Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich Band 73 (170. Neujahrsblatt) Peter Niederhäuser und Christian Sieber (Hg.) Ein «Bruderkrieg» macht Geschichte Neue Zugänge zum Alten Zürichkrieg CHRONOS 3 Ho^ StooGl^ im September die Ausrichtungen der Gemachte seiner verstorbenen Frau bestätigen (ebd., B VI 305, ful. 201 v2, 29. September 1434/fol. 2S4 r6,1434). Dass Klottcr bereits zum zweiten Mal verheiratet/verwitwet war, erfahren wir aus seinem ersten Gemacht (ebd., B VI 305. fol. 86 vi [10. Juli 1431]): Nach dem Tod seiner Frau Margret Winklerin sicherte er ihrem gemeinsamen Sohn Hans die Heimsteuer der Mutter. Mit Margret zusammen steuerte Hans Klotter in der Wacht Linden von 1408 bis 1425 (Steuerbücher, wie Anm. 24,126, 295, 373, 454): Klotter war also 1437 bei seiner Gemächterrichtung mindestens 44 Jahre alt. Im selben Haus, in dem er seit 1408 wohnte (Wacht Linden; Steuerbücher, wie Anm. 24,561). Ergiebig waren vor allem die Steuer- und Ratslisten. Aber auch die Mehrfachaufinttc einzelner Testatoren und Testatorinnen erlaubten es. den etwaigen Zeitraum zwischen letzt williger Verfügung und Tod genauer zu fassen. Chiffoleau (wie Anm. 15), S3. Wie Chiffoleau konstatiert auch Samuel K. Colin: Death and Property in Siena 1205-1800. Strategies for the Afterlife (John Hopkins University Studies in Historical and Political Science, 106th Series/2), Baltimore/London 1988,15, für Siena, dass im Verlauf des Spätmittelalters die Erblasser vermehrt frühzeitig testierten: «As we march through time, greater proportions of the Sienese drew up their testaments when in good health, from 20 percent before the Black Death to 33 percent in 1349-1500 to 44 percent after 1500.» Weibel (wie Anm. 4), 71, schildert vereinzelte Fälle, wo die Erblasser vom Tod überrascht wurden und deshalb nicht mehr dazu kamen, ihren letzten Willen bestätigen zu lassen und dies deshalb die Erben übernahmen. Chiffoleau (wie Anm. 15), 83. «Ir hertz und sinn stuond fast gen Zürich» Der Alte Zürichkrieg aus der regionalen Perspektive des Sarganserlands Fritz Rigendinger Im folgenden geht es um den Versuch,Vorgeschichte und Verlauf des Alten Zürichkriegs aus der regionalen Perspektive darzustellen, die Eigendynamik eines Nebenschauplatzcs zu beleuchten und auf die Verbindungen zwischen regionaler und überregionaler Entwicklung hinzuweisen. Dabei drängt sich das Sarganserland als Beispielregion geradezu auf. Im Februar 1798 richteten die «Bürgerschaften und Gemeinden des Sarganserlandes» eine Bittschrift an die in Frauenfeld versammelte Tagsatzung mit der Bitte um Entlassung aus der über 300 Jahre dauernden Untertanenschaft. Der Verfasser des gedruckten Memorials, der als «Barde von Riva» (Walenstadt) bekannte Dichter und Landeshauptmann Franz Josef Bernold, begründete die Forderung nach Freiheit und Gleichheit nicht nur mit der eidgenössischen Befreiungstradition, sondern rief seinen «gnädiggebietenden Herren und Oberen» auch das einheimische Befreiungsgeschehen in Erinnerung: «Bedenket noch folgende Gründe: Ihr von Zürich, dass Eure Väter sich nicht scheuten, mit unsern Vätern den 21.ten December 1436 ein ewiges Bürgerrecht zu schliessen, das sie auch treulich hielten, indem sie auf unsere Klagen, wegen den Plackereyen der österreichischen Amtleute auf Nidberg und Freudenberg, uns alsogleich ihre Hilfstruppen zuschickten, die unter Anführung des berühmten Bürgermeister Stüssis, und nebst der Hilfe unsrer damaligen Bundesgenossen, der Graubündner und Churwalchen, uns bieder unterstützten, und jene Zwingnester von Grund aus zerstörten. - Ihr von Schwiz und Glarus, dass Ihr zwar dieses Glück der Freyheit uns nur vier nicht ganz volle Jahre liesset, indem Ihr im October 1440 zu Gunsten Eures Landsmannes, des Grafen Heinrichs von Werdenbelg, der es Euch hernach mit dem schnödesten Undank vergalt, mit bewaffneter Hand eine Gegenrevolution bewirktet, und uns sowohl damals, und öfters im Lauffe des alten Zür-cherkrieges, als besonders hernach im Jahr 1460 nebst Uri unter Eure und der andern vier Orte Botmässigkeit brachtet, ungeachtet Eure eigne Väter einst Glarus und Zug eroberten, nicht um sie zu Unterthanen, sondern zu freyen Brüdern zu machen.»1 Was steht hinter dem Burgenbruch und der «Gegenrevolution», mit denen der Barde von Riva an die eidgenössische Geschichte im Sarganserland erinnerte? Was spielte sich 1436 und 1440 tatsächlich ab, und in welchem Zusammenhang standen die Ereignisse im Sarganserland mit dem Alten Zürichkrieg? Grundlage für das Verständnis des Geschehens im Sarganserland ist die komplexe herrschaftsgeschichtliche Konstellation beim Tod Graf Friedrichs VII. von Toggenburg. Diese soll in einem ersten Schritt kurz erläutert werden. Ein zweiter Abschnitt wird die politischen Vorgänge nach dem Wegfall der Toggenburger Herrschaft bis zum Ausbruch des bewaffneten Konflikts zwischen Zürich und Schwyz beleuchten. Der dritte Teil be- 111 Abb. 20: Blick ins Seeztal Richtung Churer Rheintal. Unten links Walenstadt, rechts der Felskopf Raischiben. Die Stelle, an der heute der Autobahnviadukt aus dem Raischibcn-Tunnel führt, war im Mittelalter eine natürliche Talsperre, bergwärts mit einer Lctzi verstärkt. In der Bildmitte Flums und der Burghügel Gräpplang, im 15. Jahrhundert in Zürcher Besitz. (Foto: Fritz Rigendingcr) schäftigt sich mit der Schlussphase des Konflikts nach 1442, in der sich die Auseinandersetzung um das Toggenburger Erbe zum eidgenössisch-österreichischen Grosskonflikt ausdehnte und das Sarganserland zum europäischen Kriegsschauplatz werden Hess. Am Schluss folgt eine Zusammenfassung, in der das Resultat des Zürichkriegs aus sargan-serländischer Perspektive reflektiert wird. Das Sarganserland als Teil des Toggenburger Erbes: Grafschaft Sargans und Herrschaft Österreich Seit dem 13. Jahrhundert