Die Wortbildungslehre ist eine sprachwissenschaftliche Disziplin, die beschreibt, wie „die Wörter einer Sprache strukturiert sind und wie neue Wörter gebildet werden“ (Metzler 2000, 794) können.
Traditionell gehört die Problematik der Wortbildung (WB) zum Gegenstand der Lexikologie, denn sie befasst sich mit Lexemen, d.h. Einheiten des Lexikons (= Wortschatzes).
Gleichzeitig überschneidet sich der Forschungsbereich der WB auch mit der Grammatik (Morphologie und Syntax), weil:
die Entstehung neuer Wörter gewissen Regeln unterliegt. (Die Grammatik beschreibt und stellt ja die „Regeln“ einer Sprache auf.)
sie „(neben der Syntax) ein Ausdruck sprachlicher Kreativität ist: Mit einem begrenzten Inventar von Elementen und Regeln lässt sich eine unbegrenzte Menge von neuen Kombinationen erzeugen“ (Lewandowski 1994, 1254)
Die Grammatik ist ein geschlossenes System der Sprache. Aber das Lexikon/ der Wortschatz stellt ein offenes System jeder Sprache dar.
Die WB lässt sich natürlich von der Bedeutung der Wörter nicht trennen. Daher hängt die Wortbildungslehre auch mit der Semantik zusammen.
Die Ergebnisse der Wortbildungsprozesse
können zu einem festen Bestandteil des Wortschatzes werden/ sie werden „lexikalisiert“, d.h. von vielen Sprechern und Sprecherinnen/ Schreibern und Schreiberinnen oft verwendet und in die Wörterbücher aufgenommen), wie z.B. die Abkürzung EDV.
Oder sie bleiben als einmalige Erscheinungen (als Zeichen der Kreativität der Autoren) in einem Text (sogenannte „Okkasionalismen“), wie z.B. die deutschen Übersetzungen von einigen tschechischen Eigennamen in Werichs Fimfarum1: Halsschnitten oder Gibmehringen:
Genauso trügt der Name des Dorfes Gibmehringen.
A zrovna tak lhalo jméno vesnice Dejvice, když ještě Dejvice byly vesnice, když z Dejvic do Prahy se chodilo buď Píseckou branou nebo oklikou.
Wer sich aus Angst um seinen Hals nicht nach Halsschnitten traut, ängstigt sich ganz unnötig, denn in Halsschnitten, das ist statistisch nachgewiesen, werden auch nicht mehr Hälse abgeschnitten als anderswo.
Kdo se bojí do Hrdlořez kvůli hrdlu , bojí se zcela zbytečně , protože v Hrdlořezích , a to je statisticky dokázáno , hrdla se neřežou o nic víc než kde jinde .
Soweit wirkt die WB auch auf den Stil der Texte (Forschungsbereich der Stilistik).
Suchen Sie im Korpus InterCorp Äquivalente der tschechischen Eigennamen Čochtan, Dejvice, Důvěřov, Jizva, Koloběžka, Úterý und achten Sie auf den Kontext und den Ursprungstext (Quelle).
Zuerst müssen wir auf den Basisunterschied zwischen einem Wort und einem Lexem hinzuweisen (mehr dazu im Kapitel 1.3): ein Wort ist eine intuitive Einheit der Sprache. Es ist ein geschlossenes lautliches (oder graphisches) Gebilde: z. B.: Jux, der, rundlich, fünfzehn, besonderer, ab, hui!, statt, Zentralheizung…
Ein Lexem ist in erster Linie eine untrennbare Einheit von Form und Inhalt. (Ungeachtet dessen, wie diese Form aussieht.) In einer konkreten Aussage realisieren sich die Lexeme als Lexe (d. h. Wörter oder Kombinationen von Wörtern) und rufen in unserem Gedächtnis eine mehr oder minder genaue Vorstellung von dem, „WORÜBER geredet wird“, hervor. (Angenommen, wir verstehen die Sprache - zumindest teilweise.) Dieses „WAS“ zu jedem Lexem nennt sich Denotat.
