäre. Die Burgrechte Entlebuchs und Sempachs sind im selben Kontext zu sehen wie die weitausgreifende Masseneinbürgerungsbewegung seit Anfang 1386 und haben einen andern Charakter als die Aufnahme von Ausburgergruppen mit Vorbehalt der Vogteirechte. Während letztere noch im Zusammenhang mit Luzerns altgewohnter Burgrechtspolitik stehen, sind jene das Ergebnis der sich überstürzenden Ereignisse im offenen Konflikt mit der österreichischen Herrschaft. Auch die nachfolgende Entwicklung legt diese Bewertung nahe. Wie die Ergebnisse der Masseneinbürgerung sich verflüchtigten, sobald die Lage entspannter wurde, so veränderte sich auch Luzerns Interesse an den eingegangenen Burgrechten sehr rasch. Im Entlebuch hat es - wie wir sehen werden -schon beim Zwanzigjährigen Frieden von 1394 die Übernahme der Pfandschaft angestrebt und 1405 bei der ersten sich bietenden Gelegenheit vollzogen. Die damit erreichte formale Legalisierung der luzernischen Herrschaft klärte auch das Verhältnis zu den auf ihr Burgrecht pochenden Entlebuchern in herr- schaftlichem Sinne. In Sempach läßt sich deutlich eine gleichlaufende Tendenz feststellen, wenn es auch nicht zu einer formalen pfandweisen Herrschaftsübernahme kam. Es ist schon berichtet worden, wie Luzern mit der Steuerfrage alsbald belangt wurde und wie es 1400 den Fragenkomplex dahin löste, daß es die helfenden Höfe Sempach zusprach, ihm aber zugleich die beanspruchten Ausburger aberkannte. Dieses Urteil galt bis auf «ein widerrüffen». Als Sempach offenbar die «gen Rothenburg» zu entrichtende Luzerner Steuer in Frage zu stellen begann, machte Luzern von der Widerrufklausel Gebrauch und kam auf seinen Entscheid zurück. Am 5. Dezember 1412 sprach der Rat den Sempachern die 15 Höfe kurzerhand ab, bis daß die «stur ze Rotenburg erfült wirt»175. Unvermittelt war der Rat in die gleiche Haltung hineingerückt, wie sie vormals Henmann von Grünenberg eingenommen hatte. Wie in der Frage der Schultheißenernennung176 so erschien auch hier Luzern unverhüllt als Sempachs neue Herrin. Erst im endlich 1425 verliehenen Burgrechtsbrief fand es sich bereit, den Sempachern die helfenden Höfe gleichsam verfassungsmäßig zuzugestehen. Zugleich wurde aber auch der Rechtsstatus der Sempacher wie überhaupt jener der Ausburger gegenüber jenem der Luzerner Stadtbürger deutlich abgewertet. 4. Die Luzerner Ausburgerpolitik im Vergleich mit der Burgrechtspolitik der Reichsstädte Zürich und Bern Um die Luzerner Verhältnisse würdigen zu können, sei hier die Burgrechtspolitik, wie sie die benachbarten Städte Bern und Zürich betrieben haben, zum Vergleich herangezogen. Bei Bern177 fällt sofort das frühe Auftreten und die große Zahl von Burgrechtsverträgen mit Adligen und Gerichtsherren auf. Seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind zahlreiche Ritter und kirchliche Institutionen Burgrechtsverträge mit der Stadt eingegangen, erstmals im Jahre 1277 Heinrich von Signau. 1288 folgte der Ritter von Blankenberg, nachdem ihm die Stadt seine Feste Jagberg gebrochen hatte, 1296 der Bischof von Sitten mit einem auf 10 Jahre befristeten Burgrecht, das vor allem auf den gemeinsamen Kampf gegen die Herren von Weissenburg, von Wädiswil und von Raron ausgerichtet war. 1306 schloß Ulrich von Montenach, Herr zu Belp, nachdem ihm die Burgen Belp und Gerenstein gebrochen worden waren, ein auf 20 Jahre befristetes Burgrecht mit Bern. Es folgen 1308 der Graf Rudolf von Neuenburg, Johann 176 177 von Ringgenberg, 1314 Burkhard Senn, ebenfalls nach Zerstörung der Burgen von Münsingen und Balmegg durch die Berner. Nach dem Gümmenenkrieg traten 1331 Graf Albrecht von Werdenberg, 1335 Graf Hugo von Buchegg, Balmegg und Signau, 1336 Junker Rudolf von Weissenburg, die Grafen Rudolf und Jakob von Neuenburg, Herren zu Nidau, sowie Johann von Kien, Herr zu Worb, und Johann von Raron ins Berner Burgrecht ein. In der zweiten Hafte des 14. Jahrhunderts und zu Beginn des 15. Jahrhunderts verburgrechten sich die von Brandis (1368), Anton Senn von Münsingen (1371), Graf Wilhelm von Aarberg und der Graf von Greyerz (1401), Ritter Hans von Falkenstein (1403), wobei erstmals das Burgrecht ausdrücklich als unbefristet erklärt wird, 1406 und 1407 folgen dann Graf Konrad von Neuenburg, Ritter Walter von Colom-bier, Freiherr Rudolf von Aarburg, die Grafen Bertold und Egon von Kyburg und aus dem aargauischen Adel Hans Grimm und Wilhelm von Grünenberg. Diese Reihe ließe sich ergänzen und weiterführen. Die bloße Aufzählung zeigt schon, welche Dimensionen die Burgrechtspolitik Berns angenommen hatte. Zudem wurden viele dieser Bürgrechtsverträge mit für Bern wichtigen Bedingungen verknüpft, wie der Offenhaltung von Burgen, der Stellung von Kriegsmannschaft auf Begehren der Stadt, oder der Einräumung eines Vorkaufrech-tes im gegebenen Fall. Regelmäßig wurden diese Edelbürger mit einem hohen Udel behaftet, das nun entweder auf ein entsprechendes Haus in der Stadt oder auf ihre Burg und andere Besitzungen verschrieben wurde. Gerade im letzten Falle war die Udelsumme, die bei Bruch des Burgrechtsvertrages oder Aufgabe des Bürgerrechts entrichtet werden sollte, nur noch eine Formsache. Viel wichtiger waren die als Unterpfand eingesetzten Rechte der betreffenden Adligen auf dem Lande, auf die Bern gegebenenfalls zurückgreifen konnte. Hier lag i denn bei diesen Burgrechtsverträgen das über die augenblicklichen Vorteile hinausgehende Interesse Berns im Hinblick auf die Erweiterung des eigenen Territoriums. Daneben hat natürlich auch Bern seit dem 13. Jahrhundert eigentliche Pfahlburger und freie Landleute aufgenommen. Indirekt erfahren wir erstmals hiervon im Schutzbündnis mit der Gräfin Elisabeth von Kyburg vom 6. April 1301, bei dem Bern sich verpflichtete, keine Eigen- und Lehensleute der Kybur-ger zu Bürgern aufzunehmen. Bei den zahlreichen Burgrechtsverträgen finden wir nun immer wieder diese Klausel, in der die Stadt auf die Bürgeraufnahmen von Eigenleuten der mit ihr verburgrechteten Herren verzichtet. Das fiel ihr ja umso leichter, als sie gerade über das Burgrecht mit den Gerichtsherren dessen Gebiet indirekt bereits unter ihren Einfluß gebracht hatte. Den gleichen Grundsatz setzte die Stadt jeweils zu ihren Gunsten gegenüber konkurrenzierenden Städten durch: So mußten 1345 auf Berns Geheiß hin die Leute des mit 178 Bern verburgrechteten Klosters Interlaken ihr Burgrecht in Unterseen aufgeben; so setzte Bern 1376 als Schiedsrichter zwischen dem mit ihm verburgrechteten Jakob von Thüding und dessen Leuten durch, daß letztere die seit Bestehen des Berner Burgrechts ihres Herrn eingegangenen Ausburgerrechte in Thun aufgeben mußten. Wenn Bern dann im Laufe der Bemühungen, das Land unmittelbar in den Griff zu bekommen, im 14. und 15. Jahrhundert doch in großer Zahl Landleute zu Ausbürgern aufnahm, so handelt es sich hier in aller Regel um freie Leute, denn Bern kaufte sie jeweils von der Herrschaft los. Um zu verstehen, warum Bern sich das Ausburgerwesen einiges kosten ließ, muß kurz auf die Form des Udels, wie sie in Bern ausgebildet war, hingewiesen werden. Hier wurde das Udel in der Regel auf Häuser in der Stadt - private und öffentliche - verschrieben. Bedeutete Udel usprünglich das als Eigentum besessene Haus, das von Neubürgern als Sicherheitspfand eingesetzt wurde, so genügte es späterhin, nur noch einen Bruchteil des Hauses mit dem Udel zu beschweren. Ein Haus konnte so mit mehreren Udeln belastet sein. Bei der ständigen Zunahme der Bürgeraufnahmen wurden zahlreiche Udel auch auf die öffentlichen Gebäude der Stadt verschrieben. Damit war das Udel zu einer reinen Formalie geworden. Das finanzielle Interesse lag aber für Bern weniger im Udel selbst als darin, daß bei den Ausbürgern mit diesem der alljährlich zu entrichtende Udelzins von drei Gulden verbunden war, der die innerstädtische Leistung von Wacht und Teile (Steuer) ersetzte. Mit der massenhaften Aufnahme von Ausbürgern nahm diese Einnahmequelle erheblich zu. Die Zinsen der auf öffentliche Gebäude gelegten Udel konnten jedenfalls wirksam zu deren baulichem Unterhalt oder Neubau eingesetzt werden, obwohl hier wegen der bloß formalen Sicherung ebenfalls Schwierigkeiten beim Einzug des Zinses auftraten. Das Ausmaß, das die Entwicklung Ende des 14. Jahrhunderts bereits erreicht hatte, erfahren wir aus den Teilbüchern von 1395 und 1398, die sich nur auf die Ausburger beziehen. Beide lassen mit ihrer pauschalen Erfassung ganzer Gemeinden und Kirchspiele den Schluß zu, daß die Bauern des bernischen Mittel- und Oberlandes schon damals zum größten Teil Bürger von Bern waren und von der Stadt direkt besteuert wurden. Zugleich erklärt sich hieraus, daß auch nach dem Erwerb von Hoheitsrechten auf dem Land die Ausburgerbewegung nicht abbrach, sondern im Gegenteil mit der Territorialisierung parallel verlief. Erst Ende des 15. Jahrhunderts ist die Ausburgerbewegung merklich zurückgegangen und dies, obgleich die Stadt den Udelzins von drei auf einen Gulden herabgesetzt hatte. Das hing mit der verwaltungsmäßigen Durchdringung des Berner Territoriums zusammen, die dazu führte, daß nun städtische Beamte die Rechtsordnung wahrnahmen und 1479 der vorteilhafte städtische Gerichtsstand für die Landleute aufgeho- 179 ben wurde. Damit entfiel bei der Landbevölkerung die Motivation zur Annahme des Bürgerrechts. In Zürich118 tritt uns das Ausburgerwesen ebenfalls schon seit Beginn des 14. Jahrhunderts in den Richtebriefen und Stadtbüchern deutlich entgegen. Ausburger erscheinen mit Rechten und Pflichten den Innenbürgern durchaus gleichgestellt. Die Aufnahmebedingungen sind indessen so, daß nur Wohlhabende das Bürgerrecht erwerben konnten: Es war damit der Kauf eines Hauses verbunden. War dies im Augenblick nicht möglich, so mußte der equivalente Betrag «in der burger gewalt» hinterlegt werden. Dieses «gut» wurde dem Neubürger zurückerstattet, nachdem er ein Haus gekauft hatte. 1316 wurde diese Bestimmung noch dahin verschärft, daß das Haus innerhalb eines Termins -«bis zur nechsten Walpurg» - gekauft werden mußte, sonst ging der Bewerber des Burgrechts wieder verlustig. Solange er nicht das Haus gekauft oder die entsprechende Summe hinterlegt hatte, genoß er die Vorteile des Bürgerrechtes nicht179. Die Burgrechtsverleihung wie die Ausburgerpraxis wurden so zunächst vergleichsweise restriktiv gehandhabt und waren vornehmlich auf eine wohlhabende ländliche Oberschicht ausgerichtet. Erst unter dem Regiment Rudolf Bruns, Mitte des 14. Jahrhunderts, kam es zu einer weitgehenden Öffnung der Ausburgerpraxis. 1351 wurde die Modalität dabei dahin geregelt, daß Ausburger vom Großen und Kleinen Rat aufgenommen werden sollten, was - bei der Zusammensetzung der Räte - eine Liberalisierung nur begünstigte. Die Pflicht, ein Haus zu erwerben, war seit der automatischen Bürgerrechtsverleihung jenes Jahres, bei der einfach alle in der Stadt Wohnenden zu Bürgern aufgenommen worden waren, ohnehin aufgegeben worden. Damals muß es einen Andrang auch von Landleuten, die einer Herrschaft gehörten, gegeben haben, denn 1352 wurde ganz allgemein beschlossen, Eigen- und Vogtleute von ver-burgrechteten Herren nurmehr mit deren Erlaubnis zu Ausbürgern anzunehmen. Das ist umso beachtlicher, als in Zürich - anders als in Bern - in den Burgrechtsverträgen kaum je Bestimmungen zur Verhinderung der Einbürgerungen von Eigenleuten der Vertragspartner zu finden sind. Ein Hinweis auf zahlreiche Ausburgeraufnahmen läßt sich auch daraus entnehmen, daß die österreichische Herrschaft diese Bewegung sowohl beim Schiedsgericht der Königin Agnes 1351 wie beim Brandenburgischen Frieden von 1352 energisch zu unterbinden gesucht hat180. Das Ausmaß, das dieses eigentliche Pfahlburgerwesen angenommen hatte, muß also recht bedeutend gewesen sein. Wie in Bern war die Aufnahme ins Burgrecht mit gewissen Leistungen verbunden. «Unentgeltlich» wurde es dort verliehen, wo ein besonderer Einsatz -in erster Linie Kriegsdienste unter dem Zürcher Banner - erbracht worden war, oder noch erwartet wurde. Auch wenn seit Mitte des 14. Jahrhunderts keine Aufnahmegebühren gefordert worden zu sein scheinen, so sind die Ausburger doch zu finanziellen Leistungen herangezogen worden. Im Jahre 1355 faßten Räte und Burger von Zürich den Beschluß: «was man von disem tag hin der landlüten ze burgern empfacht, das man ein genemt stur, jerlich ze geben, uff si setzen sol, all die wyl si in unser statt mit sesshaft mit husrochi sint»181. Die Landbevölkerung scheint also durch die Ausburgersteuer finanziell ähnlich belastet gewesen zu sein wie die Berner Ausburger durch den Udelzins. Wenn dann seit 1366 für die Burgrechtsverleihung eine bestimmte Zahlung «an unser stattbuw» je nach Vermögen des Bewerbers eingeführt und 1407 zusätzlich mindestens 3 Gulden an die Kriegsrüstung hinzugeschlagen wurden, so wird das auch für die Ausburger gegolten haben, die das Bürgerrecht nicht durch Dienstleistung erworben hatten. Jedenfalls wurden 1407 gewisse Landstädte und Landschaften, mit denen besondere Regelungen vereinbart waren, ausgenommen. Wir sehen also auch bei Zürich wie bei Bern im Zusammenhang mit dem Ausburgerwesen namhafte finanzielle Interessen wirken. Zudem sind in kritischen Zeiten immer wieder Massenaufnahmen zu beobachten, wie 1351 in Höngg, 1386 in Männedorf und in zahlreichen Ortschaften der Herrschaft Horgen-Maschwanden, wie schließlich 1440 in Greifensee, Wipkingen, Höngg, Küsnacht, Horgen und Rümlang. Was die Burgrechtsverträge mit adligen Herren anbetrifft, so gab es in der ganzen uns interessierenden Zeit zahlreiche Burgrechtsverträge mit Rittern sowie mit weltlichen und geistlichen Herrschaftsinhabern. Diese Verträge enthielten regelmäßig Bestimmungen über die Offenhaltung der Burgen für die Stadt und über eine festgesetzte jährliche Steuerleistung, wogegen die Stadt die Kontrahenten mit ihren Leuten zu Bürgern aufnahm und sie gegen äussere oder innere Anfeindungen zu schützen versprach. Die Verträge waren jeweils auf eine gewisse Zeit beschränkt. Wir erkennen ihre hervorragende Bedeutung aus -| zwei Zeugnissen. Als Zürich im August 1350 das sechsjährige Bündnis mit v Österreich schloß, wurde ihm auferlegt, keinen Adligen, «der vestinen uf dem lande hat», ins städtische Burgrecht aufzunehmen, außer dieser ziehe denn «mit husröki» in die Stadt. Zürich konnte indessen zumindest die bereits bestehenden Burgrechtsverträge erneuern182. Dagegen hat am 21. März 1362 kein anderer als Kaiser Karl IV., der in der Goldenen Bulle 1356 alle Ausburgerverhältnisse radikal verboten hatte, Zürich das Privileg verliehen, alle Edelleute auf dem Land, mögen sie Burgen besitzen oder nicht, zu Bürgern aufzunehmen. Dabei sollte es ihnen freigestellt bleiben, ob sie in ihrer Burg auf dem Land oder in der Stadt wohnen wollten183. Beide Zeugnisse, so gegensätzlich sie auch waren, zeigen die politische Bedeutung, die diesen Burgrechtsverträgen 180 181 zukam. In der Tat wurden solche Verträge in unverringertem Maße weiter abgeschlossen, und zwar seit Ende des 14. Jahrhunderts vielfach mit vertraglich ausbedungenem Vorkaufsrecht, was das Interesse dieser Verträge für den Ausbau des Territoriums unterstreicht. Bemerkenswert ist schließlich, daß die Ausburgerverhältnisse auch nach dem Übergang der Herrschaften an die Stadt eine gewisse, wenn auch nicht so ausgeprägte Rolle wie in Bern spielten. In den Höfen Pfäffikon, Wollerau, Hürden und Ufenau wurden 1424 über 200 Ausburger aufgenommen, obwohl die Höfe schon seit 30 Jahren zu Zürich gehörten. Die Bevorzugung jener Landleute mag gegen die schwyzerischen Agitationen gerichtet gewesen sein und den zürcherischen Einfluß am Obersee gestärkt haben. Schließlich hat das Ausburgerrecht, das in der Zeit des Alten Zürichkrieges von zahlreichen Landleuten der Seevogteien empfangen worden war, auch nachdem diese längst unter die Hoheit der Stadt gekommen waren, noch 1489 in den Waldmannschen Spruchbriefen eine auffallende rechtliche Bevorzugung derselben gegenüber den anderen Vogteien bewirkt. 5. Gesamtwürdigung der Luzerner Ausburgerpolitik Wenn wir nun die Ausburgerpolitik Berns und Zürichs mit jener Luzerns vergleichen, so fällt zunächst der gewaltige standesmäßige Unterschied auf. Stellen die Burgrechtsverträge mit adligen Herrschaftsträgern in Bern und Zürich das Hauptinstrument bei der Gestaltung des Verhältnisses zum Umland dar, so spielen diese in Luzern eine verhältnismäßig kleine, um das Jahr 1386 gar keine Rolle. Die Edelleute, die ins Luzerner Bürgerrecht treten, haben weder den Rang noch den Besitz jener, mit denen sich Bern und Zürich befassen, und vergleichbare Burgrechtsverträge sind in der uns beschäftigenden Zeit nicht vorhanden. Von den übrigen Ausbürgern und Pfahlbürgern unterscheiden sich die Adligen im Luzerner Bürgerbuch nur durch eine entsprechend höhere Udel-summe. Insgesamt haben adlige Ausburger in Luzern, verglichen mit den Zuständen in den benachbarten Reichsstädten, bloß eine geringe Bedeutung. Das erste bekannte Burgrecht ist dann jenes mit der Deutschordenskommende Ho-henrain 1413. Vertragliche Offenhaltung von Burgen kommen im Zusammenhang mit dem Luzerner Burgrecht äusserst selten vor1"". Im Unterschied zu den Reichsstädten hat Luzern offensichtlich wenig Anziehungskraft für den Adel besessen, der in dieser Region ohnehin nur schwach vertreten war. Luzerns Ausburger waren fast ausschließlich Pfahlburger, Eigenleute fremder Herrschaften. Bern haben Pfahlburger kaum je besonders interessiert, hatte es doch mit den Burgrechtsverträgen wirkungsvollere Mittel in der Hand. Zürich hat dagegen in Krisenzeiten neben seiner hohen Burgrechtspolitik ganz ähnlich wie Luzern Pfahlburgerpolitik betrieben. Bei Bern wie bei Zürich weist die Ausburgerpolitik einen hohen Grad räumlicher wie zeitlicher Kontinuität auf. Sie setzt im 13. Jahrhundert ein und wird während der ganzen hier behandelten Zeit weitergeführt. In Bern ist durch die Burgrechtsverleihungen an Landleute bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts auch dort, wo die Stadt die Hoheitsrechte unter ihre mittelbare Kontrolle gebracht hatte, die Ausburgerpolitik weitergeführt worden, im Sinne einer unmittelbaren Unterstellung der Landbevölkerung unter die Stadt. In Zürich sind Ausburger ebenfalls in den eigenen Vogteien aufgenommen worden. Das ehedem eingegangene Burgrecht hat noch zu Ende des 15. Jahrhunderts zu einer rechtlichen Bervorzugung der Seevogteien geführt, also eine gewisse Bedeutung auch dann beibehalten, als die Landleute bereits Untertanen Zürichs waren. Geographisch zeigt es sich, daß die beiden Städte den Raum, auf den ihre Interessen ausgerichtet waren, kontinuierlich immer stärker zu erfassen suchten, so Bern im Mittel- und Oberland und Zürich auf der Verkehrsachse Zürichsee-Limmattal. Für Luzern ist eine ähnliche Kontinuität nicht zu erkennen. Wohl hat es Pfahlburgermassenbewegungen in den Krisenzeiten der dreissiger Jahre, der Mitte und der achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts gegeben. Welche längerwirkenden Folgen sie hatten, können wir aber nur mangelhaft erkennen. Von den 1352 nach Luzern steuernden Ausburgergruppen sind bei der Steuer von 1389 Küßnacht, Immensee, Haitikon und Greppen nicht mehr erfaßt und bleiben, außer dem letztgenannten Ort, für immer ausgeschieden. Die übrigen Orte werden aufgrund des 1385/86 neu angenommenen Bürgerrechts und nicht der um die Mitte des 14. Jahrhunderts eingegangenen Verbindung gesteuert haben. Für die besser zu verfolgende Ausburgerbewegung von 1385/86 werden wir unten feststellen185, wie bereits anläßlich des Einzugs des Einkaufsguldens viele Ausburgergruppen wieder ausgeschieden sind. Noch bemerkenswerter ist, daß in Luzern, sobald die Stadt die Hoheitsrechte in der Hand hatte, das Pfahlburgerwesen offenbar jede Bedeutung verlor. Dies geht etwa schon aus der Registrierungsweise im Einzugsregister von 1392 hervor, wo der Schreiber die im Vorfeld Luzerns und im Amt Rothenburg wohnenden Ausburgergruppen nicht mehr aufzeichnete. Nach der Massenaufnahme von Ausbürgern von 1385/86 findet man keine, oder nur ganz selten eindeutig erkennbare Ausburgeraufnahmen. Nur gerade im Spannungsfeld zwischen Luzern und Schwyz am Küßnachter Seebecken ist es - ähnlich wie in Zürich - nochmals zu einem wiederum krisenbedingten Aufleben dieses Instituts gekommen. Erhalten wir so den Eindruck von kurzfristig hochsteigenden Ausburgerwellen, die 182 183 nach der Krise jeweils rasch wieder verebben, so ist auch in geographischer Hinsicht keine Kontinuität zu erkennen. Deckte sich die Ausburgerbewegung von Mitte des Jahrhunderts, soweit wir es indirekt aus den Steuern von 1352 erkennen können, durchaus mit dem gewohnten sozialen Bezugsfeld der Stadt, so griff jene der achtziger Jahre kurzfristig in Gebiete aus, die bisher von der Stadt noch gar nicht ins Auge gefaßt worden waren. Auch der finanzielle Aspekt des ganzen Rechtsgeschäftes war in Luzern verhältnismäßig unbedeutend. Mit dem in der Regel eins bis zwei Mark betragenden Udel, dessen