bildete die Grafschaft Sargans, die das Gebiet zwischen Walensee und Rheintal umfasste, die Stammherrschaft der Grafen von Werdenberg-Sargan s. Innerhalb der Grafschaft gab es mehrere eigenständige, lokale Grund- und Gerichtsherrschaften. Dazu gehörten die Stadt Walenstadt mit dem Blutgericht, niedergerichtlich aber ein Teil der österreichischen Herrschaft Windegg, die chur-bischöfliche Herrschaft Flums, die Herrschaften Nidberg in Mels und Freudenberg in Ragaz,die 1363 bzw. 1403 österreichisch wurden, sowie jenseits des Schollbergs die Herrschaft Wartau im wechselnden Besitz des fe Abb. 21: Ruine Gräpplang beiFlums. Die Burg war Zentrum der chur-bischöflichen Herrschaft Flums und befand sich 1419-1470 im Pfandbesitz der Stadt Zürich. Von hier aus kontrollierte Zürich den Verkehrsweg und die Eisenschmieden in Flums und nutzte die Burg als militärischen Stützpunkt. (Foto: Fritz Rigendinger) Adels. Territorial nicht in der Grafschaft, aber über die Schirmvogtei institutionell mit dieser verbunden war die Benediktinerabtei Pfäfers mit ihrem Grundbesitz im Tamina-tal, in Ragaz, Mels und Quarten. Die Gerichtsvogtei über die Pfäferser Gotteshausleute oberhalb der Saar und im Taminatal gehörte zur Herrschaft Freudenberg. 1396 verpfändeten die Grafen von Werdenberg-Sargans ihre Stammherrschaft an Österreich, das nun mit Sargans, Walenstadt, Nidberg und Freudenberg (ab 1403) im Sarganserland über eine geschlossene Territorialherrschaft verfügte. 1406 verpfändeten die Herzöge von Österreich diesen Besitz zusammen mit der Herrschaft Windegg an Friedrich von Toggenburg, der damit die Lücke zwischen seinen Besitzungen in Uznach und Maienfeld schliessen konnte und fortan über einen Territorialstaat gebot, der sich vom ZUrichsee bis ins Prättigau erstreckte. Durch mehrere Burg- und Landrechte mit den eidgenössischen Orten, allen voran mit Zürich (seit 1400), aber auch mit Schwyz (1417) und Glarus (1419) sicherte der Toggenburger seine Landesherrschaft weiträumig ab. Zürich erwarb seinerseits 1419 vom Bischof von Chur die Herrschaft Flums und verfügte damit mitten im Toggenburger Territorium auf halbem Weg zwischen Chur und Zürichsee über einen festen Platz beim Walensee. Flums war zugleich das Zentrum für die Verhüttung von Eisenerz vom Gonzen. Hier konnte Zürich die Produktion des 112 113 waffenfähigen Rohstoffs kontrollieren und von hier aus den Handel über die Walenseestrecke auf das Gebiet der ganzen Eidgenossenschaft ausdehnen.2 Personell war Zürichs Zugriff auf das Sarganserland und das Eisenbergwerk eng mit der Schultheissenfamilie Kilchmatter von Walenstadt verknüpft, die am Walensee das Stadtoberhaupt stellte (1373-1393), gleichzeitig im Stadtrat von Zürich sass (1378-1413) und dann 1419-1430 den ersten zürcherischen Vogt von Flums stellte, der sich im Eisenhandel betätigte. Rudolf Kilchmatter, der reichste Bürger der Stadt und Bruder des Vogts, hatte bereits 1410 eine Eisenschmiede an den Flumser Dorfbächen erworben.3 Als mit Friedrich von Toggenburg 1436 der mächtigste Territorialherr der Ostschweiz ohne direkte Erben verstarb, entbrannte zwischen Schwyz und Zürich ein offener Weltstreit um das Erbe und die territoriale Vorherrschaft im Gaster und im Sarganserland. Beide Orte machten aufgrund ihrer Landrechte mit dem Verstorbenen Erbansprüche geltend, wobei Zürich über Zusagen für den Toggenburger Besitz unterhalb des Walensees und die Herrschaft Windegg verfügte, die im Gegensatz zu jenen von Schwyz auf Tuggen, die March und Grinau standen. Genauso umstritten war das Gebiet oberhalb des Walensees, wo es von eidgenössischer Seile zwar keine formellen Erbansprüche gab, dafür aber handfeste Interessen in bezug auf den Verkehrsweg, die Alpen und das Eisenbergwerk. Zürich wickelte seit dem 13. Jahrhundert den Hauptteil seines Fernhandels über die Walenseestrecke ab, verfügte auf herrschaftlicher Ebene über persönliche Beziehungen nach Walenstadt und war seit 1419 im Besitz von Flums. 1428 versuchten auch die Glarner, durch ein Landrecht mit den Leuten von Flums und Tscherlach im Sarganserland Fuss zu fassen. Bei den von Glarus in Eid genommenen Leuten handelte es sich um Untertanen Friedrichs von Toggenburg, des regionalen Adels und um Pfandleute der Stadt Zürich. Das Vorgehen der Glarner führte beinahe zum Krieg zwischen Friedrich von Toggenburg und Glarus. Der Konflikt konnte nur dank gemeinsamer Vermittlung durch die Spitzen aller eidgenössischen Orte entschärft werden.4 Damit war aber der Gegensatz zwischen Glarus und Schwyz auf der einen und Zürich auf der anderen Seite auch im Gebiet oberhalb des Walensees bereits zu Lebzeiten des Toggenburgers vorgezeichnet. Die Landgemeinde im Bund mit Zürich, der Landesherr mit Schwyz Beim Tod Friedrichs von Toggenburg schlossen sich dessen Untertanen im Gaster und Sarganserland sofort zu einer Landgemeinde zusammen. Im April 1436 vereinigten sich die Leute von Walenstadt, Flums, Mels, Ragaz und Gretschins mit denen von Windegg und Weesen zu einem gegenseitigen Schutz- und Beistandsbündnis, mit dem sie das Herrschaftsvakuum nach dem Wegfall desToggenburgers ausfüllten und nach politischer Autonomie strebten. Gleichzeitig löste Herzog Friedrich die österreichischen Pfänder Sargans, Windegg, Walenstadt, Nidberg und Freudenberg von der Toggenburger Witwe Elisabeth aus. Die Herrschaft Sargans, ein Pfand von den Grafen von Sargans, gab er Graf Heinrich von Werdenberg-Sargans zu lösen.5 Als Landesherr sollte Heinrich das Erbe antreten, das sein Vater 40 Jahre zuvor, 1396, an Habsburg verpfändet hatte. Die politischen Vorgänge, die diesen Herrschaftswechsel begleiteten, werden in der zeitgenössischen Chronistik, in der Klingenberger Chronik und vom Schwyzer Landschreiber Hans Fründ sowie vom späteren Aegidius Tschudi ausführlich geschildert: Die in der 114 