Der offensichtlichste Unterschied zwischen einem Wort und einem Lexem besteht darin, dass Lexeme (besser gesagt ihre lautliche oder graphische Seite = Formative) aus mehreren Wörtern bestehen können, und dass Lexeme „lexikalisiert“ sind, d.h. ein Bestandteil des konventionellen Wortschatzes einer Sprache sind.
Sie hören zum Beispiel im Radio den Satz: „Der Österreichische Rundfunk brachte Nachrichten“.
Das brachte interpretieren Sie automatisch als „präsentierte“ und „Nachrichten“ als „etwas neues, was passiert ist und für die Hörer (also auch für Sie) interessant oder wichtig sein kann“. Beide Formen existieren in der deutschen Sprache bereits sehr lange und sind unverwechselbar mit anderen Inhalten.
Die Wortgruppe „der Österreichische Rundfunk“ bezeichnet eine (konkrete) mediale Anstalt in Österreich (= ein Denotat, auch Nomination). Es sind allerdings drei Wörter: [der] [österreichische] [rundfunk], die weiter in sechs Elemente segmentiert werden können: [der] [österreich[isch][e]] [[rund][funk]]. (Mehr dazu im Kapitel 1.5 Morphologische Analyse)
Offiziell heißt die Anstalt „Österreichischer Rundfunk“, was üblicherweise zum ORF (= ein „Wort“) gekürzt wird. Es handelt sich in allen drei Fällen um eine und dieselbe „Sache“.
Bei der Entstehung dieser Anstalt stand offensichtlich die österreichische Regierung vor der Frage, wie sie die neue Einrichtung benennen soll. Die Beweggründe für die Entscheidung (bereits 1957) sind bis heute ersichtlich: das Wort „Rundfunk“ hat es schon seit den 1920-er Jahren gegeben. Damals wurde dieses neue Wort geprägt: „Funk, der in die Runde ausgestrahlt wird.“ (Duden-Herkunftswörterbuch, 604). Es trifft also die Realität der Anfänge der Radiowellenübertragung. „Rundfunke“ hat es allerdings schon mehrere gegeben, deswegen wurde ein klassifizierendes Attribut „österreichischer“ hinzugefügt, um diesen Rundfunk z.B. von dem benachbarten Bayrischen Rundfunk zu unterscheiden. Und weil die ganze Bezeichnung so umständlich lang ist, wurde sie kurz nach ihrer Entstehung zum ORF gekürzt.
Alle diese Varianten sind ein fester Bestandteil des deutschen Lexikons, sie gehören auch alle zum Lexem „Österreichischer Rundfunk“, genauso wie die konkrete Form (das Lex) brachte zum Lexem bringen und Nachrichten zum Lexem Nachricht gehören.
Ein lexikalisiertes Element in der Sprache/ ein Lexem kann im Prinzip folgende Ursprungsvarianten haben: es wird ganz neu oder aus bestehenden Elementen kreiert (Neuprägung und Wortbildung), die Bedeutung eines bestehenden Lexems wird geändert (Bedeutungsänderung), es wird als Ganzes aus einer anderen Sprache entlehnt (Entlehnung).
Bei der Neuprägung/Neuschöpfung entstehen ganz neue Formative der Lexeme. Es kann sich um eine neue, einmalige Kombination der Laute und/oder Morpheme die bisher in
der Sprache nicht existiert haben, handeln. Auf den ersten Blick sind diese oft nicht motiviert: Handy, Roboter, Mohrhuhn.
In der Tatsache werden auch diese motiviert: Handy – Hand und Anlehnung an das engl. „handy“ (etwas Handliches); Roboter – aus dem tsch., wo es übrigens auch als Neuprägung gegolten hat, motiviert durch „robit“; Mohrhuhn (ein Computerspiel) – es handelt sich um eine Jagd nach einer virtuellen Henne im Mohr.
Nicht motivierte Neuprägungen werden selten lexikalisiert, denn der Aufwand sie in der Sprachkommunität durchzusetzen ist sehr hoch. So bemühte sich zum Beispiel Anfang der 90-er Jahre die damalige tschechische Firma Eurotel (heute O2) darum, dass die tschechische Bezeichnung für das mobile Telefon „Eurotel“ heißt. Die Bevölkerung hat sich anders entschieden und hat das englische „mobil“ entlehnt (bzw. die Bezeichnung „mobilní telefon“ abgekürzt). Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Benutzer der Sprache andere Möglichkeiten für die Erweiterung des Wortschatzes bevorzugen und dass die Sprachkommunität autonom handelt.