bürgschaftsmäßige Sicherung ohnehin sehr locker war, und der Einkaufssumme von einem Gulden kamen die Ausburger Luzerns gegenüber den jährlich zu entrichtenden Udelzinsen von drei Gulden in Bern oder der nach Maßgabe des Besitzes erhobenen Zahlungen an den Stadtbau sowie der Einkaufssumme von drei Gulden in Zürich, zu der eine j ährliche Steuer unbekannter Größe hinzutrat, vergleichsweise gut weg. In den achtziger Jahren kam es zudem zu einer weitgehenden Begünstigung der Einbürgerungs willigen durch Reduktion der geforderten Leistung. Das unmittelbare, auf die Bürgerrechtsverleihung ausgerichtete finanzielle Anliegen Luzerns scheint im Vergleich zu dem der anderen Städte gering gewesen zu sein. Als österreichische Landstadt in österreichischem Umland konnte Luzern bei weitem nicht jene großräumige und zugriffige - man ist versucht zu sagen, souveräne - Burgrechtspolitik entwickeln, wie das den Reichsstädten Bern und Zürich gegenüber den verschiedenen Einzelherrschaften in ihrem Interessenbereich möglich war. Hier tritt der ganze Unterschied zwischen der Landstadt Luzern und den beiden Reichsstädten zutage. Mit ihrem machtpolitischen Eigengewicht war diesen eine Ausgangslage gegeben, die sie schon früh und wirkungsvoll herrschaftliche Ansprüche verfolgen und mit den benachbarten Gerichtsherren ihre Burgrechtsverträge eingehen ließ. Den Unterschied zu den Verhältnissen in Luzern zeigt hier besonders die Tatsache, daß Zürich durchaus , imstande war, vorübergehend Burgrechtsverträge mit österreichischen Pfandherren einzugehen, wie mit denen von Hallwil, Pfandinhabern der Herrschaft Horgen-Maschwanden, oder mit Hermann Geßler, Pfandinhaber der Herrschaft Grüningen. In Luzern hat sich das Verhältnis zwischen Herrschaftsrecht und Burgrecht deutlich anders ausgeprägt. Der Einbezug des Umlandes war zunächst im weiten Rechtsverständnis dessen, was ein eingesessener Bürger sei, gegeben. Wenn dann seit Ende der siebziger Jahre bei den Gruppenaufnahmen jeweils die Vog-teirechte garantiert wurden, so stand das nicht enfernt in einem ähnlichen Zusammenhang wie die Klauseln in den Burgrechtsverträgen, mit denen die Aufnahme von Pfahlbürgern aus den verburgrechteten Herrschaften unterbunden 184 wurde. Die österreichische Landstadt suchte hier lediglich bei der Pflege und Intensivierung ihrer altgewohnten Beziehungen auf dem Land die bestehenden österreichischen Rechtsverhältnisse zu wahren. Es war die strukturelle Veränderung, welche die österreichische Herrschaft gerade im Vorfeld Luzerns erfuhr, die zusehends zu einer Polarisierung von Burgrecht und Herrschaft führte. Die Verpfändungen, sowohl des Amtes Wol-husen wie Rothenburgs, bedeuteten ja - wie wir gesehen haben - nicht eine Vorstufe zum Rückzug Österreichs aus der Region. Sie entsprachen vielmehr der damals üblichen Delegation der Herrschaft an Pfandnehmer, die hier zudem der Herrschaft treu ergeben waren und die nun ihrerseits das Pfand viel energischer und zielbewußter zu nutzen suchten, als es die Herrschaftszentrale je konnte. Gerade die Verpfändungen von Hoheitsrechten waren es, die zu einer zunehmenden Präsenz der Herrschaft und zu einer die Bewegungsfreiheit auch Luzerns einschnürenden Herrschaftsverdichtung führten. Eine Verburgrech-tung der österreichischen Pfandherren mit der Landstadt war bei der ausgeprägt gegensätzlichen Interessenlage nicht denkbar. Vielmehr hat hier die Entwicklung dazu geführt, daß sich die Anliegen der Stadt - wie wir es bei Entle-büch und Sempach sahen - mit jenen der Landbevölkerung vereinten. Daß dabei in Luzern die Rücksichten auf die eigene Landesherrschaft, den Herzog von Österreich, wie sie noch in den Vorbehalten bei den Bürgeraufnahmen des Jahres 1385 zum Ausdruck kamen, nicht mehr in Betracht gezogen wurden und die Pfahlburgerpraxis geographisch immer expansiver geübt wurde, das ist das eigentlich Neue in der Entwicklung. Aus dieser ausgeprägten Polarisierung zwischen Herrschaft und Burgrecht ist es zu verstehen, daß die Luzerner Ausburgerpolitik keine Kontinuität aufweist, sondern als ausgesprochen krisenbedingt erscheint; ist es schließlich zu verstehen, daß, sobald Luzern selber Herrschaft über Land ausüben konnte, das Interesse der Stadt an den Ausbürgern sehr rasch erlosch. Auch der vergleichsweise finanziell geringe Ertrag des Ausburgerwesens läßt darauf schließen, daß diesem in erster Linie eine jeweils kurzfristige politische Bedeutung bei der Auseinandersetzung mit der österreichischen Herrschaft zugekommen ist. Eine längerfristige Konzeption der Ausburgerpolitik im Hinblick auf eine Territorialbildung ist bei Luzern nicht zu erkennen. Erst in der durch den Sempacherkrieg entstandenen neuen Situation, die gekennzeichnet ist durch ein Herrschaftsvakuum vor allem in den österreichischen Ämtern Rothenburg und Wolhusen, ergab sich für die Stadt Luzern die Möglichkeit, das Verhältnis zu den Landleuten herrschaftlich zu konzipieren. Wie mühevoll und zum Teil zögernd das geschah, ist Gegenstand des folgenden Kapitels. 185 Ii 5. Kapitel: Von der Burgrechtsverleihung an Landleute zur Herrschaft über Land (1386-1395) Mit der Schlacht bei Sempach war noch kein Territorium gewonnen; auch nicht mit den verschiedenen Burgenbrüchen, die im Sempacherkrieg erfolgt sind. Hierzu brauchte es mehr. Wenn im folgenden abgeklärt werden soll, auf welche Weise Luzern auf die neu entstandene Lage reagiert hat, und wie es schließlich zur dauerhaften Herrschaft über Land gekommen ist, empfiehlt es sich, unser Wissen um die spätere staatliche Entwicklung hintanzustellen und konkret von der 1386 erreichten Situation auszugehen. Diese ist zunächst gekennzeichnet durch die Vielzahl der über einen weiten Umkreis verstreuten Pfahlburger Lu-zerns, die in gewissen Ortschaften massenweise auftraten und wohl die gesamte Dorfbewohnerschaft ausmachten. Ferner gab es einige Gemeinwesen, die als solche mit Luzern verburgrechtet waren, wie das Entlebuch und die Stadt Sempach186. In welcher zwiespältigen Lage gegenüber ihrer Herrschaft einerseits und der Stadt anderseits sie sich befanden, haben wir gesehen. Zweitens wurde die Situation geprägt durch das nach dem Schock von Sempach eingetretene faktische Machtvakuum. Dabei dürfen wir nicht übersehen, wie kurzfristig, bloß vorübergehend dieser Machtausfall zunächst erscheinen mußte. Der unerwartete Tod des Herzogs hatte die österreichische Politik wohl ihres Hauptes beraubt. Doch hat sich das Haus Habsburg sofort auf die Fortführung des Kampfes eingestellt und die Länderteilung von 1379 bereits am 10. Oktober 1386 rückgängig gemacht, wobei der neue Alleinherrscher Albrecht III. sich auf die Fortsetzung des Kampfes verpflichtete; und reichsweit wurde die Rechtmäßigkeit der Sache Österreichs anerkannt187. Die von der österreichischen Herrschaft aufgebauten Herrschaftsstrukturen dauerten de jure weiter. Nach wie vor blieben die Pfandschaften Rothenburg und Wolhusen aufrecht, die Herrschaft gegenüber denen von Torberg und Grünenberg auf den Pfandwert verpflichtet. Wohl war diesen die Wahrnehmung ihrer Rechte im Augenblick verwehrt; ihre Verwaltungszentren waren zerstört und sie selbst nicht in der Lage, die Herrschaft auszuüben, aber ihre Ansprüche bestanden fort. Eine Klärung der Lage wäre eingetreten, wenn die österreichische Seite mit einem neuen Waffenaufgebot die Situation doch noch für sich entschieden hätte. Tatsächlich sind 1386 energische Bemühungen in dieser Richtung festzustel- 187 len. In der zweiten Hälfte dieses Jahres befand sich Albrecht in den Vordem Landen und organisierte die Weiterführung des Krieges. Erst 1388, nach Nä-fels, erlahmten diese Anstrengungen, wohl infolge der Erschöpfung der Kräfte, aber auch deshalb, weil Herzog Albrecht der Entwicklung im Gebiet der Schweiz keinen Vorrang mehr gab"8. Wie verhielt sich Luzern in dieser Situation? I. Waffenstillstände und Friedensverträge Das Verhältnis zwischen den beiden Parteien wurde in dieser Zeit jeweils durch kurzfristige Waffenstillstände geregelt. Der erste, der nach dem Überfall auf Rothenburg am 22. Februar in Zürich abgeschlossen worden war189, dauerte bis zum 17. Juni. Verlängert wurde er nicht190. Der zweite, ebenfalls in Zürich vereinbarte Waffenstillstand nach dem Waffengang von Sempach vom 12. Oktober 1386 dauerte bis zum 2. Februar 1387191. Noch vor dessen Ablauf wurde am 14. Januar 1387 ein einjähriger Friede geschlossen192. Allen diesen Waffenstillständen war gemeinsam, daß sie lediglich die Folgen der Kriegshandlungen auf den Alltag möglichst zurückzudämmen suchten. Das zeigt sich schon aus dem formalen Aufbau der Verträge. An erster Stelle wurden jeweils gegenseitiger freier Kauf zwischen den Angehörigen der Kriegsparteien garantiert, wie auch der unbehinderte Durchzug der Luzerner Kaufmannschaft durch der Herrschaft Lande und umgekehrt. In dieser Beziehung sollte es bleiben wie vor dem Krieg, ohne alle neuen Auflagen. Eine zweite, allen Verträgen gemeinsame Anordnung sicherte die Möglichkeit, daß die Leute beider Seiten sich gegenseitig unter Beschreitung des üblichen Rechtsweges, nämlich vor dem Gerichtsstand des Schuldners, um Geldschulden ansprechen konnten. Schließlich wurde in allen Verträgen festgehalten, daß einerseits die österreichische Herrschaft, anderseits die Obrigkeit der eidgenössischen Orte sich gegenseitig verpflichteten, gegen Friedensbrecher aus ihrem Gebiet rechtlich vorzugehen und sie zu strafen. Alle diese Bestimmungen suchten also den wirtschaftlichen Austausch und den Handelsverkehr weiterhin aufrecht zu erhalten. Zugleich setzten diese Bestimmungen aber voraus, daß im politischen Bereich die Verhältnisse blieben wie vor dem Waffengang. Lediglich die von den Eidgenossen eingenommenen Festungen und Städte sollten während des Waffenstillstandes in deren Händen bleiben. Allerdings stellen wir gerade hier eine nicht unwichtige Veränderung der Formulierung fest. Im ersten Waffenstillstand, bei dem sich die Eidgenossen nach dem Friedensbruch im Winter 1385/86 in einer rechtlich ungünstigen Lage be- 188 fanden, suchte die österreichische Seite den Schaden möglichst zu begrenzen und drang damit bei den reichsstädtischen Vermittlern durch. Sie konnte durchsetzen, daß Gülten, Zinsen und Steuern durchaus weiter zu entrichten waren und von den Inhabern der Rechtstitel eingefordert werden konnten. Daß diese Bestimmung, obschon sie auf Gegenseitigkeit hin formuliert war, vor allem den österreichischen Inhabern der Steuer zupaß kam, versteht sich. Diese Steuern sollten trotz der veränderten Lage gerade in Sempach und Entlebuch sichergestellt bleiben. Diese Steuerbestimmung entfällt nun in auffallender Weise in den nach der Schlacht von Sempach eingegangenen Stillstandsverträgen. Dort wo am 22. Februar davon die Rede war, daß man zur gerichtlichen Einziehung von Zinsen, Steuern oder Gülten in die betreffende Stadt gehen könne, war jetzt nur noch von «geldschulden» die Rede, die man vor dem Gerichtsstand des Schuldners einzufordern hatte. Dagegen wurde in bezug auf die von den Eidgenossen eingenommenen Burgen, Städte, Täler und Leute in aller Form festgehalten, daß sie «in disem friden sicher sin und ane allen dienst bli-ben» sollen. Im einjährigen Frieden von 1387 wurde präzisiert, daß sie «inrent iren slossen und letzinen» ohne jeden Dienst sein sollen. Um diese Bestimmungen angemessen zu würdigen, müssen wir uns daran erinnern, daß es sich hier um keine langfristigen Friedensregelungen, sondern um Waffenstillstände zwischen zwei Kriegsparteien handelte, die zur Zeit des Stillstands mit einem Kriegsausgang zu ihren Gunsten rechneten, beide, also auch Österreich. Unter diesen Umständen mußte der österreichischen Partei daran gelegen sein, während der Zeit der Versperrung ihres Eigentums durch die Eidgenossen dessen Sicherheit gewährleisten zu lassen und das Entgleiten von Steuerrechten und Diensten zu verhindern. Präzedenzfälle von Dienstleistungen an die Besetzer sollten vermieden werden. Anderseits suchten die Eidgenossen in den eingenommenen Gebieten die Verpflichtungen gegenüber der Herrschaft zu unterbinden. Eine Anerkennung der herrschaftlichen Rechte sollte - solange man mit Österreich nicht befriedet war - unterbleiben, zugleich konnte der Dienstausfall durch erhöhten Druck die eigene Verhandlungsposition stärken. Wir besitzen denn auch aus dieser Zeit Klagen von Grundherren, wie derer von St. Blasien und Beromünster, und verschiedener Pfand- und Lehensinhaber, wie jener der Rust und derer von Luternau, und der österreichischen Herrschaft selbst, daß Luzern ihnen «zinsen, sturen und gülten» in den besetzten Gebieten vorenthalte193. Die Präzisierung des einjährigen Friedens, «inrent iren slossen und letzinen», ist nicht leicht zu verstehen. Sie dürfte am ehesten so aufzufassen sein, daß die Sperrung des Dienstes nur innerhalb der entzogenen Städte und Gebiete (innerhalb der letzinen) gelten sollte. Waren die betroffenen Einwohner anderwärts mit österreichischen Verpflichtungen bela- 189 stet, von denen der Herrschaft Dienste zu leisten waren, so blieben hiefür die herrschaftlichen Rechte in Geltung. Es handelt sich demnach um eine Bestimmung, die eine präzisere Unterscheidung zwischen Rechten, die von den Eidgenossen eingenommen worden waren, und Rechten, die der Herrschaft durchaus noch verblieben, ermöglichen sollte und damit eine Ausuferung der Dienstverweigerung verhindern wollte. Suchte man so eidgenössischerseits den erreichten Status quo während des Waffenstillstandes zu halten, österreichischerseits eine weitere Entfremdung der Rechte zu unterbinden, so war das Ergebnis dieser Bemühungen, daß die Lage gleichsam vertraglich völlig offengehalten wurde. Die Herrschaft konnte nicht mehr, die eidgenössischen Orte noch nicht über die strittigen Rechte verfügen. In dieser offenen, rechtlich noch ungewissen, in jeder Beziehung nur vorläufigen Situation sollte wenigstens der gegenseitige Verkehr, Handel und Wandel, durch die diesbezüglichen Bestimmungen der Waffenstillstände geregelt und gesichert werden. Man weiß, daß dies nicht oder höchst unvollkommen der Fall war. Auch wenn man kritisch in Betracht zieht, daß die in jenen Jahren jeweils auf die Waffenstillstandsverhandlungen hin entstandenen Klagerödel ihrer parteiischen Tendenz entsprechend alle nur möglichen Übeltaten dem Gegner anzulasten und aufzurechnen suchten, so ist ihre Aussage doch deutlich genug194: Gegenseitige Überfälle, wie sie zwischen Sempachern und Surseern an der Tagesordnung gewesen zu sein scheinen, Beschlagnahmung von Handelsgütern, wie sie vorwiegend von Zofingen, Bremgarten und Mellingen praktiziert wurde, gegenseitige Verweigerung des Kaufs, Zollschikanen und ganz allgemein und überall Wund- und Totschlag - die Klagen zählen es mit zahlreichen Einzelheiten auf. Was aus all diesen Klagen als Grundzug hervorgeht, ist aber dies: Die Verhältnisse auf der Landschaft waren von einer Polarisierung geprägt, die nicht mehr durch eine Feindschaft gegenüber den österreichischen Adligen, Dienern und Pfandleuten bestimmt wurde, sondern die breite Bevölkerung ergriffen hatte. Herrschaftliche Strukturen spielten kaum mehr eine Rolle: Richteten die frühen Klagen Sempachs und Entlebuchs sich gegen die unmittelbaren Inhaber der Herrschaftsrechte, die Pfandherren, so beschuldigten sich nun gegenseitig Gemeinwesen der Region wie Sempach, Sursee, Bremgarten und Zofingen. Die herrschaftliche Seite trat nur insofern ins Blickfeld, als verschiedene Adlige und Klöster wegen der Verweigerung der Zinszahlungen und Abgaben Klage erhoben. Nur in einem Fall sehen wir die österreichische Herrschaft unmittelbar eingreifen, als Herzog Albrecht am 24. November 1387 die Rechte auf dem Sempachersee, wie sie der Rothenburger Vogt innegehabt hatte, an Sursee verlieh19' und hiermit - selbst unter Bruch der Waffenstillstands- 190 Vereinbarung - der treuen Stadt seine Gunst bewies. Sonst jedoch ergriff der Zwiespalt vor allem die Bevölkerung des ganzen Raumes und führte zu heftigen Zusammenstößen unter den Landleuten. Als Beispiel für die Heftigkeit dieser Feindschaft unter der Landbevölkerung mag hier nur der Fall Rudolf Bitterkruts, eines Stiftskaplans von Beromünster, angeführt werden, der, als er am Michaelstag 1387 in der Galluskapelle zu Münster die Messe feiern wollte, von den Gottesdienstbesuchern «geslagen und ubel gehandelt» wurde. Auf die Frage, warum sie ihn schlügen, erhielt er zur Antwort, «er wer von Mellingen, die werint ir vigend (Feinde)»196. Kein persönliches Verschulden des Kaplans, etwa aktive Parteinahme, wird hier namhaft gemacht. Nur die Herkunft aus einem verfeindeten Städtchen genügt schon, um ihn Übelstes erfahren zu lassen, und die Verbitterung der Landleute macht auch vor dem geheiligten Bereich der Messfeier und des Patronatsfestes nicht halt. Die Polarisierung der Landschaft hatte in kurzer Zeit ein außerordentliches Ausmaß angenommen. Eine ähnliche, die breite Bevölkerung erfassende Frontenbildung ist in diesem Gebiet vor dem Sempacherkrieg quellenmäßig nicht festzustellen. Insbesondere die Spannungen zwischen den beiden Nachbarn Sursee und Sempach scheinen erst in dieser Zeit aufgebrochen zu sein. Die regionale Polarisierung hatte jedenfalls in der kurzen Zeit der Waffenstillstände solche Gräben aufgerissen, daß sie im Bewußtsein der Zeitgenossen offenbar endgültige Formen anzunehmen drohte. Die von luzernischer Seite bereits 1387 geäußerte Befürchtung, «das es nüt me beschehe und wir lüterlich zusammen wandeint, kouffent, verkouffent, als ob diser krieg nie were ufgestanden»197, spiegelt nicht nur den Stand der Dinge wider, sondern zeigt auch deutlich, daß man sich dieses grundlegenden Wandels bewußt wurde. 1. Der Weg zum Zwanzigjährigen Frieden: Unvereinbare Standpunkte Die neue Sachlage, die sich in der Zeit der Waffenstillstände eingestellt hatte, tritt uns aus den beiden längerfristigen Frieden entgegen, die den Sempacherkrieg abschließen; andeutungsweise im Siebenjährigen Frieden von 1389, deutlich im Zwanzigjährigen Frieden von 1394198. Um hier einen vertiefteren Einblick zu erhalten, ist es angebracht, die beiden Frieden miteinander zu betrachten und die Entwicklung der einzelnen Bestimmungen zu verfolgen. Hinzugezogen werden zudem die Verhandlungspositionen beider Parteien, die wir für den Zwanzigjährigen Frieden besitzen. Die neue Situation zeigt sich schon deutlich in der Anlage der beiden Friedensverträge. An erster Stelle steht nicht mehr die Bemühung um Handel und 191 Wandel wie vor dem Krieg, sondern die Fixierung des erreichten Status quo, die vom einen zum andern Frieden eine immer sorgfältigere Ausgestaltung erfährt. Im Siebenjährigen Frieden wird in den ersten Paragraphen die von den Eidgenossen erreichte Position von Österreich für die Dauer des Friedens anerkannt: Sie sollen alles Gut, das sie der Herrschaft entzogen haben, unbehelligt behalten; die Eidleistungen und Bündnisse, die von Städten, «slossen» und Ländern gegenüber den Eidgenossen eingegangen worden sind, sollen während des Friedens Bestand haben. In mehreren weiteren Paragraphen werden bei der gegenseitigen räumlichen Durchmischung von Grundbesitz und Lehen die jeweiligen Nutznießungen einerseits, Verpflichtungen auf Twing und Bann anderseits, von den Parteien gegenseitig garantiert. Dabei wird lediglich eine Ausnahme gemacht, daß jene, die bei der Gegenpartei sitzen, von ihrer Person aus - «von sinem üb» - weder zu steuern noch zu dienen haben sollen. Einmal mehr wird ein Pfahlburgerverbot erlassen: Bürgeraufnahmen sollen nur erlaubt sein, wenn der Betreffende in der Stadt «wonhaft sin und darin ziehen» wolle. Schließlich wird gegenseitig die Verpflichtung eingegangen, keine neuen Übergriffe und Eroberungen zu unternehmen. Die Bestimmungen sind jeweils so formuliert, daß sie global für alle eidgenössischen Orte gelten. Es ist dadurch nicht möglich, aus dem Siebenjährigen Frieden einen Überblick über die regionalen Verhältnisse zu erhalten. Lediglich bei kritischen Punkten, die Mißverständnisse und damit Konfliktgefahr in sich bargen, ging man weiter und fixierte den erreichten Stand ganz konkret. Hier ist es im Falle Luzerns offenbar zu sehr harten Verhandlungen gekommen, die den Friedensschluß zum Unwillen vor allem Zürichs verzögerten. Nach dem, was wir aus der Zeit der Waffenstillstände erfahren haben, erstaunt es nicht, daß hier gerade die Verhältnisse der Sempacher Seevogtei Anlaß zu Auseinandersetzungen boten. Luzerns Standpunkt, der vorübergehend selbst von den Miteidgenossen in Zweifel gezogen worden war - Zürich mahnte so Lu-zern, von Vogteien «do si nit gelinpfes zü hettin», zu lassen - setzte sich hier schließlich durch1". Hatte noch 1387 Herzog Albrecht die Rechte auf dem See, wie sie der Vogt von Rothenburg innegehabt hatte, auf die ihm treu ergebene Stadt Sursee übertragen wollen, so wurde jetzt klargestellt, daß die Besetzung der Seevogtei Luzern zustehe, und Sursee dem Amtsinhaber den gleichen Gehorsam wie Sempach entgegenzubringen habe. Diese Bestimmung