Landbewegung zusammengeschlossenen Untertanen weigerten sich, dem Herzog von Österreich und dem Grafen von Sargans den Huldigungseid zu leisten, solange diese die Forderung der Landgemeinde nach dem freien Bündnisrecht mit den eidgenössischen Orten nicht billigten. Nur die Bürger der Stadt Sargans hielten zu Graf Heinrich und blieben der Landgemeinde fern. Diese versammelte sich auf der Hochwiese bei Flums. Doch die Landleute aus dem Gaster und Sarganserland konnten sich auf keine gemeinsame Strategie einigen. Während die Bewohner von Ragaz, Wartau, Flums, Mels, Walenstadt und Weesen mehrheitlich ein Burgrecht mit Zürich anstrebten - «ir hertz und sinn stuond fast gen Zürich» -, hätten die aus dem Gaster und von Amden am liebsten zu Schwyz geschworen. Eine dritte Partei bevorzugte die Rückkehr unter die Herrschaft Österreich und wollte mit den Eidgenossen nichts zu tun haben. Weder die Boten des Herzogs noch die Gesandten aus Schwyz und Zürich vermochten eine Mehrheit hinter sich zu scharen.6 Die Landgemeinde auf der Hochwiese scheiterte, und die G astermer und Sarganserländer, während 40 Jahren unter einer Herrschaft vereint (1396-1436), gingen wieder getrennte Wege. Im Sarganserland setzten sich die Anhänger Zürichs gegen die österreichfreundliche Minderheit aus Walenstadt, Mels und Ragaz durch. Am 21. Dezember 1436 schlossen der Hauptmann, die kleinen und grossen Räte sowie die «gantze gemeind» von Walenstadt, Flums, Mels, Ragaz und Gretschins ein unbefristetes Burgrecht mit Zürich. Das Bündnis sah die gegenseitige militärische Hilfe für den Fall von plötzlichen, «gächen» Angriffen von Seiten Österreichs und die gemeinsame Erpfändung oder Eroberung der Burgen Nidberg, Freudenberg und Sargans durch Zürich und die Landgemeinde vor. Die eroberten Schlösser sollten «zuo irem land dannenthin ewenklich gehören» und für Zürich offene Häuser sein. Die Sarganserländer wurden damit zu Zürcher Ausbürgern oder Hintersassen. Sie durften ohne Erlaubnis von Zürich keine Bündnisse abschliessen und nicht selbständig Krieg führen. Faktisch lief der Zusammenschluss mit der Landgemeinde auf eine Kriegserklärung Zürichs an die Herrschaftsträger im Sarganserland, an Graf Heinrich von Sargans und die Herrschaft Österreich, hinaus.7 Als Reaktion auf das Zürcher Burgrecht seiner Landleute suchte und fand Heinrich von Werdenberg-Sargans Unterstützung bei Schwyz und Glarus. Am 30. Januar 1437 schloss er das Landrecht mit den zwei Ländern ab, die ihre Expansionsbestrebungen in Richtung Bündner Pässe offen formulierten. Der Vertrag sah die militärische Kooperation in der Grafschaft Sargans sowie in den Sarganser Herrschaften im Domleschg und im Schams vor, und zwar so, dass Heinrichs Besitzungen den zwei Ländern für die Kriegsführung auch in eigener Sache offenstehen sollten in dem Umfang, wie es die Innerschweizer für nötig hielten. Darüber hinaus gewährleistete der Graf Schwyz und Glarus Zollfreiheit in seinen Gebieten und verpflichtete sich für den Fall eines Konflikts mit Österreich zur Neutralität.8 Später verschrieb Heinrich den beiden Ländern die Grafschaft Sargans als Unterpfand für die 1800 Gulden, welche diese ihm zum Zweck der Pfandauslösung von Österreich geliehen hatten. Die Verschreibung berechtigte die Gläubiger, bei ausbleibender Zins- oder Rückzahlung auf das Pfand zu greifen, womit sich Schwyz und Glarus zu potentiellen Herren der Grafschaft Sargans machten.' Der Konflikt zwischen Schwyz, Glarus und Zürich um die Landrechte im Gaster und im Sarganserland korrespondierte mit dem Zwiespalt zwischen Landesherr und Landgemeinde im Sarganserland, von denen jede Seite mit einer rivalisierenden eidgenössischen Partei verbündet war. Verliererin in diesem zweifachen Konflikt war die Herrschaft Österreich. 115 1 Zürichs Krieg gegen Österreich führt zur Auflösung der Landgemeinde Im Mai 1437 setzten die Zürcher ihren Eroberungsplan in die Tat um. Unter dem Vorwand, ihren Mitbürgern im Sarganserland gegen die - bewusst provozierten - Aggressionen der österreichischen Amtleute auf Nidberg und Freudenberg zu Hilfe zu eilen, marschierten sie unter Berufung auf das Burgrecht mit offenem Banner ins Sarganserland ein. Im Verein mit ihren Bürgern ob dem Walensee eroberten und zerstörten sie die österreichischen Herrschaftssitze, das Haus von Schultheiss Nussbaumer in Walenstadt, die Burg Nidberg von Ammann Kalberer in Mels und die Feste Freudenberg von Vogt Venr in Ragaz. Freudenberg hielt dem Beschuss durch die grösste Zürcher Büchse und dem Ansturm mit einer aus Chur herbeigeschafften Belagerungsmaschine stand. Nach 17tägiger Belagerung wurde die Burg aufgegeben und in Brand gesteckt.10 Ein Angriff auf den landesherrlichen Sitz in Sargans blieb aus. Nach der Kriegseröffnung gegen Österreich wollte man wohl keine zweite Front gegen die Sarganser Schutzmächte Schwyz und Glarus eröffnen. Nach dem Zürcher Eroberungszug stand die Landbewegung im Sarganserland auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Unter Zürcher Führung wurde in Walenstadt eine landständische Verfassung ausgearbeitet, ein Herrschaftsvertrag zwischen der Landgemeinde und dem Grafen von Sargans, in dem das «Gemeine Land, das zusammen geschworen hat», als politisch gleichberechtigter Partner des Landesherren auftrat. Die wichtigsten Postulate der Landbewegung betrafen die Gerichtsorganisation und die Neukonstituierung des Landgerichts am Tiergarten (Mels), dem die Funktion als Landtag zugedacht war. Die Landräte versuchten auch die Mitwirkung bei der Ausübung von Hoheitsrechten wie der Kontrolle der Masse und Gewichte, des Jagdrechts, bei dem Schutz vor Wildtieren und der Stellung von vereidigten Grundstückschätzern durchzusetzen und verlangten die Abtretung der gräflichen Eisenschmiede in Mels an das «Gemeine Land der Grafschaft