Weiterhin zählen zu den Neuprägungen auch solche neue Benennungen, die sich rasch lexikalisieren – z.B. googeln, SMS schicken, Mausklick, Touchdisplay. Zu bemerken ist, dass ihre tschechischen Äquivalente teilweise eine andere Struktur haben: googlovat, esemeskovat, klik myší, dotykový display.
Eine sehr häufige Vorgangsweise bei der Suche nach neuen Benennungen für neue Erscheinungen ist die Modifikation des Inhalts eines Lexems. So entstehen aufgrund der Übertragung polyseme/mehrdeutige Wörter oder metonymische Übertragungen:
Elfriede Jelinek (die Schriftstellerin) hat am Wochenende Nachrichten über ihren möglichen Wechsel von Rowohlt zum Berlin Verlag bestätigt…
x
Übertreibungen sind bei Jelinek (in den Büchern von Jelinek) allerdings nicht klamaukhafter Selbstzwec k.2
Der überhaupt häufigste Weg bei der Suche nach neuen Benennungen ist die Schöpfung aus dem Wortgut fremder Sprachen. Beispiele für diese Vorgangsweise findet man schon im Germanischen und sie zieht sich durch die ganze Geschichte der deutschen Sprache. Nur die Sprachen, aus denen geschöpft wurde, haben mehrmals gewechselt.
Der Standardwortschatz wird allerdings nicht nur durch Entlehnungen aus den fremden Sprachen, sondern auch aus den „tieferen“ Schichtebenen der eigenen Sprache – aus den Mundarten und aus dem Slang, bereichert (Sprit, Festplatte, Föhn...)
Die Wortbildung spielt eine wichtige Rolle beim „Suchen“ nach neuen Lexemen. Sie schöpft aus dem schon existierenden Gut der Wörter und Morpheme und bildet so neue Wörter, die dann lexikalisiert werden (können). Die Anzahl der Kombinationsmöglichkeiten von allen Wörtern und Morphemen scheint unendlich zu sein. Aktuell neu gebildete Wörter sind auch ein Zeichen von sprachlicher Kreativität des Autors.
Die „Beweggründe“ für die Entstehung neuer Benennungen nennt sich in der Linguistik Motivation/Motivierung/Motiviertheit. Es gibt drei Basisarten der Motivierung:
Nachahmung der Laute oder Bilder: z.B.: Uhu, grunzen, pechschwarz, Hand in Hand (als Bild der engen Verbundenheit), Tag für Tag (als Bild der ständigen Wiederholung)
Analogiebildungen: arbeiten – Arbeiter, lehren – Lehrer, lesen – Leser, das Suffix „-er“ bezeichnet den Handelnden. In den Begriffen Spülmaschine, Nähmaschine, Waschmaschine etc. werden die Benennungen analog durch das Wort „Maschine“ gebildet. Bei der morphologischen Motivation sind die „vorhandenen Elemente Träger der Motivbedeutung“ (Schippan 1992, 97).
Unter diese Kategorie fallen sämtliche inhaltliche Änderungen ohne, dass sich das lautliche/ graphische Gebilde des Wortes/ Lexems ändert. Sie werden meist als „Bedeutungsübertragung“ bezeichnet. Es handelt sich vor allem um metaphorische und metonymische Übertragungen. (Mehr dazu im Fach Lexikologie.)
Der Wortschatz jeder Sprache unterliegt also einem ständigen Wandel: auf einer Seite bekommen einige existierende Bezeichnungen einen bitteren oder politisch inkorrekten „Beigeschmack“ (z. B. Tschechei), andere werden als unmodisch empfunden und ändern ihre Bedeutung (z. B. Schlager). Auf der andren Seite werden neue Benennungen benötigt. Diese können durch eine neue Kombination von existierenden Elementen entstehen (so entstehen komplexe Lexeme wie New York, Geschirrspüler, reiselustig), aus anderen Sprachen entlehnt (Hit, Smog, Drink), oder die Bedeutungen von Wörtern können verschoben werden (Gras – „Wiesenpflanze“, heute umgangssprachlich auch „Hanf/ Cannabis“).