machte den herrschaftlichen Versuch, gewisse Rechte von der verlorenen Vogtei Rothenburg abzuzweigen, rückgängig. Ohne die weiteren inhaltlichen Abschnitte des Siebenjährigen Friedens betreffend freien Handel und Wandel und der Regelung eventueller Konflikte -sie sind in unserem Zusammenhang von geringerem Interesse - zu behandeln, sei die Formulierung des Status quo im Zwanzigjährigen Frieden betrachtet. Zum ersten Mal hier ist die inzwischen entstandene Sachlage konkret formuliert worden, wobei das Verhältnis jedes einzelnen eidgenössischen Ortes zur Herrschaft gesondert zur Behandlung kam. Am eingehendsten geschah dies mit Luzern. Aus den Verhandlungspositionen und dem schließlich erreichten Vertrag können wir so auch einige Aufschlüsse über die damals auf beiden Seiten gehegten Absichten erhalten und aus einem Vergleich der Standpunkte die Tendenz der damaligen Entwicklung feststellen300. Österreichischerseits bestand zunächst für das Entlebuch und das Amt Wol-husen die Absicht, die Landleute während des Friedens bei ihren Eiden gegenüber Luzern zu belassen. Luzern - wenn nicht gar die Entlebucher selber201 -sollten den Ammann bestellen und die Gerichte besetzen. Der jeweilige Ammann aber sollte sich unmittelbar gegenüber der Herrschaft eidlich verpflichten, die Steuern herauszugeben202. Wer Eigen und Lehen in jenen Gerichten besaß, sollte diese nutzen können wie vor dem Krieg. Bei Sempach war die österreichische Partei dazu bereit, die Schultheißenwahl den Bürgern von Sempach zu überlassen, hierin mit ihrer eigenen stadtrechtlichen Tradition, welche die Ernennung des Schultheißen der Herrschaft vorbehielt, brechend. Offensichtlich sollte auch die Besetzung der Seevogtei bei den Sempachern liegen. Als herrschaftliche Last sollte Sempach die Straßburger Steuer aufrechterhalten bleiben. Was die von Rothenburg anbetraf, so sollten auch sie bei den gegenüber Luzern geleisteten Eiden bleiben, ebenso die Pfahlburger, allerdings nur innerhalb eines im Vergleich zum tatsächlichen Stand sehr eingeschränkten Raumes, und Hochdorf und Urswil standen außerhalb jeder Diskussion. Auch in Rothenburg ging Österreich davon aus, daß die Steuern weiter an die Herrschaft zu entrichten seien und daß die Zinsen und Steuern, die jemand aus Eigen oder Lehen innehatte, von diesem unbehelligt genutzt werden konnten. Zudem sollte die Herrschaft wie vor dem Krieg in Rothenburg den Zoll einnehmen können. Das Weggeld hingegen wurde Luzern zugestanden, da dieses für den Straßenunterhalt zu sorgen hatte. Noch mehr, auch der Zoll in der Stadt Luzern, den die von Hallwil als Pfand besaßen - und den die Luzerner 1386 in Beschlag genommen hatten203 -, sollte wieder der Herrschaft «folgen». Es versteht sich, daß luzernischerseits eine ganz andere, diametral entgegengesetzte Ausgangsposition bezogen wurde. Entlebuch und das Amt Ruswil, die Wolhuser-Ämter und Burgen, wie sie zuletzt der von Torberg innegehabt hatte, sollen mit allem Zubehör unter die Zuständigkeit Luzerns fallen. Wenn jemand Steuern an die Herrschaft zu entrichten habe, dann soll das ihm überlassen sein, die Stadt wolle das nicht vertraglich festhalten, «nüt versigelnd ufzerrich-tende». Überdies sollen in den zwei Jahren, die der Siebenjährige Friede noch 192 193 dauere, ohnehin keine Steuern und Dienste geleistet werden. Was Sempach, die Rechte auf dem See und was sonst noch dazu gehöre, anbetreffe, so solle niemand hineinreden. Rothenburg mit allen Steuern und Rechten sei Luzern zuzuteilen, desgleichen die Dörfer Hochdorf und Urswil mit allen Rechten und Zu-gehörden. Was mit dem Michelsamt geschehen solle, wird den eidgenössischen Verhändlern anheimgestellt. Im Dorfe Root aber soll ebenfalls niemand hineinreden, ebensowenig wie in Merenschwand, da sich dieses von den Hünen-bergern in aller Form freigekauft habe. Überhaupt, was diesseits von Rothenburg liege, handle es sich um Luzern, Emmen, Kriens, Horw, Malters oder anderes; da soll auch niemand hineinreden. Hier wollen die Luzerner nichts mehr zu tun haben mit Vertretern und Dienern der Herrschaft, außer wenn einer Eigen oder Erbe besitze. Insbesondere, so forderten die Luzerner, müssen die Herren von Torberg und von Grünenberg ausdrücklich in den Frieden eingeschlossen werden, damit man mit diesen nichts mehr zu tun habe. Und schließlich sei bei den Verhandlungen darauf zu drängen, daß die «Üsburger», die aus dem Burgrecht entlassen werden müssen, straflos blieben. Die beiden Verhandlungspositionen zeigen in aller Deutlichkeit, wie sich die Auffassungen der Streitparteien auseinanderentwickelten und insbesondere, wie sehr sich jene Luzerns in dieser kurzen Zeit gewandelt hatten. Unmittelbar nach dem Sempacherkrieg ging man in den Waffenstillständen noch von einer durchaus offenen territorialen Situation aus. Die altgewohnte Vermischung und Überlagerung der verschiedenen Hoheitsrechte und Gerichtsbarkeiten wurde damals nicht angetastet. Einige Bestandteile waren von Luzern aus dem österreichischen Herrschaftsgefüge herausgebrochen worden. Diese Sachlage hatte Österreich in den Waffenstillständen wohl oder übel zur Kenntnis zu nehmen; aber eine grundsätzliche Infragestellung der herrschaftlichen Organisation der Landschaft war noch nicht festzustellen. Es ging lediglich darum, unter den obwaltenden und als vorläufig gedachten Umständen den lebensnotwendigen alltäglichen Handel und Wandel aufrechtzuerhalten. Im Grunde spiegelt das österreichische Verhandlungsmemorandum noch immer diese Auffassung wider. Was Österreich vorschwebte, war die übliche Überlagerung von Hoheitsrechten, und nur die Verteilung dieser Rechte fiel den eingetretenen Umständen entsprechend vorübergehend etwas anders aus. Einen Neuansatz zu bisher auf österreichischer Seite unüblichen Vorstellungen bildet lediglich die beabsichtigte Selbständigkeit zumindest der Stadt Sempach. Nur in der Frage der Ausburger wird bei Österreich die Idee einer territorialen Ausscheidung der Rechte sichtbar: Der Raum, in dem noch Ausburger zugestanden werden, wird mit einer topographischen Grenzbeschreibung genau fixiert. Die in der österreichischen Position zum Ausdruck kommende Auffassung entsprach natürlich durchaus der damals gewohnten Realität, sie war aber auch für jene Partei, die alles zu verlieren hatte, die Vorstellung von herrschaftlicher Gestaltung einer Landschaft, die es ermöglichen konnte, trotz der tatsächlich eingetretenen Veränderung auch weiterhin noch verschiedene Herrschaftsrechte zu beanspruchen. Die luzernischen Vorstellungen haben sich dagegen in ganz anderen Bahnen entwickelt. Was hier auffällt ist, daß jeweils für feste abgegrenzte Bereiche, ein Amt, ein Dorf, eine Stadt, alle Rechte beansprucht werden. Die Formel, daß dort niemand hereinreden solle, kehrt mit beachtenswerter Regelmäßigkeit wieder. Diese Ausscheidung der Rechte soll nun in einem geographisch klar umrissenen Gebiet gelten, wobei Luzern auch in Kauf nimmt, daß Pfahlburger außerhalb dieses Bereiches wieder entlassen werden müssen. Luzern tendierte also auf einen Rechtskreis hin, indem nur es allein zuständig war und keine österreichischen Hoheitsrechte mehr gelten sollten. Entflechtung der Hoheitsrechte wurde angestrebt, nicht Aufrechterhaltung der Überlagerung. Diese Konzeption hat sich innerhalb der fünf Jahre seit dem Beginn des Siebenjährig gen Friedens entwickelt und zu einer weitgehenden Umorientierung geführt. \ Luzern, das bisher in der Burgrechtspolitik geradezu auf die Möglichkeit der / hoheitsrechtlichen Überlagerungen gesetzt hatte, forderte nun, daß sich nie-/\ mand in seinen Zuständigkeitsbereich einmischen dürfe. So grundsätzlich und V zukunftsweisend im Hinblick auf die Territorialbildung dies auch war, so war es seinerseits durchaus pragmatisch gedacht. Es galt nur, wo Luzerns Herrschaft gesichert war oder es doch werden sollte; wo die Verhältnisse ungewiß und gefährdet waren, hat Luzern auch späterhin Pfahlburger aufgenommen. Der Wille zur Entflechtung der Hoheitsrechte, hier vorgetragen gegenüber dem österreichischen Anspruch, hatte ganz konkrete, aktualitätsbezogene Gründe: Für die Partei, die alles zu gewinnen hatte, war dies der direkteste Weg, jeden anderen Herrschaftsanspruch zu eliminieren und aufgrund der erkämpften Situation klare Verhältnisse zu schaffen. Ein solcher politischer Neuansatz entsteht natürlich nicht im Bereich theoretischer Überlegungen, sondern aus neuen Erfahrungen heraus. Wir werden unten - soweit es die Quellen erlauben - näher darstellen, welcher Art diese Erfahrungen waren. Hier soll zunächst festgestellt werden, wie diese gegensätzlichen Standpunkte in den Zwanzigjährigen Frieden eingearbeitet worden sind. Das war nicht einfach. Luzern hielt offensichtlich gegenüber dem österreichischen Ansinnen an seinen eigenen Ansprüchen fest. Es läßt sich ansatzweise erkennen, wie die österreichische Position aufgeweicht wurde, wie von den Maximalforderungen abgerückt werden mußte204. So wird im zweiten erhaltenen Verhandlungspapier bei Sempach die Möglichkeit, daß die Sempacher ihren 194 195 Schultheißen selber ernennen können, nicht mehr erwähnt. Noch deutlicher zeigt sich das bei der Seevogtei, deren Besetzung nun an Luzern abgetreten wurde, wobei die Rechte Sursees und der andern Seeanrainer gewahrt bleiben sollten. In Rothenburg forderten die österreichischen Unterhändler wohl immer noch die Steuer. Aber was den Zoll anbetraf, so fanden sie sich nun bereit, eine Verpfändung, möglicherweise an Luzern, ins Auge zu fassen. Der Luzerner Zoll hingegen war aus Akten und Traktanden gefallen. Doch Luzern beharrte weiter auf seinen absoluten Forderungen. Die Verhandlungen dauerten an. Da waren es nun die Miteidgenossen, Zürich und vor allem Bern, die Luzern unter Druck setzten, da sie den Friedensschluß nicht weiter verzögern wollten205. Bern drohte unverhohlen, einen Separatfrieden mit Österreich zu schließen, falls Luzern seinen Empfehlungen nicht folge. Die Waldstätte und Zug teilten das am 20. April 1394 den Luzernern mit und forderten sie auf, sich den Bernern und Zürchern anzuschließen. Nochmals legte Luzern gegenüber Zürich am 24. April seinen kompromißlosen Standpunkt dar. Aber am 27. Juni sahen sich die Waldstätte noch immer veranlaßt, Luzern zum Eintreten auf die österreichischen Vorschläge zu bewegen. Nun erst scheint Bewegung in die Verhandlungen gekommen zu sein. Der Kompromiß, der hier gefunden wurde, ging in den am 16. Juli 1394 abgeschlossenen Zwanzigjährigen Frieden ein. 2. Der salomonische Kompromiß: Die Pfandlösung Rothenburgs Wir beginnen206 mit der Erörterung der Rothenburger Verhältnissse, auch wenn diese nicht am Anfang des Vertragsabschnittes, der Luzern betrifft, stehen. Wir erinnern uns: Luzern hatte alle Rechte über Rothenburg verlangt, hatte gefordert, daß diesseits Rothenburgs niemand mehr hereinrede, insbesondere wollte es von den von Grünenberg nichts mehr wissen. Dem entsprach nun der Zwanzigjährige Friede, indem er die «vesty Rottenburg und daz Ampt daselbs mit allen sturen, zinsen, nutzen, zollen, gerichten, twingen und bannen» Luzern zuteilte - unter einer entscheidenden Bedingung: Luzern sollte es «in pfandes weise inne haben», wie es der Pfandbrief des von Grünenberg ausweise. Hier lag der Kompromiß, der allerdings in erster Linie zugunsten der Herren von Grünenberg ausfiel. Sie waren die unmittelbar Betroffenen, die die Frucht langjähriger Bemühungen und Investitionen verlorengehen sahen. Ihnen mußte daran gelegen sein, zumindest die aufgelaufenen Pfandbeträge in irgendeiner Form - sei es als Bargeld oder als äquivalentes Pfand - wieder zurückzuerhalten: Dies war ihr gutes Recht unter dem Gesetz des Pfandwesens, unter dem sie im Dienst der Herrschaft standen. Die Herrschaft war dazu verpflichtet. Luzern bot zu diesem Pfandgeschäft Hand. Jedoch zeigt es sich, daß 196 Abb. 10 Luzerner Exemplar des Zwanzigjährigen Friedens vom 26. Juli 1394 die Stadt nicht die gesamte aufgelaufene Pfandsumme von 6600 Gulden207 erbrachte, sondern nur 4500 Gulden208.' Wie es zur Festlegung dieser Summe gekommen sein mag, läßt sich nur vermuten: Sind wir zunächst von den Interessen der Grünenberger ausgegangen, so werden jetzt auch jene der Herrschaft und Luzerns zu erwägen sein. Durch die Pfandnahme eröffnete sich für Luzern die Möglichkeit zur formalen Legalisierung der Eroberung, beinhaltete diese doch in der damaligen Rechtsauffassung auch in den Augen der Untertanen rechtsgültige Übertragung von Herrschaft. Die österreichische Partei wird dies nur ungern gesehen haben und darauf bedacht gewesen sein, durch Senkung der Pfandsumme Luzerns im Hinblick auf eine spätere Wiederlösung die Mobilität dieses Pfandes nicht allzu sehr zu beeinträchtigen. Jedenfalls hat die österreichische Seite zunächst offenbar nur die Verpfändung des Zolls von Rothenburg ins Auge fassen wollen20'. Wer hier nun den Ausschlag zur Festlegung der Pfandsumme gegeben hat, läßt sich nicht sagen. Am ehesten wird es die österreichische Seite gewesen sein. Luzern sicherte nämlich das Pfand nun zusätzlich dadurch ab, daß die Wiederauslösung nur während des Friedens oder während dessen Verlängerung ermöglicht wurde210. Nachher war jede Lösung unmöglich. Damit war die Herrschaft zu einer beachtlichen Investition in eine unsichere Position, oder dann eben zur Aufrechterhaltung des Friedens gezwungen. Das Pfandgeschäft wurde im folgenden Jahr durchgeführt. Haben die von Grünenberg der Friedensbestimmung gemäß am 11. Januar 1395211 zwar die entsprechende Pfandsumme von Luzern entgegennehmen können, so gestaltete sich ihre Entschädigung durch die eigene Herrschaft weit schwieriger. Diese tat es, indem sie die gesamte Pfandschaft auf 5400 Gulden veranschlagte und nun als Ersatz für die so verbleibenden 900 Gulden das Michelsamt versetzte212. Damit erlitten die von Grünenberg noch immer einen empfindlichen Verlust. Sie mußten sich zunächst wohl damit abfinden, war doch ihre Lage äußerst prekär; soweit erkennbar scheint Rothenburg ihre einzige materielle Basis dargestellt zu haben. Jedoch scheinen sie später ihre weiteren - berechtigten - Forderungen durchgesetzt zu haben, jedenfalls erklärten am 13. Mai 1406 Henmann und Wilhelm von Grünenberg in Brugg, daß ihnen nun alle Ansprüche, die sie gegenüber der österreichischen Herrschaft an Schuld, an Leistung und Schaden gehabt hätten, abgegolten worden seien2 ".Sie sollten - um dies abzuschließen - aus dieser Erfahrung ihre Lehre ziehen: Als 1415 auch die Situation im Michelsamt aussichtslos wurde, verkaufte Wilhelm von Grünenberg ohne Rücksicht auf die pfandrechtliche Bindung das Amt sofort an die Stadt Sursee214 und nahm dabei auch einen Verlust von 250 Gulden in Kauf. 198 Auch die Verhältnisse im Entlebuch waren durch eine große Pfandschaft bestimmt. Allerdings konnte hier Luzern seine absolute Forderung nicht so durchsetzen wie in Rothenburg. Daß es auch hier die Ablösung der Pfänder anstrebte, zeigt die Antwort der Luzerner auf die Vorschläge der Österreicher: Sie sind nicht einverstanden «dz kein (sc. irgend ein) len oder phand in diesen stucken si begriffen, wan die vestinen und der empter guter vil damitte wurdent hingezogen»215. Luzern wollte also die Lehen und Pfänder in die erstrebte Lösung einbeziehen. Im Zusammenhang kann hiermit nur die Pfandschaft Wol-husen verstanden sein. Ein Überdauern der Pfandschaft in österreichischer Hand war für Luzern offensichtlich nicht mehr annehmbar. Es erreichte jedoch lediglich, daß ihm das Entlebuch und die Ämter Wolhusen mit allen Rechten und Gerichten für die Dauer des Friedens zugesprochen wurden. Die Steuern mußten weiterhin und zwar auf ihrem Maximalansatz an die Herrschaft entrichtet werden. Aber Luzern setzte hier zumindest durch, daß diese Steuergelder vertraglich nur zur Auslösung der verschiedenen Pfänder, die die Herrschaft daselbst hatte, verwendet werden sollten. Dadurch blieb die Regelung der Pfandschulden innerhalb der österreichischen Partei, und die Abfindung Peters von Torberg war eine Angelegenheit zwischen ihm und der Herrschaft. Einen Terminzwang - wie im Falle Rothenburgs - konnte Luzern hier natürlich nicht anbringen. Peter von Torberg nun hatte seine Stellung auf einer viel weiteren Basis aufgebaut als die von Grünenberg. Er besaß unter anderem bereits seit 1368 pfandweise die Münze von Breisach am Rhein und war seit 1376 auch Pfandherr der Feste Rheinfelden216. Der Verlust traf ihn offensichtlich nicht so existentiell wie die von Grünenberg. Er konnte zuwarten und es der Herrschaft ersparen, die Pfandschaft an den Gegner zu versetzen. Wie Peter von Torberg entschädigt wurde, darüber fehlen direkte Quellen. Als nach seinem Tod um 1400 die Pfandschaft der Feste Rheinfelden am 12. März 1405 von Herzog Friedrich weiter versetzt wird um nunmehr 8310 Gulden, erfahren wir, daß niemand anders als Peter von Torberg die j ährliehe Steuer von 300 Gulden, welche das Entlebuch und die Ämter Wolhusen entrichteten, empfangen hat. Diese Steuer wurde jetzt nämlich aus der Pfandschaft der Feste Rheinfelden herausgenommen und der Herrschaft vorbehalten217. Wie weit sich in der Gesamtsumme dieser Pfandschaft noch weitere Entschädigungen für den Verlust in Wolhusen verbergen, entzieht sich unseren Kenntnissen. Die Verhältnisse um die Entlebu-cher Steuer sind nicht mehr ganz zu erhellen. Die Einzugsberechtigung war offenbar bereits am 29. Juli 1403 vom Herzog an seinen Vogt Heinrich Geßler zu Rheinfelden übertragen worden218. Als Luzern nun am 26. Mai 1405 sich das Entlebuch und Wolhusen in aller Form - aber zunächst wiederum unter 199 Ausklammerung der Steuer - von Herzog Friedrich verpfänden ließ, betrug die Pfandsumme nur mehr die ursprünglichen 3000 Gulden2". Der Rest der unter Peter von Torberg aufgelaufenen Pfandsumme mag durch die Steuerzahlungen und durch das Rheinfelder Pfand mit dem Zubehör im Rheintal und in der Grafschaft Homberg und Hornussen gedeckt gewesen sein. Daß Luzern sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, dem Tode des von Torberg, um die Pfandlösung, die es 1394 nicht erreicht hat, bemühte, zeigt die Bedeutung, die es dieser förmlichen Herrschaftslegitimation beimaß. Durch die Pfandauslösung brach Luzern auch de jure in das österreichische Herr-schaftsgefüge ein und übernahm in absolut rechtsgültiger und auch von den betroffenen Landleuten - seinen Mitbürgern - anzuerkennender und anerkannter Form die Herrschaftsrechte im Amt wie vordem in Rothenburg. Doch blieb die dem Pfandschaftswesen anhaftende Mobilität von Hoheitsrechten durchaus bestehen, wurde aber durch die Befristung der Rücklösung auf die Zeit des Friedens erheblich beeinträchtigt. Die Pfandsumme selbst dürfte dagegen für die österreichische Herrschaft kein unüberwindbares Hindernis gebildet haben. Das Beispiel der Pfandlösung der Feste Rheinfelden durch den reichen Basler Jakob Zyboll gegen eine Bargeldsumme von über 8000 Gulden zeigt, daß die Herrschaft durchaus imstande gewesen wäre, die Summe für die Pfandablösung von Luzern aufzubringen. Wenn Österreich sich schließlich nicht um eine baldige Lösung bemühte, so deshalb, weil damals die Position Rothenburg - Wolhusen keine vorrangige Rolle mehr spielte, und wir haben bei der Erörterung der österreichischen Entwicklung gesehen, warum es schließlich dabei blieb. Es war angebracht, die Pfandschaftsfrage im Zusammenhang mit dem Zwanzigjährigen Frieden eingehender zu verfolgen, kommt ihr doch in diesem Vertrag bei den Abmachungen mit Luzern - und allein hier - eine hervorragende Bedeutung zu. Die im Amt Rothenburg erreichte Lösung stellte einen offenbar hart ausgehandelten Kompromiß dar, mit dem Luzern den Sieg der Waffen bei Sempach in einen politischen Erfolg umsetzen konnte. Den Weg, den es sich hier geöffnet hat, sollte es auch späterhin beschreiten im Fall Hochdorf und Urswil wie auch bei Entlebuch und schließlich Sursee. Bei den übrigen Punkten des Zwanzigjährigen Friedens kam, da keine grösseren Verpfändungen vorlagen, das Pfandschaftswesen nicht mehr zur gleichen Geltung. Bei Sempach setzte sich der Luzerner Standpunkt gegenüber den weitgehenden Forderungen der Österreicher durch. Allerdings mußte hier die weitere Entrichtung der Straßburger Steuer gewährleistet werden. Wenn Luzern auch für Hochdorf und Urswil alle Gerichte und Rechte beanspruchte, so wurde im Friedensvertrag die Steuerleistung an die Herrschaft doch auf- 200 rechterhalten. Aber nachträglich ist es auch hier zu einer Klärung der Sachlage gekommen, indem die beiden Dörfer in die Rothenburger Pfandablösung vom 11. Januar 1395 mit zusätzlich 300 Gulden, die an den bisherigen Inhaber, den Vogt von Richensee, Heinrich Geßler, entrichtet wurden, miteinbezogen worden sind220. Blieben bei Hochdorf und Urswil ferner die Rechte des Stiftes Beromünster vorbehalten, so wurde sonst das Verhältnis der Michelsleute, die im Amt Rothenburg saßen, wie bisher unter den von Grünenberg territorial geregelt: Sie sollten nach Rothenburg steuern und leisten. Beim Dorf Root setzte sich der luzernische Standpunkt durch, österreichischerseits scheinen, soweit wir den noch erhaltenen Quellen entnehmen können, diesbezüglich auch keine Vorstellungen vorgelegen zu haben. Merenschwand war nach dem Freikauf von den Hünenbergern kein Gegenstand des Friedensvertrages mit der österreichischen Herrschaft mehr. Auch die sehr weitgehenden österreichischen Vorstellungen bezüglich der Zölle in Rothenburg und Luzern sind nach der vertraglich festgelegten Pfandlösung Rothenburgs überfällig geworden. Die zahlreichen Ausburger, die nun außerhalb der an Luzern abgetretenen Ämter und Dorfmarken saßen, mußten aufgegeben werden gegen die vertragliche Zusicherung der Straffreiheit. Aber offenbar hat Luzern bei den Verhandlungen gar nicht mehr mit diesen Ausbürgern gerechnet. Jedenfalls hat es keine Forderungen in dieser Richtung gestellt. Dieses Zurückstecken ist ebenfalls auf die Erfahrung zurückzuführen, die Luzern - wie unten gezeigt werden wird - in der Zwischenzeit mit diesen Ausbürgern gemacht hatte. Insgesamt stellen wir also fest, daß sich der Luzerner Standpunkt gegenüber \ dem österreichischen durchgesetzt hat - aber nicht vollumfänglich und beson- ')< ders nicht aufgrund des Waffensieges von Sempach allein. Den Erfolg erreichte / es erst nach der Lösung des Pfandschaftsproblems. In dieser Lösung, die nur nach zähen und langwierigen Verhandlungen gefunden worden ist, liegt die Bedeutung des Zwanzigjährigen Friedens für Luzern. Bei aller Zurückhaltung gegenüber einer modernen Begrifflichkeit läßt sich doch davon sprechen, daß hier recht eigentlich eine staatsrechtliche Grundlage für die Entwicklung des luzernischen Territorialstaates gelegt worden ist. Von den weiteren Bestimmungen können wir im Zusammenhang mit unserer Fragestellung absehen. Sie betreffen die Modalitäten bei der Einhaltung des Friedens. Wir wenden uns vielmehr der Frage zu, wie es in Luzern zu jenem Wandel der Vorstellungen über die eigene Zuständigkeit auf der Landschaft gekommen sei, ein Wandel, der uns vor allem dann deutlich wird, wenn wir die Situation der Waffenstillstandszeit mit der luzernischen Verhandlungsposition und dem Resultat des Zwanzigjährigen Friedens vergleichen. 