Sargans».11 In Wartau traten «Hauptmann und Rat im Sarganserland» erstmals als eigenständige Rechtsperson in Erscheinung, indem sie den Konflikt zwischen den Schlossherren von Wartau, den Grafen von Thierstein, und den Wartauer Untertanen zugunsten der Herrschaft regelten und sich damit als Wahrer der rechten Ordnung qualifizierten.12 Zur gleichen Zeit unterstützte die Landgemeinde den Aufstand der Pfäferser Gotteshausleute gegen den Abt, besetzte die Burg Warlenstein in Pfäfers, das äbtische Verwaltungszentrum und forderte vom Abt die Hinterlegung des Kloslerarchivs bei der mit Zürich verbündeten Stadt Chur. In der gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Abt rechtfertigten die Gotteshausleute ihren Aufstand mit einer neuen Interpretation des Huldigungseids, den sie dem Gotteshaus als Institution, nicht aber dem Abt als Person geleistet haben wollten. Daraus leiteten sie das Widerstandsrecht ab und proklamierten sogar die Pflicht zum Widerstand gegen einen für das Kloster «schädlichen» Abt. Diese modern anmutende Auslegung der Huldigung ging selbst dem Schiedsgericht der Stadt Zürich zu weit. Es schützte den Abt und die ausschliesslich persönliche Wirkung der Huldigung, gestand den Gotteshausleuten aber zu, den Eid in guten Treuen anders verstanden zu haben.13 Im Frühjahr 1439 verschärfte sich der Konflikt zwischen Zürich und Schwyz auf der einen und der Landgemeinde und Graf Heinrich auf der anderen Seite. Für Zürich war es ein grosser Schock, als Herzog Friedrich am 2. Mai 1438 die Herrschaft Windegg an Abb. 22: «Die Vestung Neidburg im Sarganser Land wird von Zürichern bezwungen geplündert u. verbrent. A. 1437.» Auf dem Pferd der Zürcher Hauptmann Stüssi, links wird die österreichische Burgmannschaft mit dem Mclscr Ammann Rudolf Kalbcrcr in Ketten weggeführt. (Radierung von Johann Balthasar Bullinger im Neujahrsblatt 1747 der Gesellschaft der Constaffler und Feuerwerker zu Zürich, ZBZ, Graphische Sammlung) Schwyz und Glarus verpfändete. Die territorialen Ambitionen im Walenseegebiet erlitten damit einen empfindlichen Dämpfer. Besonders stossend war aus Zürcher Sicht die Tatsache, dass das formell zur Herrschaft Windegg gehörende Walenstadt in die Schwyzer Pfandschaft aufgenommen wurde, obschon die Walenstadter sich der Landbewegung im Sarganserland angeschlossen hatten und Bürger von Zürich waren.14 Zürich reagierte mit einer erneuten Kornsperre gegen Gaster und Uznach, die sich im Hungerjahr 1437/38 besonders hart auswirkte. Im Mai 1439 brach der Krieg mit einem Scharmützel am Etzel offen aus, konnte aber durch einen vermittelten Waffenstillstand bis zum 3. April 1440 vorübergehend unter Kontrolle gebracht werden.15 Die Verhältnisse im Sarganserland stellten jedoch eine grosse Bedrohung für den Waffenstillstand dar. Heinrich von Werdenberg-Sargans stand als Schwyzer Landmann nach dem gescheiterten Herrschaftsvertrag von 1438 unter massivem Druck der mit Zürich verbündeten Sarganserländer. Der Kriegsausbruch in der March war für die Landgemeinde das Signal, gegen den letzten Widerstand des Sargansers den Herrschaftswechsel durchzusetzen. Im Sommer 1439 drohten sie täglich damit, «das hus Sangans muesdi ouch herum, und Sangans muesdi ouch beschehen als Nidberg und Frödenberg». 116 117 Darauf entsandten Schwyz und Glarus Hilfstruppen nach Sargans.16 Peter Weibel, der Landeshauptmann, Cuonz Weibel, Cläwi Weibel, «ir frünt und gesellen helfere anhangere und dera rät» erliesssen in der Kirche zu Mels das öffentliche Gebot, dem Grafen keine Zinsen, Steuern und Abgaben mehr zu leisten und sich seinem Rechtgebot zu widersetzen.17 Als Reaktion darauf erklärten die Schwyzer am 24. Oktober 1440 für sich und im Namen Graf Heinrichs den Sarganserländern den Krieg und kündigten an, sie würden mit aller Macht das von der «gantzen gemeinde» verübte Unrecht beenden, Heinrichs Herrschaft «und unser pfantschafft Sangans» wiederherstellen und alle Landleute dessen Herrschaft unterstellen.18 Einen Tag später landeten die Schwyzer und Glarner mit 800 Mann am Bommerstein bei Mols und rückten über die Talsperre am Raischiben ins Sarganserland ein.1" Auf der Allmend bei Tscherfingen (Mels-Heiligkreuz) vereinigten sie sich mit den gräflichen Truppen, welche tags zuvor unter der Führung Wolfharts von Brandis, des Vogts von Feldkirch, und Heinrichs von Montfort-Tettnang, des Schwiegersohnes des Sargansers, in einer Stärke von 700 Mann von Balzers her ins Städtchen Sargans eingerückt waren.20 Schwyzer und Glarner kämpften Seite an Seite mit den benachbarten Österreichern und mit den Vertretern des regionalen Adels für ihren Landmann aus dem Haus Werdenberg-Sargans und gegen die Landgemeinde im Sarganserland - eine eidgenössischadlige Koalition von grosser Schlagkraft, die ihre Wirkimg auf den Gegner nicht verfehlte. Den Sarganserländern kam weder aus Zürich noch von den zum Beistand ermahnten Bündnern Hilfe zu, eine Tatsache, die bereits von der zeitgenössischen Chronistik mit Verwunderung vermerkt wurde. Die Zürcher wurden angesichts der Kriegsgefahr in der March vom massiven Aufmarsch oberhalb des Walensees schlichtweg überrumpelt. Die Rückeroberung des Seeztals erfolgte ohne neimenswerten Widerstand durch eine vollständige Besetzung des Landes. Die Landgemeinde löste sich so schnell auf, wie sie sich vier Jahre zuvor formiert hatte. Innerhalb wenigerTage erschien «ain dorf nach dem andern» vor Graf Heinrich, und jeder schwor seiner angestammten Herrschaft - dem Grafen von Sargans, Österreich, den geistlichen und den niederadligen Herren - Treue und dem ewigen Burgrecht mit Zürich ab.21 Das Sarganserland als Schauplatz der eidgenössisch-österreichischen Auseinandersetzung: Scheitern der eidgenössischen Eroberungsversuche Der Sarganserzug von Schwyz und Glarus führte nahtlos in den eidgenössischen