Suchen Sie in den Texten Neuprägungen.
Erklären Sie mindestens zwei Wörter, die hier im übertragenen Sinne verwendet wurde.
Unterstreichen Sie alle Entlehnungen aus dem Englischen.
Suchen Sie eine Kombination von einem deutschen Wort und einem Fremdwort. (anzeigen)
Die Sprache besteht aus sprachlichen Einheiten, die eine Funktion und (die meisten von ihnen) auch eine Bedeutung haben. Falls sie keine Bedeutung tragen, dann
haben sie nur eine Funktion (z.B. der als Artikel hat die „Funktion“ den Kasus und Geschlecht zu bezeichnen; -e im Wort Rede als ein Ableitungselement, das das Verb reden zu einem Substantiv „umfunktioniert“ hat.)
oder die Bedeutung ist mittlerweile verblasst bzw. aus der heutigen/synchronen Sicht nicht erklärbar (z.B. Sam- im Wort Samstag, oder Lug im Phraseologismus Lug und Trug).
Theoretisch ist jede Sprache im Stande, alle Entitäten der Welt zu benennen. Allerdings kann die Knappheit, Triftigkeit, bzw. „Eleganz“ der Benennungen von Sprache zu Sprache variieren. Dadurch entstehen Divergenzen in den Benennungen zwischen einzelnen Sprachen auf der
formalen Ebene:
domácí mazlíček | – | Haustier | – | pet | |
2 Wörter | 1 Wort, jedoch aus 2 | 1 Wort |
oder auch auf der
inhaltlichen Ebene:
Deutsch kommen und slowakisch prísť/ prichádzať heißt „eintreffen“ sowohl zu Fuß, als auch mit einem Transportmittel, während im Tschechischen dies differenziert wird (přijít/ přicházel, přijet/ přijíždět).
Der Wortschatz jeder Sprache ist eine Menge von sprachlichen Einheiten/ Elementen, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschreiben lassen. Wir unterscheiden z.B. Elemente, die auf den ersten Blick und alleinstehend und ohne Kontext sofort identifizierbar sind (z.B. Fakultät = organisatorische Einheit im Hochschulwesen; Toast = geröstetes Brot; Wiener Schnitzel = panierte, dünne und gebratene Scheibe Kalbfleisch); Elemente, die nur eine Funktion im Text leisten (z.B. alle Konjunktionen, Artikelwörter etc.); Elemente, die auf etwas Einmaliges hinweisen (Eigennamen wie Donau, Fürstentum Liechtenstein), oder nur im bestimmten Kontext identifizierbar sind (z.B. Pronomina). (Mehr dazu im Fach Lexikologie) Hier interessiert uns, welche sprachlichen Einheiten das Lexikon bilden und wie diese aufgebaut werden.
Zur formalen Seite lässt sich festhalten, dass der Wortschatz jeder Sprache aus Benennungen besteht, die im Prinzip zwei unterschiedliche Formen einnehmen können: mehrteilige/ komplexe, die aus mehreren Wörtern bestehen, und einteilige/ simplexe, die als ein Wort vorkommen.
Der Begriff „Wort“ ist in der Sprachwissenschaft recht umstritten. Hier die grobe Abgrenzung:
Weil das Wort „Wort“ so problematisch ist, obwohl es zu den ältesten Einheiten der Linguistik gehört, wurde in der Lexikologie der Begriff „Lexem“ eingeführt.
In der Praxis werden die Begriffe „Lexem“ und „Wort“ oft synonymisch gebraucht. Aus der Abgrenzung des Begriffes „Wort“ und aus der Definition des „Lexems“ (siehe oben) sollten die Unterschiede jedoch deutlich sein. Siehe dazu auch Schippan 1992, 95f.