201 II. Die ersten Verwaltungsschritte Luzerns auf dem Land Wenn wir im folgenden die ersten Verwaltungstätigkeiten Luzerns vor dem Zwanzigjährigen Frieden ins Auge fassen, so geht es uns hier - das sei vorweg klargestellt - nicht um die zahlreichen Eingriffe oder - nach österreichischer Auffassung - Übergriffe Luzerns auf der Landschaft, wie sie in den verschiedenen Klagen zahlreich aufscheinen. Von der Quellenkritik her sind diese Belege unzuverläßig, finden sie sich doch in den auf ihre Stichhaltigkeit nicht mehr überprüfbaren Klagerödeln der österreichischen Partei. Vor allem aber handelt es sich immer nur um punktuelle Aufschlüsse, über deren Zusammenhänge und Tragweite für das Ganze man nichts erfährt. Ein repräsentativer Überblick ist aus diesen Quellen nicht zu gewinnen. Gegenstand unserer Betrachtungen sollen daher vielmehr jene quellenmäßig erfaßbaren ersten Unternehmungen sein, die auf eine systematische Erfassung des Landes hinzielen. Solche Unternehmungen stellen die Besteuerung der Landschaft von 1389 und der Einzug des Burgrechtsguldens bei den Pfahlbürgern von 1389 und 1392 bis 1393 dar, sowie die Anfänge der Vogteiorganisation. Die Datierungen weisen schon darauf hin, daß erst im Siebenjährigen Frieden mit einer aufbauenden Verwaltungstätigkeit begonnen worden ist. Blieb in der unsicheren Situation der Waffenstillstände alles offen, so ermöglichte nun der längerbefristete Friede eine auf längere Dauer ausgerichtete Erfassung des Landes. 1. Die Landsteuer von 1389 Die Steuer, zu deren Anlage sich die Bürger von Luzern am 8. Januar 1389, also noch unmittelbar vor Abschluß des Siebenjährigen Friedens, entschlossen, sollte die Kosten des Sempacherkrieges und wohl schon auch die bei den Verhandlungen sich als notwendig erweisenden Ausgaben decken helfen221. Sie wurde nicht nur in der Stadt eingezogen - wovon uns wenigstens für das Mühlequartier das Steuerregister erhalten geblieben ist -, sondern auch auf dem Land222. Die Steuerordnung sah vor, daß beim Einzug jedermann, er sei Burger oder Gast, beigezogen und daß von Haus zu Haus alle Personen verzeichnet werden mußten. Dieses Vorgehen war gewählt worden, um die in der Steuerordnung eingeräumte Möglichkeit einer Steuerbefreiung in der Höhe des Lebensmittelbedarfs eines Jahres kontrollieren zu können. Je nach Anzahl Personen in einem Haushalt konnten hier sehr unterschiedliche Werte eingesetzt werden, was es zu überprüfen galt. In genau gleicher Weise - so fährt die Ordnung fort - sollten es auch «unser umsessen» halten, gegenüber allen, die bei ihnen 202 wohnhaft waren, ob sie nun zu ihnen gehörten oder nicht223. Anschließend an die Steuerordnung folgt ein Verzeichnis der einzelnen Quartiere und der für diese zuständigen Steuereinzieher. In gleicher Weise werden nun auch jene aufgeführt, die «die stüre von den umsessen süllent ufnemen». Zuerst wird der Ort genannt, zu dem dann ein oder mehrere Namen gesetzt werden. Den so notierten Einzügern sind zu einem späteren Zeitpunkt die Steuerrödel überreicht worden. Darauf weist die jeweils nachträglich beigefügte Bemerkung «habent rodulum», «sie haben den Rodel», hin. Mit der Ausführung des Steuerbeschlusses wurde offenbar erst am 2. Juni 1389 begonnen, also zur Zeit, als der Siebenjährige Friede abgeschlossen und eine längerfristige Verwaltungsplanung möglich geworden war224. Der Einzug der Steuergelder dauerte über Jahre. Für das städtische Mühlequartier erfolgte die Schlußabrechnung erst am 12. Februar 1392, und es ist kaum anzunehmen, daß es auf dem Lande schneller gegangen sei. Wir besitzen nun die Resultate dieser ganzen Einzugstätigkeit bis auf die bekannte Ausnahme des Mühlequartiers nicht mehr. Es ist somit nicht überprüfbar - auch allgemeine städtische Rechnungslegungen fehlen noch zu jener Zeit -, ob und inwieweit die Landschaft tatsächlich gesteuert hat. Immerhin war die Organisation des Steuereinzugs mit der Verteilung der Rödel schon weit fortgeschritten und erlaubt uns - trotz des Quellenmangels - einen Rückschluß auf die tatsächliche Lage nach dem Sempacherkrieg. Was bedeutete im 14. Jahrhundert eine solche Landsteuer225? Steuer im mittelalterlichen Sinn bedeutet außerordentliche Hilfe in der Not. Die Steuer muß gefordert und von der Gegenseite zugestanden werden. Das setzt die Notwendigkeit voraus, daß sich Herr und Untertan über den Tatbestand der Not auf irgendeine Weise verständigen müssen. Der Herr kann sich aber auch durchsetzen, wenn die der Steuer Unterworfenen den Fall der Not als nicht gegeben erachten. Dabei hängt es insbesondere vom Schutzbedürfnis der Betroffenen ab, wieweit der Herr verhandelt, den Rat seiner Leute in Anspruch nimmt, oder ganz einfach fordert. Hier war natürlich die Stellung der Landleute sehr ungünstig. So kann die Leistung von Abgaben zu einem Kennzeichen der Unterwerfung des einfachen Mannes werden. Daß eine «Landessteuer» eingezogen wird und wo sie erhoben werden kann, bildet damit einen wichtigen Indikator für die Fähigkeit eines Herrn, Hoheitsrechte auszuüben und für den Kreis, der bereits herrschaftlich erfaßt werden kann. 1389 in Luzern ist diese Entwicklung noch ganz an ihrem Anfang. Aber aus der erhaltenen Steueranlage erfahren wir, in welchen Gebieten Luzern bereits über genügend herrschaftlichen Zugriff verfügte, um nicht nur Steuern zu verlangen, sondern ihren Einzug auch administrativ organisieren zu können. Es 203 brauchte ja Personal, und zwar ortskundiges, einheimisches Personal, für den Steuereinzug in den verschiedenen Orten. Luzern verfügte offenkundig über die hier nötigen Beziehungen: Soweit wir es den Namen entnehmen können, gehören die Einzüger in der Regel zur ortsansäßigen Landbevölkerung226. Diese Steuerforderung ging, was die miteinbezogene Bevölkerung anbetrifft, sehr weit: Sie wurde offensichtlich nicht aufgrund eines Burgrechtsverhältnisses erhoben wie noch 1352; in den Quellen ist nur von den «umsessen» und von denen die Rede, die bei ihnen wohnten. Der Anspruch auf dieser bereits herrschaftlichen - nicht mehr burgrechtlichen - Grundlage war wohl nur durchsetzbar, weil die betreffende Landbevölkerung besonders schutzbedürftig war und unter dem unmittelbaren Eindruck des Sempacher Krieges und der Unsicherheit der Waffenstillstände von der Notwendigkeit der Hilfeleistung wohl nicht schwer zu überzeugen war. Die Tatsache, daß sich Luzern dazu ermächtigt sah, selbst den Klerus eines weiten Umkreises zur Steuer heranzuziehen, und offenbar auch fähig war, die entsprechenden Maßnahmen durchzuführen, worauf die genaue Taxierung der verschiedenen Kirchherren schließen läßt, weist in dieselbe Richtung. Wie weit nun reichte dieser erste verwaltungsmäßige Zugriff Luzerns? Die Aufzeichnung der Orte erfaßt zunächst - wir folgen dem Wortlaut - mit den Dörfern Ebikon, Rotsee, Buchrain, Dierikon und Root das Reußtal bis hinunter nach Hönau und Gisikon, sowie mit Adligenswil und Meggen Teile des Amtes Habsburg. Des weitern werden von Emmen über Rothenburg aufwärts mit Rüeggeringen, Rippertschwand, Adelwil, Bärtiswil, Rüeggisingen, Mettenwil und Gundelingen Orte genannt, die auf der Schwellenregion bis südlich des Sempachersees und am Berg gelegen sind. Darauf werden Udligenswil und Meierskappel verzeichnet und schließlich zusammen mit Malters, Ruswil und Entlebuch angeführt. In einem späteren Eintrag werden noch Horw, Kriens, Hochdorf, Littau und Merenschwand in der hier wiedergegebenen Reihenfolge aufgeführt. Schon die Anordnung der Steuerliste legt gewisse Schlüsse über die Ausgestaltung der Verwaltung nahe. Aus der recht willkürlichen, ja geradezu zufällig anmutenden Reihenfolge der Orte, die Meggen und Adligenswil mitten unter die Orte des Reußtals, Udligenswil und Meierskappel zwischen die Höfe um Rothenburg und Malters, Hochdorf zwischen Kriens und Littau einschiebt, erwächst nicht gerade der Eindruck einer systematisch durchdachten Registrierung der Landschaft. Dennoch sind erste Ansätze zu einer weiteren Organisation erkennbar. Bei Rothenburg bemüht man sich offenbar, vorgegebene Verwaltungsstrukturen aufzunehmen: Nachträglich ist ein «officium Rothenburg» als Steuereinheit eingefügt worden. Allerdings um das alte österreichi- 204 ™'55c"5*>] fc~*j«ev— i^^««" 'feto?*- <&^«u, f^^-rB^^^r^* „■j^Q^v**fiffü V^*. g>A-&- - '"^5»i ^ ^VocfSjj er fiw^fcj ffe-Ug» -lyy f.cy Abb. 11 Steuer von 1389 205 20 Karte Die Landsteuer von 1389 sehe Amt, ja selbst um die kleinräumige «herschaft Rotenburg», kann es sich hier nicht mehr handeln, da selbst ehemalige Höfe der Herrschaft wie Rüegge-ringen, Rippertschwand und Bärtiswil getrennt steuern. Das Officium der Steuer von 1389 scheint daher nichts anderes gewesen zu sein, als der ebenfalls angeführte, an die Burg Rothenburg steuernde Kreis. Jedenfalls sind unter beiden Rubriken dieselben Steuereinzieher genannt. Bemühungen, die überkommenen Strukturen zu übernehmen und zugleich Unsicherheit über deren Ausgestaltung treten hier zutage. Ganz eindeutig geht schließlich aus dieser Steueranlage auf dem Land hervor, daß es luzernischerseits 1389 noch keine richtige 206 städtische Vogtei-Organisation gegeben hat. Auch die Nennung eines Officium Rothenburg kann offensichtlich nicht in diesem Sinne interpretiert werden. Wenn hier schließlich auch jene Orte, wo Luzerner Bürger bereits über Vögtei-rechte verfügten, wie Ebikon, Rotsee, Adligenswil, Meggen, Udligenswil und Malters, ohne besondere Berücksichtigung dieser Vögte von der Stadt in gleicher Weise behandelt wurden wie die übrigen, so weist dies auf eine von der Stadt als Herrschaftszentrale angelegte Landsteuer hin, bei der weder die bestehenden herrschaftlichen Strukturen noch die Bürgerrechte der Landleute eine Rolle spielten. Vergleichen wir die Steuer von 1389 mit jener von 1352, bei der schon Landleute - allerdings als Ausburger - beigezogen worden sind227, so sticht sofort die Ausweitung des Steuerkreises im Bereich der Ämter Rothenburg und Wolhu-sen ins Auge. Ebenfalls von Interesse ist die Feststellung, welche Orte 1389 nicht mehr erscheinen. Bei Hergiswil am See ist dies verständlich, hatten sich doch die Hergiswiler von der Vogtei der letzten Inhaberin Cacilia von Moos 1378 losgekauft und Nidwaiden angeschlossen228. Vor allem aber überrascht das Fehlen von Weggis und Greppen, dann auch von Küßnacht, Haitikon und Immensee. Hier muß es offenbar schon damals zu einer - sonst in den Quellen nicht faßbaren229 - Ausscheidungsbewegung zwischen Luzern und Schwyz gekommen sein, wobei Schwyz sich in der Region Küßnacht und auf dem Landrücken zwischen Vierwaldstätter- und Zugersee bereits durchzusetzen vermochte. Bei Weggis ist bekannt, daß Schwyz sich in die Verhältnisse einmischte und Weggiser zu deren Unterstützung gegen Luzern als Landleute aufnahm. Eine Klärung ist hier erst durch den Schiedsspruch vom 1. Juni 1395 herbeigeführt worden und zwar zugunsten Luzerns230. Die Annahme liegt nahe, den Steuerausfall von Weggis im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen Weggis und Luzern und mit der Einflußnahme der Schwyzer zu sehen. Wie verschachtelt die Verhältnisse aber gerade im Küßnachter Raum waren, zeigt die Liste der taxierten Kleriker. Neben den Kirchherren, die sich in Orten befanden, die in der Steueranlage schon erfaßt sind, erscheinen hier zusätzlich die Rektoren von Risch und Dietwil. Wir sehen also Luzern auch dort den Klerus besteuern, wo man es wegen der schwyzerischen Prädominanz nicht vermuten würde23'. Erstaunlich ist schließlich, daß Luzern offenbar auch die Kirche Eich am Sempachersee belangen konnte. Es scheint sich hier aber nur um eine vorübergehende Möglichkeit gehandelt zu haben. Schon 1393 bewerkstelligte Herzog Leopold IV. die Inkorporation der Kirche von Eich an die Kapelle auf Schloß Baden232. Gesamthaft gesehen erfaßt die Landsteuer von 1389 bereits die Gebiete, die dann im Zwanzigjährigen Frieden Luzern zugesprochen werden sollten. 207 L 2. Der Einzug des Bürgerguldens von den Ausbürgern 1392/93 In der Zeit des Siebenjährigen Friedens hat sich Luzern auch um die Bereinigung des Verhältnisses zu den Ausbürgern bemüht. Diese Verwaltungstätigkeit bewegte sich - soweit sie quellenmäßig erfaßbar ist - in einem viel weiter gespannten Umfeld. Der Siebenjährige Friede hatte lediglich die Neuaufnahme von Pfahlbürgern verboten. Von der Forderung, die bereits vorhandenen Ausburger zu entlassen, war noch keine Rede. Hier blieb somit Luzern noch eine Möglichkeit der Einflußnahme. Wir haben bei der Behandlung der Ausburger-Bewegung von 1386 gesehen, daß der Bürgergulden von den meisten Neubürgern nicht entrichtet sondern bloß versprochen worden war"3. In der durch den Siebenjährigen Frieden eingetretenen Situation ging man nun daran, den versprochenen Bürgergulden einzutreiben. Das Unternehmen erwies sich als schwierig. Ein erster Anlauf im Jahre 1389 blieb offensichtlich schon in den Anfängen stecken. Erst die am 26. April 1392 ernannte Ratsdeputation arbeitete mit einer gewissen Effizienz. Über ihren Erfolg sind wir durch das Einzugsregister eingehend informiert234. Was zunächst auffällt, ist, daß offenbar lange nicht alle Ausburger den Gulden entrichtet haben. Nur gerade in vier Ortschaften wurden alle verzeichneten Schulden beglichen: in Buttisholz und Hergiswil, in Hohenrain und Au. Es ist aufschlußreich, die geographische Verteilung der Ausfälle näher ins Auge zu fassen. Ihr Schwerpunkt liegt in den für Luzern entlegeneren Orten, vor allem in jenen des Winentals, des Amtes Lenzburg, ferner in Knutwil und Eich. Offensichtlich sind diese Ausburger bereits damals wieder außerhalb des luzernischen Einflußbereichs geraten. Immerhin ist die Deputation der Einzüger noch bis nach Reinach und Birrwil vorgestossen, um im letzteren Ort mindestens die erfolgte Zahlung eines Guldens festzustellen. Bei anderen Orten wurden die Gulden aus anderen Gründen nicht mehr entrichtet, denn sie steuerten in der Zeit von 1389 bis 1392 nach Luzern. So fehlen in Malters jegliche Angaben über die Guldenzahlung, desgleichen im Komplex Merenschwand, Mühlau und Benzenschwil, wo die Landleute daran gewesen sein dürften, durch Loskauf von denen von Hünenberg die 1394 erfolgende Aufnahme ihrer Gemeinden ins Burgrecht mit Luzern vorzubereiten. Daß gerade im Amt Meien-berg damals die Situation für Luzern verworren war, zeigt auch der Umstand, daß die Einzüger in Au die Schulden ohne Verlust eintreiben konnten, bei den näher wohnenden Ausburgergruppen in Abtwil, Giebelflüh und Sins indessen nichts ausrichteten. Auch die Ergebnisse bei den Luzerner Ausbürgern im österreichischen Amt Richensee waren recht uneinheitlich. In Hochdorf und 208 fr Ruswil entzogen sich immerhin 25% der Neubürger der Guldenzahlung, in Kleinwangen und Lieli hielt man sich noch weniger an das gegebene Versprechen. Dagegen überrascht, daß in Richensee selbst doch noch beinahe die Hälfte der Ausburger ihrer eingegangenen Verpflichtung nachgekommen sind. Wenn im Michelsamt zu Neudorf 13 von insgesamt 17 Pfahlbürgern ihren Gulden entrichteten, so überrascht das - bei der bekannten, gegen die Münsterherren gerichteten Stimmung dieses Dorfes235 - weniger als die Tatsache, daß die Deputation 1392/93 in Beromünster selbst beinahe alle ausstehenden Bürgerrechtsgulden einziehen konnte. Gegenüber diesem uneinheitlichen, von vielen Ausfällen gekennzeichneten Bild im Reuß- und Seetal hebt sich nun das Resultat in den Ämtern Wölhusen und Willisau in beachtenswerter Weise ab. Hier erwies sich die Tätigkeit der Einzugsdeputation als viel wirkungsvoller: Außer bei Willisau, wo die Ausfallsquote gegen 40% ausmachte und beim entlegenen Großdietwil (33%), hielten sich die Ausfälle durchschnittlich um die 10%. In Ruswil, Buttisholz, Willisau, Ettiswil, Gettnau und Hergiswil war es zudem die Ratsdeputation von 1392/93, die den Hauptposten der Bürgergulden einzog. Der Hinweis auf die Effizienz der Deputation von 1392/93 in dieser Region ist deshalb von Interesse, weil sich über die Stellung Luzerns in diesem Raum in der Zeitspanne zwischen den Jahren 1386 bis 1394 kaum Nachrichten erhalten haben. Im Zwanzigjährigen Frieden gehört das Amt Willisau eindeutig nicht mehr zu den Luzern abgetretenen Gebieten. Anderseits hat Luzern im Jahre 1386 in Willisau und auf dem Umland erheblichen Einfluß besessen. Wieweit es tatsächlich zu einem eigentlichen Burgrecht mit Willisau gekommen ist, geht aus den Quellen nicht eindeutig hervor. Eine Klageschrift beschuldigt Luzern wohl der Entfremdung Willisaus2", aber weitere Akten hierüber, wie etwa im Falle Sempachs oder Entlebuchs, besitzen wir nicht; auch keine chronikalen Mitteilungen wie für Meienberg oder Richensee23'. Hingegen wissen wir, daß sich in den siebziger Jahren des Jahrhunderts eine erhebliche Anzahl von Wil-lisauern in Luzern einbürgerten und höchstwahrscheinlich als Ausburger in Willisau blieben238. Man weiß, daß Luzerns Stand in dieser Region mehr wegen des bernischen Einflusses als wegen der Stellung der österreichischen Herrschaft nicht einfach war239 und daß nach dem Burgrecht der Herrin von Willisau mit Bern vom 27. April 1386 Willisau unter dem Zutun Berns bereits im Frühjahr 1386 für Luzern wieder verlorenging. Aber offensichtlich setzte bereits in der zweiten Jahreshälfte, seit dem 24. Juni (post Johannis), erneut eine breite, auch Willisau ergreifende Ausburgerbewegung ein. Sie allein ist uns im Einzugsregister von 1392 überliefert. Die hier belegte erfolgreiche Tätigkeit der Ratsdeputation läßt nun erkennen, daß es Luzern noch während des Siebenjährigen Friedens möglich war, auf die im Sommer 1386 gegebenen Verspre- 209 1 w 21 Karte Die Einzugstätigkeit der Ratsdeputation 1392/93 chungen zurückzukommen und die noch ausstehenden Bürgergulden einzuziehen. Noch mehr: Es konnte sich hier verwaltungsmäßig noch besser durchsetzen als in den anderen Gebieten, die traditionell mehr auf Luzern ausgerichtet waren als das Willisauer Umland. Luzern hat durch all die Jahre hindurch eine erstaunliche Möglichkeit zur Einflußnahme in der Willisauer Region aufrechterhalten können. Das wird noch augenfälliger, wenn wir die Stellung Luzerns mit jener Berns in diesem Raum vergleichen. Die Berner Landsteuer von 1389 vermeldete im «buch wider Willisowe abe» 27 Steuerpflichtige in der Stadt und Grafschaft Willisau2'10. Als Luzern drei Jahre später in der gleichen Region den Bürgergulden einzog, wurde dieser von über 70 Landleuten entrichtet, von 210 Die Einzugstätigkeit der Ratsdeputation 1392/93 Ort «nobis > andern zahlend (L = zer Linden M = von Mos U = Urner) nicht zahlend Malters 0 0 106 100% Linau 6 30% 1 5% L 13 65% Root 5 14% 15 41,5% L/ungelt 16 44,5% Greppen - 4 36,5% 7 63,5% Abtwil, Sins 3% Gibelflüh 1 L/v. Matt 25 97% Au 2 28,5% 5 71,5% L/Albrecht d. Weibel _ Merenschwand Mülnau, Benzen- " 30 100% schwil Hochdorf 27 75% - 9 25% Urswil 3 