Grossangriff auf die Zürcher Landschaft über, der für die Stadt in der Katastrophe endete. An der Besetzung des Zürcher Territoriums beteiligte sich auch Heinrich von Werdcn-berg-Sargans, der den Zürchern am 11. November 1440 abgesagt und sich mit einem Kontingent aus dem Sarganserland und aus Walenstadt - nach Klingenberg mit 200, nach Fründ mit 400 Kriegsknechten - den Eidgenossen angeschlossen hatte.22 Am 1. Dezember blieb Zürich keine andere Wahl mehr, als in den sogenannten Kilchberger Frieden einzuwilligen. Die Eidgenossen waren nur unter der Bedingung bereit, das besetzte Territorium zurückzuerstatten, wenn die Reichsstadt Zürich bedingungslos die Priorität des eidgenössischen Bundesrechts vor dem Reichsrecht anerkannte. Schwyz und Glarus sollten alle von Zürich eroberten Besitzungen oberhalb des Walensees behalten, mit Ausnahme der Herrschaft Flums, die als Churer Pfand im Besitz Zürichs verblieb. Weil sie den Aufstand «im Oberland» unterstützt hatten, mussten die Zürcher für Flums ein Strafgeld von 2000 Gulden bezahlen und sich verpflichten, die Burg nicht gegen Schwyz und Glarus zu verwenden.23 Immerhin verblieb Zürich damit ein Stützpunkt am Walensee mit den wirtschaftlich bedeutsamen Eisenverhüttungsbetrieben. Der eidgenössische Druck auf Zürich und das Interesse des neuen Königs aus dem Haus Habsburg an der Revmdikation seiner Stammgebiete im Aargau führten zwei Jahre später, 1442, zur Aussöhnung zwischen Zürich und Österreich. Der politische Richtungswechsel in Zürich mündete in das Bündnis mit Friedrich III. vom 17. Juni 1442, dessen Ziel die territoriale Neuordnung der Ostschweiz und die Verdrängung der Schwyzer aus dem Gebiet zwischen Innerschweiz und Bodensee war. Der Konflikt um dasToggenburger Erbe im Walenseegebiet weitete sich durch die Stellungnahme König Friedrichs III. zum eidgenössisch-österreichischen Grosskonflikt aus, bei dem jedes Vorgehen gegen Zürich zugleich ein Angriff auf das Reich war. Im November 1442 liess Zürich über seine ehemaligen Mitbürger von Walenstadt, Ragaz, Valens, Mels, Flums und Grctschins die Reichsacht verhängen.24 Die Erklärung sollte Schwyz und Glarus als Schutzmächte der Grafschaft Sargans kompromittieren und war als Rache für den erzwungenen Abfall der Sarganserländer vom Burgrecht mit Zürich gedacht. Konkret richtete sich die Massnahme gegen die österreichischen Herrschaftsleute in Walenstadt, Nidberg und Freudenberg und die Zürcher Pfandleute in Flums. Diese Ächtung der eigenen Leute durch den österreichischen Landrichter im Thurgau kam einer nachträglichen Anerkennung des Zürcher Burgrechts mit den Angehörigen der Herrschaft Österreich von 1436 gleich. Der Druck auf die Sarganserländer wurde erhöht, da der Landrichter den Marktorten Feldkirch, Weesen, Maienfeld, Chur, Uznach und Rapperswil gebot, jeglichen Verkehr mit den Geächteten zu unterlassen, ihnen den Aufenthalt in ihrem Territorium zu verbieten und sie insbesondere vom Markt und der Lebensmittelversorgung abzuschneiden.25 Nach der erneuten Besetzung der Zürcher Landschaft durch die Eidgenossen drangen Schwyz und Glarus im Mai und September 1444 ins Sarganscrland ein. Sie nahmen die dem Schutz Graf Heinrichs und des Vogts von Feldkirch unterstellten österreichischen Herrschaften Nidberg und Freudenberg in Besitz und zwangen die Herrschaftslcute, ihnen Treue zu schwören. Von ihrem Landmann Heinrich verlangten sie, dass er ihnen die Burg und die Stadt Sargans für den Kampf gegen Österreich offenhalte. Das aggressive Vorgehen der Eidgenossen zwang den Sarganser zur Aufgabe seiner zurückhaltenden Haltung und zum Schulterschluss mit Österreich. Er beschuldigte Glarus und Schwyz, seine Leute beraubt und unabgesagt «in unser land Sangans» eingefallen zu sein, und erklärte ihnen am 30. November 1444 «als ein graf des richs», also im Namen des Königs, den Reichskrieg.26 Die von langer Hand vorbereitete Offensive der Österreicher folgte unmittelbar danach. Linter der Führung der Herren von Brandis und der Grafen von Sargans überquerte am 1. Dezember 1444 ein angeblich 6000 Mann starkes Heer den Rhein und zog nach Walenstadt, wo Heinrichs ältester Sohn, Wilhelm von Werdenberg-Sargans, das Kommando übernahm.27 Der eidgenössische Gegenstoss erfolgte Anfang Februar vom Rheintal her. Am 3. Februar 1445 zogen eidgenössische und appenzellische Truppen von Altstätten aus das Rheintal hinauf über Werdenberg bis unter den Schollberg, wo sie nach Balzcrs 118 119 übersetzten, um das Dorf der Brandiser in der Grafschaft Vaduz zu verbrennen. Von Balzers aus stiessen sie am 5. Februar an die Letzi bei Mels vor und griffen Sargans an. Nach über zweistündigem Ansturm wurden die zwei Stadttore gewaltsam geöffnet. Die Verteidiger, laut Tschudi 600 «starcke landtlüt», mussten sich in das Schloss Sargans zurückziehen, wo sich auch Graf Heinrich aufhielt. Bei dieser Aktion fiel den Appenzellem die Stadtfahne von Sargans in die Hände.28 Die Ringmauern der Burg aber erwiesen sich als unüberwindbar. Die Angreifer gaben nach achttägiger Belagerung auf und brannten am 12. Februar 1445 das Städtchen bis auf die Grundmauern nieder. Dann zogen sie nach Mels und Flums, die um je 1000 Gulden Schutzgeld erpresst wurden. Unter Umgehung von Walenstadt - ein Angriff wurde in Kenntnis der Garnisonsstärke unterlassen - zogen die Eidgenossen mit grosser Beute «von vech und husblunder, ouch gross guot von Stachel und isen [aus] Sangans und Flumms» über die Letzi am Raischiben nach Hause.25 Weder der Vorstoss Österreichs im Dezember 1444 noch der eidgenössische Ge-genstoss im Februar 1445 führten zum Durchbruch. Im Frühjahr 1445 zeigte sich im Sarganserland jene Pattsiluation, wie sie auf der Zürcher Landschaft herrschte. Die österreichische Koalition behauptete die festen Plätze - das Schloss Sargans, die Burg Flums und