Die Nomination ist ein Wort, eine Wortverbindung oder eine Wortkombination, die einen Sachverhalt benennt. So ist eine Nomination Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur der Masaryk-Universität in der Aussage:
„Sie studierte Deutsch am Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur der Masaryk-Universität.“
genauso wie „die Uni“ in der folgenden Aussage, in dem ein Kollege des Lehrstuhls einen anderen fragt:
„Wann kommst du morgen auf die Uni?“
Erklären Sie anhand des Textes „Die Geschichte der Jeans“ die Begriffe Wort, Lexem, Lex und Nomination.
Suchen Sie Lemmata zu 10 Wörtern unterschiedlicher Wortarten. (anzeigen)
Wie schon oben angedeutet wurde, können Lexeme verschiedene Strukturen haben:
Simplizia sind Lexeme mit nur einem Wortstamm und ohne lexikalische Ableitungsaffixe, z. B. Buch, reden, bis, dunkel. Grammatikalische Affixe spielen hier keine Rolle, deswegen betrachten wir als Simplizia auch: Bücher, geredet, dunklere. (Die meisten Simplizia bilden den Kern des Wortschatzes.) Weil sie in ihrer Struktur „zu einfach“ sind, sind sie für die Wortbildung eher uninteressant. Ihrem semantischen Gehalt, ihrer Beziehungen und ihrer Kombinierbarkeit widmet sich die Lexematik.
Zu komplexen Lexemen zählen unterschiedlich lange Wortgebilde:
Mit vollen Hosen ist leicht stinken; diese können sogar die Form eines komplexen Satzes haben, wie ein Beispiel aus einem Interview mit dem TV-Moderator Günther Jauch zeigt: „Ich habe mich gefragt, ob ich nicht besser zu einem Zeitpunkt aufhöre, wo es noch Zuschauer gibt, die das bedauern, anstatt solange mit dem Krug zum Brunnen zu gehen, bis er bricht“, sagte er.“ (Braunschweiger Zeitung, 05.01.2011; Jauchs Abschied nach 21 Jahren). Oder: Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg.
im engeren Sinne: fix und fertig sein, Frühroter Veltliner, den Kürzeren ziehen
in Verbindung setzen, unter Druck setzen...
Komposita: Nacktschnecke, kinderleicht, unterbinden...
Ableitungen: Begutachtung, missverstehen, abrufbar...
Wortübergreifende komplexe Lexeme (1.5.2.1 Redewendungen und 1.5.2.2 Phraseme i. e. S.) behandeln die lexikologischen Subdisziplinen Phraseologie und Idiomatik. Die Problematik des Funktionsverbgefüges (1.5.2.3) gehört in den Bereich der Syntax.
Komplexe Lexeme, die formal als ein Wort vorkommen (1.5.2.4) bilden den Kernpunkt der Wortbildungslehre.
„Rationalisierte“ Formative der ursprünglichen Lexeme fallen unten den Sammelbegriff Kürzungen: z.B. steht für zum Beispiel, ggfs. für gegebenenfalls, mfg für Mit freundlichen Grüßen, Schirm für Regenschirm, Bildschirm oder Schutzschirm, TÜV für Technischer Überwachungs-Verein u.a.
Kürzungen gehören traditionell zur Wortbildung und werden auch hier im Kapitel 2.3 behandelt.
Eine Mischung aus Komposition und Kürzung stellen Wortkreuzungen, sog. „Blends“ dar: Infotainment, abnormal, jein, Centrope u.v.a.m.
Sehr nah an der Komposition sind Reduplikationen: tagtäglich, (der heilige) Bimbam, Mischimaschi u.a.
Für das Verständnis der Prinzipien der Wortbildung, also solcher komplexen Strukturen, die nicht länger als ein (komplexes) Wort sind, ist die Beherrschung der morphologischen Analyse notwendig.
frei | gebunden | ||
lexikalisch | Vater Wörter Schönling Hundehütte gepflastertes | Hochkultur heimwärts | Bohrer, fraglich, passieren
entlocken, beflecken |
grammatikalisch | durch, und, zwischen
die (Artikel), ist (Hilfsverb), sich (Reflexivum) |
Untersuchung
Brücken gelobt |
In der Wortbildungswissenschaft spielen lediglich lexikalische Wortbildungselemente eine Rolle. Diese sind: Wort, Wortstamm, lexikalische Affixe und Fugenelemente.