75% - 1 25% Hohenrain - 14 100% M/U _ Kleinwangen 7 37% 4 21% U/L/M/Gawersche 8 42% Güniken - - 1 100% Lieli 4 44% - 5 56% Richensee 47 46% 1 1% L 54 53% Neudorf 13 72,2% 1 5,5% L 4 22,3% Beromünster 45 98% - 1 2% Pfäffikon - - 4 100% Reinach 1 4% 3 11,5% L/statschriber 22 84,5% Gontenschwil - - 14 100% Zetzwil - - 24 100% Rued - - 12 100% Birrwil - 1 12,5% ungelt 7 87,5% (Iberg) - - 2 100% Eich - - 5 100% Knutwil - - 2 100% Ruswil 60 55% 34 31% L/U/M 15 14% Buttisholz 34 100% - _ Menznau 27 43% 29 46% M/U/ungelt 7 11% Willisau 24 61,5% 15 38,5% Hergiswil 10 62,5% 6 37,5% L _ Ettiswil 9 82% 1 9% L 1 9% Gettnau 12 92,5% - 1 7,5% Dietwil 3 33% 3 33% L 3 33% Luther 14 33% 20 48% L 8 19% Total 353 38% 143 16% 422 46% 211 f 30 wurde die bereits erfolgte Zahlung eidlich beglaubigt241. Luzerns Verankerung in der Landbevölkerung war also gegenüber der Stellung Berns noch respektabel. Vielleicht ist die große Ungeduld Berns und der Druck, den es auf Luzern in den Vorverhandlungen zum Zwanzigjährigen Frieden ausübte, auch durch diesen Interessenkonflikt und die dabei immer noch ansehnliche Stellung Luzerns im Willisauer Raum zu erklären. Ob und wieweit für Luzern Willisau ein Verhandlungsgegenstand gewesen ist, geht allerdings aus den erhaltenen Quellen nicht hervor, und im Friedensvertrag ist von Willisau keine Rede. Bei der ganzen Einzugsaktion sollte die Tatsache, daß es beinahe in allen Fällen zu einem mehr oder weniger großen Ausfall der Guldenzahlung gekommen ist, nicht weiter befremden. Über die Gründe für diese Erscheinung erfahren wir leider nichts. Sie mögen vielfältig gewesen sein: von einem eigentlichen inzwischen eingetretenen Desinteresse am Luzerner Bürgerrecht - es ist bekannt, wie Landleute schon im Januar 1386 wieder reumütig sich österreichischen Vertretern unterworfen haben242 - bis zur einfachen Tatsache, daß die Deputation einen Neubürger nicht erreichen konnte. Daß es lange nicht alle 1386 neu aufgenommenen Bürger sind, die den Gulden bezahlten, dürfte des weitern an der auch anderswo feststellbaren verwaltungsmäßigen Schwierigkeit bei der Erfassung der Ausburger gelegen haben. Wo statistische Vergleichswerte über solche Gebührenzahlungen von Ausbürgern vorliegen, können ähnliche Ausfallquoten festgestellt werden243. Das Resultat der Einzugsaktion ist für unsere Fragestellung in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Es überrascht zunächst und vor allem, in welch weitem Umkreis die Ratsdeputation von 1392/93 doch noch mit einiger Durchschlagskraft ihre Aufgabe hat verfolgen können. Zugleich aber wird auch ersichtlich, welches Gewicht den 1386 eingegangenen Ausburgerverhältnissen noch zukam: Nahezu überall ist es zu größeren oder kleinern Zahlungsausfällen gekommen; gegen die Hälfte der Ausburger sind - gesamthaft gesehen - 1392/93 nicht mehr erfaßt worden. Beide Feststellungen belegen nachdrücklich, wie gering die Bedeutung tatsächlich war, die dem Ausburgerwesen im Hinblick auf die Territorialbildung schließlich zukam. Obzwar Luzern offensichtlich konkrete Anstrengungen unternahm, die Ausburger zu belangen, zeigt sich, daß das eingegangene Bürgerrecht nicht mehr als unbedingt verpflichtend angesehen wurde. Luzerns Position war - und das hat man bei dieser Aktion wohl gelernt - soweit sie sich allein auf Ausburgerverhältnisse abstützte, offensichtlich schwach: Vielfach stellt das Einzugsregister die einzige Quelle dar, die von der Präsenz Luzerns im betreffenden Gebiet zu Beginn der neunziger Jahre überhaupt Zeugnis ablegt. Im Zwanzigjährigen Frieden wurde der ehedem von der 212 Ausburgerbewegung erfaßte Bereich überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen. Vielleicht hat gerade die Erfahrung der Ratsdeputation dazu geführt, daß Luzern in den Friedensverhandlungen die Ausburger - soweit erkennbar -widerstandslos aufzugeben bereit war. 3. Die Einrichtung der Vogteien Haben wir bisher kurzfristige und im Grunde einmalige, aber immerhin eine gewisse Systematik aufweisende Verwaltungsmaßnahmen kennengelernt -eine außerordentliche Steuer, den Einzug des ausstehenden Bürgerguldens - so wenden wir uns jetzt den Bemühungen um einen dauerhaften administrativen Aufbau der Verwaltung zu. Zu diesen gehört in erster Linie die Errichtung von Landvogteien durch den Luzerner Rat. Hier war natürlich in Rothenburg und in der Seevogtei Sempach zuerst die Möglichkeit gegeben, eine de facto vakant gewordene Vogtei zu besetzen. Ein offensichtlich luzernischer Vogt von Rothenburg erscheint erstmals im Jahre 1387 im Zusammenhang mit einer vom städtischen Gericht ausgefällten Buße244. Ob damit aber bereits das offizielle Amt bezeichnet ist, bleibt fraglich. Als Vogt von Rothenburg wird zu jener Zeit nämlich in den Luzerner Quellen Johannes von Lütishofen bezeichnet, der ehemalige Schreiber und Untervogt der Herren von Grünenberg. Dieser hat in der Krise des Sempacherkrieges sehr rasch seine eigenen Konsequenzen gezogen, ist ins luzernische Lager übergetreten und wird wohl der Stadt auch seine Verwaltungskenntnisse im Amt Rothenburg zur Verfügung gestellt haben. In Luzern wird er jedenfalls weniger mit seinem Familiennamen, sondern einfach mit dem Titel Vogt von Rothenburg apostrophiert: So klagt die Stadt Ende des Jahres 1387, daß «Johannes vogt zu Rothenburg» anläßlich einer Geschäftsreise nach Bremgarten überfallen, völlig ausgeraubt, an eine Eiche gehängt und beinahe zu Tode gefoltert worden sei, was nebenbei recht drastische Aufschlüsse über die Verbitterung der österreichischen Partei gegenüber diesem Überläufer erlaubt245. Wenn in einer luzernischen Kundschaft von 1410 das bezeugte Faktum mit der Umschreibung «bi vogt Schribers seligen ziten» datiert wird, so weist auch das -von Lütishofen wird oft einfach «schiiber» genannt - auf eine gewisse Verwaltungstätigkeit Johanns von Lütishofen für Luzern hin246. Sonst erfahren wir in der Frühzeit nichts über einen Amtsvogt von Rothenburg. Der früheste Termin, wo mit einer offiziellen Einsetzung eines städtischen Vogtes ins Amt Rothenburg gerechnet werden könnte, wäre nach dem Abschluß des Siebenjährigen Friedens. In diesem Frieden wurde Luzern von österreichischer Seite das Besetzungsrecht für die Seevogtei Sempach zugestanden. Wenn aber die See- 213 vogtei nun dem Besetzungsrecht Luzerns unterstand, dann dürfte das wohl auch für das Amt Rothenburg anzunehmen sein, dessen Zuordnung unter die Luzerner Hoheit in diesem Frieden völlig unangefochten blieb. Konkrete Hinweise erhalten wir aber auch jetzt nicht. Ja, die Planung der Landsteuer von 1389 drängt geradezu den Schluß auf, daß es damals keine oder, wenn man die Nennung des «officium» Rothenburg und die damit verbundene Unsicherheit ins Auge faßt, höchstens eine ephemere Organisation gegeben habe. In die gleiche Richtung weist auch die Tatsache, daß die Friedenswahrung auf der Landschaft durch'das städtische Gericht verfolgt wurde. Das läßt sich aus den beim Rat oder Gericht angezeigten Vergehen und den von diesen ausgefertigten Bußen, die ins Ratsprotokoll eingetragen worden sind, entnehmen. Für die hier in Betracht gezogene Zeit vor 1392 sind allerdings diese Aufzeichnungen nur für das Jahr 1386 erhalten. Doch findet sich in diesem einen Jahr eine stattliche Zahl von Straffällen, die eindeutig auf der Landschaft zu lokalisieren sind: So ein Streitfall, in den ein Heini Mattmann von Kriens, ein Welti am Ort von Horw und ein Ruedi von Schonbühl verwickelt sind247, so zwei Schlägereien, die in Lieli stattgefunden haben248, zwei Fälle, in die Landleute von Pfeffikon, Birrwil, Reinach, Rickenbach und Ermensee verwickelt waren und die im Zusammenhang mit den im Sempacherkrieg aufgebrochenen Parteienhader standen245, gleich wie die Büßung von Leuten aus Sempach, Rickenbach, Gontenschwil, Rued und Zetzwil wegen eines Überfalls auf den Komtur von Hohenrain250. Die Rechtsgrundlage für das Eingreifen des Rates beruhte in diesen Fällen am ehesten auf dem Ausburgerstatus der Gebüßten und der entsprechenden Bestimmung des Waffenstillstandes, Rechtsbrüche von eigenen Leuten zu ahnden. Vor diesem Hintergrund gewinnt nun die Einführung der Vögtliste im Jahre 1392 ihr volles Gewicht. In diesem Jahr beginnen die Bemühungen, Übersicht in die städtische Verwaltung zu bekommen durch die Aufzeichnung der personellen Besetzung der verschiedenen Ämter in dem seit 1381 geführten Ratsbuch. Daß es sich hier um eine grundsätzliche, die gesamte Administration erfassende Maßnahme handelt, zeigt der Umstand, daß die 1392 eingeführte Liste in den neunziger Jahren rasch und kontinuierlich ausgebaut wurde251: Seit 1392 werden regelmäßig die städtischen Richter, der MUhlemeister und die Vögte auf dem Land verzeichnet, 1393 treten zahlreiche weitere Ämter hinzu, wie der Siegelhalter, die Wachtmeister, die Feuerschauer, die Umgeldner, die mit der Markt- und Gewerbeaufsicht betrauten Ämter, das Bauamt und der Schlüsselträger des Staatsschatzes, 1396 folgt der Schiffmeister, 1397 erscheinen Gerichtsweibel, Burgerzinsaufnehmer und Erbfalleinzieher, und in derselben Zeit sind uns auch die ersten Klein- und Großratslisten überliefert. Das 214 heißt natürlich nicht, daß die verschiedenen Ämter erst in diesem Jahr entstanden sind, sondern lediglich, daß man nun das Bedürfnis hatte, sich Übersicht in der Verwaltungsstruktur zu verschaffen. Trotzdem ist es aufschlußreich, daß schon bei der ersten Einführung der Listen die Landvögte verzeichnet werden. Wenn zugleich die Stadtrichter erscheinen, so wird der Anlaß zu dieser Aufzeichnung erkennbar: Auch die Vögte waren als Vertreter der Stadt zuständig für die Gerichtsbarkeit in ihren Ämtern. Wurden Streitfälle auf der Landschaft bisher einfach vor die städtischen Richter gebracht, so traten nun die Vögte in den betreffenden Ämtern an deren Stelle. Die Liste stellt so eine nun notwendig gewordene Übersicht über die Gerichtsinstanzen in dem Luzern unterstellten Gebiet dar. Wenn der Mühlemeister - allerdings noch nicht unter dieser Bezeichnung - ebenfalls aufgeführt wird, so wird man daran denken müssen, daß der Vogthaber im 15. Jahrhundert an den Mühlemeister abzuliefern war252. Für Rothenburg ist so festzustellen, daß in den frühesten erhaltenen Abrechnungen von 1412 bis 1425 die Einkünfte an Futterhaber nicht aufgeführt werden, sondern lediglich vermerkt wird, daß sie dem Mühlemeister in den Stadtkeller abgeliefert worden seien253. Ob dieser Zusammenhang schon 1392 ins Auge gefaßt wurde, kann mangels Quellen nicht gesagt werden. Die Anführung des Mühlemeisters in der frühesten Ämterliste ließe sich j edoch hierdurch erklären. Ihm kam als Bezüger des Vogthabers ebenfalls eine Funktion bei der Verwaltung der Landschaft zu. Die erste Ämterliste scheint also im Zeichen der neuen und noch ungewohnten Aufgabe zu stehen, die Landschaft längerfristig administrativ zu erfassen. Dabei stellte sich das Bedürfnis ein, gerade im Bereich der Gerichtsbarkeit und möglicherweise auch schon in jenem der Einkünfteverwaltung Transparenz zu schaffen. Wenn in den folgenden Jahren diese Ämterliste immer weiter ausgebaut wurde, so mag die durch den administrativen Einbezug der besetzten österreichischen Ämter entstandene Lage sich nun auch auf die gesamte herkömmliche Verwaltung ausgewirkt und den Anstoß zur Herstellung einer nun regelmäßig geführten personellen Übersicht über die verschiedenen Ämter gegeben haben. Es macht ganz den Anschein, die neuen Aufgaben, die nun während des Siebenjährigen Friedens konkret an die Stadt herantraten, hätten sich auch auf Luzerns Verständnis staatlicher Organisation auszuwirken begonnen: Die Tatsache, daß man überhaupt mit der regelmäßigen Verzeichnung der Amtsinhaber ins Ratsbuch begann, zeigt auch, daß ein geschärftes Bewußtsein für die institutionellen Aspekte einer nun schlagartig komplexer werdenden Verwaltung des Gemeinwesens eingetreten war. Die Ämterliste erfuhr nun in der Frühzeit bis 1415 verschiedene Veränderungen. Diese Umgestaltung war durch den jeweiligen, politisch möglichen Organisationsstand bedingt und spiegelt so die frühe Entwicklung der luzerni- 215 sehen Landesverwaltung wider, die hier nur in bezug auf die ältesten Vogteien zu verfolgen ist. 1392 erscheinen neben Rothenburg und der Seevogtei Sempach die Vogteien Weggis, Ruswil und jene von Kriens und Root254. Zunächst fällt hier auf, daß von Entlebuch und den Ämtern Wolhusen nur gerade Ruswil, das äußere Amt also, bereits vogteilich organisiert war. Auch im Entlebuch bestand jedoch luzernischerseits der Anspruch, einen Vogt zu bestellen, was dort aufgrund des Burgrechts angefochten wurde255. Erst nach Abschluß des Zwanzigjährigen Friedens, als Luzern sich langfristig organisieren konnte, setzt es seinen Standpunkt im Vergleich von 1395 durch: Hier mußten die Entlebucher die Einsetzung eines Vogtes durch Luzern akzeptieren und seit 1396 erscheint dieser dann auch regelmäßig in der Vogtliste256. In Ruswil hingegen war es in den achtziger Jahren wohl zu einer Ausburgerbewegung, aber nicht zu einem eigentlichen Burgrecht gekommen, und Luzern konnte die Einrichtung einer Vogtei mühelos erreichen. Merkwürdig sodann mutet das administrative Gebilde einer Vogtei Kriens-Root an, wenn man bedenkt, daß die beiden hier zusammengeschlossenen Ortschaften über zehn Kilometer voneinander entfernt in völlig verschiedenen Gebieten - am Fuß des Pilatus und im Reußtal - liegen. Schon im folgenden Jahr, 1393, erfährt die Vogteiliste eine Erweiterung. Als neue Vogtei wird Hochdorf angeführt. Das zeigt, daß Luzern während des Siebenjährigen Friedens mit dem Verwaltungsausbau nun auch in dem für die Stadt wichtigen Seetal begonnen hatte. Auch hier erscheint es jedoch merkwürdig, daß Hochdorf eine eigene Vogtei gebildet hat. Es stellt sich nun die Frage, warum Luzern zu einer solch komplexen Verwaltungsgliederung gekommen ist, warum es nicht einfach diese Orte der Vogtei Rothenburg angeschlossen oder zumindest eine geographisch näherliegende Verbindung, etwa eine Vogtei Root-Hochdorf, gebildet habe. Die Antwort hierauf hegt einerseits in den besonderen Umständen der Erwerbung, anderseits in der während des Sieben- und dann Zwanzigjährigen Friedens gegebenen und durchaus vorläufigen Situation. Root, das in der österreichischen Zeit zum Amt Meienberg gehörte, ist, nachdem seit Beginn der achtziger Jahre schon zahlreiche Landleute Luzerner Pfahlburger geworden waren, im Zuge des Sempacherkrieges besetzt worden. Der Übergang von Kriens, dessen Leute ebenfalls Pfahlburger Luzerns geworden waren, in den unmittelbaren Besitz Luzerns ist aus den Quellen nicht mehr zu erhellen. Wir erfahren nicht, wer vorher Inhaber der Vogtei gewesen ist, von dem Luzern diese also hätte erwerben können2". Hochdorf gehörte ursprünglich zum Amt Richensee und ist wie Root als Eroberung an Luzern gefallen. Zudem stellte die Einrichtung einer eigenen Vogtei für Hochdorf, das - wie eine Kundschaft von 1393 zeigt - Leute aus vielen Ämtern beherbergte und bisher keine feste Steuer zahlen mußte, eine Neuerung im Sinne von Herrschaftsverdichtung dar256. Die Rechtsgrundlage für Luzerns Zugriff war also bei all diesen Orten unklar, und zudem lagen Root und Hochdorf in noch bestehenden österreichischen Ämtern und nicht in den de facto aufgelösten Pfandherrschaften Rothenburg, Wolhusen und Entlebuch. Nun war die Situation während des Friedens ja die, daß die an die Eidgenossen gefallenen Rechte und Gebiete nur für die Friedenszeit in luzernischer Zuständigkeit bleiben sollten. Für die österreichische Partei blieb Root auch weiterhin ein Bestandteil des Amtes Meienberg, Hochdorf einer des Amtes Richensee, und Kriens stellte immer noch eine besondere Vogtei im Amt Rothenburg dar. Lediglich für die Dauer des Friedens waren sie entfremdet. Luzern sah sich damals - d. h. zunächst in der Zeit des doch kurzfristigen Siebenjährigen Friedens - nicht in der Lage, sich über diesen Tatbestand hinwegzusetzen. Die Beibehaltung der ursprünglichen administrativen Trennung dürfte Luzern gerade bei Hochdorf und Root als zweckdienlich erschienen sein, um bei Rückgabeverhandlungen, mit deren Möglichkeit j a gerechnet werden mußte, über jedes Recht einzeln verhandeln zu können. Darauf weist auch der Umstand hin, daß in den Luzerner Verhandlungspunkten zum Zwanzigjährigen Frieden diese Orte jeweils getrennt in einem besonderen Paragraphen behandelt wurden und - im Unterschied etwa zur Verhandlungsposition bezüglich des Entlebuchs - besonders intransigent formuliert waren. So blieb es auch für Luzern zunächst bei einem de jure richenseeischen, nun eine eigene luzernische Vogtei bildenden Hochdorf, beim de jure meienbergischen, nun ebenfalls einen eigenen luzernischen Verwaltungskreis bildenden Root. Welche weiteren Gründe dazu geführt haben, daß diese Vogtei mit der ebenfalls gesondert gehaltenen Vogtei Kriens in den Händen eines Amtsträgers vereint wurde, entzieht sich unseren Kenntnissen und dürfte wohl am ehesten mit der geringen Größe dieser «minderen Vogteien», wie sie später hießen, zusammenhängen. Luzern behielt also die verschiedenen Rechte, die es im Kriege an sich gerissen hatte, in der Form bei, wie sie ihm zugekommen waren, ohne sich um eine weitere administrative Umgruppierung zu bemühen. Erst während des Zwanzigjährigen Friedens hat Luzern im Anschluß an die in diesem Friedensvertrag für Rothenburg gefundene Lösung einer pfandweisen Abtretung der Hoheitsrechte durch die österreichische Herrschaft auch die Lage im Seetal konsolidieren können. In die vereinbarte Pfandsumme Rothenburgs bezog es nachträglich auch jene der Dörfer Hochdorf und Urswil mit ein. Mit dieser rechtlichen Grundlage war die Voraussetzung zur administrati- 216 217 ven Umgestaltung gegeben: Die Vogtei Hochdorf wurde schrittweise in die Vogtei Rothenburg überführt. Seit 1400 wird sie vom Rothenburger Vogt in Personalunion verwaltet2". 1406 löste sie sich auch institutionell in der Vogtei Rothenburg auf, der Vogt trug fortan den Doppeltitel «vogt ze Rotenburg und ze Hochdorf»260. 141 6 wurde die Tatsache, daß die von Hochdorf keinen Futterhaber geben, im Vogthaberrodel von Rothenburg vermerkt261. Daß es sich nurmehr um eine Vogtei handelte wird spätestens 1418 klar ersichtlich. Bei der Feststellung der Vogtbesoldung wurden damals für jede Vogtei 10 Pfund eingesetzt. Wo es sich um bloße Kumulierung der Vogteien in einer Hand handelte, summierten sich diese 10 Pfund entsprechend der Anzahl Vogteien. Der Vogt von Ruswil, Entlebuch und Willisau erhielt so 30 Pfund. Für den Vogt von Rothenburg und Hochdorf wurden aber nur 10 Pfund eingesetzt. Die Vogtei «ze Rotenburg und ze Hochdorf» galt also nurmehr als eine Vogtei262. Für Root und Kriens erfolgte eine zweckmäßigere Umteilung erst sehr viel später, bezeichnenderweise erst, nachdem der dannzumal Fünfzigjährige Friede, der den Zwanzigjährigen ersetzt hatte, durch den Aargauer Feldzug von 1415 und dessen Begleitumstände gegenstandslos geworden war. Mit dem damals erfolgten endgültigen Ausscheiden Österreichs hatte Luzern nun freie Verfügungsgewalt über die ehemals österreichischen Rechte. Die Neuordnung erfolgte 1421: Die Vogtei Root wurde der Vogtei Habsburg beigegeben, die nach dem Kauf durch die Stadt erstmals 1406 unter dem Titel «vogt ze Meggen und ze Büche-nas» erscheint und von 1407 an als Vogtei «ze Habsburg» regelmäßig aufgeführt wird263. Daß Root nicht der seit 141 5264 angeführten Vogtei Meienberg-Villmergen-Richensee zugeteilt wurde zeigt, daß sich Luzern in keiner Weise mehr veranlaßt sah, die alten Strukturen noch zu berücksichtigen. Im Gegenteil: Die neuerworbenen Ämter wurden ja gerade von den Miteidgenossen angefochten. Der gesicherte Besitz Roots sollte daher nicht durch eine Wiederherstellung der ursprünglichen Bezüge beeinträchtig werden. Die Vogtei Kriens wurde nun, 1421, endgültig mit der Vogtei Horw zusammengelegt, nachdem Horw schon 1397 einmal im Verband von Kriens und Root aufgeführt und seit 1415 als eigene Vogtei erschienen war265. Die früheste Entwicklung der Verwaltungsorganisation auf der Landschaft zeigt also, daß Luzern erst in der Zeit des Siebenjährigen Friedens an die Einrichtung eigener Vogteien herangetreten ist. Nur in Rothenburg haben wir sehr früh einen möglichen Vogt erscheinen sehen, was aber mit der hier durch Johann von Lütishofen gegebenen personellen Voraussetzung zusammenhängen dürfte. Entscheidender ist die Erkenntnis, daß die frühe Vogteiorganisa-tion, wie sie uns seit 1392 entgegentritt, über weite Teile einen ausgesprochen provisorischen Charakter hatte, dies im Hinblick auf die anstehenden Frie- densverhandlungen. Erst als die befristete Situation überwunden wurde, sei es zunächst durch Pfandlösung oder dann später durch das endgültige Ausscheiden Österreichs 1415, ging Luzern an die definitive Organisation der Land-vogteien. 4. Erste Abklärungen der Rechtsverhältnisse auf dem Land Zur gleichen Zeit, wie die Vogteiorganisation ins Licht der Quellen tritt, läßt sich auch feststellen, daß sich der Luzerner Rat fallweise darum bemüht hat, über die Verhältnisse auf dem Land Klarheit zu gewinnen. Das zeigen die Kundschaften, die er in jenen Jahren einzog. 