Walenstadt -, während die offene Landschaft - das Sceztal und die Stadt Sargans - den Plünderungen und Zerstörungen der Eidgenossen zum Opfer fiel. Im Februar 1446 drangen die Eidgenossen erneut über den Walensee in das Gebiet ein, stiessen unbehelligt nach Mels und Ragaz vor und bezogen am Rhein Stellung. Von hier aus unternahmen sie Plünderungs- und Verwüslungszüge in das Gebiet der Herren von Brandis, nachTricsen undTriesenberg.griffen Maienfeld an und brannten die Dörfer und Höfe in dessen Umgebung nieder. Dann zogen sie sich nach Mels zurück und zwangen die Bevölkerung erneut (wie im September 1444), ihnen Treue zu schwören. Jene, die sich der Huldigung entziehen wollten, flohen auf Schloss Sargans, nach Walenstadt oder über den Rhein. Die Einnahme von Sargans und Walenstadt erwies sich nach wie vor als unmöglich.30 Nach den Versuchen im Mai und September 1444 misslang den Eidgenossen im Februar 1446 zum dritten Mal die vollständige Eroberung des Sarganserlands. Daran sollte auch ihr Sieg in der Schlacht bei Ragaz nichts ändern, der mit Blick auf die Territorialherrschaft oberhalb des Walensees geradezu zum vierten eidgenössischen Fehlschlag werden sollte. Die Schlacht bei Ragaz: ein verlorener Sieg Am 5. März 1446 setzte ein «unzählbar starkes» Heer aus dem Vorarlberg über den Rhein und sammelte sich in Ragaz, um die in Mels lagernden 1100 Eidgenossen zu vertreiben. Diese entschlossen sich zum Überraschungsangriff und zogen noch in derselben Nacht über Wangs und Vilters nach St. Leonhard unterhalb Freudenberg. Die Österreicher hatten zwei Heerhaufen gebildet, einen auf den Äckern nördlich von Ragaz, in der Baschärebene, und einen beim Dorf Ragaz. Ihre Stärke wurde auf 4000 Mann geschätzt. In den Morgenstunden des 6. März griffen die Eidgenossen an. Sie eilten «nebent dem dorf herab» in die feindlichen Linien, von wo ihnen Geschützfeuer entgegenschlug, das eine halbe Meile weit (circa 7 Kilometer) zu hören gewesen sein soll. Der konzentrierte Vorstoss zwang die Gegner zum fluchtartigen Rückzug über den Rhein. «Hie littent die Abb. 23: Kapelle St. Leonhard bei Ragaz. Bei der um 1410 am Fusse der Burg Freudenbelg errichteten Pilgerkapelle kam es am 6. März 1446 zur Schlacht bei Ragaz, dem letzten Gefecht des Alten Zürichkriegs, die mit einem Sieg der Eidgenossen über die österreichischen Truppen endete. (Foto: Fritz Rigen-dinger) vyent grossi not, dann die ze ross warent, die kament hindurch, wele aber darin ze fuos kament, die wurdent alle ze guoter mas erschlagen oder aber ertrenkt durch das jagen.»31 Die Zahl der getöteten Gegner, vor allem Soldaten aus Feldkirch und Vorarlberg unter der Führung des vorländischen Adels, war sehr gross. Ebenso so gross war die Menge der erbeuteten Harnische, Feldkanonen, Pulver, Armbrüste und der zurückgelassenen Verpflegungsvorräte, «wägen voll brot, win, hüner und fleisch». Aber so glänzend ihr Sieg ausfiel, so rasch räumten die Eidgenossen nach der Schlacht das Feld und kehrte das österreichische «Rossvolk» zurück.32 Die landesherrliche Residenz in Sargans sah sich vom Ausgang des Zusammenstosses so wenig betroffen wie die österreichische Garnison Walenstadt. Eine Besetzung oder Inbesitznahme des Sarganserlands durch die Eidgenossen konnte deshalb aus militärischen wie politischen Gründen nicht erwogen werden. Walenstadt und Sargans blieben antieidgenössisch, während die Landbevölkerung wie schon 1436 gespalten war, wobei die Anhänger der Eidgenossen deutlich in der Minderheit waren. Nach der Schlacht von Ragaz wurden einzelne von ihnen vertrieben und zogen nach Glarus oder über den Kunkelspass in den Oberen Bund, «und warent vor und nach arm lüte».33 Der geringe Rückhalt der Innerschweizer im Sarganserland zeigte sich nicht zuletzt an der Tatsache, dass sich im eidgenössischen Heer in Mels und Ragaz im Frühjahr 1446 lediglich 40 Zuzüger aus dem Sarganserland befanden.34 Militärisch war Ragaz das letzte Gefecht des Alten Zürichkriegs, ohne jedoch kriegsentscheidend zu sein, im Gegenteil. Sein Ausgang brachte den Siegern keinen Vorteil. Für die österreichisch-zürcherische Koalition war es eine empfindliche Niederlage, für 120 121 Österreich aber kein entscheidender Rückschlag. Noch im Herbst 1446 wurden die österreichischen Herrschaften in Walenstadt, Nidberg und Freudenberg wiederhergestellt. Herzog Sigmund setzte Michel von Freiberg als Vogt ein, der seinen Sitz auf dem 1437 zerstörten Freudenberg bezog, den er mit dem «schatzgeld von Ragatz» wieder instand stellte.35 Das Schatzgeld dürfte den Ragazern anlässlich des Vormarschs am 5. März 1446 auferlegt worden sein, als ein grosses Heer in Ragaz Stellung bezog, wo wenige Tage zuvor noch die Eidgenossen ihr Lager halten. War es eine Strafe für die Duldung - und Unterstützung? - der Eidgenossen in Ragaz und ihrer Plünderungszüge über den Rhein?36 Musste der Abt von Pfäfers als Dorfherr von Ragaz die Bürgschaft übernehmen?37 Zusammenfassung Nach dem erbenlosen Tod Friedrichs von Toggenburg kam es im Sarganserland zu einer schweren Herrschaftskrise und einem Konflikt zwischen Landesherr und Landleuten, der von der Rivalität zwischen Zürich und Schwyz um das Toggenburger Erbe und um die territoriale Vorherrschaft im Walenseegebiet überlagert wurde. Die ehemaligen Toggenburger Untertanen im Sarganserland formierten sich 1436 zu einer Landgemeinde und schlossen ein Burgrecht mit Zürich, das sich gegen die angestammten Landesherren von Werdenberg-Sargans und Österreich richtete. Der Graf von Sargans seinerseits sah sich veranlasst, im Landrechl mit Schwyz und Glarus Rückhalt zu suchen. Nach dem Eroberungskrieg Zürichs und der Landgemeinde gegen die österreichischen Herrschaften Walenstadt, Nidberg und Freudenberg von 1437 eroberten Schwyz und Glarus im Jahr 1440 das Land zuhanden Graf Heinrichs und