Beispiel: Pensionsversicherungsanstalt
Pension | s | versicherung | s | anstalt | |
Wort 1 | Fuge | Wort 2 | Fuge | Wort 3 |
Es besteht aus mehr als einem Wort(stamm) = Komposition.
Beispiel: Kinderbeihilfe
Kind | er | beihilfe | |
Wort 1 | Fuge | Wort 2 |
Es besteht aus mehr als einem Wort(stamm) = Komposition. (Dabei ist das Grundwort vorher als Kombination von Wortstamm und Affixe entstanden = Derivation.)
Beispiel: ehrwürdig
ehr | würdig | |
Wortstamm 1 | Wort 2 |
Es besteht aus mehr als einem Wort(stamm) = Komposition.
Beispiel: Versicherung
Ver | sicher | ung | |
Präfix | Wort(stamm) | Suffix |
Es ist eine Kombination von einem Wortstamm und Präfix (und Suffix) = Derivation (Präfigierung und Suffigierung).
Beispiel: (sich) anstellten
an | stell | ten | |
Präfix | Wortstamm | Suffix |
Es ist eine Kombination von einem Wortstamm und einem Wortbildungspräfix = Derivation (Präfigierung)
Beispiel: Leben
leben (Verb) | → | das Leben (Subst.) | |
Wort | Wort |
Es ist eine einfache Überführung eines Wortes in eine andere Wortart = Konversion
Beispiel: Gang
gegangen (Verb) | → | Gang (Subst.) | |
Wortstamm | Wort(stamm) |
Es ist eine einfache Überführung eines Wortstammens in eine andere Wortart = Konversion
Beispiel: rauchen
Rauch (Subst.) | → | rauchen (Verb) | |
Wort (= Wortstamm) | Wortstamm |
Es ist eine Überführung eines Wortes in eine andere Wortart = Konversion. (Grammatikalisch notwendige Elemente wirken sich auf den Inhalt nicht aus!)
Ähnlich das Beispiel: dank
Dank (Subst.) | → | danken (Verb) | ||
→ | Wortstamm | |||
Wort(stamm) | → | dank (Präposition) | ||
Wort |
Analysieren Sie komplexe Lexeme in diesem Text (anzeigen).
Beispiel: Verehrer ← -er zu verehren ← ver zu ehren
In der Wortbildung verhält sich jede Sprache relativ berechenbar: die Produktivität der Wortbildungsarten hängt sehr stark mit der morphologischen Typologie der Sprachen zusammen. So kann Tschechisch viel einfacher unterschiedliche Ableitungen bilden, weil es das entsprechende Instrumentarium hat (unzählige Affixe) – z.B. hostinec. Englisch hat wenig Affixe, deswegen bildet es viele Wörter durch einfache Überführung zwischen den Wortarten und kombiniert bestehende Wörter in Wortgruppen (public house). Deutsch fügt Wörter gerne zusammen (Gasthaus).
Die Produktivität der Kürzungen/ Kontraktionen ist in allen Sprachen sehr hoch, denn sie entspricht der Bestrebung nach der sprachlichen Ökonomie. Da aber die Kürzung keine Wortbildung im engeren Sinne ist, wird sie in der Vergleichstabelle in Klammern angegeben.
DEUTSCH | TSCHECHISCH | ENGLISCH |
(Kürzung) | (Kürzung) | (Kürzung) |
Komposition | Derivation - Affigierung | Konversion |
Derivation - Affigierung | Komposition | Derivation - Affigierung |
Konversion | Konversion | Komposition |
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass es in keiner Sprache feste Regeln gibt, welche Struktur neue Benennungen innehaben werden/ welche Struktur sich durchsetzt.
Vgl.:
počítač – Rechner – Computer
fleška – Daten-Stick – flash (port)
tlačítko myši (selten auch myšítko) – Maustaste – mouse key/ button
Vergleichen Sie die unterschiedlichen Wortbildungsarten in den parallelen Texten. (anzeigen)
[1] Werich, Jan: Fimfarum. In: InterCorp.
[2] Quelle: DeReKo.
[3] Quelle: http://www.visitprague.cz/
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