1392 wurden so die rechtlichen Verhältnisse des Hofes Huwil eruiert266. Verschiedene Zeugen bekannten, daß er «gen Rotenburg» gehöre und Steuern, Vogthühner und Futterhaber nach Rothenburg liefere. In der gleichen Kundschaft wurden die Twinggrenzen des Hofes Ludiswil im Seetal im einzelnen festgehalten. Durch eine andere Kundschaftsaufnahme versuchte sich Luzern im Jahre 1393 über die Steuerverhältnisse im Rus wileramt ins Bild zu setzen. Dabei ging es den Ruswiler Zeugen vor allem darum, die Diskrepanz zwischen dem geltenden Steuermaximalansatz von 150 Pfund und der Steuer von 60 Pfund, die sie tatsächlich zu leisten bereit waren, zu erklären267. Im selben Jahr wird auch in Hochdorf, wo Luzern daran war, eine Vogtei einzurichten, eine Kundschaft über die Verhältnisse im «ampt ze Hochdorf» aufgenommen, bei der sich vor allem herausstellte, daß die Hochdorfer bisher »kein gesaste stüre» zu geben hatten268. Schließlich hat sich der Luzerner Rat 1393 auch über die Leistungen, die er im Amte Rothenburg einfordern konnte, orientiert. Hier brauchte er keine Kundschaft. Der Rat konnte sich auf das Urbar von Rothenburg abstützen: «was die von Rotenburg tun sullend, das stat geschoben im Urbarbüch von Rotenburg»269. Um welches «Urbarbüch» es sich hier handelt, ob ein Auszug aus dem Habsburger Urbar vorgelegen habe, läßt sich nicht mehr sagen. Die Quelle selbst ist verloren, und die erste entsprechende Rechtsaufzeichnung Luzerns, die wir besitzen, das Rothenburger Einkünfteverzeichnis von 1416, unterscheidet sich so sehr vom Habsburger Urbar, daß nicht anzunehmen ist, dieses habe in irgendeiner Form als Vorlage gedient270. Alle diese Bemühungen weisen darauf hin, daß Luzern sich nun im Siebenjährigen Frieden mit den Verhältnissen auf dem Land vertraut zu machen begann. Wieweit es aus eigener Initiative aktiv wurde, wieweit es durch Streitfälle, gerade etwa solche, welche den Siebenjährigen Frieden betrafen, wie 1392 die Pfänder Ulrich Rusts und Peter von Luternaus im Entlebuch271, zur genaueren Orientierung veranlaßt wurde, ist nicht festzustellen. Um eine systematische 218 219 Aktion zur Aufnahme der Rechte, in deren Besitz man gekommen war, handelt es sich jedenfalls nicht. Die Kundschaften wären hiefür zu vereinzelt und zu punktuell. Mit einem Quellenverlust ist dieser Tatbestand nicht zu erklären, denn die Kundschaften sind offensichtlich jeweils in das - uns erhaltene - Ratsbuch eingetragen worden. Dieses Vorgehen zeigt immerhin, daß den Kundschaften eine gewisse längerfristige Funktion zugemessen wurde. Eine aus der Erkenntnis der verwaltungstechnischen Notwendigkeit erfolgte systematische Bestandesaufnahme der Rechte durch Kundschaften und durch Sammlung der Rechtstitel hat es hingegen nicht gegeben272. 5. Ein bedächtiger Pragmatismus Überschauen wir die frühesten Aktivitäten Luzerns in der ihm 1386 zugefallenen Landschaft, so stellen wir folgendes fest: In der Zeit der Waffenstillstände hat Luzern nichts unternommen, das über die im Sommer 1386 eingetretene Situation hinausgeführt hätte. Die Perspektive war bei den jeweils einjährigen Verträgen zu kurz, um irgendwelche längerfristigen Ziele ins Auge zu fassen. Im Vordergrund standen die Bemühungen um Handel und Wandel, wie vor dem Krieg273. Die Friedens- und Rechtswahrung wurde von der Stadt aus wahrgenommen. Ansonsten blieb die Situation völlig offen; das durch das Ausscheiden der österreichischen Herrschaftsvertreter geschaffene Vakuum wurde nicht ausgefüllt274. Mit dem Abschluß des Siebenjährigen Friedens von 1389 änderte sich die Perspektive: Nun erst begann sich Luzern auf der Landschaft einzurichten. Die 1389 angelegte und bis 1392 eingezogene außerordentliche Steuer umreißt jenes Gebiet, in welchem sich damals Luzern bereits als Herrschaft durchsetzte und die Bewohner als zu Hilfe verpflichtete Untertanen belangen konnte. Eine andere Bedeutung kam dem zweiten Unternehmen zur systematischen Erfassung der Landbevölkerung, dem Einzug des Bürgerguldens von 1392/93, zu. Hier ging es darum, das Ausburgerwesen, soweit es die Friedensbestimmungen zuließen, voll auszuwerten. Suchte man einerseits durch Einzug des noch ausstehenden Guldens die finanzielle Seite des Ausburgerinstituts endgültig zu regeln, so bedeutete diese Maßnahme, die ja einem rechtlichen Abschluß der Aufnahme ins Burgerrecht gleichkam, mitten im Siebenjährigen Frieden durchgeführt, zugleich auch eine Bestandesaufnahme, wo auf dem Lande noch mit Unterstützung gerechnet werden konnte. Der Aktionsrahmen dieses Unternehmens war durch die im Krisenjahr 1386 weitausufernde Ausburgerbewegung vorgegeben und reichte offensichtlich weit über das 1392 noch unter luzernischem Einfluß stehende Gebiet hinaus. Gerade diese Bestandesaufnahme wird Luzern dazu geführt haben, die extensive 220 ř Ausburgerpraxis aufzugeben und sich auf jenes Gebiet zu beschränken, wo es «• infolge der 1386 eingetretenen Situation über die österreichischen Hoheitsrechte verfügte. Grössere Beachtung kommt der erst zu Beginn der neunziger Jahre einsetzenden administrativen Organisation durch die Einrichtung von Vogteien zu. Hier sind zwei Feststellungen von Bedeutung: Zunächst beschränkt sich das städtische Vogteisystem mit den Vogteien Rothenburg, Rus-wil, Kriens und Root auf jenes Gebiet, in welchem die Stadt tatsächlich Steuern erheben konnte275. Dabei fügen sich diese neuen Vogteien in die bereits von Luzerner Bürgern besessenen Vogteien Malters, Littau und Habsburg ein. Diese Vogteien sind also in die von der Stadt aufgebauten Verwaltungsorganisation miteinkalkuliert worden. Nichts zeigt dies deutlicher als die Steueranlage von 1389, die auch in diesen Vogteien alle Landleute ohne Unterschied einbezieht, sie also ebenfalls als städtische Untertanen ansprechen kann. In dem durch die Steuern und die Vogteiorganisation erfaßten Raum ist es zu einem geschlossenen Bereich unter mittelbarem oder unmittelbarem Einfluß Luzerns gekommen, in dem nun die Stadt ihre Herrschaft zu intensivieren begann und für den Luzern bei den Friedensverhandlungen forderte, daß niemand mehr hineinreden solle. Zweitens ist darauf hinzuweisen, daß dieser Bereich noch nicht als endgültig gesichert angesehen wurde. Absehbar war die Zukunft nur auf die Dauer der geltenden Frieden. Das läßt sich deutlich aus dem provisorischen Charakter der Vogteistruktur ablesen. Es sind die Erfahrungen dieser im Laufe des Siebenjährigen Friedens eingeleiteten Verwaltungsaktivitäten gewesen, Erfahrungen der Möglichkeiten aber auch der Grenzen der Einflußnahme, die Luzern zu einer Konzeption seiner Herrschaft führte, die innerhalb eines relativ beschränkten Raumes einer territorialstaatlichen Auffassung sehr nahe kam276. Denn die Forderung nach Ausschließlichkeit der luzernischen Herrschaft gegenüber Österreich erfaßte im Grunde nur Teile des Seetales, das Reußtal von Root aufwärts und die Region diesseits von Rothenburg. Die gleiche Absicht, jeden österreichischen Einfluß im Vorgelände der Stadt zu unterbinden, hat Luzern auch dazu geführt, auf den Kompromiß einer Pfandlösung Rothenburgs vom bisherigen Inhaber Henman von Grünenberg einzutreten und anschließend auch Hochdorf zu Pfand zu nehmen, während ihm eine ähnliche Lösung für Wolhusen und Entle-buch zunächst verwehrt blieb. Die weiten Perspektiven, die sich in der Ausburgerbewegung 1386 eröffnet hatten und den städtischen Rat weit in den österreichischen Aargau hinwirken ließen, waren im Augenblick, wo man sich um eine längerfristige konkrete Verwaltung zu bemühen begann, der Realität gewichen. Schon in den Verhandlungspunkten zum Zwanzigjährigen Frieden wurde die Entscheidung über das 221 Michelsamt offengelassen und Willisau überhaupt nicht mehr erwähnt. Insgesamt erscheint das Vorgehen Luzern in diesen Jahren bis zum Abschluß des Zwanzigjährigen Friedens eher als vorsichtig, eher auf die durch die - nicht geplanten - sich überstürzenden Ereignisse des Jahres 1386 eingetretene Situation reagierend, als zielbewußt eine beabsichtigte Entwicklung vorantreibend. Nach dem Schicksals jähr 1386 ist Luzern sehr bedächtig und pragmatisch in die Funktion einer Landesherrin hineingewachsen, nichts übereilend, aber das einmal Erreichte entschieden behauptend. III. Luzerns Verhältnis zum Land, Sempach 1386 und der Zwanzigjährige Frieden von 1394 Am Ende des ersten Teils haben wir im Rahmen der Gesamtwürdigung versucht, abschließend den Stellenwert der Schlacht bei Sempach für die Entwicklung der österreichischen Herrschaft festzuhalten. Das Resultat fiel nicht so eindeutig aus, wie man anzunehmen versucht ist, und es zeigte sich, daß Österreichs Stellung auch nach Sempach noch beachtlich war, daß der Auflösungsprozeß langwierig und mehrstufig war: von Sempach über die Eroberung des Aargaus 1415 bis zur endgültigen Aufgabe der Rekuperationspolitik in der Ewigen Richtung von 1474. Ganz anders war die Bedeutung des Schlachtausgangs für Luzern. Dieser und vor allem die durch ihn nötig und möglich gewordene Neugestaltung der Verhältnisse im hart ausgehandelten Zwanzigjährigen Frieden wurden für die Zukunft des Luzerner Gemeinwesens bestimmend. Luzerns Verhältnis zum Umland war während des ganzen 14. Jahrhunderts dadurch geprägt, daß Landleute in den städtischen Rechtskreis miteinbe-schlossen wurden. Das geschah grundsätzlich durch die sehr weite Auffassung des Burgrechtsbegriffes im luzernischen Rechtsverständnis, die auch auf dem Lande sitzende Bürger, sofern sie den bürgerlichen Verpflichtungen nachkamen, als «ingesessen burger» betrachtete. Das geschah in Krisenzeiten vorübergehend auch durch die vermehrte Aufnahme von Landleuten zu Bürgern, die nun nicht Bürger minderen Rechts waren. Aus diesem altgewohnten weiten Rechtsverständnis ist es auch herzuleiten, daß die Aufnahme von ganzen Gruppen von Landleuten unter Vorbehalt der bestehenden Vogteirechte geschehen konnte, Luzern blieb bis in die achtziger Jahre eine österreichische Landstadt, die im österreichischen Umland seit 1361 auch mit ausdrücklicher Bewilligung des österreichischen Herzogs ihr Recht wahrnahm. Die bestehenden lehens-und pfandrechtlichen Strukturen der österreichischen Herrschaft wurden nicht in Frage gestellt. Gerade dieser Umstand läßt es angeraten erscheinen, die 222 Tatsache, daß gewisse Lehen und Pfänder im Besitz einzelner Bürger von Luzern waren, nicht politisch überzubewerten. Unter dem Zeichen dieses altgewohnten Rechts bewegte sich Luzerns Beziehung zur Landschaft - wenn wir von der Erwerbung von Weggis, dessen Leute aber auch Ausburger wurden, absehen - lediglich im Rahmen des Bürgerrechts. Nach den sich überstürzenden Ereignissen der Jahre 1385/86, bei denen die österreichischen Pfandherrschaften im Luzerner Vorfeld eliminiert worden waren, und nach dem für Luzern glücklichen Ausgang des Waffengangs bei Sempach änderte sich die Situation grundsätzlich. Die negativen Erfahrungen mit den Pfandherren bewegten Luzern dazu, unter allen Umständen klare Verhältnisse zu schaffen. Die Tendenz zur Territorialisierung, zur Ausschaltung österreichischer Herrschaftspräsenz im eigenen Vorraum, tritt besonders deutlich in den Verhandlungen zum Zwanzigjährigen Frieden hervor und hat ihren Niederschlag in diesem Friedensvertrag gefunden. Das entscheidend Neue war dabei, daß die Stadt in Herrschaft über Land eintrat. Diese neue Stufe der Beziehung zwischen Stadt und Land prägte nun auch die Verhältnisse im ganzen Einflußbereich Luzerns: Die Stadt konzipierte nun ihre Beziehung zum Umland herrschaftlich. Landleute wurden - von gewissen krisenbedingten Ausnahmen abgesehen - nicht mehr ins Burgrecht aufgenommen, sie waren nun Untertanen. Ansätze zu dieser Entwicklung lassen sich schon während des Siebenjährigen Friedens erkennen, in der Landsteuer von 1389 und in der Einrichtung von Vogteien. Im Frieden von 1394 und in den anschließenden Pfandgeschäften erreichte Luzern die rechtsförmliche Überlassung von Herrschaft sowohl in Rothenburg und Hochdorf-Urswil, wie schließlich 1405 auch im Entle-buch. Damit sind im mühsam errungenen Zwanzigjährigen Frieden die Grundlagen für den Territorialstaat Luzern geschaffen worden. Neben dieser strukturellen Änderung im Stadt-Land-Verhältnis Luzerns läßt sich auch eine geographische Umorientierung erkennen. Die sozial- und wirtschaftsräumliche Verflechtung der Stadt war ursprünglich nach Nordosten, ins Reuß- und Seetal, ausgerichtet. Dort lag zur Hauptsache der Einzugsbereich der Stadt, dort befand sich auch der ältere Besitz des städtischen Spitals. Die Herrschaftsintensivierung der Pfandherren, die sich im Fall Rothenburgs gerade auch in diesem Raum auswirkte und im Fall Wolhusens die eben auch bestehenden Beziehungen Luzerns im Westen beeinträchtigte, lenkte die Aufmerksamkeit der Stadt zusehends vermehrt nach Norden und Westen, wie es in den Massenbürgeraufnahmen von 1385/86 und in der Burgrechtsverleihung ans Entlebuch und an Sempach zum Ausdruck kommt. Mit dem im Zwanzigjährigen Frieden ausgehandelten Resultat - auch wenn es nicht den Maximalforderungen der Luzerner entsprach - eröffnete sich für die Stadt die zukunftswei- 223 sende Möglichkeit, sich in diesem Gebiet, auf der Schwellenregion, am Sempa-chersee und im Entlebuch, zu etablieren. Und in diese Richtung, die zunächst gar nicht so sehr im Blickfeld Luzerns gelegen hatte, sollte im 15. Jahrhundert der großräumige territoriale Ausgriff erfolgen. Dabei ist der noch durchaus vorläufige Charakter, der den ersten Schritten zum Aufbau eines Territoriums anhaftet, nicht zu verkennen. Die Zukunft war damals nur auf sieben, dann auf zwanzig Jahre, auf die Geltungsdauer der vereinbarten Frieden also, abzusehen. Bei der noch immer starken und intensivierbaren Präsenz österreichischer Herrschaft muß die langfristige Entwicklung noch kaum als endgültig entschieden erschienen sein. Die umständliche Organisation der Verwaltung auf dem Land, wie sie in der frühen Ausgestaltung der Vogteien zum Ausdruck kommt, läßt sich jedenfalls am ehesten als Provisoriumslösung erklären und die Tatsache, daß sie, sobald 1415 Österreich de facto eliminiert und der Friedenszustand überholt war, in eine geographisch sinnvollere definitive Gliederung übergeführt worden ist, weist in dieselbe Richtung. Es ist nicht unwichtig, sich dieses Tatbestandes bewußt zu bleiben. In der Rückschau erscheint die Entwicklung leicht als das Resultat einer durch einen «expansiven» oder «aggressiven» Willen diktierten Politik: Von den frühen Ausburgeraufnahmen über die Zerstörung der Burgen Rothenburg und Wol-husen, über die siegreich durchfochtene Schlacht bis hin zum Aufbau des Territoriums wäre demnach die ungebrochene Absicht zu erkennen, sich von der österreichischen Herrschaft zu emanzipieren. Für die Zeitgenossen war aber die Lage im Kräftespiel zwischen den Pfandherren und der Landesherrschaft gewiß nicht so überschaubar wie für uns Nachgeborene, und die Entscheide darüber, welche Politik einzuschlagen sei, sicher nicht einfach. Es waren zunächst außerhalb des luzernischenEntscheidungsprozesses durch den strukturellen Wandel der österreichischen Herrschaft bedingte Umstände, welche die Politik der Stadt bestimmen: Die gewaltsame Eruption im Winter 1385/86 erscheint mehr als spontane Reaktion denn als berechnende Aktion. Die Stadt ging dann späterhin überaus pragmatisch vor, bald die Situation so weit wie nur möglich nutzend und ein als notwendig erachtetes Ziel unbeirrt anstrebend wie bei den Verhandlungen zum Zwanzigjährigen Frieden, bald zögernd und bedächtig wie in der Zeit der Waffenstillstände und dann beim ersten Aufbau der Verwaltung. So betrachtet erscheint das Ergebnis des Friedens von 1394 als die große politische Leistung Luzerns. Es stellt sich schließlich die Frage, ob sich für die betroffene Landbevölkerung ebenfalls eine Veränderung eingestellt habe, ob die Ausschaltung der österreichischen Herrschaft einer Befreiung gleich- oder nahegekommen sei. Hier ist es gerade die grundsätzliche Veränderung der Einstellung Luzerns zum Land gewesen, die Luzern die Möglichkeit zur Herrschaft über Land eröffnete, die dazu geführt hat, daß es für die Landbevölkerung lediglich zu einem Herrschaftswechsel gekommen ist. Bezeichnenderweise verloren die Ausburger verhältnisse nun - anders als bei Bern oder Zürich - schlagartig an Interesse für die Stadt: Im Amt Rothenburg sind die offensichtlich vorhandenen Ausburgerverhältnisse bereits 1392 nicht mehr beachtet worden. Wenn es lediglich ein Herrschaftswechsel war, so läßt sich wenigstens fragen, ob dann die Luzerner Herrschaft untertanenfreundlicher war als die österreichische. Auch hier weisen die Quellen darauf hin, daß dies nicht der Fall gewesen ist. In den frühesten Kundschaften sehen wir den Rat sich darum bemühen, im Hinblick auf die eigene Verwaltung die bestehenden Rechte der Herrschaft festzustellen. Wo wir Aufschlüsse über städtische Maßnahmen erhalten, gewinnen wir nicht den Eindruck besonderer Untertanenfreundlichkeit: Wohl wurde zum Beispiel in Malters der Bevölkerung der Loskauf von der Steuer gewährt, aber dieser Loskauf hatte zum gegebenen Maximalansatz der Steuer zu geschehen. Dem mit ihm verburgrechteten Städtchen Sempach ist Luzern durchaus als gestrenge Herrschaft gegenübergetreten, als es diesem strafweise kurzerhand die mitsteuernden Höfe entzog, nicht anders als vordem der von Grünenberg. Im Seetal schließlich ist es durch die Einrichtung einer eigenen Vogtei Hochdorf zu einer eigentlichen Herrschaftsintensivierung gekommen, in einem Bereich, der, wie die Kundschaft von 1393 zeigt, in österreichischer Zeit administrativ nur lose erfaßt war und auch keine gesetzte Steuer zu erbringen hatte. So weist vieles darauf hin, daß sich für die Untertanen wenig änderte. Ja, indem nun die nahe Stadt in die Herrschaft eintrat, ergab sich für sie in der neuen Konstellation vor allem Herrschaftsnähe. Allerdings war die Verwaltung der Landschaft für Luzern eine neue, noch ungewohnte Aufgabe, in die es erst hineinwachsen mußte. Zur fundierteren Beurteilung der Situation sowohl für Luzern wie für die Landbevölkerung ist es daher angebracht zu verfolgen, wie Luzern seine Herrschaft auf dem Land realisierte. 224 225 Teil I 102-105 - Teil II 110-115 Teil II 115-127 297 «O Sempach, wieschantlich sich din trüwe brach...» ed. v. A. Henne, Gotha 1861,121; zur Quellenkritik vgl. Camper, 107 ff. Zum Prozeß der Traditionsbildung vgl. Marchai, Leopold und Winkelried. 298 Schubert, 151-171. 299 vgl. hierzu B. Stettier, Sempacher Brief, 11-18, und künftig in seiner Einleitung zu Aegidius Tschudi Chronicon 6. 300 Wackernagel, Gesch. d. Stadt Basel, II/l, 70f.; Basler Chroniken 2, Leipzig 1880, 79; 3, Leipzig 1887, 575 Beilagen no. 1-5, bes. 2 u. 3; BUB 8, no. 469,472. Vgl. Stein, 91 f., lOOff. 301 Thommen Urkk. II. no. 583: 8310 Gld. 302 FRB 8, no. 452 (6. Dez. 1356). 303 Zu den hier zugrundeliegenden Quellen vgl. oben 1.2. Vgl. unten Teil II, Anm. 200. Teil II Sempach 1386 und der Wandel des Verhältnisses der Stadl zum Umland 1 Gottschald, 48ff. Bach, Deutsche Namenskunde 1/1, Heidelberg, 1952, 256ff., §228, 233,1/2, 74ff., §339,340,348. Derivierte Herkunftsnamen (Luzerner) wurden für die Herkunftsfeststellung nicht berücksichtigt, da nicht eindeutig als Herkunftsnamen zu erkennen («Nünecker», «Seebacher», «Gog-genhuser»). Sie machen auch nur einen verschwindend kleinen Anteil des Namenbestandes aus. Ihr Ausscheiden verfälscht damit das Bild nicht. X. Baumeister, Namengebung im mittelalterlichen Zürich. Die alt- und mittelhochdeutschen Personennamen der Zürcher Überlieferung vom Jahre 1000 bis zum Jahr 1254 (Studia Onomasrica Helvetica 1), Arbon 1983, Herkunftsbezeichnungen 208 ff. 2 StALu cod. 3655. Beschreibung: Gössi, 188f. P. X. Weber, Das älteste Luzerner Bürgerbuch (1357-1479), in Gfr. 74, 1919,179-256; 75,1920,17-154; 76, 1921, 219-292. Hier wird die Edition ausschließlich nach dem Sonderabdruck zitiert. 3 StALu cod. 3655, f. 26v (1389ff.). 4 ZudenKarten: einfache Herkunftsnamen = Ring, komplexe Herkunftsnamen = schwarz. Wo einfacher wie komplexer Namenstyp belegt = schwarz. Nicht identifizierbare und synonyme Orte («Rüti», «Hasli», «Bürglen» usw.) sind nicht berücksichtigt. Mit einzelnen Fehlzuweisungen ist zu rechnen, sie dürften das Bild aber kaum wesentlich ändern. Die Karte ist provisorisch. Erst die editorische Neubearbeitung des Bürgerbuches wird sichere Grundlagen bieten. 5 Bürgerbuch, 33 (p. Joh. 1373); 50f. (1377), 54, 63. 6 Glauser, Luzern, Karte 3 und S. 63. 7 vgl. dazu Reicke; Handbuch der Kirchengeschichte III/2, 1968, 230ff.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 417 ff.; Sydow, 175-196, bes. 191 ff. 8 Brülisauer, 151-170. 9 QW 1/2, no. 814 (um 1315), no. 993 (3. Aug. 1319), Gfr. 7, 1851, 78 Nr. 23 (1. Aug. 1363). 10 QW 1/2, no. 1248 (1324, unter Tannenfels); no. 1375 (1327, Rattertschwil). 11 QW II/3, 108, 199. 