der Herrschaft Österreich zurück. Sie erzwangen die Auflösung der Landgemeinde und des Burgrechts mit Zürich. Auf den militärischen Konflikt verkürzt, stand der Schauplatz Sarganserland am Anfang und am Ende des Alten Zürichkriegs. In der zweiten Phase der Auseinandersetzung, die sich nach 1442 zum eidgenössisch-österreichischen Grosskonflikt ausdehnte, verlagerte sich das Kriegsgeschehen noch einmal in das Gebiet oberhalb des Walensees. Versuche von Schwyz und Glarus, die österreichischen Besitzungen in Mels (Nidberg) und Ragaz (Freudenberg) zu erobern, scheiterten allerdings und veranlassten den Grafen von Sargans zur politischen Kehrtwende. Er wandte sich von den Innerschweizern ab und schloss sich der Koalition Österreichs an. Zwischen 1444 und 1446 misslang den Eidgenossen drei Mal die Eroberung des Sarganserlands. Die Schlacht von Ragaz erwies sich aus eidgenössischer Sicht - trotz des glänzenden Siegs - als weiterer Fehlschlag. Noch im Herbst 1446 wurden die österreichischen Herrschaften im Sarganserland wiederhergestellt. Auf landesherrlicher Ebene endete der Alte Zürichkrieg mit der Festigung des Status quo, wie er 50 Jahre früher, vor 1396, bestanden hatte: die Grafen von Werdenberg-Sargans kehrten als Landesherren zurück, und die Herrschaft Österreich sass in Walenstadl, auf Nidberg und Freudenberg wieder fest im Sattel. Erst 1460 gelang den Eidgenossen im Zug des Thurgauer Kriegs die definitive Eroberung der österreichischen Besitzungen in Walenstadt, Mels und Ragaz. Bis sie sich zum gemeinsamen Kauf der Grafschaft vom letzten Grafen von Sargans durchringen konnten (1483), sollten aber nochmals über 20 Jahre vergehen. Anmerkungen 1 Memorial «An die hochlöblichen das Sarganserland beherrschenden acht alten Orte. Von den Bürgerschaften und Gemeinden des Sarganserlandes», vom 23. Februar 1798. Gedruckt in: Das Sarganserland 1798-1803. Von der Untertanenschaft in der Landvogtei Sargans zur Freiheit im Kanton St. Gallen, Mels 1999,3-7. hier 6. 2 Dazu Fritz Rigendinger: Handwerker, Schiffsleute, Eisenherren, in: Sankt-Galler Geschichte 2003, St. Gallen 2003, Bd. 2,196-202. 3 Die Regesten der Benedictiner-Abtei Hävers und der Landschaft Sargans, bearb. von Karl Wegelin (Die Regesten der Archive in der schweizerischen Eidgenossenschaft 1), Chur 1850. Nr. 199 (1351); Reper-torium schweizergeschichtlicher Quellen im Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 2: Säckingen, bearb. von Cathrine Bosshart et al, Zürich 1986, Nr. 257 U (1393); Die Zürcher Ratslistcn 1225-1798. bearb. von Werner Schnydei, Zürich 1962, Register, 587; Quellen zur Zürcher Wirtschaftsgeschichte. Von den Anfängen bis 1500, bearb. von Werner Schnyder, Bd. 1, Zürich 1937, Nr. 599 (1410), 937 (1433). 4 Zum sog. Flumser Handel vgl. Bernhard Slettler: Die Zwanziger Jahre des 15. Jahrhunderts. Einzelör-tische Konsolidierung und eidgenössische Solidarität im Widerstreit, in: Tschudi, Bd. 9, 22*-158*, hier 137*-140*. 5 Wegelin (wie Anm. 3), Nr. 471-473 (19. September 1436); Urkundensammlung zur Geschichte des Kantons Glarus,hg. von Johann Jakob Blumer,3 Bände, Glarus 1865-1891,hier Bd.2, Nr. 198 (22. September 1436). 6 Klingenberger Chronik, 228-235, Zitat 232. 7 StAZ, C I, Nr. 1542 (21. Dezember 1436), Entwurf. Druck:Tschudi, Bd. 10, 38-43. Analoger Gegenbrief von Hauptmann und Räten gross und klein im Sarganserland und der «gantz gmeind» von Walenstadt, Flums, Mels, Ragaz und Grelschins im StAZ, C I, Nr. 1543 (21. Dezember 1436, gleichzeitige Kopie), mit Ankündigung der (nicht existierenden, nur hier erwähnten) Siegel von Walenstadt, Flums, Mels und Ragaz. 8 StASZ,Urk. 397 (30. Januar 1437),Rückvermerk des 15. Jahrhunderts: «graff Heinrichs von Sangans lanl-recht brieff mit Schwytz unnd Glarus anno 1437»,das Siegel Heinrichs (Ferdinand Gull: Heraldische und sphragisttsche Notizen über Dynastien und edle Geschlechter der Ostschweiz: Die Grafen von Montfort, von Werdenberg-Heiligenberg und von Werdenberg-Sargans, Neuenbürg 1891. Fig. 86) abgeschliffen. Druck: Tschudi, Bd. 10, 59-63, und Urkundensammlung (wie Anm. 5), Bd. 2, Nr. 201. Die Zollfreiheit in einer separaten Kopie in StAZ, A 343.1, Nr. 2 (30. Januar 1437) mit den Bestätigungen von 1458 und 1472. 9 LandcsA Glarus, AG 111.20, Kiste 1, Dossicr «zu No. 24» (7. Oktober 1437, zeitgenössische Abschrift von Hans Fründ, Landschieiber von Schwyz); StASZ, Urk. 412a (Vidimus 27. Juli 1449). Druck:Tschudi, Bd. 10,142-148. 10 Dazu ausführlich Klingenberger Chronik,243-249, undTschudi.Bd. 10,125-133. Zum Sarganscr Zug vgl. Bernhard Stettier: [Kommentar], imTschudi, Bd. 10,134 f. Anm. 42 und 43. 11 URStAZ, Bd. 6, Nr. 8264-8265 (5. Mai 1438). 12 LandesA Glarus, AG 111.242425:2 (30. Oktober 1438). An der Urkunde hängt das einzige erhaltene.stark abgeschliffene Exemplar des Landessiegels des Sarganserlands.Es istrund,im Durchmesser 45 mm,in der Mitte Rundschild mit geschwungenem Spruchband, im Schild ein sechsstrahliger Stern, das Spruchband mit nicht mehr erkennbarer Inschrift. 13 URStAZ, Bd. 6, Nr. 8350 (undatiert, Anfang 1439). 14 RQ Kanton St. Gallen, 3. Teil: Rechte der Landschaft, Bd. 1: Landschaft Gastcr mit Weesen, bearb. von Ferdinand Elsener, Aarau 1951. Nr. 9 (2. März 1438). 15 Tschudi, Bd. 10,215-221. 16 Fründ, 40. 17 Fründ, 42; Tschudi, Bd. 10,224 f. Urkundliche Evidenz im Kilchberger Friede vom 1. Dezember 1440, Druck:Tschudi, Bd. 10, 340-348, hier 341, Zeile 30-32. 18 Fründ, 54 (24. Oktober 1440, bei Kind irrtümlich zum 27. Oktobei). Zum Pfandanspruch der Schwyzer auf die Grafschaft Sargans vgl. oben Anm. 9 (7. Oktober 1437). 19 Das folgende nach: Klingenberger Chronik, 263; Fründ, 55-58; Tschudi, Bd. 10,292-299. 122 123 20 Dazu Thommen, Bd. 4, Nr. 7 (28. September 1440): Heinrich von Werdenberg-Sargans schuldet dem Ammann von Feldkirch 200 Gulden, «darumb wir spis [Lebensmittel] in unser schloss Sangans gekoufft haben». 