12 StALu cod. 3030 (Jahre 1421 und 1431); cod. 2555 (Jahr 1461). 13 Wiliisau 1417, Gfr. 7, 1851,89 no. 56; Ruswil 1404, ebda., 84 no. 42, und v.a. 1419, ebda. 91 no. 60-64. 14 Zur wirtschaftlichen Entwicklung im 15. Jahrhundert siehe Brülisauer. Die wirtschaftliche Gewichtung erfolgte aufgrund einer Umrechnung der verschiedenen Geld- und Materialieneinkünfte in Stuck. Zu «Stuck» siehe Siegrist, Beiträge 517; Bickel, Willisau, 567; QSG15/2,306. An dieser Stelle sei Herrn Dr. J. Brülisauer für die zur Verfügungstellung seines Materials, das die Grundlage für die Kartierung bildete, herzlich gedankt. Dort, wo die Urbarien unterschiedliche Werte geben, wurde für die Kartierung ein Mittelwert gewählt. Bei der wirtschaftlichen Gewichtung zeigt sich demnach ein chronologisch nicht mehr weiter differenziertes Bild der Lage im 15. Jahrhundert. Hieraus läßt sich aber wenigstens tendenziell das Interesse ablesen, das einem Güterkomplex um 1400 zugekommen sein dürfte. 15 Propsteigut: QW 1/2, no. 993 (1319); QW II/3, 199, (um 1320, 1330) Propsteirodel; Kammeramf QW II/3,108 (1314), 203 (1394), 209 (1395-98), 210 (1396-1400), 213 (1408), 234 (1404). Nachträge zum älteren Kammeramtsrodel, Urkunden-Regesten des Bürgerspitals zum heiligen Geist in Luzern (1245-1520), Gfr. 7, 1851, 68-118. Hier betr. Willisau no. 31 (1384), no. 56 (1417), betr Ruswil no 42 (1404), no. 60-64 (1419). 16 Gfr. 7, 1851, 81 no. 31. Die Wiggermatt, um die es hier ging, erscheint in den späteren Urbarien nicht mehr oder zumindest nicht mehr gesondert vom übrigen Willisauer Besitz, StALu cod. 3030, cod. 2555. 17 In dieselbe Richtung weist auch eine frühe Pfandschaft Luzerns in Lunkhofen, wie sie im österreichischen Pfandrodel von 1290 vermerkt ist «curiam in Lunghuft tenent cives Iucernenses nomine pignoris (QSG 15/1,172); vgl, auch Glauser, Luzern, wie Anm. 6. 18 HRG3, Sp. 1652ff., MGH Const. II. no. 171 § 10(1231), no. 196(1235). 19 Hergemoller, Fürsten, Herren und Städte, bes. 130-135. Es handelt sich um cap. 15 und 16. 20 Hergemöller, Nürnberger Reichstag, 310ff. 21 Zum Folgenden: Schmidt (grundlegend, hieraus auch die Quellenzitate ohne nahern Beleg), E. Molitor, Zur Entwicklung der Munt, in ZRG Germ. Abt. 64,1944, bes. 165-172; Bruwier; Dubled; Ch. Wittmer, Lelivre de Bourgeoisie de laville de Strassbaurg, t. 3, 1961, XI-XLIII; Dilcher, bes. 96-105' Domsta 22 ASG 17,163 no. 66 (StALu Urk. 227/3177a). 23 StALu cod. 1055, f.2r; Segesserl, 180; P. X. Weber, Luzerns ältestes Ratsbüchlein, in Gfr. 65,1910, Nr. 51, zur Handschriften-Identifizierung und Datierung: Glauser in Beilageblatt cod. 1055. 24 Ratsbüchlein, no. 152. 25 Ratsbuchlein.no. 194,1321-43, Hd. mag. Diethelms. Der Begriff «usburger» wird ausser hiemurnoch in StALu cod. 3660, f. 59, verwendet «als die usburger burger worden», womit aber im Textzusammen-hang keine rechtliche Änderung gemeint ist. 26 Segesser 1,179, nimmt eine mindere Stellung der Ausburger an. Die Ratsbeschlüsse gibt er wieder, ohne sie zu interpretieren. 27 Segesser \, 178f. 28 Bürgerbuch, 39, 69. 29 ebda., 53, Joh. Wilberg (1379); 54, Konrad Gockenhausen (1379), Jecklin Bünting (1380) 30 ebda., 45. 31 ebda., 50. 32 ebda., 33, 48. 33 ebda., 48,49 (1375), 51 (1377), jeweilen Einzelaufnahmen. 34 ebda., 36,43 f, 51: Bürgi Müller von Weggis, Heini im Winkel von Gerlingen, Ruedi Greter von Muri legen Udel auf ihr Haus in Luzern. 35 Segesser 1,179; Frey, 98, aufgrund mißverstandener Anm. 5 bei Segesser I, 270. 36 BUrgerbuch, 52 (1378). 37 ebda., 35 (1357); Ratsbüchlein, no. 251 (1360-78, Hd. Joh. Fricker). 38 Bürgerbuch, 54. 39 ebda., 57-59. 40 Udel bei Adligen: 1385, Heinrich von Lichtenberg 100 Mk., ebda., 69; 1389, Joh. v. Lütishofen lOOMk., p. 92; 1394, Hartmannv. Hünenberg30Mk., p. 99; 1401, Walterv. Hunwi) 20Mk., p. 102; 1412, Hansv. Iberg u. Sohne 100 Gld., p. III; bei Händlern und Wechslern: 1380, Albertus de Vidano v. Mailand 100 Gld., p. 56; 1389, Isuart von Asti 40 Mk., p. 92; 1389, Conrad Isuard 40 Mk., p. 92; 1401, Andres von Ca-pris aus Mailand 500 Gld., p. 101 usw. 41 Segesser I, 270 Anm. 5, 478, vgl. Anm. 35. 42 Bürgerbuch, 51, 56 et passim. 43 ebda., 38 ff., 42 ff. et passim. 44 ebda., 61, 64, 100. 45 ebda., 46 mit Verweis auf Ratsbüchlein,46f., no. 256. 46 QW 1/3, p. 640 § 13 und 14. 47 Segesser I, 255 Anm. 3. 48 QW 1/3, 91 no. 128 § 3. 330 331 Teil II 127-134 Teil II 137-147 49 Weber, Ammann, 5; Bürgerbuch, 22; QW1/3, no. N 39; QW1/2, no. 933; 1312, ebda. no. 622 bereits völlig im Luzerner Kreis, aber nicht explizit als Bürger bezeichnet; QW 1/3 no. 785. 50 M. Schnellmann, Die Familie von Moos von Uri und Luzern, Luzern 1955, 83 (Jost = Stammvater des Luzerner Zweiges seit ca. 1330 B. v. Luzern). 51 Weber, Ammann, 10; Bürgerbuch, 33,46 und Ratsbüchlein, no. 256; Th. v. Liebenau, Schultheissen, 82. 52 Th. v. Liebenau, Schultheissen, 83; Bürgerbuch, 51. 53 Th. v. Liebenau, Schultheissen, 84; Bürgerbuch, 45. 54 Th. v. Liebenau, Schultheissen, 85; Bürgerbuch, 96; Boesch, Schultheiß Ulrich Walker, 36. 55 QW 1/3, no. 128 § 3 und 8. 56 ebda., no. 966 § 12f. 57 Urk. 200/2918; Boesch, Sempach im Mittelalter, 269. 58 Bürgerbuch, 125 f. 59 QW 1/3, no. 997: österreichische Klagen, Zürich und Luzern hatten die «uzburger» nicht entlassen, «der die von Lutzern sunder lieh sider der richtung vil mere hinzu genommen hant». 60 ebda., no. 1009, und Regensburger Friede EA I, 201 ff., no. 27. 61 StALu Urk. 493/8776b (Urk. mit hervorragend erhaltenem Herzogsiegel, erst 1962 aus Privatbesitz ins StA zurückgelangt). Segesser 1,263, nahm an, der Herzog habe die Amtleute angewiesen, «die Stadt in der Aufnahme von (eingesessenen) Bürgern, welche nicht österreichische Eigenleute seien, nicht ferner zu hindern». Die Fehlinterpretation beruht wohl auf der Formulierung «usser unserem lande», der jedoch nur die Bedeutung «aus unserem Land» zukommen kann, wie sich aus dem im Text wiedergegebenen Wortlaut ergibt. 62 EAI,329no.42, bes. 331. 63 Segesser 1,478. 64 Segesserl, 771 Anm. 1. 65 Segesserl, not. 66 Segesser II, 159, 187. 67 vgl. hiezu Segesser I, 1-99; Siegrist, Zur Entstehung und frühen Entwicklung, 115-130; Glauser, Luzern, 13-41. 68 Glauser, Luzern, 34ff. 69 QW 1/3, no. 128 § 8. 70 QW 1/3, no. 983, 986, 987. 71 ebda., no. 997. 72 QW II/3, 290ff. 73 Bürgerbuch, 12. Diese Annahme stimmt schon codicologisch nicht, da der inhaltliche Unterbruch nicht mit einem Lagenende übereinstimmt. In cod. 3655, f. 27 schließen zudem Einträge für das Jahr 1392 unmittelbar an Einträge von 1385/86 an. 74 Gössi, 191. 75 ebda. 76 cod. 3660, p. 27 (Bürgerbuch, 82): Explicit registrum hoc sub littera A intitulatum et de verbo ad verbum exceptis Ulis de Munster civibus traditum pro florenis petendis et recolligendis ad hoc deputatis a consi-lio, vigilia Andree anno 1389. 77 Bürgerbuch, 82, 83, 84. 78 ebda., 85. 79 ebda., 86. 80 cod. 3660, p. 54 f.: 1392 p. Nat. (Natalstil = anfangs 1392, entspricht cod. 3655, f. 27: 1392secundap. Epiphaniam). 81 cod. 3660, p. 49, Root = cod. 3655 f. 160; cod. 3660 p. 50, Oreppen = cod. 3655, f. 25. 82 In cod. 3660, p. 50f., fehlt Emmen, Lucerner Mos aus cod. 3655, f. 25. 83 vgl. unten die geographische Zuordnung der Register. 84 Bsp. in Ruswil Bürgi Kese, cod. 3655 f. 26: s. f. (solvit florenum); cod. 3660, p. 52, Kese fehlt, während die übrigen Ruswiler, in cod. 3655 ohne Zahlungsvermerk, aufgeführt werden. Es gibt auch viele Doppelaufführungen in cod. 3655 und 3660 mit hier und dort Zahlungsvermerken, das dürfte am ehe- 332 sten so zu erklären sein, daß nachträglich der Zahlungsvermerk in cod. 3655 übertragen worden ist, w unten Anm. 90 das Bsp. von 1393 zeigt. 85 BHStA München, Auswärtige Staaten, Vorderösterreich und Burgau Lit. 1, f. 56 «und wassiusburgei hant so in disen nachgeschribnen kreissen begriffen sint, nämlich von Rot die Rüse uf untz an das vai ze Eschibach, von dem vare ze Eschibach die richte vor dem walde uf zwischent Urswil und dem wah die richte über gen Sempach, von Sempach die richte über vor dem houbte des sewes dur den wald d richte über untz an das gerichte ze Ruswil», «die süllent bi iren eiden bliben». 86 cod. 3660, p. 54f.: 1392 p. Nat. (Natalstil = anfangs 1392, entspricht cod. 3655, f. 27: 1392 secunda ] Epiphaniam). 87 RPI, f. 38, Recipientes (gestr.: emendas) < pecunias novorum avium ad civitatem promissas > per ai num H. Vogt, Jo. Kundigman et Jekli Menteller et reeipient de censu flor. 12 pro expensis et labore. Di tum crastino Marci evang. 1392. 88 cod. 3660, p.I und p. 54. 89 cod. 3655, f. 27: t. p. q. 1392 secunda post Epiphan. (vgl. Anm 80); cod. 3660 p. 55,1392 post Joh. (2< Juni:) dürfte ein Nachtrag sein. 90 Wir besitzen noch ein weiteres Beispiel, das Anlaß und Funktion solcher Schuldnerregister zeigt in co< 3655 f. 27r/v, bei 1392 secunda post Epiphaniam steht beim letzten Namen: «Subscripti nondum solvi runt florenum et commissum est Lütoldo anno 93 qui habet rodulum usque ad hoc Signum sequensj Bei den einzelnen Namen sind dann die Vermerke eingetragen: «solv. flor. Lütoldo», «solvit Lütold Widmer predicto», «s. fl. Lütoldo», «s. eidem» etc. Auch hier fällt auf, daß nicht alle bezahlt habei Die Zahlungen sind offensichüich vom Rodel ins Bürgerbuch übernommen worden. Diese Einträge wie vieles andere - sind in der Edition von P. X. Weber nicht beachtet. 91 vgl. etwa Bürgerbuch, 69, 84: Weibel; 77: «dem statschriber»; 83: «an das ungelt»; 89: «den burgern) usw. Beispiele von Guldennachlaß 79, 80, 85. 92 cod. 3660, p. 9 Usque huc soluti sunt septem solidi et nota quod subscripti antepunetati siniililer solvi runt 7 solidos. - Zu den 7 sol. s. unten. 93 cod. 3660, p. 59,60; Bürgerbuch, 193 f. no. 64. Die Analyse des Ergänzungsbandes wird hier unter Vo behalt einer detaillierten codicologischen Untersuchung im Rahmen der Rechtsquellenedition geg< ben. In gleicher Weise muß auch das älteste Bürgerbuch untersucht werden, das mit Sicherheit mehrei Schichten aufweist. Die Edition von R X. Webergibt hierüber gar keine Auskunft und ist in der Textbi handlung oft ungenau und vielfach geradezu irreführend, da sie weder die codicologischen noch die pj läographisehen Probleme beachtet und etwa eine Bleistiftergänzung des 19. Jahrhunderts oder eine von R. Cysat angebrachten Titel gleich behandelt, wie Originaleinträge aus dem 14./15. Jahrhunder 94 Bürgerbuch, 56-59, 62. 95 ebda., 64-74. 96 ebda., 67, 71,72, 83f. Zur Pfandherrschaft Peters v. Torberg s. oben Teil I. 97 ebda., 33,48, 51, 90f., zum Burgrecht, vgl. Eickel, Willisau, 442, 445, 452. 98 Bürgerbuch, 85. 99 ebda., 88. 100 Wenn an den entlegensten Orten im südl. Lenzburger Amt und anderswo Angaben über zer Linden, U ner, v. Mos fehlen, so deshalb, weil die Ratsdeputation von 1392 gar nicht mehr dorthin kam. Die Tatij keit der drei Einzüger ist aber nur aus den der Deputation geleisteten Eiden zu erfahrei 101 Werner Urner: Ad Judicium 1392,1394, 1396, (RP I, 68,93 bv, 122 v); ad consules 1395/96 (RP 1,106 114); Streitfälle und Büßungen: 1381 (RP 1,54); 1394, Injurienprozeß (RP I, 91 v); 1396/97 Gerichtlich Verbannungen (RP 1,126v, 135); 1399 dann wieder Bürge bei Bürgeraufnahmen (Bürgerbuch, SA 99 Johannes v. Mos: ad Judicium, 1394-97, 1400-1402, 1405-1406 (RP I, 84v, 93bv, 95v, 122v, 154, 169 180,186v, 205,208); ad consules 1395, 1396 (RP 1,106v, 114); Winküsterp. Joh. 1395 (RP 1,72v); Voj v. Merenschwand 1397, 1399,1400 (RPI, 154,150v, 174v); Vogtv. Rothenburg und Hochdorf 1406 (R I, 208 v). 102 Segesser I, 484f. s. unten S. 159ff. 103 v. Kappel: Ratsbüchlein, no. 256 (1360-1378, Hd. Johann Frickers); senior: 1361, Bürgerbuch, 41. 33 Teil II 147-152 Teil II 152-162 104 Th v. Liebenau, Schultheißen, 82: macht keinen Unterschied; Bürgerblich, 5, trennt sie streng, ohne Begründung. 105 QW II/3, 248, 254, 275. 106 Th. v. Liebenau, Schultheißen; Weber, Ammann, 10. 107 StALuUrk. 385/7093 (18.7.1369), Gfr. 17, 1861, 176; Urk. 495/8807 (4.8.1369), Gfr. 22, 1867, 287; Urk. 96/1503 (22.12.1369), Gfr. 17, 1861, 176. 108 StALu Urk. 226/3148 (1377: Datierung v. R. Cysat). 109 ASG 17, 88 no. 40. Von Weber, Ammann, 10, als derjenige bezeichnet, der die Fehde Luzerns gegen die Herren von Rümlang geführt habe. 110 Bürgerbuch, 97. 111 ebda., 100. 112 ebda., 106f. «cum 7 sol. quoniam eorum patres fuerunt concives». 113 ebda. 98, Ueli Rütimann v. Sempach, Peter Kloter v. Rickenbach: «civilegium cum 7 sol. solutis sub conditione, erfinde sich das er vormals nüt burger ist gesin ze Sempach, so solt es stan an dem rate, wes er geben solle an die stat und ouch zu üdel». Ebda., 109, Gürber: «acceptus est cum 7 sol ex eo quod praeterea etiam erat civis». 114 ebda., 71. 115 ebda., 80. 116 Der Handschriftenbefund bezüglich der Vorpunkte, siehe oben, spricht dem nicht entgegen: Wo die Punkte nicht mehr von Ulrich Wisse stammen, kann es sich um eine nachträgliche Verifizierung durch die Deputation von 1392 handeln. Nur in einem Fall wird notiert, daß diese Deputation auch den Betrag von 7 sol. nachbezogen hat, Bürgerbuch, 84. 117 Eickel, Willisau, 445f., 442f., nimmt Willisauer Ausburger schon im Winter 1386 an. Von diesen Aufnahmen, dieBickelaus den Klageschriften erschließt, findet sich im Bürgerbuch wie im Einzugsregister keine Nachricht. Die Datierung im Einzugsregister «post Johannis (24. Juni)», mit der üblicherweise die Bürgeraufnahmen der zweiten Jahreshälfte datiert wurden, weist auf späteren Zeitpunkt hin. Zu dieser Frage vgl. auch unten S. 209. 118 Punktuelle Hinweise auf eine krisenhafte Entwicklung finden sich für unser Gebiet vor allem im Quellenmaterial von Beromünster (QW II/l). Aufschlußreich ist beispielsweise ein Vergleich der Zehnterträge im Kelleramtsurbar von 1324, im Zehntrodel Hochdorf 1338, im Kelleramtsurbar 1346/47. Besonders im letzteren werden in der zweiten Hälfte des 14. und anfangs des 15. Jahrhunderts in meist undatierten Nachträgen die Abgaben reduziert, z.T. verbunden mit der Verpflichtung, den Hof wieder in Stand zu bringen, oder festgestellt, daß ein Gut nicht mehr bebaut werde, «vacat». (QW 11/1,158, 159, 120,189,201,204,209,211,115,226,110,121,122,203,167,131,122,127,203,199,190ff„ 139, 137,138, 133, 161,135, 162,15, 124, 125, 128, 127). Im Bereich der Grundherrschaft St. Blasien, Meierhof Sempach wird die Kriegszerstörung sichtbar, 1386, 1393, «lit wüst» (QW U/2, 2,20, 29, 24). Auch hier Reduktion (ebda., 28). Dies alles läßt auf Schwierigkeiten der Grundherrschaft wegen Verschlechterung der Ernteerträge und Ausdünnung der Landbevölkerung schließen. Einen Hinweis könnten auch die Mühlenabgänge geben, doch sind diese im 14. und 15. Jahrhundert nicht präzis zu datieren. Vgl. Müh-leninventar bei Dubler, Müller und Mühlen, 164ff. («14. Jahrhundert», «14./15. Jahrhundert»). Zur allgemeinen Entwicklung in dieser Zeit vgl. Rösener, Spätmittelalterliche Grundherrschaft; Derselbe, Zur sozialökonomischen Lage. Siehe auch Graus. An dieser Stelle mußte auf eine weitere Abklärung, die nur im Rahmen einer Wirtschaftsgeschichte der betroffenen Grundherrschaften sinnvoll durchzuführen ist, verzichtet werden. 119 EA 1, no. 42, p. 331. 120 Bürgerbuch, 100, 106 in den Jahren 1399 bis 1406; cod. 3655, f. 31 v, 14 Namen in Buonas, Meierskappel, Waltrat, Lendiswil, Dietisberg, mit einer Klammer zusammengefaßt: «gelte omnes insolidum», 1399 p. Joh.; f. 32v, 7 Namen mit Klammern zusammengefaßt: «dis sint alle von Udligenswil», 1400 p. Nat.; f. 34, 7 Namen desgleichen, «omnes de Udligenswil», 1402 p. Joh.; f. 35, 11 und 6 Namen mit Klammern zusammengefaßt: «omnes de Meggen», 1406 p. Johannes. 121 Wyrsch, 30-34; betr. Steuer 1389 siehe unten S. 202ff. 334 122 Ein Motiv war zweifelsohne das Schutzbedürfnis. Wie die Stadt hier wirksam werden konnte, ist weniger klar. In Friedenszeiten hat wohl der Gerichtsstand Luzern angerufen werden können. In Kriegszeiten hat Luzern als Repressalie auf Leute und Güter der Herrschaft in der Stadt zurückgegriffen und diese beschlagnahmt, wie aus dem Schiedsurteil von 1351 hervorgeht, wo in § 14 diese Praxis Luzerns sich für Leute auf dem Land einzusetzen, verboten wird (QW 1/3, no. 966, § 14 p. 640). Während der Waffenstillstände haben die Landleute bei Verletzungen nach Luzern geklagt, da dieses Vertragspartner war (ASG 17,203 no. 93). 123 Bürgerbuch, 56f. 124 ebda., 71, Malters 1385 (zit. nach cod. 3655 f. 16,2. Kolonne): «et facient dominis suis Petro de Gundol-dingen sculteto, Johanni et Petro de Mose omniaservitia jura et consuetudines hactenus servatas», ähnlich 1385 in Emmen, ebda. 65,1384inRoot, ebda., 62. Littau, ebda., 69: «facient jura dominorum suo-rum ut prius», ähnlich Greppen, 1385, ebda. 64. 125 ebda., 58(1380): «dassifürdishinalsuntzhar denen von Rot süllent gehorsam sin, was si inen tuon sül-lent von guetern». 126 ebda., 58f. (1380): salvis civibus Lucernensibus iuribus suis in advocacia Weggis. 127 Segesser l, 500ff. Die Vogtei über Adligenswil - die nicht zum Amt Habsburg, sondern zum Amt Rothenburg gehörte - lag seit 1362 pfandweise in der Hand eines Luzerner Bürgers, Jakob v. Root (Urk. 133/1947; Segesserl, 514). 128 StALu Urk. 360/6510. 129 Bürgerbuch, 58. 130 Segesser I, 502. Emmen erscheint folgerichtig später als luzernisches Lehen: StALu Urk 360/6513 (1429), 6514(1434). 131 vgl. Anm. 124. Die früheren Mitbesitzer, die von Iberg, werden 1361 letztmals genannt. Segesserl, 484, «vor 1387» sei von Moos im Besitz des Pfandes. Die Pfandübertragung geschah vor 1380, da Heinrich von Moos damals im Besitz der Pfandbriefe war (QSG 15/1, 671). Bereits 1378 wird von Moos als Herr von Malters implizit erwähnt (cod. 3655, f. 52v.), 132 Segesserl, 470-479; Barraud, 45, interpretiert «den von Rot» als «habsburgische Vögte», Die Formulierung «von iren guetern» läßt eher auf eine grundherrschaftliche Kompetenz schließen. 133 Segesserl, 491 ff., StALu Urk. 129/1909,1911,1913. Der Rechtsvorbehalt mag ferner auch für Jakob v. Root, Bürger v. Luzern, der seit 1369 den Zehnt am Herweg als Luzerner Gotteshauslehen innehatte, gegolten haben, StALu Urk. 129/1908. Ob in den Vorbehalt auch dessen Rechte im Eigental einbezogen waren, Urk. 466/8335, (19. Juni 1363; österreichisches Pfand im Besitz derer von Rot, Urk, 466/8339, 11. Jan. 1396), ist nicht zu sagen. 134 Bürgerbuch, 66. 135 ebda., 67. Von der Redaktion des Bürgerbuches her dürfte ersteres eher zutreffen, trotz des unüblichen «primi» statt «ante-, predicti». 136 Segesser I, 554; StALu Urk. 136/1984. Nach Th, v. Liebenau, Sempach, 25, wäre die Belehnung des österreichischen Parteigängers Peters von Gundoldingen mit Ebikon ein österreichischer Gegenzug gegen ein früher geschlossenes Burgrecht der Ebikoner mit Luzern, worauf sich diese des Burgrechts «entzogen» hätten. Davon ist keine Rede. 137 QW II/3,297.1369 kaufte Luzern den Ebikonern Wald ab: Bürgerbuch, 371 (zeitgenössisches Regest). 138 So Th v. Liebenau, Sempach, 25; Schaffer II, 19. Zum Stellenwert des Lehenswesens vgl. oben Teil I. 139 StALu cod. 3655, f. 52v; Bürgerbuch, 189; Segesserl, 485. Zur Bussenhöhe: Nach 1415 sind 50 Pfd. die Busse bei Friedbrüchen (Glauser, Landeshoheit, 18). Hier handelt es sich aber um Silbermark, also rund drei Mal so viel. 140 Gfr. 11,1855,227 no. 6; Segesser I, 485. 141 QSG 14, 205: «hant geben eins jarsby dem meisten 85 Pfd.,by demminsten65Pfd. ... Die ussidelinge, die in denhof ze Malters hörent, hant geben eins jars by dem meisten zu stüre 13 Pfd., by dem minsten 11 Pfd.» Also Maximum 98 Pfd. Die von Moos verzichten auf die ihnen zustehenden 100 Pfd. Steuern gegen eine Ablösungssumme von 1400 Gld. 142 StALu Urk. 139/2034; ASG 17, 79 no. 37. 143 ASG 17, 79ff.no. 38. 335 Teil II 163-174 144 ebda., noch deutlicher formuliert im zweiten Klagerodel, ebda., 85 no. 39. 145 StALu Urk. 139/2031; ASG 17, 55 no. 25. 146 ebda., 81 no.38; 86 no. 39. 147 ebda. no. 26, 27 (= Urk., 139/2032, 2033). 148 Siehe oben S. 96, unten S. 279. 149 Segesser 1, 769, Th. v. Liebenau, Sempach, 380; Boesch, Sempach im Mittelalter, 269. 150 Segesser I, 769; RP I, 90. 151 ASG 17, 98 no. 42 (= Urk. 227/3156). Th. v. Liebenau nimmt Entstehung vor dem Burgrecht mit Lu-zern an, ohne Begründung. 152 ILRA Hs. 1448 no. 1; UB Straßburg 4', 2171T. Nachtrag no. 74.; ILRA Hs. 1448 no. 2,18. Okt. 1314, Bestätigung des Verkaufs durch Hzg. Friedrich. 153 vgl. oben S. 71, unten S. 238. 154 RHIII.no. 173. 155 AMS VI, 144 (Regestensammlung von 1470, Mittig. Dr. M. Alioth). 14. März 1317 verpfändete Hzg. Leopold v. Österreich dem Heinrich von Mülnheim nochmals 61 Mk. Zins um 610 Mk. Auch diese wurden auf die Städte des Aar- und Thurgaus geschlagen, die nun insgesamt 236 Mk. Silber zu entrichten hatten (RH III, no. 578). Vom 19. Mai 1330 datiert ein Schuldbrief Hzg. Ottos für 400 Mk., wobei in Aussicht gestellt wurde, den Betrag ebenfalls auf die Aargauer Städte zu legen (« und sulen wir in dar-umb stoßen an unser stette in Argow», ILRA Hs. 1448 no. 8). Diese zusätzliche Belastung der Städte ist aber offensichtlich nicht in Effekt getreten Die 61 Mk. Zins von 1317 wurden auf die Städte Bremgarten, Brugg und Mellingen (ILRA Hs. 1448 no. 13) und Säckingen (Aargauer Urk. 8,86 no. 240) gelegt. Hierzu s. unten S. 232. 