21 Klingenberger Chronik, 264; Fründ, 56. 22 StAZ, C I, Nr. 1600 (11. November 1440). Klingenberger Chronik, 273; Fründ, 73; Lschudi, Bd. 10,322. 23 Tschudi, Bd. 10,340-348 (Kilchberger Friede vom 1. Dezember 1440), hier 343, Zeile 17 f.: «So dann von des huß Flums, darin sol dem gotzlras von Chur und dem der es in pfandes wise inhat iro gerechtigkeit behalten sin.» Zum Kilchberger Frieden vgl. Bernhard Stettier: [Kommentar], in: Tschudi, Bd. 10,348 f., Anm. 136. 24 StAZ, C I, Nr, 609 (19. November 1442), URStAZ, Bd. 6, Nr. 8852. 25 StAZ, C I, Nr. 1645 (Feldkirch), 1646 (Weesen), 1647 (Maienfeld), 1648 (Chur), 1649 (Uznach), 1650 (Rapperswil). URStAZ, Bd. 6, Nr. 8889-8894 (13. März 1443). 26 Druck: Tschudi, Bd. 11,345 f. (30. November 1444; Original fehlt). 27 Tschudi, Bd. 11, 346 f. Graf Wilhelm als Hauptmann zu Walenstadt in TLA Innsbruck, Sigmundiana 4b.55.203 (25. September 1460, inseriert im Schreiben vom 12. Oktober 1460), Druck: Tschudi, Bd. 13/1, 150, Zeile 12. 28 Eine weisse, rot bewehrte Gans in Schwarz, heute Wappen der Gemeinde Sargans. 1490 von den vier Schirmorten der Abtei St. Gallen und Herren von Sargans (Zürich, Luzern, Schwyz, Glarus) erfolglos zurückgefordert, verblieb die Trophäe in Appenzell, wo im 17. Jahrhundert eine Kopie das Original ersetzte. Vgl.: Die Kunstdenkmäler des Kantons St. Gallen, Bd. 1: Der Bezirk Sargans, bearb. von Erwin Rothenhäusler, Basel 1951,344 und 346 (Abbildung); HLS, Bd. 1,393 (Abbildung). 29 Tschudi.Bd.il,353 f. 30 Fründ, 257-260; Tschudi, Bd. 11,416-418. 31 Fründ, 261. 32 Fründ, 260-264, sowie der Bericht der anwesenden Berner Hauptleute in der Chronik von Bendicht Tschachtlan, gedruckt ebd., Anm. 260-264. Zum Schlachtgeschehen ausführlich Erwin Rothenhäusler: Festschrift zum 500. Jahrestag der Schlacht bei Ragaz, Bad Ragaz 1946, konzisc bei Rudolf von Fischer, in: Schweizer Kriegsgeschichte, Bd. 1, Heft 2, Bern 1935,92-94. Zur Darstellung der Schlacht bei Tschudi vgl. Bernhard Stettier: [Kommentar], in:Tschudi, Bd. 11,422 f., Anm. 212. 33 Fründ, 264. 34 Bernhard Stettier: [Kommentar], in: Tschudi, Bd. 11,422, Anm. 212 (nach Bendicht Tschachtlan). 35 Thommen, Bd. 4, Nr. 64 (16. November 1446) und 70 (14. Februar 1447). 36 Vgl. Thommen, Bd. 4, Nr. 69/1, 81, Zeile 35-37 (31. Januar 1437). Die Eidgenossen beklagen sich in den Friedensverhandlungen darüber, dass Michel von Freiberg die Ragazcr «über inhalt des anlaß» gebrand-schätzt habe. Der Anlass vom 9. Juni 1446 sah den Stop aller noch nicht ausbezahlten Schalzgeldforde-rungen vor. 37 Vgl. Wegclin (wie Anm. 3), Nr. 565 (14. März 1453). In dieser Quittung Michels von Freiberg ist keine Rede von Schatzgeld. Es kann sich um irgendeine Zahlung gehandelt haben. Wegelin, Nr. 569 (4. Juli 1453), beruht auf der phantastischen Kompilation der Pfäferser Klosterhistoriographie des 17. Jahrhunderts (sog. Widmcr-Transsumpt). Rapperswil - mehr als nur ein Bollwerk am See? Der Alte Zürichkrieg und seine Folgen für die Rosenstadt Pascale Sutter Dieser Beitrag stellt die wechselvolle Geschichte der Stadt und Herrschaft Rapperswil vor, während und nach dem Alten Ziirichkrieg dar. Im Mittelpunkt steht eine kleine Stadtgemeinde, die versuchte, sich zwischen den eidgenössischen Orten (vor allem Zürich und Schwyz) und der Habsburger Schutzherrschaft zu behaupten. Im Vordergrund steht die Frage, welche Rolle der Alte Zürichkrieg für die Entwicklung Rapperswils spielte. Die Stadt Rapperswil am oberen Zürichsee gelangte 1354 mit ihrer Burg und ihrem Territorium durch Kauf an Herzog Albrecht II. von Habsburg-Österreich.1 Mit der Rosenstadt erstanden die Habsburger einen strategisch und verkehrstechnisch wichtigen Grenzposten, der im 14. Jahrhundert mehrmals mit zusätzlicher Mannschaft versehen und von eidgenössischen Truppen belagert wurde.2 Um sich die Treue der Rapperswiler in den Appenzellerkriegen (1401-1408) zu sichern, erhielt die Stadt zahlreiche Privilegien von Seiten Österreichs.3 Trotzdem ging Hermann Gessler, der habsburgische Vogt Rapperswils, in der kritischen Phase des Kriegs am 17. August 1406 ein Burgrecht mit Zürich ein.4 Wegen dieses Burgrechts entliess Herzog Friedrich IV. Gessler bereits vier Tage später und stellte am 21. September als neuen Burgvogt Hans von Homburg ein, der ihm absolute Treue schwören musste.5 Nach der Ächtung von Herzog Friedrich IV. im Jahr 1415 befahl König Sigmund nebst habsburgischen Orten im Aargau und imThurgau auch Rapperswil, sich von Friedrich abzuwenden, und verlieh der Stadt die Reichsfreiheit.6 Zwei Jahre später bestätigte Sigmund der Stadt alle Freiheiten und verbriefte ihr neue Rechte.7 Mit der Reichsunmittelbarkeit erhielt Rapperswil die direkte Herrschaft über die drei Hofgemeinden Jona/Busskirch, Kempraten und Wagen sowie die Pflegschaft über das Zisterzienserinnenkloster Wurmsbach.8 Doch das Territorium Rapperswils war im Vergleich zu Städten wie Zürich oder Bern unbedeutend, und den Status als freie Reichsstadt bedrohten die beiden eidgenössischen Nachbarorte Zürich und Schwyz, die sich seit längerem im Gebiet des oberen Zürichsees konkurrenzierten. Daher erstaunt es nicht, dass die Rapperswiler bereits 1417 mit den eidgenössischen Orten über ein mögliches Bündnis verhandelten. Dabei spielten auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle, denn Rapperswil drängte auf die Abschaffung der Märkte in Grüningen und in der March und forderte die Aufhebung des Verbots für die Bewohnerschaft der March, den Rapperswiler Markt zu besuchen.0 Nachdem sich König Sigmund am 17. Februar 1425 wieder mit Herzog Friedrich IV. versöhnt hatte, wurden die ehemals habsburgischen Orte aufgefordert, unter ihre alte Herrschaft zurückzukehren.10 An der Einhaltung dieser Ermahnung war Sigmund 124 125