156 Quelle: QSG 14. a) QSG 15/1,1195 no. 14 (1290); b) Nachweislich nur Steueranteil. Mindestens 76 Mk. waren anderwärts verpfändet, RH III no. 248; c) Nachweislich nur Steueranteil. Mindestens 7 Mk. anderwärts verpfändet, 1317, QSG 15/1, 648 Anm. 1, Urkunden d. Stadtarchivs Baden 1, S. 132. 157 QSG 15/1,135. Zum habsburgischen Steueransatz vgl. Partsch, 126-140, hier S. 132 weitere Beispiele. 158 QSG 15/1, 756 no. IL Zur Datierung vgl. P Schweizerin QSG 15/2, 484 f.: 1308, vor 1324. Die Städte scheinen zweimal besteuert worden zu sein. Das zweite Mal wären von Sursee und Sempach zusammen nur mehr 32 Mark aufgebracht worden, was auf eine Erschöpfung dieser Finanzquelle hinweist. 159 Zuerst ASG 17, 99 no. 42 (=StALu Urk. 227/3156). 160 QSG 15/1,195 no. 14. Zur Datierung/; SchweizerinQSO 15/2,454, der den Rodel dem Einkünfteverzeichnis der Konigin Agnes von 1290 zuordnen kann. 161 ASO 17, 98 no. 42; RP I, 97 (1386), 166 (1400). 162 StALuUrk. 200/2922; cod. 655,65v(Kopievon R. Cysat); Se^ijerl, 418.Eshandeltsich bei Urk. 2922 um einen undatierten Kundschaftsrodel, der auf die Klage der Leute im Rothenburgeramt hin daselbst aufgenommen wurde. Diese bitten die «gnädigen herren », sie gegen die «uberlöffe» Sempachs zu schirmen. Die Schrift weist in den Anfang des 15. Jahrhunderts. Unsere Datierung nimmt Bezug auf das Urteil des Luzerner Rats von 1400 (RP 1,166), das die in der Kundschaft aufgenommenen Probleme löst. 163 Nicht erhalten, aber in der Kundschaft (Urk. 200/2922) ohne Datumsangabe angeführt. Da frühestens 1378 ein Propst Rudolf, der für den in Hildisrieden anwesenden «Rudolf, brobst ze Münster» in Frage käme, belegt ist (Rudolf Ribi v. Lenzburg, 1378-1382; Rudolf von Hewen, 1382-1411, HS II/I, 183 f.), dürfte der Schiedstag nach 1378 und vor 1382, sicher vor 1386 stattgefunden haben. Klage von Grünenberg: «Das wolt... das ampt nit lassen gut sin». 164 RPI.97. 165 RP 1,166. 166 Segesserl.m. 167 QSG 15/1, 626, 11. März 1379. 168 vgl. Anm. 162. Vom Zoll von Sempach erfahren wir erst unter der luzernischen Herrschaft, 1425, Näheres, vgl. Boesch, Sempach im Mittelalter, 127 f. 169 EAI/l,3I4f. 170 StALu Urk. 198/2885; Segesser I, 753. 171 s. obenS. IlOff. Teil II 175-190 172 Segesser I, 764 Anm. 3; Boesch, Sempach im Mittelalter, 269. «Ewiklich» gilt - nach dem Wortlaut der Urkunde - nicht das Burgrecht an sich, sondern lediglich das Versprechen, «ane der vorgenanten von Lucern urlop, gunst, wissend und willen» aus dem Burgrecht nicht auszutreten. 173 Bichel, Willisau, 461-466. Abgesehen vom Friedensbruch ist das Geschäft rechtlich insofern fragwürdig, als hier die pfandrechtliche Bindung nicht gewahrt blieb. 174 Bürgerbuch, 96f. (1398), 98 (1399), 100 (1400), 102 (1401), 105 (1401), 119 (1424). 175 ebda., f. 309 v. 176 Segesser I, 764 Anm. 3: Ernennung des Schultheissen auf Vorschlag des Rats von Sempach durch Lu-zern. Zur untergeordneten Stellung Sempachs vgl. auch Münzvertrag zwischen Österreich, Basel, Zürich, Luzern und Bern vom 14. Sept. 1387, bei dem alle aargauischen Städtlein angeführt werden, während auf Seiten Luzerns Sempach gar nicht mehr erwähnt wird (EA 1/1, 320 no. 39). 177 Wir stützen uns hier auf E. Blösch, Die geschichtliche Entwicklung der Stadt Bern zum Staate Bern, Fs. zur Jahrhundertfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891,1,1-33. E. v. Rodt, Berns Burgerschaft und Gesellschaften, ebda., II, 1-114; Frey. 178 Wir stützen uns hier auf: J. J. Rüttimann, über die Geschichte des schweizerischen Gemeindebürgerrechts, Zürich 1862 (für die Frage immer noch sehr nützlich); W. Tbbler-Meyer, Einige Mittheilungen über die Erwerbung des Bürgerrechts und über die Regimentsfähigkeit im alten Zürich, Zürcher Tb. 4, 1881, bes. 4-19; Die Zürcher Stadtbücher des 14. und 15. Jahrhunderts, ed. v. H. Zeller-Werdmüller, H. Nabholz, 3 Bde., Leipzig 1899 bis 1906; Largiader, Untersuchungen; Derselbe, Anfänge, L. Welsz, Verfassung und Stände des alten Zürichs, SA Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1938; Die Steuerbücher von Stadt und Landschaft Zürich des 14. und 15. Jahrhunderts, ed. F.Hegi, H.Nabholz, E.Hauser, W.Schnyder, Zürich 1918-58, Einleitung Bd. 1; E. Reiser, Städtische Territorialpolitik im Mittelalter. Eine vergleichende Untersuchung ihrer verschiedenen Formen am Beispiel Lübecks und Zürichs (Historische Studien 406), Lübeck-Hamburg 1969; Ziegler. - Unbrauchbar dagegen A. Stahe!, Gemeinde-bürgerrecht und Landrecht im Kanton Zürich, Diss. iur. Zürich 1941, der wohl auf «auswärtige Bürger» eingeht, das Problem des Aus- und Pfahlburgerwesens aber nicht kennt. 179 Zürcher Stadtbücher I, no. 167, (1314) no. 26 (1316). 180 QW 1/3, no. 966, no. 1006. 181 Steuerbücher I, p. XIX. 182 QW 1/3, no. 913 (p. 580). 183 Largiader, Anfänge, 25. 184 QW 1/3 no. 607 (H. v. Küßnacht 1347); Bürgerbuch, 125 (Heidegg 1432). 185 s. unten S. 208. Hingewiesen sei immerhin darauf, daß noch in der Steuer von 1472 Ausburger erscheinen. Nach den verschiedenen Stadtquartieren folgen hier «unser usburger». 16 Personen wurden notiert ohne Angabe des Wohnortes, nur 9 bezahlten die Steuer (StALu cod. 5115 f. 221-223). 186 Ferner vorübergehend und ohne weiterreichende Folgen: Willisau, Richensee u. Meienberg. Bickel, Willisau, 442ff. Im von uns verfolgten Zusammenhang kommt diesen Burgrechten keine Bedeutung zu, da sie bereits aufgelöst waren. 187 B. Stettier, Einleitung, Aegidius Tschudi Chronicon 6. Ich danke Herrn Prof. B. Stettier für die zuvorkommende Zurverfügungstellung seines Manuskripts. 188 1386: StdtA Frankfurt, Kopialbuch 15, f. 20v-21 r, 12. Aug. 1386 offener Mahnbrief; f. 21 r-21v, 3. Aug. 1386 Mahnung der rheinischen Städte zum Kampf gegen die Waldstätte, vgl. Inventáre des Frankfurter Stadtarchivs bis 1499, Frankfurt a.M. 1888 -1894, Bd. 3,176. Zur österreichischen Politik siehe jetzt B. Stettier, op. cit. 189 EA I, 313 no. 36, vgl. 70 no. 122 betr. Abschluß in Zürich. 190 B. Stettier, op. cit. 191 EAI, Beilage no. 37. 192 EA I, Beilage no. 38. 193 ASG 17, 146 no. 57 (1386), 200 no. 92 (1388). 194 ebda., 87 ff. no. 40f. (anfangs 1386). Die Klagen Luzerns suchen zunächst den eigenen Übergriff auf Rothenburg zu begründen durch Anschuldigungen, die bis zum Brandenburger Frieden zurückgehen (Nichteinhaltung betr. Ausburgerfrage), und die die Rümlanger Fehde 1368 ff-, die Undankbarkeit der 336 337 Teil II 195-199 Herrschaft gegenüber der im Guglerkrieg geleisteten Hilfe, den Burgdorfer Krieg 1384 betreffen, desgleichen z.T. ebda. 118 no. 45. Seit Februar 1386 betreffen die Klagen dann die Zeitereignisse selbst: ebda. 121 no. 46, 123 no. 47, 124 no. 48, 131 no. 53, 145ff. no. 56-58, 150ff. no. 60f., 156ff. no. 63f, 161 ff no. 66-73, 174ff. no. 75-84, 200ff. no. 92f. 195 Ofr. 3, 1846, no. 31 (StALu Urk. 886/18340); weitere Vergünstigung für Sursee, no. 30,3. Mai 1386. 196 ASG 17,164 no. 67 (StALu Urk. 227/3177b). 197 ASG 17,159 no. 65. 198 EAI, 324 no. 40, 329 no. 42. 199 B. Stettier, op. cit; EA I, no. 184 (Datierung nach Stettler). 200 Verhandlungspositionen Österreichs: A) BHStA München, Ausländische Staaten, Vorderösterreich und Burgau Lit. 1, f. 56 (undatiert, Schrift Ende 14. Jahrhundert). Es handelt sich um ein beidseitig beschriebenes Einzelblatt, das einer Teilaufzeichnung des Habsburger Urbars aus der Mitte des 15. Jahrhunderts beigebunden ist. Die Kopie beschränkte sich auf die «Rechtung» des Klosters Einsiedeln, die Ämter Sempach, Rothenburg, Richensee und Münster (f. 21 v-55 v). Sie ist offensichtlich abgeschlossen, am Ende erfolgt Explicitvermerk: Explicit über, scriptor sit termine über (f. 55 v). Die Handschrift dürfte im Zusammenhang mit den österreichischen Rekuperationsbemühungen stehen. B) ASG 2,1875,104-107 (I.). - Luzernischer Standpunkt: EA I, 85 no. 202. ASG 2,1875, 107 (IL). 201 Anm. 200, A: grammatikalisch nicht eindeutig formuliert: Folgt man dem Wortlaut, so bezieht sich das Relativpronomen auf die Untertanen, nicht auf Luzern. Jedoch handelt es sich hier nicht um einen ausformulierten Vertragstext, sondern einen Entwurf z.Hd. der Delegierten, die solche Ungenauigkeiten richtig zu verstehen wußten. Da im Text Luzern unmittelbar vor der Bestimmung über Ammannwahl genannt ist, könnte sich diese auf die Stadt bezogen haben. Wir lassen daher hier die Interpretation offen. Anders bei Sempach, wo die Bestimmung betr. Schultheißenwahl und Ernennung des Seevogts eindeutig auf «die von Sempach» bezogen ist, Luzern gar nicht zur Rede steht. 202 Anm. 200, B: Nicht mehr der Ammann sondern die Ämter Entlebuch und Wolhusen sollen sich zur Steuerleistung verpflichten. 203 ASG 17, 147 no. 57. 204 Anm. 200, B. 205 vgl. hierzu B. Stettler, Einleitung (wie Anm. 187); EA I, 85 no. 202. 206 EA I, Beilage no. 42, Luzern betr. Bestimmungen, 331 f. 207 QSG 15/1, 622-626 no. 59-68. 208 StALu Urk. 118/1779. 209 ASG 2, 1875, 106. 210 Segesser I, 283, geht davon aus, daß das Pfand absolut unlösbar werden sollte. Die Bestimmung aber, daß Rothenburg «in pfandeswise» ... «disen frid us» besessen werden könne, hat nur einen Sinn, wenn eben Pfandrecht - also auch Ablösungsrecht - gelten sollte, dies aber nur während des Friedens. Würde der Friede nicht verlängert und dann «eine losung» getan, dann sollte Rothenburg Luzern unterstehen «als uff disen hüttigen tag». Es wurde also eine Friedensverlängerung eingeplant, in der das Pfandrecht weiterhin Geltung haben sollte. War dies nicht der Fall, so fielen die pfandrechtlichen Verbindlichkeiten dahin. Dasselbe gilt auch für den Fünfzigjährigen Frieden: Die Pfandbriefe sollten aufrecht bleiben, der österreichischen Herrschaft «an ir losung unschedlich», d. h. das Lösungsrecht der Herrschaft während des Friedens wurde aufrecht erhalten. Segesser 1,283, nimmt gerade das Gegenteil an: Lösung sollte erst nach Ablauf des Friedens möglich sein. 211 StALu Urk. 118/1779. 212 StALu Urk. 118/1783. 213 raommeKUrkk.il, no. 610,1. 214 StALu Urk. 181/2657. Verkauf geschah für 650 statt für 900 Gld. 215 ASG 2, 1875, 107. 216 Urkk. d. Stadtarch. Rheinfelden (Aargauer Urkk. 3), hg. v. F. E. Welti, Aarau 1931/33, no. 801; Thom-men Urkk. I, no. 767; vgl. F. Stettler. 217 Thommen Urkk. II, no. 583. 218 StALu PS 49 (Orig. StA Sigmaringen, Depositum Enzberg). Teil II 200-214 219 StALu Urk. 140/2042, ASG 17,245 no. 121, Segesser 1,589. Über die Auslösung der Steuer, möglicherweise von Heinrich Geßler, besitzen wir keine Nachricht. Sie muß aber bald nach dem großen Pfandgeschäft erfolgt sein, denn bereits am 26. Juli 1405 verpfändete Luzern die Vogtsteuer an die Leute des inneren Amtes Wolhusen um 2100 Gld. anläßlich des Verkommnisses mit den Entlebuchern, Segesser 1, 591. 220 StALu Urk. 99/1540 A (1397). 221 QW II/3, 302-314, hier 304. 222 StALu cod. 3660, f. 115v-lllv (!). Diese Aufzeichnung der Steuereinzieher auf dem Land ist bei der Edition unbeachtet geblieben. Erstmals wurde von Gössi, 192 ff. darauf aufmerksam gemacht. 223 cod. 3660, 115v. 224 ebda., 113v, betr. Beginn des Einzugs in Luzern; auf dem Land dürfte kaum vor der Stadt begonnen worden sein. 225 Die folgenden Überlegungen schließen an Brunner, 292ff. und Willoweit, bes. 73 f., an. Segesser II, 325 ff. und 329ff. unterscheidet die ältere «Bitte oder Hilfe» von der seit Ende 15. Jahrhunderts auftretenden «allgemeine Landsteuer». Nach Brunner besteht dieser Unterschied nicht, und Segessers Beschreibung der «Landsteuer» entspricht dem Erscheinungsbild der Steuer von 1389. 226 Eindeutig bei Rothenburg Cueni Am Berg und bei Entlebuch, wo die Eilsen, Stelin, Schön und Weibel zu den oft begegnenden Geschlechtern gehören (ASG 17, 65 und 230; RP I, 47v, 78v). In Horw erscheint in Bürgi Egerder ein Luzerner Bürger, der später als Vogt von Root, Kriens und Horw belegt ist (RP I, 154). 227 QWII/3,290f. 228 Glauser, Landeshoheit, 9; Schaffer I, 139f. Anm. 39; II, 19. 229 Wyrsch, vgl. auch Glauser, Landeshoheit, 93. 230 Segesser 1,387 ff. 231 Luzerns Zugriff beruhte möglicherweise auf dem Tatbestand, daß die genannten Kirchen zum Dekanat Luzern gehörten, vgl. Liber marcarum der Diöz. Konstanz, 1370, QW II/2, 310-314. 232 StALu Urk. 465/8321 (10. Apr. 1393). 233 StALu cod. 3660,27, «pro florenis promissis»; RP I f. 38, «pecunias novorum civium ad civitatem pro-missas» (1392). 234 Über die Arbeitsweise der Deputation s. oben S. 138 ff. 235 ASG 17, 161ff.no. 66f. 236 ASG 17, 146 no. 57; Bickel, Willisau, 443. 237 DieKlingenberger Chronik, ed. v. A. Henne, Gotha 1861, 116 (Liebenau, Sempach, 108, 127). 238 Bürgerbuch, 33, 50, 54, 63, vgl. oben S. 125. 239 M. v. Starler, Die Fackel zum Sempacherstreit, ASGA 1862, 25-28; 1864, 21-23; Bickel, Willisau, 442-451. 240 Schafferl, 186. 241 Gezählt sind nur die Orte, die im Blutgerichtssprengel von Freiamt und Grafschaft Willisau lagen (vgl. Bickel, Willisau, Karte 7, S. 103). 242 ASG 17, 208 f. 243 Bruwier, 903, bes. Statistik 917f.: im Bavaizahlen 45% nicht, imBouchain 60%. Nach Bruwier waren die Leistungen der «forains» grundsätzlich «querables», - nicht «redevables», eine Feststellung, die mit der Funktion der luzernischen Einzüger sich deckt. 244 RP 1,21 v unter einende res et judicate: «Rudi von Hasle 1 phunt gegen dem vogt von Rotenburg». 245 ASG 17,184 f. no. 82 (StALu Urk. 227/3185); vgl. auch Bürgerbuch, 92 (SA 270), Einbürgerung Joh. v. Lütishofen, 1389 s. Joh.: «der vogt was ze Rotenburg». 246 RPI, 31 v. 247 RPI, 40v. 248 RPI, 40v,43 «schlugzeLiele...». 249 RP 1,40v «... captivato quod iuraverat Rutschmanno de Rinach servire post presentem litem ut anteli-tem sibi serviebat». 250 RP I, 43, «obedire consulibus [eo] quod invaserunt comendatorem de Honrain». 338 339 Teil II 214-220 Teil II 220-221 - Teil III 231-236 251 Vgl. Gössi, 173ff. 252 Körner, 153, StALu cod. 6855, f. 39 (1412/17), f. 42 (1416, 1418); Segesser llt 314. 253 cod. 6855, f. 101 u. 170. 254 RPI, 68. 255 Segesserl, 583f. 256 RP I, 122v. 257 Segesser I, 470ff. stellte fest, daß man nur über die niedere Gerichtsbarkeit Nachrichten besitze, daß man diese «wahrscheinlich durch die Eroberung, den zwanzigjährigen Frieden und die Pfandschaft des Rothenburgeramtes als der Stadt angefallen betrachtete». Barraud, 47, stellt zu Recht fest, daň es sich hier um eine «unklare Rechtsgrundlage» handle. Vgl. oben S. 157, Anm. 132. 258 Die Landleute wurden möglicherweise durch Befreiung vom Vogthaber hiefür gewonnen. Wann diese erfolgte, ist ungewiß. 1416 wird für Hochdorf festgestellt, «gennd nit futerhaber» (cod. 5055, f. 62v); 1498 wehren sich die Hochdorfer aufgrund einer alten Befreiung dagegen, Vogthaber leisten zu müssen. Der Rat hat jedoch keine Briefe hierüber und gibt auf Zusehen hin nach. 1570 wird dann dieser Brief von 1498 wegen Ungehorsam der Hochdorfer kassiert und die Vogthaberbefreiung aufgehoben (Urk. 120/1803 und ND). 259 RP I, 174, 183 v, 192, 201 v, 204, 206v. 260 RP I, 208v, 210v, 213, 217, 2l9v etc. 261 cod. 5055, f. 62v. 262 cod. 6855, p. 115(1418), 119 (1422). In den frühesten Vogteirechnungen von 1416 (cod. 6855) und 1434 (cod. 6860) erscheint Hochdorf - im Unterschied zur Vogtei Kriens-Horw - nicht und wird demnach bereits damals unter der Vogtei Rothenburg verrechnet worden sein. 263 RP 1,208 v (1406), 210 (1407), 278 v (1421). Hier weist der Verschrieb «vogt ze Rot und ze Kriens», der gestrichen und durch «vogt ze Horw und ze Kriens» ersetzt wird, darauf hin, daß die Neuordnung dem Schreiber noch ungewohnt gewesen sein muß. 264 RPI, 267. 265 RP I, 154 (1397), 267 (1415). 266 RPI, 69v. 267 RP I, 78v; vgl. oben S. 96, unten S. 279. 268 RPI, 79. 269 RPI, 79. 270 cod. 6855, f. 19-25. 271 vgl. Segesser I, 583 f. Anm. 4. 272 Die von Gössi 196, angenommene «Sammlung von Rechtsquellen», die bei der hier verfolgten Fragestellung natürlich von größtem Interesse wäre, läßt sich nicht belegen. Weder die Überlieferungsform noch die Dorsualnotizen (ND) der von ihm angeführten Urkunden lassen auf eine großangelegte Sammlungstätigkeit in der Zeit um 1390 schließen: Urk. 133/1949 a, Original 14. Jahrhundert ohne ND, Urk. 135/1372, Orig. 14. Jahrhundert, aber explizit erst 1544 nach Luzern gekommen; Urk. 113/1705, Orig. 14. Jahrhundert, ND 15. Jahrhundert; Urk. 137/1997, Orig., ND 16. Jahrhundert; 1998, 1999, Kopien 18. Jahrhundert; 2000, 2001, Orig., ND 14. Jahrhundert sowie Kopie 14. Jahrhundert, stehen aber nicht im Zusammenhang einer Rechtsquellens am nilung sondern sind von Luzern neugeschaffenes Recht (Burgrecht mit Merenschwand 1394). Urk. 139/2021, Kopie 19. Jahrhundert nach Solothurner Wochenblatt; 2022, Orig., ND 15. und 18. Jahrhundert; 2023, Kopie 19. Jahrhuiidert;2024/25/26, Orig., ND 16. Jahrhundert; 2027, Orig., ND 15. und 18. Jahrhundert; 2029, Orig., ND 18. Jahrhundert; 2030, Kopie 19. Jahrhundert, etc. Von allen angeführten Belegen ließen sich allein folgende Urkk. möglicherweise in dem postulierten Zusammenhang sehen: Urk. 137/1996, Kopie 14. Jahrhundert (?) einer Urk. von 1309; 132/1949, Orig., ND 14./15. Jahrhundert; Urk. 139/2028, Orig., ND 14. Jahrhundert. 273 In diesem Zusammenhang ist auch das Zollprivileg des päpstlichen Legaten Philippe d'AIencon vom 21.9.1387 zu sehen (Urk. 441/7966). Kömer, 22, geht davon aus, daß es sich hier um die neueroberten Zölle handle, die Luzern «umgehend» bestätigen ließ, was eine sehr zugriffige Politik bereits 1387 suggeriert. Der Wortlaut der Urk. läßt jedoch diese Deutung nicht zu: Es werden nur «passagia» und «ga- bellas», die die Luzerner «a muitis temporibus eciam recipere consuev(erunt)», angeführt, was für die österreichischen Zölle nicht zutrifft. 274 vgl. auch B. Stettier, Einleitung Aegidius Tschudi Chronicon 6, Bern 1986. 275 Der Steuerausfall von Weggis steht, wie wir sahen, in einem andern Zusammenhang und kann hier unberücksichtigt bleiben. 276 Ein eigentlicher Territorialstaat war aber noch nicht gegeben. Lehens- und Pfandrecht liehe Verhältnisse bestanden weiter fort, ebenso wie die verschiedenen geistlichen Grundherrschaf teil. Zur Auflösung von Pfandverhältnissen s. unten. Zur Bereinigung der Rechtsverhältnisse im territorialen Sinn mit dem Stift im Hof vgl. Marchai, Gibt es eine kollegiatstiftische Wirtschaftsform? (Druck in Vorbereitung). Zur Liquidation der Niedergerichtsbarkeiten vgl. Clausen Landeshoheit, 16-31. Teil III Das Land unter luzernischer Obrigkeit 1 EA1/1, 316 (12. Okt. 1386); l.c, 317 (14. Jan. 1387); I.e., 324(1. Apr. 1389). 2 StA Luzern Akten Deutschland 61 A1/F1: Heinrich v. Mülnheim stettmeister und Rat von Straßburg sichert Luzern zu, Boten auf den Tag von Basel zu schicken in betreff der Sache des «hern» Johannes v. Mülnheim und Richenberg. Von Cysat auf 1444 datiert. Richtige Datierung 7. Mai 1389. Begründung: 1. Der in der Urk. genannte «her» Joh. von Mülnheim v. Richenberg (d. Ae.) ist belegt von 1363-1398. 2. Das Tagesdatum sexta post diem inventionis sanete crucis weist die Urk. ins zweite Quartal. 3. Die stettmeister von Straßburg üben ihr Amt quartalsweise ans. Heinrich von Mülnheim erscheint nur zweimal im zweiten Quartal, nämlich 1389 und 1404. Aus 1, und 3. ergibt sich das Jahr 1389 (freundliche Mitteilung Dr. M. Alioth, Basel). 3 EA 1/1,331. 4 StALu Urk. 198/2884, Abschrift des vom Thesaurar der Straßburger Kirche ausgestellten Vidimus vom 29. Dez. 1396. Es handelt sich um ein aus dem RP I herausgeschnittenes Blatt, auf der Rückseite unten, kopfstehend, Foliierung CCLXVII. Im RP I fehlen fol. 261-267. 5 StALu Urk. 198/2885. 6 StALu RP I, p. 143; Segesser 1,774 Anm. 3. 7 vgl. oben S. 167. Zu den von Mülnheim: E. v. Börnes, Das Geschlecht von Müllenheim, sein Aufsteigen, seine Entwicklung und Ausbreitung, in ZGORh NF 24,1909,445-471 (betr. v. allem Frühzeit bis Ende 14. Jahrhundert). Zum ganzen siehe auch: Hauser. 8 RH III, no. 578; ILRA Hs. 1448 no. 9; Thommen Urkk. I, no. 250. 9 Das geht aus der Bestimmung hervor, daß mindestens die Hälfte des gesamten Pfandes von 1314/15 auf einmal abgelöst werden müsse. Vgl. oben S. 90. 10 Thommen Urkk. II, 499 no. 684. 11 ILRA Hs. 253. Hingegen ist von den von R. Cysat und A.E Balthasar gemeldeten Vorkommnissen (Segesser I, 755; Hauser, 18) in den Quellen jener Zeit nichts zu finden. Es dürfte sich um eine Fehldatierung von Nachrichten aus den Jahren 1455-59 handeln (s. unten). 12 ILRAFridericianal8,7. 13 ILRA Hs. 253, f. 4v ff. 14 Hauser, 20ff.: Die Urkunden des Stadtarchivs Bremgarten (Aargauer Urkk. 8), hg. v. W. Merz, Aarau 1938, no. 240. 15 ILRA Hs. 1448, no. 13; Aargauer Urkk. 8, no. 250. 16 ebda., no. 249. Die Geldmittel wurden durch den Verkauf aller städtischen Rechte an den Berner Bürger Nikolaus von Gisistein aufgebracht. 17 Thommen, Urkk. I,no. 250, gibt nur Summe für Brugg und Bremgarten, 43 Mk., nähere Angaben über die Berechnungsweise fehlen beim Lösegeschäft (Aargauer Urkk. 8, no. 249,250). Hingegen gibt ILRA Hs. 253,1419 30 Mk. für Bremgarten an. Hieraus läfJt sich errechnen, daß die Summe von 1850 GId., die Mark zu 6 GId. gerechnet, eine Zins-Kapital-Relation von rund 10 Mk. auf 1 Mk. Zins ergibt. Eine 340 341